Hope - ein schicksalhafter Augenblick - E. M. Holland - E-Book

Hope - ein schicksalhafter Augenblick E-Book

E. M. Holland

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Beschreibung

In einem Augenblick wird Hope aus dem Leben gerissen. Bei einem Autounfall verliert er sein Augenlicht und alles ändert sich. Er kämpft sich zurück ins Leben, doch als seine kleine Schwester erkrankt, tut seine Mutter etwas Unaussprechliches. Sie verkauft Hopes Seele an einen Dämon, der Hope in die Hölle schickt, doch dort gehört er nicht hin. So beginnt Hope sein Leben zwischen all den Seelen, die ihre Strafe im Reich der Verdammten Seelen fristen. Ausgerechnet auf einer Sklavenauktion wird er an einen Dämon verkauft, der sein ganzes Leben auf ihn gewartet hat. Kann dieser Hope für sich gewinnen und was steckt wirklich hinter seinem Fall in die Hölle? Band 5 der Schicksal-Reihe

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Seitenzahl: 397

Veröffentlichungsjahr: 2024

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E. M. HOLLAND

Hope

Ein schicksalhafter Augenblick

Band 5

Geschichten von E. M. Holland

Die Schicksal-Reihe

1. Belial – eine schicksalhafte Nacht

2. Zackory – eine schicksalhafte Berührung

3. Nix – ein schicksalhafter Kuss

4. Cypher – ein schicksalhafter Blick

5. Hope – ein schicksalhafter Augenblick

The Devil-Reihe

1. The Devil’s Nemesis

2. The Devil’s Queen

Behind the scenes-Reihe

1. Dunkle Geheimnisse

Love & Desire (Kurzgeschichtensammlung)

Band 1 – Liebe neu definiert

E. M. Holland

Hope

Ein schicksalhafter Augenblick

Band 5

Roman

Hope – ein schicksalhafter Augenblick Copyright © 2024 E. M. Holland

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Illustrationen von J. Bühler

1. Auflage

Prolog

Wisst ihr, wie lange eine Sekunde dauert? Eine Sekunde lang dauert ein Herzschlag, eine Sekunde lang dauern etwa zweihundert Flügelschläge einer Biene, eine Sekunde dauert es, dass ein Auto mit 50 km/h eine Strecke von ca. 13,9 m zurücklegt.

Doch wisst ihr, was noch eine Sekunde lang dauert? Der Moment, wenn sich dein gesamtes Leben verändert. Doch es war nicht die Biene, die beinahe vom Auto erfasst worden war. Es war der Junge, der in dieser Sekunde innerhalb dieser 13,9 m gestanden hatte. Wäre er eine Biene gewesen, hätte er es vielleicht geschafft, auszuweichen, doch er hatte keine Flügel und war keine Biene.

Innerhalb einer Sekunde traf der schwarze Jaguar, der ohne zu bremsen abgebogen war, auf den Körper eines Jungen, der über den Zebrastreifen gegangen war. Der Fahrer hatte einfach nicht aufgepasst und konnte nicht mehr reagieren.

Doch nach dieser Sekunde wusste der Junge, was Fliegen war. Er wurde erfasst, flog über die Motorhaube in die Windschutzscheibe. Knochen brachen und Glas splitterte. Die Splitter bohrten sich in seine Haut und rissen diese auf. Das Auto bremste, die Reifen quietschten und schlitterten. Als das Auto abrupt langsamer wurde, riss es den Verletzten direkt wieder von der Front auf die Straße, wo er noch einige Meter rollte. Dann war es still.

Ein entsetzter Schrei hallte von links und panisch stieg der Autofahrer aus. Der Krankenwagen wurde gerufen und Ersthelfer versuchten ihr Bestes. Von alledem bekam der Junge nichts mehr mit.

Als sich der blaue Himmel vor seinen Augen erstreckt hatte, hatte er gewusst, dass das nicht richtig war. Genau dieser Himmel war das Letzte, was er sah.

Kapitel 1

Hopes Mutter war die letzten Monate, so oft wie möglich, zu ihrem Adoptivsohn ins Krankenhaus gegangen. Er lag schon seit Monaten im Koma, nachdem er von einem Auto ungebremst angefahren und ins Krankenhaus gebracht worden war. Er hatte zahlreiche Knochenbrüche, innere Verletzungen und Schnittwunden gehabt.

Nach unzähligen Operationen war Hope außer Lebensgefahr gewesen, auch wenn er im Koma lag. So war er für mehr als ein halbes Jahr schweigend dort gelegen. Sein Körper hatte sich weitestgehend erholt, doch sein Geist nicht. Er wachte einfach nicht auf. Die Ärzte sagten, dass dieses Erlebnis für einen Zwölfjährigen so traumatisch gewesen war, dass seine Psyche sich weigerte aufzuwachen.

Sie war trotzdem hergekommen, obwohl sie sich um ihre dreijährige Tochter kümmern musste, die sie und ihr Mann zwei Jahre nach Hopes Adoption bekommen hatten.

Die beiden hatten sich entschlossen zu adoptieren, da sie aus unbekannten Gründen einfach nicht schwanger werden konnte. Dass es so kurz nach der Adoption doch geklappt hatte, war für sie ein Wunder gewesen – ein wunderschönes kleines Mädchen.

Ihr Adoptivsohn Hope war an dem Tag des Unfalls nach der Schule nach Hause gelaufen, als ein Auto ihn einfach ungebremst angefahren hatte. Der Anruf hatte die Familie geschockt und sie hatten mit dem Schlimmsten gerechnet. Glücklicherweise war er körperlich sehr leicht und seine Knochen waren aufgrund seines Alters noch etwas elastisch, sodass der Schaden nicht tödlich gewesen war.

Sie waren trotz allem guter Dinge, dass er wieder gesund werden würde und bis auf die Narben ein ganz normales Leben führen konnte.

Hope fühlte sich, als würde er im Wasser liegen. Er fühlte sich schwerelos und zugleich spürte er den Druck auf seinen Körper. Die Stille wurde gestört, gestört von einem Piepton. Einem extrem nervigen, der laut dröhnte. Es fühlt sich an, als würde er in Richtung Oberfläche gleiten. Sein Körper wurde plötzlich ganz schwer und das Geräusch lauter.

Es wurde unerträglich laut. Macht es aus, bitte, flehte er innerlich. Schließlich wachte er aus einem langen Schlaf auf. Seine Augenlider begannen zu zittern, bis er sie tatsächlich einmal aufschlug. Doch er sah nur Schwärze.

Wo bin ich? Er war verwirrt und zu dem lauten Piepen gesellten sich noch weitere Geräusche. Ein Rauschen, ein lautes Atemgeräusch, ein Aufschnappen. Klappern, Piepsen, Krach. Es war unglaublich laut. Was ist hier los? Panik ergriff ihn und der Piepton wurde schneller.

Hopes hellblondes Haar raschelte und seine Augen öffneten sich. Die vertraute, hellgrüne Farbe strahlte ihr entgegen.

„Hope! Oh Gott, Hope, du bist wach“, rief seine Mutter.

Er atmete tief ein, verwirrt. Warum weint sie? Was ist passiert? Er versuchte, sich zu erinnern, doch dort war nichts. Wieso ist es hier so dunkel?

Hope atmete tief ein und sein Atem kam etwas röchelnd. Er versuchte es trotzdem. Zum ersten Mal seit langer Zeit erhob er seine Stimme: „Mum, warum ist alles schwarz?“

Ihr wurde kalt, als würde jegliche Wärme aus ihrem Körper weichen. Mit zitternder Stimme fragte sie: „Hope, wovon redest du?“ Er kann es nicht so meinen.

„Mum, bist du hier?“, fragte ihr Sohn und schaute sie an. Die Augen waren offen, sie blickten sie an. Doch er sieht mich nicht.

