Berlin zum Abkacken Alle Arschlöcher nach Bezirken - Kristjan Knall - E-Book

Berlin zum Abkacken Alle Arschlöcher nach Bezirken E-Book

Kristjan Knall

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Beschreibung

Berlin ist jung, dynamisch, kreativ und sexy - alles Schwachsinn! Berlin ist eine Kloake, ein durchkommerzialisiertes inhaltsleeres Versprechen, das magisch Verlierer, Möchtegerne und modeaffine Konsumenten anzieht und sie auf seine Straßen ausspeit. So schlimm wird es schon nicht sein? Hier finden Sie Gründe, jeden Berliner Stadtbezirk zu meiden. Eine bitterböse Satire über den Ausverkauf einer Stadt und ihre Bewohner.

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Impressum

ISBN eBook 978-3-359-50012-4

ISBN Print 978-3-359-02381-4

© 2013 Eulenspiegel Verlag, Berlin

Umschlaggestaltung: Verlag

Eulenspiegel · Das Neue Berlin Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG

Neue Grünstraße 18, 10179 Berlin

Die Bücher des Eulenspiegel Verlags erscheinen

in der Eulenspiegel Verlagsgruppe.

www.eulenspiegel-verlagsgruppe.de

Textfehler, Kritik und Drohbriefe gerne an:

www.facebook.com/BerlinZumAbkacken

Dieses Buch wurde auf zyanidhaltigem Papier gedruckt. Die unterlassene Verwendung in Seminaren und Vorträgen und die nicht erfolgte Auswertung in elektronischen Medien, Datenbanken und ähnlichen Einrichtungen sowie beim Scheiße reden ist verboten.

Kristjan Knall

Berlin zum Abkacken

Alle Arschlöcher nach Bezirken

EIN HANDBUCH

Eulenspiegel Verlag

Überblick

Bezirk

Optik

Klientel

Tun

Tempelhof

sechziger Jahre

spießig bis paralysiert

auf dem Tempelhofer Feld machen, dass man weg kommt

Prenzlauer Berg

Immobilienkatalog mit Photoshop bearbeitet

Snobs, Eltern und andrer Luxusausschuss

sich an der Greifswalder vorstellen, dass es hier mal Leben gab

Wilmersdorf

ganz nett, aber wieder vergessen

Murkel, die es nicht ganz nach oben geschafft haben

mit einem Eis bei Henning in der Bundesallee den Nazibunker gegenüber blickficken

Charlottenburg

schick bis vermodert

auch, dazu konservative Junkies

am Zoo sehen, dass Westberlin auch scheiße war

Wedding

Dritte Welt

Völlig fertig, dazu eine Prise Hipster

die Bar am Nauener Platz finden und den Club am S-Bhf. Wedding. alternativ: sich im Soldiner Kiez erschießen lassen

