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Lange vor den Bauernkriegen, deren Beginn in das Jahr 1526 fällt, haben die Bauern in Dithmarschen ihre eigene Republik verwirklicht. Aber eben nicht nur dort. Auch in Stedingen, im Land Wursten, in Butjadingen, oder auch im Land Hadeln gab es sogenannte Bauernrepubliken – selbst in Kärnten. Dabei handelte es sich um genossenschaftlich organisierte Einheiten in autonomen Landesgemeinden. Gemeinsam waren ihnen durchaus demokratische Entscheidungsprozesse innerhalb ihrer Gebiete. Demokratische Entscheidungsprozesse machen allerdings noch keine Demokratie, denn entscheidend ist, wer an ihnen beteiligt wird. Und das waren eben nicht alle. Gemeinsam war ihnen außerdem die Tatsache, dass sie sich in abgelegenen und schwer zugänglichen Landschaften, an Küsten, oder hinter Sümpfen und Mooren befanden. Schwerpunkt des vorliegenden Buches ist die Bauernrepublik Dithmarschen, die streng genommen gar keine Republik war, denn sie gehörte seit Karl dem Großen immer zum Territorium eines, wenn auch wechselnden Herrschers. Da diese aber ihre Lehnshoheit nicht straff ausübten, konnte sich eine Art Selbstverwaltung herausbilden.
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Seitenzahl: 253
Veröffentlichungsjahr: 2025
Rainer Schulz
Bauernrepubliken
Biografie einer Republik (?) 1447 - 1554
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
EINFÜHRUNG
VORGESCHICHTE
DIE STEDINGER
KRIEG UND FRIEDEN
DIE ACHTUNDVIERZIGER
HEMMINGSTEDT
GLAUBENSFRAGEN
RECHTSFRAGEN
EIN PROZESS VON 1546
DIE LETZTE FEHDE
VERSUCHE
QUELLEN
Impressum neobooks
©HeRaS Verlag, Rainer Schulz, Berlin 2024
www.herasverlag.de
Layout Buchdeckel Rainer Schulz
Unter Verwendung eines Fotos von Dirk Franke
Lange vor den Bauernkriegen in Süd- und Mitteldeutschland, deren Beginn in das Jahr 1526 fällt, haben die Bauern in Dithmarschen ihre eigene Republik verwirklicht. Aber eben nicht nur dort. Auch in Stedingen (viel früher, aber dazu weiter unten), im Land Wursten, in Butjadingen, oder auch im Land Hadeln gab es sogenannte Bauernrepubliken – selbst in Kärnten. Dabei handelte es sich um genossenschaftlich organisierte Einheiten in autonomen Landesgemeinden. Gemeinsam waren ihnen durchaus demokratische Entscheidungsprozesse innerhalb ihrer Gebiete. Demokratische Entscheidungsprozesse machen allerdings noch keine Demokratie, denn entscheidend ist, wer an ihnen beteiligt wird. Und das waren eben nicht alle.
Westerkoog, Dithmarschen (Foto: Dirk Franke)
Gemeinsam war ihnen außerdem die Tatsache, dass sie sich in abgelegenen und schwer zugänglichen Landschaften, an Küsten, oder hinter Sümpfen und Mooren befanden.
Schwerpunkt des vorliegenden Buches ist die Bauernrepublik Dithmarschen, die streng genommen gar keine Republik war, denn sie gehörte seit Karl dem Großen immer zum Territorium eines, wenn auch wechselnden Herrschers. Da diese aber ihre Lehnshoheit nicht straff ausübten, konnte sich eine Art Selbstverwaltung herausbilden; Adlige Gutsherrschaften gab es nicht.
Die Schriftstellerin Sarah Kirsch lebte bis zu ihrem Tod im Jahre 2013 an der Eider und beschrieb die Region: Der Geist der Bauernrepublik spukt noch, jeder ist Kaiser auf seinem Trecker …
Die vermeintliche Republik überlebte drei Habsburger Kaiser, nämlich:
Friedrich III., Kaiser von 1452 bis zu seinem Tode 1493 (dt. König ab 1440), er trug wegen seiner angeblichen Untätigkeit den Beinamen „des Heiligen Römischen Reiches Erzschlafmütze“, zu Unrecht, wie wir heute wissen.
Maximilian I., Kaiser von 1508 bis zu seinem Tode 1519 mit dem Beinamen „der letzte Ritter“ (wegen seiner ausgiebigen und kostspieligen Ritterspiele, Turniere und Mummereien; bekannter wurde er allerdings durch seine Schulden bei dem Bankhaus Fugger) und
Karl V. Kaiser von 1520 bis zu seiner Abdankung 1556, in dessen Reich die Sonne nie unterging (von dem hier noch zu lesen sein wird)
Es war überhaupt ein bewegtes Zeitalter: nach der Erfindung des Buchdrucks -um 1450- nahm dieser seinen Siegeszug durch Europa; die großen Seefahrer entdeckten neue Welten und nicht zuletzt veränderte die Reformation das Denken.
Zur Einführung in die Dithmarscher Republik -nennen wir sie ruhig so- eignet sich eine Novelle von Detlev von Liliencron: Die Dithmarschen: (Bearbeitet und gekürzt)
I.
