Der König der Murgos - David Eddings - E-Book

Der König der Murgos E-Book

David Eddings

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Beschreibung

Der große Klassiker der heroischen Fantasy – Band 2 der beliebten Malloreon-Saga.

Garion und seine Gefährten verfolgen die Entführerin seines Sohnes. Dabei erkennen sie, dass ihre Gegnerin weit mehr ist als eine einfache Zauberin. Sie ist das neue Kind der Finsternis. Garion hatte so gehofft, dass dieses Kapitel seines Lebens abgeschlossen wäre. Doch ihm bleibt keine Wahl. Als die Entführerin ins Land der feindlichen Murgos flieht, muss er ihr folgen. In der Hauptstadt von Murgo nimmt das Schicksal der Freunde eine überraschende Wendung – und sie kommen hinter das dunkle Geheimnis des Königs der Murgos!

Die Malloreon-Saga:
1. Die Herren des Westens
2. Der König der Murgos
3. Der Dämon von Karanda
4. Die Zauberin von Darshiva
5. Die Seherin von Kell
Die Malloreon-Saga ist eigenständig und ohne Kenntnis der Belgariad-Saga lesbar.

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Seitenzahl: 630

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Buch

Garion und seine Gefährten verfolgen die Entführerin seines Sohnes. Dabei erkennen sie, dass ihre Gegnerin weit mehr ist als eine einfache Zauberin. Sie ist das neue Kind der Finsternis. Garion hatte so gehofft, dass dieses Kapitel seines Lebens abgeschlossen wäre. Doch ihm bleibt keine Wahl. Als die Entführerin ins Land der feindlichen Murgos flieht, muss er ihr folgen. In der Hauptstadt von Murgo nimmt das Schicksal der Freunde eine überraschende Wendung – und sie kommen hinter das dunkle Geheimnis des Königs der Murgos!

Autor

David Eddings wurde 1931 in Spokane im US-Bundesstaat Washington geboren. Während seines Dienstes für die US-Streitkräfte erwarb er einen Bachelor of Arts und einige Jahre darauf einen Master of Arts an der University of Washington. Bevor er 1982 seinen ersten großen Roman, »Belgariad – Die Gefährten«, veröffentlichte, arbeitete er für den Flugzeughersteller Boeing. Den Höhepunkt seiner Autorenkarriere erreichte er, als der Abschlussband seiner Malloreon-Saga Platz 1 der »New York Times«-Bestsellerliste erreichte. Im Jahr 2009 starb er in Caron City, Nevada.

Die Belgariad-Saga:

1. Die Gefährten

2. Der Schütze

3. Der Blinde

4. Die Königin

5. Der Ewige

Die Malloreon-Saga:

1. Die Herren des Westens

2. Der König der Murgos

3. Der Dämon von Karanda

4. Die Zauberin von Darshiva

5. Die Seherin von Kell

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David Eddings

Malloreon

Der König der Murgos

Roman

Deutsch von Lore Strassl

Die Originalausgabe erschien 1988 unter dem Titel »King of the Murgos (Malloreon 2)« bei DelRey, New York.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Copyright der Originalausgabe © 1988 by David Eddings

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2022 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Copyright der deutschsprachigen Übersetzung by Lore Strassl, vermittelt durch Jörg Munsonius/Literaturagentur/Edition BärenklauRedaktion: Waltraud Horbas

Umschlaggestaltung: Isabelle Hirtz unter Verwendung einer Illustration von Riley Dannenbring

Karten: © Andreas Hancock

HK · Herstellung: sam

Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München

ISBN 978-3-641-27214-2V001

www.blanvalet.de

Karte 1

Karte 2

Prolog

Diese Niederschrift berichtet, wie Belgarions Sohn geraubt wurde und Belgarion erfuhr, dass es sich bei dem Entführer um ebenjenen Zandramas handelte, vor dem das mächtige Auge Aldurs ihn warnte.

Aus Das Leben Belgarions des Großen (Einleitung, Band IV)

Wie man sich erzählt, erschufen die Götter die Welt und belebten sie mit allerlei Tierwesen und Pflanzen. Auch den Menschen erschufen sie, und jeder Gott wählte unter den Geschlechtern ein Volk, das er leiten und über das er herrschen wollte. Gott Aldur jedoch erwählte keines. Er zog es vor, allein in seinem Turm zu leben und zu studieren, was er und seine Brüder erschaffen hatten.

Doch eines Tages kam ein hungriges Kind zu Aldurs Turm. Aldur nahm es bei sich auf und lehrte es den Willen und das Wort, durch die sich alle Macht auf eine Weise nutzen lässt, welche die Menschen Zauberei nennen. Und da der Junge vielversprechend schien, gab Aldur ihm den Namen Belgarath und machte ihn zu seinem Jünger. Im Lauf der Zeit kamen noch andere. Auch sie lehrte Aldur, und auch sie wurden seine Jünger. Unter diesen befand sich ein verkrüppeltes Kind, das Aldur Beldin nannte.

Eines Tages hob Aldur einen Stein auf. Er formte ihn und nannte ihn alsdann sein Auge. Dieser Stein war von jenseits der Sterne auf die Welt gefallen und barg gewaltige Macht; er war das Herz einer der zwei Bestimmungen, die einander seit dem Urbeginn aller Zeiten um die Herrschaft über die Schöpfung bekämpften.

Gott Torak aber neidete ihm den Stein und stahl ihn, denn die Finstere Bestimmung hatte sich seiner Seele für ihre Zwecke bemächtigt. Da taten sich die Männer von Alorn mit Belgarath zusammen, woraufhin dieser Cherek Bärenschulter und seine drei Söhne in den fernen Osten führte, wo Torak Cthol Mishrak erbaut hatte, die Stadt der Ewigen Nacht. Durch List brachten sie das Auge in ihren Besitz und trugen es zurück.

Nach dem Rat der Götter teilte Belgarath Alorn in vier Königreiche auf, die er nach seinen Begleitern nannte: Cherek, Drasnien, Algarien und Riva. Riva Eisenfaust, dem Herrscher über die Insel der Stürme, gab er das Auge zur Verwahrung, und Riva brachte es als Knauf an dem mächtigen Schwert an, das hinter seinem Thron an der Wand des Thronsaals der Rivanischen Könige hing.

Ein schlimmer Schicksalsschlag erwartete Belgarath, als er nach Hause zurückkehrte. Seine geliebte Frau Poledra war aus der Welt der Lebenden geschieden, nachdem sie ihm Zwillingstöchter geboren hatte. Als die beiden das heiratsfähige Alter erreichten, schickte Belgarath die blonde Beldaran zu Riva Eisenfaust, damit sie als seine Gemahlin mit ihm das Geschlecht der Könige von Riva gründe. Seine andere Tochter, Polgara, behielt er bei sich; denn ihr dunkles Haar wies eine weiße Strähne auf – das Zeichen der Zauberin.

Durch die Macht des Auges beschützt, lebten die Bewohner des Westens Tausende von Jahren in Frieden. Doch eines schlimmen Tages fanden König Gorek von Riva sowie seine Söhne und deren Söhne den Tod durch die Hand von Meuchlern. Ein Kind aber entging ihm und wurde von da an heimlich unter Belgaraths und Polgaras Fittichen aufgezogen. Auf der Insel übernahm Brand, der Rivanische Hüter, die Regentschaft und den Schutz des Auges, und nach ihm seine Söhne und deren Söhne, die alle Brand genannt wurden.

Der Tag kam, da Zedar der Apostat ein Kindlein von solcher Unschuld fand, dass es imstande war, das Auge Aldurs zu berühren, ohne von seinem Feuer verzehrt zu werden. So stahl Zedar das Auge und floh damit zu jenem Ort, wo Torak, sein gefürchteter Herr, in seinem Versteck harrte.

Als Belgarath dies erfuhr, begab er sich zu dem friedlichen Hof in Sendarien, wo Polgara den Jungen namens Garion großzog, den einzigen Überlebenden des Geschlechtes der Riva. Mit dem Jungen machten sie sich auf die Suche nach dem Auge. Nach vielen gefährlichen Abenteuern fanden sie das Kind, das sie »Botschaft« nannten. Mit dem Knaben Botschaft, der es trug, brachten sie das Auge an seinen Platz am Schwert zurück.

Dann erfuhr Garion, seiner Zauberkräfte wegen jetzt auch Belgarion genannt, von der Prophezeiung, die verkündete, dass die Zeit gekommen sei, da er, als das Kind des Lichtes, sich dem finsteren Gott Torak stellen müsse, um ihn zu töten oder von ihm getötet zu werden. So machte er sich auf den Weg gen Osten zur Stadt der Ewigen Nacht und seinem Schicksal. Mit Hilfe des mächtigen Schwertes, dessen Knauf das Auge Aldurs war, tötete er den Gott.

Nunmehr wurde Belgarion, Abkömmling von Riva Eisenfaust, zum König von Riva und Kaiser des Westens gekrönt. Zur Gemahlin nahm er die tolnedrische Prinzessin Ce’Nedra, und Polgara vermählte sich mit Durnik dem Schmied, den die Götter ins Leben zurückgerufen und dem sie Zauberkräfte geschenkt hatten, damit er ihnen ebenbürtig sei. Mit Belgarath brachen sie und Durnik zum Aldurtal in Algarien auf, wo sie beabsichtigten, das seltsame, sanfte Kind aufzuziehen, das man Botschaft nannte.

Die Jahre vergingen. Belgarion lernte, seiner jungen Frau Gemahl zu sein sowie die Kräfte der Zauberei und die Macht seines Thrones zu beherrschen. Frieden ward dem Westen vergönnt, doch nicht dem Süden. Dort führte Kal Zakath, der Kaiser der Malloreaner, Krieg gegen den König der Murgos. Und Belgarath, der von einer Reise nach Mallorea heimkehrte, berichtete, dass dort von den finsteren Kräften eines Steines gemunkelt wurde, den man den Sardion nannte. Doch er wusste nur, dass dieser Stein Furcht verbreitete, nicht mehr.