Reinickendorf

von allem Abstoßenden ein bisschen

auch

im Märkischen wahllos Leute anpöbeln und für einen langen Urlaub planen

Lichtenberg

Platte mit Inseln

Nazis, Betonköpfe und alle, die es sich nicht leisten können abzuhauen

entdecken, dass der Tierpark angenehmer als der Zoo ist

Mitte

wie jede andere Metropole, nur billiger

Snobs, Hipster, Yuppies, Politiker: der Bodensatz eben

Scheiben einschmeißen, Exkremente verschmieren

Köpenick

Dorf im Wald

nett und harmlos

Wildschweine durch den Wald zum verfallenen Müggelturm jagen

Tiergarten

Westranz bis Gründerzeitstuck

ziemlich fertig, gibt es aber nicht zu

Nutte an der Potsdamer abgreifen und mit Heroin von der Turmstraße bezahlen

Neukölln

abgeranzt und voll

hart bis hip

Kellerclubs finden, sich von Dealern in der Hasenheide Komplimente machen lassen

Spandau

Kleinstadt

stumpf

sich auf dem Weihnachtsmarkt volllaufen lassen

Treptow

SED-Fürstentum

unscheinbar bis spießig

am Sowjetmahnmal im Treptower Park beten

Friedrichshain

ziemlich viel zum Verwechseln ähnlich

kotzend und zum Kotzen

das letzte unsanierte Haus finden und stundenlang fotografieren

Schöneberg

hübsch alt bis hässlich neu

Lehrer, Schwule, Prolls

hipsterfrei essen gehen

Marzahn und Hellersdorf

Platte

noch schlimmer

Bordsteinbeißen

Steglitz-Zehlendorf

Satt wohlhabend, dörflich

Gutsherren

An der FU den Ausschuss von morgen begutachten, danach im Grunewald verschwinden

Pankow-Weißensee

Gemütlich bis Platte

Findet sich besser als es ist

Vom Flakturm Heinersdorf springen

Kreuzberg

Altbaucharme bis abgeranzt, mit ein wenig Platte und Mitte-Lack

Bunt, besoffen, hip, verhippiet

Im Görli kiffen, am 1. Mai revolutionär sein, vom Barhocker kippen

Einleitung

Viele auf den ersten Blick zurechnungsfähige Menschen kommen nach Berlin oder bleiben hier wohnen. Sie reden sich ein, es gäbe gute Gründe, die es nicht gibt: Arbeit? Ästhetik? Erfüllung? Fehlanzeige. Schlimmer noch, sie reden sich ein, Berlin sei »urig« und »echt«, die Berliner seien ein ganz besonderes Völkchen, und man müsse sie nur richtig kennenlernen, dann würden sie ganz ok sein. Hinter dem groben Rumgeschnaube stecke ein gutes und vor allem ehrliches Herz. Der Dialekt sei ja irgendwie total cool, und man würde das auch gerne können. Das Gefühl in der Stadt an einem verregneten Sommertag sei melancholisch schön. Überall spüre man Kreativität, Bewegung, den Hype.

Alles unfassbarer Bullshit.

Berliner sind einfach nur Arschlöcher. Grundlos, unreflektiert und monoton gleichbleibend.

Es gibt keinen Hype, es gibt nur das verzweifelte Schreien nach Aufmerksamkeit mit den armseligsten Äußerlichkeiten, weil sich keine Sau für einen interessiert.

Der Dialekt wird auch in Brandenburg in die Gegend gebrochen und ist unter Nazis der gute Ton.

Die Eigenwilligkeit der Berliner ist nichts weiter als ein egoistisches, stumpfes Dahinvegetieren und der Versuch, die eigene Minderwertigkeit an möglichst vielen auszuleben, die es mit sich machen lassen.

Geld? Wo denn?

Kunst? Zum Kotzen schlecht, nur Egoprothese.

Urbanes Flair? Hat auch ein vollgepisster Bahnhof.

Und wenn der Berliner eines nicht ist, dann ist es echt. Da ist nämlich einfach nichts in dieser stumpfen, leeren Hülle, die einem täglich hunderttausendfach entgegengeworfen wird, sie ist nur angefüllt mit Frust, Aggression und Missgunst.

Du interessiertst hier niemanden!

Willkommen in der Hauptstadt der Arschlöcher!

Land Berlin Germania 2.0

Was ist das heutige Berlin? Bestenfalls inhomogen. Das Einzige, was einem mit Fug und Recht Spaß machen kann, ist die Durchmischung. Nicht, dass die Regierung nicht durch Mietverdrängung, Restrukturierung und ganz banalen Ausverkauf der Stadt versucht, diese zu unterbinden. Sie wünscht sich eine schön gleichgeschaltete Fabrik, die man auf der neuen A 100 schnell durchfahren kann, um dann in seiner Gruft in Heinersdorf oder sonst wo zu verfaulen.

Berlin ist heute auf dem Weg, schnellstmöglich so langweilig und gesichtslos wie andere Hauptstädte der Welt zu werden, in denen es aber genug Zaras und Starbucks gibt, um sich zu Hause zu fühlen.

Die Berliner sind eine Mischung aus verschiedenen Arschlöchern. Das Einzige, was sie gemeinsam haben: sie nerven sich gegenseitig. Junge nerven Alte, Spießer nerven Punks, Künstler nerven Prolls und andersrum.

Klar, alle finden es total super, hier zu leben, ey. Besonders wenn sie erst ein paar Jahre hier sind. Und heulen sich dann doch einsam in den Schlaf oder haben ihren Nervenzusammenbruch noch vor sich.

Die Altberliner wissen es besser, sie sind schon total abgestumpft und erwarten nichts mehr. Sie sind vom Menschenmüll genervt und versuchen – weil Schulddifferenzierung was für Anfänger ist – Berlin als Ganzem so viel Schaden wie möglich zuzufügen. Es hat seinen Grund, wieso Berlin nur zu einem Drittel aus Ureinwohnern besteht: Ratten verlassen ein sinkendes Schiff. Alle, die sich einbilden, in ihren über die Jahre in unfassbar coolen Kreativindustrien verschwendeten Leben glücklich gewesen zu sein, stellen irgendwann fest, dass alles scheiße war. Dass sie jetzt vom Fleck weg sterben könnten und dass das vielleicht noch das Beste wäre, was in ihrem völlig verkorksten Restdasein passieren könnte.