Viel, sehr viel, und oft von ausgezeichneten Männern, ist über die Unabhängigkeitskämpfe der Schweiz geschrieben. Schiller hat gewissermaßen in seinem »Tell« den Punkt gesetzt. Wer kennt die Dithmarschen?
Mit höchstem Mut, mit höchstem Allesdransetzen für ihr kleines Vaterland haben sich diese geschlagen. Wie die Schweizer waren sie von unbändiger Freiheitsliebe beseelt. Vaterlandsliebe ist unser Heiligstes. Wer nicht den Bratspieß und den Grütztopf vom Herde reißt dem eindringenden Feinde entgegen, ist nicht wert, verachtet zu werden.
Die Dithmarschen, zum großen Stamme der Friesen gehörend, sind sächsischen Ursprungs. Das ist jetzt unleugbar bewiesen. (…) Mit den freien Nordfriesenbrüdern haben die freien Dithmarschenfriesenbrüder fast immer in Streit gelegen. Hier bildet die Eider die Grenze. Also hüben und drüben allerlei Feuerschein von abbrennenden Mühlen und Höfen. Stehlen von Vieh und Weibern.
Wahrscheinlich werden die Dithmarschen (Friesen) von der ostholsteinischen Küste durch die Slawen verdrängt sein. Am Baltischen Meer, von Preußen bis nach Kiel (die Grenze kann zollbreit nachgewiesen werden), saßen oder drängten und drangen allmählich vor: die Slawen. Aus Pommern hatten sie, Plön in Holstein gründend, ihren Götzen Prone dorthin mitgeschleppt. Nach der einzigen Beschreibung, die wir von diesem haben, muss er den Molochsöfen in Karthago nicht unähnlich gesehen haben. Vielleicht vor ihm besonders sind die treuherzigen Sachsen davongelaufen. Wer kann es wissen. Kurz, die Vertriebenen nisteten sich fest in Dithmarschen, einem Ländchen zwischen Elbe und Eider ein.
Zuerst ein Durcheinander: Wer regiert die Dithmarschen. Dann traten immer klarer die Stader Grafen als Besitzer Dithmarschens hervor, etwa bis Ende 1100. Die Stader Grafen, wechselnd verwandt mit den Ottonen, den Hohenstaufen, den Welfen, schickten ihre Statthalter hinüber. Aber hier schon zeigt sich der Dithmarscher: Wohl alle diese Grafenstellvertreter, die sich auch als eigene Herren dünken mochten, werden überfallen, verbrannt, ermordet. Einmal droht Heinrich der Braunschweiger hinüber. Ja, er setzt sich auf große, breite Piratenboote, landet und schüttelt auf dem Außenelbdeich zornig die Mähne. Dann steigt er von ihm hinab in den Fettboden, und das übliche Morden, Brennen beginnt. Kaum aber ist der Löwe (der Löwe in Dithmarschen!) wieder verschwunden, um Bardewik den vernichtenden Tatzenschlag zu geben, erheben sich die Dithmarschen, würgen die Oberaufseher ab, schleifen die Zwingburgen, breiten die ungeheure Brust und rufen: »Nun lat em kamn.«
Endlich verschwinden die Stader Grafen; es errichtet sich eine Republik, geleitet von den achtundvierzig Regenten. Aber das schlaue Auge eines Priesters, des Erzbischofs von Bremen, blinzelt und liebäugelt hinüber, und richtig: die Dithmarschen nennen sich nun: die Kirchenzollpfennigsteurer des Bremers. Nun fortwährendes Geldgewünsche von Bremen her, kluges Abschlagen, oder wenn nicht anders möglich, aufs äußerste Beschneidung des »Zollpfennigs«. Den einen Vorteil hatten sie durch das »herzliche Verhältnis« mit dem Bremer: der Papst streichelte sie. Und rührend ist es zu verfolgen, wie durch Jahrhunderte die Dithmarschen in heiligster Verehrung dem Papst zugetan sind. Die Päpste dagegen, die Dithmarschen für halbe Walfische betrachtend in einem ungeheuer entfernten Moorland, schützten sie. Sie waren die Nesthähnchen der heiligen Väter. Einmal, aus Dankbarkeit, sandten sie nach Rom ein Schiff mit Butter, Speck, Korn, Heringen. Aber es versank im Biskayischen Meerbusen. Entzückt und betrübt zugleich, schickte ihnen als Gegengeschenk der Stellvertreter Christi achtundvierzig in Neapel verzierte Pardelfelle (Anm.: Es handelt sich um Leopardenfelle) für die Regenten. Aber diese »Rattenfells« wurden nicht angezogen, wohl aber sorgsam verwahrt. Vom Papste holten sich die achtundvierzig Regenten ihre Bestätigung. Und sie taten gut, den Heiligen Vater als ersten und einzigen Herrn anzuerkennen. Denn immer wieder hatten sie sich ihrer Haut zu wehren. Zwar mit den Stadern und anderen über die Elbe Angreifenden war's vorüber. Auch die freien Nordfriesen, die lieben Nachbarn jenseits der Eider, auch die Hamburger und Lübecker ließen sich in Schach halten. Aber, aber, der Erbfeind machte ihnen unaufhörlich zu schaffen: die holsteinischen Grafen, die holsteinische Ritterschaft, ganz Holstein und später die Könige von Dänemark.
