Böse ist besser – Der Ratgeber - Kristjan Knall - E-Book

Böse ist besser – Der Ratgeber E-Book

Kristjan Knall

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Beschreibung

Vincent hat ein Erleuchtungserlebnis. Er begreift, dass er mit Anstand und Menschlichkeitsgedöhns nicht weiter kommt und stellt sein bisheriges Leben radikal in Frage. Er kündigt spektakulär und macht keine Kompromisse mehr. Weil das so gut klappt, beginnt er für sich und die Lesenden, seine neue Lebensphilosophie mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, Statistiken und Studien zu unterfüttern.

Es sieht so aus, als ob viele Dinge und Verhaltensweisen, die wir für gut halten, uns selbst überhaupt nicht guttun. Sieht man genauer hin, ist Zocken gar nicht so doof, Arbeiten generell keine gute Idee – und auch immer gut informiert zu sein, ist gar nicht so gesund.

Kristjan Knall kredenzt uns hier einen Ratgeber zum Bösesein, mit 28 Anti-Regeln, weiteren wertvollen Tipps sowie unglaublichen und auch unangenehmen Wahrheiten. Man braucht dazu eigentlich nur ein bisschen Mut und ein bisschen Humor – und die anderen Idioten ein bisschen Toleranz.

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periplaneta

KRISTJAN KNALL: „Böse ist besser -

Der Ratgeber, um unfassbar reich, schön und glücklich zu werden“

1. Auflage, Juli 2023, Periplaneta Berlin, Edition Blickpunkt

© 2023 Periplaneta - Verlag und Medien

Inh. Marion Alexa Müller, Bornholmer Str. 81a, 10439 Berlin

periplaneta.com

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Übersetzung, Vortrag und Übertragung, Vertonung, Verfilmung, Vervielfältigung, Digitalisierung, kommerzielle Verwertung des Inhaltes, gleich welcher Art, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Die Handlung und die handelnden Personen sind frei erfunden. Darüber hinaus berufen sich Autor, die Person(en) hinter dem Autor und das Alter Ego des Autors gemeinsam mit dem Verlag auf die Kunst- und Satirefreiheit.

Im Buch sind zahlreiche öffentliche Internet-Links als Quellenangaben und als ergänzende Inhalte zu finden. Einige Videos können direkt via QR-Code angesehen werden. Diese Links wurden zwar geprüft, jedoch haben wir keinen Einfluss auf die hinterlegten Inhalte. Internetadressen und deren Inhalte können sich ändern. Auch haben wir keinen Einfluss darauf, wie der Leser, die Leserin sie benutzt. Für die Benutzung dieser Links übernimmt der Verlag daher keine Gewähr.

Lektorat: Sara Reichelt, Thomas Manegold

Cover: Thomas Manegold nach einer Idee von Kristjan Knall

Satz & Layout: Thomas Manegold

print ISBN: 978-3-95996-264-3

epub ISBN: 978-3-95996-265-0

Kristjan Knall

Böse ist besser

Der Ratgeber, um unfassbar reich, schön und glücklich zu werden

periplaneta

„These, Antithese, Synthese“

Gottfried Wilhelm Leibniz

„Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.“

Jürgen Ludwig Drews

Für Ekki

Disclaimer

Dieses Buch sollte von niemandem ernstgenommen werden.

Es sollte nicht mal gelesen werden, maximal beiläufig auf der Toilette durchgeblättert. Die zitierten Studien haben allesamt eine zu kleine Kontrollgruppe, stecken voller Rechenfehler und sind zumindest teilweise von nordkoreanischen Echsenmenschen finanziert. Reale Personen existieren in diesem Buch nicht und sind auch außerhalb dieses Buches, sollte Ihnen einmal so etwas begegnen, bestenfalls zweifelhaft. Es werden viele Wörter verwendet, bei denen das Christkind weint, Wörter, die sich nicht gehören, schon gar nicht bei der Arbeit. Auf keinen Fall sollten die Ratschläge in diesem Buch befolgt werden, es sei denn, Sie wollen nie wieder zu den sterbenslangweiligen Spieleabenden vorstädtischer Nichtfreunde gehen, Ihre Lebenszeit nie mehr gegen Stufenlohn verschwenden und nie mehr wieder mit ganz schweren Seufzern von Ihrem Partner bedacht werden, von dem Sie sich schon lange trennen wollen. Vergessen Sie nicht: Es könnten schon jetzt Nachrichten mit lustigen Smileys auf Ihrem Telefon eingegangen sein, es könnte ein niedlicher Welpe auf YouTube dringendst Ihre Aufmerksamkeit benötigen oder es könnte eine satt animierte japanische Dame auf einer Website, die Sie besser aus dem Browserverlauf löschen sollten, die Unterwäsche verlegt haben.

