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Kristjan Knall

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Beschreibung

"Ihr verfluchten Racker, wollt ihr denn ewig leben?", schrie Friedrich der Große 1757 während der Schlacht bei Kolin, als Preußen gegen Österreich verlor, seinen fliehenden Soldaten im Zorn zu. Sie hätten zurück rufen sollen: "Warum sterben?" Friedrich hat perfekt zusammengefasst, was die Obrigkeit über das Leben des Pöbels denkt. Heute lachen wir darüber. Dabei sollten wir über uns lachen. Denn wir könnten schon lange sehr viel länger, wenn nicht ewig leben. Das ist keine Esoterik, keine Religion. Es ist Technik. Und die Nennt sich Transhumanismus. Transhumanismus ist der Inbegriff des Fortschritts. Es bedeutet, dass der Mensch sich mit Technik verbessern will. So, wie schon seit dem Knochenhammer. Nur im Zeitalter von Roboterarmen und Nach dem Tod einfrieren eine Nummer größer. Abgedreht aber wahr: Wir sind schon auf dem halben Weg zur technischen Unsterblichkeit oder zum Terminator. Ein Skandal – wie es Fortschritt immer war.   Von den Arbeitern der englischen Industrialisierung bis zu dem internetaffinen Piraten: Jede neue soziale Bewegung wird zum Untergang der Zivilisation erklärt, jede Technik für unmöglich bis tödlich gehalten. In der menschlichen Geschichte ist nichts konstanter als die Veränderung – und die nackte Angst vor ihr. Schon der technische Fortschritt lässt besonders bei Macht- und Würdenträgern Panik ausbrechen. Menschen denken in Gruppen: Neu ist erst mal das andere: "We don't know em we don't wanna know em. They're the fucking enemy."i Die Technikgeschichte ist über weite Strecken ihre eigene Parodie.   Wieso ist das so wichtig? Wieso lässt man die Unambitionierten nicht meckern und sterben? In Zeiten von Futures und Kreditausfallversicherungsderivaten ist die Vergangenheit sowieso was für Verlierer? Leider nicht. "Wer die Vergangenheit beherrscht, beherrscht die Zukunft; wer die Gegenwart beherrscht, beherrscht die Vergangenheit.", sagte der visionäre Paranoiker George Orwell. Wenn Boko Haram ("Westliche Bildung ist Sünde") in Nigeria Lehrbücher verbrennen, nehmen sie einer Generation nicht nur die Gegenwart, sondern die Perspektive auf die Zukunft. Wenn italienische Neomaschinenstürmer Briefbomben an die Wissenschaftler des Teilchenbeschleunigers Cern schicken, wollen sie die Geschichte zurück spulen. Und wenn Merkels Kader das erneuerbare Energiengesetz auf innovationsscheue Großbetriebe ummünzen, schalten sie unsere Entwicklung auf Rücklauf.   Wem das alles gepflegt am Arsch vorbei geht, für den gibt es noch den Tod. Sich über Religion lustig zu machen ist wie ein totes Pferd ins Gesicht zu treten. Interessiert schon lange keinen mehr, der sich nicht längst aus dem Leben katapultiert hat. Trotzdem fehlt ein neuer Ansatz beim Tod bis jetzt. Systeme kollabieren nicht, weil sie unsinnig sind. Sie kollabieren erst, wenn eine sinnvolle Alternative sie ersetzt. Religion ist die neue Sowjetunion. Transhumanismus das neue Glasnost.   Man muss sich nichts vormachen: Sterben muss man nicht mehr.      

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Kristjan Knall

Transhumanismus

Ein Survivalguide

„Fight to future and fuck the Past!“ - Mindless Self Indulgence BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Einleitung

 

 

„Ihr verfluchten Racker, wollt ihr denn ewig leben?“, schrie Friedrich der Große 1757 während der Schlacht bei Kolin, als Preußen gegen Österreich verlor, seinen fliehenden Soldaten im Zorn zu. Sie hätten zurück rufen sollen: „Ja, warum eigentlich nicht?“ Friedrich hat perfekt zusammengefasst, was die Obrigkeit über das Leben des Pöbels denkt. Heute lachen wir darüber. Dabei sollten wir über uns lachen. Denn wir könnten schon lange sehr viel länger, wenn nicht ewig leben. Das ist keine Esoterik, keine Religion. Es ist Technik. Und die Nennt sich Transhumanismus.

Transhumanismus ist der Inbegriff des Fortschritts. Es bedeutet, dass der Mensch sich mit Technik verbessern will. So, wie schon seit dem Knochenhammer. Nur im Zeitalter von Roboterarmen und Nach dem Tod einfrieren eine Nummer größer. Abgedreht aber wahr: Wir sind schon auf dem halben Weg zur technischen Unsterblichkeit oder zum Terminator. Ein Skandal – wie es Fortschritt immer war.

 

Von den Arbeitern der englischen Industrialisierung bis zu dem internetaffinen Piraten: Jede neue soziale Bewegung wird zum Untergang der Zivilisation erklärt, jede Technik für unmöglich bis tödlich gehalten. In der menschlichen Geschichte ist nichts konstanter als die Veränderung – und die nackte Angst vor ihr. Schon der technische Fortschritt lässt besonders bei Macht- und Würdenträgern Panik ausbrechen. Menschen denken in Gruppen: Neu ist erst mal das andere: „We don't know em we don't wanna know em. They're the fucking enemy.“i Die Technikgeschichte ist über weite Strecken ihre eigene Parodie.

