Billy Summers - Stephen King - E-Book
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Billy Summers E-Book

Stephen King

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Beschreibung

Der Killer und das Mädchen – der neue große Roman von Stephen King um Wahrheit und Fiktion

Billy ist Kriegsveteran und verdingt sich als Auftragskiller. Sein neuester Job ist so lukrativ, dass es sein letzter sein soll. Danach will er ein neues Leben beginnen. Aber er hat sich mit mächtigen Hintermännern eingelassen und steht schließlich selbst im Fadenkreuz. Auf der Flucht rettet er die junge Alice, die Opfer einer Gruppenvergewaltigung wurde. Billy muss sich entscheiden. Geht er den Weg der Rache oder der Gerechtigkeit? Gibt es da einen Unterschied? So oder so, die Antwort liegt am Ende des Wegs.

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Das Buch

Billy ist Kriegsveteran und verdingt sich als Auftragskiller. Sein neuester Job ist so lukrativ, dass es sein letzter sein soll. Danach will er ein neues Leben beginnen. Aber er hat sich mit mächtigen Hintermännern eingelassen und steht schließlich selbst im Fadenkreuz. Auf der Flucht rettet er die junge Alice, die Opfer einer Gruppenvergewaltigung wurde. Billy muss sich entscheiden. Geht er den Weg der Rache oder der Gerechtigkeit? Gibt es da einen Unterschied? So oder so, die Antwort liegt am Ende des Wegs.

Der Autor

Stephen King, 1947 in Portland, Maine, geboren, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Bislang haben sich seine Bücher weltweit über 400 Millionen Mal in mehr als 50 Sprachen verkauft. Für sein Werk bekam er zahlreiche Preise, darunter 2003 den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk und 2015 mit dem Edgar Allan Poe Award den bedeutendsten kriminalliterarischen Preis für Mr. Mercedes. 2015 ehrte Präsident Barack Obama ihn zudem mit der National Medal of Arts. 2018 erhielt er den PEN America Literary Service Award für sein Wirken, gegen jedwede Art von Unterdrückung aufzubegehren und die hohen Werte der Humanität zu verteidigen.

Seine Werke erscheinen im Heyne-Verlag.

Stephen King

Roman

Aus dem Amerikanischenvon Bernhard Kleinschmidt

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

BILLY SUMMERS

bei Scribner, New York

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2021 by Stephen King

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe byWilhelm Heyne Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Lothar Strüh

Herstellung: Mariam En Nazer

Umschlaggestaltung und Motiv:Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

Satz: Schaber Datentechnik, Austria

ISBN 978-3-641-27940-0V004

Im Gedenken anRaymond und Sarah Jane Spruce

»I once was lost, but now am found.«

Amazing Grace

Kapitel 1

1

Billy Summers sitzt in der Hotelhalle und wartet darauf, abgeholt zu werden. Es ist Freitagnachmittag. Er hat ein Comictaschenbuch aus der Reihe Archie’s Pals ’n’ Gals aufgeschlagen vor sich, ist in Gedanken aber bei Émile Zola und dessen drittem Roman, mit dem er schließlich den Durchbruch als Autor erzielt hat: Thérèse Raquin. Er findet, dass es sich dabei eindeutig um das Buch eines jungen Mannes handelt. Zola, denkt er, hat gerade erst den Zugang zu etwas gefunden, was sich später als tiefe, fabelhafte Goldgrube erweisen sollte. Er denkt, dass Zola eine albtraumhafte Version von Charles Dickens war – oder vielmehr ist. Das wäre ein guter Ausgangspunkt für einen Essay, findet er. Nicht dass er je einen geschrieben hätte.

Um zwei Minuten nach zwölf geht die Tür auf, und zwei Männer betreten die Hotelhalle. Der eine ist groß und hat das schwarze Haar zu einer Schmalzlocke im Stil der Fünfziger gestylt. Der andere ist untersetzt und hat eine Brille auf der Nase. Beide tragen Anzug. Alle von Nicks Leuten tragen Anzug. Den Großen kennt Billy von drüben im Westen her. Er ist schon lange bei Nick und heißt Frank Macintosh. Wegen seiner Tolle nennen manche von Nicks Leuten ihn Frankie Elvis oder – weil er inzwischen eine winzige kahle Stelle am Hinterkopf hat – Elvis den Kahlen. Allerdings nicht, wenn er das mitbekommen könnte. Den anderen kennt Billy nicht. Der muss aus dem Ort hier sein.

Macintosh streckt Billy die Hand hin. Billy erhebt sich und schüttelt sie.

»He, Billy, ist ’ne Weile her. Schön, dich zu sehen.«

»Dich auch, Frank.«

»Das ist Paulie Logan.«

»Hi, Paulie.« Billy schüttelt dem Untersetzten die Hand.

»Freut mich, dich kennenzulernen, Billy.«

Macintosh nimmt Billy das Archie-Taschenbuch aus der Hand. »Wie ich sehe, liest du immer noch Comics.«

»Genau, stimmt«, sagt Billy. »Ich mag die halt. Also die lustigen. Die mit den Superhelden lese ich auch manchmal, aber die mag ich nicht so.«

Macintosh blättert durch die Seiten und zeigt Paulie Logan dann etwas. »Guck dir mal die Puppen hier an. Mann, auf die könnte ich glatt abwichsen.«

»Das sind Betty und Veronica.« Billy nimmt das Comicbuch wieder an sich. »Veronica ist die Freundin von Archie, obwohl Betty das gern wär.«

»Liest du auch richtige Bücher?«, fragt Logan.

»Manchmal, wenn ich lange unterwegs bin. Zeitschriften auch. Aber hauptsächlich Comics.«

»Gut, gut«, sagt Logan und zwinkert Macintosh zu. Nicht gerade dezent, weshalb Macintosh die Stirn runzelt, aber Billy schert sich nicht darum.

»Bereit für einen kleinen Ausflug?«, fragt Macintosh.

»Klar.« Billy schiebt das Buch in die Gesäßtasche. Archie und seine vollbusigen Freundinnen. Das wäre auch ein Thema für einen Essay. Darüber, wie tröstlich es ist, wenn Frisuren und Einstellungen sich nicht ändern. Über Riverdale und darüber, dass die Zeit dort stillsteht.

»Na, dann los«, sagt Macintosh. »Nick wartet schon.«

2

Macintosh sitzt am Steuer. Logan hat sich freiwillig hinten reingesetzt, weil er der Kleinste sei. Billy hätte erwartet, dass sie nach Westen fahren, weil da der noble Teil von Red Bluff liegt, und Nick Majarian lebt gern auf großem Fuß, egal ob zu Hause oder anderswo. Und in Hotels übernachtet er grundsätzlich nicht. Aber stattdessen fahren sie nach Nordosten.

Zwei Meilen vom Stadtzentrum entfernt kommen sie in ein Viertel, das Billy als untere Mittelschicht einschätzt. Drei bis vier Stufen besser als der Trailer-Park, wo er aufgewachsen ist, aber alles andere als nobel. Hier stehen keine großen, gut geschützten Villen, sondern Häuser im Ranchstil mit kleinen Vorgärten, in denen sich Rasensprenger drehen. Die meisten sind einstöckig und gut in Schuss, aber einige müssten frisch angestrichen werden, und auf manchen Rasenflächen breitet sich Fingerhirse aus. Billy sieht ein Haus mit einem zerbrochenen Fenster, das mit einem Stück Pappkarton gesichert ist. Vor einem anderen sitzt ein dicker Mann in Bermudashorts und Trägerunterhemd auf einem Gartensessel von Costco oder Sam’s Club. Er trinkt Bier und beobachtet sie beim Vorüberfahren. Eine Weile lang waren die Zeiten in Amerika jetzt gut, aber vielleicht wird sich das auch wieder ändern. Billy kennt solche Wohnviertel. Sie sind wie ein Barometer, und das hier ist im Sinken begriffen. Die Leute, die hier wohnen, haben Jobs, bei denen man eine Stechuhr bedient.