Sollten Sie mehrere Leben haben und dieses hier nur als Probe betrachten, lesen Sie bitte nicht weiter.

Nero als Selbsthilfe-Guru

Der beste Moment meines Lebens war, als sie ihr ins Gesicht schoss. An Silvester – 1957 Jahre nachdem Nero Rom angezündet hatte – auf einem Dach am Kottbusser Tor. Neros Aussicht war ganz sicher nicht besser gewesen. Außer, dass ihm die damals bekannte Welt gehörte.

Sie hieß Martina, war Heilpraktikerin, Alkoholikerin in Leugnung, folglich dicht bis zum Anschlag, aber in Besitz von römischen Lichtern. Ich weiß nicht, wie die andere hieß, aber sie hatte das Pech, auf dem engen, hohen Dach ein paar Meter neben Martina zu stehen. Als um 12 die Welt explodierte, senkte Martina den Stab. Ein roter großer Leuchtfunken raste über das Dach, direkt in das Gesicht der anderen. Mit schmerzhafter Präzision direkt ins Auge.

Ich war bis dato das, was man einen guten Menschen nannte. Ich kannte die stabile Seitenlage, war kommunikationsgeschult (Sätze mit „Ich fühle“ beginnen!) und hatte die Selbsthilfeliteratur zu jedem Thema von Aalzucht bis Zoophilie gelesen. Natürlich war ich der Erste bei der anderen, rief den Krankenwagen, benutzte ihr Wasser für den roten Ball, der vor Sekunden noch ihr Auge gewesen war. Nach dem wilden Kreischen von der Straße zu urteilen, lag der Krankenwagen wahrscheinlich gerade ein paar Straßen weiter brennend auf dem Dach, während eine Horde von ketaminierten Jugendlichen mit Joker-Masken um ihn herumtanzte. Ich half ihr, die steile Leiter hinunterzusteigen und setzte sie auf einen Schemel. Überraschenderweise kam von Martina keines der üblichen: „Lassen Sie mich durch, ich bin Heilpraktikerin!“ Sie saß einfach zwischen ihren exzessiv tröstenden Freundinnen auf der Couch. 

„Willst du dich nicht entschuldigen?“, fragte ich. 

Und Martina sagte – mit wässrigem Blick in mindestens zwei Richtungen – überraschend resolut: „Nö.“

Da klickte etwas in mir. Es war ihre Party. Die Leute mochten sie, sie war eine von den Guten. So gut, dass sie jemanden ins Gesicht schießen konnte.

Ich missachtete Selbsthilferegel 1 des „Wie finde ich Freunde“-Kanons:

Verlieren Sie niemals die Fassung!

Ich missachtete Selbsthilferegel 2 des „Wie werde ich glücklich“-Kanons:

Besinnen Sie sich auf eine innere Ruhe!

Ich missachtete Selbsthilferegel 3 des „Wie werde ich erfolgreich“-Kanons:

Mischen Sie sich nicht in Belange anderer ein!

Ich missachtete Selbsthilferegel 4 des „Macht – einfach gemacht“-Kanons:

Tun Sie nur, was Winston Churchill tun würde!

Ich missachtete Selbsthilferegel 5 des „Gute Erziehung für Eltern und Kinder“-Kanons:

Fluchen Sie nicht!

Was ich zu Martina sagte, war so laut, dass, selbst wenn der Krankenwagen vor dem Fenster gehangen hätte, ihn keiner gehört hätte. Es war so böse, dass selbst der Teufel sich geschämt hätte und die Wortwahl so abgründig, dass deutsche Hiphopper zu ihren Müttern unter die Decke gekrochen wären.

