Belial - eine schicksalhafte Nacht - E. M. Holland - E-Book

Belial - eine schicksalhafte Nacht E-Book

E. M. Holland

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Beschreibung

Aleksander ist kein gewöhnlicher Mensch, denn er besitzt besondere Fähigkeiten, die er vor anderen versteckt. Eines nachts begegnet er auf dem Heimweg in einer dunklen Gasse einem verletzten Mann, nachdem er dieses Ereignis in einem Traum zuvor gesehen hat. Ohne zu ahnen, wer oder was dieser ist, heilt er seine Wunden und bringt ihn zu sich nach Hause. Schnell stellt sich heraus, dass dieser kein Mensch ist – trotz allem pflegt er ihn gesund. Belial ist ein Dämon und niemand anderes als der Stellvertreter des Höllenfürsten Astaroth. Er ist auf der Suche nach seinem Herz – die Hälfte, die ihn vervollständigt. Gemeinsam begeben sie sich auf die Suche nach Belials Angreifern, doch schon bald entstehen Gefühle auf beiden Seiten und die Frage, was Aleksander in Wirklichkeit ist, gewinnt zunehmend an Bedeutung.

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Seitenzahl: 547

Veröffentlichungsjahr: 2023

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E. M. HOLLAND

Belial

Eine schicksalhafte Nacht

Band 1

E. M. Holland

Belial

Eine schicksalhafte Nacht

Band 1

Roman

Belial – eine schicksalhafte Nacht

Copyright © 2023 E. M. Holland

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil-oder strafrechtlich verfolgt werden.

Illustrationen von J. Bühler

1. Auflage

Prolog

Kalter Regen prasselte auf seine Haut und mischte sich mit dem Blut, das aus der klaffenden Wunde in seinem Bauch rann, zu roten Bächen, die zu Boden strömten. Die Kälte spürte er schon längst nicht mehr und auch der Schmerz hatte bereits aufgehört. Das ist wohl das Ende. Das hatte ich mir anders vorgestellt. Aber irgendwie passte es auch zu ihm.

Er schaute in den wolkenbedeckten Himmel, doch alles war schwarz. Er dachte darüber nach, was schlimmer war. Die Tatsache, dass er allein in einer Gasse lag und nicht einmal der Mond ihm Gesellschaft leisten würde, oder dass er von Fremden so schwer verletzt wurde, sie nicht hatte kommen sehen.

Im Klatschen des Regens ging sein immer langsamer werdender Herzschlag unter. Gibt es denn niemanden, der nach mir sucht? Nein, keiner würde ihn suchen. Vereinzelt verirrte sich ein Auto in die Nebenstraße, doch in diesem gottverdammten Regen würde sich keiner nachts um 3 Uhr in eine nichtbeleuchtete Seitengasse verirren, geschweige denn ihm helfen.

Ich hätte sie gerne noch gefunden. Nun werde ich sie niemals finden. Meine zweite Hälfte. Hustend spuckte er etwas Blut und wartete darauf, seinen letzten Atemzug zu tun.

Plötzlich nahm er einen Geruch wahr. Fein, wie ein seidener Faden, der ihn ins Jenseits geleiten sollte. Rosen mit Regen nach Sonnenaufgang. Ein verzweifeltes Lachen entwich seiner geschundenen Kehle.

Ich muss nun vollkommen wahnsinnig geworden sein. Aber warum nicht.

Doch plötzlich wurde der Geruch intensiver, umrankte ihn und füllte seine Lungen.

Schritte näherten sich ihm und plötzlich brach der Regen ab. Nein, es regnete immer noch, aber warum wurde er nicht getroffen? Wollten sie ihm nun doch den Garaus machen, hatten sie die Geduld verloren?

Er öffnete mit letzter Kraft die Augenlider und sah ... Nichts. Natürlich, sie hatten ihm im Kampf das Augenlicht genommen. Leider hatte er nicht mehr genügend Blut im Körper, um seine Wunden zu heilen. Also wartete er auf den Todesstoß. Immerhin ging er mit einem Bild von Rosen ins Jenseits.

„Können Sie mich hören?“

Eine Gänsehaut überzog seine Haut, denn diese Stimme löste etwas in ihm aus. Panisch versuchte er, dieser zu lauschen, doch das Rauschen in seinen Ohren dämpfte sie. Plötzlich spürte er einen stechenden Schmerz an seinem Bauch und zischte scharf.

Schade, ich hätte dir gerne noch zugehört. Dann verlor er das Bewusstsein.

Kapitel 1

Verdammt, ich bin zu spät! Mit panischen Bewegungen versuchte er in minimaler Zeit, das Maximum an Anziehen, Zähneputzen und Zusammensammeln seiner Sachen herauszuholen.

5 Minuten bis zur U-Bahn, das schaff ich … hoffentlich. Wenn nicht, würde er auf die nächste warten müssen und das war genau das, was er vermeiden wollte. Die nächste U-Bahn wäre die Pendlerbahn, ergo vollgestopft mit allen Pendlern, die am Bahnhof eingetroffen waren und nun zu den Geschäften und Büros tingelten.

Ich schaff das, auf geht’s Aleks. Du warst nicht umsonst Mister Homerun in der Schule. Mit weniger anmutigen Bewegungen sprintete er in Richtung U-Bahn-Station, darauf achtend, keine Leute über den Haufen zu rennen, was leider gar nicht so einfach war. Noch zwei Minuten.

Mit schwerem Atem erreichte er den Eingang der U-Bahn-Station, nur um festzustellen, dass heute wieder nur Menschen unterwegs waren, denen die Worte „Rücksicht auf die Mitmenschen“ völlig fremd waren. Deshalb stellten sie sich mitten auf die Rolltreppe und machten sich breiter als ein Bodybuilder bei einem Auftritt. Dann eben die Treppe.

Mit etwas vermindertem Tempo, da er sich nicht unbedingt den Hals brechen wollte, rannte Aleks die Treppe in Richtung Gleis.

Die Straßenbahn stand bereits bereit und er vernahm das verdächtige Piepen, das die baldige Abfahrt ankündigte. Komm schon, komm schon, komm schon. In diesem Moment schlossen sich die Türen.

Völlig außer Atem ließ er die Tasche fallen und setzte sich auf den nächstbesten Sitzplatz. Geschafft. Gott, das war nicht gut für mein Herz. Egal, nun würde er zumindest pünktlich kommen. Ausgerechnet am Tag einer wichtigen Prüfung wollte er nicht zu spät kommen.

Hätte Rika gestern nicht an seinem Handy herumgebastelt, wäre der Wecker wahrscheinlich rechtzeitig losgegangen. Aber als angehender Arzt musste Aleksander die Ruhe bewahren. Immerhin hatte er es durch das fünfjährige Medizinstudium geschafft und arbeitete bereits als „Praktikant“ im nahegelegenen Krankenhaus.

Nachdem sich sein Puls beruhigt hatte, kramte er seine Kopfhörer aus seinem Rucksack und schloss zu den Klängen von One OK Rock die Augen, während die Tunnellichter in den Fenstern flackerten. Unterbewusst wusste er, dass Rika nichts mit seinem Verschlafen zu tun hatte. Nein, es war etwas anderes gewesen. Ein Traum oder genauer gesagt eine Vorahnung.

Es war nicht das erste Mal, dass er Dinge träumte, die in der Zukunft geschehen würden, oder so manch schlechtes Gefühl einem Menschen, der zu Tode kommen sollte, das Leben rettete. Nein, heute Nacht hatte er etwas gesehen. Er befand sich in einer dunklen Gasse im strömenden Regen und er starb. Bitte lass es einfach nur ein Traum gewesen sein.

Die U-Bahn hielt und Menschen strömten aus und in die U-Bahn, sodass sich diese langsam zu füllen begann. Ein Tippen auf seiner Schulter riss ihn aus seinen Gedanken. Zack – ein 1,90 m großer, breit gebauter, braunhaariger Texaner mit einem Boxerschnitt – grinste ihn verschmitzt an und machte ihm mit einer Handbewegung deutlich, er möge etwas zur Seite rutschen.

Aleks nahm seine Kopfhörer ab und wurde mit einem „Jo, was geht, Kleiner?“ und einem Handschlag begrüßt.

Kleiner. Als klein konnte man Aleks nicht bezeichnen, immerhin brachte er stattliche 1,80 m an den Start, doch für Zack, waren alle unterhalb seiner Nasenspitze nunmal Zwerge oder Kleine.

„Du siehst müde aus. Schlecht geschlafen?“, fragte Zack, der es sich neben ihm gemütlich machte.

„Alles gut, hatte nur einen komischen Traum.“

Mit einem Bing meldete sich Zacks Handy, das er aus seiner Tasche zog. „Rika trifft uns am Haupteingang. Anscheinend hatte sie bei ihrem „Freund“ übernachtet.“

Warum „Freund“? Bei Rika war es tatsächlich angebracht, dies in Anführungszeichen zu setzen, denn sie war ein 1,68 m großer Wildfang aus Massachusetts mit langen, lockigen, braunen Haaren und einem Schmollmund, der „Küss mich“ schrie. Und anscheinend löste sie bei jedem männlichen Wesen einen unkontrollierbaren Beschützerinstinkt aus. So mangelte es ihr nie an „Freunden“. Leider hielten diese Beziehungen nicht lange, da sie es mit der Ehrlichkeit sehr genau nahm. Das nahm Aleks auch, tatsächlich hatte er noch nie gelogen, aber er verpackte Sachen dezent oder schwieg. Das tat Rika einfach nicht. Geradeheraus mit einem Feingefühl eines Steins. An ihrer Station angekommen, verließen Aleks und Zack die U-Bahn und liefen gemeinsam Richtung Uni.

Am Eingang wurden beide mit einer stürmischen Umarmung begrüßt.

„Warum ziehst du so eine Fresse, Rika? Hat dich dein Freund etwa verlassen?“, fragte Zack, als er ihre dezent mit Make-up überschminkten, geröteten Augen sah.

„Mich verlassen? Pah, ich hab ihn abserviert. War eh nicht mein Typ“, gab sie mit einem Schmollen zurück.

