Belgariad - Die Gefährten - David Eddings - E-Book

Belgariad - Die Gefährten E-Book

David Eddings

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Beschreibung

Der Fantasy-Klassiker endlich wieder verfügbar – in überarbeiteter Neuausgabe.

Der New-York-Times-Platz-1-Bestsellerautor David Eddings war in den 80er Jahren nicht nur einer der Helden der Fantasy-Leser, sondern ist für viele der erfolgreichen Fantasy-Autoren von heute ein Vorbild. Die Lektüre der Belgariad-Saga ist wie eine Begegnung mit Freunden. Die Charaktere dieser heroischen Coming-of-Age-Fantasy wachsen einem sofort ans Herz, und gemeinsam mit ihnen erforscht man eine wunderbare Welt und kämpft im epischen Kampf zwischen Gut und Böse. Der naive Junge vom Land, der edelste Ritter, der cleverste Dieb, der mächtigste Magier – wer sonst könnte die Welt retten?

Dieser Roman ist bereits unter dem Titel »Die Prophezeiung des Bauern« im Knaur-Verlag und unter dem Titel »Kind der Prophezeiung« im Bastei-Lübbe-Verlag erschienen. Er wurde komplett überarbeitet.

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Buch

Garion wächst auf einer Farm bei seiner Tante Pol auf. Es ist ein einfaches behütetes Leben, und wie alle Jungen seines Alters träumt er davon, Abenteuer zu erleben. Doch er hätte nie erwartet, dass er ausgerechnet durch seine bodenständige Tante und einen alten Geschichtenerzähler aus seiner Heimat gerissen wird. Zunächst ist Garion begeistert, weil er endlich ein Abenteuer erleben wird. Aber er ist auch verunsichert, als er erkennt, wie wenig er über die Welt weiß. Außerdem wird ihm immer mehr klar, wie wenig er seine Tante in Wirklichkeit kennt. Auf der Straße schließen sich ihnen noch weitere Gefährten an. Als Garion sich gerade an die neue Situation gewöhnt hat, werden sie von Soldaten des Königs verhaftet …

Autor

David Eddings wurde 1931 in Spokane im US-Bundesstaat Washington geboren. Während seines Dienstes für die US-Streitkräfte erwarb er einen Bachelor of Arts und einige Jahre darauf einen Master of Arts an der University of Washington. Bevor er 1982 seinen ersten großen Roman, Belgariad – Die Gefährten, veröffentlichte, arbeitete er für den Flugzeughersteller Boeing. Im Jahr 2009 starb er in Caron City, Nevada.

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DAVID EDDINGS

DIE GEFÄHRTEN

ROMAN

DEUTSCH VON IRMHILD HÜBNER

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Die Originalausgabe erschien 1982 unter dem Titel »Pawn of Prophecy (Book 1 of The Belgariad)« bei DelRey, New York.Dieser Roman ist bereits unter dem Titel Die Prophezeiung des Bauern im Knaur-Verlag und unter dem Titel Kind der Prophezeiung im Bastei-Lübbe-Verlag erschienen. Er wurde komplett überarbeitet.

Copyright der Originalausgabe © 1982 by David Eddings

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2017 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Waltraud Horbas

Covergestaltung: © Melanie Korte, Inkcraft,

unter Verwendung einer Illustration von © Michele Nucera

Karten: © Andreas Hancock

HK · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-22655-8V002

www.blanvalet.de

Für Theone,die mir Geschichten erzählte,aber meine nicht mehrlesen konnte –und für Arthur,der mir sagte, wie man ein Mann wird –und es immer noch tut.

PROLOG

Der die Geschichte vom Krieg der Götter und die Taten von Belgarath dem Zauberer schildert – aus dem Buch von Alorn

Als die Welt noch jung war, lebten die sieben Götter in Harmonie, und die Völker der Menschen waren eins. Belar, der Jüngste der Götter, wurde von den Alornern verehrt. Er lebte mit ihnen und sorgte für sie, und sie gediehen unter seiner Obhut. Auch die anderen Götter scharten Völker um sich, und jeder Gott sorgte für sein Volk.

Belars ältester Bruder Aldur aber hatte kein Volk. Er lebte abseits von Menschen und Göttern, bis ihn eines Tages ein umherstreifendes Kind aufsuchte. Aldur nahm das Kind als Schüler an und nannte es Belgarath. Belgarath lernte das Geheimnis des Willens und des Wortes und wurde ein Zauberer. In den Jahren, die folgten, suchten auch andere den einsamen Gott auf. Sie schlossen sich in Bruderschaften zusammen, um zu Aldurs Füßen zu lernen, und die Zeit hatte keinerlei Einfluss auf sie.

Dann geschah es, dass Aldur einen Stein in Gestalt einer Kugel aufhob, nicht größer als das Herz eines Kindes, und er wendete den Stein in seiner Hand, bis er zu einer lebendigen Seele wurde. Die Macht des lebenden Juwels, das die Menschen das Auge Aldurs nannten, war sehr groß, und Aldur wirkte Wunder damit.

Von allen Göttern war Torak der schönste, und sein Volk waren die Angarakaner. Sie brachten ihm Brandopfer dar und nannten ihn Gott der Götter, und Torak fand Gefallen an Weihrauch und den Worten der Anbetung. Der Tag aber kam, an dem er vom Auge Aldurs hörte, und von diesem Moment an fand er keinen Frieden mehr.

Schließlich ging er unter heuchlerischem Vorwand zu Aldur. »Mein Bruder«, sagte er, »es ziemt sich nicht, dass du dich fernhältst von unserer Gesellschaft und unserem Ratschluss. Leg dieses Juwel beiseite, das deinen Geist dazu verleitet, unsere Gemeinschaft zu meiden.«

Aldur aber blickte in seines Bruders Seele und tadelte ihn. »Warum strebst du nach Herrschaft und Macht, Torak? Ist Angarak nicht genug für dich? Lass dich nicht von deinem Stolz verleiten, das Auge in deinen Besitz zu bringen. Es würde dich vernichten.«

Groß war Toraks Scham bei Aldurs Worten, und er erhob die Hand gegen seinen Bruder und schlug ihn nieder. Darauf nahm er das Juwel an sich und floh.

Die anderen Götter flehten Torak an, er möge das Auge zurückgeben, doch er tat es nicht. Da erhoben sich die Völker der Menschen und zogen gegen die Scharen der Angarakaner in den Krieg. Die Kriege der Götter und Menschen wüteten im Land, bis Torak unweit der Höhen von Korim das Auge erhob und es zwang, seinen Willen mit dem seinen zu vereinen, um die Erde in Stücke zu spalten. Die Berge wurden niedergerissen, das Meer strömte ins Land. Aber Belar und Aldur vereinten ihren Willen und setzten dem Meer Grenzen. Doch von dem Moment an waren die Völker der Menschen voneinander getrennt – und ebenso die Götter.

Als Torak das Auge gegen die Erde, seine Mutter, erhob, erwachte es und begann mit heiliger Flamme zu glühen. Toraks Antlitz wurde von blauem Feuer versengt. In seinem Schmerz riss er weitere Berge nieder; in seiner Qual brach er die Erde auf; in seiner Pein ließ er das Meer ins Land. Seine linke Hand entflammte und verbrannte zu Asche, das Fleisch seiner linken Gesichtshälfte zerschmolz wie Wachs, und das linke Auge brodelte in seiner Höhle. Mit einem Aufschrei stürzte er sich ins Meer, um die Flammen zu löschen, aber seine Qualen fanden kein Ende.

Als Torak dem Wasser entstieg, war seine rechte Seite noch immer schön, aber seine linke war durch das Feuer des Auges verbrannt und grauenhaft entstellt. Von unaufhörlichen Schmerzen gepeinigt, führte er sein Volk nach Osten, wo sie eine große Stadt bauten auf der Ebene von Mallorea. Sie nannten sie Cthol Mishrak, die Stadt der Nacht, denn Torak verbarg seine Entstellung in der Dunkelheit. Die Angarakaner errichteten einen eisernen Turm für ihren Gott und legten das Auge in eine eiserne Schatulle in die oberste Kammer des Turms. Oft stand Torak vor der Schatulle, um dann weinend zu fliehen, auf dass sein Verlangen, das Auge zu betrachten, nicht übermächtig werde und ihn zugrunde richte.

Jahrhunderte gingen ins Land, und die Angarakaner begannen, ihren entstellten Gott Kal Torak zu nennen, König und Gott.

Belar hatte die Alorner nach Norden geführt. Von allen Menschen waren sie die kühnsten und kriegerischsten, und Belar pflanzte ewigen Hass auf Angarak in ihre Herzen. Mit grausamen Schwertern und Äxten durchstreiften sie den Norden, bis in die Gebiete des ewigen Eises, auf der Suche nach einem Weg zu ihren Erbfeinden.