Eines Nachts, da sich der Junge Botschaft zu Besuch in der Zitadelle von Riva aufhielt, wurden er und Belgarion von der Stimme der Prophezeiung in ihrem Kopf geweckt und aufgefordert, sich zum Thronsaal zu begeben. Dort glühte das blaue Auge am Schwert plötzlich in einem zornigen Rot und sprach: ›Hütet euch vor Zandramas!‹ Doch niemand wusste, wer oder was Zandramas war.

Endlich, nachdem sie bereits Jahre verheiratet waren, erwartete Ce’Nedra ein Kind. Die fanatischen Anhänger des Bärenkults aber waren der Meinung, dass keine Tolnedrerin Königin sein dürfe und sie abgesetzt werden müsse, um einer vom wahren Blut der Alorner Platz zu machen.

Als die Königin schwanger war, wurde im Bade ein Anschlag auf sie verübt, und fast wäre sie ertrunken. Die Meuchlerin floh zum Turm der Zitadelle und sprang in den Tod. Fürst Kheldar, der auch als »Silk« bekannte drasnische Abenteurer, erkannte anhand der Kleidung der Toten, dass es sich um eine Anhängerin des Bärenkults handeln müsse. Trotz seines Zorns erklärte Belgarion dem Kult noch nicht den Krieg.

Ce’Nedra gebar einen gesunden Thronerben, und groß war die Freude in allen Ländern der Alorner und auch außerhalb. Die Könige und andere hohe Persönlichkeiten fanden sich in Riva ein, um diese Geburt zu feiern.

Als sie wieder aufgebrochen waren und Ruhe einkehrte in der Zitadelle, nahm Belgarion sein Studium des Mrin-Kodex mit seinen alten Prophezeiungen wieder auf. Ein eigenartiger Klecks machte ihm lange schon zu schaffen, doch schließlich gelang es ihm, ihn im Licht des Auges zu deuten. So erfuhr er, dass die Dunkle Prophezeiung und seine Pflicht als Kind des Lichtes nicht mit dem Tod Toraks geendet hatten. Das neue Kind der Finsternis war nun Zandramas, dem er sich, wenn die Zeit gekommen war, »an dem Ort, der nicht mehr ist«, stellen musste.

Sein Herz war schwer, als er zu seinem Großvater Belgarath im Aldurtal eilte, um sich mit ihm zu beraten. Noch während er mit dem Zauberer sprach, erhielt er die Nachricht, dass der getreue Rivanische Hüter Brand gemeuchelt worden war.

Mit Belgarath und seiner Tante Polgara eilte Belgarion zurück nach Riva, wo nur einer der Meuchler überlebt hatte, doch sein Leben hing an einem seidenen Faden. Fürst Kheldar erkannte den Bewusstlosen als Anhänger des Bärenkults. Neue Kunde erreichte Riva, dass der Kult Streitkräfte im drasnischen Rheon sammle und bei Jarviksholm, an der cherekischen Küste, eine Flotte baue.

Alsbald erklärte König Belgarion dem Bärenkult den Krieg. Er befolgte den Rat eines anderen alornischen Monarchen und ging zunächst gegen die Werften von Jarviksholm vor, um es gar nicht erst zu einer Bedrohung durch feindliche Schiffe im Meer der Stürme kommen zu lassen. Jarviksholm konnte im Sturmangriff genommen werden, und die Schiffe auf den Werften wurden zerstört, noch ehe ein einziges vom Stapel gelaufen war.

Doch der Nachgeschmack des Sieges war bitter, als ein Kurier von Riva meldete, der Thronfolger sei aus der Wiege entführt worden.

Belgarion, Belgarath und Polgara verwandelten sich in Vögel und flogen sogleich nach Riva. Die Stadt war bereits erfolglos Haus um Haus durchsucht worden, aber mit Hilfe des Auges konnten Belgarion und einige Gefährten die Spur der Entführer bis zur Westküste zurückverfolgen. Dort entdeckten sie eine Schar cherekischer Kultisten und überraschten sie. Den einzigen Überlebenden brachte Polgara zum Sprechen. Er erklärte, das Kind sei auf Befehl Ulfgars entführt worden, des Bärenkultführers, der sein Hauptquartier in Rheon, in Ostdrasnien, hatte. Ehe Polgara noch mehr von ihm zu erfahren vermochte, sprang der Kultist von der Klippe, auf der sie sich befanden, in den Tod.

Nunmehr zogen sie gen Rheon. Belgarions Truppen sahen sich einem zahlenmäßig überlegenen Feind und einem Hinterhalt auf dem Weg zur Stadt gegenüber, den sie nicht überlebt hätten, wäre ihnen nicht unverhofft Fürst Kheldar mit einem Trupp nadrakischer Söldner zu Hilfe gekommen. Verstärkt durch die Nadraker belagerten die Rivaner die Stadt Rheon.

Belgarion und Durnik vereinten ihre Willenskräfte, um die Stadtmauer zu schwächen, bis die Belagerungsmaschinen von Baron Mandorallen sie zum Einsturz bringen konnten. Von Belgarion angeführt, drangen Rivaner und Nadraker in die Stadt. Eine gewaltige Schlacht tobte, und schließlich konnten die Kultisten zurückgedrängt werden; die meisten fielen. Zu guter Letzt nahmen Belgarion und Durnik den Kultführer Ulfgar gefangen.

Zwar hatte Belgarion bereits erfahren, dass sich sein Sohn nicht in der Stadt befand, aber er hoffte, durch Befragung Ulfgars seinen Aufenthaltsort herauszufinden. Der Kultführer weigerte sich hartnäckig zu antworten, doch überraschenderweise las Botschaft die Auskunft in seinen Gedanken.

Er erzählte ihnen, dass Ulfgar zwar für den Anschlag auf Ce’Nedra verantwortlich gewesen war, doch nichts mit der Entführung des Kindes zu tun hatte. Er hatte den Tod von Belgarions Sohn angestrebt, möglichst schon vor dessen Geburt. Von der Entführung wusste er nichts, und sie hätte ihm gar nicht ungelegener kommen können.

Alsbald gesellte sich Beldin zu ihnen. Er erkannte Ulfgar als Harakan, Knecht Urvons, des Letzten noch lebenden Jüngers Toraks. Urplötzlich, durch Zauberhand, verschwand Harakan, und Beldin machte sich auf die Suche nach ihm.

Boten trafen aus Riva ein. Nach Belgarions Abreise hatten Ermittlungen dort ergeben, dass ein Schäfer aus den Bergen gesehen hatte, wie jemand mit einem Säugling sich an Bord eines nyissanischen Schiffes begeben hatte, das sogleich südwärts gesegelt war.

Kurz darauf entsandte Cyradis, eine Seherin von Kell, ihr Abbild, um ihnen Näheres mitzuteilen. Das Kind, so behauptete sie, sei von Zandramas entführt worden, und Zandramas habe sich einer Täuschung bedient, um alle glauben zu machen, Harakan sei der Schuldige, so dass selbst die absichtlich auf der Insel zurückgelassenen Kultanhänger von dem Geständnis überzeugt gewesen waren, das Polgara dem letzten Überlebenden entlockt hatte.

Ohne Zweifel habe das Kind der Finsternis den Säugling aus einem ganz bestimmten Grund entführt, sagte Cyradis. Dieser Grund hänge mit dem Sardion zusammen, und sie müssten sich nun auf die Suche nach Zandramas machen. Mehr wollte sie nicht sagen; sie tat nur noch kund, wer Belgarion zu begleiten hatte. Dann ließ sie ihren hünenhaften, stummen Begleiter Toth zurück, der sich der Gruppe anschließen sollte, und verschwand.

Belgarions Herz wurde noch schwerer, als ihm bewusst ward, dass der Entführer seines Sohnes einen großen zeitlichen Vorsprung hatte und seine Fährte nur noch schwer aufzuspüren sein würde. Doch grimmig scharte er seine Gefährten um sich, um Zandramas zu verfolgen – bis ans Ende der Welt und, wenn es sein musste, auch darüber hinaus.

Erster Teil

DIESCHLANGENKÖNIGIN

1

Garion hörte, wie irgendwo in der Dunkelheit Wasser mit langsamer, eintöniger Regelmäßigkeit tropfte. Die Luft war kühl, sie roch nach Gestein und Feuchtigkeit und hatte einen Beigeschmack von Moder, der an fahlweiße Geschöpfe denken ließ, lichtscheue Geschöpfe, die der Dunkelheit entsprangen. Angespannt lauschte er, damit ihm keines der zahllosen Geräusche in diesen Höhlen des Ulgolands entging – das Tröpfeln von Wasser, das gemächliche Rollen von Steinchen über eine Schräge und das traurige Seufzen von Luft, die durch winzige Risse im Gestein herabdrang.

Belgarath hielt an und hob die rauchende Fackel, deren Schein den Gang mit flackerndem, orangefarbenem Licht und tanzenden Schatten erfüllte.

»Wartet einen Augenblick hier«, wies er die anderen an. Mit seinen ausgetretenen, ungleichen Stiefeln schlurfte er über den unebenen Boden des düsteren Gangs. Die anderen blieben stehen, und Dunkelheit begann sie einzuhüllen.

»Ich hasse das«, brummte Silk, während sie warteten.

