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Manchmal braucht die Liebe eine zweite Chance... Als erfolgreicher Architekt, begehrter Junggeselle und Erbe der einflussreichen Kingsbury-Dynastie hat Julian Kingsbury alles, was er sich erträumen kann – außer der einen Frau, die sein Herz berührt. Zwischen belanglosen Dates, goldgräberischen Absichten und der ständigen Erwartung seiner Familie, sich endlich festzulegen, ist Julian sich sicher: die große Liebe ist für ihn nicht vorgesehen. Bis er auf einer Gala Charlie begegnet – die kluge, leidenschaftliche Architektin, die ihm vom ersten Augenblick an den Atem raubt, ihn fordert, die einfach perfekt scheint und die sich für ihn als Mensch und nicht für sein Bankkonto interessiert. Charlie Dawson kann es nicht glauben - nach so vielen Enttäuschungen in Sachen Männer hat sie mit Julian Kingsbury einen absoluten Volltreffer gelandet. Die Chemie zwischen den Beiden stimmt sofort und die Vertrautheit zwischen den Beiden ist beinahe unheimlich. Während Julian bald herausfindet, dass ihn und Charlie eine gemeinsame Vergangenheit verbindet, ahnt sie nicht, welche Rolle Julian in ihrem Leben einnehmen wird. Und welche er schon lange darin spielt.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Charlotte stand vor dem Café und blickte es fast ehrfürchtig an. Es war soweit. Nach all den Tagen und Wochen, in denen sie sich online unterhalten hatten, würden sie sich in Kürze gegenüberstehen und ihr gemeinsames Leben, so, wie sie es sich all die Zeit über ausgemalt hatte, würde beginnen. Das Schicksal hatte sie beide zusammengeführt, das spürte sie ganz tief drinnen. Sie war sich ganz sicher – hier und jetzt … begann der Rest ihres Lebens. Sie atmete tief durch und betrat das Café.
Diesmal würde es ihr Traummann sein. Mit Sicherheit. Das wusste sie. Daran gab es gar keine Zweifel. Das hatte sie vom ersten Augenblick an gewusst, als sie seine Stimme am Telefon gehört hatte, und nachdem sie mehrere Stunden miteinander telefoniert hatten, war sie sich dessen sicher. Nein, eigentlich war es ihr ab dem Moment klar gewesen, als seine erste Chat-Nachricht aufgetaucht war, und als die Dinge begonnen haben, sich zwischen ihnen so zu entwickeln, wie sie sich nun entwickelt hatten. Okay, zugegeben, sie hatte zwar schon hier und da ein Blind Date gehabt, und, ja, auch den einen oder anderen Jungen mehr als nur nett gefunden, aber diesmal war es etwas Anderes. Das spürte sie. Das wusste sie, tief in ihrem Innersten. Es war irgendwie magisch, wie gut sie zueinanderpassten, wie sie harmonierten, wie sie sich in den Anderen einfühlen konnten. Sie waren wie Seelenverwandte. Wie zwei Teile eines Ganzen, die einst zerbrochen worden waren und nun endlich wieder zueinander gefunden hatten. Er war genau der Richtige. Was vermutlich auch daran lag dass er kein pubertierender High School-Junge mehr war, sondern ein richtiger Mann. Ein Mann, der aufs College ging. Aus gutem Hause, mit Manieren. Der wusste, wie man ein Mädchen, nein, eine Frau behandelte. Mit einem Mann, der Werte und Prioritäten hatte, die weit über jenen der High School Jungs lagen, mit denen sie sich bislang abgegeben hatte, ein Mann, der nach einer langfristigen Beziehung suchte, der keine weitere Kerbe in seinem Bettpfosten haben wollte. Ein Mann, im ersten Jahr am College, dessen Horizont nicht bei der Nasenspitze aufhörte. Ein Mann, mit dem sie die Zukunft planen konnte und der sie so nahm, wie sie war.