So verhielt es sich, bis Cherek Bärenschulter, der größte König der Alorner, schließlich zu Aldurs Tal wanderte, um Belgarath den Zauberer aufzusuchen. »Der Weg nach Norden ist offen«, sagte er. »Die Zeichen und die Vorhersagen sind günstig. Nun ist die Zeit gekommen, den Weg in die Stadt der Nacht zu suchen und das Auge Aldurs von Einauge zurückzugewinnen.«

Poledra, Belgaraths Weib, trug ein Kind unter dem Herzen, und es widerstrebte ihm, sie zu verlassen. Aber Cherek beharrte auf seinem Willen. Eines Nachts stahlen sie sich davon, um mit Chereks Söhnen zusammenzutreffen, mit Dras Stiernacken, Algar Flinkfuß und Riva Eisenfaust.

Ein grausamer Winter hielt das Nordland in seinen Klauen, und die Moore glitzerten unter dem Sternenhimmel vor Frost und stahlgrauem Eis. Um ihren Weg zu finden, wirkte Belgarath einen Zauber und nahm die Gestalt eines großen grauen Wolfes an. Auf leisen Sohlen schlich er durch die schneebedeckten Wälder, in denen die Bäume in der beißenden Kälte ächzten und knackten. Grimmiger Frost versilberte Mähne und Schultern des Wolfes, und für alle Zeit danach blieben Haare und Bart Belgaraths silberweiß.

Durch Schnee und Nebel gelangten sie nach Mallorea und erreichten schließlich Cthol Mishrak. Nachdem er einen geheimen Weg in die Stadt gefunden hatte, führte Belgarath sie zum Fuße des eisernen Turms. Schweigend erklommen sie die rostigen Stufen, die seit zwanzig Jahrhunderten niemand mehr betreten hatte. Furchtsam schlichen sie durch die Kammer, in der Torak sich in schmerzgepeinigtem Schlummer wälzte, das entstellte Gesicht unter einer Stahlmaske verborgen. Verstohlen krochen sie in der glimmenden Dunkelheit an dem schlafenden Gott vorbei und kamen schließlich in die Kammer, in der die eiserne Schatulle stand, die das lebende Auge barg.

Cherek bedeutete Belgarath, das Auge zu nehmen, aber Belgarath lehnte ab. »Ich vermag es nicht zu berühren«, sagte er. »Es würde mich zerstören. Einst war ihm die Berührung von Mensch oder Gott willkommen, aber sein Wille verhärtete sich, als Torak es gegen seine Mutter erhob. Nie wieder wird es sich derart benutzen lassen. Es liest in unseren Seelen. Nur wer ohne böse Absicht, wer rein genug ist, es zu nehmen und selbst unter Lebensgefahr zu überbringen, ohne Gedanken an Macht oder Besitz, darf es jetzt noch berühren.«

»Welcher Mensch hat keinerlei böse Absichten in den Tiefen seiner Seele?«, fragte Cherek. Aber Riva Eisenfaust öffnete die Schatulle und nahm das Auge heraus. Das Feuer des Auges leuchtete durch seine Finger, doch es verbrannte ihn nicht.

»So sei es, Cherek«, sagte Belgarath. »Dein jüngster Sohn ist rein. Es soll sein Schicksal sein und das Schicksal aller, die nach ihm kommen, das Auge zu bewahren und zu beschützen.« Und Belgarath seufzte, denn er wusste um die Last, die er Riva damit aufbürdete.

»Dann werden seine Brüder und ich ihn unterstützen«, sagte Cherek, »solange dieses Schicksal auf ihm lastet.«

Riva hüllte das Auge in seinen Umhang und verbarg es unter seiner Tunika. Wieder schlichen sie durch die Gemächer des entstellten Gottes, die rostigen Stufen hinunter, den geheimen Pfad entlang zu den Toren der Stadt und in die dahinterliegende Einöde.

Bald darauf erwachte Torak und ging wie immer in die Kammer des Auges. Aber die Schatulle stand offen, und das Auge war verschwunden. Schrecklich war der Zorn Kal Toraks. Er nahm sein großes Schwert, stieg von dem eisernen Turm herab und wandte sich um. Mit einem einzigen Streich brachte er den Turm zum Einsturz. Den Angarakanern aber rief er mit Donnerstimme zu: »Weil ihr nachlässig und unaufmerksam geworden seid und zugelassen habt, dass ein Dieb stehlen konnte, wofür ich so teuer bezahlt habe, werde ich eure Stadt niederreißen und euch fortjagen. Die Angarakaner sollen über die Erde wandern, bis Cthrag Yaska,der brennende Stein, wieder in meinem Besitz ist.« Dann riss er die Stadt der Nacht nieder und jagte die Scharen der Angarakaner in die Wildnis. Cthol Mishrakwar nicht mehr.

Drei Meilen weiter nördlich hörte Belgarath das Jammern aus der Stadt und wusste, dass Torak erwacht war. »Jetzt wird er uns verfolgen«, sagte er, »und nur die Macht des Auges kann uns retten. Wenn sich die Heerscharen uns nähern, Eisenfaust, nimm das Auge und halte es so, dass sie es sehen können.«

Die Scharen der Angarakaner kamen, mit Torak selbst an der Spitze, aber Riva hielt das Auge hoch, sodass der entstellte Gott und dessen Heerscharen seiner gewahr werden konnten. Das Auge kannte seinen Feind. Sein Hass entflammte erneut, und der Himmel erglühte vor seinem Zorn. Torak schrie auf und wandte sich ab. Die vordersten Reihen des Angarakaner-Heers wurden vom Feuer verzehrt, der Rest floh in Entsetzen.

So entkamen Belgarath und seine Gefährten aus Mallorea, wanderten wiederum durch die Marschen des Nordens und brachten das Auge Aldurs in die Königreiche des Westens.

Nun hielten die Götter Rat, nachdem sie alles wussten, was geschehen war, und Aldur sagte: »Wenn wir jetzt gegen unseren Bruder Torak Krieg führen, wird unser Kampf die Welt zerstören. Darum müssen wir uns von der Welt zurückziehen, auf dass uns unser Bruder nicht zu finden vermag. Nicht länger in Fleisch und Blut, nur noch im Geiste mögen wir bleiben, um unsere Völker zu lenken und zu schützen. Um der Welt willen muss es so sein. An dem Tag, an dem wir wieder Krieg führen, wird das Ende der Welt gekommen sein.«

Die Götter weinten, weil sie scheiden mussten. Aber Chaldan, Stiergott der Arendier, fragte: »Wird Torak in unserer Abwesenheit nicht die Herrschaft übernehmen?«

»Nein«, antwortete Aldur, »solange das Auge in den Händen von Riva Eisenfaust und seiner Nachkommen bleibt, hat Torak keine Macht über uns.«

So kam es, dass die Götter schieden, und nur Torak blieb. Aber das Wissen, dass ihm das Auge in der Hand von Riva die Herrschaft verwehrte, zerfraß seine Seele.

Dann sprach Belgarath mit Cherek und dessen Söhnen. »Hier müssen wir uns trennen, um das Auge zu hüten und uns gegen Toraks Kommen zu wappnen. Jeder soll in die Richtung gehen, die ich euch befohlen und bereitet habe.«

»Das werden wir, Belgarath«, schwor Cherek Bärenschulter. »Von diesem Tage an existiert Val Alorn nicht mehr, und doch wird sein Volk Torak die Herrschaft verwehren, solange es noch einen Alorner gibt.«

Belgarath blickte auf. »Höre mich, Torak Einauge«, rief er. »Du sollst dich nicht gegen das lebende Auge erheben, es ist sicher vor dir. An dem Tag, an dem du uns angreifst, werde ich Krieg führen gegen dich. Ich will Wache halten bei Tag und Nacht. Ich werde deiner harren bis ans Ende aller Tage.«

In den Ödlanden von Mallorea hörte Torak die Stimme von Belgarath und schlug in wildem Zorn um sich, denn er wusste, das lebende Auge war nun für immer für ihn verloren.

Dann umarmte Cherek seine Söhne und ging fort. Er sollte sie nie wiedersehen. Dras ging nach Norden und lebte in den Ländern, die vom Fluss Mrin bewässert werden. Er baute eine Stadt bei Boktor und nannte seine Länder Drasnien. Er und seine Nachkommen lebten in den nördlichen Marschen und verteidigten sie gegen den Feind. Algar ging mit seinem Volk nach Süden und fand Pferde auf den weiten Ebenen, die der Fluss Aldur bewässerte. Die Pferde zähmten sie und lernten reiten, und zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit erschienen berittene Krieger. Ihr Land nannten sie Algarien, und sie wurden Nomaden und folgten ihren Herden. Cherek kehrte traurig nach Val Alorn zurück und nannte sein Land fortan Cherek, denn er war jetzt allein und ohne Söhne. Grimmig baute er große Kriegsschiffe, um das Meer zu durchstreifen und es gegen den Feind zu verteidigen.