 

Wieso ist das so wichtig? Wieso lässt man die Unambitionierten nicht meckern und sterben? In Zeiten von Futures und Kreditausfallversicherungsderivaten ist die Vergangenheit sowieso was für Verlierer? Leider nicht. „Wer die Vergangenheit beherrscht, beherrscht die Zukunft; wer die Gegenwart beherrscht, beherrscht die Vergangenheit.“, sagte der visionäre Paranoiker George Orwell. Wenn Boko Haram („Westliche Bildung ist Sünde“) in Nigeria Lehrbücher verbrennen, nehmen sie einer Generation nicht nur die Gegenwart, sondern die Perspektive auf die Zukunft. Wenn italienische Neomaschinenstürmer Briefbomben an die Wissenschaftler des Teilchenbeschleunigers Cern schicken, wollen sie die Geschichte zurück spulen. Und wenn Merkels Kader das erneuerbare Energiengesetz auf innovationsscheue Großbetriebe ummünzen, schalten sie unsere Entwicklung auf Rücklauf.

 

Wem das alles gepflegt am Arsch vorbei geht, für den gibt es noch den Tod. Sich über Religion lustig zu machen ist wie ein totes Pferd ins Gesicht zu treten. Interessiert schon lange keinen mehr, der sich nicht längst aus dem Leben katapultiert hat. Trotzdem fehlt ein neuer Ansatz beim Tod bis jetzt. Systeme kollabieren nicht, weil sie unsinnig sind. Sie kollabieren erst, wenn eine sinnvolle Alternative sie ersetzt. Religion ist die neue Sowjetunion. Transhumanismus das neue Glasnost.

 

Man muss sich nichts vormachen: Sterben muss man nicht mehr.

Teil I: Sich Vorbereiten

„Die meisten leben in den Ruinen ihrer Gewohnheiten.“

- Jean Cocteau

„Die Stärke des Survivors liegt in seiner Vielseitigkeit, die ihn bestmöglich unangreifbar macht. Diese Vielseitigkeit ist eine Mischung aus Muskeln, Hirn und Seele. Survival enthält Elemente von Robinson Crusoe, Pfadfindern, Rangern, Kampfschwimmern, Rettungsschwimmern, Abenteurern, Entdeckern, Wissenschaftlern, Detektiven, … . Eine Wahnsinnsmischung ist Survival.“, sagt Rüdiger Nehberg alias „Sir Vival“ in seinem Klassiker „Überleben ums Verrecken“.ii Das ist auch richtig, wenn es nicht ums durch den Schlamm im Amazonas kriechen geht. Kampfschwimmen bringt's heute eher mittel, weil uns heute eher seltener Haifische angreifen, sondern eher Herz-Kreislaufkrankheiten oder Krebs. Was uns gefährlich wird, kann man ziemlich genau eingrenzen. Wie man es besiegt nicht. Da hat Sir Vival dann wieder recht: Man sollte auf alles vorbereitet sein, auf allen Fronten kämpfen – gegen den Tod. Nicht mit der Axt, sondern mit dem Kopf. Wissen ist heute mehr Macht denn je und der Schlüssel zum Überleben.

Um die Zukunft zu erleben, muss man sich zuerst selbst überzeugen, dass das möglich ist. Und was hilft da besser, als toten Idioten beim Scheitern zuzusehen?

Nichts ist möglich. Eine kleine Geschichte der Angst

30kmh und abgerissene Ziegenköpfe

Früher war alles besser. Oder zumindest lustiger. Was waren das für Zeiten, als die Leute noch wegen der Eisenbahn Anfälle bekamen? Die erste deutsche Eisenbahn tuckerte zwischen Nürnberg und Fürth mit atemberaubenden 30kmh hin und her. Klar, Metropolen dieser Größe konnte man nicht unverbunden lassen. Selbst im Kriechtempo war die Bahn schneller als die holperigen Kutschen. Zwar konnte man nicht acht Stunden das Gefluche des Kutschers genießen, oder bei Radbruch den Schädel gespalten bekommen, doch es gab andere Gefahren. Nicht nur der kleine Mann, gestandene Ärzte hatten gewarnt, „der Fahrtwind verursache Lungenentzündung und die vorbeirauschende Landschaft könne zu Ohnmacht führen, wenn [...] nicht gleich ganz verrückt machen“. Das brauchten die wohl nicht mehr. Fehlt nur noch, dass der Fahrtwind schwarze Löcher aufreißen könnte. Der beste Treffer war die Vermutung, dass der Qualm Mensch und Vieh vergiften würde. Wenn die gewusst hätten, dass Kühe ein Fünftel der Klimaerwärmung in die Luft furzen. Und rülpsen. Ungefähr alle 40 Sekunden. 300 bis 500 Liter Methangas stößt die Kuh jeden Tag aus. Methan hat 21-mal so viel Treibhauswirkung wie die gleiche Masse CO2.

Bisher hatte nur die Elite das Wort. Ärzte waren im 19. Jahrhundert meist ältere Herren, denen man dahergelaufener Hohnepipel nüscht, aber auch gar nüscht, erzählen konnte. Zwar hatten sie keinen direkten wirtschaftlichen Vorteil aus der Hysterie - im Gegenteil, Vergiftungen wären prima für ihr Geschäft gewesen - aber das Establishment scheut Veränderungen instinktiv.