Unter der Oberfläche schwingt das mit und vergiftet das Stadtklima. Das ist es, wofür die neuen Berliner kein Gespür haben. Die allgegenwärtige Missgunst und Verachtung, die die Menschen einander entgegenbringen. Das ist nicht unbedingt was Schlechtes. Man kann viel Spaß daran haben oder ein Buch darüber schreiben. Verhängnisvoll ist nur, es nicht wahrzunehmen. So ähnlich wie einen Hirntumor, der einem noch ein Jahr zum Leben lässt. Entweder man weiß von ihm und kann das Jahr noch mal richtig genießen und alles, was man hat, auf den Kopf hauen. Oder man siecht weiter in seiner abturnenden Alltagsexistenz, bis einem der Kopf wie ein Luftballon platzt.

Deshalb ist es wichtig zu wissen, was die Arschlöcher treiben, wo sie sind und was man machen kann, um ihnen zumindest zeitweise zu entkommen.

Tempelhof

Wieso sollte man mit Tempelhof anfangen? Seit es Tempelhof gibt, ist es ein Synonym für Tod auf Raten. Nach Tempelhof ging man nur zum Sterben. Jahrzehntelange eiserne CDU-Herrschaft hat einen drögen, langweiligen Mikrokosmos erschaffen, in dem sich Rentner wohlfühlen und Jugendliche aus Frust Autos anzünden. Tempelhof ist so ungefragt da wie jeder Anfang, hat aber von vornherein schon aufgegeben.

Tempelhof liegt im Süden Berlins, mitten im ehemaligen Westen, aber es war schon immer ein Mehrfrontenbezirk, der seine Bewohner in ihrer Mittelmäßigkeit radikalisiert hat. Ganz profan grenzte auch Tempelhof an den Stadtrand, also die DDR. Um ein Monument des lebenswerten Westens dem sozialistischen brandenburgischen Nichts entgegenzusetzen, wurden das angrenzende Lichtenrade und Teile Marienfeldes zu einer Einfamilienhauswüste ausgebaut. Hier wohnten Berliner, die eigentlich lieber in München oder auf der Schwäbischen Alb gewesen wären. Der monströse Tempelhofer / Mariendorfer / Lichtenrader Damm zieht sich schnurgrade durch den ganzen Bezirk wie ein ausgewickelter Darm. Die in der Nahrungskette oben sind, die Lichtenrader, scheißen zuerst, der Rest frisst und scheißt weiter, bis am Platz der Luftbrücke das für den durchschnittlichen Tempelhofer unvorstellbare Elend von Kreuzberg beginnt.

In Lichtenrade steht die Zeit seit 1960 still. Die wenigen Bars sind deshalb, nicht verwunderlich, Retrobars oder Mexikaner im kolonialfaschistischen Stil. Die niedrige Bebauung an den Hauptstraßen beherbergt Geschäfte für eine Zielgruppe über sechzig. Dringt der Besucher in das weite Hinterland vor, so sollte er gewarnt sein. Verschlungene Einbahnstraßen machen die Fortbewegung mit dem Auto mühsam, der Lichtenrader will nicht gestört werden. Zu Fuß verhungert man zwischen endlosen Einfamilienhäusern. Auf den Irrwegen wird man paranoid, und das nicht unberechtigt. Der Lichtenrader sieht einen. Hinter Vorhängen und unter gestickten Tischdecken beobachtet er argwöhnisch jeden Eindringling, gegen den sich sein Frust richten kann. Denn der Lichtenrader hat es geschafft, in einem Mittelklassevorort zu leben. Aber von der Oberklasse ist er noch weit entfernt. Schlimmer noch, fetischistisch polierte Mercedesse und millimetergenau getrimmter Rasen können die soziale Vereinsamung, die fehlende Reflexionsfähigkeit und das schreiende, schreiende Ungeficktsein der Lichtenrader nicht kompensieren. Wenn man doch mal einen direkt zu Gesicht bekommt, so wandelt er wie ein Zombie durch den Vorgarten. Er hält an und starrt. Tonlos, wortlos, angepisst. Der Besucher kann versuchen, eine absichtlich falsche Auskunft zu erhalten, meist grüßt ihn aber nur seniles Schweigen.