Dann erschien das rötliche Flackern von Belgaraths Fackel wieder. »In Ordnung«, rief der Alte. »Kommt! Hier geht es weiter!«

Garion legte den Arm um Ce’Nedras schmale Schultern. Auf dem Ritt südwärts von Rheon war sie sehr schweigsam geworden, nachdem offenkundig geworden war, dass sie mit ihrem Feldzug gegen den Bärenkult in Ostdrasien wenig mehr erreicht hatten, als Zandramas einen schier unaufholbaren Vorsprung mit dem entführten Geran zu verschaffen. Die ohnmächtige Wut, die Garion dazu drängte, mit den Fäusten auf die Felsen einzuschlagen und laut loszubrüllen – auch wenn er sich beherrschte und es nicht tat – , hatte auf Ce’Nedra eine andere Wirkung: Sie hatte sie in tiefste Verzweiflung gestürzt. Und nun stolperte sie in stummem Elend durch die dunklen Höhlen von Ulgoland, ohne zu wissen, wohin die anderen sie führten, und ohne es wissen zu wollen. Er wandte sich zu Polgara um, und seine große Besorgnis stand ihm ins Gesicht geschrieben. Ihr Blick dagegen war ernst, doch nicht beunruhigt. Sie öffnete ihren blauen Umhang, damit er ihre Hände sehen konnte, die sich in den kaum merklichen Gesten der drasnischen Geheimsprache bewegten. Sorg dafür, dass sie nicht friert – sagte sie. Sie ist augenblicklich sehr kälteempfindlich.

Viele Fragen gingen Garion durch den Kopf, doch mit dem Arm um Ce’Nedras Schultern und ihrer unmittelbaren Nähe hatte er keine Möglichkeit, sie zu äußern.

Es ist sehr wichtig, dass du ruhig bleibst, Garion – mahnten ihn Polgaras Finger. Sie darf nicht wissen, welche Sorgen du dir ihretwegen machst. Ich beobachte sie und werde im rechten Augenblick wissen, was zu tun ist.

Wieder blieb Belgarath stehen. Er zupfte an seinem Ohrläppchen und spähte zweifelnd in einen dunklen Gang, dann in einen anderen, der links abzweigte.

»Hast du dich schon wieder verirrt?«, fragte Silk entnervt. Der rattengesichtige kleine Drasnier hatte sein perlgraues Samtwams, sein Edelsteingeschmeide und die Goldketten abgelegt und trug nun einen braunen Kittel, speckig vom Alter, dazu einen mottenzerfressenen Pelzumhang und einen formlosen, schäbigen Hut – eine seiner zahlreichen Verkleidungen.

»Ich habe mich keineswegs verirrt«, entrüstete sich Belgarath. »Ich habe lediglich noch nicht genau festgestellt, wo wir uns im Augenblick befinden.«

»Belgarath, genau das versteht man unter verirrt!«

»Unsinn. Ich glaube, wir sollten diesen Weg nehmen.« Er deutete in den linken Gang.

»Du glaubst?«

»Ähm, Silk«, mahnte Durnik der Schmied leise. »Du solltest wirklich die Stimme dämpfen. Die Decke über unseren Köpfen scheint mir nicht sonderlich fest zu sein, und manchmal genügt ein lauter Ton, um eine zum Einsturz zu bringen.«

Silk erstarrte. Nervös blickte er nach oben, und Schweißperlen sammelten sich auf seiner Stirn.

»Polgara«, flüsterte er gequält, »sag ihm, er soll damit aufhören.«

»Lass ihn in Ruhe, Durnik«, wandte die Angesprochene sich ruhig an ihren Mann. »Du weißt, wie ihm Höhlen zu schaffen machen.«

»Ich finde nur, er sollte es wissen, Pol«, entgegnete der Schmied. »In Höhlen kann tatsächlich allerhand passieren.«

»Polgara!«, krächzte Silk. »Bitte!«

»Ich werde zurückgehen und nachsehen, wie es Botschaft und Toth mit den Pferden ergeht«, versprach Durnik. Er blickte den schwitzenden Drasnier an. »Und auf keinen Fall schreien«, riet er ihm noch im Gehen.

Als sie um eine Ecke des gewundenen Gangs bogen, kamen sie in einen großen Höhlenraum, dessen Decke eine breite Quarzader durchzog. An einer Stelle, weit entfernt, führte die Ader zur Oberfläche. Dort spiegelte sich die Sonne in ihr und warf tanzende Regenbogen auf das Wasser eines kleinen, seichten Sees in der Mitte der Höhle. Am jenseitigen Seeufer plätscherte ein winziger Wasserfall endlos von Stein zu Stein und füllte die Höhle mit seiner Musik.

»Ce’Nedra, schau!«, rief Garion.

»Was?« Sie hob den Kopf. »Oh ja«, murmelte sie gleichgültig. »Sehr hübsch.« Und wieder verfiel sie in ihr geistesabwesendes Schweigen.

Garion blickte Polgara hilflos an.

»Vater«, sagte sie da. »Es dürfte Mittag sein. Hier wäre ein hübsches Fleckchen für eine kurze Rast, und eine kleine Stärkung würde uns auch nicht schaden.«

»Pol, wir kommen nie an, wenn wir ständig haltmachen.«

»Warum musst du mir immer widersprechen, Vater? Aus irgendeinem rätselhaften Prinzip?«

Er funkelte sie kurz an, dann wandte er sich brummelnd ab.

Botschaft und Toth führten die Pferde zu dem kristallklaren See, um sie zu tränken. Die zwei waren ein sehr ungleiches Paar: Botschaft ein schmächtiger Junge mit blondem Lockenhaar; Toth ein Hüne, der ihn überragte wie ein Mammutbaum einen Schössling. Obgleich der Winter in den westlichen Reichen bevorstand, trug Toth nur Sandalen, einen kurzen Rock mit Gürtel und eine ungebleichte Wolldecke, die er über die Schultern gezogen hatte. Seine bloßen Arme und Beine waren wie Baumstämme, und seine Muskeln spielten bei jeder Bewegung. Er hatte sein braunes Haar straff zurückgekämmt und hielt es im Nacken mit einer kurzen Lederkordel zusammen. Die blinde Cyradis hatte ihnen gesagt, dass dieser stumme Riese ihnen bei der Suche nach Zandramas und Garions entführtem Sohn von großem Nutzen sein würde, doch bisher war Toth ihnen nur gleichmütig gefolgt, und es sah nicht so aus, als interessiere es ihn, wohin die Reise ging.

»Würdest du mir bitte helfen, Ce’Nedra?«, fragte Polgara freundlich. Sie machte sich daran, die Gurte eines Sattelbeutels zu öffnen.

Ausdruckslos schlurfte Ce’Nedra über den glatten Felsboden der Höhle, bis sie stumm vor einem der Lasttiere anhielt.

»Wir brauchen Brot«, murmelte Polgara. Sie kramte in dem Beutel, als bemerke sie die Geistesabwesenheit der jungen Frau nicht. Sie brachte mehrere Kanten dunkles Roggenbrot zum Vorschein und stapelte sie wie Brennholzscheite in den Armen der zierlichen Königin. »Und Käse, natürlich«, fügte sie hinzu, als sie eine in Wachs gehüllte Kugel sendarischen Käse herauskramte. Sie schürzte nachdenklich die Lippen. »Vielleicht auch ein Stück Schinken, was meinst du?«

»Warum nicht«, murmelte Ce’Nedra ausdruckslos.

»Garion«, bat Polgara, »könntest du dieses Tuch über den flachen Stein dort breiten?« Sie blickte zu Ce’Nedra zurück. »Ich hasse es, von einem ungedeckten Tisch zu essen, du auch?«

»Mhm«, antwortete Ce’Nedra nur.

Die beiden trugen Brot, Käse und Schinken zu dem behelfsmäßigen Tisch. Da schnippte Polgara mit den Fingern und schüttelte den Kopf. »Ich habe das Messer vergessen. Würdest du es bitte holen?«

Ce’Nedra nickte und ging zu den Tragtieren zurück.

»Was fehlt ihr, Tante Pol?«, flüsterte Garion angespannt.

»Es ist eine Art von Schwermut, mein Schatz.«

»Ist es gefährlich?«

»Wenn es zu lange anhält, ja.«

»Kannst du etwas dagegen tun? Ich meine, könntest du ihr eine Arznei dagegen geben?«

»Das würde ich lieber nicht, außer es muss sein, Garion. Manchmal verschleiert Medizin nur die Symptome, und andere Probleme ergeben sich. Meistens ist es das Beste, den Dingen ihren natürlichen Lauf zu lassen.«

»Tante Pol, ich halte es nicht aus, sie so zu sehen.«

»Das wirst du aber eine Weile müssen, Garion. Tu du so, als würde dir an ihrem Benehmen nichts Ungewöhnliches auffallen. Sie ist noch nicht so weit, dass sie es ändern könnte.«

Mit einem warmen Lächeln drehte sie sich um und nahm Ce’Nedra das Messer ab. »Danke, Liebes.«

Alle setzten sich zu dem einfachen Mittagessen an Polgaras behelfsmäßigen Tisch. Während er kaute, blickte Durnik nachdenklich auf den kleinen See. »Ob es hier wohl Fische gibt?«, murmelte er.

»Nein, mein Herz«, antwortete Polgara.

»Es wäre aber doch möglich, Pol. Wenn der See Zufluss von der Oberfläche hat, könnten Larven mit heruntergespült worden sein und sich hier entwickelt haben …«

»Nein, Durnik.«

Er seufzte.

Nach dem Essen kehrten sie in das endlose Labyrinth gewundener Gänge zurück, und wieder folgten sie Belgaraths flackernder Fackel.

Die Stunden schienen nicht vergehen zu wollen, während sie sich Meile um Meile weiterschleppten und die Dunkelheit fast spürbar auf sie drückte.

»Wie weit ist es denn noch, Großvater?« Garion hatte ihn eingeholt und stapfte neben ihm her.