Macintosh biegt in die Einfahrt eines zweistöckigen Hauses mit einem ungepflegten Rasen ein. Es ist in einem matten Gelb gestrichen und ganz in Ordnung, sieht jedoch nicht wie ein Ort aus, wo Nick Majarian sich niederlassen würde, und wenn auch nur für ein paar Tage. Es sieht aus, als würde hier ein Mechaniker oder ein kleiner Flughafenangestellter mit seiner Rabattcoupons sammelnden Frau und zwei Kindern leben, jeden Monat seine Hypotheken abzahlen und sich am Donnerstagabend mit Bier und Bowling vergnügen.

Logan zieht Billys Tür auf. Billy legt sein Comicbuch aufs Armaturenbrett und steigt ebenfalls aus.

Macintosh geht als Erster die paar Stufen zur Veranda hoch. Draußen ist es heiß, drinnen klimatisiert. Nick Majarian steht in dem kurzen, zur Küche führenden Flur. Er trägt einen Anzug, der wahrscheinlich beinah so viel wie eine monatliche Hypothekenzahlung für das Haus gekostet hat. Sein schütteres Haar ist an den Kopf gekämmt, von Schmalzlocke keine Spur. Das Gesicht ist rundlich und von der Sonne in Vegas gebräunt. Er ist korpulent, aber als er Billy in die Arme nimmt, fühlt sein vorstehender Bauch sich bretthart an.

»Billy!«, ruft Nick aus und küsst ihn auf beide Wangen. Herzhafte Schmatzer sind das. Im Gesicht trägt Nick ein breites, strahlendes Grinsen zur Schau. »Billy, Billy, Mann, ist richtig schön, dich zu sehen!«

»Ich freu mich auch, dich zu sehen, Nick.« Billy blickt sich um. »Normalerweise wohnst du nobler als hier.« Er hält kurz inne. »Nichts für ungut.«

Nick lacht. Er hat ein wohltönendes, ansteckendes Lachen, das zu seinem Grinsen passt. Macintosh schließt sich ihm an, während Logan lediglich lächelt. »Ich hab ein Haus im Westen. Vorübergehend. Betätige mich sozusagen als Haushüter. Im Vorgarten ist ein Springbrunnen, auf dem in der Mitte ein kleiner nackter Kerl steht. Wie nennt man so was noch …?«

Eine Putte, denkt Billy, hält jedoch den Mund. Er lächelt einfach weiter.

»Na egal, ein Wasser pinkelnder Knabe halt. Wirst schon noch sehen, keine Angst. Nein, das Haus hier ist nicht meins, Billy. Es ist deins. Falls du dich entscheidest, den Job zu übernehmen.«

3

Nick führt Billy durchs Haus. »Voll möbliert«, sagt er, als wollte er es an den Mann bringen. Was er wohl irgendwie gerade tut.

Im Obergeschoss sind drei Schlafzimmer und zwei Bäder, von denen das zweite kleiner und wahrscheinlich für die Kinder gedacht ist. Das Erdgeschoss besteht aus Küche, Wohnzimmer und einem Esszimmer, das so klein ist, dass man es eigentlich als Essecke bezeichnen müsste. Der größte Teil des Kellers ist zu einem langen, mit Teppichboden belegten Raum umgewandelt worden, wo am einen Ende ein großer Fernseher und am anderen eine Tischtennisplatte stehen. An der Decke sind Schienenleuchten angebracht. Nick bezeichnet das Ganze als Hobbyraum, und hier setzen sie sich zusammen.

Macintosh erkundigt sich, ob jemand etwas trinken wolle. Zur Auswahl stünden Mineralwasser, Bier, Limonade und Eistee.

»Ich nehme einen Arnold Palmer«, sagt Nick. »Halb und halb. Viel Eis.«

Hört sich gut an, sagt Billy. Bis die Getränke kommen, plaudern sie miteinander. Über das Wetter und wie heiß es hier unten in den nördlichen Südstaaten ist. Nick will wissen, wie Billys Reise war. Gut, sagt Billy, erklärt jedoch nicht, wo er losgeflogen ist, und Nick fragt nicht nach. Nick sagt, was soll man bloß zu diesem verfluchten Trump sagen, und Billy meint, tja, was soll man da schon sagen. Das ist in etwa alles, was sie zustande bringen, aber das macht nichts, weil jetzt Macintosh mit einem Tablett kommt, auf dem zwei hohe Gläser stehen, und sobald er wieder abgezogen ist, kommt Nick zur Sache.

»Als ich mit deinem Kumpel Bucky telefoniert hab, hat der mir gesagt, du willst dich bald zur Ruhe setzen.«

»Ich denk drüber nach. Mache das Ganze schon eine lange Zeit. Viel zu lange.«

»Stimmt. Wie alt bist du überhaupt?«

»Vierundvierzig.«

»Und du bist im Geschäft, seit du die Uniform ausgezogen hast?«

»Mehr oder weniger.« Er ist sich ziemlich sicher, dass Nick das alles weiß.

»Wie viele insgesamt?«

Billy zuckt die Achseln. »Das weiß ich nicht mehr genau.« Es sind siebzehn. Achtzehn, wenn man den ersten mitrechnet, den Mann mit dem gegipsten Arm.

»Bucky meint, du übernimmst eventuell noch einen, wenn der Preis stimmt.«

Er wartet darauf, dass Billy etwas antwortet. Weil er das nicht tut, fährt Nick fort.

»Der Preis stimmt auf jeden Fall. Wenn du den übernimmst, kannst du dein restliches Leben irgendwo da verbringen, wo es warm ist. Kannst dich in ’ne Hängematte legen und Piña colada trinken.« Sein breites Grinsen kommt wieder zum Vorschein. »Zwei Millionen. Fünfhunderttausend als Vorschuss, der Rest hinterher.«

Billys Pfiff gehört nicht zu seiner kleinen Show, die er zudem nicht als solche betrachtet, sondern als feste Rolle des Einfältigen, die er Typen wie Nick, Frank und Paulie immer vorspielt. Sie ist wie ein Sicherheitsgurt. Den legt man nicht an, weil man einen Unfall erwartet, sondern weil man nie weiß, wer einem auf derselben Straßenseite über die Kuppe entgegenkommen könnte. Das gilt auch auf der Straße des Lebens, auf der die Leute im Zickzack durch die Gegend gondeln und sich auf dem Highway als Geisterfahrer betätigen.

»Warum so viel?« Bisher hat er für einen Auftrag höchstens siebzigtausend bekommen. »Das ist doch kein Politiker, oder? So was mache ich nämlich nicht.«

»Ganz und gar nicht.«

»Ist es ein schlechter Mensch?«

Nick lacht, schüttelt den Kopf und betrachtet Billy mit echter Zuneigung. »Die Frage stellst du immer.«

Billy nickt.

Der Einfältige mag eine Maske sein, aber es stimmt: Er übernimmt nur schlechte Menschen. Was damit zu tun hat, wie er nachts schlafen kann. Natürlich verdient er seinen Lebensunterhalt damit, für schlechte Menschen zu arbeiten, aber das sieht Billy nicht als moralisches Dilemma an. Er hat kein Problem mit schlechten Menschen, die dafür bezahlen, andere schlechte Menschen umbringen zu lassen. Im Grunde sieht er sich als Müllmann mit Waffe.