„DU [aus rechtlichen Gründen zensiert (XXX)] XXX, HAST DU EIGENTLICH DEN XXX OFFEN? WAS BIST DU FÜR EIN XXX XXX VON XXX VON XXX? ICH WÜRDE DIR AM LIEBSTEN DIE XXX XXX XXX AUFREISSEN, JETZT UND HIER, UND DEINE XXX GLEICH MIT. DU GLAUBST, DU KANNST MIT KACKERLAKENKACKE AUF NICHTS POTENZIERT HEILEN1, ABER WENN WIRKLICH NOT AN FRAU IST, BEKOMMST DU DEINEN XXX ENTENXXX NICHT HOCH? DU XXX MICH SO XXX AN, WENN ICH DEINE XXX KARPFENXXX NOCH EINMAL SEHEN MUSS, WERDEN RÖMISCHE LICHTER ERST DAS xxx VORSPIEL SEIN. ICH XXX DIE ERSTE REIHE AUF DER BEERDIGUNG DEINER XXX MUTTER!2“

Übrigens: Martina war meine Freundin. Bis exakt zu dieser Sekunde.

Kurz herrschte Stille, dann brach der Scheißesturm los. Ihre Freundinnen kreischten, ganz harte Typen wollten Zähne splittern sehen, jeder gegen jeden – außer mir. Ich war schon zwei Stockwerke tiefer. Ich hörte nur noch, wie mir jemand „Arschloch!“ hinterherschrie.

Auf der Straße sah es hinreichend apokalyptisch aus: Vor den 80er-Jahre Bunkern standen, wenn es gut lief, Assifamilien und knallten die Ozonschicht weg. Aus den manisch sanierten Altbauten der neuen grünen Kreuzberger Aristokratie winkten spaßbefreite Gestalten mit Wunderkerzen. Kartons brannten, Sofas, Autos. Die Feuerwehr kam kaum hinterher. An der Kreuzung spielten 50 Ghettokids mit Vogelschreckpistolen Ukraine gegen Russland. Scheiben splitterten, Raketen schossen die Straße herunter, eine Gruppe spielte sogar mit einer detonierenden Batterie Fußball. Schon mal was von der Stalinorgel gehört?3

Ich fragte mich: Habe ich diese Welt auch nur ansatzweise verstanden? Was haben mir „Behalten Sie Ihre innere Ruhe“, „Seien Sie verlässlich, kooperativ und repräsentativ im Job“ und „Finden Sie Ihre wahre Liebe“ gebracht? Während sich ein autistischer Teil des sterbenden Mittelstands Selbstermunterungsbotschaften entgegenröchelt, geht in der echten Welt der Terror ab. Jobs? Die Leute hier treten Scheiben ein und greifen alles, was sie kriegen können. Beziehung? Beginnt und endet damit, jemanden an den Haaren aus einer Shisha-Bar oder aus einer Stampe herauszuziehen. Innere Ruhe? Nur beim Kokskater oder, wenn andere Sie um ihr Leben anflehen.

Natürlich baut sich sofort eine Gang vor mir auf. Die merken, wenn man nachdenkt. Das zieht die an wie Scheiße die Homöopathen. Es sind fünf Kerle – massiv untervögelt und überbewaffnet. Bevor einer von ihnen anfängt, seine paar Brocken Artikulation auszugraben, zerschlägt meine Stirn seine Nase. Einfach so. Ohne denken. Er ist mindestens so überrascht wie ich. Er hält sich das blutige Gesicht, geht in die Knie und heult wie ein Opfer – so würde er es selbst nennen. Seine Freunde dematerialisieren sich augenblicklich. Ich gehe weiter durch den Bürgerkrieg, sein Blut wie Kriegsbemalung auf der Stirn. Siehe da – die Leute machen mir Platz.

Ich bin das pure Böse.

So muss sich Nero gefühlt haben.

1 Ja, und die Berliner Mauer oder Hundestuhl. Geschüttelt. Nicht gerührt. Homöopathie ist großartig.

2 Tatsächlich eine Beleidigung in Serbien. Man merkt, dass sie dort die ältesten, originalen Kriegsgedichte Europas haben.

3 Wahnwitzige russische Artillerie im Zweiten Weltkrieg, die wenig kontrolliert sehr viele Raketen abfeuerte.

Zauberwort: Böse

Gestatten, Vincent. Ich bin kein guter Mensch. Sie auch nicht. Womöglich tun Sie so, aber es ist alles Lüge. Ich bin böse. Im Gegensatz zu Ihnen stehe ich dazu. Und wissen Sie was? Es geht mir prima. Nicht nur das. Wenn wir alle da, wo es angebracht wäre, ehrliche Arschlöcher wären, wäre diese Welt um einiges besser.