Auf den Bewahrer des Auges jedoch fiel die Last der längsten Reise. Riva führte sein Volk an die Westküste von Sendarien. Dort baute er Schiffe, und er und sein Volk segelten zur Insel der Stürme. Sie verbrannten ihre Schiffe und bauten eine Festung und eine bewehrte Stadt um sie herum. Die Stadt nannten sie Riva und die Feste Halle des Rivanischen Königs. Dann ließ Belar, Gott der Alorner, zwei eiserne Sterne vom Himmel fallen. Riva nahm die Sterne auf und schmiedete eine Klinge aus dem einen und ein Heft aus dem anderen und setzte das Auge als Schwertknauf darauf. So groß war das Schwert, dass niemand außer Riva es führen konnte. In der Ödnis von Mallorea fühlte Torak in seiner Seele, wie das Schwert geschmiedet wurde, und schmeckte zum ersten Mal Furcht.

Das Schwert wurde gegen den schwarzen Fels gelehnt, der sich hinter Rivas Thron erhob, mit dem Auge als höchstem Punkt, und das Schwert verband sich mit dem Felsen, sodass niemand anders als Riva es entfernen konnte. Das Auge brannte mit kaltem Feuer, wenn Riva auf dem Thron saß. Und wenn er das Schwert nahm und es erhob, wurde es eine große Zunge aus kaltem Feuer. Das größte Wunder von allen war das Zeichen von Rivas Erben. In jeder Generation trug ein Kind aus Rivas Nachkommenschaft auf seiner Handfläche das Zeichen des Auges. Das Kind, das so gezeichnet war, wurde in den Thronsaal gebracht, und man legte seine Hand auf das Auge, auf dass es ihn erkenne. Mit jeder kindlichen Berührung wuchs die Leuchtkraft des Auges, und das Band zwischen dem lebenden Auge und Rivas Nachkommenschaft wurde mit jeder Berührung stärker.

Nachdem Belgarath sich von seinen Gefährten getrennt hatte, eilte er zurück in Aldurs Tal. Dort musste er erfahren, dass Poledra, seine Gattin, Zwillingstöchter geboren hatte und dann gestorben war. In Trauer nannte er die Ältere Polgara. Ihr Haar war rabenschwarz. Nach Art der Zauberer streckte er die Hand aus, um sie an der Stirn zu berühren, und eine einzelne Locke an ihrer Stirn wurde bei seiner Berührung schneeweiß. Das verwirrte ihn, denn die weiße Locke war das Zeichen der Zauberer, und Polgara war das erste weibliche Kind, das so gezeichnet war.

Seine zweite Tochter, hellhäutig und goldhaarig, war nicht gezeichnet. Er nannte sie Beldaran. Er und ihre dunkelhaarige Schwester liebten sie über alles und wetteiferten um ihre Gunst.

Als nun Polgara und Beldaran ihr sechzehntes Jahr erreicht hatten, erschien der Geist Aldurs Belgarath im Traum und sagte: »Mein geliebter Schüler, ich wünsche, dass du dein Haus mit dem Haus der Hüter des Auges verbindest. Wähle also, welche deiner Töchter du dem König von Riva zur Frau geben willst, auf dass sie die Mutter seiner Nachkommenschaft wird; denn auf diesem Hause ruht die Hoffnung der Welt, gegen die die dunkle Macht von Torak nicht obsiegen kann.«

In der Tiefe seiner Seele war Belgarath versucht, Polgara zu wählen. Aber er kannte die Last, die auf dem König von Riva lag, und er schickte statt ihrer Beldaran und weinte, als sie fort war. Polgara weinte ebenfalls lang und bitterlich, denn sie wusste, dass ihre Schwester nun verblühen und sterben musste. Mit der Zeit aber trösteten sie sich gegenseitig und lernten sich schließlich kennen.

Sie vereinten ihre Kräfte, um über Torak zu wachen. Und manche behaupten, sie würden noch immer ausharren und nach all den unzähligen Jahrhunderten Wache halten.

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KAPITEL 1

Das Erste, woran sich der Junge Garion erinnern konnte, war die Küche auf Faldors Farm. Für den Rest seines Lebens erfüllte ihn ein besonders warmes Gefühl bei dem Gedanken an Küchen und jene seltsamen Geräusche und Gerüche, welche sich irgendwie zu einem Gesamteindruck geschäftiger Ernsthaftigkeit verbanden, die mit Liebe und Essen und Trost und Sicherheit zu tun hatte, vor allem aber mit einem Zuhause. Wie weit Garion im Leben auch aufsteigen sollte, nie vergaß er, dass alle seine Erinnerungen in dieser Küche begannen.

Die Küche auf Faldors Farm war ein großer, niedriger Raum, angefüllt mit Herden und Kesseln und großen Spießen, die sich langsam in höhlenartigen Feuerstellen drehten. Es gab lange, schwere Arbeitstische dort, auf denen Teig zu Brotlaiben geknetet, Hühner geschlachtet und Karotten und Sellerie mit raschen Bewegungen langer, gebogener Messer geschnitten wurden. Als Garion noch sehr klein war, spielte er unter diesen Tischen und lernte bald, seine Finger und Zehen vor den Füßen der Küchenhelfer, die über ihm arbeiteten, in Sicherheit zu bringen. Und manchmal, am späten Nachmittag, wenn er müde war, lag er in einer Ecke und starrte in die lodernden Flammen, die widergespiegelt wurden von den vielen polierten Töpfen, Messern und Löffeln mit langem Stiel, die an Haken von den weißgekalkten Wänden hingen. Halb benebelt glitt er dann in den Schlaf, in vollkommenem Frieden und in Harmonie mit der ganzen Welt um sich herum.

Den Mittelpunkt in der Küche und von allem, was darin geschah, bildete Tante Pol. Sie schien irgendwie in der Lage, überall gleichzeitig zu sein. Der letzte Griff, mit dem eine Gans in die Eisenpfanne gelegt oder mit dem geschickt ein Laib Brot geformt oder ein frisch aus dem Ofen kommender geräucherter Schinken garniert wurde, war immer ihrer. Obwohl es auch einige andere gab, die in der Küche arbeiteten, verließ diese kein Laib, kein Eintopf, keine Suppe, kein Braten oder Gemüse, ohne dass mindestens einmal von Tante Pol daran Hand angelegt worden war. Sie erkannte am Geruch, Geschmack oder durch irgendeinen höheren Instinkt, was jedes Gericht benötigte, und sie würzte alles mit einer Prise oder einer Spur oder einem nachlässig wirkenden Schütteln eines ihrer irdenen Gewürztöpfe. Es war, als wäre sie von einer besonderen Form der Magie umgeben, von Wissen und einer Macht, die über die einfacher Leute hinausging. Und doch, selbst wenn sie völlig beschäftigt war, wusste sie immer ganz genau, wo Garion war. Selbst wenn sie einen Pastetendeckel ausrollte, einen besonderen Kuchen dekorierte oder ein gerade gefülltes Huhn zunähte, konnte sie, ohne hinzusehen, ein Bein ausstrecken und ihn mit Knöchel oder Ferse vor den Füßen der anderen in Sicherheit bringen.

Als er etwas älter war, wurde sogar ein Spiel daraus. Garion wartete, bis sie viel zu beschäftigt schien, um ihn zu bemerken, dann rannte er auf seinen kräftigen, kurzen Beinen lachend auf eine Tür zu. Aber sie fing ihn immer ein. Dann lachte er lauter, warf seine Arme um ihren Hals, küsste sie und entwischte ihr, um die nächste Gelegenheit zum Fortlaufen abzupassen.

Er war in jenen frühen Jahren überzeugt davon, dass seine Tante Pol die wichtigste und schönste Frau der Welt sei. Zum einen war sie größer als die anderen Frauen auf Faldors Farm – fast so groß wie ein Mann –, und ihr Gesicht war immer ernst, fast streng, außer mit ihm natürlich. Ihr Haar war sehr lang und sehr dunkel, beinahe schwarz, bis auf eine einzige Locke über ihrer linken Augenbraue, die weiß wie Schnee war. Des Nachts, wenn sie ihn in seinem kleinen Bett zudeckte, das dicht neben dem ihren in ihrem Zimmer über der Küche stand, streckte er die Hand aus und berührte diese weiße Locke; sie lächelte dann und streichelte sein Gesicht mit sanfter Hand. Dann schlief er ein, zufrieden mit dem Wissen, dass sie da war und über ihn wachte.

Faldors Farm lag ziemlich genau im Zentrum Sendariens, eines nebligen Königreiches, das im Westen vom Meer der Stürme und im Osten durch den Golf von Cherek begrenzt wurde. Wie alle Farmhäuser jener Zeit und jener Gegend bestand Faldors Farm nicht nur aus ein oder zwei Gebäuden, sondern aus einem solide gebauten Komplex von Schuppen und Scheunen, Hühnerställen und Taubenschlägen, die sich alle um einen Innenhof gruppierten, der an einer Seite von einem starken Tor begrenzt wurde. Rundum im zweiten Stock lagen die Zimmer, manche geräumig, andere winzig, in denen die Farmarbeiter lebten, die die weiten Felder außerhalb der Mauern pflügten, bepflanzten und abernteten. Faldor selbst wohnte in Gemächern in dem eckigen Turm über dem Speisesaal, in dem sich seine Arbeiter dreimal täglich versammelten – während der Erntezeit manchmal sogar viermal –, um sich mit Wohltaten aus Tante Pols Küche zu stärken.