»Es ist ein sehr schlechter Mensch.«

»Na dann …«

»Außerdem kommen die zwei Millionen nicht von mir. Ich bin hier nur der Mittelsmann und kriege, was man als Maklergebühr bezeichnen könnte. Die kommt übrigens nicht von dir, sondern ist extra.« Nick beugt sich vor und verschränkt die Hände zwischen den Oberschenkeln. Mit ernster Miene blickt er Billy tief in die Augen. »Der Typ, über den wir reden, ist ein Profi wie du. Nur fragt er nie, ob es um einen schlechten oder guten Menschen geht. Solche Unterscheidungen trifft er nicht. Wenn das Geld stimmt, übernimmt er den Auftrag. Nennen wir ihn fürs Erste einfach Joe. Vor sechs Jahren, vielleicht sind es auch sieben, das ist jetzt egal, hat er einen Fünfzehnjährigen umgelegt, der gerade auf dem Schulweg war. War der Junge ein schlechter Mensch? Nein. Er war sogar ein besonders guter Schüler. Aber jemand wollte seinem Vater eine Botschaft senden. Der Junge war die Botschaft. Joe war der Bote.«

Billy fragt sich, ob die Geschichte wahr ist. Möglicherweise nicht, sie hat so etwas Märchenhaftes an sich, aber irgendwie vielleicht doch. »Du willst, dass ich einen Killer umlege.« Als müsste er sich das klarmachen.

»Genau. Momentan sitzt Joe in Los Angeles im Bau. Im Men’s Central Jail. Die Anklagepunkte sind Körperverletzung und versuchte Vergewaltigung. Letzteres ist einigermaßen komisch, falls du nicht gerade auf politische Korrektheit stehst. Er hat eine Schriftstellerin, eine feministische Schriftstellerin, die zu einer Tagung in L.A. war, für eine Nutte gehalten. Hat ihr wohl einen ziemlich unsittlichen Antrag gemacht, worauf sie ihr Pfefferspray rausgeholt hat. Da hat er ihr eins aufs Maul gegeben und ihr den Kiefer ausgerenkt. Wahrscheinlich hat sie deshalb hunderttausend Bücher zusätzlich verkauft. Hätte ihm danken sollen, statt ihn zu verklagen, meinst du nicht?«

Billy erwidert nichts.

»Komm schon, Billy, denk mal drüber nach. Da hat der Mann weiß Gott wie viele Kerle umgelegt, teilweise ausgesprochen harte Typen, und wird von ’ner lesbischen Emanze mit Pfefferspray besprüht? Da muss man doch Humor drin sehen!«

Billy grinst der Form halber. »L.A. ist ganz schön weit weg von hier.«

»Stimmt, aber er war hier, bevor er da hingegangen ist. Warum er hier war, weiß ich nicht, und es ist mir auch schnuppe, aber ich weiß, dass er Poker spielen wollte, und jemand hat ihm gesteckt, wo man das tun kann. Unser Kumpel Joe hält sich nämlich für einen genialen Spieler. Liebt hohe Einsätze. Um es kurz zu machen: Er hat eine Menge Geld verloren. Als der große Gewinner gegen fünf Uhr morgens ausgestiegen ist, hat Joe ihm in den Bauch geschossen und nicht nur das eigene Geld wieder eingeschoben, sondern einfach alles, was auf dem Tisch lag. Als jemand ihn daran hindern wollte, wohl irgend so ein anderer Trottel aus der Runde, hat Joe ihm ebenfalls einen Schuss verpasst.«

»Hat er jetzt beide auf dem Gewissen?«

»Der große Gewinner ist im Krankenhaus krepiert, allerdings erst nachdem er Joe noch identifizieren konnte. Der Typ, der sich einmischen wollte, hat überlebt. Auch der hat Joe identifiziert. Und weißt du, was?«

Billy schüttelt den Kopf.

»Aufnahmen von einer Überwachungskamera gibt’s außerdem. Merkst du, worauf das rausläuft?«

Das tut Billy durchaus. »Nicht so richtig.«

»In Kalifornien haben sie ihn wegen Körperverletzung angeklagt, womit sie auch durchkommen werden. Die versuchte Vergewaltigung wird man dagegen wohl abschmettern. Ist ja nicht so, dass er die Frau in eine dunkle Gasse gezerrt hat. Scheiße, er hat ihr sogar angeboten, sie zu bezahlen, also ist es bloß Kontaktanbahnung, worum der Staatsanwalt sich nicht mal kümmern wird. Wenn er verurteilt wird, bekommt er etwa neunzig Tage im Bau. Damit wäre die Sache erledigt. Aber hier geht es um Mord, und so was nimmt man auf dieser Seite vom Mississippi ausgesprochen ernst.«

Das weiß Billy. In konservativen Bundesstaaten wie dem hiesigen erlöst man kaltblütige Mörder von ihrem Elend. Womit er kein Problem hat.

»Und nachdem die Geschworenen einen Blick auf das Überwachungsvideo geworfen haben, werden sie mit großer Sicherheit dafür plädieren, dem guten Joe die Nadel zu verpassen. Das ist dir doch klar, oder?«

»Natürlich.«

»Wenig überraschend, dass er sich momentan über seinen Anwalt gegen die Auslieferung wehrt. Du weißt doch, wie so was läuft, oder?«

»Klar.«

»Na dann. Sein Anwalt fährt schwere Geschütze auf, und der Typ ist absolut keine Niete. Er hat schon erreicht, dass die Anhörung um dreißig Tage verschoben wird, und wird sich noch andere Gründe ausdenken, Sand ins Getriebe zu streuen, aber am Ende wird er scheitern. Joe wiederum sitzt in Einzelhaft, weil jemand ihm ein Klappmesser in den Leib rammen wollte. Das hat sich der gute Joe geschnappt und dem Burschen das Handgelenk gebrochen, aber wo ein Typ mit ’nem Messer ist, kann’s ein Dutzend weitere geben.«

»Du meinst, da ist eine Gang im Spiel?«, fragt Billy. »Zum Beispiel die Crips? Haben die ihn auf dem Kieker?«

Nick zuckt die Achseln. »Wer weiß? Jedenfalls hat Joe vorläufig ein Privatquartier, muss nicht mit den übrigen Schweinen an den Trog und darf eine halbe Stunde ganz allein auf den Hof. Außerdem setzt sein Anwalt inzwischen verschiedene Leute unter Druck. Er behauptet, dass Joe ’ne richtig große Sache ausplaudern wird, wenn man den Mordvorwurf nicht fallen lässt.«

»Ob er damit durchkommt?« Das stellt sich Billy nicht gern vor, selbst wenn der Mann, den dieser Joe nach dem Pokerspiel erschossen hat, ein schlechter Mensch gewesen sein sollte. »Das heißt, der Staatsanwalt soll auf die Todesstrafe verzichten oder auf Totschlag plädieren?«

»Nicht schlecht, Billy. Du bist mehr oder weniger auf der richtigen Spur. Aber soweit ich höre, will Joe, dass man die gesamte Anklage zurückzieht. Vermutlich hat er wirklich was in der Hinterhand.«

»Und er meint, das kann er ausspielen, um mit ’nem Mord davonzukommen.«

»Sagt ein Kerl, der weiß Gott wie oft damit davongekommen ist.« Nick lacht.