Jay war kein unreifer, pubertierender High-School-Junge, dem das Aussehen wichtiger war, als der Charakter und der alles andere außen vor ließ. Das hatte er ihr mehrmals am Telefon versichert und sie glaubte ihm. Immerhin waren sie beide in ihrer Beziehung bereits so weit. Sie waren lange über das erste Kennenlernen hinaus, auch, wenn sie sich noch nie von Angesicht zu Angesicht gesehen hatten. Aber in ihrem Fall war das egal, sie waren zwei Menschen, die zusammengehörten und sich gefunden hatten. Auf die ihr ganzes, gemeinsames Leben noch wartete. Jay war mit Sicherheit anders. Er lebte ganz allein in seiner Studentenbude in New York, bereitete sich auf das neue Studienjahr vor und hatte ihr mehrmals versichert, dass er diese künstlichen Tussis nicht ausstehen konnte, die einem an jeder Ecke begegneten und nur hinter ihm, seiner Wohnung und seinem Auto her waren. Er suchte nach etwas Greifbarem, nach etwas Fixem, etwas Sicherem. Nacht etwas, was sie von Grund auf war.
Wenn sie allerdings ehrlich mit sich war, dann hatten ihr das schon eine ganze Menge Typen erzählt, doch sie hatte gelernt, dass pubertierende High School-Jungs einem schlichtweg alles erzählten, wenn sie glaubten, es mit einer hübschen Cheerleaderin zu tun zu haben, und sich eine Chance ausrechneten, sie herumzukriegen. Wenn sie dann herausfanden, dass ihr Gegenüber bei der Selbstbeschreibung im Internet etwas (oder ziemlich) geschummelt hatte, waren sie meist ganz schön ungehalten. Aber so war das nun einmal. Hübsche Mädchen hatten es einfach. Mädchen wie sie hatten oft Tage, an denen sie am besten gar nicht erst aus dem Bett aufstanden.
Jay war mit Sicherheit anders, suggerierte sie sich selbst. Er war über dieses Trophäen-sammeln an der High School längst hinaus. Das hatte er ihr gesagt. Jay war erwachsen, er war auf dem College, somit hatte er eine komplett andere Weltanschauung, als die Idioten an der High School, die sie ohnehin nur mobbten und tyrannisierten, weil sie nicht unbedingt in das gängige Schönheitsideal hineinpasste. Das nahm sie zumindest an. Er hatte ihr auch bereits am Telefon bestätigt, dass ihm das Aussehen nicht so sehr wichtig war (vermutlich, weil er dachte, es mit einer Traumfrau zu tun zu haben, und wer würde vor einer Traumfrau schon zugeben, dass er sie nur wegen ihres Aussehens interessant fand)? Sie hatten eine ganze Weile über die Optik sinniert (sie hatte ihm immer noch nicht gebeichtet, dass sie bei ihrer Beschreibung am Telefon etwas geschummelt hatte), und waren zu dem Punkt gekommen, dass Optik allein in einer Beziehung einer der am wenigsten wichtigen Punkte war. Optik war zwar am Anfang enorm wichtig, doch mit der Zeit verlor sie an Gewichtung im Hinblick auf eine gemeinsame Zukunft. Dann war es wichtig, an einem Strang zu ziehen, gemeinsame Ziele zu haben und diese auch zu verfolgen. Kurz hatte sie darüber nachgedacht ob Jay sie vielleicht seinerseits ebenfalls an der Nase herumführte. Immerhin hatte er sie weder nach ihrem Insta- oder Snapchat-Profil gefragt, eine der ersten Fragen, die üblicherweise auftauchten, wenn man jemanden online kennenlernte. Sie alle wollten in einer Flut aus bearbeiteten Bildern schwimmen und sehen, ob sie diesmal den Jackpot geknackt hatten. Jay … hatte kein einziges Mal nach ihren Profilen auf den sozialen Medien gefragt und sie selbst hatte sich ebenfalls gehütet, das Thema zur Sprache zu bringen. Sie beide waren eben generell auf einer anderen Ebene gestartet, als auf dieser oberflächlichen. Und ihr selbst, so sagte sie sich zumindest, wäre es ebenfalls völlig egal, wenn Jay vielleicht nicht so groß, sportlich und attraktiv war, wie das Bild, das sie sich von ihm gezeichnet hatte.