Na, das kann was werden. „Wir sollten uns lieber auf die heutige Prüfung konzentrieren. Danach können wir ja ins Pete‘s und du kannst uns alles erzählen“, bot Aleks als Vermittler an, als er sah, dass Zack und Rika zum Wortgefecht ausholten.

Gott sei Dank schien das ein akzeptabler Kompromiss und so verlief der Tag und die Prüfung ohne weitere Zwischenfälle. Doch aus irgendeinem Grund ließ Aleks die Vorahnung nicht los.

„Prost!“ Mit vollen Gläsern stießen die drei auf die letzte bestandene Prüfung ihres Studiums an. Zack leerte sein halbes Glas in einem Zug und stellte es mit einer weniger eleganten Bewegung – man könnte es auch auf den Tisch knallen nennen – auf dem bereits durchnässten Bierdeckel ab, dessen Werbung schon von den tausend vorherigen Kunden weggerubbelt worden war.

„Endlich Ferien, ich kann's kaum erwarten, meine Glieder auszustrecken und mich zu entspannen. Ich meine, nach so einer grausigen Prüfung. Aber hey, wir haben's hinter uns“, gab eine gut gelaunte Rika von sich, deren Augen schon verdächtig lange am Nebentisch klebten, an dem eine Gruppe stattlich gebauter Männer saß, die einen (sportlichen?) Sieg zu feiern schien.

Aleks musste grinsen und lehnte sich entspannt zurück. Ja, endlich war's geschafft. Fünf Jahre ackern, Stress und kaum Freizeit. Ohne seine Freunde wäre er da wahrscheinlich nie durchgekommen. Sie mochten zwar etwas verrückt sein, doch waren sie auf ihre eigene Art besonders und einzigartig. Da brauche gerade ich nicht anfangen, immerhin bin ich doch der größte Freak unter uns. Diese Vorahnung …

Jäh wurde er aus seinen Gedanken gerissen, als Zack ihm mit dem Ellenbogen in die Seite stupste, um seine Aufmerksamkeit zu erhalten. „Erde an Aleks, raus aus den Träumen. Die können nicht schöner als ein gemeinsames Gelage mit deinen Kumpels sein.“

Verschmitzt antwortete Aleks: „Dann erzähl doch was Spannendes, Zack, zum Beispiel wie Professor Miller dich in der Prüfung auseinandergenommen hat. Ein Wunder, dass du dort lebend rausgekommen bist.“

„Wie immer ein Herz aus Stein, ohne einen Tropfen Mitleid. Glücklicherweise hatte er sich auf Kellan eingeschossen, deshalb bin ich mit einem blauen Auge davongekommen. Ich wette Rika hat sich ihre 2-mit einem seichten Wimpernklimpern erschlichen“, lachte Zack.

Rika gab ein melodramatisches Schnauben von sich und hielt sich ihr nicht wirklich verletztes Herz. Spöttisch gab sie ein „Tja, bei deinem Gesicht würd ich auch weglaufen. Klimper, klimper“ und klimperte übertrieben mit ihren Wimpern. Aleks konnte sich über das Schmierentheater seiner Freunde kaum auf dem Stuhl halten. Gott, heute war wirklich der beste Tag seit langem.

Etwas umständlich verließen Aleks und Zack mit einer angeschickerten Rika die Bar. Nach dem dritten Bier hatte Rikas Ich-schütte-mein-Herz-über-meinen-bescheuerten-Exfreund-Phase angefangen, was in weiteren Bieren und Flirts mit dem Nebentisch geendet war. Zack brachte sie (wie immer) mit einem Taxi nach Hause, was gar nicht so einfach war, denn eine angeschickerte Rika im strömenden Regen in ein Taxi zu kriegen, war ein wahrer Drahtseilakt.

Aleks verabschiedete sich von ihnen, öffnete einen von der Bar geliehenen Regenschirm und machte sich zu Fuß auf den Heimweg, da er nur ein paar Blocks weiter seine Wohnung hatte. Er schaute kurz auf die Uhr, 2:54 Uhr. Hatten sie wirklich sieben Stunden in dieser Bar verbracht? Schmunzelnd dachte er an die gemeinsame Zeit. Ja, Zeit war wirklich relativ. Hatte man Spaß mit seinen Freunden, verging sie wie im Flug.

Aleks schaute in den Himmel und ihm kam der Gedanke, heute musste der Himmel wirklich traurig sein, wenn er so viel weinte. Augenblicklich kam die Erinnerung an den Traum von heute Morgen in ihm hoch.

Ich liege auf dem Boden, es ist dunkel und regnet in Strömen. Ich bin allein und warte auf den Tod.

Er schüttelte kurz den Kopf, als ob er versuchte, die Erinnerung zu vertreiben. Alles Einbildung, sonst nichts.

In Gedanken versunken lief er weiter und bemerkte erst zu spät, dass er in den Nebengassen gelandet war. Dies war für gewöhnlich sein Heimweg, doch nachts um drei vermied er diese; zur Sicherheit verstand sich. Er wollte gerade umdrehen, als er ein seltsames Geräusch hörte, das einem Lachen ähnelte, aber dafür viel zu heiser war.

Was zur Hölle? Ist da jemand?

Wie von unsichtbaren Händen gezogen, beschleunigte er und lief dem Geräusch hinterher. Was, wenn doch … nein, nein, ich drehe jetzt um. Ich geh nicht in eine gottverlassene Nebengasse – nachts, allein. Doch entgegen seines gesunden Menschenverstandes lief Aleks weiter, bis er in einer Sackgasse landete. An der Wand lehnte eine in sich gesunkene Gestalt, dem unerbittlichen Regen ohne Schutz ausgeliefert.

Vorsichtig trat er näher und trat in eine Pfütze. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, aber als der Geruch von Eisen in seine Nase stach, schaute er nach unten und erblickte die rötlichen Spritzer an seiner Hose. Ein Würgereiz erklomm seine Kehle und er hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht zu erbrechen. Du bist Arzt, so ein bisschen Blut macht dir doch nichts aus. Doch es war nicht nur ein bisschen Blut.

Als er die Gestalt genauer untersuchte, sah er neben zahlreichen Prellungen einen vertikalen Schnitt durch die Augenpartie, die von dessen pechschwarzem Haar überdeckt war, und eine klaffende Wunde am Unterbauch, die die Person erfolglos versucht hatte, abzudrücken. Doch am meisten faszinierte ihn dessen Gesicht. Er hatte ein markantes Gesicht mit einer majestätischen Nase und roten Lippen. Er war wunderschön. Wie konnte er in dieser Situation über sein Gesicht nachdenken?

Ist er tot?

Vorsichtig rüttelte er an dessen Schulter und fragte: „Können Sie mich hören?“

Daraufhin bewegte sich die Gestalt und öffnete die Augen, sagte jedoch nichts.

Oh Gott, er lebt noch und ist bei Bewusstsein.

Dieser grausame Zustand löste erneut einen Würgereiz aus, den er diesmal nicht mehr unterdrücken konnte. Er rannte zur Seite und erbrach sich an eine Mauer. Ich muss ihmhelfen, kam ihm in den Sinn und er ging entschlossen auf den Verletzten zu.

Nach wenigen Sekunden war ihm klar, dass er sterben würde, sollte er noch mehr Blut verlieren. Ihm blieb keine Wahl, er musste die klaffende Bauchwunde schließen und das möglichst schnell, denn sein Atem wurde immer schwächer. Verdammt, ich habe keine Wahl.

Zögernd schaute sich Aleks in der Gasse um. Keine Menschenseele. Er sammelte sich und atmete einmal tief ein und aus. Es muss sein. Bitte, lass es niemanden sehen. Er nahm ein Taschenmesser, das er immer in seiner rechten Jackentasche trug, und ritzte seine Handfläche an, bis Blut hervortrat. Den kleinen Schmerz ignorierte Aleks und presste die Hand auf die Wunde des Verletzten. Dieser zischte vor Schmerz auf. Konzentrier dich!

Aleks kam innerlich zur Ruhe und atmete langsam ein und aus. Seine linke Handfläche begann zu leuchten. Erst schwach, verwandelte sich aber dann in ein helles Licht, das die Gasse erleuchtete. Vorsichtig leitete er seine Lebensenergie in den Körper des Verletzten und die Wunde begann sich zu schließen.

Völlig erschöpft fiel Aleks auf die Knie, den Schirm schon lange neben sich liegend. Der kalte Regen holte ihn in die Realität zurück.

Sie mussten hier schleunigst verschwinden, denn er konnte nicht sicher sein, ob sie nicht doch jemand gesehen hatte. Er wollte nicht als Schlagzeile »Mensch heilt Schwerverletzten mit leuchtenden Händen« in der Zeitung landen; oder noch schlimmer – als Versuchskaninchen im Labor.

Er legte seinen Arm unter die Achsel des Bewusstlosen und zog ihn hoch. Himmel Herrgott, wie viel wiegst du?

Als Aleks sich zur vollen Größe aufrichtete, sah er, dass der Verletzte wohl um einiges größer war, als er selbst, da dessen Beine stark eingeknickt waren. Schritt für Schritt zog er ihn in Richtung seiner Wohnung – betend, dass ihm niemand um diese Uhrzeit begegnete oder ihn sah.

Irgendwie hatte er es geschafft, er hatte den Fremden in seine Wohnung geschleppt und auf den Küchentisch gelegt. In dem Moment schaltete sich sein Arztmodus ein und routiniert entfernte er mit einer Schere die Kleidung des Patienten, nahm einen Lappen und wusch den Dreck und das Blut davon ab. Einen Großteil hatte der Regen dankenswerterweise übernommen.

Völlig vertieft vergaß er, dass er in triefnassen Klamotten den ganzen Boden einsaute. Nein, das Wohl des Patienten stand an oberster Stelle. Er hatte in der ersten Zeit seines Praktikums als Rettungssanitäter und in der Notaufnahme gearbeitet, sodass er nun routiniert den Patienten auf Verletzungen untersuchen und diese behandeln konnte.

Unzählige Prellungen und Schnittwunden am ganzen Körper, ein gebrochener rechter Unterarm und mindestens drei gebrochene Rippen. Dazu noch der horizontale Schnitt über die Augen. Diese mussten von einer stumpfen Klinge zerfetzt worden sein, da die Wunde nicht nach einer gewöhnlichen Schnittwunde aussah. Als ob jemand mit einem Nagel über die Augen gekratzt hätte.