Das tut Billy nicht. »Ich hab nie jemand erschossen, bloß weil ich beim Pokern Geld verloren hab. Ich spiel nicht mal. Und Raub wär sowieso nie mein Ding.«

Nick hebt beschwichtigend die Hände. »Das weiß ich doch, Billy. Du kümmerst dich bloß um schlechte Menschen. Wollte dich bloß ein bisschen aufziehen. Trink deinen Arnold Palmer.«

Billy trinkt seinen Arnold Palmer. Zwei Millionen, denkt er dabei. Für einen einzigen Auftrag. Und er denkt: Was ist der Haken an der Sache?

»Da will wer den Typ also echt dran hindern, dass er ausspuckt, was er weiß.«

Nick richtet die Fingerpistole auf Billy, als hätte der einen absolut verblüffenden logischen Schluss gezogen. »Du hast’s erfasst. Jedenfalls hab ich eine Nachricht von einem Burschen aus der Stadt hier bekommen – du wirst ihn kennenlernen, wenn du den Auftrag annimmst –, und die Nachricht lautet: Wir suchen einen echten Profi, und zwar den allerbesten. Meiner Meinung nach ist das Billy Summers, und damit basta.«

»Du willst, dass ich den Typ umlege, aber nicht in L.A. Sondern hier.«

»Das will nicht ich. Nicht vergessen, ich bin hier bloß der Mittelsmann. Jemand andres will das. Jemand mit sehr viel Geld in der Tasche.«

»Was ist der Haken?«

Nick schaltet sein Grinsen ein und richtet wieder die Fingerpistole auf Billy. »Direkt zum Punkt, was? Direkt zum verdammten Punkt. Nur dass es eigentlich gar kein Haken ist. Gut, vielleicht ist es doch einer, je nachdem wie man’s sieht. Also, hier spielt Zeit eine besonders große Rolle. Du wirst nämlich …«

Er wedelt mit der Hand, um auf das kleine gelbe Haus zu verweisen. Vielleicht auch auf das Wohnviertel, in dem es steht – wie Billy feststellen wird, heißt es Midwood. Und vielleicht auf die gesamte Stadt, die hier östlich vom Mississippi liegt, ein Stück weit unterhalb der Mason-Dixon-Linie.

»… eine ganze Weile hier bleiben müssen.«

4

Die beiden unterhalten sich noch etwas. Nick erklärt Billy, dass der Ort feststeht, womit er die Stelle meint, von der aus Billy schießen wird. Billy müsse keine endgültige Entscheidung treffen, bevor er den Ort gesehen und mehr darüber erfahren habe. Dafür ist Ken Hoff zuständig. Der Typ aus der Stadt. Der hätte derzeit jedoch dringende Angelegenheiten auswärts zu erledigen.

»Weiß der denn, was ich benutze?« Das bedeutet zwar noch nicht, dass er zugestimmt hätte, aber es ist ein großer Schritt in die Richtung. Zwei Millionen dafür, dass man hauptsächlich rumsitzt, um irgendwann mal einen Schuss abzugeben. Schwer, so ein Angebot abzulehnen.

Sein Gesprächspartner nickt.

»Okay, und wann treffe ich diesen Hoff?«

»Morgen. Er ruft dich heute Abend im Hotel an und sagt dir, wo und wann.«

»Wenn ich es mache, brauche ich irgendeinen offiziellen Grund, warum ich hier bin.«

»Ist schon geklärt, und es ist ein echter Hit. War ’ne Idee von Giorgio. Wir erklären es dir morgen Abend, nachdem du dich mit Hoff getroffen hast.« Nick steht auf und streckt Billy die Hand hin, der sie ergreift. Er schüttelt Nick nicht zum ersten Mal die Hand, was er nie gern tut, weil Nick ein übler Typ ist. Allerdings ist es schwer, ihn nicht auch ein bisschen zu mögen. Nick ist ebenfalls Profi, und sein Grinsen übt eine gewisse Wirkung aus.

5

Paulie Logan fährt ihn ins Hotel zurück. Paulie redet nicht viel. Er fragt Billy, ob er was dagegen habe, wenn das Radio laufe, und als Billy das verneint, stellt Paulie einen Softrock-Sender ein. Irgendwann bemerkt er: »Loggins and Messina, das sind die besten.« Abgesehen davon, dass er einen Kerl verflucht, der ihm an der Cedar Street die Vorfahrt nimmt, beschränkt sich seine Konversation darauf.

Billy ist das recht. Er denkt an alle Filme über Räuber, die einen letzten großen Coup planen. Wenn Noir ein Genre ist, dann ist »Der letzte Coup« ein Subgenre. In derartigen Filmen geht der letzte Coup immer daneben. Billy ist weder ein Räuber, noch arbeitet er mit einer Bande zusammen oder ist abergläubisch, aber die Sache mit dem letzten Coup setzt ihm trotzdem zu. Vielleicht weil der Lohn so hoch ist. Vielleicht weil er nicht weiß, wer das Ganze bezahlt und warum. Vielleicht ist es auch nur die Geschichte, die Nick darüber erzählt hat, wie jener Typ einmal einen fünfzehnjährigen Superschüler umgelegt hat.

»Bleibst du denn?«, fragt Paulie, als er den Wagen auf den Vorplatz des Hotels lenkt. »Und übrigens, wegen diesem Hoff, der dir das benötigte Werkzeug besorgen soll. Hätte ich auch tun können, aber Nick hat abgelehnt.«

Ob er dableibt? »Keine Ahnung. Vielleicht.« Beim Aussteigen zögert er kurz. »Wahrscheinlich.«

6

Auf dem Zimmer fährt Billy seinen Laptop hoch. Er ändert den Zeitstempel und überprüft das VPN, weil Hacker Hotels lieben. Er könnte zwar auf Google nach Gerichtsanhörungen in Los Angeles suchen, Auslieferungsanträge dürften öffentlich zugänglich sein, aber es gibt einfachere Methoden, an das zu kommen, was er erfahren will. Und er will es erfahren. Ronald Reagan hatte nicht ganz unrecht, ständig den russischen Spruch zu zitieren, Vertrauen sei gut, Kontrolle besser.

Billy ruft die Website der L.A. Times auf und bezahlt für ein sechsmonatiges Abo. Dazu verwendet er eine Kreditkarte, die einer fiktiven Person namens Thomas Hardy gehört. Hardy ist Billys Lieblingsautor, jedenfalls was den literarischen Naturalismus angeht. Sobald er sich eingeloggt hat, suchte er nach feministische Autorin und fügt versuchte Vergewaltigung hinzu. Er findet ein halbes Dutzend Artikel, jeder jeweils kürzer als der vorhergehende. Vorhanden ist außerdem ein Foto der feministischen Autorin, die ausgesprochen attraktiv wirkt und viel vorzuzeigen hat. Die mutmaßliche Körperverletzung hat vor dem Hotel Beverly Hills stattgefunden. Bei dem mutmaßlichen Täter wurden mehrere Ausweise und Kreditkarten entdeckt. Laut den Artikeln ist sein echter Name Joel Randolph Allen. In Massachusetts ist er 2012 einer Anklage wegen Vergewaltigung entgangen.

Joe ist also fast der richtige Name, denkt Billy.

Als Nächstes geht er auf die Website der Lokalzeitung von Red Bluff, setzt zur Überwindung von deren Bezahlschranke wieder Thomas Hardy ein und sucht nach Mordopfer Pokerspiel.