Lichtenrade ist der unerfüllte Traum der Generation Materialismus, der Alptraum der Menschlichkeit. Kein Zufall, dass kalte Machtpolitiker wie Klaus Wowereit sich dort wohlfühlen.

Marienfelde ist nicht viel besser, eher schlechter. Es ist die Billigversion von Lichtenrade, die Swimmingpools sind noch aufblasbarer, die Häuser noch weniger wie in Schwabing, und die Gastronomie hat sich schon lange kannibalisiert. Schlimmer noch: Es gibt auch blankes Elend. Wird das in Lichtenrade noch in Hochhaussiedlungen an der Barnetzstraße mit mäßigem Erfolg weggeparkt und ausfallstraßengeknebelt, so ist der architektonische Ausschuss in Marienfelde nicht zu übersehen. Die Mau-Mau-Siedlung an der ehemaligen Stadtgrenze ist der Schandfleck Tempelhofs. Wohl als kapitalistisches Weststatement gedacht, blickt sie auf Brandenburger Felder. Ihre Botschaft war: »Seht her, wir können noch viel unmenschlichere Blöcke bauen als ihr im Osten, aber weil der Kapitalismus es so unglaublich bringt, lassen es die Leute hier sogar ohne Russenpanzer mit sich machen!« Das funktionierte passabel, bis die DDR zusammenbrach.

Seitdem sind die Hochhäuser und Flachbauverzahnungen nur noch ein Mahnmal, wie scheißegal der Gesellschaft ihre schwächsten Mitglieder sind. Aber im Gegensatz zu Lichtenrade gibt es hier Kinder. Hier wird die Zukunft geboren, die dürfte dann so aussehen wie ein prominenter Vertreter des Viertels: Bushido. Gratulation an die Generation der Sozialsystemerosion seit 1980 und an die Finanzmärkte. Euren Lebensabend werden Menschen begleiten, die weiße Mercedesse, dicke Silikontitten und miese, hinterhältige Verlogenheit, um den eigenen Arsch meistbietend zu verkaufen, als Grundwerte ansehen. Würden Lichtenrade und Marienfelde nicht so oder so langsam verrotten und immer unattraktiver werden, hätten die Bewohner schon längst eine neue Mauer beantragt – um diese Viertel herum.

Weiter nördlich, Richtung Stadtzentrum, liegt paralysiert Mariendorf. Dieser Teil Berlins versucht, schon Stadt zu sein, scheitert aber kläglich. Mittelhohe Bauten, mittelteure Geschäfte, mittelmäßig viel Grün, mittelmäßig weit weg vom Zentrum: Mariendorf ist Tempelhof in Reinform. Niemand interessiert sich auch nur einen Hauch dafür. Die Bewohner merken das nicht aktiv. Passiv aber frustriert es sie bis zur Ohnmacht, und sie werden ihr Bestes geben, diese Frustration an jedem und allem auszulassen.

In jüngster Zeit findet sich Mariendorf, für seine Bewohner erschreckend, an einer neuen Grenze: Der zwischen innerstädtischem Elend und bürgerlichem Randberlin. Tempelhof war zu Westberliner Zeiten gut abgeschirmt gegen das böse Neukölln, das voller Nichtsnutze, Sozialschmarotzer und Ausländer war. Im Norden hielt der Flughafen sie auf komfortable zwei Kilometer Entfernung, und Richtung Süden breitete sich ein Industriegebiet aus. Untypisch für Berlin gibt es dort tatsächlich Industrie. So die Bahlsen-Keksfabrik, deren Duft die ausgehungerten Flughafendurchwanderer riechen können. 1660 Kilometer südlich liegt Mallorca, da will der Berliner zum Entspannen hin, weil es warm, aber schön deutsch und plattig ist. Reicht der Rest vom Hartz nicht, bleibt einen Kilometer südlich vom Industriegebiet der Britzer Garten. Ein Park, in dem man bezahlt, um kein Elend sehen zu müssen. Das betrifft glücklicherweise Hunde, leider aber keine Kinder.

Durch die radikale Verdrängung aus der Innenstadt landen jetzt allerdings immer mehr Zuwanderer in Mariendorf. Die Mieten dort sind mittlerweile niedriger als in Nord-Neukölln und die Westplattenneubauten ästhetisch hinreichend, sollte man Altbau noch immer mit Erbärmlichkeit gleichsetzen. Besonders um den Westphalweg und an den lärmgeschüttelten Frontbauten des Mariendorfer Dammes müssen sich die Mariendorfer mit neuen Nachbarn abfinden. Es ist schwer vorstellbar, wie sehr sie das in ihrem Stolz kränkt. Wer es jetzt nicht mindestens nach Marienfelde geschafft hat, kann sozial einpacken.