Auf der Party der Vorurteile durfte der Klerus natürlich nicht fehlen. Den Vogel schoss ein Pfarrer aus Schwabach ab. Er predigte vor der ersten Fahrt: "Die Eisenbahn ist ein Teufelsding, sie kommt aus der Hölle und jeder, der mit ihr fährt, kommt geradezu in die Hölle hinein." Dieser Satz schreit danach auf jedem der uniformen DB-Nichtortbahnhöfe angenagelt zu werden.

Was also tun um die Höllenmaschine so sicher wie möglich zu machen? Eine Ziege dran binden. Was denn sonst? Denn wenn die noch mitlaufen kann, kann es nicht so gefährlich sein. Bekanntermaßen sind Lokomotiven extrem feinfühlig, was sollte da schon schief gehen? Tierschützer können schon mal facepalmen: Der Ziege wurde der Kopf abgerissen – mit Anlauf.

Wie wir später geborenen und immer klügeren heute wissen, waren die Sorgen unbegründet. Die Eisenbahn nahm nach dieser Premiere bekanntlich eine rasante Entwicklung und mit ihr die Industrialisierung in Deutschland. Daimler wäre ohne den Zug nicht möglich gewesen, jetzt würgt der schlechte Stiefsohn ihn ab. Die Geschichte verläuft außer in den Büchern der Sieger nicht in einer geraden Linie, sondern ähnelt eher einem Seismograph bei einem Erdbeben. Der Beschleunigung folgte eine elende Zeit der Kinder in Minenschächten und Städte im Koksrauch, aber dafür müssen wir heute nicht mehr mit der Öllampe zum Außenklo. Die Bahn ist als teilprivater Monopolist leider im 20. Jahrhundert stecken geblieben.

Gut, man sollte mit unseren Vorfahren nicht so hart sein. Über Tote soll man nicht schlecht reden (obwohl die einen am wenigsten hören können). Vielleicht lernte die Menschheit und war bereit die nächste Erfindung mit offenen Armen zu Empfangen?

Ein guter Gradmesser sollte die renommierteste wissenschaftliche Akademie des mächtigsten Weltreichs der Zeit gewesen sein: Die britische Royal Academy. Der Physiker Lord Kelvin war der Justin Bieber der Forschung. Er ließ einen Kracher nach dem anderen ab: Als Präsident der Akademie liefen 70 Patente auf seinen Namen, und die berühmte aber weitgehend unnütze Kelvinskala wurde nach ihm benannt. Geringen Sachverstand konnte man Lord Kelvin nicht nachsagen. Mangelnde Phantasie schon. Der absolute Nullpunkt seiner Einbildungskraft war beim Fliegen erreicht. Völliger Humbug! Es sei physisch unmöglich, dass eine Flugmaschine, die schwerer als Luft sei, sich in die Lüfte erheben könne, argumentierte er in bestechender Logik. Als am 17. Dezember 1903 die Gebrüder Wright den ersten erfolgreichen gesteuerten Motorflug der Menschheitsgeschichte zurücklegten, wurden sie auf keine Teeparty mehr eingeladen. Nicht mal mehr zu ihrer eigenen. Noch 1901 ließ Wilbur Wright verlauten: „Es wird noch 50 Jahre dauern, bis der Mensch fliegt."iii

Fortbewegung scheint den Menschen nicht in den Kopf zu gehen. Ob auf der Schiene oder in der Luft: Geht nicht gibt’s immer. Dabei waren die größten Umbrüche auf der Straße. Die waren im gleichen Jahr noch voll von menschlichen und tierischen Fäkalien: Die Pferdestärke war noch wörtlich zu nehmen. Unvergessen die glorreichen Prognosen der 1850er, dass New York bis 1910 nicht wachsen könnte, da die New Yoker dann unter den täglich auf sie regnenden Tonnen Pferdeäpfeln buchstäblich ersticken würden. Mit anhaltender Bevölkerungsexplosion war das eine grimmige Gewissheit. Autos mit ihren albernen Kotflügeln? Keine Zukunft. 1903 gab der Präsident der Michigan Savings Bank folgendes Statement von sich: "Das Pferd wird es immer geben, Automobile hingegen sind lediglich eine vorübergehende Modeerscheinung."iv

Noch erstaunlicher ist der Pessimismus eines Patens der Automobilbranche: Gottlieb Daimlers. In einem Moment geradezu hellseherischer Weitsicht proklamierte er 1901: "Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird eine Million nicht überschreiten - allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren"v. Auch dies ein Irrtum, obwohl er zumindest mit dem Mangel an fähigen Chauffeuren durchaus recht hatte. Hätte er den Horror des täglichen Im-Stau-Stehens voraussehen können, hätte er seinen Motorembryo wohl abgetrieben.

Eigentlich hat Prognose weniger mit Fakten, sondern mit Dünkel und Emotionen zu tun - Das zeigt die Art wie Douglas Haig, der persönliche Adjutant des britischen Feldmarschalls, bei einer Panzervorführung während des Ersten Weltkriegs seine Zweifel äußerte: „Die Vorstellung, dass die Kavallerie von diesen Eisenkutschen ersetzt wird, ist absurd. Das ist fast schon Verrat."vi

Nur um alle Fortbewegungsmittel gleich abzuwerten: Das Schiff bekam von höchster Stelle eine Absage: „Was, mein Herr - Sie würden ein Schiff gegen den Wind segeln, indem Sie ein Feuer unter seinem Deck entzünden? Ich bitte Sie, mich zu entschuldigen. Ich habe nicht die Zeit, mir solchen Unsinn anzuhören.“vii Mit diesen Worten soll Napoleon Bonaparte auf die Nachricht von Robert Fultons Dampfschiff reagiert haben. Ob diese Worte wirklich gefallen sind, ist nicht zu ermitteln. Aber dass sie für möglich gehalten wurden, sagt genug über unsere alltägliche Schizophrenie aus: „Das kannst du doch nicht denken!“, geht nahtlos über in Akzeptanz.