Der einschlägige Artikel ist vorhanden, und die abgebildete Aufnahme der Überwachungskamera reicht zur Überführung des Täters bestens aus. Eine Stunde früher wäre es zum Erkennen des Gesichts draußen noch zu dunkel gewesen, aber der Zeitstempel am unteren Bildrand gibt 05:18 an. Die Sonne ist noch nicht richtig aufgegangen, wird das jedoch bald tun, und das Gesicht des Mannes, der im Durchgang steht, ist so klar, wie man sich das als Staatsanwalt nur wünschen kann. Mit einer Hand in der Hosentasche wartet er vor einer Tür mit der Aufschrift LADEZONENICHTBLOCKIEREN, und wenn Billy Mitglied des Geschworenengerichts wäre, würde er wahrscheinlich allein deshalb für die Nadel votieren. Weil Billy Summers Experte für vorsätzliche Taten ist, und genau solch eine hat er hier vor der Nase.

Im jüngsten Artikel steht, dass Joel Allen aufgrund anderer Vorwürfe in Los Angeles festgenommen worden sei.

Billy geht von Nicks Einschätzung aus, er würde alles, was man ihm erzählt, für bare Münze nehmen. Wie alle anderen, für die Billy in all den Jahren seiner Tätigkeit gearbeitet hat, glaubt Nick, abgesehen von seinen fantastischen Fähigkeiten als Scharfschütze sei Billy etwas schwerfällig, wenn nicht gar autistisch veranlagt. Nick nimmt ihm den Einfältigen ab, weil er sich große Mühe gibt, es nicht zu übertreiben. Kein offen stehender Mund, kein glasiger Blick, keine direkte Dämlichkeit. Ein Comic wie der mit Archie wirkt Wunder. Den Roman von Zola, den er gerade liest, hat er tief im Reisekoffer vergraben. Und wenn jemand den Koffer durchsuchen und das Buch entdecken würde? Dann würde Billy sagen, er habe es auf dem Flug in dem Netz hinter dem Vordersitz entdeckt und mitgenommen, weil ihm das Mädchen auf dem Umschlag gefallen habe.

Er überlegt, nach dem fünfzehnjährigen Superschüler zu suchen, aber dazu reicht die Information nicht. Womöglich googelt er da den ganzen Nachmittag, ohne was zu finden, und falls doch, könnte er sich nicht darauf verlassen, den richtigen Schüler gefunden zu haben. Es reicht, dass die restliche Geschichte, die Nick erzählt hat, nachweislich stimmt.

Billy bestellt sich ein Sandwich und ein Kännchen Tee aufs Zimmer. Er setzt sich damit ans Fenster, um beim Essen weiter in Thérèse Raquin zu lesen. Für ihn ist das Buch so, als hätte man einen Roman von James M. Cain mit einem EC-Horrorcomic aus den Fünfzigern gekreuzt. Nach seinem späten Mittagessen legt er sich aufs Bett, schiebt die Hände hinter dem Kopf unters Kissen und spürt die Kühle, die sich dort verbirgt. Und die wie Jugend und Schönheit nicht lange Bestand hat. Er wird sich anhören, was dieser Ken Hoff zu sagen hat, und wenn ihm auch das einleuchtet, wird er den Auftrag wohl annehmen. Das Warten wird ihm schwerfallen, das hat er noch nie gut gekonnt (einmal hat er es mit Zen-Meditation versucht, ohne Erfolg), aber für zwei Millionen Dollar kann er durchaus eine Weile warten.

Billy schließt die Augen und schläft ein.

Um sieben Uhr abends bestellt er sich wieder Essen aufs Zimmer, und während er es verzehrt, sieht er sich auf seinem Laptop Asphalt-Dschungel an. Das ist eindeutig ein verhexter Letzter-Coup-Film. Das Telefon läutet. Es ist Ken Hoff, der Billy erklärt, wo sie sich am morgigen Nachmittag treffen werden. Das muss Billy sich nicht notieren. Er hat ein gutes Gedächtnis. Notizen können gefährlich sein.

Kapitel 2

1

Wie die meisten männlichen Filmstars – ganz zu schweigen von den diesen Filmstars Nacheifernden, denen Billy auf der Straße begegnet – trägt Ken Hoff einen Dreitagebart. Bei Hoff hat das eher einen ungünstigen Effekt, so rothaarig wie er ist. Anstatt raubeinig und tough zu wirken, sieht das Ganze nach einem üblen Sonnenbrand aus.

Die beiden sitzen an einem von einem Sonnenschirm geschützten Tisch vor dem Sunspot Café an der Ecke Main und Court Street. Unter der Woche ist hier wahrscheinlich allerhand los, aber an diesem Samstagnachmittag sitzt drinnen praktisch niemand, und die paar Tische draußen haben die beiden ganz für sich.

Hoff ist etwa fünfzig oder jemand um die fünfundvierzig, der nichts ausgelassen hat. Er trinkt ein Glas Wein. Vor Billy steht eine Cola light. Weil Nicks Stützpunkt in Vegas liegt, ist nicht anzunehmen, dass Hoff zu seiner Mannschaft gehört. Aber Nick hat seine Finger in vielen Dingen drin, eben nicht nur drüben im Westen. Entweder besteht also irgendeine direkte Verbindung zwischen Nick Majarian und Ken Hoff, oder Hoff arbeitet für den Kerl, der für den Auftrag zahlt. Vorausgesetzt, Billy nimmt den Auftrag an.

»Das Gebäude da auf der anderen Straßenseite gehört mir«, sagt Hoff. »Nur zweiundzwanzig Stockwerke, aber das reicht aus, es zum zweithöchsten in Red Bluff zu machen. Bald ist es allerdings nur noch das dritthöchste, wenn das Higgins Center fertig ist. Das soll dreißig Stockwerke bekommen. Und ein Einkaufszentrum. Daran bin ich auch beteiligt, aber das da drüben ist ganz allein mein Baby. Man hat Trump ausgelacht, als er gesagt hat, dass er die Wirtschaft wieder in Gang bringt, aber es klappt. Es klappt wirklich.«

Billy hat keinerlei Interesse an Trump und dessen Wirtschaftspolitik, aber das Gebäude studiert er mit professionellem Interesse. Er ist sich ziemlich sicher, dass er sich dort postieren soll. Es trägt den Namen Gerard Tower. Nach Billys Meinung ist es leicht überzogen, einen Bau mit lediglich zweiundzwanzig Stockwerken als Turm zu bezeichnen, aber in dieser Stadt mit ihren relativ kleinen, meist heruntergekommenen Backsteinbauten wirkt es wahrscheinlich so. Auf dem perfekt gepflegten und gewässerten Rasen davor steht ein Schild: BÜRORÄUMEUNDLUXUSWOHNUNGENWIEDERVERFÜGBAR. Darunter eine Telefonnummer. Das Schild macht den Eindruck, als würde es schon eine ganze Weile dort stehen.

»Hat sich bisher nicht so gefüllt, wie ich erwartet hatte«, sagt Hoff. »Klar, die Wirtschaft brummt, die Leute machen Geld wie Heu, und 2020 wird noch besser, aber Sie würden sich wundern, wie viel davon mit dem Internet zu tun hat, Billy. Ist es in Ordnung, wenn ich Sie Billy nenne?«

»Klar.«

»Kurz und gut, dieses Jahr bin ich ein bisschen knapp bei Kasse. Hab Liquiditätsprobleme, seit ich mich bei WWE eingekauft habe, aber das waren gleich drei Standorte, da konnte ich einfach nicht nein sagen, oder?« Billy hat keine Ahnung, worum es geht. Eventuell um Wrestling? Oder um die Monstertruck-Show, für die im Fernsehen ständig Werbung läuft? Da Hoff eindeutig der Ansicht ist, dass Billy Bescheid wissen sollte, nickte er, als wäre das der Fall.