„Nein“, sagte sie und begann zu schluchzen. „Bitte nicht.“

Hope wirkte gestresst und das Piepsen begann schneller und lauter zu werden. Die Tür öffnete sich und ein Arzt und eine Krankenschwester betraten den Raum.

„Hope, bist du wach?“, fragte eine Stimme.

Verunsichert schaute der Junge hin und her, doch seine Augen fokussierten nichts. „Ja, wer sind Sie? Wo bin ich? Was ist passiert? Und warum ist alles schwarz?“, fragte er ängstlich.

„Beruhige dich. Du bist im Krankenhaus. Du hattest einen Unfall und bist gerade erst aufgewacht. Es ist alles in Ordnung“, sagte der Arzt. „Frau Baker, halten Sie die Hand Ihres Sohnes, das wird ihn beruhigen“, wies er die weinende Frau neben dem Bett an.

Zögernd ergriff diese die Hand von Hope, was ihn tatsächlich zu beruhigen schien.

„Hope, kannst du mir sagen, wie du dich fühlst? Tut dir etwas weh?“, fragte der Arzt.

„Ich fühl mich etwas schlapp. Es ist alles dunkel und so laut“, antwortete Hope und machte Anstalten, mit seinen Händen seine Ohren zuhalten zu wollen.

„Ich werde dich jetzt untersuchen, ist das in Ordnung?“, fragte er den Jungen.

Hope nickte zögerlich.

Es wurden alle Routineuntersuchungen durchgeführt und das Ergebnis war schnell klar. Der Junge litt an einer kortikalen Blindheit, die wahrscheinlich vom Aufschlag des Kopfes auf dem Asphalt verursacht worden war. Wie gravierend diese war, konnte er noch nicht sagen.

„Er wird doch wieder sehen können, oder?“, fragte Hopes Mutter, konnte den Jungen dabei nicht anschauen. Ihre ganze Körperhaltung signalisierte, dass ihr diese Situation zu viel war.

„Das lässt sich nicht sagen. Das Schädeltrauma war enorm. Es besteht die Möglichkeit, dass die Blindheit permanent ist.“

„Oh Gott, aber wie soll ich …? Mit einem Blinden … oh Gott“, schluchzte sie und begann erneut zu weinen.

Der Arzt sah, dass der Frau momentan alles zu viel war. Es war verständlich, doch er hoffte, dass sie sich wieder fing, vor allem dem Jungen zuliebe.

Als sie Hope mitteilten, dass er sehr wahrscheinlich bis an sein Lebensende blind sein würde, schwieg dieser. In seinem Gesicht stand ein unlesbarer Ausdruck, eine Reaktion, die der Arzt so noch nicht erlebt hatte.

Ein paar Tage später wurde Hope entlassen. Seine Mutter holte ihn ab und fuhr nach Hause. Die Atmosphäre war kühl. Er wusste, dass sich etwas geändert hatte, die sonst so freudige Frau neben ihm schwieg und es lag keinerlei Wärme in der Luft. Hasst sie mich? Werden sie mich wegschicken?

Die Angst, dass sie ihn verlassen würden, war mit jedem Tag größer geworden, doch er hatte nichts gesagt. Er ballte die Faust und das Schweigen hielt an. Das Auto hielt und der Motor wurde abgestellt, dann öffnete sich seine Tür. Hope tastete nach dem Sicherheitsgurt und löste ihn.

„Nimm meine Hand“, sagte seine Mutter. Hope griff vor sich in die Luft, bis er auf die Hand seiner Mutter traf und sie umschloss.

„Danke“, murmelte er, hielt den Kopf jedoch gesenkt.

Sie gingen in Richtung Haus. Seine Mutter schloss die Tür auf und begleitete Hope hinein. Etwas ungelenk zog er sich die Schuhe aus und blieb stehen.

Er war momentan im Flur des Hauses. Seine Hand wanderte nach rechts und ertastete die Kommode. Vorsichtig lief er, mit den Händen fühlend, den Gang entlang und kam zu der Treppe, die zu seinem Zimmer führte.

Seine Mutter war kurz in die Küche gegangen und kehrte zurück zu einem leeren Flur. Wo war Hope? Daraufhin hörte sie ein krachendes Geräusch und einen Schrei. Sie rannte schnell in die Richtung und fand den Jungen auf dem Rücken am Ende der Treppe. Er hatte eine Treppenstufe verpasst, war abgerutscht und hatte bei seinem Fall ein paar Fotos von der Wand mitgenommen. Für einen Moment hielt sie inne. War das nun ihr Schicksal? Sich um ein behindertes Kind kümmern zu müssen? Ihr eigenes in Gefahr zu bringen? Was, wenn Hope auf Mary fiel und sie verletzte? Hope rappelte sich währenddessen auf.

„Alles in Ordnung, Schatz?“, fragte sie und half ihm auf.

„Tut mir leid“, war alles, was er sagte.

„Komm, ich helfe dir in dein Zimmer, damit du dich etwas ausruhen kannst, bis Dad und Mary kommen“, sagte sie und sie liefen gemeinsam die Treppe hinauf.

„Schaffst du den Rest?“, fragte sie ihn an der Tür zu seinem Zimmer.

Hope nickte und sie ließ ihn allein. Vorsichtig berührte er die Wand in seinem Zimmer. Er war tausende Male nachts in seinem Zimmer herumgelaufen und kannte es in- und auswendig, doch diese Dunkelheit war anders. Er hatte plötzlich Angst – Angst, dass er erneut fallen würde. Panik stieg in ihm auf und so stand er dort, während seine Mutter unten das Essen vorbereitete.

Die Minuten vergingen und er war wie erstarrt, sein Herz schlug wild in seiner Brust. Also schloss er die Augen und die Dunkelheit wurde für eine Sekunde zu der Dunkelheit, die er kannte. Er ballte die Faust und machte einen Schritt. Ich stehe noch. Ein weiterer folgte und ein weiterer, bis er gegen etwas Hartes stieß. Er lehnte sich nach vorne und erfühlte die Kante seines Bettes und die weiche Matratze. Vorsichtig lehnte er sich nach vorne und robbte sich in sein Bett. Ich habe es geschafft. Erleichtert atmete er aus.

Mit seinen Fingern fuhr er an der Wand entlang, spürte die Poster, die dort hingen. Es waren Poster von seiner Lieblingsserie und Musikern, die er mochte. Traurig ließ er die Hände sinken. Er würde sie nie wiedersehen. Dann hörte er das Geräusch der sich schließenden Haustür. Seine Mutter musste kurz gegangen sein.

Ich bin allein. Die erste Träne fiel, dann folgte eine zweite. Zum ersten Mal, seit Hope aufgewacht war, brachen alle Gefühle aus ihm heraus. Seine Schluchzer wurden von dem Kissen verschluckt, in das er sein Gesicht presste. Auf die Trauer folgte dann die Wut. Eine unbändige Wut. Er begann zu schreien und fuhr sich mit der Hand über seine Augen.

„Diese verdammten Scheißaugen. Scheiße, Scheiße, Scheiße!“

Hope richtete sich auf und begann, die Poster, die er so geliebt hatte, von der Wand zu reißen und auf den Boden zu werfen. Mit jedem Reißen wurde es ein bisschen besser, solange bis die Wand kahl war. Erschöpft sackte er zurück auf das Bett.

Die Augen geschlossen, lag er da. Tausende Gedanken schwirrten ihm durch den Kopf, doch einer war am präsentesten: Sie werden mich fortschicken. Ich bin eine Last. Davor hatte er am meisten Angst. Angst, sein Zuhause zu verlieren.

Dann sorge dafür, dass du keine Last bist, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf.

„Keine Last“, flüsterte er. Da realisierte er, dass er gerade ohne Angst die Poster abgerissen hatte. Er hatte genau gewusst, wo jedes war. Wenn sie mir nicht helfen müssen, bin ich auch keine Last. Dann kann ich bleiben. In diesem Moment fasste er einen Entschluss. Mit geschlossenen Augen würde er durchs Leben gehen, doch er würde seiner Familie nicht zur Last fallen.