»Schwer zu sagen. Entfernungen können in den Höhlen trügerisch sein.«

»Kannst du denn gar nicht sagen, weshalb wir überhaupt hierherkommen mussten? Steht vielleicht etwas im Mrin-Kodex – oder in der Darin-Schrift – , dass hier im Ulgoland etwas geschehen wird?«

»Nicht dass ich wüsste.«

»Du glaubst nicht, dass wir es vielleicht missverstanden haben?«

»Unser Freund hat sich ziemlich klar ausgedrückt, Garion: Wir müssen auf dem Weg in den Süden in Prolgu Rast machen, denn etwas, das geschehen muss, wird hier geschehen.«

»Kann es denn nicht ohne uns geschehen?«, fragte Garion heftig. »Wir plagen uns hier durch diese Höhlen, während Zandramas sich mit meinem Sohn immer weiter entfernt.«

»Was ist das?«, fragte Botschaft plötzlich irgendwo hinter ihnen. »Mir war, als hätte ich etwas gehört.«

Sie hielten an, um zu lauschen. Das Knistern von Belgaraths Fackel klang plötzlich erschreckend laut, während Belgarion sich bemühte, in der Finsternis irgendwelche ungewöhnlichen Laute zu vernehmen. Da war das Tröpfeln irgendwo in der Dunkelheit und das Seufzen der durch Risse eindringenden Luft.

Doch ganz schwach vernahm Garion schließlich singende Stimmen, die zu dem merkwürdig diskordanten, aber ehrfürchtigen Lobgesang auf UL erklangen, wie er schon seit über fünf Jahrtausenden in diesen dunklen Höhlen widerhallte.

»Ah, die Ulgoner!«, rief Belgarath befriedigt. »Wir sind schon fast in Prolgu. Jetzt werden wir vielleicht bald herausfinden, was hier geschehen soll.«

Sie stapften noch etwa eine Meile weiter, während der Gang steiler wurde und sie immer tiefer brachte.

»Yakk!«, erschallte eine Stimme von irgendwoher scharf. »Tacha velk?«

»Belgarath, Iyun hak«, antwortete der alte Zauberer ruhig.

»Belgarath?« Die Stimme klang erstaunt. »Zajek kallig, Belgarath?«

»Marekeg Gorim, Iyun zajek.«

»Veed mo. Mar ishum Ulgo.«

Belgarath löschte seine Fackel, als der ulgonische Wächter sich mit einer phosphoreszierend glühenden Holzschale näherte, die er hochhielt.

»Yad ha, Belgarath. Groja UL.«

»Yad ho«, erwiderte der alte Mann den rituellen Gruß. »Groja UL.«

Der gedrungene, breitschultrige Ulgoner verbeugte sich knapp, dann drehte er sich um und führte sie den düsteren Gang entlang. Das grünliche, gleichmäßige Glühen in seiner Holzschale warf einen gespenstischen Schein und verlieh ihren Gesichtern eine fahle Blässe. Nach ungefähr einer weiteren Meile öffnete sich der Gang zu einer der riesigen Höhlen, in denen das seltsame, kalte Licht der Ulgoner aus unzähligen Öffnungen hoch oben in der Felswand drang. Vorsichtig gingen sie einen schmalen Sims entlang zum Fuß einer Treppe, die aus dem Gestein der Höhle gehauen war.

Ihr Führer sagte etwas zu Belgarath.

»Wir müssen die Pferde hierlassen«, erklärte der alte Mann.

»Ich kann bei ihnen bleiben«, erbot sich Durnik.

»Nein, die Ulgoner kümmern sich um sie. Wir steigen alle hoch.« Er machte sich daran, die steilen Stufen zu erklimmen.

Schweigend folgten sie ihm, und das Echo ihrer Schritte hallte hohl von der gegenüberliegenden Höhlenwand.

»Bitte lehne dich nicht so weit über den Rand, Botschaft«, mahnte Polgara.

»Ich wollte nur sehen, wie weit es da runtergeht«, antwortete er. »Hast du gewusst, dass dort unten Wasser ist?«

»Das ist einer der Gründe, weshalb es mir lieber ist, wenn du nicht so nahe am Rand hochsteigst.«

Er lächelte ihr beruhigend zu und ging weiter.

Oben angekommen, folgten sie dem Rand des düsteren unterirdischen Abgrunds mehrere hundert Meter, bis sie eine der Galerien erreichten, wo die Ulgoner in kleinen, aus dem Fels gehauenen Räumen lebten und arbeiteten. Jenseits dieser Galerie lag die sanft erhellte Höhle des Gorims mit ihrem See und der Insel und dem seltsamen, pyramidenförmigen Haus, das von weißen Säulen umgeben war. Am Ende des marmornen Dammwegs, der über den See führte, stand der Gorim der Ulgoner, wie üblich im weißen Gewand, und spähte über das Wasser.

»Belgarath«, rief er mit zittriger Stimme, »bist du es?«

»Ja, Heiliger«, antwortete der Alte. »Du hast gewiss schon geahnt, dass ich wiederkommen würde.«

»Willkommen, alter Freund.«

Belgarath trat auf den Dammweg, da schoss Ce’Nedra mit fliegenden Locken an ihm vorbei und rannte mit ausgestreckten Armen auf den Gorim zu.

»Ce’Nedra?« Er blinzelte, als sie die Arme um seinen Hals schlang.

»Oh, heiliger Gorim.« Schluchzend vergrub sie das Gesicht an seiner Schulter. »Jemand hat mein Baby geraubt!«

»Was sagst du da?«

Garion wollte zu Ce’Nedra eilen, doch Polgara hielt ihn zurück. »Noch nicht.«

»Aber …«

»Dies ist vielleicht genau das, was sie braucht, Garion.«

»Aber Tante Pol, sie weint!«

»Ja, mein Liebling. Darauf habe ich gewartet. Sie muss sich ihren Kummer von der Seele weinen, ehe sie wieder zu sich finden kann.«

Der Gorim hielt die schluchzende kleine Königin in den Armen und murmelte beruhigend auf sie ein. Nachdem sie sich ein wenig gefasst hatte, fragte er: »Wann ist es passiert?«

»Im Spätsommer«, antwortete Belgarath. »Es ist eine sehr verwickelte Geschichte.«

»Kommt erst einmal alle herein«, lud der Gorim sie ein. »Meine Diener werden ein Mahl für euch bringen, und wir unterhalten uns, während ihr esst.«

Sie traten in das pyramidenförmige Haus auf des Gorims Insel und in den großen mittleren Raum mit den Steinbänken und einem langen Steintisch, den glühenden Kristalllampen, die an Ketten von den Decken hingen, und ihren seltsamen, sich nach innen neigenden Wänden. Der Gorim sprach kurz mit einem seiner stummen Diener, dann drehte er sich um, den Arm immer noch um Ce’Nedras Schultern gelegt. »Setzt euch, meine Freunde.«

Als sie an dem Steintisch Platz genommen hatten, brachte ein Diener ein Tablett mit Kristallkelchen und zwei Karaffen des feurigen Getränks der Ulgoner.

»Nun erzählt«, forderte der heilige Mann sie auf. »Was ist geschehen?«

Belgarath schenkte sich ein, dann berichtete er mit knappen Worten von den Ereignissen der letzten Monate: vom Mord an Brand; von dem Versuch, Unfrieden zwischen den Alornern zu säen; und vom Feldzug gegen den Stützpunkt des Kults in Jarviksholm.

»Und dann«, fuhr er fort, nachdem des Gorims Diener Früchte und Gemüse und Braten heiß vom Stein serviert hatten, »etwa zu dem Zeitpunkt, als wir Jarviksholm einnahmen, hat jemand Prinz Geran aus seiner Wiege in der Zitadelle entführt. Als wir zurück in Riva waren, stellten wir fest, dass das Auge Aldurs imstande ist, Gerans Spur zu folgen – zumindest auf festem Land. Es führte uns zur Westseite der Insel, wo wir auf ein paar cherekische Kultanhänger gestoßen sind, die der Entführer zurückgelassen hatte. Wir befragten sie, und sie behaupteten, der neue Kultführer Ulfgar hätte die Entführung befohlen.«

»Doch dem war nicht so?«

»Überhaupt nicht«, brummte Silk.

»Das Problem war, sie wussten gar nicht, dass sie logen«, fuhr Belgarath fort. »Sie waren sorgfältig vorbereitet worden, und ihre Geschichte klang glaubhaft, vor allem, da wir uns ohnehin bereits im Krieg gegen den Kult befanden. Jedenfalls zogen wir daraufhin in den Kampf gegen den letzten Stützpunkt des Kultes im norddrasnischen Rheon. Nachdem wir die Stadt eingenommen hatten und Ulfgar unser Gefangener war, kam die Wahrheit ans Licht. Es stellte sich heraus, dass Ulfgar ein malloreanischer Grolim namens Harakan war und nicht das Geringste mit der Entführung zu tun hatte. Wer wirklich dahintersteckt, ist diese geheimnisvolle Person namens Zandramas, von der ich dir vor ein paar Jahren erzählt habe. Ich weiß nicht genau, welche Rolle der Sardion in dieser Sache spielt, aber aus irgendeinem Grund will Zandramas das Kind zu einem Ort bringen, der im Mrin-Kodex erwähnt wird – zu dem Ort, der nicht mehr ist. Urvon will das um jeden Preis verhindern; darum schickte er jemanden hierher, um das Kind zu töten, damit das nicht geschehen kann.«

»Und wisst ihr, wie ihr die Suche angehen sollt?«, fragte der Gorim.