»Die alteingesessenen Geldsäcke hier in der Stadt meinen, ich hätte mich verspekuliert, aber man muss doch auf die Wirtschaft setzen, oder? Das Eisen schmieden, solange es heiß ist. Und man braucht Geld, um Geld zu machen, oder etwa nicht?«

»Klar doch.«

»Also tu ich, was zu tun ist. Dazu gehört, dass ich meine Chancen erkenne, und das hier ist ein guter Deal für mich. Etwas riskant zwar, aber ich brauche das zur Überbrückung. Außerdem hat Nick mir versichert, dass Sie dichthalten, wenn Sie erwischt werden sollten. Ich weiß schon, dass es nicht dazu kommen wird, aber falls doch.«

»Ja, das würde ich.« Billy ist noch nie erwischt worden und will es auch diesmal nicht dazu kommen lassen.

»Das ist so ein Ehrenkodex, stimmt’s?«

»Stimmt.« Billy hat den Eindruck, dass Ken Hoff zu viele Filme gesehen hat, von denen manche wohl zum Subgenre vom letzten Coup gehören. Wenn der Mann doch endlich zur Sache kommen würde! Es ist heiß hier draußen, selbst unter dem Sonnenschirm. Und schwül dazu. Wetter wie in der Sauna, denkt Billy, und die mag er nicht.

»Ich hab eine nette Ecksuite im vierten Stock für Sie reserviert«, sagt Hoff. »Drei Zimmer. Büro, Empfang, Teeküche. Eine Teeküche, na, wie hört sich das an? Da halten Sie durch, egal wie lange es dauert. Gemütlich wie bei Muttern ist es da. Ich zeige jetzt lieber nicht drauf, aber Sie können ja sicher bis vier zählen, oder?«

Klar, denkt Billy, ich kann sogar gleichzeitig spazieren gehen und Kaugummi kauen.

Das Gebäude hat einen quadratischen Grundriss und ist ein stinknormaler Kasten mit Fenstern, weshalb man im vierten Stock zwei Ecksuiten sieht, aber Billy weiß, welche Hoff meint – die an der linken Seite. Von deren Fenster aus zieht er eine Diagonale die Court Street entlang, die nur zwei Häuserblocks umfasst. Diese Diagonale, die Schusslinie, wenn er den Auftrag übernimmt, endet am Gerichtsgebäude, einem breiten, grauen Granitbau. Von der Straße aus führt eine Treppe mit mindestens zwanzig Stufen zu einem Vorplatz, in dessen Mitte Justitia mit ihrer Augenbinde und der Waage in der Hand steht. Zu den vielen Dingen, über die Billy nie mit Ken Hoff sprechen wird, gehört die Tatsache, dass Justitia ursprünglich eine römische Göttin ist, die mehr oder weniger von Kaiser Augustus erfunden wurde.

Billy richtet den Blick wieder auf die Ecksuite und berechnet erneut die Diagonale. Vom Fenster bis zur Treppe sind es seiner Schätzung nach knapp fünfhundert Meter. Das ist ein Schuss, zu dem er selbst bei starkem Wind fähig ist. Mit dem richtigen Werkzeug natürlich.

»Was haben Sie denn für mich besorgt, Mr. Hoff?«

»Hä?« Einen Moment lang ist der Einfältige in Hoff selbst bestens sichtbar. Billy krümmt mehrmals den rechten Zeigefinger. Was eine Lockgeste sein könnte, in diesem Fall jedoch nicht ist.

»Ach ja! Klar! Sie meinen das, was Sie haben wollten, ja?« Hoff blickt sich um, ohne dass da jemand zu sehen wäre, senkt aber trotzdem die Stimme. »Eine Remington 700.«

»Das M24.« So die korrekte Bezeichnung bei der Army.

»M wie?« Hoff greift in die Gesäßtasche, zieht seine Brieftasche heraus und blättert darin. Er nimmt einen Zettel heraus und sieht ihn sich an. »M24, stimmt.«

Er will den Zettel wieder in die Brieftasche stecken, aber Billy streckt die Hand aus.

Hoff überlässt ihm den Zettel, den Billy daraufhin selbst in die Tasche schiebt. Später, noch vor dem anstehenden Besuch bei Nick, wird er den Zettel in seinem Hotelzimmer die Toilette runterspülen. So was notiert man sich nicht. Hoffentlich entpuppt dieser Hoff sich nicht als Problem.

»Optik?«

»Hä?«

»Das Zielfernrohr.«

Hoff blickt betreten drein. »Das, was Sie angefordert haben.«

»Haben Sie sich das etwa auch aufgeschrieben?«

»Auf dem Zettel, den ich Ihnen gerade gegeben habe.«

»Okay.«

»Ich hab das, äh, Werkzeug in einem …«

»Ich muss nicht wissen, wo es ist. Hab noch nicht mal entschieden, ob ich den Auftrag annehme.« Was nicht stimmt. »Gibt es in dem Gebäude da Objektschutz?« Eine weitere Frage eines Einfältigen.

»Ja. Natürlich.«

»Wenn ich den Auftrag übernehm, ist es meine Sache, das Werkzeug in den vierten Stock zu schaffen. Sind wir uns da einig, Mr. Hoff?«

»Ja, klar.« Hoff wirkt erleichtert.

»Dann sind wir hier wohl so weit fertig.« Billy erhebt sich und streckt Hoff die Hand hin. »Hat mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen.« Hat es nicht. Billy weiß nicht recht, ob er dem Kerl trauen kann, und er hasst diesen dämlichen Dreitagebart. Welche Frau hätte wohl Lust, einen von roten Stoppeln umgebenen Mund zu küssen?

Hoff schüttelt die Hand. »Ganz meinerseits, Billy. Übrigens stecke ich nur vorübergehend in der Klemme. Haben Sie mal Der Heros in tausend Gestalten gelesen?«

Das hat Billy, schüttelt aber den Kopf.

»Sollten Sie sich mal zu Gemüte führen. Den literarischen Kram hab ich überflogen, um gleich zum Wesentlichen zu kommen. Direkt zur Sache, das ist meine Devise. Auf den Bullshit kann ich verzichten. Wie der Typ heißt, der es geschrieben hat, weiß ich nicht mehr, aber er sagt, dass jeder eine Zeit der Prüfungen durchlaufen muss, bevor er zum Helden wird. Für mich ist das jetzt so eine Zeit.«

Indem du einem Killer ein Scharfschützengewehr und einen Hochsitz lieferst, denkt Billy. Ob Joseph Campbell das als heldenhaft bezeichnen würde, ist fraglich.

»Dann hoffe ich nur, dass Sie die bestehen«, sagt er.

2

Wenn er hierbleibt, wird Billy sich wohl irgendwann einen Wagen besorgen, aber vorläufig kennt er sich noch nicht aus und ist gern bereit, sich von Paulie Logan vom Hotel zu dem Haus fahren zu lassen, das Nick momentan angeblich hütet. Es handelt sich um genau die protzige Villa, wie Billy sie sich vorgestellt hat, eine wild zusammengestückelte Horrorshow auf einem geschätzten Hektar Rasenfläche. Paulie berührt mit dem Daumen einen Sender an der Sonnenblende, woraufhin sich das Tor zu der langen, geschwungenen Einfahrt automatisch öffnet. Tatsächlich steht da eine Putte, die unaufhörlich in ein Wasserbecken pinkelt, dazu zwei weitere Statuen (römischer Soldat, barbusige Maid), von Strahlern beleuchtet, da die Dämmerung angebrochen ist. Die Villa ist ebenfalls beleuchtet, um ihre kläglichen Exzesse besser zur Geltung zu bringen. In Billys Augen sieht sie wie das uneheliche Kind eines Supermarkts und einer Megakirche aus. Das ist kein Haus, sondern das architektonische Gegenstück einer roten Golfhose.