Alles in allem war es ein recht glücklicher und harmonischer Ort. Farmer Faldor war ein guter Herr. Er war ein großer, ernster Mann mit einer langen Nase und einem noch längeren Kinn. Obwohl er selten lachte oder auch nur lächelte, war er freundlich zu denen, die für ihn arbeiteten, und es schien ihm wichtiger zu sein, auf ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen zu achten, als den letzten Tropfen Schweiß aus ihnen herauszupressen. In vielerlei Hinsicht war er eher ein Vater als ein Herr für die etwa sechzig Leute, die auf seinem Grund lebten. Er aß mit ihnen – was ungewöhnlich war, denn einige Farmer im Distrikt suchten sich von ihren Arbeitern fernzuhalten –, und seine Gegenwart am Kopfende des Mitteltisches im Speisesaal übte einen mäßigenden Einfluss auf einige der Jüngeren aus, die bisweilen etwas ungestüm waren. Farmer Faldor war ein frommer Mann, der vor jeder Mahlzeit mit einfachen Worten den Segen der Götter erbat. Die Leute auf der Farm, denen dies natürlich bekannt war, hatten meist den Anstand, vor dem Essen gesittet in den Speisesaal zu kommen und sich zumindest den Anschein von Frömmigkeit zu geben, bevor sie sich über die schwer beladenen Platten und Schüsseln hermachten, die Tante Pol und ihre Helfer vor sie hingestellt hatten.

Wegen Faldors gutem Herzen – und der Magie von Tante Pols geschickten Fingern – war die Farm in der ganzen Gegend bekannt und galt als der beste Fleck zum Arbeiten und Leben im Umkreis von zwanzig Meilen. Ganze Abende wurden in der Taverne des nahe gelegenen Dorfes Obergralt mit der detaillierten Beschreibung der nahezu übernatürlich köstlichen Mahlzeiten verbracht, die in Faldors Speisesaal serviert wurden. Immer wieder war zu beobachten, wie weniger vom Glück begünstigte Männer, die auf anderen Farmen arbeiteten, nach einigen Krügen Bier bei der Schilderung von Tante Pols gebratenen Gänsen in aller Öffentlichkeit zu weinen begannen. Der Ruhm von Faldors Farm verbreitete sich in der ganzen Gegend.

Neben Faldor war Durnik der Schmied der wichtigste Mann auf der Farm. Als Garion älter wurde und er den Abstand zwischen sich und Tante Pols wachsamem Blick vergrößern durfte, führte ihn sein Weg unweigerlich in die Schmiede. Das glühende Eisen, das aus Durniks Esse kam, übte eine beinahe hypnotische Anziehungskraft auf ihn aus. Durnik war ein ernst wirkender Mann mit glattem braunem Haar und einem offenen Gesicht, das von der Hitze seiner Esse gerötet war. Er war weder groß noch klein, weder dick noch dünn, dabei gelassen und ruhig und wie fast alle Angehörige seines Berufes unglaublich stark. Sein raues Lederwams und die Schürze aus dem gleichen Material hatten Brandflecken an den Stellen, wo sie mit Funken aus der Esse in Kontakt gekommen waren. Er trug eng anliegende Hosen und weiche Lederstiefel, wie es in diesem Teil Sendariens üblich war. Anfangs bestanden Durniks einzige Worte, die er an Garion richtete, aus Warnungen, dass er die Finger von der Esse und dem glühenden Metall lassen sollte. Mit der Zeit wurden er und der Junge jedoch Freunde, und er sprach öfter zu ihm.

»Bring immer zu Ende, was du in die Hand genommen hast«, riet er ihm beispielsweise. »Es ist schlecht für das Eisen, wenn du es beiseitelegst und es dann länger als unbedingt nötig ins Feuer hältst.«

»Warum ist das so?«, fragte Garion dann.

Durnik zuckte darauf nur die Achseln. »Es ist eben so.«

»Mach immer alles, so gut du nur kannst«, sagte er bei anderer Gelegenheit, als er mit einer Feile letzte Hand an das Metallteil einer Wagendeichsel legte, die er gerade reparierte.

»Aber das Stück ist doch unter dem Wagen«, sagte Garion. »Niemand wird es je sehen.«

»Aber ich weiß, dass es da ist«, antwortete Durnik, immer noch das Metall glättend. »Wenn es nicht so gut gemacht ist, wie ich es machen kann, werde ich mich jedes Mal schämen, wenn dieser Wagen vorbeifährt – und ich sehe den Wagen jeden Tag.«

Und so ging es weiter. Ohne es zu beabsichtigen, unterwies Durnik den Jungen in den soliden sendarischen Tugenden der Arbeit, Sparsamkeit, Ernsthaftigkeit, des guten Benehmens und praktischen Denkens, die das Rückgrat der Gesellschaft ausmachten.

Zunächst war Tante Pol besorgt gewesen wegen Garions Vorliebe für die Schmiede mit ihren offensichtlichen Gefahren, aber nachdem sie eine Zeitlang von ihrer Küchentür aus zugesehen hatte, stellte sie fest, dass Durnik fast so bedacht auf Garions Sicherheit war wie sie selbst, und sie machte sich weniger Sorgen. »Wenn der Junge lästig wird, Meister Durnik, schick ihn weg«, bat sie den Schmied bei der Gelegenheit, als sie ihm einen großen Kupferkessel zum Flicken brachte, »oder sag es mir, und ich werde ihn dichter bei der Küche halten.«

»Er stört nicht, Herrin«, sagte Durnik lächelnd. »Er ist ein vernünftiger Junge, und er ist verständig genug, um nicht im Weg zu sein.«

»Du bist zu gutmütig, Freund Durnik«, sagte Tante Pol. »Der Junge steckt voller Fragen. Wenn du eine beantwortest, kommen ein Dutzend weitere hinterher.«

»Das ist nun mal so bei Jungen«, antwortete Durnik und goss vorsichtig flüssiges Metall in den kleinen Tonring, den er um das Loch in den Kesselboden gelegt hatte. »Ich habe selbst als Junge auch sehr viel gefragt. Mein Vater und der alte Barl – der Schmied, bei dem ich gelernt habe – waren geduldig genug, um alles zu beantworten, was sie konnten. Ich würde es ihnen schlecht lohnen, wenn ich nicht die gleiche Geduld mit Garion hätte.«

Garion, der in der Nähe saß, hielt während dieser Unterhaltung den Atem an. Er wusste, dass ein falsches Wort von einer Seite ihn sofort aus der Schmiede verbannt hätte. Als Tante Pol über den festgestampften Lehm des Hofes zurück in ihre Küche ging, bemerkte er, wie Durnik ihr nachsah, und eine Idee begann sich in seinem Kopf zu formen. Es war eine einfache Idee, aber ihr Reiz bestand darin, dass sie Vorteile für jede Seite zu bieten hatte.

»Tante Pol«, sagte er noch am gleichen Abend und drehte den Kopf zur Seite, als sie seine Ohren mit einem rauen Tuch abrieb.

»Ja?«, fragte sie und wandte ihre Aufmerksamkeit seinem Hals zu.

»Warum heiratest du Durnik nicht?«

Sie hörte auf, ihn zu waschen. »Wie bitte?«, fragte sie.

»Ich meine, es wäre eine unheimlich gute Idee.«

»Ach wirklich?« In ihrer Stimme lag eine Spur von Schärfe, und Garion wusste, dass er sich auf gefährlichem Grund befand.

»Er mag dich«, verteidigte er sich.

»Und ich nehme an, du hast es mit ihm besprochen?«

»Nein, ich dachte, ich sollte zuerst mit dir darüber reden.«

»Wenigstens das war eine gute Idee.«

»Ich kann es ihm morgen sagen, wenn du willst.«

Sein Kopf wurde unsanft an einem Ohr herumgedreht. Tante Pol, fühlte Garion, fand seine Ohren entschieden zu zweckdienlich.

»Kein Wort von diesem Unsinn gegenüber Durnik oder sonst irgendjemandem«, sagte sie, und ihre dunklen Augen brannten sich mit einer Glut in die seinen, die er noch nie in ihnen gesehen hatte.

»Es war ja nur ein Gedanke«, sagte er rasch.

»Ein sehr schlechter. Überlass das Denken ab jetzt den Erwachsenen.« Sie zog noch immer an seinem Ohr.

»Wie du willst«, stimmte er hastig zu.