Sie und Jay hatten bereits eine Menge gemeinsame Ziele, die sie verfolgen konnten. Irgendwie hatte es sich ergeben, dass sich aus den oberflächlichen Gesprächen, die sie ganz zu Anfang miteinander geführt diese großartige Vertrautheit entwickelt hatte, die sie nie zuvor gespürt hatte. Ein Gefühl der Sicherheit, der Bestimmtheit. Sie hatten zweifellos eine Menge gemeinsam. Sie verstanden sich prächtig. Und auch, wenn sie zu Anfang beide versucht hatten, das Ganze mit einer gewissen Nüchternheit zu betrachten, waren sie am Ende ein Liebespaar geworden. Ein Liebespaar, das sich auch eingestand, was es für den Anderen empfand, das eine gemeinsame Zukunft plante und das genauso war, wie die vielen anderen Paare, die einem tagein tagaus überall begegnen, und die Charlotte immer so beneidet hatte. Mit zwei kleinen Unterschieden. Der Erste war, dass sie sich noch nie gesehen hatten. Und der Zweite war, dass Jay von einem Mädchen träumte, das ganz anders aussah, als jenes, das er bald treffen sollte. Und dennoch hatten sie gemeinsame Ziele. Sie wollte nach der High School nach Harvard und dort Architektur studieren. Ihre Noten waren erstklassig, und auch, wenn ihre Eltern ihr das Studium an einem Elitecollege nicht ermöglichen konnten, sahen die Dinge im Moment gut aus, was ein Stipendium betraf. Wenn Jay, der zurzeit auf der Columbia war, wo er ebenfalls Architektur studierte, mit seinem Studium fertig war, würden sie in eine gemeinsame Wohnung irgendwo in der Nähe von Boston ziehen, wo er einige Zeit nach seinem Abschluss arbeiten würde und wenn sie ihr Studium abgeschlossen hatte, würde – sie hatten es damals kaum auszusprechen gewagt – einer Hochzeit nichts mehr im Wege stehen. Sie wollten beide noch keine Kinder und sich stattdessen auf ihre Karrieren konzentrieren, wollten in einem Vorort in einem netten Haus leben und sich die Welt ansehen. Jay hatte gesagt, er hätte bereits jetzt den perfekten Heiratsantrag für sie im Hinterkopf und sie hatte geantwortet, dass sie es kaum abwarten konnte, ihn zu hören. Es war so perfekt, wie es nur sein konnte, und sie hatte sich vorgenommen, die Geschichte irgendwann einmal aufzuschreiben, weil sie etwas Besonderes war. Die Geschichte aufzuschreiben und sie binden zu lassen würde übrigens auch ein perfektes Hochzeitsgeschenk für Jay abgeben. Und gleichzeitig in weniger aufwändiger, verkürzter Form ein nettes Give-away für die Hochzeitsgäste darstellen.
Sie hatte Jay im Internet, im Heartbeat-Chat kennengelernt, der Plattform, die sie am meisten zum Chatten nutzte. Vor einer Weile waren altmodische Internet-Chats an ihrer High School wieder in Mode gekommen, so, wie es sie Anfang des Millenniums gegeben hatte und natürlich hatte auch Charlotte ihr Glück bei dieser Retro-Form des Datings versucht. Keine Fotos, keine Profile, keine Live-Videos, nur gute, alte Textzeilen in vorsintflutlichen Chat-Masken. Sie war dort als „Your_Dreamgirl“ registriert, einen Nickname, den sie aus dem Grund gewählt hatte, weil er auf Jungs anziehender wirkte, als wenn sie sich selbst „übergewichtiges Pickelgesicht mit Plastikhaaren“ genannt hätte. Wenn ein Chatpartner sie fragte, wie sie aussah, beschrieb sie sich … verhältnismäßig real. Knapp 1.70 m groß, sportlich (okay, das war gelogen), lange blonde Haare und blaue Augen. Dass die „langen blonden Haare“ billige Extensions von einem Online-China-Shop waren die sie sich von ihrem Geburtstagsgeld gekauft hatte, und die mit echten, langen Haaren so gut wie gar nichts gemeinsam hatten, verschwieg sie ebenso, wie ihr Übergewicht und die Akne, die sie nicht in Griff bekam.