Er nahm Desinfektionsmittel, Nähzeug und Verbände aus seiner Erste-Hilfe-Tasche, die er für Notfälle in seiner Wohnung hatte, und reinigte und verband die Wunden. Den gebrochenen Arm schiente er provisorisch. Zuletzt bewegte er den Verletzten vorsichtig in sein Bett und deckte ihn mit mehreren Decken zu, um ihn zu wärmen. Dann ging er ins Bad und stellte die Dusche an.

Als das warme Wasser auf seine eiskalte Haut traf, verließ Aleks alle Kraft. Er sank auf den Boden und schloss die Augen. Erst dann wurde ihm bewusst, was er gerade getan hatte. Er hatte einen wildfremden, schwerverletzten Mann, von dem er nicht wusste, wer er war oder ob er die Nacht überhaupt überleben würde, in seine Wohnung geschleift und versorgt. Nicht nur das – er hatte seine Fähigkeit, die er bisher erfolgreich versteckt hatte, in der Öffentlichkeit benutzt und ihn geheilt.

Hoffentlich hat es niemand mitbekommen. Was sollte er nun tun?

Erschöpft hievte er sich aus der Dusche und zog sich eine Jogginghose und ein T-Shirt an. Ein letztes Mal schaute er in sein Schlafzimmer und hörte das leise Atmen des Fremden. Mit einem Seufzer legte er sich dann aufs Sofa, deckte sich zu und fiel sofort in einen traumlosen Schlaf.

Kapitel 2

Das Zwitschern der Vögel und die, man könnte schon sagen, penetrante Helligkeit des Lichts, das Aleks ins Gesicht schien, weckten ihn aus einem unruhigen Schlaf. Mehrmals zwinkernd versuchte er, die Augen zu öffnen und langsam aufzuwachen. Er stöhnte, als der Kopfschmerz einsetzte, und suchte blind nach seiner Wasserflasche, die er neben seinem Bett stehen hatte.

Als er mit der Hand gegen eine weiche Wand stieß, setzte er sich auf und realisierte, dass er gar nicht im Bett, sondern auf dem Sofa lag. Seine Decke mit einem grün-gelben Karomuster, die er von Rika zur Einweihung geschenkt bekommen hatte, hatte sich in der Nacht zum Teil nach unten verabschiedet, sodass seine nackten Füße entblößt in der Luft hingen und sein Bauch nur noch von einem Eck verdeckt wurde. Er fuhr sich mit der linken Hand durch die Haare, als ihn ein kleines Stechen in der Hand zusammenzucken ließ. Er betrachtete den kurzen Schnitt, der sich über seine linke Handfläche zog, und versuchte sich daran zu erinnern, wann er sich diesen zugezogen hatte. Hatte er so viel getrunken?

Sich am Bauch kratzend, lief er verschlafen - oder eher wie ein Zombie torkelnd - ins Bad, reinigte die Wunde und platzierte ein Pflaster aus dem Verbandskasten darüber. Dann putzte er die Zähne und schaute in den Spiegel. Mann, siehst du fertig aus. Er wusch sich das Gesicht und machte sich auf den Weg in die Küche, um sich erst mal einen Kaffee zu machen.

Es war keine allzu große Küche, war aber mit allem Wichtigen wie Backofen, Herd, Mikrowelle und Toaster, sowie einer Heißluftfritteuse (auch ein Geschenk von Rika) ausgestattet. Diese würde er um nichts in der Welt wieder hergeben.

Seine Wohnung war 79 m2 groß und hatte mit insgesamt drei Zimmern eine stattliche Größe. Das Wohnzimmer mit offener Tür zur Küche nahm den größten Teil ein. Das Wohnzimmer war mit dem besagten grau-schwarzen, L-förmigen Sofa, das Zack gut und gerne einmal die Woche als Bett benutzte, einem 45-Zoll-Fernseher und einem kleinen Tisch dazwischen ausgestattet.

Hinter dem Sofa in Richtung Küche war ein milchiger Glastisch, der zur Not ausgezogen wurde, und nein, kein Kratzer bis jetzt. Aleks liebte diesen Tisch, da er diesen mit seinen Freunden damals nach stundenlanger Suche gefunden und sich sofort in ihn verliebt hatte.

Neben dem Schlafzimmer, das ganz spartanisch mit einem Bett und einem Schrank ausgestattet war, gab es noch sein Bad und daneben seinen Arbeitsraum. Drei Bücherregale, zwei schwarze und ein weißes, zierten eine Wand des Raumes, während die anderen zwei durch einen L-förmigen weißen Schreibtisch, der in Wirklichkeit aus zwei aneinandergestellten Einzeltischen bestand, vollgestellt waren.

Darüber befanden sich an einer großen Korkwand Bilder von Rika, Zack und ihm, sowie aus dem Waisenhaus, in dem er aufgewachsen war. Zunächst hatte Aleks sie mit Tesa an die Wand geklebt. Das hatte sich jedoch geändert, als Rika voller Entsetzen aus dem Zimmer gesprungen war und nach 2 Stunden (kein Witz) mit dieser Korkwand zurückgekehrt war. Jedes Mal, wenn eine taffe Arbeits-oder Lernphase begann, schenkten diese ihm die nötige Motivation. Alles in allem war diese Wohnung in den letzten fünf Jahren zu seinem Zuhause geworden.

Viele fragten sich: Wie kann sich ein Medizinstudent ohne Eltern eine Dreizimmerwohnung in Los Angeles leisten? Die Wahrheit war, er wusste nichts über seine Eltern, und konnte die Schule und die Universität mithilfe von Stipendien besuchen. Die Überraschung über den Brief mit der Besitzurkunde dieses Apartments hatte ihn fast aus den Latschen gehauen. Bis heute wusste er nicht, von wem er diese erhalten hatte. Auch die Agentur, die dieses Apartment verkauft hatte, hatte keinerlei Anhaltspunkte – außer, dass dieses Apartment schon seit seiner Geburt auf seinen Namen ausgeschrieben war.

Kaum kam Aleks in der Küche an, sah er das Chaos. Schmutzige Fußabdrücke auf dem Boden, die neben einer Schleifspur zum Küchentisch führten. Überall Verbände, schmutzige Tücher und Abdrücke auf und um den Tisch. Links neben dem Tisch stapelte sich ein Haufen an (zerschnittenen?) schwarzen Klamotten, die rötliche Flecken aufwiesen. Alles in allem schaute er geschockt auf das Schlachtfeld.

Schlagartig kehrte die Erinnerung an die vergangenen Stunden zurück. Panik wallte in ihm auf und er musste sich erst mal auf einen Stuhl setzen, um nicht umzukippen. Es vergingen mehrere Minuten, in denen Aleks das Geschehene nochmals rekapitulierte und verarbeitete. „Erst mal ein Kaffee, dann die Lösung.“

Während die Kaffeemaschine brodelte, schaute er nachdenklich zu seinem Schlafzimmer. Vielleicht ist er schon weg. Er könnte doch aufgewacht sein und ist gegangen.Idiot. Als ob ein blinder, schwerverletzter Mann einfach aufstand und nach Hause ging, sofern er noch lebte.

Mit gefalteten Händen schickte er ein Stoßgebet in Richtung Himmel, dass in seinem Bett keine Leiche lag, denn wie sollte er das erklären?

Ich habe gestern diesen Schwerverletzten mit zu mir nach Hause genommen, anstatt den Rettungswagen zu rufen. Er wurde offensichtlich von irgendwelchen Verbrechern geschnetzelt und hat eine Menge Blut verloren. Ach, der Blutverlust ist ohne eine große Wunde gar nicht möglich? Na ja, ich hab ihn einfach zusammengebrutzelt mit meiner ach so tollen Heilfähigkeit. Wollen Sie mich gleich mitnehmen?

Er hielt inne. Wieso hatte er nicht den Krankenwagen gerufen? Wieso war ihm als Arzt dieser Gedanke nicht gekommen? Hatte es an der Vision gelegen? Aus irgendeinem Grund hatte er ihn nicht sterben lassen können und das wäre er, hätte Aleks auf den Krankenwagen gewartet.

Es half nichts. Er musste nachschauen, ob der Fremde noch lebte oder nicht. Dann würde er sich eine Lösung überlegen. Vorsichtig erhob er sich und lief zögernd zum Schlafzimmer. Mit zitternden Händen öffnete er die Tür in Zeitlupe und ging langsam hinein. Es vergingen gefühlt Stunden, bis er so etwas Einfaches wie das Betreten eines Raumes hinter sich gebracht hatte. Vorsichtig schaute er in Richtung Bett und wartete. Sein Herz schlug ihm bis zu den Ohren, also versuchte er sich zu beruhigen. Dann hörte er tiefe, kräftige Atemzüge. Erleichtert atmete Aleks aus und bemerkte erst jetzt, dass er die ganze Zeit den Atem angehalten hatte.

Schritt für Schritt tastete er sich in Richtung Bett und Patient vor.

Komm schon, reiß dich zusammen. Das ist nicht das erste Mal, dass du einen schwerverletzten Patienten vor dir hast. Richtig, er ist einfach nur ein Patient. Und sobald du geschaut hast, wie es ihm geht, rufst du den Krankenwagen und im Nu ist er weg.

Vorsichtig berührte Aleks dessen Schulter und rüttelte leicht daran. „Sind Sie wach? Können Sie mich hören?“

Keine Antwort. Er versuchte es noch einmal. Immer noch keine Reaktion. Hatte er bei dessen Verletzungen auch nicht erwartet, also schaltete sich sein Arzt-Modus ein und er begann, systematisch die Wunden des Verletzten zu überprüfen.

Er entfernte die Verbände, inspizierte die Nähte, desinfizierte diese erneut und verband sie schließlich. Anschließend holte er eine Kochsalzlösung, die er für sich für Notfälle im Kühlschrank aufbewahrte, legte ihm einen Zugang und schloss sie an. Somit könnte er wenigstens ein bisschen den Blutverlust ausgleichen. Anschließend nahm er eine Wasserflasche, um ihm etwas Wasser einzuflößen. Vorsichtig öffnete er seinen Mund und hielt inne. Fasziniert betrachtete er seine oberen Eckzähne, die länger und schärfer aussahen als bei anderen. Vorsichtig berührte er einen mit dem Daumen und zog ihn hastig zurück.