Was heißt gut? Gut heißt, abzunehmen, im Job erfolgreich zu sein, eine schöne Frau und eine noch schönere Affäre zu haben, so klug wie James Bond, so sportlich wie Stephen Hawking und so treffsicher wie William S. Burroughs zu sein.4 Tonnenweise Selbsthilfeliteratur bleut uns das ein, zusammen mit hirnrissiger Werbung, idiotischen Kollegen und verlogener Politik.

Dagegen hilft nur eins: Seien Sie böse!

Genau ein Jahr nach der mitternächtlichen Trennung von meiner damaligen Freundin sitze ich in meinem Wintergarten hoch über einem Kanal in einem verboten trendigen Bezirk Berlins. Heute sind Finanzen kein Thema mehr. Ich bin frei, glücklich und habe so viel Geld, dass ich es mir leisten kann, böse zu sein. Das Gute ist: Ich muss es gar nicht (mehr) tun. Ich tue es nur noch freiwillig. (Gerade habe ich eine Rakete angezündet, obwohl Böllern verboten ist.) Es ist sozusagen eine Ehre, die ich den Leuten erweise. Dafür braucht man keinen Cent.

Ich verspreche Ihnen hier nichts. Mehr noch: Sie werden viel verlieren. Gewissheiten, Freunde, Sicherheit. Aber wissen Sie was? Die Gewissheiten sind Illusionen, die Freunde falsch, die Sicherheit Angst. Sie werden Neues entdecken oder einfach auf das Unwichtige scheißen. Sie werden neue, echte Freunde finden, vor allem werden Sie folgende Königsdisziplin meistern: sich Dinge am Arsch vorbeigehen lassen. Jegliche Entwicklung wurde von jemandem angestoßen, der von anderen für ein absolutes Arschloch gehalten wurde. Lassen Sie sich nichts einreden! Wie Einstein sagte: „Die wirklich Gefährlichen sind nicht die, die Unrecht tun, sondern die, die sie gewähren lassen.“ Nur dass Einstein eins nicht ahnen konnte: Was Unrecht ist und was nicht, definieren heute diejenigen, die Ihnen unterstellen, dass Sie böse seien. Bis jetzt.

Eins noch: Von „Einen Scheiß muss ich“ über „Am Arsch vorbei geht auch ein Weg“ bis zu „Der geile Scheiß vom Glücklichsein: Wie man das Glück nicht sucht und trotzdem findet“ müllen uns Tonnen von Anti-Selbsthilfe-Selbsthilfeliteratur zu, und das mit dem Motto „Gute Neuigkeiten über Ihre schlechten Angewohnheiten“. Die gleiche Selbsthilfeidiotie gibt es in aufgewärmter Form für diejenigen, die gerade clever genug sind, um nicht als dumm gelten zu wollen, aber es leider noch sind. Alles feige und halbironisch, sodass man sich für den Schwachsinn nicht rechtfertigen muss.

Das hier ist nichts davon. Hier wird nicht fantasiert, dass Sport schädlich und Buletten gesund sind. Ich sage nur, dass all das, was Sie das Böse nennen, in Wahrheit und Wirklichkeit das Gute ist. Und ich werde es Ihnen beweisen.

4 William erschoss seine Frau bei einem missglückten Wilhelm Tell Reenactment.

Teil I:Rauskämpfen

„Eher werden Sie sich halbieren als die Arbeitslosigkeit.“

Joschka Fischer

Japan ist überall

In der ersten Woche schrieb ich mich mit Anlauf krank. Am Anfang des Jahres vermittelt das einen ganz schlechten Eindruck. Statt zu arbeiten, widmete ich mich mit meinem japanischen Freund, nennen wir ihn Yamamoto, meinem lange vernachlässigten Hobby. Manche, wahrscheinlich alle, würden es Laster nennen, aber wissen Sie was? Die haben keine Ahnung. Wissen Sie, was sich in Japan gehört? Überstunden umsonst. Jeder sollte der erste im Büro sein, was zwangsläufig dazu führt, dass alle anderen sich schuldig fühlen, auch Yamamoto. Scham ist eine mächtige Waffe der Guten. Die Japaner treiben es noch weiter: Die Sararīman – eine Verballhornung von Salarymen – schlafen oft im Büro. Spart die Wege, die Wohnung, die Familie, das Leben. Viele – auch er – wohnen in Internetcafés: keine Fenster, eine (abwischbare) Matratze, und die Gutenachtgeschichte ist das Stöhnen des Nachbarn. Nur durch konsequente Überarbeitung schafft es Japan, als eines der technologisch fortschrittlichsten Länder der Welt eine Geburtenrate wie ein Bürgerkriegsland und eine Selbstmordrate wie ein verlorener Posten zu haben. Für all das haben die Japaner ein Wort erfunden: Karōshi. Tod durch Überarbeitung. Ein Opfer: die japanische Politikreporterin Miwa Sado. Sie starb mit 31 an einem Herzinfarkt. Überstunden in ihrer Todeswoche: 159. Nicht nur eine Heldin, sondern eine Märtyrerin der Arbeit!5