Weiter nördlich liegt Alt-Tempelhof, das größtenteils schon aussieht wie Innenstadt. Ist es aber nicht. In Alt-Tempelhof, wie auch in Tempelhof im Allgemeinen, gibt es keine nennenswerte Bar, kein nennenswertes Restaurant, kaum eine nennenswerte Kultureinrichtung und kein Kino. Letzteres macht Tempelhof sogar im Berliner Ödnisbezirkvergleich zu einer Ausnahme. Alt-Tempelhof ist das Gleiche wie Marienfelde, nur mehr in der Vertikalen.

Neu-Tempelhof hingegen ist eine Stufe härter. Es teilt sich in die Fliegersiedlung und den Rest. Die Fliegersiedlung ist eine denkmalgeschützte Einfamilienhaussiedlung. Sieht aus wie Lichtenrade, liegt aber schon mitten in der Stadt. Das gibt diesem Spießerkosmos eine Arroganz und eine radikale Vorpostenhaltung, wie sie der Altberliner im Vergleich zu Restdeutschland hat. Hier wird offen gezeigt, was man hat, hier ist man akademisch, hier ist 24/7 Fensterbrettüberwachung – und alles verboten, was nicht ausdrücklich erlaubt ist. Durchfahren? Fehlanzeige. Nur auf ausgewählten Strecken in Schrittgeschwindigkeit. Rumstehen? Die Golems postieren sich vor ihrer Haustür. Im Park sitzen? Der Hund aus dem Gartengefängnis nebenan bellt jeden weg.

Der Rest von Neu-Tempelhof ist Tempelhof im Nazigewand. Durchgehende Siedlungen mit betonter Trennung von Leben und Arbeit bilden eine weitverzweigte Schlafstadt. Es gibt keinen Grund, dorthin zu gehen, es sei denn, man möchte sich Konzentrationslager gruseln.

Ja richtig, Tempelhof beherbergte, wenig überraschend, eines der ersten KZs. Eingebettet in die Kolonien an der General-Pape-Straße stehen unheimliche Backsteinbauen. In diese wurden Juden, Kommunisten und andere Untermenschen im Dritten Reich verschleppt und in den Kellern zu Tode geprügelt. Zum Glück gibt es eine kleine Tafel, die daran erinnert, dass dieser Ort eine Preußische Armeekaserne war. Danach herrschte historisch beflissen Stille. Der Tempelhofer will unschöne Geschichten aus dem Dritten Reich nicht vor seiner Nase haben. Er will auf keinen Fall hören, dass dort zweitausend Menschen gefoltert und mindestens zwanzig getötet wurden, waren ja auch nur Kommunisten und Juden. Ein Witz gegen die über eine Million von Auschwitz, und sowieso, das ist heute Polen, und wir haben von nichts gewusst, und die da oben und SA-Gefängnis klingt doch auch viel netter, nach Ordnung und so. Das reiht sich in die Tradition des 1. Eisenbahnregiments der Preußischen Armee ein, die davor dort ganz unverfänglich und zum Wohle des Volkes den Nachschub für vaterländische Kriege koordinierte. Die meiste Zeit, so sinniert der Tempelhofer, sind sie aber garantiert schon stramm marschiert, im Viereck oder, zu besonderen Anlässen, im Kreis. Das unterscheidet sich nicht groß vom Tempelhofer Alltag, nur dass jetzt der schöne, allumfassende Sinn fehlt. Der Marsch führt zu Aldi oder an besonderen Tagen zu Rewe. Da gibt’s billige Fleischwurst, aber keine Erfüllung durch Korpsgeist. Und das ist auch gut so, denn die Nazis waren kein blinder Fleck in der geistigen Tradition hierzulande, sondern eine direkte Folge aus eben diesem Geist. In der Form lebt der Größenwahn munter weiter: So sind die Kolonien und das aus der Zeit gefallene labyrinthische Industriegebiet dort durch den monströs deplatzierten Bahnhof Südkreuz gebeutelt. Hier kann man sich exklusiv fühlen wie überall auf der Welt: Bestellt und nicht abgeholt in einem überdimensionierten Flughafen. Den neuen formfaschistoiden Großflughafen hätten die temporären Stadtdiktatoren sich, hätte es das komplexverkrüppelte Ego erlaubt, sparen können.