Hope ballte die Faust und setzte sich auf. Ich muss ihnen zeigen, dass sie mir nicht helfen müssen. Dafür musste er aber unfallfrei durch das Haus kommen, das war erst einmal das Wichtigste. Ich habe nicht viel Zeit.

Er schloss die Augen und stand auf. Er ging durch sein Zimmer und begann, die Schritte zu zählen. Das tat er so lange, bis er von Fixpunkten zum Bett und dem Schrank fand. Anschließend begab er sich nach draußen. Hope versuchte sich zu erinnern, wie das Haus ausgesehen hatte, in dem er die letzten fünf Jahre verbracht hatte. So ging er durch den oberen Gang bis zum Klo und wieder zurück. Schritt für Schritt, darauf bedacht, nichts umzustoßen, was gar nicht so einfach war.

Als sich seine Blase meldete, probierte er sich an der Toilette. Langsam bekam er ein Gefühl dafür, mit geschlossenen Augen zu laufen. Er schaffte es sogar auf die Toilette. Sehr gut. Das Wohnzimmer kommt als Nächstes. Doch zwischen ihm und dem Wohnzimmer war sein neuer Erzfeind – die Treppe. Er zog sich die Socken aus, um ein besseres Gefühl zu haben. Mit zitternden Fingern krallte er sich am Geländer mit beiden Händen fest und lief hinunter beziehungsweise versuchte es. Doch schon nach der ersten Stufe steckte er fest. Die Angst, ins Nichts zu fallen, war einfach zu groß, also setzte er sich auf die oberste Kante.

Wie soll ich denn nicht zur Last fallen, wenn ich nicht einmal eine Treppe hinunter kann? Enttäuschung und Frust kamen in ihm auf. Da kam ihm eine Idee. Er drehte sich um und wandte der Treppe den Rücken zu. Seine Großmutter lief die Treppe immer rückwärts hinunter, weil ihr sonst die Knie wehtaten.

Schritt für Schritt schaffte er es, mit seinen Fingern am Geländer die Treppe rückwärts hinunterzulaufen. Als er unten angekommen war, gab Hope einen kleinen Freudenschrei von sich. Doch vor lauter Freude traf er etwas mit seinen Händen und ein krachendes Geräusch verkündete, dass er irgendetwas getroffen hatte. Verdammt.

Als er sich hinunterbeugte, öffnete sich die Haustüre und Stimmen drangen in den Flur. Diese wurden still, als sie Hope kniend auf dem Flurboden sahen. Sein Vater drückte Mary in die Arme seiner Frau und ging auf Hope zu, der zu Boden starrte. Seine Frau ging mit Mary an Hope vorbei die Treppe hoch.

Er kniete sich hin und begrüßte ihn: „Hallo, Großer. Willkommen daheim.“

Hopes Gesichtsausdruck veränderte sich, als er in eine warme Umarmung geschlossen wurde. Zum ersten Mal seit Tagen spürte er endlich körperliche Wärme und er konnte die Tränen nicht zurückhalten.

„Na, na, mein Großer. Es ist alles gut. Ich freu mich auch, dich wiederzusehen.“

„Es tut mir leid“, schluchzte er. „Es tut mir leid, dass ich was kaputtgemacht habe.“ Die Angst steckte tief in den Gliedern des Jungen.

Sein Vater klopfte ihm auf den Rücken. „Ach was. Eigentlich bin ich dir dankbar. Diese Vase war unglaublich hässlich, doch ich habe mich nie getraut, deiner Mutter die Wahrheit zu sagen“, sagte sein Vater mit belustigter Stimme.

Hope begann zu hicksen, da sich sein Lachen und Schluchzen vermischten. Er musste sich erst einmal beruhigen.

Sein Vater hob ihn hoch und trug ihn ins Wohnzimmer, wo er ihn auf das Sofa setzte. „Hope, wir sind alle so froh, dass du wieder da bist“, sagte sein Vater mit einer warmen Stimme, die Balsam für seine Seele war.

„Dad. Ich möchte lernen, mit einem Stock zu gehen“, sagte Hope und sein Vater grunzte überrascht auf. Hope hatte es schon oft gesehen, auch in Filmen. Damit konnten die Blinden sehen. Er würde keine Hilfe brauchen, somit auch keine Last sein.

„Nun aber mal alles mit der Ruhe. Erst einmal wirst du dich daheim eingewöhnen. Dann werden wir schauen, wie man dir am besten helfen kann, dich zurechtzufinden.“

Hope beruhigte sich, da ein Teil der Anspannung von ihm abfiel. Nervös spielte er am Saum seines T-Shirts. Eine Frage brannte ihm auf der Seele. „Dad, kann ich wieder zur Schule und meine Freunde sehen?“

Sein Vater schwieg. Er konnte den traurigen Gesichtsausdruck, den er machte, nicht sehen, doch er hörte es in der Stimme. „Hope, ich fürchte, du kannst nicht mehr in deine alte Schule“, antwortete er seinem Sohn.

„Verstehe.“

Sein Vater kratzte sich am Kopf. Das machte er immer, wenn er überlegte. „Aber Hope, es gibt eine Schule, auf die du gehen kannst. Dort sind alle Kinder blind. Willst du dort hingehen?“ Dass das Thema so früh fiel, gefiel ihm nicht. Aber vielleicht war es ja der richtige Zeitpunkt. Hopes Reaktion überraschte ihn. Er hatte mit Trauer, Wut oder Widerstand gerechnet, doch stattdessen hellte sich Hopes Gesicht auf.

„Kann ich dorthin?“, fragte er mit einem Lächeln.

Dort lerne ich, wie ich zurechtkomme und anderen nicht zur Last falle.

„Natürlich. Ich werde mich darum kümmern“, sagte sein Vater freudig. Er war von Herzen erleichtert, dass Hope so positiv in die Zukunft schaute. Er hatte ein weinendes Häuflein Elend erwartet, doch vor ihm saß ein entschlossener Junge, der sich nicht unterkriegen ließ. Stolz wallte in seiner Brust auf. Das ist mein Junge.

In den darauffolgenden Wochen lernte Hope, wie er sich im Haus zurechtfand und sich weitestgehend um sich selbst kümmerte.

Schließlich kam der lang erwartete Tag. Aufgeregt stieg er in das Auto seines Vaters und schnallte sich an. Er brauchte ein paar Versuche, bis es endlich klappte.

„Aufgeregt?“, fragte ihn sein Vater mit einer munteren Stimme.

Hope nickte und lächelte. Seine Schule lag leider über zweieinhalb Stunden entfernt, da Blindenschulen eher rar waren. Aus diesem Grund würde er in einem betreuten Wohnheim leben und nur am Wochenende und in den Ferien die Möglichkeit haben, nach Hause zu gehen. Die Fahrt verging schneller als gedacht.

Sein Vater lud Hopes Koffer aus und nahm ihn an die Hand. Gemeinsam liefen sie über den kleinen Campus. Es gab drei große Gebäude und einen großen Hof mit Rasen- und Sportfläche, dazu einen kleinen Park mit Bäumen und Sitzbänken. Das linke der drei Gebäude war das Wohnheim. Es war wie die anderen kastenförmig mit roter Fassade. Sein Vater beschrieb ihm alles im Detail, sodass Hope es sich vorstellen konnte.

Gemeinsam meldeten sie sich am Empfang. Eine Frau begrüßte sie freundlich und gab ihnen eine kleine Führung. Hope war freudig und versuchte, sich grob den Plan im Kopf einzuprägen. Als sie sein Zimmer erreichten, öffnete sie die Tür mit einem Chip. Dieser war an einem Band, das die Kinder um den Arm oder Hals tragen konnten. Sie betraten gemeinsam das Zimmer.