Die Grafen von Holstein, die Adolfe aus der Schauenburgschen Sippe, mit ihren stählernen Helmen und stählernen Herzen, und die holsteinische Ritterschaft wurden rot wie geärgerte Truthähne, wenn die Rede auf die Dithmarschen kam: Wie, was? freie Bauern? Nicht unsere Leibeigenen? Und mit Ungestüm sich die eisernen Hüte auf die gelben Haare stülpend, die ihnen von den Jungen (Pagen) entgegengehaltenen Zweifäustler (Anm. Zweifäustler sind große Schwerter) an sich reißend, den plumpen Hengsten die Hacken einsetzend, tummelten sie sich, »Sunte Maria« schreiend, an der Grenze herum. Dann hinein! Aber gleich wieder hinaus! Denn die Dithmarschen, mit ihren Keulen und langgestielten Streitäxten, passten auf. Wenn es auch den Herren gelang, eine Viehherde zu rauben, einen Hof anzustecken – ehe sie wieder auf ihrem Grund und Boden, waren sie schon von den Nachsetzenden überfallen. In der »Hamme«, diesem Hauptloch im Dithmarschen Sack, ist besonders oft gerauft worden. Hier fand am Oswaldustage 1404 eine besonders große Schlägerei statt. Der Schauenburger selbst, zwei oldenburgische Grafen (die Oldenburger, verwandt mit den Schauenburgern, fingen schon an, sich in Holstein zu schaffen zu machen), und über dreihundert holsteinische Ritter und gefällige Herren der Nachbarschaft verbluteten. Den Hunden und Füchsen zum Fraße leuchtete, nach der Plünderung, ihr weißes Fleisch in die Nacht. Da erschienen dreihundert Edelfrauen auf dem Schlachtfeld in weißen, nonnenmäßigen Hemden und suchten, suchten, suchten im Mondlicht, die Tiere verscheuchend, nach ihren Männern.
Hierzu erzählt die Sage: Dreihundert holsteinische Edelleute, Bürger und Bauern ohne Zahl waren in der Schlacht in der Hamme von den Dithmarschen erschlagen. Die Leichname wurden nicht begraben, sondern blieben den Hunden, Wölfen und Raben zum Fraße liegen.
Die Dithmarschen gestatteten nicht einmal, daß ihre Freunde sie begruben; es sind die unbarmherzigsten Feinde. Sie verspotten die Toten und entkleiden sie; die Weiber recht wie wilde Tiere und Wölfinnen stecken die Magen auf hohe Stangen und führen sie umher. Man darf keinem Dithmarschen trauen; es gibt ein Sprichwort: »Weise mir deine Hand her; wachsen Haare drin, so will ich dir glauben.« Daher hieß es in einem Liede:
»Dem Dithmarschen kannst du Glauben geben,
Wenn du Haare in seiner Hand findest.«
Als die Frauen und Töchter der Erschlagenen deren elendes Los vernahmen und sie mit Bitten nichts bei den Dithmarschen ausrichteten, kleideten sie sich in lange weiße Gewänder wie Nonnen, gingen so ins Land und führten die Toten hinaus zu einem ehrlichen Begräbnis. Die Dithmarschen aber ließen solches geschehen aus sonderlicher Andacht gegen die Jungfrau Maria.
Einmal, aber nur dies eine Mal, kämpften die Holsten und Dithmarschen Schulter an Schulter: am Marien-Magdalenentag 1227 bei Bornhöved gegen die Dänen unter Waldemar dem Sieger.
Waldemar, lange gefangen gehalten vom Grafen von Schwerin, hatte während seiner Festsitzung alle möglichen Eide geschworen, um entlassen zu werden. Auch den: die Holsteiner zufrieden zu lassen. Endlich aus dem Turm wieder erlöst, ließ er sich sofort vom Papst der Eide entbinden, koppelte ein großes Heer zusammen und zog, unterwegs die Dithmarschen zwingend, ihm zu folgen, nach Holstein. Hier aber setzte sich der junge Alf der Vierte zu Pferde, verband sich mit den Lübeckern und einigen Herren nördlich der Elbe und rückte dem Sieger entgegen. Bei Bornhöved kam es zur Schlacht. Sie ist eine der folgenschwersten für Holstein gewesen, denn auf immer wurden die Dänen vom Holstenlande abgeschlagen.
Waldemar, der sprühende, glühende Waldemar, von Kopf bis zu den Hacken in schwarzes Eisen gehüllt, von dem nur die lange, flammendrote Feder und die goldenen Sporen abstachen, zwang seinen Friesenhengst von einem Flügel zum anderen und umgekehrt, in immer regem Galopp: er suchte den Grafen. Er hasste ihn. Durch das Visier funkelten seine kleinen Schweinsaugen. Adolf hatte an dem heißen Tage Helm und Harnisch auf die Straße geworfen. Im himmelblauen Wams, am Goldgürtel das riesige Schwert, mit fliegenden, blonden Seidenlocken, suchte er den König. Die Schlacht stand am Mittag schlecht für die Holsten. Die Sonne stach ihnen zu sehr ins Gesicht. Da sprang der zwanzigjährige Graf von seiner Stute, hing den Purpurzaum um die Schulter und kniete: die heilige Jungfrau um den Sieg anflehend. Er versprach, im Falle des Gelingens, als Bettelmönch zu sterben. Und wirklich, die heilige Jungfrau erschien am Himmel, tat einige Schritte, bis sie die Sonne erreichte, und spannte dann ihren Mantel vor das Gestirn. Da stieg der Graf ermutigt in den Sattel, und wieder tobte die Schlacht. Zur selben Stunde aber kehrten die Dithmarschen Speer und Schild und traten zu den Holsten über. Graf Waldemar lag schwer verwundet unter seinem sich wälzenden Gaul. Die Dänen flohen.