Belgarath zuckte die Schultern. »Wir haben nur ein paar Hinweise. Wir sind ziemlich sicher, dass Zandramas die Insel auf einem nyissanischen Schiff verlassen hat. Dem wollen wir nachgehen. Dann steht im Kodex, dass ich den Weg zum Sardion in den Mysterien finden soll. Und ich bin überzeugt, wenn wir erst den Sardion gefunden haben, sind auch Zandramas und Geran nicht weit. Vielleicht entdecke ich in diesen Prophezeiungen Hinweise – falls ich eine unverfälschte Abschrift finden kann.«

»Es sieht auch ganz so aus, als mischten sich die Seher von Kell persönlich ein«, fügte Polgara hinzu.

»Die Seher?«, staunte der Gorim. »Das haben sie noch nie getan!«

»Ich weiß«, entgegnete sie. »Eine Seherin – ein Mädchen namens Cyradis – erschien uns in Rheon. Durch sie haben wir einiges Neue erfahren, außerdem hat sie uns Anweisungen erteilt.«

»Das ist völlig uncharakteristisch für die Seher.«

»Ich glaube, die Dinge nähern sich dem endgültigen Höhepunkt, Heiliger«, meinte Belgarath. »Wir haben uns alle so sehr auf die Begegnung zwischen Garion und Torak konzentriert, dass wir dabei die Tatsache aus den Augen verloren haben, dass die wahren Begegnungen die zwischen dem Kind des Lichtes und dem Kind der Finsternis sind. Cyradis sagte, dies würde die letzte Begegnung werden, und diesmal entscheidet sich alles ein für allemal. Ich vermute, das ist auch der Grund, weshalb die Seher endlich ans Licht treten.«

Der Gorim runzelte die Stirn. »Ich hätte nie gedacht, dass sie sich je mit Belangen der Menschen beschäftigen würden.«

»Wer sind diese Seher eigentlich, heiliger Gorim?«, fragte Ce’Nedra leise.

»Unsere Vettern, Kind.«

Ihre Miene verriet ihre Verwirrung.

»Nachdem die Götter die Menschen erschaffen hatten, kam die Zeit der Wahl«, erklärte er. »Es gab sieben Geschlechter unter den Menschen – so, wie es sieben Götter gab. Aldur entschied sich jedoch, seinen Weg allein zu gehen, was bedeutete, dass ein Volk unerwählt und ohne Gott blieb.«

Ce’Nedra nickte. »Ja, diesen Teil der Geschichte kenne ich.«

»Wir gehörten alle demselben Volk an«, fuhr der Gorim fort. »Wir, die Morindim, die Karander in Nordmallorea, die Melcener im fernen Osten, und die Daler. Wir standen den Dalern am nächsten, doch als wir uns auf den Weg machten, den Gott UL zu suchen, hatten sie die Augen bereits himmelwärts gewandt, um zu versuchen, die Sterne zu deuten. Wir baten sie, mit uns zu kommen, doch sie wollten nicht.«

»Und dann habt ihr jegliche Verbindung zu ihnen verloren?«, fragte Ce’Nedra.

»Gelegentlich sind einige ihrer Seher zu uns gekommen, gewöhnlich unterwegs in einem Auftrag, von dem sie nicht sprechen wollten. Die Seher sind sehr weise; sie haben Visionen, die ihnen Kenntnis über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft geben – und, was noch wesentlicher ist, deren Bedeutung.«

»Sind diese Seher nur Frauen?«

»Nein, Männer ebenfalls. Wenn diese spezielle Sichtweise bei ihnen zutage tritt, verbinden sie die Augen, um alles gewöhnliche Licht auszuschließen; denn nur so können sie dieses andere Licht klar sehen. Immer wenn ein Seher erscheint, erscheint auch ein Stummer, um ihm als Führer und Beschützer zu dienen. Dieses Paar bleibt für immer beisammen.«

»Warum fürchten die Grolim sich so sehr vor ihnen?«, warf Silk plötzlich ein. »Ich war ein paarmal in Mallorea, und mir fiel auf, dass die Grolim dort allein schon bei der Erwähnung von Kell zu zittern anfangen.«

»Ich vermute, die Daler haben Schritte unternommen, die Grolim von Kell fernzuhalten. Es ist der Mittelpunkt ihrer Lehren, und Grolim sind sehr unduldsam gegenüber allem Nichtangarakanischen.«

»Was ist der Zweck dieser Seher, Heiliger?«, erkundigte sich Garion.

»Es sind nicht nur die Seher, Belgarion«, entgegnete der Gorim. »Die Daler sind bewandert in allen Geheimwissenschaften – in Nekromantie, Zauberei, Magie, Hexerei und noch vielen mehr. Niemand außer vielleicht den Dalern selbst weiß offenbar, was der Zweck des Ganzen ist. Doch was es auch immer sei, sie sind ihm absolut verschworen, sowohl jene in Mallorea als auch die hier im Westen.«

»Im Westen?« Silk blinzelte. »Ich wusste nicht einmal, dass es hier Daler gibt.«

Der Gorim nickte. »Ihr Volk wurde durch das Ostmeer geteilt, als Torak die Welt mit dem Auge spaltete. Die Murgos versklavten die westlichen Daler während des dritten Jahrtausends. Doch wo sie auch leben – ob im Osten oder Westen – , arbeiten sie seit Äonen an einer bestimmten Aufgabe. Wir wissen nicht, was diese Aufgabe ist, aber sie sind jedenfalls überzeugt, dass das Schicksal aller Schöpfung davon abhängt.«

»Und ist das der Fall?«, fragte Garion.

»Das wissen wir nicht, Belgarion. Und eben weil wir nicht wissen, worum es sich bei dieser Aufgabe handelt, können wir ihre Bedeutung nicht erraten. Allerdings ist uns bekannt, dass sie keiner der Prophezeiungen folgen, die für das Universum bestimmt sind. Sie sind überzeugt, dass ihre Aufgabe ihnen von einer höheren Macht auferlegt wurde.«

»Und das ist es, was mich beunruhigt«, sagte Belgarath. »Cyradis manipuliert uns mit ihren kryptischen Andeutungen. Und wahrscheinlich tut sie das Gleiche bei Zandramas. Ich lasse mich nicht gern an der Nase herumführen, schon gar nicht von jemandem, dessen Motive ich nicht verstehe. Sie kompliziert die Angelegenheit, und Komplikationen mag ich nicht. Ich habe gern nette, einfache Situationen und nette, einfache Lösungen.«

»Die Guten und die Bösen?«, fragte Durnik.

»Eine schwierige Frage, Durnik. Ich ziehe es vor, ›sie und wir‹ zu sagen.«

Garion schlief sehr unruhig in dieser Nacht, und als er schon früh aufstand, hatte er das Gefühl, sein Kopf wäre mit Sand gefüllt.

Eine Weile setzte er sich auf eine Steinbank in des Gorims großer Halle, dann zog es ihn ruhelos hinaus, und er blickte über den stillen See rings um die Insel. Das gedämpfte Licht der Kugellampen, die an Ketten von der Höhlendecke hingen, warf ein schwaches Glühen auf das Wasser, und dieses Glühen, das die Höhle mit bleichem Licht erfüllte, war mehr wie Licht in einem Traum als irgendeine Beleuchtung der wirklichen Welt. Während Garion so gedankenverloren am Rand der Insel stand, wurde er auf eine Bewegung am fernen Ufer aufmerksam.

Einzeln und in Zweier- oder Dreiergruppen sammelten sich bleiche junge Frauen mit den großen, dunklen Augen und dem farblosen Haar der Ulgoner scheu am Ufer vor dem Dammweg. Garion blickte über den See auf sie, dann rief er laut. »Möchtet ihr etwas?«

Sie flüsterten miteinander, dann trat eine vor. »Wir … wir möchten gerne Prinzessin Ce’Nedra sehen«, antwortete sie verlegen und errötete. »Nur, wenn sie nicht zu beschäftigt ist.« Sie redete stockend, als wäre ihr die Sprache nicht völlig vertraut.

»Ich sehe nach, ob sie schon wach ist«, erbot sich Garion.

»Vielen Dank, Herr«, antwortete sie und wich in den Schutz der Menge zurück.

Garion kehrte ins Haus zurück und sah, wie Ce’Nedra sich im Bett aufsetzte. Ihr Gesicht hatte nichts mehr von der stumpfen Gleichgültigkeit der vergangenen Wochen, und ihre Augen wirkten wach. »Du bist aber schon früh auf«, stellte sie fest.

»Ich habe nicht besonders gut geschlafen. Wie geht es dir?«

»Gut, Garion. Warum fragst du?«

»Ich wollte nur …« Er unterbrach sich. »Draußen sind junge Ulgonerinnen, die dich gern sehen möchten.«

Sie hob die Brauen. »Was können sie von mir wollen?«

»Sie kennen dich offenbar. Sie sagten, sie möchten Prinzessin Ce’Nedra sehen.«

»Natürlich!«, rief sie und sprang aus dem Bett. »Ich hatte sie fast vergessen!«

Rasch schlüpfte sie in einen grünen Morgenrock und rannte aus dem Gemach.

Garion wollte ihr neugierig folgen, blieb dann jedoch in der großen Halle stehen, als er Polgara, Durnik und den Gorim am Steintisch sitzen sah.

»Was ist denn los?« Polgara blickte überrascht der davoneilenden Königin nach.

»Draußen sind ein paar Ulgonerinnen«, antwortete Garion. »Offenbar Freundinnen von ihr.«

»Sie hat sich bei ihrem Besuch hier sehr beliebt gemacht«, erklärte der Gorim. »Ulgonerinnen sind scheu, aber Ce’Nedra befreundete sich mit ihnen allen, und sie verehren sie.«

»Verzeiht mir, Eure Heiligkeit«, sagte Durnik. »Ist Relg hier? Ich würde ihn gern besuchen, da wir schon mal hier sind.«

»Relg und Taiba sind mit ihren Kindern nach Maragor gezogen«, antwortete der Gorim.