Wir sind nicht nur Bewegung- sondern auch Kommunikationskloppis. So skeptisch wir gegenüber aller Überwachung sind, heute wird getwittert, gesnapchattet und geredditet als hätte es die Stasi nie gegeben. Und würde sie als NSA nicht mehr geben. Dabei war der Urgroßvater der modernen Technik ein hässliches Entlein: Niemand glaubte an sein Potential. Ein internes Memo von Western Union aus dem Jahr 1876 lässt tief in unsere Imaginationsgabe blicken: „Dieses Telefon hat zu viele Schwächen, als dass man es ernsthaft für die Kommunikation in Erwägung ziehen kann“viii. Im gleichen Jahr ließ Sir William Preece, Chefingenieur der Britischen Post, eine formschönere weil aristokratischere Begründung vom Stapel: „Die Amerikaner haben Bedarf für das Telefon, wir haben es nicht. Wir haben reichlich Laufburschen."ix Die feinen Herren haben es nicht nötig, ebenso wie die Adeligen in Versailles, die Parfüm dem schnöden Wasser vorzogen. Und die Treppen den Klos.

Vielleicht können wir uns nicht mehr vorstellen wie diese Menschen gedacht haben? Wir haben sie schließlich nie getroffen. Wie wäre es mit unseren Großeltern, sagen wir 1943, falls die da nichts besseres zu tun hatten?

Thomas Watson hatte Ahnung von Computern. Wenn jemand auf der Welt Ahnung gehabt haben sollte, dann er als Vorsitzender von IBM. Der Firma, die Computern zum Durchbruch verhalf. Im Kriegsjahr 1943 war die Aufmerksamkeit wegen kleinerer Naheweltuntergänge nicht auf die Börse gerichtet. "Die Börse hat augenscheinlich ein permanentes, hohes Plateau erreicht."x verkündete Ökonomie-Professor Irving Fisher von der amerikanischen Yale University im Jahr 1929. Er hätte nur nach oben blicken müssen und ihm wären die fallenden Börsianer aufgefallen: Die Welt stand kurz vor dem Schwarzen Freitag. Danach war die Börse eine Weile auf lautlos gestellt, sonst hätte Watson sich so eine ehrliche Ansage zum Thema Computer nicht erlauben können: "Ich denke, dass es weltweit einen Markt für vielleicht fünf Computer gibt”xi. Heute ist man ein Relikt, wenn man keinen Computer als Smartphone in der Tasche trägt. Und ein Relikt, wenn man Tamagochi noch kannte.

Gut, 100 Jahre ist das her, heute sind wir klüger. Ein Glück sind wir die erste Generation, die alles besser weiß und die Fehler der Alten nicht noch einmal wiederholt. Manchmal ist Geschichte ein Kreis.

Es ist 1996. Meine Freundin ist weg und bräunt sich. Grauenhafter Happy-Hip-Hop gassiert in Deutschland, Dancefloor liegt im Sterben, Oasis marodieren auf einem größenwahnsinnigen Kokstrip durch die Popkultur. CDs haben die leiernden Kassetten abgelöst, nie wieder Faschismus und Kabelsalat. Seit einiger Zeit fiepen Modems im Keller und treiben werdende Anrufer in den Wahnsinn. Wer ganz viel Zeit hat, lässt sie eine Nacht laufen und lädt sich „Wonderwall“ runter. Die wirkliche Party geht auf grauen Kästen ab. Sie gedeihen im Umfeld von prehistorischen Flimmerkästen, von denen H. M. Warner, Mitbegründer der Filmgesellschaft Warner Bros., im Jahr 1927, sich noch sicher war: "Das Fernsehen wird sich nicht halten, weil die Leute es bald müde sein werden, jeden Abend eine Sperrholzkiste anzustarren. Und wenn, dann bitte ruhig: Wer zum Teufel will Schauspieler reden hören?"xii

Die grauen Kästen waren Konsolen: Super Nintendo, Playstation und wenn es hoch kam: Sega Mega Drive, alter. Donkey Kong quietschte über die Bildschirme. Unsere seit der Steinzeit nahezu unveränderten Gehirne reagierten mit epileptischen Anfällen. Das hatten wir Robert Metcalfe zu verdanken, dem Gründer von 3Com und Erfinder der Ethernet-Verbindung, die heute der Standard für kabelbasierte Netzwerke ist. 1996 war nicht sein Jahr, denn er prophezeite: “Das Internet wird wie eine spektakuläre Supernova im Jahr 1996 in einem katastrophalen Kollaps untergehen“xiii. Normalerweise stört es hartgesottene Gläubige nicht, wenn Prophezeiungen nicht eintreffen: Willkommen beim Sekteneffekt. Wer einmal beginnt Folgen ohne Ursachen anzunehmen, der hat sich aus der Rationalität verabschiedet. Nostradamus hängt Metcalfe im Guru-Ranking trotzdem weit ab.