„Direkt vor dir, etwa zehn Schritte entfernt, befindet sich der untere Teil deines Bettes, das an der rechten Wand steht. Hinten links neben dem Bett steht ein Nachttischchen mit einer Steckdose. Direkt links davon ist das Fenster. Von der hinteren Kante des Bettes, etwa acht Schritte nach links, ist ein Schrank in der Wand, in dem du deine Sachen verstauen kannst. Etwa acht Schritte von der vorderen Kante des Bettes nach links ist die Tür für die Toilette mit Dusche. Zwischen dieser Tür und dem Schrank ist ein Tisch mit drei Stühlen“, erklärte die Dame. Sie schien Expertin darin zu sein, Blinden einen Raum zu beschreiben.

Hope schritt den Raum ab und stellte fest, dass die Einschätzung der Frau sehr exakt war. Er fand alles auf Anhieb. Dann stand er vor der Badezimmertür und öffnete diese. Die Dame fuhr fort: „Direkt vor dir, etwa fünf Schritte, ist das Waschbecken, rechts daneben ist die Toilette. Drei Schritte von hier auf der rechten Seite ist der Eingang zur Dusche. Direkt rechts hier im Eingang ist ein Regal in der Wand, wo du Handtücher und anderes lagern kannst. Über dem Waschbecken ist ein kleines Brett, auf dem die Zahnbürste und anderes Platz haben. Die Klopapierrolle ist, wenn du sitzt, rechts neben dir auf Bauchhöhe.“

Auch diesen Raum schritt Hope ab und war mehr als glücklich, über nichts zu stolpern oder hängenzubleiben.

„Und wie findest du es?“, fragte sein Vater.

„Ich find es toll“, sagte er und strahlte.

„Gut, ich lass euch jetzt alleine. Wenn du mich brauchst, kannst du den Knopf direkt hier neben der Tür drücken, dann komme ich oder jemand anderes. Die Schule beginnt morgen früh. Du wirst dann um 7.30 Uhr abgeholt und von einem Helfer hingebracht. Prinzipiell darfst du dich frei bewegen, achte nur darauf, den Pieper immer dabei zu haben, für den Fall, dass du dich verirrst.“ Dann verabschiedete sie sich und ließ das Zweiergespann alleine.

„Wollen wir auspacken?“, fragte sein Vater. Hope nickte und so machten sie sich an die Arbeit.

Als Hopes Vater am Ende des Tages wieder ins Auto stieg, atmete er einmal erleichtert aus. Seit Hopes Unfall war ihr Leben ganz schön durcheinandergegeraten. Seine Frau hatte sich danach verändert. Sie schien mit Hopes Behinderung nicht klarzukommen. Hope bemühte sich, ihnen nicht zur Last zu fallen, das hatte er bemerkt. Deshalb war er erleichtert, dass er das Internat schön fand. Vielleicht würde endlich etwas Normalität wieder einkehren. Er liebte Hope und hoffte, dass auch seine Frau sich wieder fing, denn es wäre Hope einfach nicht fair gegenüber. Mit all diesen Gedanken im Kopf machte er sich auf den Heimweg.

Die Glocke schellte und kündete den Beginn des Unterrichts an. Ein Helfer hatte Hope wie besprochen abgeholt und ihm die Schule gezeigt. Im Anschluss war er zum Klassenraum seiner Stufe gebracht und an einen freien Platz gesetzt worden. Hope war nervös, was die Geräusche um ihn herum lauter werden ließ.

Was, wenn ich keine Freunde finde? Was, wenn ich nicht mitkomme und schlechte Noten bekomme? Sein Puls beschleunigte sich und er begann zu hyperventilieren.

„Wow, beruhig dich. Du schnaufst, als wärst du einen Marathon gerannt“, erklang eine weibliche Stimme neben ihm. Er konzentrierte sich auf die Stimme und begann, sich wieder zu beruhigen.

„Mein Name ist Grace. Und wer bist du, Schnaufnase?“, fragte seine Nebensitzerin mit belustigter Stimme.

„Hope“, antwortete er mit zittriger Stimme.

Sie lachte. „Was für ein lustiger Name, gefällt mir. Bist du neu hier?“, fragte Grace.

„Ja, ich bin gestern angekommen“, antwortete Hope schüchtern. Auch in seiner alten Schule hatte er nicht viel mit Mädchen gesprochen. Er spürte einen Schlag auf den Rücken.

„Bleib locker. Und, bist du blind oder nur sehschwach?“, fragte sie.

Hope taute langsam auf. „Blind.“

„Ah, ich auch. Seit deiner Geburt?“

„Nein. Ich hatte einen Unfall und bin erst seit ein paar Monaten blind.“

Daraufhin seufzte sie. „Dann weißt du also, was Farben sind? Mann bin ich neidisch.“

Hope machte einen überraschten Gesichtsausdruck. Darüber hatte er sich noch gar keine Gedanken gemacht. „Grace?“

„Ja, Schnaufnase?“

„Willst du meine Freundin sein?“

Das Mädchen lachte. „Aber ich weiß doch gar nicht, ob du mein Typ bist.“

Hopes Gesicht nahm eine rote Farbe an. Das wusste er, auch wenn er es nicht sehen konnte. „S-So habe ich es nicht gemeint. D-Das weißt du“, stotterte er.

„Jaja, ich weiß. Die Antwort ist ja, lass uns Freunde sein.“

Hopes Herz machte einen kleinen Freudensprung.

„Wohnst du auch im Wohnheim?“

Hope nickte, bemerkte aber dann, dass sie es wie er ja gar nicht sehen konnte. „Ja.“

„Gut, dann zeige ich dir nachher ein bisschen die Gegend.“

„Danke“, murmelte er.

Kurz darauf kam die Lehrerin in den Raum, begrüßte alle und der Unterricht an seiner neuen Schule begann.

In den darauffolgenden vier Jahren lernte Hope die Blindenschrift, der Umgang mit dem Blindenstock und die Orientierung außerhalb. Zudem eignete er sich die menschliche Echoortung an. Dadurch, dass er sehr empfindliche Ohren hatte, konnte er sich mithilfe von Klicksonar orientieren. Mithilfe eines Zungen-Klicks sendet er Schall aus, der zurückgesendet wird, sobald er auf ein Objekt trifft. Dieses lernte er verstehen, sodass er das Echo nutzen konnte, Objekte zu lokalisieren und deren Dichte und Größe wahrzunehmen.

Grace, die schon seit ihrer Geburt blind war, half ihm und trainierte ihn. Es war eine große Umstellung, nicht nur in der Wahrnehmung. Auch im Lernen – es fand nun Großteils im auditiven Bereich statt. Er lernte durch Hören, indem er den Unterricht mit einem Gerät aufnahm und die Aufnahme mehrfach abspielte.

In dieser Zeit lernte er seine Leidenschaft kennen – die Geige. Nachdem er zum ersten Mal eine Lehrkraft damit spielen gehört hatte, war er sofort von deren Klang verzaubert gewesen. Neben seinen Treffen mit Grace und der Zeit zum Lernen verbrachte er jede Minute darin, zu üben. Grace musste ihn teilweise von der Geige „loseisen“ – wie sie es nannte – und zwang ihn täglich zu Sporteinheiten, die er nicht ausstehen konnte.

Sie unternahmen viel, denn wenn etwas nicht in Grace‘ Wortschatz vorkam, waren es Langeweile oder Einschränkung. Sie ließ sich von nichts zurückhalten und tat alles, was auch ein Sehender tat. Doch sie war nicht nur Hopes Motivatorin, sondern auch sein Rückhalt. Sie hatte immer ein offenes Ohr für ihn und holte ihn nach jedem Rückschlag aus dem Loch, in das er gefallen war. Mit ihr redete er auch zum ersten Mal über den Unfall und seine Ängste – die Angst, dass seine Familie ihn verlassen würde. Die ganze Zeit hatte sie ihm ruhig zugehört und ihm den Rücken gestreichelt, ihn getröstet, als die Tränen hervorgebrochen waren.