Aber auch in Tempelhof gibt es das kleine Dagegen. Die Ufa-Fabrik ist eine Trutzburg gegen die Einförmigkeit, die Tempelhof ansonsten plagt. Natürlich heimlich, still und leise, Tempelhof style. Es ist kein Understatement, sondern Autismus, der sie verhältnismäßig unbekannt hält. Für Alternative funktioniert das besser als für das Spießerpublikum, sie scheinen wenigstens Spaß zu haben. Wer will, kann hier Brot backen, Schweine füttern oder sich ansehen, wie die Welt ausgesehen hätte, wenn die Hippies den Krieg gewonnen hätten. Es ist auf jeden Fall nicht die schlechteste aller Welten. Verglichen mit dem neuen Tempelhofer Hafen nebenan, in dem der Herr von Welt seine Jacht direkt ins Einkaufszentrum fahren kann, ist sie sogar wirklich angenehm.

Herzstück und Existenzberechtigung Tempelhofs ist der Flughafen.

Prenzlauer Berg

»Der« Prenzlauer Berg ist so wenig Berlin wie nötig und so viel München wie möglich. Im Prenzlauer Berg findet man alles, was man für ein Leben in der Ikeawelt braucht: Bistros, Weinstuben, snobistische Bars und alle möglichen Ramschläden, die ihren Müll als Kunst oder Handarbeit für teuer, ehrlich verdientes Geld verkaufen. Wer sein Geld verpulvern will, ist hier richtig. Aber bitte mit Stil. Hier kann man sich als guter Mensch fühlen, wenn man Biocidre aus regionaler Produktion kauft. Tausende verhungernder afrikanischer Kinder gratulieren einem im Geiste. Im Prenzlauer Berg fährt man nicht seinen orangefarbenen Hummer-SUV-Vergewaltiger Gassi, sondern sein 2000-Euro-Alu-Titan-Rennrad. Im Gegensatz zum Hummer nimmt man das dann auch mit in die Wohnung, vielleicht sogar noch bei Kerzenschein ins Bett, weil es selbst im Prenzlauer Berg nicht auf der Straße angeschlossen werden kann.

Architektonisch hätte die Stadt den Bezirk sehr attraktiv gestalten können. Stattdessen wurde er zum Totsanieren freigegeben. Die Straßen sehen aus, wie mit Photoshop bearbeitet. Jeder, der nach Berlin kommen und keine Überraschung erleben will, ist hier richtig. Hoffentlich ist es genau das, was Prenzlauer Berg das Genick brechen wird. Die erste Darm-OP war die totale Gleichschaltung des sozialen Milieus auf reich. Reich ist gut, weil reich zieht reich nach sich. Reich bedeutet aber auch öde. Prenzlauer Berg ist vom angesagtesten Bezirk der Nachwendezeit zu einem schwarzen Loch des Interesses mitten in Berlin verkommen. Sollten die Touristenmassen das jemals mitbekommen, könnte der Prenzlauer Berg wieder eine Vorreiterrolle spielen. Nach den Aufwertungstsunamis, die in der Innenstadt inzwischen nur noch den Wedding übrig lassen, wäre hier ein Experimentierfeld für das Leben nach dem sozialen Gau.

Aber die Chancen dafür stehen schlecht. Erfahrung lehrt: Gerade als der Kurfürstendamm auf dem absteigenden Ast war, regenerierte sich die Kauflust und ließ ein Hochhaus springen. Die Wellenmetapher für die Gentrifizierung ist immer falsch, denn sie zieht nicht einfach weiter und hinterlässt ein Tal. Sie zerstört. Einmal gentrifiziert, bleibt die Gegend öde wie ein Werbeprospekt. Im Falle Pbergs wird wohl ausgeharrt werden, bis ein Rentnerghetto entsteht. Das wäre dann die letzte Daseinsstufe nach dem jetzigen Elterndasein. Das begann mit den neuen Berlinern der Nachwendezeit. Erst spritzig, gärten sie schnell, wurden bewegungslos und spießig. Weil nichts Besseres zu tun war und weil man so super-gleichberechtigt Arbeit und Familie vereinen kann, oder vielleicht doch einfach, weil man das so macht, wurde geworfen. Viele viel zu kultivierte Kinder bevölkerten bald den Bezirk und sabberten den Lebensraum für die Menschen voll, die nicht in einem mentalen Ballparadies leben wollten.