Später in der Nacht, als sie in der stillen Dunkelheit in ihren Betten lagen, näherte er sich dem Problem jedoch noch einmal auf Umwegen.

»Tante Pol?«

»Ja?«

»Wenn du Durnik nicht heiraten willst, wen willst du dann heiraten?«

»Garion«, sagte sie.

»Ja?«

»Halt den Mund und schlaf.«

»Ich glaube, ich habe ein Recht, es zu wissen«, sagte er gekränkt.

»Garion!«

»Schon gut. Ich werde schlafen, aber ich finde trotzdem, du bist unfair.«

Sie tat einen tiefen Atemzug. »Also schön«, sagte sie. »Ich denke nicht ans Heiraten. Ich habe noch nie daran gedacht, und ich bezweifle, dass ich je daran denken werde. Ich habe mich um viel zu wichtige Dinge zu kümmern.«

»Mach dir nichts draus, Tante Pol«, sagte er, in dem Wunsch, sie zu beruhigen. »Wenn ich erwachsen bin, werde ich dich heiraten.«

Da lachte sie, ein tiefes, volles Lachen, und streckte in der Dunkelheit eine Hand aus, um sein Gesicht zu berühren. »Oh nein, mein Garion«, sagte sie. »Für dich haben wir eine andere Frau vorgesehen.«

»Wen?«, wollte er wissen.

»Du wirst es schon noch herausfinden«, sagte sie geheimnisvoll. »Und jetzt schlaf.«

»Tante Pol?«

»Ja?«

»Wo ist meine Mutter?« Es war eine Frage, die er schon seit einiger Zeit hatte stellen wollen.

Nach einer langen Pause seufzte Tante Pol. »Sie ist gestorben«, sagte sie ruhig.

Garion spürte eine plötzliche, überwältigende Woge von Kummer, einen unerträglichen Schmerz. Er fing an zu weinen. Und dann war sie neben seinem Bett. Sie kniete nieder und legte die Arme um ihn. Schließlich, lange Zeit später, nachdem sie ihn in ihr eigenes Bett getragen und ihn im Arm gehalten hatte, bis sein Kummer nachließ, fragte Garion stammelnd:

»Wie war sie? Meine Mutter?«

»Sie hatte blonde Haare«, antwortete Tante Pol, »und sie war sehr jung und sehr schön. Sie hatte eine sanfte Stimme, und sie war sehr glücklich.«

»Hat sie mich geliebt?«

»Mehr als du dir vorstellen kannst.«

Da weinte er wieder, aber diesmal war sein Weinen ruhiger, eher bedauernd als schmerzerfüllt.

Tante Pol hielt ihn fest in den Armen, bis er sich in den Schlaf geweint hatte.

Auf Faldors Farm gab es noch andere Kinder, was bei einer Gemeinschaft von etwa sechzig Menschen auch nur natürlich war. Die Älteren auf der Farm arbeiteten alle, aber es lebten noch drei andere Kinder in Garions Alter auf dem Gut. Diese drei wurden seine Spielkameraden und Freunde.

Der älteste Junge hieß Rundorig. Er war ein oder zwei Jahre älter als Garion und ein gutes Stück größer. Weil Rundorig das älteste der Kinder war, wäre er normalerweise ihr Anführer gewesen, aber er war ein Arendier und sein Verstand ein wenig langsam, und so gab er jedes Mal gutgelaunt den jüngeren nach. Das Königreich Sendarien war, im Gegensatz zu anderen Königreichen, von Angehörigen vieler verschiedener Völker bewohnt. Chereker, Algarier, Drasnier, Arendier und selbst eine beträchtliche Zahl Tolnedraner hatten sich unter die Sendarer gemischt. Arendier waren natürlich sehr tapfer, aber auch berüchtigt für ihr dickes Fell.

Garions zweiter Spielgefährte war Doroon, ein kleiner, flinker Junge, dessen Herkunft so gemischt war, dass man ihn nur einen Sendarer nennen konnte. Das Bemerkenswerteste an Doroon war, dass er immer rannte; er ging nie, wenn er auch laufen konnte. Wie seine Füße, schien auch sein Verstand niemals stillzustehen, desgleichen seine Zunge. Er redete ununterbrochen und sehr schnell, und er war immer aufgeregt.

Der unumstrittene Anführer der kleinen Vierergruppe war das Mädchen Zubrette, eine goldblonde Hexe, die Spiele erfand, sich Geschichten ausdachte und sie ihnen dann erzählte, die sie dazu anstiftete, Äpfel und Pflaumen aus Faldors Obstgarten zu stibitzen. Sie herrschte über sie wie eine kleine Königin, spielte den einen gegen den anderen aus und stachelte sie zu Kämpfen auf. Sie war recht herzlos, und jeder der Jungen hasste sie bisweilen, was nichts daran änderte, dass er hilfloser Sklave ihrer kleinsten Launen blieb.

Im Winter rutschten sie auf breiten Brettern den schneebedeckten Hügel hinter dem Farmhaus hinunter und kehrten durchnässt und voll Schnee, mit aufgesprungenen Händen und glühenden Wangen erst nach Hause zurück, wenn die rötlichen Abendschatten über den Schnee krochen. Oder wenn Durnik der Schmied das Eis für sicher erklärt hatte, glitten sie endlos über den gefrorenen Teich, der frostig glitzernd in dem kleinen Tal im Osten der Farmhäuser an der Straße nach Obergralt lag. Und wenn das Wetter zu kalt war oder wenn es gegen Frühling ging und Regen und warme Winde den Schnee in Matsch verwandelt und den Teich zu unsicher gemacht hatten, trafen sie sich im Heuschober und sprangen stundenlang vom Dachboden in das weiche Heu hinunter, wobei sich Strohhalme in ihrem Haar verfingen und Staub in ihre Nasen drang, der nach Sommer roch.

Im Frühling fingen sie Kaulquappen an den sumpfigen Teichrändern und kletterten auf Bäume, um verzückt die winzigen blauen Eier zu bestaunen, welche die Vögel in die aus Zweigen geflochtenen Nester hoch im Geäst gelegt hatten.

Natürlich war es Doroon, der an einem schönen Morgen vom Baum fiel und sich den Arm brach, nachdem Zubrette ihn in die höchsten Äste eines Baumes nahe am Teichufer gejagt hatte. Da Rundorig nur hilflos dastand und seinen verletzten Freund anstarrte und Zubrette sich aus dem Staub gemacht hatte, noch ehe Doroon am Boden aufschlug, fiel Garion die Aufgabe zu, die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Einen Augenblick lang überdachte er die Situation ernsthaft, und sein junges Gesicht war ganz angespannt unter der Fülle des sandfarbenen Haares. Der Arm war offensichtlich gebrochen, und Doroon, blass und verängstigt, biss sich auf die Lippen, um nicht zu weinen.

Aus dem Augenwinkel nahm Garion eine Bewegung wahr, und er blickte rasch auf. Nicht weit entfernt saß ein Mann in dunklem Umhang auf einem großen schwarzen Pferd und beobachtete ihn durchdringend. Als sich ihre Blicke kreuzten, fühlte Garion einen kurzen Schauer, und er wusste, dass er den Mann schon früher gesehen hatte – dass diese dunkle Gestalt tatsächlich am Rande seiner Fantasie gelauert hatte, solange er zurückdenken konnte, stets schweigend, aber immer beobachtend. In dieser schweigenden Prüfung lag eine Art kalter Abneigung, vermischt mit etwas, das fast, wenn auch nicht ganz, Furcht war. Dann wimmerte Doroon, und Garion drehte sich um.

Vorsichtig band er mit seinem Kordelgürtel den verletzten Arm auf Doroons Brust fest, dann halfen er und Rundorig dem Jungen auf die Füße.

»Er hätte uns wenigstens helfen können«, meinte Garion ärgerlich.

»Wer?«, fragte Rundorig und sah sich um.

Garion drehte sich um und wollte auf den Mann im dunklen Umhang zeigen, aber der Reiter war verschwunden.

»Ich habe niemanden gesehen«, sagte Rundorig.

»Es tut weh«, klagte Doroon.

»Hab keine Angst«, beruhigte ihn Garion. »Tante Pol wird es schon richten.«

Und so war es auch. Als die drei Jungen in der Küchentür erschienen, erfasste sie die Lage mit einem Blick. »Bringt ihn hier herüber«, bat sie die beiden mit nicht einmal erregter Stimme. Sie setzte den blassen und heftig zitternden Jungen auf einen Stuhl in der Nähe des Herdes und mischte einen Tee aus verschiedenen Kräutern, die sie aus den irdenen Töpfen auf einem hohen Regal hinten in einer ihrer Speisekammern nahm.

»Trink das«, wies sie Doroon an und reichte ihm einen dampfenden Becher.

»Macht das meinen Arm gesund?«, fragte Doroon und beäugte misstrauisch das übel riechende Gebräu.

»Trink es einfach«, befahl sie und legte einige Schienen und Leinenstreifen zurecht.