Grace hatte ihm das Leben gerettet, denn ohne sie hätte er es nicht geschafft, und dafür war er ihr unendlich dankbar.

Vier Jahre später saßen sie auf der Mauer im Park vor dem Wohnheim. Hope war vor zwei Wochen sechzehn geworden. In den letzten zwei Jahren war er in die Höhe geschossen, sodass er nun eine stolze Größe von 1,75 m hatte. Dank Grace‘ Foltereinheiten hatte er einen schlanken, muskulösen Körper, den er flink bewegen konnte.

Nun saßen sie da und schwiegen.

„Hope. Ich werde ins Ausland gehen“, sagte sie ohne Vorwarnung.

Hope saß geschockt neben ihr. Das musste er erst einmal verdauen. Sie hatten noch drei Monate, bis das neue Schuljahr anfangen würde.

„Hope, geh an eine normale Highschool. Du wirst dort super zurechtkommen“, fügte Grace hinzu.

„Warum gehen wir nicht zusammen?“, fragte er mit gedrückter Stimmung.

„Weil ich raus möchte. Ich will mehr und das werde ich hier nicht bekommen. Ich werde immer für dich da sein, einen Knopfdruck entfernt. Aber ich habe mich entschieden, dass das der richtige Weg für mich ist“, antwortete sie und ergriff seine Hand. Beruhigend streichelte sie über seinen Handrücken.

Hope schwieg. Angst und Unsicherheit kämpften in seinem Inneren um die Vorherrschaft. Dann spürte er einen kalten Gegenstand in seiner Hand.

„Was ist das?“, fragte er seine beste Freundin.

„Das, mein Lieber, ist ein Amulett. Es beschützt dich vor allem Übel und gibt dir Kraft, jedes Hindernis auf deinem Weg zu überwinden“, antwortete Grace mit freudiger Stimme.

Vorsichtig fuhr Hope über die Oberfläche des Geschenks. Es war eine kreisförmige Metallscheibe mit einem verschnörkelten Muster darauf. Seine Mundwinkel wanderten nach oben. Dann griff Grace nach Hopes Hand und drückte sie auf ihr Dekolleté.

„Schau, ich habe auch eins“, sagte sie mit einem Grinsen.

„Danke“, flüsterte er und legte sich das Geschenk um den Hals.

„So, Schnaufnase, jetzt fehlt nur noch eines, nämlich ein Schwur. Wir werden jetzt etwas auf dieses Amulett schwören, das wir niemals brechen werden. Bereit?“, fragte sie.

Hope war etwas überrumpelt, doch Grace hatte sich bereits in Bewegung gesetzt. Sie war auf die Mauer geklettert und schrie: „Ich werde im Ausland einen supersüßen Schatz finden und so was von erfolgreich sein! Außerdem werde ich niemals den Kontakt zu dieser Schnaufnase verlieren!“

Hope war erst erstaunt, begann dann jedoch zu lachen. Grace tastete nach seinem Arm und zog ihn zu sich hoch, was für zwei Blinde ein gefährlicheres Unterfangen war, als man dachte.

„Los, du bist dran.“

„Grace, bitte. Wer weiß, wer das hört?“

Sie unterbrach ihn sofort: „Ist doch egal. Schrei es raus, los.“

Hope atmete tief ein und tat dann etwas Verrücktes. Er schrie: „Ich werde an eine öffentliche Schule gehen und wie jeder andere meinen Abschluss zu machen! Außerdem werde ich einen scharfen Typen finden, den ich dann sowas von heiraten werde! Und diese verrückte Nudel wird meine Trauzeugin!“

Euphorie rauschte durch seinen Körper und beide begannen zu lachen, als ein zustimmendes Klatschen und Pfeifen aus der Ferne ertönte.

„Ich hab dich so lieb, Grace“, sagte Hope mit leicht erröteten Wangen und zog seine beste Freundin in eine Umarmung.

„Ich dich auch, mein Großer“, antwortete sie und wuschelte durch seine Haare.

„Wir werden das rocken.“

Und dieses Mal stimmte er ihr einfach zu.

Kapitel 2

Es klingelte, als Tyler gerade den Raum betrat. Schon wieder eine neue Schule. Er musste das letzte Jahr der Highschool wiederholen, da sein Vater wegen seines Jobs wieder umziehen musste. Doch dieses Mal würde er es hoffentlich zu Ende bringen. Er stellte sich neben den Klassenlehrer, der die Schüler begrüßte.

„So, ein neues Schuljahr beginnt. Es ist euer letztes, also gebt alles und verbringt eure Nächte ausnahmsweise nicht mit Zocken, sondern mit Schlafen.“

Ein leises Lachen ging durch den Raum, dann fuhr er fort: „Wir haben einen neuen Schüler. Gut, stell dich vor.“

Tyler hasste es, sich vorzustellen. „Ich bin Tyler und neu hier. Ich hoffe, wir kommen gut aus.“ Mehr kam auch nicht.

„Gut, setz dich auf den freien Platz auf der rechten Seite.“

Tyler nahm seine Tasche und stellte sie an den Platz, der direkt neben dem Fenster war. Neben ihm saß ein Junge mit hellblondem Haar und heller Haut. Er trug ein schwarzes T-Shirt mit drei weißen Ringen darauf und eine dunkelblaue Jeans.

Schläft er, oder wieso hat er die Augen zu?

„Hope, kannst du ihn vorerst in deine Bücher schauen lassen?“, fragte der Lehrer.

„Klar“, sagte er und legte sein Buch vor Tyler. Dann drückte er auf einen Knopf von einem schwarzen Gerät vor sich und schaute nach vorne, die Augen immer noch geschlossen. Seltsam.

Der Neue hat wirklich eine tolle Stimme. Sobald es klingelte, packte Hope zusammen und drehte sich zu seinem besten Freund Steve, der ihn angestupst hatte.

„Wollen wir vor Sport noch Schokohörnchen kaufen?“, fragte sein bester Freund.

„Klar, heute bin ich dran, oder?“

„Yep, ich habe auch keinen Cent dabei“, sagte Steve locker.

Hope lachte und lief neben Steve her. „Dann navigierst du mich aber als Bezahlung“, sagte Hope lachend.

In der Regel nutzte er sein Klicksonar, doch manchmal war es einfach nur anstrengend, dann lief er neben Steve her und er zog ihn weg, wenn jemand kam. Nachdem er Steve traditionell sein Schokohörnchen gesponsert hatte, liefen sie zur Sporthalle.

„Steve, sag mal. Der Neue, wie sieht er aus?“

Steve schaute Hope an. „Ähm. Ein paar Zentimeter größer als du, dunkle Haare bis zu den Schultern, stark verwuschelt. Er hat braune Augen und ein Lippenpiercing. Wahrscheinlich der sportliche Typ.“

„Ist er muskulös?“, fragte Hope.

„Boah, muss ich im Sport schauen. Wieso, ist seine Stimme dein Typ?“, fragte Steve neugierig.

Steve wusste nun seit langem schon, dass Hope schwul war, womit er null Probleme hatte. Hope lachte nur. Nachdem sie sich umgezogen hatten, wärmten sie sich auf.

„Was steht heute an?“, fragte Hope.

Als sie erfuhren, dass es Basketball war, lachte er nur und sagte: „Viel Spaß, Stevie. Brich dir nicht wieder die Nase.“

Als Antwort erhielt er einen vulgären Laut. Hope platzierte sich in einer Ecke außerhalb des Spielfeldes und begann mit Liegestützen. Weil er blind war, hatte er eine gute Ausrede, an diesem Albtraum nicht teilnehmen zu müssen, und absolvierte Grace‘ Mörderprogramm 2.0, das sie ihm vor einem Monat geschildert hatte.

Nach einer Weile lief ihm der Schweiß herunter. Das ist wirklich ein Mörderprogramm, diese Irre. Grace hatte recht gehabt. Sie hatten regelmäßig Kontakt und telefonierten mindestens zweimal die Woche.