»Maragor?« Garion blinzelte erstaunt. »Was ist mit den Geistern dort?«

»Sie stehen unter dem Schutz des Gottes Mara«, versicherte ihm der Gorim. »Es gibt offenbar eine Abmachung zwischen Mara und UL. Ich verstehe es nicht so recht, doch Mara beharrt darauf, dass Taibas Kinder Marager sind, und er hat versprochen, über sie in Maragor zu wachen.«

Garion runzelte die Stirn. »Aber wird ihr Ältester denn nicht eines Tages Gorim?«

Der Greis nickte. »Ja. Seine Augen sind immer noch so blau wie Saphire. Ich machte mir anfangs selbst Sorgen, Belgarion, aber jetzt bin ich sicher, dass UL Relgs Sohn zur richtigen Zeit in die ulgonischen Höhlen zurückbringen wird.«

»Wie geht es Ce’Nedra heute Morgen, Garion?«, erkundigte sich Polgara ernst.

»Ich glaube, sie ist fast wie früher. Bedeutet das, dass sie wieder in Ordnung ist?«

»Es ist zumindest ein gutes Zeichen, aber vielleicht noch etwas zu früh, um sicher zu sein. Am besten, du behältst sie im Auge.«

»Ist gut.«

»Doch mach es nicht zu auffällig. Sie befindet sich in einer kritischen Phase, und wir möchten doch nicht, dass sie glaubt, wir spionierten ihr nach.«

»Ich werde vorsichtig sein, Tante Pol.« Garion ging wieder ins Freie und spazierte auf der kleinen Insel herum, als wolle er sich die Beine vertreten. Unauffällig schaute er immer wieder zu der Gruppe am fernen Ufer. Die bleichen, weißgewandeten Ulgonerinnen hatten sich um Ce’Nedra geschart, deren grüner Morgenrock und flammend rotes Haar sich auffällig von ihnen abhob. Mit ihren leuchtenden Farben sieht sie wie eine rote Rose unter weißen Lilien aus, dachte Garion unwillkürlich.

Nach etwa einer halben Stunde trat Polgara aus dem Haus. »Garion«, rief sie, »hast du Botschaft heute schon gesehen?«

»Nein, Tante Pol.«

»Er ist nicht in seiner Kammer.« Sie runzelte leicht die Stirn. »Was diesem Jungen nur einfällt! Schau doch, ob du ihn finden kannst.«

»Ja, Tante Pol«, antwortete er automatisch. Während er über den Dammweg ging, lächelte er. Trotz allem, was geschehen war, ergab sich immer wieder dieselbe Beziehung zwischen ihnen wie in seiner Kindheit. Er war überzeugt, dass Polgara meistens gar nicht daran dachte, dass er jetzt ein König war, und so trug sie ihm häufig irgendwelche kleinen Arbeiten auf, ohne zu bedenken, dass sie unter seiner Würde sein könnten. Mehr noch, ihm war bewusst, dass es ihn gar nicht wirklich störte. In den Trott zurückzuverfallen, ihre Befehle sofort auszuführen, enthob ihn der Notwendigkeit, schwierige Entscheidungen zu treffen, und brachte ihn wieder zurück in die Zeit, als er noch ein einfacher Bauernjunge gewesen war, ohne die Sorgen und Verantwortung, die ihm mit der Krone Rivas aufgebürdet worden waren.

Ce’Nedra und ihre Freundinnen saßen auf Steinen unweit des Seeufers. Ihr Gespräch war gedämpft und Ce’Nedras Gesicht wieder ernst.

»Alles in Ordnung?«, erkundigte er sich, als er näher kam.

»Ja«, antwortete sie. »Wir unterhalten uns nur.«

Er blickte sie an, beschloss jedoch, nichts weiter zu sagen. Stattdessen fragte er: »Hast du Botschaft gesehen?«

»Nein. Ist er denn nicht im Haus?«

Garion schüttelte den Kopf. »Ich glaube, er sieht sich ein wenig um. Tante Pol bat mich, ihn zu suchen.«

Eine der jungen Ulgonerinnen flüsterte Ce’Nedra etwas zu.

»Saba sagt, dass sie ihn auf der Hauptgalerie gesehen hat, als sie hierherkam«, erklärte Ce’Nedra. »Das war vor etwa einer Stunde.«

»In welcher Richtung?«, erkundigte er sich.

»Dort drüben.« Sie deutete auf eine Öffnung, die zurück in den Felsen führte.

»Gut.« Garion nickte. »Ist es dir nicht zu kalt?«

»Nein, Garion.«

»Ich komme bald zurück.« Er ging auf die Galerie zu. Er fühlte sich nicht wohl dabei, dass er sich nicht näher mit ihr befassen sollte, aber die Möglichkeit bestand, dass sie irgendeine harmlose Bemerkung missverstand und wieder in ihre stumpfe Gleichgültigkeit verfiel. Deshalb hatte er fast Angst, überhaupt etwas zu sagen. Eine rein körperliche Krankheit war eine Sache, doch eine mögliche seelische Erkrankung erschreckte ihn noch viel mehr.

Die Galerie war wie alle Höhlen und Gänge, in denen die Ulgoner lebten, durch das schwache Glühen des phosphoreszierenden Gesteins leicht erhellt. In den Kammern zu beiden Seiten der Galerie sah er Familien zum Frühstück um Steintische versammelt. Es störte sie offenbar nicht im Geringsten, dass die Vorderseite ihrer Unterkunft nach vorne offen war und jeder, der vorüberkam, sehen konnte, was sie taten.

Da nur wenige Ulgoner seiner Sprache mächtig waren, konnte Garion niemanden fragen, ob Botschaft gesehen worden war. So wanderte er bald mehr oder weniger ziellos umher und hoffte, er würde durch Zufall auf seinen Freund stoßen. Am Ende der Galerie gelangte er zu der riesigen Höhle, wo die Treppe in die düstere Tiefe führte.

Er dachte, dass Botschaft vielleicht hinuntergestiegen war, um nach seinem Pferd zu sehen. Doch aus irgendeinem Grund entschloss er sich, lieber dem breiten Sims zu folgen, der rund um den Rand des Abgrunds führte. Er war keine hundert Meter gekommen, als er Stimmen hörte, die aus einem dunklen Gang kamen. Das dumpfe Echo machte es unmöglich, einzelne Worte zu verstehen, aber Garion glaubte eine der Stimmen zu erkennen: Es war die seines Freundes. So betrat er diesen Korridor und ließ sich von den Stimmen führen.

Zunächst war keinerlei Licht in dem unbenutzten Gang, deshalb tastete er sich an der Wand entlang. Aber als er um eine Ecke bog, sah er irgendwo vor sich Helligkeit – es war ein merkwürdiges weißes Leuchten, völlig gleichmäßig und so ganz anders als das schwache grünliche Glühen der Phosphoreszenz, die üblicherweise diese dunkle Höhlenwelt erhellte. Dann machte der Korridor eine scharfe Linksbiegung, und er konnte nun Botschaft sehen, der sich mit einer hochgewachsenen, weißgewandeten Gestalt unterhielt. Garions Augen weiteten sich. Das Licht ging von dieser Gestalt aus, und er spürte, dass es sich um eine übernatürliche Erscheinung handelte.

Die leuchtende Gestalt wandte sich nicht um, sagte jedoch mit ruhiger Stimme: »Tritt zu uns, Belgarion, und sei willkommen.«

Garion bemerkte, dass er regelrecht zitterte, während er wortlos gehorchte. Dann wandte die weiße Gestalt sich um, und er blickte geradewegs in das zeitlose Gesicht ULs.

»Ich habe den jungen Eriond gerade mit der Aufgabe vertraut gemacht, die vor ihm liegt«, sagte der Göttervater.

»Eriond?«

»Das ist sein wahrer Name, Belgarion. Es wird Zeit, dass er den dummen Namen seiner Kindheit ablegt und seinen echten annimmt. Genau wie du hinter dem schlichten ›Garion‹ verborgen warst, war er es unter ›Botschaft‹. Darin liegt Weisheit, denn der wahre Name eines Mannes, der eine große Aufgabe vor sich hat, könnte ihn in Gefahr bringen, solange seine Zeit noch nicht gekommen ist.«

»Es ist ein guter Name, findest du nicht, Belgarion?«, fragte Eriond stolz.

»Es ist ein großartiger Name, Eriond«, bestätigte Garion.

Das Auge am mächtigen Schwert, das Garion über den Rücken geschlungen trug, leuchtete nun in strahlendem Blau, in Erwiderung auf ULs Weiß, und der Göttervater nickte dem Stein zu.

»Ein jeder von euch hat eine Aufgabe«, fuhr UL fort, »auch eure Gefährten, die euch begleiten. Alle diese Aufgaben müssen bewältigt sein, ehe es zur neuerlichen Begegnung zwischen dem Kind des Lichtes und dem Kind der Finsternis kommt.«

»Bitte, heiliger UL, könnt Ihr mir sagen, wie … wie es meinem Sohn geht?«

»Es geht ihm gut, Belgarion. Man sorgt für seine Bedürfnisse. Im Augenblick befindet er sich nicht in Gefahr.«

»Ich danke Euch«, sagte Garion. Dann straffte er die Schultern. »Und was ist meine Aufgabe?«

»Die Seherin von Kell hat sie dir bereits offenbart, Belgarion. Du musst Zandramas den Weg zum Sardion versperren. Denn sollte das Kind der Finsternis diesen schrecklichen Stein erreichen, wird die Finsternis als Sieger aus dieser endgültigen Begegnung hervorgehen.«

Garion wappnete sich, denn er hatte Angst vor der Antwort auf die nächste Frage, mit der er nun herausplatzte. »In den Orakeln von Ashaba steht, dass der Gott der Finsternis wiederkehren wird. Bedeutet das, dass Torak wiedergeboren wird und ich aufs Neue gegen ihn kämpfen muss?«

»Nein, Belgarion. Mein Sohn selbst wird nicht zurückkommen. Dein flammendes Schwert hat ihm das Leben genommen, und er ist nicht mehr. Der Feind bei dieser Begegnung ist gefährlicher. Der Geist, der Torak erfüllt hatte, fand einen anderen Körper. Torak war verstümmelt und, wie sein Stolz ihn glauben ließ, unvollkommen. Jener, der an seiner Statt auferstehen wird – solltest du deine Aufgabe nicht erfüllen können – , wird unschlagbar sein. Weder dein Schwert, noch irgendein Schwert auf dieser Welt könnte ihm etwas anhaben.«

»Dann ist Zandramas der Gegner, gegen den ich kämpfen muss«, stellte Garion grimmig fest. »Grund dazu habe ich wahrhaftig!«

»Die Begegnung zwischen dem Kind des Lichtes und dem Kind der Finsternis wird keine Begegnung zwischen dir und Zandramas sein«, teilte UL ihm mit.