Frank Macintosh (alias Frankie Elvis) steht als Empfang auf der endlosen Veranda. Dunkler Anzug, nüchterne blaue Krawatte. Wenn man ihn so betrachtet, würde man nie darauf kommen, dass er seine Laufbahn damit begonnen hat, für einen Kredithai Knochen zu brechen. Natürlich ist das lange her und war, bevor er die Leiter hochgeklettert ist. Jetzt kommt er mit ausgestreckter Hand die Verandastufen halb herab wie der Herr des Hauses. Oder der Herr des Butlers.

Nick wartet wieder im Flur, der diesmal wesentlich beeindruckender ist als jener im schlichten gelben Haus in Midwood. Nick mag korpulent sein, aber der Mann neben ihm ist ein wahrer Koloss mit bestimmt um die drei Zentner Lebendgewicht. Das ist Giorgio Piglielli, den Nicks Truppe in Las Vegas hinter der Hand natürlich Georgie Pigs nennt. Wenn man Nick als CEO bezeichnen würde, dann ist Giorgio sein leitender Geschäftsführer. Dass sich beide hier so weit von ihrem Stützpunkt entfernt befinden, weist darauf hin, dass die von Nick so bezeichnete Maklergebühr sehr hoch sein muss. Billy hat man zwei Millionen versprochen. Wie viel hat man den beiden da versprochen oder schon bezahlt? Da macht sich jemand große Sorgen wegen Joel Allen. Jemand, der wahrscheinlich eine Villa wie die hier oder eine noch hässlichere besitzt. Kaum zu glauben, dass so etwas möglich wäre, aber nun mal nicht unwahrscheinlich.

Nick schlägt Billy auf die Schulter und sagt: »Du denkst wahrscheinlich, dass der Fettsack da Giorgio Piglielli ist.«

»Jedenfalls sieht er danach aus«, sagt Billy vorsichtig, woraufhin Giorgio ein Glucksen von sich gibt, das genauso feist ist wie er.

Nick wiegt den Kopf. Er trägt wieder sein gewinnendes Grinsen im Gesicht. »Das ist natürlich klar, aber in Wirklichkeit ist das George Russo. Dein Agent.«

»Mein Agent? Wie jemand von ’ner Versicherung?«

»Nein, nicht die Sorte.« Nick lacht. »Komm mit ins Wohnzimmer. Wir trinken was, und Giorgio erklärt dir alles. Wie gestern schon gesagt, ist es ein echter Hit.«

3

Das Wohnzimmer ist so lang wie ein Eisenbahnwaggon. Es ist mit drei Kronleuchtern ausgestattet, zwei kleinen und einem großen. Die niedrigen Möbel sind barock geschwungen. Zwei weitere Putten tragen einen bis zur Decke reichenden Spiegel. Außerdem ist eine Standuhr vorhanden, die sich für ihre Anwesenheit zu schämen scheint.

Frank Macintosh, der zum Butler mutierte Knochenbrecher, bringt ein Tablett mit Getränken: Bier für Billy und Nick, ein dem Anschein nach mit Malzkakao gefülltes Glas für Giorgio, der vermutlich entschlossen ist, so viele Kalorien wie irgend möglich zu sich zu nehmen, bevor er mit fünfzig das Zeitliche segnet. Er wählt den einzigen Sessel, in den er hineinpasst. Billy fragt sich, ob er es wohl ohne Hilfe wieder herausschafft.

Nick hebt sein Bierglas. »Auf uns! Mögen wir Geschäfte machen, die uns Glück und Zufriedenheit bringen.«

Darauf trinken sie, dann sagt Giorgio: »Nick meint, du bist an dem Auftrag interessiert, hast dich aber nicht endgültig entschieden. Bist sozusagen noch in der Sondierungsphase.«

»Das stimmt«, sagt Billy.

»Gut, aber tun wir zum Zweck unseres Gesprächs mal so, als ob du zum Team gehörst.« Giorgio saugt an dem im Kakao steckenden Strohhalm. »Mann, schmeckt das gut! Genau das Richtige an einem warmen Abend.« Er greift in die Tasche – sein Jackett hat genügend Stoff, dass man damit Klamotten für ein ganzes Waisenhaus schneidern könnte –, zieht eine Brieftasche hervor und streckt sie Billy hin.

Billy nimmt sie entgegen. Sie ist von Lord Buxton. Hübsch, aber nicht modisch. Und sie ist leicht gealtert, hat ein paar Schrammen und Kerben im Leder.

»Schau dir an, was drin ist. Schließlich bist du es, der in diesem gottverlassenen Kaff rumhocken muss.«

Billy gehorcht. Im Scheinfach stecken etwa siebzig Dollar. Außerdem findet er mehrere Fotos, hauptsächlich von Männern und Frauen, mit denen er befreundet sein könnte. Nichts, was darauf hinweisen würde, dass er Frau und Kinder hat.

»Ich wollte dich mit Photoshop in eins reinkopieren, wie du am Grand Canyon stehst oder so«, sagt Giorgio. »Aber irgendwie hat niemand ein Bild von dir, Billy.«

»Fotos können Probleme machen.«

»Die meisten Leute tragen sowieso keine Bilder von sich selbst in der Brieftasche herum«, sagt Nick. »Hab ich Giorgio schon verklickert.«

Billy untersucht weiter die Brieftasche; er liest sie wie ein Buch. Wie Thérèse Raquin, das er beim Abendessen in seinem Hotelzimmer beendet hat. Wenn er tatsächlich hier bleibt, wird sein Name David Lockridge lauten. Er hat eine Kreditkarte von Visa und eine von Mastercard, jeweils ausgestellt von der Seacoast Bank in Portsmouth.

»Was ist das Limit auf den Karten?«, fragt er Giorgio.

»Fünfhundert auf der Master, tausend auf der Visa. Du hast ein bestimmtes Budget. Wenn es mit deinem Buch so läuft, wie wir hoffen, könnte sich das natürlich ändern.«

Billy starrt erst Giorgio und dann Nick an. Er fragt sich, ob das eine Falle ist. Ob die beiden den Einfältigen durchschaut haben.

»Er ist dein Literaturagent!« Das kreischt Nick beinah. »Ein echter Brüller, was?«

»Ich soll mich als Schriftsteller ausgeben? Echt jetzt, ich hab nicht mal die Highschool abgeschlossen. Hab meinen Abschluss in der Wüste gemacht, verdammt noch mal, und das war ein Geschenk von Uncle Sam, weil ich mich in Falludscha und Ramadi mit Minen und Mudschahedin rumgeschlagen hab. Das klappt nicht. Völlig irre das Ganze.«

»Von wegen, es ist genial«, sagt Nick. »Hör dir Giorgio erst mal fertig an, Billy. Oder soll ich dich von nun an Dave nennen?«

»Wenn das meine Tarnung sein soll, nennst du mich nie so!«

Das kommt der Wahrheit zu nahe, viel zu nahe. Aber wenigstens ist er ein begeisterter Leser. Und manchmal träumt er davon, etwas zu schreiben, obwohl er das noch nie wirklich versucht hat, einzelne Fetzen Prosa ausgenommen, die er aber immer vernichtet hat.