Beim Thema zu bleiben fällt uns zusehends schwer. Mit dem Internet kam die Wissensflut. Schüler fragen sich zurecht, wieso sie sich in Zeiten von Wikipedia noch Daten in ihren Schädel pressen müssen. Zusammenhänge wären wichtiger. Denn vor kleinteiligem Unsinn, der auf uns einballert, können wir uns kaum noch retten. Ein Glück versprach Bill Gates: "In zwei Jahren wird das Spam-Problem gelöst sein"xiv. Das war 2004. Derzeit macht Spam zirka 90 Prozent des weltweiten Mailverkehrs aus, von anderem Kommunikationstrash ganz zu schweigen. Der Rest ist Porno. Der Jürgen Drews der Voraussagen hatte für das Internet nicht viel übrig und bezeichnete es als „Hype“. Hätte er Windows gesagt wäre er näher dran gewesen.

Jedoch hat keiner die menschliche Idiotie so gut auf den Punkt gebracht wie Charles Duel. 1899 war er Chef des US-Patentamtes, und sich verdammt sich sicher: „Alles, was erfunden werden kann, wurde bereits erfunden.“xv

Nicht nur in der Vergangenheit fallen wir mit Bravour durch, auch in der Zukunft. Wissenschaftskonservativismus ist eine Flurplage. Die Zukunft wird regelmäßig misshandelt: „Staubsauger, die durch Kernkraft angetrieben werden, sind vermutlich in zehn Jahren Realität”.xvi Diese gruselige Vorhersage stammt von Alex Lewyt, dem Präsidenten der Lewyt Corp Vacuum Company. Kombiniert mit den Visionen des amerikanischen Postministers Arthur Summerfield im Jahr 1959„Wir stehen an der Schwelle zur Raketen-Post."xvii, wäre das ein veritabler Atomkrieg für daheim.

Neben ehrlicher Dummheit muss das Motiv für alberne Vor- oder Absagen nicht diffuser Standesdünkel sein – es reicht die gute alte Gier, das wirtschaftliche Interesse. Das war die Zeit in der die USA plante in Alaska einen Hafen per Atombombe ausheben zu lassen und einen zweiten Panamakanal gleich mit. Lief ja so gut mit den Atomtests in Argentinien 1960, kurz nach dem Abrüstungsgipfel. Schwerter zu Pflugscharen am Arsch. Unterirdische Atombomben waren genau das, was die tektonischen Platten dort brauchten. Am Tag danach begann das Erdbeben von Valdivia, Chile: das größte der Geschichte.xviii Nicht, dass damals alle verrückt waren. Genau deshalb hat Chruschtschow schon 1960 den Amerikanern die totale nukleare Abrüstung und Wiedervereinigung Deutschlands angeboten.xix Die hatten nur keine Lust.

Das Wissen überholt uns schneller als unsere Fähigkeiten. Die Doomsday Clock steht heute auf drei vor Zwölf.xx So spät war es seit Anfang des kalten Krieges 1949 nicht mehr. Führende Wissenschaftler legen damit fest, wie nahe sich die Menschheit vor der eigenen Vernichtung befindet. Vielleicht bomben wir uns als schlechten Scherz 30 Jahre nach Ende des Kalten Krieges noch ins Nichts. Aber das ist unwahrscheinlich. Menschen wollen wie jedes andere Lebewesen überleben.

Eins ist sicher: In der Zukunft werden Menschen die Zukunft für Unmöglich halten. In New York fährt die Ubahn zum JFK-Flughafen seit den 70ern ohne Fahrer. In Berlin bekommen die Leute schon beim Gedanken daran Krampfadern. Selbstfahrende Autos touren mittlerweile fröhlich kreuz und quer durch die USA. Nachdem Teslas auf autonom geupdated wurden, setzten sich ein paar Enthusiasten in San Francisco in ihre Elektroautos, und ballerten bis nach New York durch.xxi Doch der deutsche Motorist wird sich das Lenkrad nur aus den kalten toten Händen nehmen lassen! Trotzdem, wenn die Technik kommt, benutzen wir sie so schnell und sorglos wie wir atmen. Ob Auto oder Atombombe, Smartphone oder laktosefreier Käse, wir sind dabei. Es geht uns größtenteils besser und wir verwehren uns vehement dagegen, dass es uns noch besser gehen soll. Selbst die Diskussion um selbstfahrende Autos sind nur ein Gemetzel. Die Schlacht kommt in den nächsten Jahren: Transhumanismus ist ein Teufelsding, er kommt aus der Hölle, und jeder, der ihn forciert, kommt geradezu in die Hölle hinein!

Leichenteilchen auf Abwegen - Möchten und Macht

„Vor dem Klo und nach dem Essen – Hände waschen nicht vergessen!“

- Unsinniger Spruch

Allgemein salbadern und süffisant lachen kann jeder. Jetzt wird es persönlich. Bis auf die mikroskopische Ebene: Keime. Ärzte eignen sich gut um den Widerwillen gegen Veränderung darzustellen. Selten trifft Technik und Menschlichkeit so hart aufeinander in ihrem Beruf. Sie sind Mechaniker mit menschlichem Antlitz. Dass sich Ärzte und auch niederes Gewürm heute die Hände waschen, ja dass wir einen Händewaschtag am 15. Oktober feiern dürfen, das verdanken wir dem „Retter der Mütter“, Dr. Ignatz Semmelweis. Er revolutionierte das Hygienesystem, und wie alle Revolutionäre bekam er Gegenargumente mit dem Vorschlaghammer.