Mein Großraumbüro wurde ziemlich sicher nach japanischem Vorbild gebaut oder einem Gulag nachempfunden. Kennen Sie das Video, wo ein fetter (ja, als Arschloch darf ich das sagen, dazu später mehr!) Nerd in einem Cubicle aufsteht, die Tastatur abreißt und damit seinen Rechner verdrischt? Ist leider ein Fake. Ich aber sage, es ist eine Vision.

Jede Revolution beginnt als Idee.

5https://money.cnn.com/2017/10/05/news/japan-work-overwork-woman-dies-karoshi/index.html; 2.1.20

Anti-Regel I:

Arbeit ist keine Ehrensache. Es sei denn, Sie sind Kamikazeflieger.

Alles Ihre Schuld

Ich habe sie alle gelesen: „Der wunde Punkt: Die Kunst, nicht unglücklich zu sein. Zwölf Schritte zur Überwindung unserer seelischen Problemzonen“, „Die Kunst, ein Egoist zu sein“, „Denke nach und werde reich“, „Magic Cleaning: Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert“. Bücher, die beschreiben, wer Sie werden sollten, weil Sie offensichtlich nichts sind. Eigentlich beschreiben sie nur Ihre Komplexe. Bücher, die jeder, der einen Funken Selbstachtung besitzt, nicht aus dem Regal nehmen würde, es sei denn, um sie in den Mixer zu schmeißen: „Bücher-Smoothies: Der einzigartige Weg zu Gesundheit, Erfolg und einem aufgeräumten Zimmer!“ Das Absurde ist, oft soll mit der größten Herausforderung begonnen werden, um glücklich sein. Wer glücklich sei, sagen sie, dessen Gehirn sei um bis zu 31 Prozent produktiver. Die Intelligenz sei höher, die Kreativität verstärke sich, die Energie­level stiegen. Verkäufer von Unsinn, den niemand braucht, steigern ihre Leistung um 37 Prozent; Schönheitsoperationsärzte arbeiten 19 Prozent schneller und akkurater. Ergo: „Sie werden nicht glücklicher, indem Sie erfolgreicher werden. Es ist genau umgekehrt: Wer glücklich ist, wird auch erfolgreicher und schöpft sein wahres Potenzial voll aus.“6

Was für ein Schwachsinn. Stellen Sie sich vor, Ihr Chef zerreißt Ihre Arbeit grundlos in der Luft, kommentiert die Körperfülle Ihrer Frau oder Ihres Mannes oder, ganz schlimm, Ihres Hundes oder Ihrer Katze äußerst unvorteilhaft, reißt sich die Kleider vom Leib und tanzt nackt auf Ihrem Tisch. Wenn Sie so einen Psychopathen als Chef haben, und sie werden über kurz oder lang alle so, was nützt Ihnen dann Ihre manisch positive Einstellung? Nächstes Mal ölt er sich ein und bringt ein Opferhuhn mit.

Oder der Klassiker, wenn Sie erfolgreich sein wollen, „sind Sie auch verantwortlich für Erfolg oder Misserfolg. Es gibt keine Ausreden und externen Gründe für Fehlschläge mehr.“7 Schon mal was von Börsencrashs, Naturkatastrophen, Monopolen, Kriegen und Zur-falschen-Zeit-am-falschen-Ort-sein gehört? Von den 20 reichsten Leuten, die jemals gelebt haben, wurden 19 im Zeitraum von 30 Jahren in den USA geboren: 1820–1850. Wieso? Weil der Ölboom losging, als sie im kapitalfähigsten Alter waren. Und der Zwanzigste? War eine Sie: Kleopatra. Besitzen Sie also keine Pyramiden, hören Sie auf, sich selbst zu geißeln!

Wie die Amerikaner so schön sagen:

Don‘t hate the player, hate the game.