»Iiih! Schmeckt scheußlich«, sagte Doroon und zog ein Gesicht.

»Das soll es auch«, sagte sie. »Trink es aus.«

»Ich glaube nicht, dass ich noch mehr möchte«, meinte er.

»Na schön«, sagte sie. Sie schob die Schienen zurück und nahm ein langes, sehr scharfes Messer von einem Haken an der Wand.

»Was hast du vor?«, fragte er zittrig.

»Da du die Medizin nicht nehmen willst«, erklärte sie sachlich, »muss der Arm wohl ab.«

»Ab?«, quiekte Doroon mit hervorquellenden Augen.

»Am besten ungefähr da«, sagte sie und berührte mit der Messerspitze nachdenklich seinen Ellbogen.

Mit Tränen in den Augen stürzte Doroon den Rest der Flüssigkeit hinunter, und ein paar Minuten später war ihm der Kopf auf die Brust gesunken, während er noch auf dem Stuhl saß. Trotzdem schrie er einmal auf, als Tante Pol den gebrochenen Knochen richtete, aber nachdem der Arm geschient und verbunden war, döste er wieder ein. Tante Pol sprach kurz mit der erschrockenen Mutter des Jungen und ließ Durnik ihn dann ins Bett bringen.

»Du hättest ihm doch nicht wirklich den Arm abgeschnitten«, sagte Garion.

Tante Pol sah ihn an, ohne eine Miene zu verziehen. »Ach nein?«, meinte sie, und plötzlich war er sich nicht mehr so sicher. »Ich glaube, ich würde jetzt gern ein Wörtchen mit dem kleinen Fräulein Zubrette reden«, sagte sie dann.

»Sie ist weggelaufen, als Doroon vom Baum fiel«, sagte Garion.

»Hol sie her!«

»Sie versteckt sich«, protestierte Garion. »Sie versteckt sich immer, wenn etwas schiefgeht. Ich weiß nicht, wo ich sie suchen soll.«

»Garion«, sagte Tante Pol. »Ich habe dich nicht gefragt, ob du weißt, wo du sie suchen sollst. Ich habe dir aufgetragen, sie zu finden und zu mir zu bringen.«

»Und wenn sie nicht kommen will?«, versuchte er es noch einmal.

»Garion!« Eine schreckliche Bestimmtheit lag in Tante Pols Stimme. Garion floh.

»Ich hatte nichts damit zu tun«, log Zubrette, kaum dass Garion sie zu Tante Pol in die Küche gebracht hatte.

»Du«, sagte Tante Pol und deutete auf einen Hocker, »setz dich!«

Zubrette sank mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen auf den Hocker.

»Du«, sagte Tante Pol zu Garion und deutete auf die Küchentür, »raus!«

Garion suchte schleunigst das Weite.

Zehn Minuten später stolperte ein schluchzendes kleines Mädchen aus der Küche. Tante Pol stand auf der Schwelle und sah ihr nach mit Augen kalt wie Eis.

»Hast du sie verhauen?«, fragte Garion hoffnungsvoll.

Tante Pol warf ihm einen strengen Blick zu. »Natürlich nicht«, sagte sie. »Man verhaut keine kleinen Mädchen.«

»Ich hätte es getan«, meinte Garion enttäuscht. »Was hast du dann mit ihr gemacht?«

»Hast du nichts zu tun?«, fragte Tante Pol.

»Nein«, antwortete Garion, »eigentlich nicht.« Ein offensichtlicher Fehler.

»Na dann«, meinte Tante Pol und erwischte eines seiner Ohren. »Es wird Zeit, dass du dir dein Brot verdienst. In der Spülküche stehen schmutzige Töpfe. Ich möchte, dass du sie schrubbst.«

»Ich weiß nicht, warum du eigentlich mit mir böse bist«, beschwerte sich Garion. »Es war nicht meine Schuld, dass Doroon auf den Baum geklettert ist.«

»Die Spülküche, Garion«, sagte sie. »Sofort.«

Der Rest dieses Frühlings und der Frühsommer verliefen ruhig. Doroon konnte natürlich nicht spielen, solange sein Arm nicht verheilt war, und Zubrette war so erschüttert über das, was immer Tante Pol ihr gesagt hatte, dass sie die beiden Jungen mied. Garion blieb nur noch Rundorig zum Spielen, und Rundorig war nicht helle genug, als dass man viel Spaß mit ihm haben konnte. Da wirklich nichts anderes zu tun war, gingen die beiden Jungen oft auf die Felder, um den Arbeitern zuzuschauen und ihren Gesprächen zu lauschen.

In ebendiesem Sommer sprachen die Männer auf Faldors Farm über die Schlacht von Vo Mimbre, das umwälzendste Ereignis in der Geschichte des Westens.

Alles hatte im Jahre 4865 – nach der Zeitrechnung der Menschen in jenem Teil der Welt – begonnen, als große Scharen von Murgos und Nadrakern und Thulls von den Bergen der östlichen Steilhänge aus in Drasnien eingefallen waren, und nach ihnen in endlosen Wellen die unzählbaren Horden der Malloreaner.

Nachdem Drasnien überrannt worden war, wandten sich die Angarakaner nach Süden, in Richtung der weiten Steppen von Algarien, und belagerten die riesige Festung, die die Algarische Feste genannt wurde. Die Belagerung dauerte acht Jahre, bis Kal Torak schließlich verärgert aufgab. Erst als er seine Armee westwärts nach Ulgoland führte, bemerkten die anderen Königreiche, dass die Invasion der Angarakaner nicht nur gegen die Alorner, sondern gegen den gesamten Westen gerichtet war. Im Sommer 4875 war Kal Torak auf die arendische Ebene vor der Stadt Vo Mimbre herabgezogen, und dort erwarteten ihn die vereinten Armeen des Westens.

Die Sendarer, die an der Schlacht teilnahmen, waren Teil der Streitkräfte unter der Führung von Brand, dem Rivanischen Hüter. Diese Streitkräfte, die aus Rivanern, Sendarern und asturischen Arendiern bestanden, fielen den Angarakanern in den Rücken, nachdem ihre Linke von Algariern, Drasniern und Ulgonern, die Rechte von Tolnedranern und Cherekern und die Front durch die legendäre Attacke der Arendier aus Vo Mimbre angegriffen worden war. Stundenlang wütete die Schlacht, bis Brand und Kal Torak sich mitten auf dem Schlachtfeld zum Zweikampf trafen. Von diesem Duell hing der Ausgang der Schlacht ab.

Obwohl zwanzig Generationen seit dieser gigantischen Begegnung vergangen waren, war die Erinnerung daran bei den sendarischen Farmern, die auf Faldors Gut arbeiteten, noch immer so frisch, als wäre es erst gestern geschehen. Jeder Schlag wurde beschrieben, jede Finte, jede Parade. Im letzten Moment, als es schien, dass er unweigerlich überwältigt würde, hatte Brand die Hülle von seinem Schild entfernt, worauf Kal Torak momentan verwirrt seinen Schild gesenkt hatte und unverzüglich niedergestreckt wurde.

Für Rundorig reichte die Beschreibung der Schlacht aus, um sein arendisches Blut in Wallung zu bringen. Garion fand jedoch, dass die Geschichte gewisse Fragen unbeantwortet ließ.

»Warum war Brands Schild bedeckt?«, fragte er Cralto, einen der älteren Arbeiter.

Cralto zuckte die Schultern. »Er war es eben«, antwortete er. »Jeder, mit dem ich darüber gesprochen habe, stimmt dem bei.«

»War es ein magischer Schild?«, bohrte Garion weiter.

»Möglicherweise«, antwortete Cralto, »aber ich habe nie gehört, dass jemand das behauptete. Ich weiß nur, dass Brand seinen Schild enthüllte und Kal Torak den seinen senkte, und Brand sein Schwert in Kal Toraks Kopf bohrte – durch das Auge, wie man mir sagte.«

Garion schüttelte störrisch den Kopf. »Ich verstehe das nicht«, sagte er. »Wieso könnte so etwas Kal Torak erschreckt haben?«

»Kann ich nicht sagen«, meinte Cralto. »Ich habe nie gehört, wie jemand das erklärt hat.«

Trotz seiner Unzufriedenheit mit der Geschichte ging Garion bereitwillig auf Rundorigs Idee ein, das Duell nachzuspielen. Nach ein oder zwei Tagen des Posierens und Fechtens mit Stöcken – um Schwerter zu simulieren – entschied Garion, dass sie eine Ausrüstung brauchten, um ihr Spiel spannender zu gestalten. Zwei Kessel und zwei große Topfdeckel verschwanden auf geheimnisvolle Weise aus Tante Pols Küche, und Garion und Rundorig, jetzt angetan mit Helmen und Schilden, zogen sich an einen stillen Platz zurück, um sich zu bekriegen.