Der Zahn hatte seine Haut mühelos durchbrochen und etwas Blut war ihm in den Mund geflossen. Plötzlich wurde er von einer Hand am Arm gepackt.

Belial wurde schlagartig aus dem Schlaf gerissen. Grund dafür war der brennende Geschmack von Rosen auf seiner Zunge. Umhüllt von dem wohligen Duft, der ihn gestern in die Bewusstlosigkeit begleitet hatte, riss er die Augen auf und sah nichts. Alles um ihn herum war schwarz.

Instinktiv griff er nach der Hand, die ihn berührt hatte, und umklammerte diese. Er hörte ein überraschtes Keuchen. Er spürte, wie der Andere versuchte, seinen Arm zu befreien, doch er hielt ihn eisern fest. Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen, doch sein Instinkt übernahm die Kontrolle. Er biss dem Anderen in die Hand und begann, sein Blut in sich aufzunehmen. Dieser schlug und wehrte sich verzweifelt, versuchte seine Hand zu befreien – vergeblich.

Das kostbare Gut rann ihm die Kehle hinunter in den Magen, belebte ihn. Schlagartig durchfuhr ihn ein Energiestoß und er ließ von der Person ab. Er spürte, wie Energie durch seine Adern rauschte, und atmete erleichtert aus. Die Wunden, die seinen Körper überzogen, die gebrochenen Knochen, alles begann langsam zu heilen. Leider war es nicht genug Blut. Seine zerstörten Augen würden noch eine Weile brauchen, bis sie sich wieder regenerierten.

Der Geruch von Angst und Panik durchtränkte die Luft und klarten seine Gedanken auf. Verdammt, er hatte gerade einem Menschen sein dämonisches Ich offenbart.

„Was bist du?“, fragte eine zitternde Stimme.

Ein Mann also, nicht sehr alt. Verwundert, dass dieser immer noch nicht den Raum verlassen hatte, antwortete Belial mit melodischer Stimme. „Beruhige dich, Mensch, und setze dich.“

Der Grund, warum Dämonen bis jetzt im Verborgenen unter den Menschen leben konnten, war zum einen die Fähigkeit, Menschen mithilfe der eigenen Stimme kurzzeitig zu manipulieren, und zum anderen die, das Gedächtnis zu löschen. Ersteres wendete Belial auf seinen vermeintlichen Retter an, um etwas Zeit zu gewinnen und sich eine Lösung zu überlegen.

„Bist du nicht ganz sauber? Wie soll ich mich bitte beruhigen, wenn du mir gerade in die Hand gebissen und mein Blut getrunken hast?“, rief dieser panisch.

Belial erstarrte, nein, war entsetzt. Es wirkt nicht? Das ist nicht möglich. Seine Stimme hatte bis jetzt noch jeden Menschen manipuliert. Ist er immun? Oder … „Was bist du?“, fragte Belial.

Entsetzt schaute Aleks zu dem Fremden, der ihm gerade mit seinen Fangzähnen in die Hand gebissen hatte.

Vampir. Ist dieser Mann ein Vampir? Sind das nicht nur Mythen? Warum ist er so ruhig, will er mich nicht fressen? Wieso sitze ich hier und kann mich nicht bewegen? Völlig überfordert von all den Fragen in seinem Kopf, versuchte Aleks sich zu beruhigen und brachte erstmal Abstand zwischen sich und den Fremden. Er lehnte sich an den Schrank am anderen Ende des Zimmers und versuchte, sich zu sammeln und das Geschehene zu verarbeiten.

Der Fremde versuchte sich aufzurichten, was ihm jedoch große Schmerzen verursachte.

„Um Himmels willen, bleiben Sie liegen. Sie sind viel zu schwer verletzt und haben viel Blut verloren.“

Überrascht runzelte dieser die Stirn und betastete vorsichtig den Augenverband, blieb aber wider Erwarten liegen.

Aleks fokussierte seine Gedanken und versuchte, die ganze Situation zu erfassen. Du hast einen verletzten, blinden Vampir in deinem Bett liegen, der wahrscheinlich wahnsinnig Hunger hat und dich nur nicht auffrisst, weil er sich gerade schlecht bewegen kann. Hervorragend.

„Werden Sie mich fressen?“ Wenn er nicht gerade mit der Situation überfordert gewesen wäre, hätte er den Gesichtsausdruck seines Gegenübers als überrascht bezeichnet.

Tatsächlich war Belial mehr als überrascht. Nicht nur über die Frage, sondern auch über den Umstand, dass sich der Mensch (?) immer noch im Raum befand und nicht bereits geflohen war oder ihn angegriffen hatte. Er stellte ihm einfach nur die Frage, ob er ihn fressen wolle. „Ich weiß nicht, wie du darauf kommst, aber meine Art frisst kein Menschenfleisch. Wir sind keine Wilden“, gab er gekränkt zurück, ohne weiterhin auf das Thema Immunität einzugehen, zumindest vorerst. Er würde später, wenn sein Gegenüber sich beruhigt hatte, darauf zurückkommen.

Nicht zu fassen. Hatte er gerade wirklich einen gekränkten Unterton? Wut stieg in Aleks auf und er antwortete patzig: „Wie ich darauf komme? Sie haben mir gerade versucht, die halbe Hand abzubeißen, nachdem ich Sie gestern blutend hierher geschleift und behandelt habe! Haben Sie eigentlich eine Ahnung, wie viel Sie wiegen? Haben Sie Steine gefressen? Ich werde gleich einen Exorzisten herbestellen und Sie austreiben!“

Hatte er nun völlig den Verstand verloren? Er schrie einen Vampir in seinem Bett an und fragte, ob er Steine gefressen hat, anstatt die Beine in die Hand zu nehmen und wegzulaufen. Nein, ihm war nicht mehr zu helfen. Seine Gedanken wurden von einem leisen Lachen unterbrochen. Lacht er mich gerade aus? Er war zu geschockt, um irgendeine Reaktion zu zeigen.

„Du gefällst mir, Junge. Mir gefällt dein Mut, aber anscheinend scheinst du keinerlei Überlebensinstinkt zu besitzen, sonst hättest du längst die Flucht ergriffen. Außerdem kränkt es mich, dass du mich als Vampir bezeichnest. Diese menschliche Fabrikation hat nichts mit meiner Rasse gemein.“

„Was sind Sie dann?“, fragte Aleks, ohne nachzudenken.

Der Nicht-Vampir schien kurz zu überlegen, ob er antworten sollte, entschied sich schließlich dann dafür. „Im Osten bezeichnet ihr Menschen uns als Kuei oder Yôkai. Hier werden wir Daimon oder Dämon genannt. Wir selbst bezeichnen uns als Daeva. Ich gehöre der Rasse der Leviathane an. Mein Name ist Belial. Wie lautet der deine, Mensch?“

Verdutzt darüber, tatsächlich eine Antwort erhalten zu haben, antwortete Aleks: „Aleksander Esai.“

Eine unangenehme Stille breitete sich aus.

„Das ist ein sehr besonderer Name. Deine Eltern müssen dich sehr lieben.“

Aleks war über den Kommentar erstaunt und entgegnete ihm: „Sie verstehen dessen Bedeutung?“

„Natürlich, immerhin gibt es keinen tiefgründigeren Ausdruck der Liebe, als sein Kind als Geschenk zu bezeichnen.“ Belial wunderte sich, dass der Mensch namens Aleksander, ihm nicht antwortete. Zu gern würde er dessen Gesicht sehen, um die Situation einzuschätzen. Dann nahm er den Geruch von Salz wahr und hörte ein kleines Schniefen. Hatte der Mensch seine Situation realisiert und hatte nun einen Zusammenbruch?

„Ich weiß es nicht“, sagte Aleks leise.

Belial war verwirrt. Was wusste er nicht? „Was ist, Mensch? Wieso weinst du?“

„Ich weiß nicht, ob sie mich geliebt haben oder nicht, da ich sie nie kennengelernt habe. Ich weiß nicht, ob sie mich weggegeben haben, weil sie es mussten, oder mich nicht wollten.“

„Beruhige dich, Mensch, nein, Aleksander“, versuchte der Dämon ihn zu beruhigen. Die gesamte Situation schien Aleks so surreal. Ein Dämon, der versucht hatte, ihn zu fressen (auch wenn er dies leugnete), versuchte ihn zu trösten, und in der ganzen Situation schien diese aufrichtige Art ihn auch noch zu beruhigen. Was stimmte nicht mit ihm?

Es wurde Zeit, Ordnung in dieses Durcheinander zu bringen. Aleks wischte sich die Tränen ab und setzte sich aufrecht hin. „Ich habe einige Fragen, die wir klären müssen. Erstens, hast du vor mich zu fressen oder zu töten? Zweitens, was hattest du hier in Los Angeles zu suchen? Drittens, wer hat dich verletzt und wirst du noch von ihm oder ihnen gejagt? Das ist erstmal das Wichtigste.“

Nervös rieb sich Aleks die Hände und wartete auf die Antwort des Dämons.

Sicher würde sich jeder in dieser Situation fragen: Warum sitzt der Junge mit einem Dämon im Raum und stellt ihm Fragen, anstatt zu verschwinden? Auf den ersten Blick erscheint dies irrsinnig, aber wenn man genauer darüber nachdachte, wurde schnell klar – Flucht war die momentan schlechtere Option. Der Dämon befand sich in seiner Wohnung und er konnte schlecht

a) seine Wohnung mit seinem Zeug einfach verlassen, da es unvermeidlich war, dass Belial diese irgendwann verlassen konnte und dann evtl. jemanden töten und ihn jagen würde,

b) die Polizei rufen und ihnen erzählen, dass ein Dämon in seiner Wohnung war, oder

c) ihn aus dem Weg schaffen.

Also musste er erstmal Informationen sammeln, um die Lage besser einschätzen zu können.