Semmelweis stellte fest, dass das Kindbettfieber in der von Ärzten betreuten Entbindungsstation des Wiener „Allgemeinen Krankenhaus“ fünfmal häufiger auftrat als in jener Abteilung, wo Geburten ohne Arzt stattfanden. Medium positiv für das Selbstverständnis der Ärzte. „"Die gängige Meinung war, dass sich Infektionen über die Luft verbreiten", berichtet die Politikwissenschafterin Anna Durnová. „Semmelweis' Erkenntnisse überstiegen aber die gängige Vorstellung von der Funktionsweise der Welt und überforderten die Imaginationskraft seiner Kollegen.".xxii Ihre Paradigmen herrschten in einem diktatorischen Regime. Allgemein anerkannte Wahrheiten beeinflussen das Urteil über neue Ideen und so lag es Mitte des 19. Jahrhunderts nahe, die Ursache für das gehäufte Auftreten von Kindbettfieber nicht den verunreinigten Ärztehänden, sondern den neuen Lüftungsmaßnahmen zuzuschreiben. Den „anderen“ also. Flüchtlinge waren gerade nicht zu finden.

Mit Semmelweis' Theorie setzen sich die führenden Köpfe der Zeit auseinander, wie man es von Wissenschaftlern erwartet: Sie nannten sie „grober-“, ja „spekulativer Unfug“ und „reine Zeitverschwendung.“xxiii. So anmaßend, dass man keine Argumente zu liefern brauchte.

Aber der Ignatz wäre nicht der Ignatz gewesen, wenn er das auf sich sitzen gelassen hätte. Er hatte nicht umsonst an der Universität Pest studiert, heute halb Budapest. Wer ihm rein reden wollte, bekam die volle Wucht der Worte unter seinem Pornobalken zu spüren:

„Für mich gibt es kein anderes Mittel, dem Morden Einhalt zu tun, als die schonungslose Entlarvung meiner Gegner und niemand, der das Herz auf dem rechten Fleck hat, wird mich tadeln, dass ich diese Mittel ergreife. […] Sollten Sie aber, Herr Hofrat, ohne meine Lehre widerlegt zu haben, fortfahren, Ihre Schüler und Schülerinnen in der Lehre des epidemischen Kindbettfiebers zu erziehen, so erkläre ich Sie vor Gott und der Welt für einen Mörder.“xxiv

So macht man sich keine Freunde. Und den Hofrat sollte man nicht zum Feind haben. Schon gar nicht in einer hierarchiefetischistischen Monarchie wie Österreich-Ungarn.

Semmelweis' Problem war, dass er die Fakten vor Augen hatte, jedoch keine Theorie. Menschen brauchen Märchen, um Wissen zu vermitteln. Keine Identifikation, kein Interesse. Sein wahres Märchen wäre die Keimtheorie gewesen. Grob umriss er sie, allerdings nicht weit genug um den Grenzen des guten Geschmacks zu genügen. Und die waren wichtiger, als alle Argumente. Die gemeinsame Ursache bestand in, wie er schrieb, "[den] Leichenteilchen, die in das Blutgefäßsystem gelangten."xxv Kein Wunder, denn Ärzte und Studenten kamen direkt vom Seziersaal zur Untersuchung und infizierten so ihre Patientinnen. Semmelweis setzte daraufhin 1847 durch, dass sich die Ärzte ihre Hände mit Chlorkalk waschen mussten - und die Sterblichkeit unter den Frauen sank enorm. Dennoch erntete er von seinen Kollegen nur Spott und Verachtung. Die Ärzte wollten nicht wahrhaben, dass ausgerechnet sie für den Tod der Frauen verantwortlich sein sollten. Es ging nicht um Wissenschaft, sondern um ganz persönliche Kränkung. Respektlosigkeit kann schon der einzelne kaum auf sich sitzen lassen, besonders nicht in Wien. Duelle waren im 19. Jahrhundert nicht unüblich: 25% der Adligen fochten mindestens einmal im Leben ein Duell aus.xxvi Doch wenn ein System nur stark genug gefordert ist, muss es handeln. Revolutionäre stellen seine Existenz in Frage. Da könnte ja jeder kommen.

Alle erkannten die neue Faktenlage an und lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Ende? In Österreich ist das Leben kein Märchen: Semmelweis wurde versetzt. Er praktizierte teilweise in Ungarn und verblieb nach seiner Rückkehr nach Wien in geistiger Umnachtung. So die Legende. Die Realität klingt mehr nach Dan Brown: Seine Freunde wandten sich von ihm ab. Aus dem Anprangerungen wurden offene Drohungen. Sein ungarischer Akzent macht es ihm nicht leichter, Österreicher sind nicht bekannt dafür aus rassistischen Gründen kleine Weltkriege zu provozieren. 1865 wird er von Ärzten brutal ins „Irrenheim“ Oberdöbling verschleppt. Er leistet Widerstand, bis zum letzten Barthaar. Auf dem Totenschein wird man „Blutvergiftung“ als Todesursache feststellen. Die Frakturen an Armen, Beinen und Brust hat er sich wohl beim die Treppe runter fallen geholt.xxvii

Abbildung 1: Heute benutzen Krankenhäuser dank ihm sogar kreative Bldschirmschoner

Heute ist er glücklicherweise rehabilitiert, aber geschickt dort verewigt, wo man Berühmte am besten versteckt: Auf Bronzestatuen in den Zentren von Wien bis Graz. Die nächste Generation ist immer klüger. Immerhin hat er auch die Geistesgeschichte weiter gebracht: Im Englischen gibt es die Wendung “Semmelweis-Reflex”: Die Ablehnung einer Information oder wissenschaftlichen Entdeckung ohne weitere Überlegung oder Überprüfung des Sachverhaltes.