1460 starb der letzte Schauenburger, Adolf der Achte. Er hatte noch einmal alle großen Eigenschaften seiner Vorfahren in sich vereinigt. Er heißt auch: »Der Ketzer«. Auf alle Fälle: er beugte sich nicht unter die Hofpfaffenpartei.
Dem großen Grafen-Herzog wird nachgesagt, dass er eine »sonderliche Fürliebe« für Wald und Getier gehabt habe. Das kannte man in jener Zeit nicht. Es wird dem klugen, stillen Herzog ferner nachgesagt, dass er ein eigentümlich Lächeln an sich gehabt, namentlich »so er einen als Tummen« erkannt oder über die krummen Wege seiner Gegner. Ein einziges solches Lächeln, da es auf einmal alle wohlgelegten Maschen zerstört habe, hat »ufrichtig entsetzet«. Sein Lieblingstier war die Eule. Als in seiner Sterbensnacht der Kauz um sein Schloss geschrien, hat er zum letzten Mal gelächelt. Und es ist ein Zeichen: während dieser Vogel noch heutigentages von vielen tausenden törichten Menschen verabscheut und gefürchtet wird, hat Adolf das herrliche Tier geliebt.
Kein Wunder: er kam mit den Dithmarschen gut aus. Und wenn er auch verzeihliche Rachegelüste, hatten sie ihm doch den Vater in der Hamme erschlagen, fühlte, es ist nie zum Streite gekommen.
Aber bald ward es anders. Adolf, der die entfernt verwandte Linie der Schauenburger in Pinneberg als Nullen durchschaut hatte, ließ – gar zu gern wünschten ihn die Dänen selbst zum König – seinen Neffen Christian, den Oldenburger, den Sohn seiner Schwester, krönen. Und auch, obgleich er sich nie bestimmt ausgesprochen hatte, war es ein Lieblingswunsch von ihm, Christian in die Erbfolge Schleswigs einzusetzen. Blieb doch auf diese Weise Schleswig-Holstein ungeteilt.
Christian der Erste, ein bildschöner, sechs Fuß großer, ritterlicher, tapferer Herr, dem nur jeglicher Sinn für Geld und Geldeswert fehlte, dachte in der Marschenfrage ganz anders als sein verstorbener Oheim. Dass sich dieser kleine Fleck Erde mit seinen Bauern ihm noch nicht unterworfen hatte, ärgerte ihn außerordentlich. Eine Anfrage zur Hilfe in dieser Angelegenheit bei der holsteinischen Ritterschaft fand natürlich das freudigste Gehör. Aber noch fehlte Christian die Belehnung Dithmarschens durch den deutschen König. Unter dem Vorwand, dem Papst zu huldigen, rüstete sich Christian zum Zuge dorthin. Alles ritt in reicher Pilgertracht. Das Geld war vom König, wie stets, von holsteinischen Edelleuten und Hamburger Großkaufleuten aufgebracht. In Rotenburg an der Tauber, dem eigentlichen Endziel des Königs, traf er mit dem römischen Kaiser zusammen. Dieser, von seinen nächsten Verwandten wenig höflich »die ewige Nachtlampe« genannt, (Es handelt sich um Maximilian I., der den Beinamen „der letzte Ritter“ trug) schien mit seiner endlos langen Regierung das tausendjährige Reich begründen zu wollen. Christian spielte am Hofe in Rotenburg den Schwerenöter. Die Damen waren entzückt, und – der deutsche König belehnte den Dänen mit Dithmarschen.
Nun sollte sofort mit Pauken und Trompeten der große Zug losgehen. Aber Schweden, ach, Schweden, ach, Schweden! machte dem König zu viele Sorgen. Er focht dort, persönlich immer vorweg: dafür schoss ihm ein Dalekarlier (Anm.: Dalekarlien ist eine Region in Schweden) einen Pfeil ins Fleisch, ununterbrochen. Endlich, als der schöne Christian die Augen schließen wollte, übergab er die Ausführung seines Planes an seinen Sohn Hans. Inzwischen aber drohte der Papst nach dem Norden hin für seine Dithmarschen. Auch der Kaiser widerrief feierlich seine Belehnungsurkunde an Christian. Dem aber konnte sie nicht mehr zugestellt werden, denn er lag lang ausgestreckt auf seinem Paradebett. Der holsteinische Adel polterte: Papst und Kaiser wollen sich einmischen? Wer sind Papst und Kaiser? Und die Ritter machten auf ihren Gelagen unehrerbietige Gebärden nach Süden; dann schlugen sie die Eisenhandschuhe an die Schilde, dass es rasselte: der Bauer soll, er soll nun endlich uns den Steigbügel küssen. Auch König Hans wollte gleich, trotz Papst und Kaiser, den Kriegshelm um die ungeduldige Stirn pressen, aber er musste warten, denn Schweden, ach, Schweden, ach, Schweden! verlangte seine fortwährende Anwesenheit.