Den unappetitlichen Rest wollen sich nur noch Touristen ansehen. Sie und Traveller in die gleiche Kloake zu schmeißen, wäre aber ungerecht. Touristen sind Kühen ähnlich. Strunzdumm wollen sie durch die Welt gekarrt werden, eine angenehme Zeit haben, die nicht wehtut, und immer einen Rückzugsort, in dem alles ist wie zu Hause. Kuhsexisten aufgepasst: Es ist anerkannt, dass Kühe Lieblingsfreundinnnen haben können und sozial auch sonst auf der Höhe sind. Trotzdem sind es ansonsten idiotische Scheißviecher, denen der Mensch das Hirn weggezüchtet hat. Diese Arschlöcher bescheren uns Starbucks, McDonald’s und Hostelblöcke. Wie Kühe schmecken auch sie gut, wenn man sie in eine dunkle Ecke zerrt, ausraubt und frisst. Traveller sind eher Füchsen ähnlich oder Vögeln oder was auch immer weit genug weg von der Stumpfheit einer Kuh ist.

Traveller wollen etwas Neues erleben und brauchen nicht immer den totalen Uteruskomfort. Alter oder Herkunft sind egal. Das sind die Typen, die mal vor einem Elefanten wegrennen mussten, weil sie sich ihm unbedingt auf einen Meter nähern mussten. Die zu Hause Gebliebenen hassen sie und glauben, dass ihr langweiliges Scheißleben besser ist, weil sie wissen, dass sie noch sechzig Scheißjahre vor sich haben.

Travaller gibt es in Pberg wenige. Wenn, dann noch am ehesten am Hostelstrich an der Greifswalder Straße. Der sieht zwar auch aus wie so ziemlich jedes abgeschliffene Prospektcover, aber immerhin sind die Menschen dort oft und sehr betrunken. Berlin kann nichts Besseres passieren als Horden besoffener Jugendlicher, die dem Konservierungsreflex des Berliners entgegenwirken. Und sie verhindern genau das, was in ihren Hometowns schon passiert ist: Totale Verödung durch Ausverkauf. London, Paris und New York sind sterbenslangweilig geworden, weil sich ein gewaltiger Reise- und Kunstmarkt auf alles stürzt, was im Ansatz eigen aussieht, es an sich reißt und teurer verkauft. Neben dem Disneyland im Zentrum bleiben dann nur noch deprimierende Vorstädte übrig, in denen man sich erschießen kann.

Prenzlauer Bergs Disneyland heißt Kollwitzplatz. Die Spitze der Gentrifizierung und der feuchte Traum eines jeden FDPlers. Alles glänzt, ist edel, und die Kinderwagen sind mehr wert als die meisten Autos in Neukölln. Autos gibt es aber auch genug (zum Anzünden). Der Parkraum wurde durch Parkuhren wegkapitalisiert, wer es nicht hat, soll hier auch nicht halten. Wieso auch, es gibt hier nichts, was man tun könnte, außer auf hohem Niveau zu protzen. Bei Erdbeer-Tarte und Violinenmusik im Café wichsen sich die Eltern des Schreckens ihre Überlegenheit gegenseitig ins Gesicht. In weniger konzentrierter Form passiert das überall im Bezirk.

Das letzte bisschen Kultur in der Kulturbrauerei und in ein, zwei Cafés in der Danziger Straße ist inzwischen ausgetrocknet. Mit dem Icon zog der letzte Club außerhalb der Kulturbrauerei weg, selbst der ultramainstreamige Magnet ist schon früher nach Kreuzberg gezogen. Das Knaack, ein Haus, das seit den Fünfzigern zumindest ansatzweise kreative Freizeitgestaltung bot, wurde aus Lärmgründen geschlossen. Nicht, dass es zu laut gewesen wäre, bevor ihm ein Luxuswohnblock vor die Nase gekotzt wurde. Danach aber. Hier wird nicht gefeiert, hier ist man reich und hält die Fresse. Das White Trash hält sich verzweifelt nahe dem Rosa-Luxemburg-Platz. Es ist aber auch nicht mehr als eine Schweinetränke für dichte Rockteenies. Immerhin, wie beim Bazooka-Zirkus im Las Vegas der siebziger Jahre werden Besoffene gern gesehen und noch in den frühen Morgenstunden eingewunken. Eine kleine Pause vom Darstellungswahn ist also noch zu haben. Aber generell ist der Prenzlauer Berg die falsche Adresse dafür. Alle, die dazugehören wollen, sollten sich beim Verband kritischer Hipster melden.