Alles lief prächtig, bis Rundorig, der älter, größer und stärker war, Garion einen klirrenden Hieb mit seinem hölzernen Schwert auf den Kopf versetzte. Der Rand des Kessels schnitt in Garions Stirn, und Blut begann zu fließen. Ein plötzliches Klingeln ertönte in Garions Ohren, und eine Art kochender Erregung wallte in seinen Adern auf, als er wieder auf die Füße kam.

Er wusste hinterher nicht mehr so recht, was geschehen war. Er hatte nur vage Erinnerungen daran, wie er Kal Torak Herausforderungen entgegenschleuderte, in Worten, die auf seine Lippen sprangen und die er selbst nicht verstand. Rundorigs vertrautes und etwas dummes Gesicht verschwand; an seine Stelle trat etwas grauenhaft Entstelltes und Hässliches. In wilder Wut schlug Garion wieder und wieder auf dieses Gesicht ein, während Feuer in seinem Kopf loderte.

Und dann war es vorbei. Rundorig lag zu seinen Füßen, bewusstlos geschlagen von der wütenden Attacke. Garion war entsetzt über das, was er getan hatte, aber gleichzeitig verspürte er den glühenden Geschmack des Sieges in seinem Mund.

Später in der Küche, wo alle Verletzungen auf der Farm behandelt wurden, versorgte Tante Pol ihre Wunden und gab nur die notwendigsten Kommentare ab. Rundorig schien nicht ernsthaft verletzt zu sein, obwohl sein Gesicht angeschwollen und an einigen Stellen purpurrot angelaufen war und er zuerst Schwierigkeiten hatte, die Augen geradeaus zu richten. Doch einige kühle Umschläge am Kopf und einer von Tante Pols Tränken stellten ihn rasch wieder her.

Der Schnitt auf Garions Stirn erforderte etwas mehr Aufmerksamkeit. Sie ließ Durnik den Jungen festhalten, nahm dann Nadel und Faden und nähte den Schnitt so ruhig, als würde sie einen Riss im Ärmel flicken. Derweil ignorierte sie das Geheul ihres kleinen Patienten. Alles in allem schien sie an den verbeulten Kesseln und den arg mitgenommenen Topfdeckeln mehr interessiert zu sein als an den Kriegsverletzungen der Jungen.

Als es vorbei war, hatte Garion Kopfschmerzen und wurde zu Bett gebracht.

»Wenigstens habe ich Kal Torak geschlagen«, erzählte er Tante Pol schläfrig.

Sie sah ihn scharf an. »Wo hast du von Torak gehört?«, wollte sie wissen.

»Er heißt Kal Torak, Tante Pol«, erklärte Garion geduldig.

»Antworte mir.«

»Die Arbeiter haben Geschichten erzählt – der alte Cralto und die anderen – von Brand und Vo Mimbre und Kal Torak und allem. Das haben Rundorig und ich gespielt. Ich war Brand, und er war Kal Torak. Ich kam allerdings nicht dazu, meinen Schild zu enthüllen. Rundorig schlug mich auf den Kopf, bevor wir so weit waren.«

»Ich möchte, dass du mir jetzt genau zuhörst, Garion«, sagte Tante Pol. »Du sollst nie wieder den Namen Torak aussprechen.«

»Er heißt Kal Torak, Tante Pol«, erklärte Garion wieder, »nicht einfach nur Torak.«

Daraufhin schlug sie ihn – was sie noch nie zuvor getan hatte. Der Schlag auf den Mund überraschte ihn mehr, als dass er schmerzte, da sie nicht sehr fest zugeschlagen hatte. »Du wirst den Namen Torak nie wieder aussprechen. Niemals!«, sagte sie. »Das ist wichtig, Garion. Deine Sicherheit hängt davon ab. Ich möchte, dass du mir das versprichst.«

»Du musst nicht gleich so wütend werden«, sagte er gekränkt.

»Versprich es.«

»Na schön, ich verspreche es. Es war ja nur ein Spiel.«

»Ein sehr dummes Spiel«, sagte Tante Pol. »Du hättest Rundorig töten können.«

»Und was ist mit mir?«, protestierte Garion.

»Du warst eigentlich nie in Gefahr«, erklärte sie. »Und jetzt schlaf.«

Als er unruhig eindöste, ganz schummerig im Kopf von seiner Verletzung und dem seltsamen bitteren Trank, den seine Tante ihm gegeben hatte, schien es, als hörte er ihre tiefe, volle Stimme sagen: »Garion, mein Garion, du bist noch zu jung.« Und später, als er aus tiefem Schlaf emportauchte, wie ein Fisch der silbrigen Oberfläche des Wassers zustrebt, kam es ihm vor, als hörte er ihren Ruf: »Vater, ich brauche dich.« Dann versank er wieder in unruhigen Schlaf, der heimgesucht wurde von der dunklen Gestalt eines Mannes auf einem schwarzen Pferd, die jede seiner Bewegungen mit kalter Feindseligkeit und etwas, das der Furcht sehr nahe kam, beobachtete. Hinter jener dunklen Gestalt lauerte, wie er immer schon gewusst, aber nie, nicht einmal Tante Pol, offen eingestanden hatte, das entstellte, hässliche Gesicht, das er in seinem Kampf mit Rundorig kurz gesehen oder sich eingebildet hatte: Es war düster, wie die grauenhafte Frucht eines unaussprechlich bösen Baumes.

KAPITEL 2

In dem endlosen Mittag von Garions Kindheit erschien nicht lange danach wieder einmal der Geschichtenerzähler am Tor von Faldors Farm. Der Geschichtenerzähler, der keinen richtigen Namen zu haben schien wie andere Menschen, war ein alter Mann von kompromisslos schäbigem Äußeren. Die Knie seiner Hose waren geflickt, und die nicht zusammenpassenden Schuhe hatten an den Zehen Löcher. Seine langärmelige, wollene Tunika wurde um den Bauch mit einem Stück Seil zusammengehalten, und seine Kapuze – ein seltsames Kleidungsstück, das in diesem Teil Sendariens normalerweise nicht getragen wurde und das Garion wegen der losen Schulterstücke, die Brust und Rücken bedeckten, recht gut gefiel – war voller Essensflecke. Nur sein Umhang schien ziemlich neu zu sein. Das weiße Haar des alten Geschichtenerzählers war kurz geschnitten, ebenso sein Bart. Sein Gesicht war ernst, von einer gewissen Kantigkeit, und seine Züge erlaubten keinerlei Rückschlüsse auf seine Abstammung. Er sah weder einem Arendier noch einem Chereker, einem Algarier noch einem Drasnier, einem Rivaner noch einem Tolnedraner ähnlich, sondern schien einem längst vergessenen Volk zu entstammen. Seine Augen waren tiefliegend und leuchtend blau, ewig jung und voller Übermut.

Der Geschichtenerzähler erschien von Zeit zu Zeit auf Faldors Farm, wo man ihn stets willkommen hieß. In Wahrheit war er ein heimatloser Vagabund, der sich mit Geschichtenerzählen durchs Leben schlug. Seine Geschichten waren nicht immer neu, aber eine eigenartige Magie lag in der Art, wie er sie erzählte. Seine Stimme konnte rollen wie Donner oder zu einem zephirgleichen Wispern herabsinken. Er konnte die Stimmen von einem Dutzend Männern gleichzeitig nachahmen oder pfeifen wie ein Vogel, sodass die Vögel selbst kamen, um zu hören, was er ihnen zu sagen hatte. Und wenn er das Geheul eines Wolfes nachahmte, ließ dieser Laut die Haare seiner Zuhörer zu Berge stehen, und Kälte machte sich in ihren Herzen breit wie in einem tiefen drasnischen Winter. Er war imstande, die Geräusche von Regen und Wind hervorzubringen und sogar auf wunderbare Weise den Klang fallenden Schnees. Seine Geschichten waren voller Laute, die sie zum Leben erweckten, und durch diese Laute und die Worte, mit denen er seine Geschichten wob, wurden der Anblick, der Geruch und sogar das Gefühl von seltsamen Zeiten und Orten für seine gebannten Zuhörer lebendig.

All diese Wunder gab er freigiebig im Austausch für einige Mahlzeiten, einige Krüge Bier und ein warmes Plätzchen im Heuschober, wo er schlafen konnte. Er durchstreifte die Welt, scheinbar so frei von Besitz wie ein Vogel.