„Kann ich mitmachen?“, fragte eine tiefe Stimme, die er als Tylers identifizierte.

Hope setzte ab und schaute in seine Richtung. „Keinen Bock auf Basketball?“, fragte er den Neuen.

„Ich bekomm eine Ausnahme, wegen erster Tag und so“, antwortete die schöne Stimme.

„Klar, kannst ruhig mitmachen.“

Tyler setzte sich neben ihn und schaute ihn an. Das Sporthemd lag eng an Hopes Körper an und zeigte seine glatten Muskeln.

„Wie ist dein Name?“, fragte er ihn.

„Hope. Nett dich kennenzulernen.“

Hope? Ein seltsamer Name für einen Jungen. Tyler gesellte sich neben Hope und machte die Übungen mit, die er vormachte. Warum darf er einfach so am Rand Übungen machen? Und warum hat er dabei seine Augen zu?

„Sag mal, warum schaust du mir eigentlich nicht in die Augen?“, fragte er, ohne nachzudenken.

Hope hielt inne und drehte sich zu ihm. Daraufhin öffnete er seine Augen und Tylers Mund wurde trocken. Er hatte wunderschöne, grüne Augen, die sein schönes Gesicht strahlen ließen.

„Weil ich blind bin.“

Tyler realisierte erst gar nicht, was sein Gegenüber gesagt hatte. Er schaute stumm zu, wie sich diese schönen Augen wieder schlossen.

Hope richtete sich auf. Dann ging er mithilfe seines Klicksonars bis zur Bank und hielt genau davor an. Genervt drehte er sich um und rief: „Steve! Hast du schon wieder mein Wasser geschnorrt?“

Steve kam angerannt, völlig außer Atem. „Meins war leer. Sei doch nicht so ein Knicksack.“

„Du kannst gerne was haben, aber stell sie doch bitte wieder zurück. Ich habe keine Ahnung, welche meine ist.“

„Dann mach die Augen auf“, sagte er und warf Hope seine Flasche zu, der sie etwas unelegant fing.

„Hey, Max. Nimm Steve etwas härter ran, mir zuliebe“, rief Hope zu den anderen. Ein „Geht klar.“ kam aus den Reihen und Steve stöhnte theatralisch.

„Verräter. So viel zu bestem Freund“, sagte er und seufzte resignierend.

„Ich habe richtig Mitleid mit dir. Ich kann es kaum mit ansehen“, scherzte Hope, was sein Freund mit einem „Leck mich.“ kommentierte und zurückging.

Hope setzte sich auf die Bank und trank aus der halbleeren Flasche. Tyler setzte sich neben ihn, er konnte es fühlen. Sein Geruch, tief, männlich. Himmel, er ist wirklich mein Typ.

„Du hast mich verarschst, nicht wahr?“

Hope schaute ihn mit geschlossenen Augen etwas verwirrt an. Was meint er?

„Ach komm schon, du bist nicht blind. Ein Blinder kann keine Flasche fangen“, antwortete Tyler.

Bevor Hope etwas erwidern konnte, spürte er den Luftzug, kurz bevor Tylers Hand gegen seine Brust schlug. Es war sicherlich freundschaftlich gemeint, doch Hope verlor das Gleichgewicht und fiel rückwärts von der Bank. Schreie kamen aus allen Richtungen. Autsch, mein Kopf.

„Bist du nicht ganz sauber? Wieso schubst du einen Blinden von der Bank?“, hörte er seinen besten Freund schreien. Steve war hergerannt und hatte Tyler am Kragen seines Sportshirts gepackt.

„T-Tut mir leid. Ich wusste nicht … ich dachte …“, stotterte dieser perplex.

„Warte, Steve. Er hat es nicht absichtlich gemacht. Er dachte, ich verarsch ihn, dass ich blind bin“, versuchte er, seinen besten Freund zu beschwichtigen.

Langsam beruhigte sich Steve. Er hasste es, wenn Hope sich verletzte. Seine Finger lösten sich vom Kragen des Neuen und er ging zu Hope, um ihm aufzuhelfen. Dieser nahm die Hilfe dankend an. Der Rest der Sportstunde verlief ohne weitere Vorkommnisse. Tyler und Hope saßen auf der Bank und unterhielten sich. Tyler entschuldigte sich hunderte Male.

„Hey, warum schließt du eigentlich deine Augen? Sie sind doch echt schön“, fragte Tyler.

Hope schmunzelte und antwortete: „Weil ich nichts sehe. Also warum soll ich sie dann öffnen? Außerdem spüre ich es, wenn mich Leute anstarren, und das mag ich nicht.“

Verständlich, warum Leute starren. Sie sind wirklich wunderschön.

„Wie ist es, blind zu sein?“, fragte er weiter und hätte sich am liebsten geohrfeigt. Der Blinde schien es jedoch nicht böse aufzufassen, sondern dachte nach.

„Gute Frage. Ich habe noch nie explizit darüber nachgedacht. Ich denke, es ist, als würdest du in einem dunklen Keller ohne Licht sitzen. Das Leben spielt sich aber um dich herum ab.“

„Hört sich nicht so spaßig an.“ Und wieder einer meiner qualifizierten Kommentare. Ich bin doch so ein Idiot.

Hope schaute auf den Boden. „Tyler, es gibt weitaus Schlimmeres. Glaub mir.“

Das stimmte ihn ebenfalls nachdenklich. Was er wohl damit meinte? Das sollte Tyler bald herausfinden.

Als sie sich in der Umkleide umzogen, fiel sein Blick auf Hope, der sich gerade das Oberteil auszog. Tyler sog scharf die Luft ein. Gütiger Gott. Hopes Rücken war mit großen Narben verunstaltet, die sich von seinem Kreuz bis zu den Schulterblättern zogen. Als er sich umdrehte, sah er ein ähnliches Bild auf seiner Brust und seinem Bauch. Was ist ihm passiert? Hat er das mit „weitaus Schlimmeres“ gemeint?

„Er hatte einen Unfall mit zwölf, bei dem er fast gestorben wäre. Seitdem ist er blind und hat diese Narben“, sagte Steve, der neben ihn getreten war. Er schaute Tyler nun mit ernsten Augen an. „Wenn du ihm wehtust, werde ich dir das Leben zur Hölle machen.“

Tyler konnte nur stumm nicken.

Nach der letzten Stunde suchte Tyler nach der Bibliothek. Als er durch das riesige Gebäude irrte, hörte er plötzlich eine leise Melodie. Er folgte den Tönen, bis zu einem Klassenzimmer, bei dem die Tür einen Spalt offenstand. Neugierig schaute er hinein und sah ihn – den blonden, blinden Engel.

Er hatte eine Geige unters Kinn geklemmt und setzte den Bogen an. Dann begann er zu spielen und die Zeit schien stillzustehen. Eine wunderschöne Melodie erfüllte den Raum, die tief in ihm etwas berührte. Leise setzte er sich auf den Boden und lehnte sich an die Wand, um der Musik mit geschlossenen Augen zu lauschen.

Tyler wusste nicht, wie viel Zeit verging, doch irgendwann verklang die Musik und die Tür wurde geöffnet. „Ist da jemand?“, fragte eine freundliche Stimme.

„Sorry, ich habe gelauscht“, sagte Tyler verlegen und stand auf.

Hope machte zunächst ein überraschtes Gesicht, dann lächelte er jedoch. „Dafür wird aber eine Gebühr fällig“, scherzte er und ging zurück, um seine Geige einzupacken.

Tyler kratzte sich verlegen am Kopf. Himmel, warum klopft mein Herz so? Er stellte sich neben Hope und berührte ihn mit seinen Fingern an der Wange. Dieser zuckte überrascht zurück.

„T-Tut mir leid. Du bist einfach nur so … hübsch.“

Hopes Gesichtsausdruck wurde undurchdringlich, unlesbar. Er trat nah an Tyler heran, sodass ihre Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. „Sei vorsichtig. Ich bin kein Mädchen. Wenn du mir solche Komplimente machst, könnte ich das falsch verstehen, denn du bist mein Typ“, sagte er mit weicher Stimme.