Endlich, endlich in den allerletzten Tagen des fünfzehnten Jahrhunderts trafen die Dänen unter König Hans und seinem mehr als zwanzig Jahre jüngeren Bruder Herzog Friedrich von Schleswig-Holstein mit der holsteinischen Ritterschaft in Rendsburg kriegsbereit zusammen.
In den ersten Tagen des Februars 1500 setzte sich der Zug in Bewegung. Glänzender, unvorsichtiger, leichtsinniger sind Menschen nie in den Krieg, in die Schlacht gezogen. Und beispiellos, in der ganzen Weltgeschichte nicht wieder zu finden, war die Niederlage des Königs und des Adels. Freilich, und es muss hervorgehoben werden, die Dänen und Holsteiner fochten gegen feinen, scharfen Graupelregen, konnten, festgekeilt, auf dem einen Weg sich nicht ausbreiten und konnten nicht im Wasser kämpfen. Die Torheit des Angreifers kann das nicht entschuldigen, und die löwenartige Tapferkeit der paar sich verteidigenden Dithmarschen wird dadurch nicht geschmälert werden können.
II.
In Neumünster in Holstein war Ende des Januars 1500 König Hans von Dänemark eingetroffen. In seinem Gefolge ritten Schweden, Friesen (natürlich!), norwegische Bogenschützen, seeländische Ritter, jütische, hellgelb behaarte Bauern, laaländische Flachsköpfe. Von allen Seiten strömte ihm der holsteinische Adel zu, Großväter, Väter, Söhne, Enkel, Neffen, die gesamte Ritterschaft. Sie alle kamen mit glühendem Hass und lechzendem Rachedurst.
In diesem nordischblonden, blauäugigen Gemengsel stach Junker Slenz mit seiner »schwarzen Garde« eigentümlich ab. König Hans hatte diese in Sold genommen. Aus aller Herren Länder zusammengewürfelt, selbst Mohren und Kirgisen fügten sich in ihre Reihen, war sie der Schrecken Europas. Als sie aus Friesland über die Elbinseln nach Holstein einrückte, hätte Hamburg sie ersäufen können, wenn es die Schleusen hätte öffnen lassen. Aber Feigheit und die stille Freude, dass die schwarze Garde gegen die Dithmarschen, denen die freie Hansestadt heimlich das denkbar Böseste wünschte, hatte diese Stunde versäumt.
Trotz der harten Winterzeit hatte der König auf dem Marktplatze sein purpurnes Zelt aufschlagen lassen. Auf herrlichen, in altgriechischer Kunst getriebenen Dreifüßen brannte die wärmende Kohle; aus dem Zelteingang zog wie aus Bauerhaustüren der Rauch: die Schönheit des Südens mit der Barbarei des Nordens in wunderbarer Vereinigung.
Vor dem Zelt hielten zwei riesige Äthiopier die Wache. Sie streckten die Hellebarden, als Junker Slenz, der sieben Fuß rheinisch maß, der längste Mann der Erde, sich bückend, in den Eingang bog, um dem König, der ihn hatte zu sich entbieten lassen, Meldung und Bericht zu erstatten.
Als diese Posten wieder die Spieße streckten beim Fortgang des Gardenführers, ließ sich die Nacht auf den kleinen holsteinischen Flecken nieder. Im Zelte verbreiteten blaue Ampeln ihr Helldunkel. Carsten Holm, der Verräter seiner Landsleute, der Dithmarschen, stand mit scheuer Stirn vor König Hans. »Dass dir die Hand verdorre, hast du den richtigen Weg uns gezeigt,« schrie ihn der König an und spie aus. Aber dann hörte er finster, ohne sein Gegenüber weiter durch Unterbrechungen zu stören, dessen Vorschläge zum leichtesten und schnellsten Niederwerfen der Dithmarschen, zu den besten Wegen im Einbruch in die Marschen.
Als Carsten Holm in die dunkle, windgeschüttelte Nacht hinaustrat, fiel ein Trugstern. Dem Verräter war, als schösse, sich überschlagend, eine Lichtgestalt aus dem Himmel in die bodenlose Tiefe. Und Carsten Holm legte die Stirn an seinen Ärmel, und jeder Herzschlag hämmerte ihm vor: Verräter deines Vaterlandes.
Am anderen Morgen brachen die Truppen auf. War's zu einem Feste? Als wenn ein großer Farbenkasten, alle Schattierungen enthaltend, lebendig geworden sei, so mischte sich's kurz vor dem Abmarsch durcheinander. Vorneweg marschierte die schwarze Garde. Die Landsknechtstrommeln plumperten unaufhörlich. An der Spitze schritt, scheuen Blickes, Carsten Holm, um den richtigen Weg zu zeigen. Zwei Speerträger begleiteten ihn rechts und links, um ihn niederzustoßen, wenn der Verräter ein Verräter sei; wer kann einem Verräter trauen? (…)
Nach der Garde folgten schwerfällig die »Stücke«. Einzelne trugen Namen: die Laus, der Freßsack, Bruder des Donners, de gele Antje (die gelbe Anna), der Spucker, Ich tau den Schnee, der Blutlecker.