»Aber die Schrift besagt, dass Zandramas das Kind der Finsternis ist!«, rief Garion.

»Gegenwärtig, ja – so wie du zurzeit das Kind des Lichtes bist. Diese Last wird euch beiden jedoch abgenommen werden, noch ehe die letzte Begegnung stattfinden kann. Noch etwas: Das Schicksal, das mit der Geburt deines Sohnes begann, muss innerhalb einer bestimmten Zeitspanne abgeschlossen sein. Die Aufgaben, welche dir und deinen Gefährten bevorstehen, sind vielfach und müssen alle vor dieser Begegnung bewältigt werden. Solltet ihr – du oder einer deiner Begleiter – versagen, wird unser ganzes äonenlanges Bemühen vergebens gewesen sein. Diese letzte Begegnung zwischen dem Kind des Lichtes und dem Kind der Finsternis muss vollständig sein, und alle notwendigen Bedingungen müssen eingehalten werden; denn in dieser Begegnung wird alles, was geteilt war, wieder vereint werden. Das Geschick dieser Welt – und das vieler anderer Welten – liegt in deiner Hand, Belgarion, und der Ausgang wird nicht von deinem Schwert abhängen, sondern von einer Wahl, die du treffen musst!«

Der Göttervater blickte die beiden voll Zuneigung an. »Habt keine Angst, meine Söhne«, sagte er. »Obgleich ihr euch in vielerlei Hinsicht unterscheidet, ist euch doch der gleiche Geist gegeben. Helft einander und findet Trost in der Tatsache, dass ich bei euch bin.«

Die leuchtende Gestalt begann zu flimmern und verschwand. Und in den Höhlen von Ulgoland ertönte ein Echo wie von einer unvorstellbar großen Glocke.

2

Eine innere Gelöstheit hatte ohne sein Zutun von Garion Besitz ergriffen. Es war ähnlich wie damals, als er sich Torak in den immer mehr zerfallenden Ruinen der Stadt der Ewigen Nacht gestellt hatte. Als er an diese grauenvolle Nacht dachte, tastete er sich zu einer erstaunlichen Wahrheit vor: Der verstümmelte Gott hatte es nicht auf einen rein physischen Sieg angelegt gehabt. Er hatte mit seiner ganzen schrecklichen Willenskraft versucht, sie zur Selbstaufgabe zu zwingen, und mehr als Garions Flammenschwert war es ihre unerschütterliche Widerstandskraft gewesen, die ihn schließlich besiegt hatte. Diese Wahrheit wurde Garion allmählich bewusst. Obgleich das Böse unbezwingbar scheinen mochte, wenn es aus der Finsternis heraus die Welt heimsuchte, strebte es doch dem Licht entgegen. Und nur wenn das Licht sich ihm ergab, konnte die Finsternis siegen. Solange das Kind des Lichtes fest und unnachgiebig blieb, war es unbesiegbar. So schien Garion direkt in das Herz seines Feindes blicken zu können, während er in der dunklen Höhle dem Nachhall von ULs Verschwinden lauschte. Tief in seinem Herzen hatte Torak Angst gehabt, und die gleiche Furcht quälte insgeheim nun Zandramas.

Da erkannte Garion eine weitere Wahrheit, eine Wahrheit, die gleichermaßen unendlich einfach und doch zutiefst erschütternd war: Es gab keine Finsternis! Was so gewaltig und ungeheuerlich zu sein schien, war lediglich die Abwesenheit von Licht. Solange das Kind des Lichtes sich dessen fest bewusst war, konnte das Kind der Finsternis gar nicht siegen. Torak hatte das gewusst; Zandramas wusste es; und nun endlich verstand Garion es, und diese Erkenntnis war berauschend.

»Es wird leichter, wenn man es versteht, nicht wahr?«, sagte der Junge ruhig, den sie bisher immer Botschaft genannt hatten.

»Du hast meine Gedanken gelesen, stimmt’s?«

»Ja. Stört es dich?«

»Nein, ich glaube nicht.« Garion schaute sich um. Nun, da UL nicht mehr hier war, wirkte die Galerie, auf der sie standen, sehr dunkel. Garion kannte den Rückweg, doch er fand, dass die Erkenntnis, die er gerade erlangt hatte, einer Bestätigung bedurfte. Er drehte den Kopf und sprach direkt zum Auge Aldurs: »Könntest du ein wenig Licht für uns machen?«, bat er.

Das Auge begann in blauem Feuer aufzuleuchten und füllte gleichzeitig Garions Kopf mit seinem Kristallgesang. Garion blickte Eriond an. »Wollen wir jetzt umkehren? Tante Pol hat sich Sorgen gemacht, weil sie dich nicht finden konnte.«

Während sie den Weg zurückgingen, den sie gekommen waren, die leere Galerie entlang, legte Garion voll Zuneigung den Arm um die Schultern seines jungen Freundes. Er hatte das Gefühl, dass sie sich momentan besonders nahe waren.

Sie kamen aus der Galerie zum Rand des düsteren Abgrunds, wo bleiche Lichter an den steilen Wänden verteilt waren und der Wasserfall tief unten murmelte.

Da erinnerte sich Garion plötzlich an etwas, das ihm am vergangenen Tag aufgefallen war. »Was besteht für eine Beziehung zwischen dir und dem Wasser, dass es Tante Pol so beunruhigt?«, fragte er neugierig.

Eriond lachte. »Oh, das. Als ich klein war – kurz nachdem wir in Poledras Haus im Tal gezogen waren – , bin ich ein paarmal in den Bach gefallen.«

Garion grinste. »Ich kann daran nichts unnatürlich finden.«

»Es ist mir auch schon lange nicht mehr passiert, aber ich glaube, Polgara befürchtet, dass ich nur auf eine Gelegenheit warte.«

Garion lachte, gerade als sie den Gang mit den vielen Kammern erreichten, der zu des Gorims Höhle führte. Die Ulgoner, die dort lebten und arbeiteten, blickten sie erstaunt an.

»Äh, Belgarion«, sagte Eriond, »das Auge glüht noch.«

»Das habe ich ganz vergessen!« Garion blickte über die Schulter auf den freundlich leuchtenden Stein. »Schon gut«, sagte er. »Du kannst jetzt aufhören.«

Das erlöschende Flackern des Auges wirkte fast enttäuscht.

Die anderen saßen beim Frühstück in der großen Halle von Gorims Haus. Polgara blickte auf, als die beiden eintraten. »Wo bist du gewe…« Sie unterbrach sich, als sie Eriond eingehender betrachtete.

»Etwas ist geschehen, nicht wahr?«

Eriond nickte. »Ja«, antwortete er. »UL wollte mit uns sprechen. Es gab einiges, das er uns mitzuteilen hatte.«

Belgarath schob seinen Teller zur Seite und sah die beiden angespannt an. »Ich glaube, ihr solltet uns davon erzählen. Aber nehmt euch Zeit und lasst nichts aus.«

Garion ging zum Tisch und setzte sich neben Ce’Nedra. Er beschrieb die Begegnung mit dem Göttervater und bemühte sich, die Worte genau so zu wiederholen, wie er sie von UL gehört hatte.

»Und dann sagte er, Eriond und mir sei der gleiche Geist gegeben und dass wir einander helfen sollen«, schloss er.

»War das alles, was er gesagt hat?«, erkundigte sich Belgarath.

»In etwa, ja.«

»Er hat noch erwähnt, dass er bei uns ist«, fügte Eriond hinzu.

»Er hat nichts Genaueres über diese bestimmte Zeit gesagt, in der alles getan sein muss?«, fragte der alte Mann mit leicht besorgter Miene.

Garion schüttelte den Kopf. »Nein, Großvater, leider nicht.«

Verärgert seufzte Belgarath jetzt: »Ich hasse es, einen Termin einhalten zu müssen, den ich nicht einmal kenne. Da weiß ich ja nicht einmal, ob ich gut vorankomme oder nicht.«

Ce’Nedra hatte sich an Garion geklammert. Ihre Miene verriet gleichermaßen Besorgnis wie Erleichterung. »Bist du ganz sicher, dass er gesagt hat, unserem Sohn geht es gut?«

»Ja«, versicherte Eriond ihr. »Er sagte, dass für seine Bedürfnisse gesorgt wird und dass er sich im Augenblick nicht in Gefahr befindet.«

»Im Augenblick?«, rief Ce’Nedra. »Was hat das zu bedeuten?«

»Er ging nicht näher darauf ein, Ce’Nedra«, sagte Garion.