Das brachte Tyler völlig aus dem Konzept. Sein Herz klopfte laut. Ich bin sein Typ? „Bist du schwul?“, fragte er perplex.

Hope lächelte nur und nahm seinen Koffer. „Wir sehen uns morgen.“

Tyler blieb verwirrt und mit einem seltsamen Gefühl in der Brust zurück.

Einige Tage später, als Steve gerade nach Hause lief, fing der Neue ihn ab.

„Hey, kann ich mit dir reden?“, fragte Tyler.

„Meinetwegen. Du kannst neben mir herlaufen.“ Steve konnte ihn nicht leiden und das hatte er auch nicht vor zu verstecken.

„Gut, danke. Also, du bist du Hopes bester Freund“, fing der Neue an.

Es geht also um Hope. „Ja, und?“, antwortete Steve neutral, während er weiterlief.

„Ich … hat Hope jemand, den er mag?“

Dies überraschte Steve und er blieb stehen. „Er ist mit niemandem zusammen“, sagte er vage.

„Hat er mal über mich geredet? Dass ich sein Typ bin?“, fragte Tyler, der ziemlich nervös zu sein schien.

Was geht hier ab? Warum fragt er so was? Steve schwieg.

„Hör zu, ich weiß, dass Hope schwul ist. Ich will nur wissen, ob ich … sein Typ bin.“

Woher weiß er, dass Hope schwul ist? Ein hässliches Gefühl machte sich in Steves Brust breit. Tyler hatte recht. Hope hegte eine Schwärmerei für ihn, doch er wollte ihm das nicht sagen. „Mach dir keine Hoffnung. Es gibt jemanden, den er mag.“ Eine Lüge, die bisher bei jedem gezogen hatte.

„Dacht ich‘s mir.“

Und wieder einer weniger.

„Du lügst also wirklich.“

Das holte Steve aus allen Wolken und er schaute erstaunt zu dem anderen. Woher?

„Kann es sein, dass du in Hope verliebt bist?“, fragte Tyler ihn mit ernstem Gesicht.

Steve ballte die Faust und schaute ihn böse an. „Wir sind beste Freunde, kein Paar“, sagte er, so ruhig es ging.

Das überzeugte Tyler kein bisschen. „Das beantwortet nicht meine Frage.“

Steve schwieg weiter. Diese Gefühle waren erst in den letzten Monaten richtig aufgeblüht. Er hatte angefangen, Hope anders anzusehen, dann war er in seinen Träumen erschienen. Als er aufgewacht war, mit einem Bild, wie Hope halbnackt vor ihm lag, hatte er begriffen, dass dort mehr war. Doch er würde nicht seine Freundschaft riskieren und ihn verlieren. Er war nicht Hopes Typ und Hope sah ihn nicht als Mann.

Tyler konnte es Steve ansehen. Die Emotionen spiegelten sich auf seinem Gesicht wider. Er liebte Hope, das war deutlich. Doch er würde nicht zurückrudern, also setzte er Hopes besten Freund ein Ultimatum. „Wenn du Hope deine Gefühle nicht gestehst, werde ich es tun.“

Die Worte waren wie Messer, die in Steves Herz stießen. Er hatte gewusst, dass irgendwann ein Mann kommen würde, der Interesse an Hope haben würde und ihn verlieren würde. Also traf er eine Entscheidung. Er würde Hope die Wahrheit sagen.

„Ich …“

In diesem Augenblick klingelte sein Handy. Dankbar für die Unterbrechung nahm er es an.

„Hallo?“

Tyler schaute Hopes besten Freund an und wartete auf eine Antwort. Doch Steves Gesichtsausdruck wurde von einem auf den anderen Moment fassungslos. Er riss die Augen auf und keuchte. Dann fiel ihm das Handy aus der Hand und er sank auf die Knie. Mit seinen Händen krallte er sich in seine Haare und ein erschütternder Schrei drang aus seinem Mund.

Direkt nach dem Geigenunterricht machte sich Hope auf den Weg ins Krankenhaus. Seine kleine Schwester Mary hatte einen Unfall gehabt und lag im Krankenhaus. Es trennten sie acht Jahre und doch liebte er sie abgöttisch. Mit der Geige auf der rechten Schulter lief er in den Aufzug und fuhr in den vierten Stock.

Iris saß am Krankenbett vor ihrer kleinen Tochter Mary, die mit einer Sauerstoffmaske auf dem Bett lag. Sie hasste Krankenhäuser. Sie hatte zu viel Zeit ihres Lebens hier verloren. Wieder lag ein Kind vor ihr, bewusstlos. Sie konnte es kaum ertragen, nicht ihr kleiner Engel. Angst zerfraß ihre Brust und sie zitterte.

„Bitte wach auf, mein Schatz.“ Doch ihre Kleine schlief weiter.

„Ich würde alles tun. Bitte lieber Gott, mach das sie aufwacht“, betete sie in Richtung Himmel.

Daraufhin erklang eine schöne Stimme hinter ihr: „Wirklich alles?“

Erschrocken drehte sie sich um. Ihr Atem stockte, als sie den Mann mit dem Gesicht eines Engels sah. Er hatte rote Augen, alabasterfarbene Haut und schwarze Haare mit einem grünen Schimmer. Hinter ihm stand ein ebenfalls atemberaubender Mann mit silbernem Haar und schwarzen Augen, der etwas größer war.

Hat Gott mich erhört und seine Engel geschickt? Iris brauchte etwas, bis sie ihre Stimme wiederfand. „Ja, alles.“

Der Engel lächelte. „Ich kann deine Tochter gesund machen, doch das hat seinen Preis“, sagte er mit einer weichen Stimme.

„Was wollen Sie?“, fragte Iris völlig gebannt.

„Ich will deinen Sohn“, antwortete er.

Iris war verwirrt. Was meinte er mit „ihn wollen“?

Der Mann trat näher. „Das Leben deines Sohnes im Austausch für das deiner Tochter.“

Sie wusste nicht, was sie sagen wollte. Der Silberhaarige schien auch nicht zu wissen, was sein Begleiter wollte. Hopes Leben für Marys?

Der Schwarzhaarige schien ihr Hadern zu bemerken und fügte an: „Du hast nicht mehr lange Zeit. Wenn du zögerst, wird sie sterben.“

Als hätte der Fremde es geahnt, begannen Marys Vitalwerte plötzlich alarmierend abzufallen. Panik ergriff Iris. Sie darf nicht sterben.

Hope stand fassungslos vor der Tür zum Krankenzimmer seiner Schwester. Er hatte gehört, wie ein Fremder in dem Zimmer seiner Mutter angeboten hatte, seine Schwester zu retten. Seine Bedingung war Hopes Leben. Was meint er damit? Ist das ein Verrückter? Ich sollte schleunigst die Polizei rufen.

In diesem Moment hörte er das laute Piepsen und das ängstliche Keuchen seiner Mutter.

„Ich bin einverstanden. Bitte rettet meine Tochter.“

Hope erstarrte. Hatte er gerade richtig gehört? Nein, das kann nicht sein. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Er wurde gepackt und ins Zimmer geschleift. Hope wehrte sich und konnte sich aus dem Griff befreien.

„Hope?“, erklang eine erschrockene Stimme.

Er schaute in die Richtung, aus der die Stimme seiner Mutter kam, und schaute sie entsetzt an.

„Hast du es gehört? Dein Leben für das deiner Schwester“, sagte die fremde Stimme.

Nein, das hat sie nicht getan. „Ich bin dein Sohn. Wieso?“ Doch er kannte die Antwort. Er war nicht ihr leiblicher Sohn.

Mary war ihre leibliche Tochter. Natürlich war ihr Leben wichtiger als das seine. Vielleicht war es besser so, dann hätte sein Leben wenigstens einen Sinn gehabt. Er stellte jede Gegenwehr ein und schaute zu Boden. Mary.