„Das sind ziemlich viele Fragen. Da du mich jedoch gerettet hast, werde ich sie dir beantworten. Du scheinst ein aufrichtiger Mensch zu sein“, antwortete Belial. „Ich habe nicht vor, dich zu fressen, da ich - wie bereits erwähnt - kein Wilder bin. Meine Art kann sich von menschlichem Blut ernähren, es kann als Nahrungsersatz dienen, ist aber nicht notwendig. Sagen wir, es ist praktischer und nahrhafter.

Momentan habe ich nicht die Absicht, dich zu töten, denn du bist der Einzige, auf den ich mich momentan vertrauen kann bzw. muss. Solange ich verletzt bin, bin ich gewissermaßen ein leichtes Opfer für diejenigen, die mich angegriffen haben.

Meine Angreifer waren andere Dämonen, die den Auftrag hatten, mich zu töten. Wer sie angeheuert hat, ist mir nicht bekannt. Das gedenke ich jedoch herauszufinden, sobald meine Augen wiederhergestellt sind. Im Augenblick halten sie mich für tot, deshalb denke ich, sind wir hier sicher vor ihnen.

Nun zu deiner letzten Frage: Ich bin in Los Angeles, weil ich mein Herz suche. Und nenne mich bitte Belial. Es ist unhöflich, das Gegenüber nicht mit dem Namen anzusprechen, wenn man diesen kennt.“

Aleks brauchte kurz, um das Gesagte zu verarbeiten. Vor allem das mit dem ‚Herz‘ verwirrte ihn. Er kann nicht das Organ meinen, denn dieses schlägt offensichtlich in seiner Brust. Das würde er später fragen, nun gab es erst einmal Wichtigeres. „Gut, Belial.“ Sein Name hatte eine weiche Note, die angenehm klang. Nicht so hart wie sein eigener Name. „Woher weiß ich, dass du mich nicht anlügst?“, fragte Aleks misstrauisch.

„Da ihr Menschen Lügen nicht schmecken könnt, musst du mir wohl oder übel vertrauen. Aber glaube mir, wenn ich dich hätte töten wollen, wärst du bereits tot. Selbst blind wäre dies ein Leichtes für mich.“

Nicht gerade beruhigend, wie leicht es ihm von den Lippen geht, mich abzumurksen. Aber ich habe wohl kaum eine Wahl.

Aleks straffte die Schultern und wagte einen Schritt auf Belial zu. „Gut. Du kannst vorerst hierbleiben und ich werde dir helfen, aber dafür habe ich Bedingungen.“

„Und die wären?“, fragte Belial und seine Mundwinkel zuckten nach oben. Mut hat er, das muss ich ihm lassen. Aus irgendeinem Grund faszinierte Belial Aleks‘ Wesen. Nicht nur seine aufrichtige Art, mit der er mit ihm sprach, sondern auch die Art, wie Aleks zu denken schien. Insgesamt war er überrascht, dass Aleks die Situation so souverän meisterte. Die meisten anderen Menschen wären bereits durchgedreht und geflohen.

Nach kurzer Überlegung begann Aleks schließlich. „Meine erste Bedingung ist: Während du hier bist, wirst du mir nicht schaden. Du wirst mir weder wehtun noch mein Blut trinken.“

„Das nehme ich hin, auch wenn mir die Sache mit dem Bluttrinken nicht gefällt.“

„Gut, zweitens wirst du nicht nach draußen gehen, oder mit irgendjemandem Kontakt aufnehmen, solange du hier bist. Und drittens: Sobald du genesen bist, wirst du verschwinden und wir werden uns nie wiedersehen. Du wirst keinem von mir erzählen oder irgendwelche Andeutungen über mich machen.“

Das waren alles vernünftige Bedingungen, aber aus irgendeinem Grund zog sich Belial beim letzten Teil der Magen zusammen. Er wusste nicht, warum und ignorierte das Gefühl. Dem würde er – zusammen mit dem Thema Immunität – später nachgehen. Er nickte und erklärte sich einverstanden.

„Dann gibt es vorerst nur noch eines zu klären: Was isst du? Und wie wirst du möglichst schnell gesund?“, fragte Aleks.

Kurz angebunden antwortete Belial: „Das Gleiche wie ihr Menschen. Fleisch liefert am meisten Energie. Aber Blut ist weitaus wirkungsvoller.“

Da kam Aleks eine Idee. „Was ist mit Tierblut?“

Angewidert verzog Belial das Gesicht. „Nur wenn es wirklich notwendig ist.“

Soso, dann mögen Dämonen also kein Tierblut. „Was ist mit Menschenblut in Blutkonserven?“ Nicht, dass er momentan welche besorgen konnte. Er konnte ja schlecht in ein Krankenhaus einbrechen und sie stehlen. Aber es war gut zu wissen – für den Fall der Fälle, versteht sich.

Nachdenklich verzog der Dämon das Gesicht und antwortete: „Ich habe schon von Dämonen gehört, die sich auf diese Weise ernähren, kann aber selbst nichts darüber sagen. Das müsste ich ausprobieren.“

Gut, dann war das geklärt.

„Dann werde ich jetzt einkaufen gehen. Du bleibst so lange hier und … ruhst dich aus.“

Belial nickte kurz, aber was blieb ihm auch übrig. Er konnte in seinem Zustand schlecht aufstehen und Aleks davon abhalten. Noch während dem Dämon diese Gedanken kamen, fragte er sich, welchen Grund er haben sollte, ihn überhaupt aufzuhalten. Er wollte ihn nicht gehen lassen, so viel stand fest.

Aleks stellte eine Flasche Wasser neben ihn auf den Nachttisch und Belial hörte, wie er kurz darauf Schuhe und Jacke anzog und die Wohnung verließ. Nachdem die Tür geschlossen war, kehrte Stille ein.

Er war allein. Die Ruhe gab Belial die Möglichkeit, die letzte Stunde nochmals zu rekapitulieren. Während er nachdachte, bemerkte er, wie der Duft von Rosen und Regen nach dem Sonnenaufgang langsam schwand, und ihm wurde kalt. Es fühlte sich an, als würde etwas fehlen, dabei war der Mensch erst seit maximal zehn Minuten weg.

Ich möchte sein Gesicht sehen.

Er wusste nichts über Aleksander, außer dass er eine Stimme und einen Duft besaß, die ihn zur Ruhe kommen ließen. Wie er wohl aussieht? Welche Haar- und Augenfarbe hat er? Welchen Beruf übt er aus? Welche Hobbys hat er? Und zuletzt, wieso war er immun, und wie weit reichte diese Immunität?

All diese Fragen würde Belial stellen, sobald der Mensch sich ein bisschen an ihn gewöhnt hatte. Bis dato entschied er, sich weitmöglichst zu schonen und seine Heilung auf die Augen zu konzentrieren. Noch reichte das Blut, das er Aleks abgenommen hatte, aus. Doch er merkte, dass er schon bald weitere Nahrung brauchte. Ich werde ihm nicht wehtun, war der letzte Gedanke, den Belial hatte, bevor er einschlief.

Im Lebensmittelladen angekommen, kaufte Aleks alles Nötige ein, um einen Dämon seiner Ansicht nach zwei Wochen lang ernähren zu können.

Nicht nachdenken. Man darf dir nicht anmerken, dass etwas nicht stimmt. Plötzlich wurde er durch das Klingeln seines Handys aus den Gedanken gerissen. Zack rief ihn an. Zögernd nahm er den Anruf an. „Hallo?“

„Hey Aleks, ich bin‘s. Wie sieht es aus, machen wir heute wieder einen gemeinsamen Filmabend?“

Verdammt. Heute ist der wöchentliche Filmabend bei ihm. Wie sollte er Zack erklären, dass für die nächsten Wochen keiner seine Wohnung betreten durfte, weil dort ein verletzter Dämon in seinem Bett lag? Gut, ging nicht anders. „Hey, Zack, es geht leider nicht.“

Und wie immer konnte er nicht lügen. Immer wenn er auch nur versuchte, eine Lüge auszusprechen, schnürte sich ihm der Hals zu und ihm wurde übel. Das hieß, er war wortwörtlich nicht in der Lage zu lügen.

„Haben die Nonnen dich schon wieder für ihre Dienste eingespannt? Muss du ihnen wieder bei irgendwelchen Renovierungsarbeiten helfen?“

„Ja, Renovierungen hat das Waisenhaus wirklich nötig.“ Das war keine Lüge. Seine Frage hatte er damit aber auch nicht beantwortet. Das schien Zack jedoch nicht zu merken und nahm dies als Zustimmung als Zustimmung zu seiner Vermutung auf.

„Mensch, du hast einfach ein viel zu großes Herz. Du musst immer allen und jedem helfen. Aber dafür hast du zumindest den richtigen Beruf gewählt. Schreib mir, sobald du wieder verfügbar bist.“

„Geht klar, ich melde mich. Bis dann.“

„Bis dann, Kumpel. Halt die Ohren steif.“

Mit einem miesen Gefühl legte Aleks auf und setzte seinen Einkauf fort. Ich hatte keine Wahl, ich kann meine Freunde nicht in Gefahr bringen. Allein der Gedanke, ihnen könnte seinetwegen etwas passieren, sorgte bei ihm für Gänsehaut. Er kannte weder Belial, noch konnte er einschätzen, was dieser tun würde, wenn er genesen wäre. Er konnte nur darauf hoffen, dass dieser sich an die Abmachung hielt. Schweigend ging er zur Kasse und bezahlte. Dann machte er sich auf den Weg zu seiner Wohnung, in der er ab heute nicht mehr allein leben würde. Wird schon schiefgehen.

Kapitel 3

Erneut wurde Belial von einem verlockenden Duft geweckt – nur dieses Mal war es nicht nur Aleks‘ Duft, sondern auch der Duft von frisch gebratenem Fleisch. Die Tür wurde geöffnet und Aleks betrat den Raum.

„Belial, bist du wach?“

„Ja, ich bin wach“, antwortete er.

„Gut, hast du Hunger?“

Als Antwort grummelte Belials Magen. „Dem scheint so.“

Wie dringend musste er Nahrung brauchen, dass sein Bauch diese erniedrigenden Geräusche von sich gab? Dringend.