Nun der König! Er saß auf einem milchweißen, mit purpurnen Decken behangenen, tänzelnden schwedischen Hengst. Statt des Harnisches und der Schienen steckte er in dichten Zobelpelzen. Wie die alten Seekönige hatte er sein Haupt vermummt in Otternfelle. Ein Fuchsschweif fiel ihm in den Nacken. Aus der Umhüllung drängte sich sein roter Bart und schob sich bis an die tiefblauen Augen. Neben ihm, auf einem Esel, ritt der Abt des Klosters Neumünster, Probus. Sein feistes Gesicht blickte unter der Kutte ärgerlich und listig zugleich, fortwährend schielend auf den hohen Dänen.
Hinter beiden trabte der Narr der Majestät, Pus Pinkfos. Auch er hatte dem kalten Tage Rechnung tragen müssen in seiner Gewandung. Nur ein grasgrünes Ohr der Kappe, mit einem Schellchen oben, zeigte sich, klingelnd, nach vorn und hinten fallend. Der Narr äffte dem Abt nach, zur großen Belustigung aller, die es sahen. Selbst König Hans lachte einmal in sich hinein.
Dann prunkte die Ritterschaft heran, vorne die schleswig-holsteinische; so hatte sie es sich ausbedungen. Auch sie war in edlen Pelzen, statt im Panzer. Nur die langen, breiten Schwerter waren umgegürtet. Die goldenen Halsketten, die sie trug, zeigten an, dass sie zu einem Siegeszuge, zu einem Feste ritt.
Endlich folgten die Söldner zu Fuß und eine unabsehbare Reihe von Wagen. Einige von diesen enthielten die wertvollen Tafelgeschirre des Königs und des Adels; weitaus die meisten aber fuhren leer, galt es doch, die unermessliche Beute wegzuschaffen. Sie waren von Juden umlungert, denn gleich an Ort und Stelle sollte von dem Geplünderten verkauft werden, was verkauft werden konnte.
Träge, dicke Schneewolken verwehrten der Sonne den Durchblick. Der Wind hatte seine Posaunen abgesetzt. Der Tag wechselte zwischen Frost und Wärme.
In Meldorf glaubte der Zug den Feind in Schanzen zu finden. Aber er zeigte sich hier nicht. Ohne Bedenken ließ der König die in der Stadt Gebliebenen, Greise, Frauen, Kinder, niedermachen. Er meinte durch diese Tat die Dithmarschen einzuschüchtern, dass sie sich nun bedingungslos ihm unterwerfen würden. Er hatte sich geirrt.
Die Dannebrogsfahne, (Anm.: Das heute noch verwendete „Tuch der Dänen“, zählt zu den ältesten Flaggen der Welt) wehte vom Kirchturm. Der König saß nachts allein in seinem Zelt. Er hatte die Stirn in die Linke gestützt und sah finster vor sich hin. Plötzlich riss er den vor ihm auf einer Trommel stehenden Goldpokal an sich und trank ihn leer. Dann erhob er sich und schob den Eingangsvorhang mit der Rechten auseinander. Die beiden Mohren streckten die Lanzen. Auf den schwarzen, glänzenden Gesichtern lag der Widerschein der ringsum leuchtenden Feuer.
Aus der Nacht tauchte vor der Majestät eine gebückte Gestalt auf, der neunzigjährige Marschall und Bannerträger Johann Ahlefeldt. Er stützte sich auf zwei zarte Jungen (Pagen); den alten Schneemann umrankten die Rosen. Der Ritter stellte dem Oldenburger vor, dass er erst tüchtiges Frostwetter abwarten möge vor dem Weiterzug, er kenne die Marschwege nicht. Aber der König schlug den Rat mürrisch aus.
Am nächstfolgenden Morgen, Carsten Holm wieder an der Spitze, zog das Heer auf Heide zu.
Völliges Tauwetter war eingetreten. Feiner Staubschnee belästigte. Der Wind blies aus Südwest, die schweren Füße von Mensch und Tier stapften schon mühselig genug auf dem immer weicher und grundloser werdenden Weg. Hufe und Sohlen schleppten ganze Schollen mit sich weg.
Indessen waren die Dithmarschen nicht müßig gewesen. Die furchtbare Gefahr, die ihnen drohte, erkennend, traten zu verschiedenen Malen die achtundvierzig Regenten in Heide auf dem Marktplatz zur Beratschlagung zusammen. Einige äußerten sich dahin, dass alles Volk, bis die Kriegswolke verflogen, sich nach der (damals noch) Insel Büsum zurückziehen sollte, gleichsam nach dem »Salamis« der Marschen. Aber der Vorschlag wurde verworfen, und mit Mehrstimmigkeit einigte man sich dahin, das Vaterland und die Freiheit bis in den Tod zu verteidigen. Ja, kein Weib selbst blieb zurück, ohne dies zu geloben.