»Warum hast du UL nicht gefragt, wo er ist?«

»Weil ich sicher bin, dass er es mir nicht gesagt hätte. Meine Aufgabe ist es, Geran und Zandramas zu finden. Ich glaube, sie würden nicht zulassen, dass es ein anderer für mich tut.«

»Sie? Wen meinst du mit ›sie‹?«

»Die Prophezeiungen – beide. Sie spielen ein Spiel, und wir müssen uns alle an die Regeln halten – selbst wenn wir sie nicht kennen.«

»Das ist doch Unsinn!«

»Sag ihnen das mal. Meine Idee war es nicht.«

Tante Pol bedachte Eriond mit einem merkwürdigen Blick. »Hast du ihn gekannt?«, fragte sie ihn. »Deinen Namen, meine ich.«

»Ich wusste, dass ich einen anderen hatte. Als du mich Botschaft nanntest, erschien es mir irgendwie nicht richtig. Macht es dir viel aus?«

Sie erhob sich und trat lächelnd um den Tisch herum, um ihn herzlich zu umarmen. »Nein, Eriond«, versicherte sie ihm. »Es macht mir gar nichts aus.«

»Was genau ist die Aufgabe, die UL dir übertragen hat?«, fragte Belgarath.

»Er meinte, ich würde es wissen, wenn es so weit ist.«

»Das war alles, was er darüber gesagt hat?«

»Er sagte noch, dass sie sehr wichtig sei und mich verändern würde.«

Belgarath schüttelte den Kopf. »Warum nur immer diese Geheimnistuerei?«, beschwerte er sich.

»Das ist wohl eine dieser Regeln, die Garion erwähnte«, warf Silk ein und füllte seinen Kelch aus einer der Karaffen nach. »Und was nun?«

Belgarath zupfte an seinem Ohrläppchen und starrte nachdenklich zu einer der schwach glühenden Lampen hoch. »Ich bin ziemlich sicher, dass diese Begegnung der Grund war, weswegen wir hierher nach Prolgu kommen sollten. Also können wir wohl weiterziehen. Es schadet vermutlich nicht, wenn wir etwas zu früh ankommen, wohin immer wir gehen, aber sicher wäre es eine Katastrophe, wenn wir zu spät kommen.«

Er stand auf und legte die Hand auf die zerbrechliche Schulter des Gorims. »Ich werde versuchen, dir hin und wieder Nachricht zukommen zu lassen«, versprach er. »Könntest du uns von einem deiner Leute durch die Höhlen nach Arendien führen lassen? Ich möchte so rasch wie möglich wieder an die Oberfläche.«

»Selbstverständlich, mein Freund«, antwortete der Gorim. »Und möge UL eure Schritte lenken.«

»Ich hoffe, irgendjemand tut es«, murmelte Silk.

Belgarath blickte ihn tadelnd an.

»Schon gut, Belgarath«, sagte Silk großmütig. »Die Tatsache, dass du so viel Zeit vergeudet hast, mindert meine Hochachtung für dich nicht im Geringsten. Es ist sicher nur eine schlechte Angewohnheit, die du irgendwann übernommen hast – wahrscheinlich, weil deine Gedanken mit Wichtigerem beschäftigt sind.«

Belgarath blickte seufzend zu Garion. »War es wirklich notwendig, dass wir ihn mitgenommen haben?«

»Ja, Großvater, das war es.«

Es war kurz nach Sonnenaufgang, als sie zwei Tage später den Höhlenausgang erreichten, der in einen Birkenwald mündete. Die weißen Bäume hoben ihre kahlen Äste dem strahlend blauen Himmel entgegen, und die abgefallenen Blätter bedeckten den Boden wie mit einem goldenen Teppich. Die Ulgoner, die sie durch die Höhlen geführt hatten, schreckte das Licht, und sie zogen sich rasch in die schützende Dunkelheit zurück, nachdem Belgarath sich bei ihnen bedankt hatte.

»Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie viel besser ich mich jetzt fühle«, sagte Silk erleichtert, während er sich im frostigen Sonnenschein umsah. Da und dort glitzerten Flecken verharschten Schnees zwischen den Bäumen. Irgendwo links von ihnen plätscherte ein Bergbach über Steine.

»Hast du eine Ahnung, wo wir genau sind?«, wandte Durnik sich an Belgarath, als sie hinaus zu den Birken ritten.

Der Alte blinzelte über die Schulter und schätzte den Einfallswinkel der frühen Sonne. »Ich würde sagen, im Vorgebirge oberhalb von Mittelarendien.«

»Südlich vom unteren Ende der Arendischen Wälder?«, erkundigte sich Silk.

»Das ist schwer zu sagen.«

»Dann schaue ich mich wohl besser um.« Der Drasnier deutete auf einen Hügel, der aus dem Wald ragte. »Von dort oben sehe ich sicher mehr.«

»Ich finde, es ist Zeit fürs Frühstück«, meinte Polgara. »Suchen wir eine Lichtung und machen ein Feuer.«

»Ich bin bald zurück.« Silk wendete sein Pferd und ritt zwischen den weißen Stämmen hindurch.

Der Rest ritt hangabwärts, und der goldene Laubteppich raschelte unter den Hufen ihrer Pferde. Nach mehreren hundert Metern gelangten sie zu einer Lichtung an den Ufern des Baches, den sie an der Höhlenöffnung gehört hatten. Polgara zügelte ihr Pferd. »Hier ist ein hübsches Fleckchen. Garion, wie wär’s, wenn du und Eriond ein bisschen Brennholz sammelt? Speck auf geröstetem Brot klingt doch nach einem guten Frühstück.«

»Ja, Tante Pol«, antwortete er automatisch und schwang sich aus dem Sattel. Mit Eriond verschwand er zwischen den weißen Bäumen.

»Es tut gut, wieder im Sonnenschein zu sein«, stellte Eriond fest, während er einen großen Ast unter einem gefällten Baum hervorzog. »Die Höhlen sind ja recht hübsch für die Ulgoner, aber ich habe lieber den weiten Himmel über mir.«

Garion fühlte, dass ihr gemeinsames Erlebnis in der Höhle sie beide noch enger verbunden hatte. Eine Idee war ins Licht gerückt, die Garions Unterbewusstsein bereits mehrere Jahre beschäftigt hatte. Die Tatsache, dass sowohl er wie Eriond von Tante Pol und Durnik großgezogen worden waren, hatte sie in vielerlei Hinsicht zu so etwas wie Brüdern gemacht. Darüber dachte er nach, während er mehrere starke Äste mit einer Schnur zusammenband. Gleichzeitig erkannte er, dass er im Grunde genommen sehr wenig über Eriond wusste.

»Eriond«, fragte er ihn daher. »Kannst du dich noch erinnern, wo du gelebt hast, ehe Zedar dich fand?«

Der Junge blickte nachdenklich zum Himmel. »In einer Stadt, glaube ich. Ich erinnere mich an Straßen – und Läden.«

»Und an deine Mutter?«

»Ich fürchte nein. Ich erinnere mich nicht, dass ich irgendwo lange gewohnt hätte – oder bei denselben Leuten. Ich glaube, ich bin von einer Tür zur anderen gegangen, und die Leute ließen mich ein und gaben mir zu essen und ein Plätzchen zum Schlafen.«

Garion empfand plötzlich starkes Mitgefühl. Eriond war ebenso – oder vielleicht sogar noch mehr – ein Waise wie er. »Erinnerst du dich an den Tag, als Zedar dich zu sich genommen hat?«

Eriond nickte. »Ja, ganz genau. Es war bewölkt, und es gab keine Schatten, darum konnte ich nicht erkennen, welche Tageszeit es war. Ich begegnete ihm in einer schmalen Straße, einer Gasse wohl eher. Deutlich erinnere ich mich, dass seine Augen einen verwundeten Ausdruck hatten – als wäre ihm etwas Schreckliches zugestoßen.« Er seufzte. »Armer Zedar.«

»Hat er je mit dir gesprochen?«

»Nicht sehr oft. Ungefähr das Einzige, was er je zu mir sagte, war, dass er eine Botschaft für mich habe. Aber er hat manchmal im Traum geredet. Ich erinnere mich, dass er öfters ›Meister‹ sagte. Manchmal schwang dabei Liebe in seiner Stimme mit, doch manchmal auch Furcht. Es war, als hätte er zwei völlig verschiedene Gebieter gehabt.«

»Da hast du dich nicht getäuscht. Anfangs war er ein Jünger Aldurs gewesen. Später war sein Meister Torak.«

»Warum hat er das getan? Seine Meister gewechselt, meine ich.«

»Das weiß ich nicht, Eriond.«

Durnik hatte in der Mitte der Lichtung ein kleines Feuer gemacht, und Polgara, die vor sich hinsummte, hantierte mit Töpfen und Pfannen. Während Garion und Eriond das gesammelte Holz in handliche Stücke brachen, kehrte Silk zurück. »Man kann von da oben ziemlich weit sehen«, erklärte er, als er absaß. »Wir befinden uns etwa dreißig Meilen oberhalb der Bergstraße nach Muros.«

»Konntest du den Mallerin sehen?«, fragte Belgarath.

Silk schüttelte den Kopf. »Nicht den Fluss selbst, aber ein ziemlich großes Tal im Süden. Ich nehme an, dass er dort hindurchfließt.«

»Dann war meine Schätzung ziemlich genau. Wie sieht das Terrain zwischen hier und der Hochstraße aus?«

»Nicht sehr vielversprechend. Es ist steil, und die Wälder sind offenbar sehr dicht.«

»Wir müssen zusehen, dass wir so schnell wie möglich hindurchkommen. Sobald wir die Hochstraße erreicht haben, wird es leichter.«

Silk verzog das Gesicht. »Da ist allerdings noch ein Problem. Im Westen zieht ein Sturm auf.«

Durnik hob das Gesicht und schnupperte in der kalten Luft. »Schnee«, bestätigte er. »Man kann ihn riechen.«