Aleks nahm die Antwort zur Kenntnis und lief in die Küche, um einen Teller mit dem gekochten Essen zu beladen. Auf einem Tablett brachte er den Teller mit Besteck ins Schlafzimmer und setzte ihn vorsichtig ab.

Der verführerische Duft stieg Belial in die Nase und erneut knurrte sein Magen, gefolgt von einem leisen Lachen. „Hast du gerade über mich gelacht?“, fragte er verdutzt.

Aleks versuchte, das Grinsen zu unterdrücken, leider erfolglos. Gut, dass der Dämon ihn gerade nicht sehen konnte. „Entschuldige, aber bei einem Dämon den Magen grummeln zu hören, kam einfach so unerwartet.“

„Du kannst nicht lügen, oder?“

Auf diese Frage antwortete Aleks mit einem Hmm, denn er wusste nicht, ob der Dämon es vielleicht gegen ihn verwenden würde. Vorsichtig belud er eine Gabel und führte sie an Belials Mund. „Öffne bitte den Mund.“

Überraschenderweise öffnete er tatsächlich den Mund und Aleks schob die Gabel hinein. Belial kaute und schluckte, Aleks wartete. Keine Reaktion?

Kaum berührte das Essen seine Zunge, erlebte Belial eine Geschmacksexplosion. Es war lange her, dass er so etwas Köstliches gegessen hatte. „Köstlich, was ist das?“, kam ihm über die Lippen. Im selben Moment bekam Aleks‘ Duft eine helle Note, was daran lag, dass er sich unerwartet über das Kompliment freute. Immerhin erhielt nicht jeder von einem Dämon ein Kompliment für seine Kochfertigkeiten.

„Freut mich. Entenleber mit Austernsauce und Sommergemüse. Magst du mehr?“, antwortete Aleks peinlich berührt.

„Ja, bitte. Isst du nichts?“

Egal, was bisher war, eines musste man dem Dämon lassen, höflich war er.

„Ich esse nachher, je nachdem, wie viel du mir übriglässt – immerhin bist du … mein Gast.“

Gast war nicht unbedingt das passendste Wort, aber etwas Besseres fiel Aleks auch nicht ein. Schweigend aß er und anschließend aß Aleks die Reste, stellte die Teller in die Spülmaschine und wusch den Wok, in dem er das Ganze zubereitet hatte.

Erneut zuckten seine Mundwinkel, als er an die Reaktion von Belial dachte. Gab es kein gutes Essen in der Hölle? Wenn er so darüber nachdachte – gab es überhaupt eine Hölle? Er würde ihn später fragen. Mit einer neuen Wasserflasche ging er zurück ins Schlafzimmer und setzte sich neben ihn.

„Würdest du mir etwas über dich und dein Zuhause erzählen?“ Überraschung wanderte erneut über Belials Gesicht. Hatte er diese Frage nicht erwartet? „Du musst nicht, wenn du nicht willst.“

„Aleksander“, begann Belial. Aus seinem Mund hörte sich sein Name wie der Name eines seltenen Kunstwerks an. „Eines solltest du über Dämonen wissen. Es wird bis auf wenige Ausnahmen immer eine Gegenleistung erwartet. Ihr nennt es in euren Mythen Pakt oder Handel.“

„Welche Gegenleistung erwartest du denn?“

Belial runzelte erneut die Stirn, denn er hatte mit dieser Antwort nicht gerechnet. „Ich möchte im Gegenzug auch etwas über dich erfahren und…“, brach er mitten im Satz ab.

Dies weckte Aleks‘ Neugier. „Was möchtest du noch?“, fragte er ruhig.

„Dich ansehen. Ich möchte mit den Händen dein Gesicht berühren.“

Erstaunt schaute Aleks zum Dämon. Warum will er wissen, wie ich aussehe? Plant er etwas, von dem ich nichts weiß?

Als hätte er Aleks‘ Gedanken gelesen, fügte er hinzu: „Keine Sorge, ich will dir nichts tun. Ich habe keine schlechten Absichten. Ich möchte einfach wissen, wie das Gesicht der Person aussieht, die mich gerettet hat.“

Sollte Aleks ihm glauben? Andererseits, warum sollte Belial lügen? Belial log nicht, da war Aleks sich sicher. Bei Menschen konnte er es sagen, da er wie Belial Lügen „schmecken“ konnte. Wenn jemand log, schmeckte Aleks einen bitteren Geschmack im Mund. Immer. Bei Dämonen jedoch wusste er nicht, ob das funktionierte. Entweder hatte Belial bis jetzt die Wahrheit gesagt, oder seine Gabe war auf Menschen beschränkt. Er entschied sich, dem Dämon einen Vertrauensvorschuss zu geben. Denn trotz der Situation, in der sie sich befanden, hatte er außer der Beißattacke nicht das Gefühl, dass er in irgendeiner Weise in Gefahr gewesen wäre. „Einverstanden.“

„In Ordnung“, grinste Belial und fuhr fort: „Fangen wir von vorne an. Ihr Menschen habt doch dieses Buch, in dem alles über die Menschen, den Himmel, die Hölle und das Fegefeuer steht. Alles, was in diesem Buch steht, ist wahr. Nur nicht ganz so, wie eure Propheten es aufgeschrieben haben. Momentan wird die Hölle von den sieben Höllenfürsten regiert und ist kein Ort voll Feuer und Schwefel. Natürlich gibt es auch solche Bereiche für die entsprechenden Seelen, die dort für ihre Strafe verbüßen. Doch seit langer Zeit bewegen sich Dämonen auf der Erde unter den Menschen – unerkannt und im Verborgenen.

Insgesamt gibt es zwei Kategorien von Dämonen: Die, die in die Hölle von anderen Dämonen geboren wurden, und Engel, die gefallen und in der Hölle hinabgestiegen sind.

Ich wurde vor langer Zeit in der Hölle geboren und wuchs dort auf. Ich lebte in dem Gebiet, das von dem Höllenfürsten Astaroth regiert wird. Im Endeffekt ähnelt das Leben als geborener Dämon in der Hölle dem eines Menschen auf der Erde. Man wächst in der Regel in einer Familie auf, erlernt einen Beruf, arbeitet und gründet eine Familie. Der Unterschied ist die Bindung, die Dämonen eingehen. Menschen heiraten einfach irgendjemanden, um sich fortzupflanzen. Das tun auch viele Dämonen, doch nicht alle. Jeder Dämon besitzt eine zweite Hälfte, sein sogenanntes Herz.

Sobald man die Reife erlangt, begibt man sich auf die Suche. Ich habe Jahrhunderte lang nach meinem Herzen gesucht, konnte es jedoch nicht finden. Also entschloss ich, auf der Erde zu suchen. Ich lebte einige Jahre in der Menschenwelt, dann wurde ich in dem Park in einen Hinterhalt gelockt und angegriffen. Nach dem Angriff schleppte ich mich in die Nebengasse und bereitete mich auf den Tod vor. Doch statt dem Tod kamst du.“

Aleks lauschte Belials Erzählung schweigend. Es gab so viele Vorurteile bezüglich Dämonen, so viele negative Gerüchte. Letztendlich unterschieden sie sich kaum von Menschen. Dieser Umstand machte Aleks traurig. „Du hast dein Herz also nicht gefunden?“

Belial schüttelte den Kopf.

Aus irgendeinem Grund fühlte sich Aleks erleichtert.

„Du hast erzählt, dass du verraten wurdest. Weswegen wurdest du denn angegriffen?“

Belial überlegte kurz, entschied sich jedoch für die Wahrheit. „Wie ich bereits erzählte, wählt jeder einen Beruf. Schon von Kindesbeinen an war ich schnell, geschickt, aber auch ungewöhnlich stark. Auch meine Magie war weit über dem Level der anderen. In der Hölle wird man anhand der Stärke und der Fähigkeiten in verschiedene Klassen eingeteilt.

Die Klasse E ist die niedrigste, in die Dämonen mit schwacher oder kaum vorhandener Magie eingestuft werden. Diese üben meist einfache Berufe wie Bauern, Händler, usw. aus. In der Klasse A sind Dämonen mit starken magischen und körperlichen Fähigkeiten. Meist werden sie zu Offizieren im Militär des jeweiligen Höllenfürsten oder sie werden Söldner.“

„Ist A die höchste Klasse? Zu welcher Klasse gehörst du?“

„A ist nicht der höchste Rang. Die Höllenfürsten und wenige andere Dämonen besitzen den sogenannten S-Rang. Nur wer diesen Rang erreicht, hat das Potenzial, ein Höllenfürst zu werden und einen um diese Position herauszufordern. Dies schaffen jedoch nur wenige, da auch mit viel Training und Erfahrung die magische Veranlagung eine entscheidende Rolle spielt.“

„Also gibt es keine Möglichkeit, für einen Dämon des untersten Ranges Fürst zu werden?“

„Doch, und das ist der Grund, weshalb ich gejagt wurde. Die Stärke der Magie ist eng an die Stärke der Seele geknüpft. Dämonen können andere ihrer Seele berauben und somit auch deren Magie. Angenommen, ein Bauer würde sich einen Höllenfürsten einverleiben, so hätte er nachher dessen Macht. Dies ist jedoch so gut wie unmöglich, weshalb diese versuchen, Dämonen niedrigeren Ranges zu töten und sich einzuverleiben.“

Aleks musste schlucken. Traute sich zunächst nicht zu fragen, entschloss sich aber dann trotzdem dazu. „Was ist mit menschlichen Seelen? Stehlen Dämonen Menschen die Seelen?“

Belial antwortete, ohne zu überlegen: „Es gibt Dämonen, die das tun, beispielsweise Sukkubi und Inkubi. Aber diese ernähren sich davon, verleiben sie sich also nicht ein. An sich hat eine menschliche Seele kaum magische Kraft. Selbst wenn man sich tausende einverleiben würde, würde dies nur einen geringen Unterschied machen.

Zudem ist es Dämonen nicht gestattet, so tiefgreifend in das menschliche Gefüge einzugreifen. Ein Massensterben von Menschen würde zu viel Aufsehen erregen und eventuell zu einer Jagd auf uns führen. Die einzige Alternative wäre, sich die Seele eines Engels einzuverleiben, doch dies ist noch unwahrscheinlicher, als einen Höllenfürsten zu besiegen.“

Engel?