Sie hatte an jenem Abend, der ihr junges trostloses Leben als pummelige Einzelgängerin so derart verändern sollte, eigentlich mit einem Columbia-Studenten namens Andrew Sutherfield gechattet, der langweilig zu sein schien, nur ganz langsam zurückschrieb und irgendwann dann völlig verschwunden war, ohne sich von ihr zu verabschieden. Vermutlich hatte er parallel noch mit anderen Mädchen geschrieben, die interessanter waren, als Charlotte. Um ihm noch eine letzte Chance zu geben, schrieb sie nach einer ganzen Weile „noch da“ in das Chatfenster, das sie für den Privatchat mit Andy geöffnet hatte, doch es kam nichts mehr zurück. An diesem Abend würde sie wohl niemanden mehr kennenlernen, registrierte sie und klickte das Chatfenster weg. Es war schon nach neun und der Chatroom war wie leergefegt – was zum einen wohl daran lag, dass Frühsommer war und fast jeder etwas draußen mit Freunden unternahm, und zum anderen, dass am nächsten Tag Schule, und es gerade die Zeit der Abschlussklausuren war. Jeder Zweite hatte hier und dort noch eine Prüfung, musste diesen oder jenen Test schreiben oder stand in dem Einen oder anderen Fach auf einer Note, die es noch zu verbessern galt. Sie war gerade dabei gewesen, den Computer herunter zu fahren, als das Chatfenster von Andrew Sutherfield wieder aufpoppte.
„Hy“ stand da geschrieben.
„Andy?“ tippte sie zurück. Ein Gefühl der Erleichterung durchströmte sie. Vielleicht könnte sie diesem Andy die Telefonnummer entlocken und später noch etwas mit ihm telefonieren. Sie hatte herausgefunden, dass sie am Telefon irrsinnig anziehend auf Jungs wirkte und fast jeden zu einem Date überreden konnte. Und irgendwann würde sie den einen Richtigen auf diese Art und Weise bestimmt finden. Den Einen, dem es nicht so wichtig war, dass sie nicht rank und schlank war. Den einen, der in ihr sah, wer sie war, und nicht, wie sie aussah. Irgendwo da draußen würde er sein. Vielleicht war es Andy.
„Nicht Andy“, stand wenige Sekunden späte in dem kleinen Feld vor ihr. Sie war überrascht, wie schnell die Antwort gekommen war.
„Sondern?“ schrieb sie zurück. Sie setzte sich wieder auf ihren Schreibtischsessel und zog ihn zum Tisch heran.
Anfangs hatten sie sich über ganz belanglose Dinge unterhalten, wie, wo sie zur Schule ging, woher sie kamen und was sie in ihrer Freizeit machten. Jay hatte auf sie gleich wie jemand gewirkt, der sie unglaublich interessierte. Er kam irgendwie so...selbstbewusst, fast ein wenig arrogant herüber, sodass sie zu Anfang beinahe darum kämpfen musste, mit ihm zu chatten. Er meinte, er wäre nicht hier, um zu chatten, sondern um etwas für eine Arbeit zu recherchieren, dass er auf ein Buch wartete, das gerade ein Kommilitone verwendete, und dass er offline gehen würde, sobald das Buch frei wäre, und außerdem hätte er nachher noch eine Verabredung. Er sagte ihr unverhohlen, dass er eigentlich kein Interesse an einem so jungen Mädchen wie ihr hatte, immerhin war sie erst siebzehn und auf der High School und er bereits neunzehn und auf dem College.
Sie hatten sich anfangs über ganz unverfängliche Dinge unterhalten, wie etwa, dass sie beide gerne ins Kino gingen und dass sie beide Reeses Peanutbuttercups (die mit weißer Schokolade) liebten, dass sie den Film Young Adult-Filme aus den späten Neunzigern cool fanden und dass sie beide Fans der Green Bay Packers waren. Irgendwann hatten sie festgestellt, dass sie ziemlich viel gemeinsam hatten und nach zwei Stunden im Chat hatten sie Telefonnummern ausgetauscht. Jay hatte ihr erzählt, dass die Bibliothek, von der aus er chattete, in Kürze schließen würde, dass das Buch, weswegen er gekommen war, mittlerweile von einem anderen Studenten mitgenommen worden war und dass er das Date mit dem Mädchen schon vor einer Stunde abgesagt hatte. Als die Bibliothekarin durch die Gänge marschierte und die wenigen verbliebenen Studenten aufforderte, zusammenzupacken und aufzubrechen, hatten Jay und sie bereits Handynummern ausgetauscht und vereinbart, noch am selben Abend – bzw. in derselben Nacht, immerhin war es schon fast Mitternacht – zu telefonieren.