Eine historische Marotte? Leider nicht. Der verschwörungstheoretisch ganz vorne mitkämpfende Knopp Verlag bewirbt zur Zeit Peter Duesberg. Der ist sich ganz sicher, dass Aids nicht von dem HI-Virus verursacht wird. Er führt die Erkrankung auf Drogenmissbrauch und Unterernährung zurück.xxviii Kurz: Die Ausländer sollen nicht so faul und schlampig sein. Stehen bestimmt keine Neokonservativen Interessen hinter: Wer müsste da noch humanitäre Hilfe leisten? Wer wird sich fragen, ob sein durch Wirtschaftskrieg finanzierter Luxuslebensstil anderswo verbrannte Erde hinterlässt? Dass ein „großer“ Verlag sich dem hingibt ist für die Menschheit schon blamabel genug. Dass die amerikanische Semmelweis Society ihm den gleichnamigen Preis verlieh, würde den Ignatz im Grab rotieren lassen.

Neurastehenie für alle!

„Für jedes Problem gibt es eine Lösung, die einfach, sauber und falsch ist.“

- Henry L. Mencken, US-amerikanischer Schriftsteller und Journalist,

Literaturkritiker, Kolumnist, Satiriker und genereller Scherzkeks

Der schlechteste Grund für so ziemlich alles ist Religion. Sie ist das Kondensat aller Zukunftsskepsis, allen unlogischen Ablehnens. Psychologisch: „Status Quo Bias“.xxix Dem fällt zum Opfer wer ein Auto für 70000€ kauft, anschließend 80000 geboten bekommt, es aber nicht verkauft. Sicher hat er gute Gründe die beste Entscheidung seines Lebens getroffen zu haben und wird sie allen Freunden einleuchtend erklären. Zum Beispiel den Bestätigungsfehler (Confirmation Bias)xxx. Der bezeichnet in der Kognitionspsychologie die Neigung, Informationen so zu suchen, auszuwählen und zu interpretieren, dass diese die eigenen Erwartungen erfüllen. Alles voller fauler Asylanten hier. Unbewusst ausgeblendet werden dabei Informationen, die eigene Erwartungen widerlegen (Disconfirming Evidence). In der EU tragen Einwanderer im Schnitt 3000€ Jährlich mehr zu den Sozialsystemen bei, als Sie benötigen.xxxi Die betreffende Person unterliegt dann einer Selbsttäuschung oder einem Selbstbetrug. Kurz: Pegida.

Es ist die moderne Version des Semmelweis-Reflexes. Schon die Ursache von Religionen ist sinnbefreit: Nach dem Muster nur bestehendes Anzunehmen, dürfte man nie eine Religion annehmen. Deshalb tun sich von Islam bis Christentum alle Religionen so schwer mit Sekten: Es gibt kein logisches Argument, dass Sie von Ihnen unterscheidet. Ein paar Verrückte sind genau so verrückt wie viele Verrückte.

Wenn Unsinn, dann richtig. Die Prognose des indischen Philosophieprofessors Rajneesh Candra Mohan, besser bekannt unter dem Namen Bhagwan: „Wer die bhagwaneske Lebensweise befolgt, wird hundert Jahre länger leben."xxxii „Bhagwaneske Lebensweise" bedeutete dabei eine Mischung aus Meditation, Handauflegen und, natürlich, Gruppensex. Kam ihm sicher nicht ungelegen. Aufgrund seines massiven Übergewichts und einer damit verbundenen Herzschwäche starb Bhagwan 1990 im Alter von nur 58 Jahren. Die Sekte verlustiert sich munter weiter an sich selbst. Widerlegte Argumente zählen für Technik- und Logikverweigerer nicht, aber es hilft sich zu vergegenwärtigen, an was für abstruses Zeug Milliarden von Menschen glauben:

Der Vorhaut eines nicht näher benannten Erlösers wird auf der Welt 15 Mal in goldenen Reliquien aufbewahrt, sieben Mal in Italien.xxxiii Merkwürdig, diese Fixierung auf ein so kleines Körperteil? Besser man trägt heilige Unterwäsche, denn die schützt vor bösen Gedanken, Feuer – und Projektilen.xxxiv Ein anderer Prophet flog aus Ermanglung an BMW 3ern auf einem Miniaturpferd mit einem Frauengesicht und Pfauenschwanz zwischen den Städten umher.xxxv Die Erdlinge sahen ihn, sollten aber ihr Gesicht verdecken, denn Bräune ist die Strafe Gottes. Vielleicht durften sie auch die Frau nicht sehen. Sie hat vermummt zu sein und darf ihre Stimme nie über den Mann erheben. Hat sie ihre Periode muss sie ab in die Ecke, wie der Hund, der sie ist.xxxvi Die haben noch Glück, Behinderte dürfen nicht mal beten.xxxvii Kinder haben es am ganz harten Ende, die Verstümmelung ihres Genitalbereichs ist Gott durch die Bank ein zentrales Anliegen. Auch beim Essen müssen sie vorsichtig sein. Lange Zeit steht nichts auf dem Tisch wenn die böse Sonne zusieht. Ein Milchglas und ein Schnitzelteller in der Spülmaschine kann ewige Verdammnis bedeuten. Und in den Himmel will man dringend. Je nach Religionswahl warten dort 72 Weintrauben (nein, keine Jungfrauen, das ist ein Übersetzungsfehler), oder 15 Kokosnüsse.xxxviii Es geht elitär zu, denn exakt 144.000 werden Zugelassen, der Rest kommt ab in den brennenden Restmüll.xxxix Egal wie viele geboren werden. Das kann unschön werden. Man badet ewig in siedendem Öl, wenn einen der Hunger packt isst man seine eigenen Kinder.xl Aber sonst ist Gott ein netter Kerl.