Zwischen dem Geschichtenerzähler und Tante Pol schien es so etwas wie eine geheime Beziehung zu geben. Sie schnitt immer eine Grimasse bei seiner Ankunft, wohl wissend, dass die entlegensten Schätze ihrer Küche nicht sicher waren, solange er in der Nähe herumlungerte. Brotlaibe und Kuchen verschwanden auf geheimnisvolle Weise, wenn er zugegen war, und sein flinkes, immer bereites Messer konnte eine sorgfältig vorbereitete Gans hübsch ordentlich von einem Flügel befreien und mit drei geschickten Schnitten eine ansehnliche Scheibe Brustfleisch entfernen, wenn Pol ihm den Rücken zukehrte. Sie nannte ihn »Alter Wolf«, und sein Erscheinen am Tor von Faldors Farm markierte die Wiederaufnahme eines Wettstreits, der offensichtlich schon seit Jahren im Gange war. Er schmeichelte ihr überschwänglich, selbst noch während er sie bestahl. Bot man ihm Gebäck oder dunkles braunes Brot an, lehnte er höflich ab, nur um einen halben Teller voll zu stehlen, noch bevor die Platte aus seiner Reichweite war. Ihre Biervorräte und der Inhalt des Weinkellers hätten ihm bei seiner Ankunft geradeso gut einfach direkt überlassen werden können. Er schien seinen Spaß am Stehlen zu haben, und wenn sie ihn mit eisenhartem Blick beobachtete, fand er leicht ein Dutzend Verbündete, die bereit waren, für eine einzige Geschichte etwas aus ihrer Küche mitgehen zu lassen.

Zu seinen begabtesten Schülern zählte leider auch der Junge Garion. Oft geschah es, dass Tante Pol, an den Rand des Wahnsinns getrieben durch die Notwendigkeit, gleichzeitig einen alten Dieb und einen Grünschnabel im Auge zu behalten, sich mit einem Besen bewaffnete und sie mit harten Worten und heftigen Schlägen aus der Küche trieb. Der alte Geschichtenerzähler floh dann lachend mit dem Jungen an einen sicheren Ort, wo sie sich die Beute ihres Raubzugs schmecken ließen. Dort nahm der alte Mann hin und wieder einen Schluck aus einer gestohlenen Flasche Wein oder Bier und ergötzte seinen Schüler mit Geschichten aus der fernen Vergangenheit.

Die besten Geschichten wurden natürlich für den großen Speisesaal aufgespart, wenn der alte Mann, nachdem das Abendessen vorüber war und die Teller zurückgeschoben wurden, sich von seinem Platz erhob und seine Zuhörer in eine Welt der Zauberei und Wunder entführte.

»Erzähl uns von den Anfängen, mein alter Freund«, forderte Faldor ihn eines Abends auf, »und von den Göttern.«

»Von den Anfängen und von den Göttern«, sagte der alte Mann nachdenklich. »Ein lohnendes Thema, Faldor, wahrhaftig. Aber auch ein trockenes und staubiges.«

»Ich habe festgestellt, dass du alle Themen trocken und staubig findest, Alter Wolf«, sagte Tante Pol und ging zum Fass, um ihm einen Krug schäumenden Biers zu zapfen.

Er nahm den Krug mit einer würdevollen Verbeugung entgegen. »Eines der Wagnisse meines Berufes, Herrin«, erklärte er. Er nahm einen tiefen Zug und stellte dann den Krug beiseite. Gedankenverloren senkte er den Kopf, blickte wieder auf. Garion schien es, als würde er ihn kurz mustern. Und dann tat er etwas Seltsames, etwas, das er nie zuvor getan hatte, wenn er in Faldors Speisesaal Geschichten erzählte. Er zog seinen Umhang enger um sich und erhob sich zu voller Größe.

»Sehet«, sagte er mit mächtiger, klangvoller Stimme, »am Beginn aller Tage schufen die Götter die Welt und die Meere und auch das trockene Land. Und sie setzten die Sterne an den nächtlichen Himmel und die Sonne wie auch ihren Gefährten, den Mond, ans Firmament, und es ward Licht auf der Welt.

Und die Erde brachte die Tiere hervor, und das Wasser die Fische und die Lüfte die Vögel.

Und dann schufen die Götter die Menschen und unterteilten sie in Völker.

Und die Götter waren sieben an der Zahl, und sie waren alle gleich. Ihre Namen waren Belar, Chaldan, Nedra, Issa, Mara, Aldur und Torak.«

Garion kannte die Geschichte natürlich; jedermann in diesem Teil Sendariens war damit vertraut, denn die Geschichte war alornischen Ursprungs, und die angrenzenden Länder auf drei Seiten Sendariens waren alornische Königreiche. Aber obwohl ihm die Geschichte vertraut war, hatte er sie noch nie auf diese Weise vernommen. Seine Gedanken flogen empor, als die Götter in seiner Fantasie durch die Welt schritten, und ein Schauer überlief ihn jedes Mal, wenn der verbotene Name Torak fiel.

Er hörte gespannt zu, als der alte Geschichtenerzähler beschrieb, wie jeder Gott sich ein Volk auswählte – Belar die Alorner, Issa die Nyissaner, Chaldan die Arendier, Nedra die Tolnedraner, Mara die Marag, die nicht mehr sind, und Torak die Angarakaner. Und er hörte, wie der Gott Aldur abseits lebte und in seiner Einsamkeit die Sterne betrachtete und wie er einige Menschen als Schüler und Jünger akzeptierte.

Garion betrachtete die anderen Zuhörer. Ihre Gesichter waren gespannt vor Aufmerksamkeit. Durniks Augen waren weit aufgerissen, der alte Cralto hatte die Hände vor sich in den Tisch gekrallt. Faldors Gesicht war blass, Tränen standen in seinen Augen. Tante Pol hielt sich im hinteren Teil des Raumes auf. Obwohl es nicht kalt war, hatte auch sie ihren Umhang fester um sich gezogen und stand mit aufmerksamem Blick sehr aufrecht da.

»Und es begab sich«, fuhr der Geschichtenerzähler fort, »dass der Gott Aldur ein Juwel in Gestalt einer Kugel erschuf; und in dem Juwel war das Licht einiger Sterne gefangen, die am Nordhimmel glitzerten. Groß war der Zauber, der auf dem Juwel lag, welches die Menschen das Auge Aldurs nannten. Denn mit dem Auge konnte Aldur sehen, was gewesen war, was war und was sein würde.«

Garion merkte, dass er den Atem anhielt, denn er war jetzt völlig von der Geschichte gefangengenommen. Er hörte mit Staunen, wie Torak das Auge stahl und die anderen Götter gegen ihn Krieg führten. Torak gebrauchte das Auge, um die Erde zu spalten, worauf das Meer das trockene Land überflutete. Doch dann schlug das Auge zurück. Es wehrte sich gegen den Missbrauch, und die linke Seite von Toraks Gesicht zerschmolz, und seine linke Hand und das linke Auge wurden zerstört.

Der alte Mann hielt inne und leerte seinen Krug. Tante Pol, immer noch fest in ihren Umhang gehüllt, brachte ihm einen frischen. Ihre Bewegungen waren sehr würdevoll und gemessen, und ihre Augen brannten.

»So habe ich die Geschichte noch nie erzählt bekommen«, sagte Durnik leise.

»Es ist das Buch Alorn1. Es wird nur in Gegenwart von Königen erzählt«, antwortete Cralto ebenso leise. »Ich kannte einmal einen Mann, der die Geschichte einst am Hofe des Königs von Sendar gehört hat, und er erinnerte sich an Einzelheiten. Ich habe sie allerdings noch nie ganz gehört.«

Die Geschichte ging weiter, berichtete, wie Belgarath der Zauberer Cherek und seine drei Söhne zweitausend Jahre später anführte, um das Auge zurückzugewinnen, und wie die Länder des Westens besiedelt und gegen Toraks Horden geschützt wurden. Die Götter zogen sich von der Welt zurück, und Riva blieb als Hüter des Auges in seiner Festung auf der Insel der Stürme. Dort schmiedete er ein großes Schwert und setzte das Auge auf den Knauf. Solange das Auge dort blieb und Rivas Nachkommen auf dem Thron saßen, würde Torak sie nicht besiegen.

Dann sandte Belgarath seine Lieblingstochter nach Riva, damit sie die Mutter von Königen wurde, während die andere Tochter bei ihm blieb und seine Kunst erlernte, denn sie trug das Zeichen der Zauberer.

Die Stimme des alten Geschichtenerzählers war jetzt sehr leise, als sich die alte Sage dem Ende näherte. »Belgarath und seine Tochter, die Zauberin Polgara, setzten Magie ein, um gegen Toraks Kommen gewappnet zu sein. Und manche sagen, sie halten immer noch Wache, selbst bis ans Ende aller Tage, falls nötig; denn die Prophezeiung sagt, dass sich Torak der Entstellte eines Tages gegen die Königreiche des Westens erheben wird, um das Auge zurückzuerlangen, das er so teuer bezahlt hat. Dann wird eine Schlacht zwischen Torak und den Nachkommen des Hauses Riva entbrennen, und in dieser Schlacht wird sich das Schicksal der Welt entscheiden.«

Dann verstummte der alte Mann und ließ seinen Umhang zu Boden gleiten. Seine Geschichte war zu Ende.

Schweigen senkte sich über die Halle, unterbrochen nur von dem leisen Knacken des verlöschenden Feuers und dem endlosen Konzert der Frösche und Grillen draußen in der Sommernacht.