Nach einigen Tagen hatten sie begonnen, ihre "Beziehung" zu vertiefen. Hatten sich zuerst zaghaft gesagt, dass sie einander wirklich mochten und die Telefonate genossen, sich schließlich mit "Ich hab dich lieb" verabschiedet, sich Nachrichten, wie "du fehlst mir" gesimst und jeden Morgen nach dem Aufstehen kurz miteinander telefoniert. Obwohl sie es hasste, morgens früh raus zu müssen, war sie für Jay immer schon um halb sieben aufgestanden. Er musste um sieben zu seinem Job bei der Campuszeitung und zu den Vorlesungen, sodass sie praktisch nur diese halbe Stunde am Morgen, und natürlich die Abende zum Telefonieren hatten. Sie richteten ihre Tagesabläufe nach den Telefonaten aus, Jay legte Zeitungsdienste und Vorlesungen so, dass er abends Zeit hatte, sagte sämtliche Dates und Verabredungen ab und traf sich nur noch selten mit seinen Freunden. Sie selbst lernte den Nachmittag über, ging abends mit den wenigen Freundinnen, die sie hatte, kaum noch weg und hielt sich die Abende für Jay frei. Es war schön, frühmorgens mit ihm zu telefonieren, während sie beide noch in ihrem Betten lagen. Es war fast so, als würden sie nebeneinander aufwachen, nachdem sie auch jeden Abend vor dem Einschlafen miteinander telefoniert hatte. Es war schön, jemanden zu haben, von dem man wusste, dass er an einen dachte, und wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie das Treffen noch eine Weile vor sich hergeschoben. Immerhin war es nicht das erste Mal, dass sie jemanden aus dem Internet traf, und es war auch nicht das erste Mal, dass sie für jemanden intensivere Gefühle hatte, so wie für Jay jetzt. Klar, er war wirklich etwas Besonderes. Allein schon, weil er ein Student und kein High School-Junge war, ein Mann, der mitten im Leben stand, einer, der kein Problem damit hatte, seine Gefühle auszusprechen und ihr seine Zuneigung zu zeigen. Doch alles in allem kam ihr das aktuelle Szenario ziemlich bekannt vor. Und würde es so enden, wie bisher, wünschte sie sich nichts sehnlicher, als das Treffen noch etwas hinauszuschieben.
Charlotte Kensington war in diesem Sommer siebzehn Jahre alt und würde im Herbst ihr letztes Jahr an der Casco Bay High School in Portland antreten. Sie war nicht gerade das, was man als einen Traumteenager bezeichnen würde und sie konnte in späteren Jahren auch nicht auf Pyjamaparties mit Freundinnen, den ersten Kuss auf dem Schulball oder das erste Mal Sex auf der Rückbank des Autos des Quarterbacks zurückblicken. Stattdessen würden einsame Abende zu Hause vor dem Computer oder dem Fernseher oder hinter einem Buch einmal ihre Erinnerungen dominieren, Abende, in denen sie sich fragte, warum ihr all die Erfahrungen, die andere in ihrem Alter machten, verwehrt blieben. Abende, an denen sie sich vorsagte, dass Harvard ihr einzig großes Ziel war und nichts weiter.