Und die halten Transhumanismus für unmöglich?

Wir Menschen haben furchtbar gerne Angst. Und wieso auch nicht? Dopamin ist was geiles. Andere Leute nehmen da Drogen für. Ängstlich sein ist zwar nicht gut, aber man fühlt sich immerhin unterhalten. Wer Angst hat weiß zumindest, was er nicht will. Das Dopamin überflutet unser Gehirn und überspringt den langsamen, abwägenden präfrontalen Kortex. Also die paar Millimeter, die uns gemeinhin zu Menschen machten. Wir werden zu Tieren. Das ist auch sinnvoll, denn als unsere Vorfahren in der Steinzeit von Mammuts angegriffen wurden, war nachzudenken nicht die richtige Überlebensstrategie. Da hieß es rennen. Das kommt heute aber leider nur noch selten vor. Und unsere Angst läuft Amok.

Angst ist nicht immer schlecht. Antizipierende Angst schafft vorausdenken, schafft das, was wir Zivilisation nennen. Aber diese Angst scheint nicht in Mode zu sein. Panik ist Mode. Das gepflegt geplagte Gesellschaftsbewusstsein kommt nicht mehr zur Ruhe: vor Wirtschaftskrisen, alles vernichtenden Seuchen, und jetzt auch Terminatoren. Neurasthenie für alle!xli Reaktionärer Kulturpessimismus ist mal wieder in. Das hat schon im Fin de Siècle im Österreich des beginnenden 20. Jahrhunderts zu Spitzenresultaten geführt. Verträumt auf impressionistische Wasserleichen starren ist eine Sache, zwei Weltkriege eine andere.

Wieso könnte uns das nicht gepflegt am Arsch vorbei gehen? Wieso nicht ein schönes rotes Häuschen in Schweden kaufen und die Welt sich massakrieren lassen? Weil man selbst Teil der Welt ist, spätestens wenn es ans Sterben geht. Schweden wäre dennoch eine gute Wahl, denn Skandinavien funktioniert prächtig. 30% Sozialstaatsquote, auf einem guten Weg zum Sozialismus. Trotzdem brummt die Wirtschaft, die Leute sind glücklich wie sonst wo selten, außer wenn sie Flüchtlinge sehen.

Was ist das Kapital der Nordländer? Vertrauen. Und Vertrauen nicht nur als Wert, sondern als Verhaltensmodus. Wer vertraut, der kann kooperieren und schneller vorankommen. Nichts ist für den Fortschritt hinderlicher als jeden Schritt auf Sabotage gegenprüfen zu müssen. Nichts behindert die Wirtschaft mehr als geschlossene Grenzen. Was die Angst jetzt besonders in Europa zerstört, ist das Vertrauen, das Fortschritt möglich macht. Jeder der xenophoben Arschlöcher, die Frauen und Kinder zurück übers Mittelmeer schicken wollen, sollten sich mal ansehen wie gut Kooperation in Libyen, Syrien, und den anderen vom Westen zerbombten Ländern läuft.xlii Wir sind taktische Egoisten, wenn es um gemeinsame Vorteile geht. Wir sind kooperative Egoisten oder egoistische Kooperative, je nach Lage der Dinge. Was wir nicht sind, sind Adam Smithsche Homo Oecnomikusse im Dauerwettkampf. RIP Guido Westerwelle.

Die Hälfte unserer Zellen begeht im Jahr Selbstmord.xliii Und du hast was gegen körperliche Veränderung? Das ist das niedliche Happy-Brain-Syndrom: Wir konstruieren unsere Erzählung genauso, dass wir nie aus der Komfortzone raus müssen.xliv Fakten fuck off. Es geht darum das Selbstwert- und Machtgefühl zu erhöhen. Lieber Briefmarken sammeln, kontrolliere deine kleine Welt. Die Apokalypse ist die Mauer im Kopf. Und Mauern schränken immer das Denken ein. Sie ordnen die Welt aber auch schön - von der SED bis zur CDU. Dann sind auch die inneren Konflikte nicht mehr so quälend. Am besten du machst das mit Erklärungen, die prinzipiell unwiderlegbar sind. Der Tod wird nie überwunden werden! Das ist zwar nicht unwiderlegbar, aber die Zeitspanne dafür ist großzügig genug, dass du dich eine halbe Ewigkeit wie der Klugscheißer fühlen kannst, der du bist. Gott ist auch ein bequemes nicht widerlegbares Argument. Klar ist er als Konzept affig, aber wie beweisen, dass es ihn nicht gibt? Immer schön agnostisch bleiben und nicht den Arsch in der Hose haben sich darüber kaputt zu lachen? Obwohl man diese Menschen, wenn sie nicht so verdammt viel Leid in der Welt anrichten würden, eigentlich trösten müsste. Sie kapitulieren vor der Angst vor der Vernichtung, vor der Angst dass niemand zuschaut. Sie wollen, dass man sich um sie kümmert, um ihre armselige, unbedeutende Existenz. Ist aber nicht.

Ein besonders krasser Fall war der einer Frau, die überzeugt war Terroristen würden sie in ihrer Wohnung töten, sobald sie aufschlösse. Sie kehrte auf dem Absatz um und zog ins Hotel. Völlig verrückt? Nur bedingt. Jetzt hatte sie jemanden, der sich um sie kümmerte, der an sie dachte: den Terroristen. Paranoia ist besser als die vollendete Indifferenz.xlv