Einmal noch in dieser Zeit hatte König Hans einen Vermittler nach Heide gesandt, den dicken siebzigjährigen Ritter Detlev Bockwoldt. Wer kannte Detlev Bockwoldt nicht? Die ganze Welt ihn; er die ganze Welt. Überall war er hochgehalten wegen seiner Klugheit und wegen seines guten Herzens; auch sein Trinken können, und in jener Zeit gehörte etwas dazu, sich darin auszuzeichnen, wurde überall gepriesen. Die Dithmarschen nahmen seine Vermittlung nicht an. Bevor er den Rückweg antrat, hatten ihn die Regenten zum Gelage gebeten. Auf diesem soff er die ganze erlauchte Republik unter den Tisch. Als die Morgensonne in den Saal lugte, ließ er sich vom Ratskellermeister zum Schluss den Helm mit gutem Rheinwein einschenken und trank ihn aus in einem einzigen langen Schluck. Dann stülpte er den feuchten und noch tropfenden Helm auf die Locken, lachte den Schenken an: »Das frischt die warme Stirn,« und ritt lachend davon.
Nur ein kleiner Trupp von dreihundert Mann marschierte am folgenden Tage von Heide aus und warf in der Nacht in der Nähe des Dorfes Hemmingstedt quer über die Hauptstraße eine Schanze auf. In diese, so dass sie den Weg bestreichen konnten, stellten sie zwei Feldschlangen. Die Dreihundert wurden angeführt von Wulf Isebrand, der an Körper so lang war wie Junker Slenz.
Mit der geringen Schar hat die schöne Telsche aus Hohenwörden den Marsch gemacht. Sie hatte für den Fall des Sieges und der Befreiung ihres Vaterlandes ewige Keuschheit geschworen.
Auch einige unerschrockene Priester hatten sich hier nachts eingefunden. Sie entflammten durch ihre Reden den Mut der Handvoll Menschen. Der heiligen Jungfrau wurde im Errettungsfalle ein Kloster gelobt.
Der Morgen dämmerte heran. Auf der Krone der Schanze stand die schöne Telsche. Sie hatte die Arme zum Himmel gebreitet und betete inbrünstig. In der Rechten hielt sie ein kurzes Schwert, in der Linken eine weiße seidene Fahne, in die die Mutter Gottes mit dem Jesusknaben hineingestickt war.
Dreißigtausend rückten gegen die Dreihundert an. Es wurde Mittag, ehe auf beiden Seiten das Feldgeschrei ertönte: »Hilf, sunte (sankta) Maria ...«
Zum Perlschnee hatte sich feiner Regen gesellt. Der Wind, noch immer Südwest, schlug schneller die Schwingen.
In langer, schmaler Linie, dicht aufeinander folgend, nahte der König mit den Rittern. Wenn sie nur ihre Ohren und Augen gebraucht hätten, die Heranrückenden. Aber nicht einmal eine Spitze hatten sie vorgetrieben. Von Seitenläufern konnte die Rede freilich nicht sein, denn rechts und links des matschigen Weges waren die Felder so sehr aufgeweicht, dass kaum der einsinkende Fuß, besonders eines mit den örtlichen Verhältnissen nicht Vertrauten, sich wieder aus dem Schlick befreien konnte.
Schnee und Regen fielen dichter.
Da lösten sich die Feldschlangen in der Schanze und sandten ihre eisernen Kugeln in die vorderen Reihen der Angreifer, dass diese stutzig wurden. Junker Slenz schritt mit langen Riesenschritten an den Kopf des Zuges und rief in die Schanze, mit der Faust drohend, in seinem Kölner Platt: »Wahr di Buer, de Gard de kummt.« Umgehend wurde ihm die Antwort aus den Geschützen gesandt. Und wieder stutzten die Vordersten und wollten nicht weiter, und die Nachfolgenden, den Vorgang vorn nicht ahnend, drängten und drängten. Junker Slenz sah schon jetzt das Verderben, wenn nicht sofort eine Wendung herbeigeführt wurde. Er schrie, und die Nadeln eines Tännleins, das hier wunderbarerweise im fetten Marschboden vereinsamt stand, fielen vor Schreck auf die Erde: »Die Faschinen in die Gräben!« Und mit großer Emsigkeit wurden die für den Fall vorgesehenen Reisigbündel in die Gräben geworfen. Nun konnte sich die Garde ausbreiten. Aber, o weh, sie blieb im Morast stecken.
In diesem Augenblick geschah das Unerhörte: der Wind drehte sich aus Südwest nach Nordwest, und Hagel, Schnee und Regen kam den Angreifenden ins Gesicht.
Jeder Küstenbewohner der Nordsee, die Marschen, die Inseln kennen das Wort: Nordwest nach Südwest bei Flutzeit. Die ungeheuren Wassermassen aus dem Kanal, aus dem Ozean stauen gewissermaßen, dreht sich der Wind nach Nordwest. Und dann fanden die Überschwemmungen statt, die viele Tausende ins Wasser rissen. Freilich, damals waren es Sommerdeiche.
Während sonst ängstlich alle Augen auf die Festigkeit der Schleusen gerichtet waren – heute am schlimmen Februartag 1500 heißt es überall: »Die Schleusen auf!« Wie eine Ahnung ist's: Die Unsrigen stehen im Kampfe, ersäuft den Feind.