Charlotte war etwa einen Meter siebzig groß und wog an die einhundertundsiebzig Pfund. Mindestens. Sie hatte sich eine ganze Weile lang nicht mehr auf die Waage gestellt, weil die ohnehin immer nur deprimierende Ergebnisse lieferte und sie sich lieber sagte, dass sie sicher ein, zwei Pfund abgenommen hatte, anstatt das Gegenteil bestätigt zu bekommen. Ihr langes Haar, das eigentlich aus Extensions bestand, die etwas ausgefranst waren und schon einmal bessere Tage gesehen hatte, und die fast bis zu den Hüften reichten, hatte sie vor Kurzem strohblond gefärbt, weil sie dachte, dass Blondinen eben "bevorzugt" würden, wirkte längst nicht mehr so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Man konnte die knubbeligen Übergangstellen erkennen und an den Spitzen waren sie so ausgedünnt, dass sie wirkten, als hätte ein Schwarm Spechte sich daran zu schaffen gemacht. Außerdem hatte sie den Farbton der Blondierung nicht so hinbekommen, wie der Farbton der Extensions gewesen war, sodass sie jetzt nicht nur mit zwei unterschiedlichen Haarfarben herumlief, sondern unsagbar lächerlich damit aussah. Aber … Geld für einen Friseurbesuch hatte ihre Familie nicht und die Extensions, auf die sie so lange hin gefiebert hatte, zu entfernen, war absolut keine Option. Nein, sie wollte langes Blondes Haar haben, weil „Blondinen bevorzugt“ wurden. Alles in allem würden Blondinen vermutlich auch bevorzugt werden, Blondinen jedoch, die mindestens einhundertundsiebzig Pfund wogen, wurden jedoch nur in Sachen Mobbing an der Schule bevorzugt, sonst aber auch nirgendwo.
Ihr Gesicht kam einem Schlachtfeld gleich. Es war übersät mit Pickeln und Narben von Pickeln, weil sie, als sie in die Pubertät gekommen war, unter keinen Umständen Pickelcreme und Gesichtswasser verwenden wollte. Pickelcreme und Gesichtswasser waren für sie, genauso wie BHs, eindeutig Zeichen des Erwachsenwerdens, sodass sie so lange wie möglich darauf verzichtete. Charlotte hatte es geliebt, ein Kind zu sein und der Eintritt in die Pubertät war für sie ein Drama gewesen. Mittlerweile waren die Pickel aber gottseidank nicht mehr so schlimm. Klar, es waren immer noch jede Menge davon auf ihren Wangen, ihrer Stirn und seitlich am Kopf, aber im Vergleich zu früher sah sie gar nicht mal so übel aus.
Charlotte lebte in den geordneten Verhältnissen einer Patchworkfamilie in einer ruhigen Wohngegend in der Nähe des Piers in Portland. Ihre Mutter Grace hatte vor zwei Jahren ihren Stiefvater Anthony geheiratet, der zwei Söhne im Alter von sieben und fünf Jahren mit in die Beziehung brachte. Für Charlotte, die die ersten fünfzehn Jahre ihres Lebens als Einzelkind verbracht hatte, war die Umstellung auf ein Leben als „Große Schwester“ nicht immer einfach gewesen und vielleicht war auch die neue Familie mit ein Grund, warum sie sich so sehr nach einer Beziehung sehnte, in der sie die Nummer eins sein konnte und sich diesen Platz nicht mit ihren neuen Stiefbrüdern im Grundschulalter teilen musste.
Sie hatte lange auf den besonderen Tag des Treffens hin gefiebert. Mit gemischten Gefühlen war sie an jenem Morgen aufgewacht, just in dem Moment, als Jay sie anrief. Sie wollten beide nicht auf ihr Morgentelefonat verzichten, bevor Jay sich auf den Weg nach Portland machte. Die Fahrt sollte an die sechs Stunden dauern. Um vier Uhr nachmittags wollten sie sich im Bayside Café treffen. Immer wieder fragte sie sich während sie telefonierten, ob dies das letzte Mal sein würde, dass sie und Jay liebe Worte austauschten, miteinander lachten, scherzten und sich sagten, dass sie sich lieb hatten. Sie wischte die Gedanken beiseite und versuchte, sich selbst einzureden, dass es auch gut möglich war, dass sie schon bald in Jays Armen aufwachen würde. Er hatte ein Zimmer im Portland Marriott gebucht und Charlotte hatte ihren Eltern vorsichtshalber erklärt, dass sie an diesem Abend bei ihrer Freundin Julie schlafen würde, da sie beide noch einiges für die Schule zu tun hatten und es spät werden konnte. Doch die kleine, schwarze Wolke in ihren Gedanken saß hartnäckig fest. Was, wenn Jay enttäuscht von ihr war? War es wirklich schon der richtige Zeitpunkt für ein Treffen? Die ersten Wochen hatten sie und Jay sich angenähert, wollten nichts überstürzen und sich von Grund auf kennenlernen. Für Charlotte war es anfangs schwierig gewesen, sich damit anzufreunden, Jay tatsächlich zu treffen. Je lieber sie ihn gewann, umso lieber hätte sie sich nicht mit ihm getroffen. Ihr war klar, dass er von ihrem Aussehen zunächst enttäuscht sein würde, würde er sie zu Gesicht bekommen. Aber … sie war immerhin dieselbe Person aus den Nachrichten und aus den Telefonaten. Und wenn ihm das Aussehen wirklich nicht so wichtig war, wie er gesagt hatte, dann … würde sie einfach positiv denken. Warum sollte Jay sie auch anlügen? Sie hatten beschlossen, sich keine Fotos zu mailen, weil sie sich eben immer und immer wieder prophezeiten, dass ihnen das Aussehen des jeweils anderen egal war. Und auch, wenn sie in den letzten Tagen oft darüber gesprochen hatten, dass es ihnen gar nicht mehr wichtig war, wie der jeweils andere aussah, so sah Charlotte dem Treffen mit gemischten Gefühlen gegenüber.