6https://karrierebibel.de/erfolgsrezept/; 2.1.20

7 Ebd.

Anti-Regel II:

Das Leben ist Chaos. Sie können es nicht kontrollieren. Andere Sie aber auch nicht.

Yeah, Katastrophen

Tweens mit Betonfrisuren schreien einen aus YouTube-Videos an: „Rückschläge sind nur temporär und dienen als Lernerfahrung!“, „Sie müssen sich kontinuierlich weiterentwickeln und dazulernen!“

Sagen Sie das den Hunderttausenden, die bei Spekulationsblasen wegen zu früh eingeforderter Kredite obdachlos wurden! Oder jemandem, der mit 65 noch bei Aldi an der Kasse steht. Vielleicht fängt der was Neues an, geht zu Veganz, die dann plötzlich als Supermarkt einfach aufhören und nur noch Käse produzieren, der keiner ist8, dann wird er Rennfahrer oder bekommt Gicht. Aus ökonomischen Gründen wäre Selbstmord die beste Option.

Einem Vater aus Neu-Delhi wurde kürzlich ein Preis verliehen, der Preis für den schlechtesten Job der Welt, durch den selbst die letzten Arbeiter zu Invaliden würden. Der Inder arbeitete – ohne Geräte, ja sogar ohne Taucherbrille – als Kanalisationstaucher. Er verdiente etwas weniger als Luft, weswegen die meisten seiner Kollegen starben. Ihre Lebenserwartung lag - wie bei jedem anständigen Rockstar - bei 27. Sie hatten mehr Arbeitserfahrung, als wir alle je haben werden. Hoffentlich.

An unserer Büropinnwand hängt die beleidigend inspirative Geschichte des amerikanischen Kunstturners Bart Connor. Als kleiner Fratz fragten ihn seine Overachiever-Eltern jeden Tag vor dem Einschlafen, was sein größter Erfolg des Tages gewesen sei. Dadurch schlief Connor jeden Abend mit dem Gefühl ein, etwas erreicht zu haben. Er wachte mit dem Selbstbewusstsein auf, auch am nächsten Tag eine neue Herausforderung bewältigen zu können. So das Märchen, das sich auszahlte. Nach einer schweren Verletzung 1983 stand Bart Connors Olympiaqualifikation auf dem Spiel. Doch er kämpfte sich zurück, qualifizierte sich nicht nur, sondern holte auch Gold.9 America, fuck yeah! Alle indischen Kanaltaucher sind auf einmal viel glücklicher.

Für alle, die noch nicht eingeschlafen sind: Spitzensportler haben genau drei Bereiche, in denen sie brillieren müssen. Zwei davon können sie nicht beeinflussen. Übung ist wichtig, aber irgendwo in China schießt ein Kleinkind unter Tränen schon 2000 Tischtennisbälle pro Minute. Dann die Gene. Sorry, dicker Herbert, aber das wird bei dir nichts mehr. Letztlich und am wichtigsten sei, wie Malcolm Gladwell in seinem Buch Tipping Point ausführt, der Geburtstag. Nein, nicht ob bei McDonalds oder Burger King gefeiert werde, – solche Kinder rollen sich mit 20 bestenfalls noch durchs Leben–, sondern der Zeitpunkt der Einschulung. Klassen sind nach Jahren aufgeteilt. Wer früh geboren wird, bekommt mehr Förderung. Also liebe Herbst-, Winter- und Frühlingskinder: Vielleicht doch lieber auf einer Waldorfschule den Namen tanzen lernen?

8 https://www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-wirtschaft/veganz-markte-in-berlin-schliessen-mit-hafermilch-aus-dem-3d-drucker-in-die-zukunft-9079924.html

9https://karrierebibel.de/erfolgsrezept/; 2.1.20

Anti-Regel III:

Zufall ist grausam, nehmen Sie ihn nicht persönlich. Es sei denn, Sie sind Sadist oder Christ.

Disruptophobie

Zwei der Worthülsen, mit denen selbsternannte Geschäftsgurus unser Gehirn zumüllen, sind Resilienz und Disruption. Resilienz lässt sich mit: „Haben Sie sich nicht so, Sie Zimperling!“ übersetzen. Disruption bedeutet, frei nach dem Ökonomen Joseph A. Schumpeter mit seiner Wahnvorstellung der „schöpferischen Zerstörung“, Veränderung zu provozieren und, wenn Sie und das System sich weigern, zu erzwingen. Ein Schritt vor „Korrekturvergewaltigung“. Disruptophilie ist einer der Charakterzüge von Überfliegern: „Sie heißen Veränderung willkommen.“10 Toll.