„Gibt es Engel wirklich?“, platzte es aus Aleks heraus. Im selben Moment hätte er sich dafür ohrfeigen können. Warum auch nicht, es gab immerhin auch Dämonen. Einer davon saß direkt vor ihm in seinem Bett.

„Diese Begeisterung von euch Menschen für Engel konnte ich noch nie verstehen. Das sind arrogante, gefühlskalte Wesen, die es sich im Himmel gemütlich machen“, sagte Belial mit einem abwertenden Unterton.

„Bist du schon einem begegnet?“, fragte Aleks neugierig.

„Vor Jahrhunderten, ja. Es war keine allzu angenehme Begegnung.“

„Ich denke, ich verstehe nun grob deine Umstände, aber eines hast du mir noch nicht beantwortet. Welcher Klasse gehörst du an und welchen Beruf übst du aus?“

Diesmal schwieg Belial etwas länger. Er hatte Angst, Aleks zu verschrecken, oder das bisschen Vertrauen, das er sich erarbeitet hatte, zu zerstören. Doch ihn anzulügen, erschien ihm falsch. „Ich bin ein Söldner des Höllenfürsten Astaroth, seine rechte Hand. Ich erledige sozusagen die schmutzige Arbeit für ihn. Ich gehöre wie er der Klasse S an.“

Scharf sog Aleks den Atem ein. Gütiger Gott, ich sitze hier neben einem Dämon, der den Rang eines Höllenfürsten hat. Dass ich noch atme, erscheint mir wie ein Wunder. Aber wenn Belial so mächtig ist, wie konnte es dann so schwer verletzt werden?

Als hätte er Aleks‘ Gedanken gelesen, antwortete Belial: „Kommt ein Dämon durch ein Portal auf die Erde, werden ihm Schranken auferlegt. Je stärker der Dämon, desto stärker die Einschränkung. Dies dient dem Schutz der Menschheit. Sollte ein höherrangiger Dämon die Kontrolle verlieren, könnte er ganze Länder zerstören. Somit ist meine Macht hier stark begrenzt.“

Das leuchtete ein, machte die ganze Sache jedoch komplizierter. „Ich denke, ich habe genug Fragen beantwortet. Bist du bereit für meine Gegenleistung?“

Aleks nickte, erinnerte sich dann jedoch daran, dass Belial ihn nicht sehen konnte. „Gut, viel gibt es über mich nicht zu wissen. Mein Name ist Aleksander Esai. Ich wurde als Neugeborenes an der Schwelle eines Klosters zurückgelassen. Alles, was ich bei mir hatte, war eine Kette und eine Decke, auf der mein Name gestickt war. Also gaben mir die Nonnen, die mich aufnahmen, diesen Namen.“

Die besagte Kette hatte Aleks immer um seinen Hals hängen, direkt über seinem Herzen. Es war ein runder schwarzer Stein, auf den mystische Symbole im Kreis graviert waren. Diese legte er nie ab, nicht einmal zum Sport oder beim Duschen.

„Ich habe keine Erinnerung an meine Eltern. Die Nonnen leiteten ein Waisenhaus, in dem ich aufwuchs. Ich ging wie jeder andere zur Schule und schaffte es anschließend mit einem Stipendium an die Universität. Vor zwei Tagen habe ich mein Medizin-Studium abgeschlossen und in drei Monaten beginne ich meine Facharztausbildung am Los Angeles General Hospital. An diesem habe ich nebenher seit einem Jahr als Praktikant gearbeitet.

In meiner Freizeit treffe ich mich mit Freunden und treibe Sport. Ansonsten gibt es nichts Spannendes über mich zu erzählen. Ich meine, ich hatte eine schöne Kindheit, aber aus irgendeinem Grund habe ich mich nie zuhause gefühlt. Ich weiß gar nicht, warum ich dir das erzähle.“

Bisher hatte er sein Innerstes niemandem offenbart, aber aus irgendeinem Grund konnte er es bei Belial. Vielleicht, weil er in ein paar Wochen fort sein wird und ich nur ein Mensch von vielen sein werde. Er wird auf die Suche nach seinem Herz gehen und mich vergessen. Dieser Gedanke versetzte ihm einen Stich und er rieb sich die Stelle über seinem Herzen.

Belial spürte die plötzliche Traurigkeit, die Aleks umgab, und unbewusst streckte er seine Hand nach ihm aus. Tröstend strich er über seine Wange und wischte die Träne fort, die über sie geronnen war. Er wollte nicht, dass Aleks traurig war.

Bei der plötzlichen Berührung schreckte Aleks überrascht zurück. So etwas wie Mitgefühl hatte er nicht erwartet.

„Der zweite Teil der Vereinbarung steht noch aus“, sagte Belial und räusperte sich.

Stimmt, da war doch was. Also wollte er mich gar nicht trösten. Er nahm die Hand, die immer noch in der Luft verweilte, und legte sie an seine linke Wange. „Nur zu“, ermutigte er sein Gegenüber.

Vorsichtig strich Belial mit seinen Fingerspitzen über Aleks‘ Gesicht. Er erkundete unendlich langsam sein Kinn, wanderte über seine Wangen zu seiner Nase, um über die Augenbrauen zu seiner Stirn zu gelangen. Diesen Weg legte er rückwärts auf der linken Seite wieder zurück.

Belial spürte, dass Aleks ein rundliches Gesicht mit hohen Wangenknochen hatte, nicht so hart und kantig wie das seine. Seine Haut war weich und die Lippen voll wie reife Kirschen. Ob diese auch so schmecken? Seine Haare waren weich wie Samt und hingen ihm in die Stirn, kitzelten Belials Finger. Er hat ein sanftes, freundliches Gesicht, wie auch sein Charakter.

Je länger Belials Erkundungstour ging, desto schneller und lauter schien Aleks‘ Herz zu schlagen. Als Belial seine linke Wange erreichte, schmiegte sich Aleks instinktiv in dessen Handfläche. Beide zuckten vor Überraschung.

Sofort war Aleks auf den Beinen. Mit einem gestotterten „Ich muss kurz raus“ verließ er den Raum und ließ den Dämon mit einem brennenden Gefühl in seiner Handfläche zurück. Dieser ballte die Hand zu einer Faust und versuchte, sein Herz, das wild in seiner Brust schlug, zu beruhigen.

„Was stellst du mit mir an, Aleksander Esai? Was bist du?“

Kapitel 4

Verwirrt und überfordert ließ sich Aleks auf sein Sofa fallen. Verdammt, was war das?

Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und versuchte mit bewusst langsamem Atmen, seinen unkontrollierten Herzschlag zu beruhigen. Er wusste, dass er in diesem Moment instinktiv gehandelt hatte, aber sein Überlebensinstinkt war das sicherlich nicht gewesen.

„Es hilft nicht“, murmelte er vor sich hin. Er konnte schlecht vor dem Dämon in seinem Schlafzimmer weglaufen oder ihn wegdenken. Die Realität war, er war da, und damit musste er klarkommen. Aber wie, das entschied er immer noch selbst. Musik. Er ging zu der Musikanlage, die er links auf ein kleines Höckerchen gestellt hatte, und schaltete sie an. Eve, das brauch ich jetzt.

Aleks‘ Musikgeschmack war etwas ungewöhnlich. Er liebte das Hard-und Punkrock-Genre, aber auch – wobei viele Mädchen nun aufschreien werden – BTS.

Das Letztere hielt er vor Rika geheim, sonst hätte er keine ruhige Minute mehr. Denn wenn Rika etwas abgöttisch liebte, dann waren es „die sieben Götter aus Südkorea“ (Rikas Wortwahl). Schon bei deren Erwähnung fing sie an zu sabbern. So war er auch auf deren Geschmack gekommen.

So bunt wie sein Musikgeschmack war auch sein Büchergeschmack. Er liebte Erwachsenenfantasybücher. Seine zweite Liebe und momentan dominantere Liebe waren Mangas und wie erwartet Animes. Zack und er waren leidenschaftliche Animefans, so verwunderte es nicht, dass sie beide einmal in der Woche die langersehnte nächste Folge ihrer Lieblingsanimes anschauten – in Originalsprache, verstand sich.

Leise begann die Musik von Eve aus den Boxen zu laufen. Vorsichtig drehte er die Lautstärke höher, bis er das Gefühl hatte, dass sie genau richtig war. Er schloss die Augen und überließ sich der Musik, spürte, wie sie auf seiner Haut vibrierte, und er begann sich zu entspannen. Es musste weitergehen, also erhob er sich, sobald die letzte Note des Liedes verklang. Egal wie, er hatte bis jetzt jedes Hindernis überwunden und das würde er wieder tun.

Belial wusste, dass der Mensch die Wohnung noch nicht verlassen hatte. Er nahm seinen Geruch wahr, wusste, dass er sich nebenan befand, konnte ihn jedoch nicht erreichen. Stille. Dann durchbrachen Geräusche diese. Mit einem Lächeln stellte er fest, dass Aleks wohl Musik angeschaltet hatte.

Er konnte, wenn er sich konzentrierte, selbst leiseste Geräusche in großer Entfernung wahrnehmen, da er ein sehr feines Gehör hatte, was ein Vorteil im Gefecht war. Er war nun einmal der geborene Söldner. Grund für das Lächeln war jedoch nicht Aleks‘ ungewöhnlicher Musikgeschmack, sondern die Tatsache, dass er leise mitsang. Er war sich dessen vielleicht gar nicht bewusst, doch es brachte Belials Herz dazu, sich leicht zusammenzuziehen. Belial entspannte sich und lauschte der Musik und seiner Stimme.

Als sich Aleks etwas beruhigt hatte, traf er eine Entscheidung. Egal, was gerade zwischen ihnen passiert war, er wollte es nicht näher ergründen. Nervös stand er vor der Tür zu seinem Schlafzimmer. Es ist mein Schlafzimmer, es kann ja nicht zu schwer sein, da hineinzugehen. Er wird dich schon nicht fressen.

„Aleksander?“, erklang die Stimme auf der anderen Seite der Tür.

Aleks ging hinein, blieb aber in der Tür stehen.