„Deine Seele hat eingewilligt“, hörte er die Stimme.

„Heile sie“, sagte der Fremde.

Der Silberhaarige ging zu dem Mädchen und legte eine leuchtende Hand auf ihre Brust. Iris sah, wie sich Marys Vitalwerte normalisierten und ihre Atmung sich ruhig wurde. Dann begann ihre Hand zu zucken und ihre Augen zitterten. Unbändige Freude schoss durch ihre Brust. „Mary!“, schluchzte sie vor Freude. Die Engel hatten sie gerettet.

„Gut, nun zur Bezahlung“, sagte der Fremde.

Das Fenster flog wie von Geisterhand auf und Hope begann zu schreien. Die Hand des Fremden auf seiner Brust brannte wie Feuer und der Schmerz erfasste seinen Körper. Er konnte kaum atmen. Ein magischer Zirkel leuchtete auf seiner Brust auf und brannte sich in seine Seele.

„Hör mir gut zu, Hope. Du musst überleben, egal, was kommt. Du musst die Hölle überleben. Finde ihn. Du musst ihn finden, die Dunkelheit, die dein Licht zum Strahlen bringen wird.“

Hope verstand nichts. Was ist hier los? Dann spürte er einen Stoß gegen die Brust, ein Stechen in seinem Rücken. Der Widerstand an seinem Rücken verschwand und die Schwerelosigkeit erfasste ihn. Für einen Moment erschien das Bild des blauen Himmels vor seinen Augen. Ich falle.

Ungebremst knallte sein Körper auf den Asphalt. Überall Schreie, Blut, Chaos. Doch Hope bekam nichts davon mit. Die Worte des Fremden hallten in seinem Kopf, dann wurde es still. Dieses Mal war die Dunkelheit endgültig.

Mit einem Japsen schreckte Hope auf. Ein Schrei blieb ihm im Hals stecken. Panisch schlug er um sich, versuchte, sich zu orientieren.

„Beruhige dich, Kleiner“, erklang eine männliche Stimme.

Hope tastete die Umgebung ab und spürte, dass er auf sandigem Boden lag. Seine Kleidung war einer einfachen Stoffhose gewichen, die nicht die seine war. Um ihn herum befanden sich zahlreiche Menschen, die versuchten, ihn zu beruhigen, doch er war zu panisch.

„Wo bin ich? Wer seid ihr?“, fragte er außer sich und zog die Beine an.

„Du bist in der Hölle. Wir sind alles Verstorbene, die nach unserem Tod in die Hölle abgestiegen sind“, erklärte ihm ein Mann mittleren Alters mit kurzen, braunen Haaren, in denen die ersten grauen Haare sichtbar waren.

Er nahm die Hand des jungen Mannes, der zuckte und panisch durch die Gegend schaute. Alle um ihn herum waren verwirrt. Das beruhigende Streicheln des Mannes auf dessen Hand schien ihn etwas zu beruhigen.

„Mein Name ist Joseph. Ich bin schon seit dreißig Jahren hier und einer der ältesten. Wie heißt du, Junge?“, fragte er ihn freundlich. Er ist so jung. Was hat er nur getan, um hier zu landen?, dachte Joseph.

Hope beruhigte sich, als er merkte, dass ihm niemand etwas Böses wollte. Ich bin in der Hölle? „Bin ich gestorben?“, fragte er.

Joseph sah ihn traurig an. „Bedauerlicherweise, ja.“

Hope schloss die Augen, dann begann er zu lachen.

Joseph und die anderen schauten ihn verwirrt an. „Geht es dir gut?“, fragte er.

Es war für viele ein Schock, so nahm es manch einer besser auf als der andere.

„Ja. Es ist nur so makaber. Nicht nur, dass ich ermordet worden bin. Ich bin auch nach meinem Tod noch blind. Nicht einmal das kann ich hinter mir lassen“, sagte Hope mit einem zunächst hysterischen, dann eher frustrierten Unterton.

Joseph war erschrocken. Die Narben auf dem Körper des jungen Mannes mussten schon älter sein, sonst hätte er sie nicht mit in die Hölle genommen, doch Blindheit? Er wusste von niemandem, der auch nach seinem Tod noch blind war. Zudem ist er auch noch einen gewaltsamen Tod gestorben. Was hat er nur getan, dass er hier gelandet ist?

„Junge, möchtest du uns nicht erst einmal deinen Namen verraten?“

Der junge Mann senkte den Kopf und murmelte: „Hope.“

Das ist ein sehr ungewöhnlicher Name. „Gut, Hope. Du wirst eine Zeit lang hierbleiben, bis du die Strafe für deine Sünden abgesessen hast. Dann hast du eine Chance, wiedergeboren zu werden. Sieh es also als eine Probezeit“, sagte Joseph freundlich. Er sah in dem jungen Mann seinen jüngsten Sohn, den er vor seinem Tod nicht mehr hatte sehen können.

„Meine Sünden?“ Welche Sünden? Ich habe nichts verbrochen. Hope war überfordert. Dicke Tränen begannen, seine Wangen hinunterzulaufen. Ich habe will nicht mehr. Vielleicht sollte er einfach aufgeben und sich in eine Ecke legen. Als er sich bewegte, stieß er mit seiner Hand gegen einen harten Gegenstand. Er berührte ihn mit beiden Händen und befühlte ihn. Ist das etwa? Er spürte seine Initialen auf der Oberfläche.

Joseph sah, dass Hope sein Mitbringsel entdeckt hatte. „Was hast du mitgenommen?“ Oftmals nahm ein Mensch einen Gegenstand mit, der ihn in seinem Bußprozess unterstützen konnte.

Hope nahm den Koffer auf seinen Schoß und öffnete die beiden Schnallen. Der Deckel klappte auf und zum Vorschein kam seine Geige. Ein Raunen ging durch die Menge und neugierige Gesichter schauten zu dem Neuankömmling.

„Kannst du etwa Geige spielen, mein Junge?“, fragte Joseph und betrachtete, wie Hope über den Hohlkörper der Geige strich.

Hope nickte nur und wollte den Koffer wieder schließen.

„Warte!“, rief ein Mann Mitte Dreißig von hinten und ging auf Hope zu.

„Kannst du spielen?“, fragte er ihn begeistert.

„Ja, warum?“

„Kannst du bitte ein Lied für mich spielen?“, fragte dieser enthusiastisch.

Hope schaute überrascht zu ihm auf, seine Augen weiterhin geschlossen. Warum sollte er diese Gewohnheit nun auch ablegen, nur weil er jetzt in der Hölle festsaß? Sehen konnte er ja so oder so nichts. Er strich erneut über seinen Schatz und traf einen Entschluss. Ich werde mich nicht davon unterkriegen lassen. Nicht jetzt, wo ich so viel geschafft habe.

„Klar, was möchtest du denn? Wenn ich es schon einmal gehört habe, kann ich es in der Regel auch spielen. Aber erst einmal, wie heißt du?“, sagte Hope mit einem Lächeln.

„Ich bin Clint und bitte spiel Pieces von Sum41, wenn du das kennst.“

Joseph sah Clint überrascht an. Sonst war er eher lethargisch und verschlossen, doch hier schien er geradezu dafür zu brennen.

Der junge Mann lachte und sagte: „Alles klar, aber nur, wenn du mitsingst.“

Clint nickte energisch, auch wenn Hope das nicht sehen konnte.

Anmutig setzte Hope die Geige an sein Kinn an und nahm den Bogen. Dann atmete er tief ein. Eine lange Note erklang, dann folgte die Melodie des Wunschliedes. Clint schloss die Augen und begann zu singen.

Um sie herum wurde es still und jeder lauschte der wunderschönen Melodie, die durch die Hände des jungen Mannes entstand. Eine helle Stimme stimmte mit Clint ein, als Carla, eine Dame in Josephs Alter, miteinstimmte.