Wissen Sie, was disruptiv war? Der Kometeneinschlag, der die Dinosaurier ausgerottet hat. Der I. Weltkrieg. AIDS. Selbst ökonomisch ergibt Disruption keinen Sinn: Ein Börsencrash ist disruptiv. Ein Computervirus wie Stuxnet, das Ihnen Bitcoin abpresst, damit Sie Ihre lahme Mühle von Rechner wieder hochfahren können. Die Gewinne aus dem Klimawandel sind disruptiv, läuft super bei Bunkerbauern. Oder Drogenhandel! Jeder, dessen Autoscheibe von einem Junkie, der das neue Geschäftsmodell Meth begeistert angenommen hatte, eingeschlagen und dessen Radio entwendet wurde, weiß: Drogenhandel ist das disruptivste aller Geschäftsfelder.

Führungskräfte „warten nicht ab, sondern handeln. Sie sind bereit, Risiken einzugehen?“11 Wo leben die Leute, die diese Bücher schreiben, im Takka-Tukka-Abenteuerland? Jedenfalls nirgends, wo es eine Firmenstruktur gibt. Haben Sie schon mal gehandelt, ohne auf die Direktive zu warten? Sind Sie schon mal das Risiko eingegangen, gegen die Corporate Standards zu verstoßen? Haben Sie schon mal Ihrem Chef gesagt, was er zu tun hat, wenn er erfolgreich sein will? Sie würden bestimmt der coolste Typ beim Jobcenter werden.

Oder gilt das nur für eine Bullshit-Fontäne namens Start-up und den Disruptophoben dieser Welt fehlen die Visionen? 95 % aller Start-up-Betriebe gehen jämmerlich pleite. Das ist noch vernichtender als die 90 % bei traditionellen Unternehmen. Die letzten 5 % stellen nichts Sinnvolles her oder erwirtschaften nur in den seltensten Fällen Gewinn. Twitter, das Sprachrohr der konzentrationsgestörten Welt, war bis 2017 in den roten Zahlen.12 Mit 1,3 Milliarden Nutzern! Nein, die Start-ups werden von einem Business Angel entdeckt, also auserwählt und mit Geld überschwemmt, weil solche Engel aus Steuerfluchtgründen investieren müssen. Das ist nicht mal Kapitalismus. Das ist Esoterik.

10 Ebd.

11https://karrierebibel.de/erfolgsrezept/; 2.1.20

12 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/314570/umfrage/ergebnis-von-twitter-weltweit-nach-quartalen/; 18.3.20

Anti-Regel IV:

Disruption ist Zyankali. Wer dran glaubt, soll es versuchen.

Seien Sie Jesus!

Das Hirnschlagprovozierende ist, dass die Anforderungen über das Geschäft hinausgehen. Können Sie, wenn Sie sich auf Arbeit Mühe geben, zu Hause vor der Glotze abschalten? Am Arsch! Führungskräfte „investieren in sich selbst. Sie führen kontinuierlich Tagebuch. Sie bauen Beziehungen zu anderen Menschen auf. Sie pflegen und zeigen Dankbarkeit. Sie sind Träumer. Sie sind Jesus.“13 Gut, der letzte Satz stand vielleicht nicht dort, aber Sie sehen, wohin die Reise geht: bestenfalls in die Schizophrenie. Tagebuch? Sind wir denn schon 13? Selbst die Chanson-Punk-Band Schnipo-Schranke14 erfasst die Aufmerksamkeitsökonomie besser: „Mich interessiert nichts, was man nicht posten kann.“ Niemand schreibt mehr Tagebuch. Was beruflich zählt, was existiert, ist die Präsenz auf Social Media. Die verhindert auch hervorragend, dass man Beziehungen zu Menschen aufbauen kann. Wofür auch? Wieso sollte ich mich erniedrigen, um mit egoabsorbierten, Armani-Anzug-tragenden Alpha-Kevins Beziehungen zu simulieren? Um ihre Krumen zu picken? Und dankbar zu sein? Vor allem, immer dankbar sein, um nie aufzumucken? Als Thomas D. von den Fantastischen Vier 1994 endgültig die ästhetische Kontrolle verlor, nannte er sein Album Lektionen in Demut. Der passende Soundtrack zum Kapitulieren vor dem Leistungswahn:

„Gib dich mir ganz hin

bis ich tief in dir drin

endlich allein mit dir bin“15

Wie zum Teufel geht Träumer sein damit zusammen, dass man an allem schuld ist und 24/7 socializen muss? Wovon darf geträumt werden? Von Kommunismus, Anarchismus, Anime-Pornofilmen? Die Selbsthilfefloskeln sind so leer, sie könnten ebenso gut im Manifest von ISIS oder in Mein Kampf stehen. Zusammengefasst: Um erfolgreich zu sein, müssen Sie sich den Arsch bis zum Hals aufreißen und es genießen. Jeder, der das nicht tut, ist böse.

13 https://karrierebibel.de/erfolgsrezept/; 2.1.20

14 „Schnitzel, Pommes mit Ketchup und Mayonnaise“, die Lieder sind noch besser als der Name.

15Thomas D. „Lektionen in Demut": https://t1p.de/8k1mn

Anti-Regel V:

Scham, Demut und Leistungsdruck können weg. Wie früher Heldenmut, Ehre und Gottesfurcht.

Ehrlich verliert

Früher bin ich immer zur Arbeit gejoggt. Mindestens. Zumindest zum Auto, denn eine Wohnung, von der man nach Mitte hätte joggen können, konnte ich mir nicht leisten. Von meiner Wohnung in einer Platte tief im verödeten B-Tarif wären es bis zur Arbeit drei Kamelritt-Tage Richtung Sonnenuntergang gewesen, wenn man die wegelagernden Horden von hasserfüllten Lichtenberger Arbeitslosen überlebt hätte. Die Boom-Town Berlin ist die Mordhauptstadt Europas. Sagt zumindest die Polizei auf der Suche nach Rechtfertigung.16 Schaffte ich mein Qualpensum nicht, fuhr ich nach der Arbeit ins Fitnessstudio. Ich verrenkte mich vor lauter Schuldgefühlen sogar einmal vor Sonnenaufgang beim Yoga. So schlimm stand es um mich!

Mein Arzt versteht wenig Nichtchinesisch, aber stellt gerne Schreiben aus, die ihm die Geldverschwendungsmaschine Krankenkasse bezahlt. Als ich mich nach knapp zwei Wochen in meinen Designklassiker Interstuhl im Büro fallen ließ, brach ich mir fast den Rücken. Welcher Sadist entwirft diese Foltergeräte? Eine gefühlte Nanosekunde später schlug der Chef an meinem bis zum Bersten überladenen Schreibtisch auf:

„Vincent, wo waren Sie denn? Ich habe hier ...“

Sein Kopf rötete sich wie ein Toaster.

„Meine Mutter wurde überfahren“, fuhr ich dazwischen.

„Was? Ich ... äh ...“

„Von einem Schweinetransporter.“

„Äh? Ja, mein Beileid. Das hier muss fertig werden.“

Was sagen Sie dazu? Das sei gelogen und böse? Hören Sie mal zu, Sie Moralapostel, dieser ach so generöse Arbeitgeber kennt mich besser als ich meine Freundin. Ich musste, als ich um diesen Job bettelte, das bürokratische Äquivalent zu einem Striptease absolvieren. Zeugnisse, Steuererklärungen, eine Auskunft der Schufa, die Sachen weiß, die ich selbst nie wusste: „Nur 99,7 %? Sie haben einen Handyvertrag abgeschlossen und nicht bedient?“ Hätte ich ehrlich geantwortet, wäre das wie folgt gewesen: „Das war die SIM-Karte, die mein Hund gefressen hat. Ich habe aber wirklich noch Tage lang mit dem Stock in seinem Stuhl gestochert, was ihn nachhaltig traumatisiert hat. Von mir ganz zu schweigen.“ Wenn ich eins gelernt habe, dann das: Bei der Arbeit, bei der Wirtschaft, geht es ums Lügen. Wir lügen uns besser, um zu beweisen, wie gut wir Kunden belügen können. Unser Unternehmen lügt Ramsch teuer, weil es einen Wissensvorsprung hat. Der Chef lügt uns schlechter, damit er weniger zahlen muss und kein Headhunter uns abwirbt. Die Stasi-Schufa muss nicht sagen, wie sie zu ihren Daten kommt. Eine Lüge durch Auslassung, eine White Lie.