Schlacht bei Hemmingstedt, Gemälde von Max Koch 1910
Und nun quoll sie ins Land hinein, die Flut; und stieg und stieg und setzte alles unter Wasser. Auch um die Schanze herum stieg es. Schon stehen die Garden bis ans Knie in der schwarzen, trägen, unmerklich steigenden, unheimlichen Welle.
Den Verteidigern tut sie nichts an; sie verstehen ihre Springstöcke zu gebrauchen.
Telsche mit Fahne und Schwert und Wulf Isebrandt voran, machen die Dreihundert einen Ausfall – und müssen zurück.
Junker Slenz prahlt wie Goliath einst: »Komm heran, wer den Mut hat.« Der starke Reimer von Wimerstedt, der einen vollbesackten Kornwagen mit den Schultern hebt, stürmt aus dem Schutz der Schanze. Sein langer Speer mit dem Widerhaken greift in die Halsberge des Junkers. Der stürzt, dass hochauf das Wasser spritzt. Reimer stellt seinen Fuß auf ihn und stößt ihm das kurze, rasch von der Seite gerissene Schwert ins Herz.
Und wieder prallen die Dreihundert vor. Wulf Isebrandt und die schöne Telsche abermals voran. Einen in der Mitte umfassten Windelbaum wie eine Gerte über sich kreisend, ruft er: »Wahr di Gard, de Buer de kummt!« Jetzt müssen sie nicht mehr zurück. Sie reißen alles unter sich in die Feuchte. Das schwarze Gewässer mengt sich schon mit dem Blut. Der noch auf der Straße stehende Teil der Garde macht kehrt; der Tross, die Söldner hinten, drängen, nicht wissend, was das Halt bedeutet, immer stärker. In der Mitte sind der König und die Ritter eingeklemmt. Als diese ihre Lage erkennen, wollen sie über die Gräben setzen. Unmöglich, Keil in Keil, sie sind verfitzt. Die Faust, so ineinander sind sie, kann nicht ans Schwert. Sie erdrücken sich gegenseitig. Die Pferde werden scheu. Und der Brodem, der dampfende Schweiß der Hengste, der Hagel, der Regen, der Schnee. In eine Wolke ist alles gehüllt.
Wulf Isebrandt schreit, als die Garde am Boden liegt: »Schlagt die Pferde, schont die Ritter.« Bald aber: »Schlagt die Ritter, schont die Pferde.«
Und von den gegenüberliegenden Grabenrändern her reißen die Dithmarschen mit ihren langen Haken die Edelleute zu sich, treten sie ins Wasser und trampeln sie tot.
Wo ist der König? Endlich, endlich hat er sich freigemacht. Er will untergehen. Die Schmach will er nicht überleben. Schon setzt er die goldenen Zinken seinem Schlachthengst in die Weichen, um mit ungeheurem Sprung über den Graben zu kommen, da ereilt ihn ein Schlag auf den Hinterkopf. Pus Pinkfos schlug ihn. Den Ohnmächtigen nimmt er vorn auf sein Pferd. Es gelingt ihm mit unsäglicher Mühe, durch die sich ineinander gefahrenen Wagen zu entkommen. Er hat den König gerettet. (…)
Die Beute des Sieges ist unermesslich. Die goldenen Halsketten der Adligen legen die Dithmarschen ihren Hofhunden an. Den eroberten Dannebrog hängen sie in der Kirche zu Wöhrden zu ewigem Gedächtnis auf. …
Zu der berühmten Schlacht bei Hemmingstedt später mehr. Die erwähnte und im Bild von Max Koch dargestellte Person, Telse von Hochwöhrden, die schöne Telsche, ist allerdings historisch nicht nachweisbar
Wir befinden uns in Schleswig-Holstein; zwischen der Elbmündung im Süden, der Nordsee im Westen und der Eider im Norden liegt Dithmarschen. Die östliche Grenze bildet der heutige Nord-Ostsee-Kanal. Nach der Schriftstellerin Sarah Kirsch, die lange in Dithmarschen lebte, besteht die Landschaft zu 97 % aus Himmel.
Früher war die Nordsee erheblich höher als heute. Wenn wir uns den heutigen Meeresspiegel um 5 Meter höher denken, dann entspricht das etwa dem Dithmarschen zu Beginn unserer Zeitrechnung.
Fast die Hälfte des Gebietes wurde aus der Nordsee gewonnen. Zunächst lebten die Menschen auf künstlichen Hügeln, die mit Kiessoden abgedeckt wurden, sogenannten Wurten. Später verband man, wahrscheinlich schon im 10. und 11. Jahrhundert, diese Wurten mit Deichen, die man einerseits gegen die See, andererseits als Querdeiche zur Geest (Geest ist ein natürlich entstandener norddeutscher Lanschaftstyp aus Sandablagerungen) hin zog. So bildete sich nach und nach die älteste Deichlinie von Lunden über Nesserdeich, Wesselburen, Meldorf, Marne, Diekshörn bei Brunsbüttel bis nach Eddelak.
Seit dem 12. Jahrhundert legen genossenschaftliche Verbände (sog. Geschlechter) systematisch Deiche an. Dabei wurde neues Land geschaffen und ehemalige Inseln wie zum Beispiel Büsum mit dem Land verbunden.
Dithmarschen um 1500 …
… und heute
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