Zwischen Wedding und Prenzlauer Berg puffert der Mauerpark. Der Menschenmüll aus dem ehemaligen Westghetto wäre den Pädagogeneltern auf der anderen Seite auch wirklich nicht zuzumuten.

An der Bernauer Straße gibt es kleine Abschnitte, wo beide Bezirke aufeinandertreffen. Selten kann man in der Stadt noch so gut den Unterschied zwischen Ost und West sehen: Der Westen ist um einiges hässlicher. Aber da geht man ja eh nicht hin. Falls Tabea-Salome also von Machmut auf die Fresse kriegt, dann wohl im Mauerpark. Bedrohlich wie die Schlange liegen auf der Weddinger Seite die Neubauverbrechen und verschandeln die Aussicht der für Millionen Euro ausgebauten Dächer auf der Prenzlauer Berger Seite. Der Gleimtunnel verbindet beide Seiten. Ein superlustiger und auch sehr kluger Künstler hat ein sich mit dem Wind drehendes Rein-Raus-Schild angebracht. Obwohl er wohl Verständigungsquatsch thematisieren wollte, drängt sich eher der Gedanke an ficken und gefickt werden auf. Denn größer könnte der Kontrast zwischen Familienparadies und Abschiebewohnen nicht sein. Um dem Tunnel allerdings gerecht zu werden: Der ist hübsch verfallen. An den in der Mauerzeit konservierten alten Stützträgern, an schummerigem Licht und Rostwassergetropfe kann man sich erfreuen. Ein prima Ort für jugendliche Goths, sich die Pulsadern aufzuschneiden, vor allem weil öfter mal jemand vorbeikommt und einen dabei bewundern kann.

Wer noch poetischer veranlagt ist, kann sich im Birkenhain im hinteren Mauerpark dem Vollmond widmen, also sich tierisch besaufen. Da hat man wenigstens seine Ruhe vor dem Trubel der Hauptwiese. Auch dort nerven Kinder und haufenweise Touris und Sportfetischisten. Nein, ihr werdet nicht länger leben, wenn ihr täglich fünf Kilometer rennt, ihr sterbt an Stress. Und habt euer halbes Leben dann mit Rennen vergeudet.

Am gefälschten Amphitheater kann man Hippies beobachten, die sich zum Affen machen, oder Möchtegernindiesternchen, bevor sie unbeachtet verglühen. Am schlimmsten werden die Darbietungen beim allwöchentlichen Karaoke, da sucht Prenzlauer Berg den Superstar und findet ihn nicht.

Wilmersdorf

Ah, Wilmersdorf. Was machst du eigentlich in dieser Stadt? Du versuchst, sie zu vergessen. Wilmersdorf ist die unscheinbare Ehefrau in der Küche eines Haushalts in den sechziger Jahren. Sie kommt nur kurz rein, um das Essen zu servieren, hat eine geblümte Schürze an und verdrängt die Tatsache, dass der Ehemann lieber die Tochter als sie bearbeitet.

In Wilmersdorf ist der Anschein der heilen Welt auf jeden Fall untrüglich. Mitten im ehemaligen Westberlin gelegen, mummelte sich Wilmersdorf dort ein. Weit weg von Mauer, Studentenpack und vom Schuss passierte das Gleiche wie heute auch: nichts. Absolut gar nichts. Sozialer Autismus. Es gibt eine Autobahn, die kann man entlangfahren, dann sieht man das. Um die bestmögliche Verkehrsanbindung zu schaffen, wurde sie erbarmungslos durch die Stadt gefräst, über Plätze, durch Parks und Hinterhöfe. Den wenigen traurigen, unsanierten Häusern Wilmersdorfs kann man so ins Schlafzimmer sehen. Die Bewohner müssen sich in den Sechzigern um die Zimmer gerissen haben: Exklusiver Ausblick auf Fortschritt. Fünf Minuten Wilmersdorf, das reicht für einen Monat. Wie können Menschen hier ihr Leben verbringen? Es gibt Parks, Häuser, Straßen, alles funktioniert, aber nichts bleibt in Erinnerung. Wenn man nicht manisch nach etwas Interessantem sucht, bleibt Wilmersdorf eine einzige Amnesie. Klar, man kann irgendwas finden. Man kann auch seine Zukunft aus Scheiße lesen. Vielleicht sollte man es aber besser lassen.