Sie hatte die Pickel mit einer dicken Schicht des billigen Make-ups überdeckt, das sie extra für dieses Date bei Walgreens am Ende der Straße besorgt hatte und das Make-up mit einer ebenso dicken Schicht billigen Puders fixiert. Sie war kein Profi, was Make-up betraf und jeder, der etwas geübter war als sie selbst, hätte sie wohl auf den furchtbaren Schminke-Rand aufmerksam gemacht, der entlang ihres Haaransatzes, vorbei an den Ohren bis hinab zum Kinn und auf der anderen Seite wieder hoch zur Stirn, verlief, weil sie nicht nur zu viel Make-up benutzt hatte, sondern auch welches, das überhaupt nicht zu ihrem hellen Hautton passte. Die Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, da sie bei dreißig Grad im Schatten leicht darunter zu schwitzen begann und die Übergänge der alten Haarverlängerung so nicht gleich ganz so gut zu sehen waren. Sie hatte ihr Lieblingsdeo vom Regal genommen und sich die Achseln, den Hals und den Bereich hinter den Ohren eingesprüht, dann die Spraydose in ihrer braunen Handtasche verstaut und sich schließlich auf den Weg zu ihrem Date gemacht.
Bevor sie das Haus verlassen hatte, hatte sie noch einmal in den Spiegel gesehen und war mit sich selbst zufrieden. Sie trug die rote Stoffhose, die sie ihre Mutter überredet hatte, ihr zu kaufen, obwohl diese der roten Hose gegenüber skeptisch war. Sie war ziemlich eng geschnitten und hatte im Bootcut-Style ausgestellte Beine, die bei Charlotte aber aufgrund ihrer kräftige Waden eher wie Leggings wirkte. Alles in allem hatte die Hose einen Schnitt, der ein Kampfgewicht von einhundertundsiebzig Pfund nicht gerade vorteilhaft präsentierte. Dazu trug sie ein weißes Spaghettiträger-T-Shirt aus Stoff, dass, zugegeben, auch etwas zu eng geschnitten war und mehr Unvorteilhaftes zeigte, als dass es verbarg, aber sie hatte auf die Schnelle nichts Passenderes finden können. All ihre Ausgeh-Shirts waren in der Wäsche und mit einem flatterigen T-Shirt, das sie zu Hause anhatte, wollte sie nicht zu ihrem Date. Leider gab ihre Garderobe auch nicht sehr viel Brauchbares her, sodass sie auf das wenige hatte zurückgreifen müssen, das ihr blieb. Ihre Füße steckten in den schwarzen Turnschuhen mit der dicken Sohle, die ein paar Zentimeter zu ihrer Körpergröße hinzuschummelten und von denen sie hoffte, dass sie ein, zwei oder drei Pfund leichter aussah.
Obwohl sie und Jay sich erst für vier Uhr im Bayside Café verabredet hatten, war Charlotte schon um fünf Minuten vor halb vier dort. Sie wollte keinesfalls riskieren, dass sie sich verspätete und er wieder fuhr, und glaubte, versetzt worden zu sein. Außerdem wollte sie auf der Toilette des Cafés ihr Make-up und das Deo noch einmal auffrischen und ihr Haar bürsten. Und … sich beruhigen.