„Was ist los?“, fragte Belial mit besorgter Stimme.

„Es ist alles ...“ Aleks brach ab. Er setzte neu an. „Belial, das, was gerade passiert ist. Es … vergiss es bitte einfach und ruh dich aus.“

Belial schwieg. Dann nickte er.

Erleichtert schloss Aleks die Tür.

Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Die tägliche Routine von Verbände abnehmen, Wunden versorgen, neu verbinden, kochen, duschen, kochen, schlafen, aufstehen. Zwischendurch führten er und Belial noch einzelne Gespräche, die jedoch kurz angebunden und oberflächlich waren. Auf die Frage nach natürlichen Bedürfnissen wie dem Toilettengang, hatte er kurz erwidert, dass Dämonen diese Funktion nicht besäßen. Sie setzten 100 % jeder Nahrung um. Faszinierend, aber praktisch, ganz klar.

Zwischendurch meldeten sich Zack und Rika, schienen jedoch beide weiterhin zu glauben, dass er noch bei den Nonnen war. Aus ihm unbekannten Gründen wollten die beiden nicht das Kloster besuchen. Er hatte aber auch nie nachgebohrt, das war einfach nicht seine Art. Jeder hatte ein Recht auf Geheimnisse, das wusste er am besten.

Als die Sonne hinter dem Horizont versank und die Erde in Dunkelheit tauchte, platzierte sich eine unbekannte Person wie in so vielen Nächten auf dem Hochhaus gegenüber. Dieser legte sich auf den Bauch und beobachtete das erleuchtete Apartment.

Er sah, wie sich der junge Mann im Apartment bewegte und kochte. Der ungebetene Gast dagegen lag in dessen Schlafzimmer.

Oft hatte er die beiden beobachtet, gewartet, dass der Fremde seinen Schatz angriff. Doch das tat er nie. Ihm hätte klar sein sollen, dass etwas nicht stimmte, als der Junge seinem Freund verschwiegen hatte, was er tat, und ihn in dem Glauben gelassen hatte, er sei zum Kloster gegangen, in dem er aufgewachsen war.

Natürlich war er ihm nicht gefolgt, da er diesen gottverdammten Nonnen nicht begegnen durfte. Ja, es gab niemanden, der den Jungen besser kannte als er, denn er war von Beginn an an dessen Seite – unerkannt.

Er hätte bereits gehandelt, doch leider waren ihm die Hände gebunden. Solange der Dämon den Jungen nicht angriff, konnte er nicht eingreifen. Also wartete und betete er, dass er dem Jungen nichts antat. Morgen Abend würde er wieder hier sein. Würde über ihn wachen.

Aleks‘ Wunde an der Hand war unerwarteterweise nach wenigen Tagen ohne Komplikationen geheilt und schon nicht mehr sichtbar. Auch Belials Wunden heilten, doch die Augen zu regenerieren, dauerte. Vor allem, da er nur Energie aus menschlicher Nahrung zog, was einfach zu wenig war. Aber immerhin konnte er sich schon aufsetzen und alleine essen.

Die Tür öffnete sich und Aleksander begrüßte ihn mit einem leisen „Guten Morgen.“ Er setzte sich neben ihn und untersuchte seine Wunden.

„Wie es aussieht, kann ich heute die restlichen Verbände bis auf den Augenverband entfernen.“

Nachdem die Wunden an seinem Unterleib und seinen Beinen geheilt waren, hatte er ihm eine Jogginghose angezogen, damit er nicht nackt in seinem Bett liegen musste. Zudem hatte er den Bezug und die Bettwäsche getauscht. Das war eine anstrengende Aktion gewesen, obwohl der Dämon so kooperativ wie möglich gewesen war.

Erleichterung durchströmte Aleks, da Belials Heilung gut voranschritt. Vorsichtig legte er seine Hand an die Wange des Dämons, der kurz zuckte.

„Ich entferne den Augenverband“, flüsterte Aleks. Vorsichtig öffnete er ihn an der Seite und wickelte ihn ab. Jedes Mal, wenn er das tat, sog er kurz den Atem ein und erstarrte.

Belial hatte ein wunderschönes Gesicht. Die harten Kanten, diese majestätische Nase und diese Lippen. Er hatte nie ein solch schönes Gesicht gesehen. Sein rabenschwarzes Haar war vorne kinnlang und umrahmte sein Gesicht, während es hinten länger war und über die Schultern reichte.

Schon als er ihn zum ersten Mal gesehen hatte, hatte es ihn in den Bann gezogen. Doch diesem so nah zu sein, verstärkte diese Anziehung umso mehr. Er musste sich zurückhalten, nicht über sein Gesicht zu streichen. Wie wohl seine Augen aussehen mochten? Der Schnitt über den Augen war zu einer blassen Linie verblasst, doch über den Zustand der Augen konnte er bis jetzt noch nichts sagen. Belial hatte sich bis jetzt geweigert, diese zu öffnen.

Belial genoss Aleks‘ Berührungen an seinem Gesicht, genoss dessen Duft, der ihm in die Nase stieg. Wie kann ein Mensch nur so gut riechen? Aleks‘ Berührungen waren sanft wie Schmetterlingsflügel und er konnte hören, dass sich bei dieser Untersuchung Aleks‘ Herzschlag beschleunigte. Jedoch nicht aus Angst, das würde er riechen. Angst verlieh dem menschlichen Geruch eine saure Note, doch er nahm nichts dergleichen wahr.

„Kannst du die Augen öffnen?“

„Ich denke, das ist keine gute Idee“, antwortete er ihm.

„Ist es zu schmerzhaft? Leider kann ich so nicht feststellen, wie weit deine Heilung vorgeschritten ist.“

Belial öffnete schließlich zögerlich die Augen und schloss sie mit einem Zischen jedoch sofort wieder.

Aleks erstarrte. Bei all den Verletzungen hatte der Dämon nie auch nur einen Schmerzenslaut von sich gegeben. „Belial, wie stark sind deine Schmerzen? Antworte mir ehrlich.“

„Geht schon.“

Kaum hatten die Worte seinen Mund verlassen, schmeckte Aleks einen bitteren Geschmack, der sich über seine Zunge legte. Heute hatte Belial ihn zum ersten Mal angelogen. Einerseits war er erleichtert, da seine Gabe offensichtlich auch bei Dämonen funktionierte. Andererseits verletzte ihn dies auch. „Belial, ich weiß, dass du mich gerade angelogen hast. Sag mir die Wahrheit.“

Der Dämon zog scharf den Atem ein und biss sich auf die Lippe. „Stelle dir vor, jemand bohrt dir langsam mit einer glühenden Nadel ins Auge. Der Schmerz fühlt sich in etwa nach hundert dieser Nadeln an.“

Entsetzen machte sich in Aleks breit. Hatte er etwa die ganze Zeit unter solchen Schmerzen gelitten? Und er hatte kein Wort gesagt. Sein Magen zog sich zusammen und ihm wurde übel. Was hatte er durchgemacht, dass er solche Schmerzen ohne anderes ertragen kann? Ich muss ihm helfen. Dieser Gedanke schoss ihm in den Kopf. Aber wie? Der Gedanke, jemanden grundlos leiden zu sehen, sei es Mensch, Tier, Dämon, was auch immer, war für Aleks unerträglich. Also fragte er ihn: „Was kann ich tun, um deine Schmerzen zu lindern?“

Zunächst erwog Belial, erneut zu lügen, doch anscheinend konnte Aleks Lügen erspüren. Also entschied er sich erneut für die Wahrheit.

„Blut. Wenn ich frisches Blut zu mir nehme, heilen meine Wunden schneller, was die Schmerzen lindert.“

Belial spürte, wie sein Gegenüber sich versteifte. Er hatte Angst, was nach ihrer ersten Begegnung verständlich war. Deshalb hatte er das Thema danach nicht mehr angesprochen.

Natürlich rief dies die Erinnerung an den Biss in seine Hand wach, doch war dieser kurze Schmerz Ausrede genug, nicht zu helfen? Innerlich rang er mit sich, doch letztendlich wusste er, wie seine Entscheidung ausfallen würde. Sein Mund wurde trocken.

„Kannst du dafür sorgen, dass es nicht nochmal so wehtut?“, fragte Aleks mit belegter Stimme.

Überraschung zeichnete sich auf dem Gesicht des Dämons ab. Er hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit dieser Reaktion. Völlig perplex antwortete er, „Ja.“

„Normalerweise ist der Akt der Blutentnahme ein angenehmer für Menschen, da wir Dämonen den Schmerz betäuben. Beim ersten Mal habe ich nicht daran gedacht. Ich war zu sehr im Wahn. Es tut mir leid“, sagte Belial verlegen. Er schämte sich, der Person, die ihm nur Hilfe und Freundlichkeit entgegengebracht hatte, so etwas angetan zu haben.

Aleks atmete tief ein und aus. Dann krempelte er seinen Ärmel hoch und hielt ihn Belial hin. „Hier. Nimm, was du brauchst ... Ich vertraue dir.“

Belial zögerte. Sollte er das Angebot wirklich annehmen? Was, wenn er ihn verschreckte oder ihm wehtat? Das wollte er nicht. Hin-und hergerissen überlegte er fiebrig. Schließlich tastete er vorsichtig nach Aleks‘ Arm und hob ihn in Richtung seines Mundes. Kurz davor hielt er an. Er strich mit seinen Fingern über die zarte Haut seines Unterarms und legte vorsichtig die Lippen darauf, um davon zu kosten.

Sobald Belial ihn berührte, ergriff Panik Aleks‘ Körper und er versteifte sich. Bilder von dem Biss, dem Blut und den Schmerzen erschienen vor seinen Augen. Sein Herz schien aus seiner Brust springen zu wollen. Adrenalin schoss durch seine Adern und sein Fluchtreflex setzte ein.

Schlagartig erfüllte der Gestank von Angst den Raum und sorgte dafür, dass die Luft um sie herum sauer wurde. Sofort zog sich Belial zurück. „Danke für den Versuch. Wir lassen das.“

„Nein, bitte nimm das Blut, mir …“ Mir geht es gut. Das waren die Worte, die nicht über seine Lippen wollten, denn er wusste, dass es eine Lüge war.