»Das funktioniert nie im Leben, Nick. Ich weiß, dass ihr schon alles eingefädelt habt …« Er hebt die Brieftasche in die Höhe. »… aber sorry, das geht wirklich nicht. Was soll ich denn sagen, wenn man mich fragt, was ich so schreibe?«

»Hör mir fünf Minuten zu«, sagt Giorgio. »Allerhöchstens zehn. Und wenn es dir dann immer noch nicht passt, gehen wir als Freunde auseinander.«

Das bezweifelt Billy, sagt jedoch, Giorgio solle loslegen.

Giorgio stellt das leere Kakaoglas auf den Tisch (wahrscheinlich Chippendale) neben seinem Sessel und rülpst. Aber als er seine ganze Aufmerksamkeit nun Billy zuwendet, kann der sehen, wer Georgie Pigs wirklich ist: jemand mit einem beweglichen, athletischen Verstand, vergraben in einer gewaltigen Fettmasse, die ihn in nicht allzu vielen Jahren umbringen wird. »Mir ist schon klar, wie das auf den ersten Blick aussieht, schließlich bist du so, wie du eben bist, aber funktionieren wird es trotzdem.«

Billy entspannt sich etwas. Die beiden glauben weiterhin das, was sie sehen. Zumindest in der Hinsicht ist er aus dem Schneider.

»Du wirst hier mindestens sechs Wochen, eventuell sogar bis zu sechs Monaten rumsitzen«, sagt Giorgio. »Hängt davon ab, wie lange es dauert, bis der Anwalt von dem Trottel sämtliche Möglichkeiten ausgeschöpft hat, gegen die Auslieferung vorzugehen. Oder bis er meint, er hat erreicht, dass die Mordanklage fallen gelassen wird. Daher wirst du nicht nur für den Job bezahlt, sondern auch für deine Zeit. Das kapierst du doch, oder?«

Billy nickt.

»Was bedeutet, dass du einen Grund dafür brauchst, dich hier in Red Bluff aufzuhalten. Das hier ist nämlich alles andere als ein beliebtes Urlaubsziel.«

»Stimmt«, sagt Nick und zieht ein Gesicht wie ein kleines Kind, dem man einen Teller Brokkoli vorgesetzt hat.

»Außerdem brauchst du einen Grund dafür, dich in dem Hochhaus gegenüber vom Gericht aufzuhalten. Du schreibst gerade an einem Buch, das ist der Grund.«

»Aber …«

Giorgio hebt seine wulstige Hand. »Du meinst, das wird nicht klappen, aber da bin ich anderer Meinung. Ich erkläre dir auch, wie.«

Billy blickt skeptisch drein, aber nachdem er die Furcht abgelegt hat, die beiden hätten vielleicht den gespielten Einfältigen durchschaut, ahnt er, worauf Giorgio hinauswill. Da könnten tatsächlich einige Möglichkeiten drin liegen.

»Ich habe gründlich recherchiert. Hab allerhand Zeitschriften für Autoren gelesen und massenhaft Zeug im Internet. Deine Tarnung sieht so aus: David Lockridge ist in Portsmouth in New Hampshire aufgewachsen. Wollte immer Schriftsteller werden, hat aber kaum die Highschool geschafft. Anschließend hat er auf dem Bau gearbeitet. Er hat weitergeschrieben, aber auch gern gefeiert. Hat viel getrunken. Ich hab erst überlegt, dir eine Scheidung anzudichten, dann aber gedacht, dass das wahrscheinlich zu kompliziert wird.«

Jedenfalls für jemand, der sich gut mit Waffen auskennt, aber mit praktisch nichts anderem, denkt Billy.

»Schließlich kommst du aber doch auf den Trichter, okay? In den Blogs, mit denen ich mich beschäftigt hab, ist oft davon die Rede, dass ein Schriftsteller plötzlich eine zündende Idee hat, und genauso ist es bei dir gelaufen. Du schreibst einen ziemlich langen Text, so etwa siebzig oder hundert Seiten …«

»Über was denn?« Billy genießt die Situation jetzt sogar, bemüht sich jedoch, sich das nicht anmerken zu lassen.

Giorgio tauscht einen Blick mit Nick, der nur die Achseln zuckt. »Das haben wir noch nicht entschieden, aber mir wird bestimmt was ein…«

»Wie wär’s mit meiner eigenen Geschichte? Mit der von Dave, meine ich. Wie nennt man so was noch mal?«

»Autobiografie«, stößt Nick hervor, als säße er in einem Fernsehquiz.

»Ja, könnte klappen«, sagt Giorgio. Seine Miene drückt aus: Nette Idee, Billy, aber überlass das lieber den Experten. »Vielleicht ist es auch ein Roman. Wichtig ist nur, dass dir dein Agent eingeschärft hat, kein Wort daraus zu verraten. Inhaltlich alles streng geheim. Dass du ein Buch schreibst, hältst du allerdings nicht geheim; alle, auf die du in dem Hochhaus triffst, werden mitbekommen, dass der Typ im vierten Stock an einem Buch schreibt, aber niemand weiß, wovon es handelt. Auf die Weise kommst du auch mit deinen verschiedenen Geschichten nicht durcheinander.«

Als würde ich das je, denkt Billy. »Wie ist David Lockridge von Portsmouth hierhergelangt? Und wie ist er im Gerard Tower gelandet?«

»Der Teil der Story gefällt mir am besten«, sagt Nick. Er ist zappelig wie ein Kind, das gleich seine liebste Gutenachtgeschichte zu hören bekommt, und Billy hat nicht den Eindruck, er würde etwas vortäuschen oder übertreiben. Nick ist total begeistert von dem Ganzen.

»Du hast im Internet nach Literaturagenten gesucht«, sagt Giorgio, zögert dann jedoch. »Mit dem Internet kennst du dich doch aus, oder?«

»Klar«, sagt Billy. Er ist sich ziemlich sicher, dass er sich damit besser auskennt als die beiden Dicken da vor ihm, aber auch das behält er für sich. »Ich schreibe E-Mails. Auf meinem Handy sind ein paar Spiele. Außerdem gibt’s Comixology. Das ist eine App für Comics. Da kann man welche runterladen. Dafür nehme ich aber meinen Laptop.«

»Okay, gut. Du suchst also nach Literaturagenten. Schickst welchen Mails, in denen steht, dass du an einem Buch arbeitest. Die meisten lehnen ab, weil sie sich an die Autoren halten, mit denen man auf jeden Fall Geld verdient, an Leute wie James Patterson und die Harry-Potter-Mieze. In einem Blog hab ich gelesen, das wäre eine echte Zwickmühle: Wer veröffentlicht werden will, braucht einen Agenten, aber bevor man was veröffentlicht hat, bekommt man keinen.«

»Im Filmgeschäft ist es dasselbe«, wirft Nick ein. »Man kennt zwar die großen Stars, aber in Wirklichkeit geht’s nur um die Agenten. Die haben die wahre Macht. Sie sagen den Stars, was die tun sollen, und daran halten die sich, das könnt ihr mir glauben.«

Giorgio wartet geduldig, bis Nick fertig ist, dann fährt er fort. »Endlich sagt ein Agent: Ja, okay, was soll’s, ich schaue mir das Buch mal an, schicken Sie mir doch die ersten paar Kapitel.«

»Der Agent bist du«, sagt Billy.

»Ich höchstpersönlich. George Russo. Ich lese den Text und bin sofort in ihn vernarrt. Dann zeige ich ihn ein paar Verlegern, die ich kenne …«

So ein Schwachsinn, denkt Billy, man zeigt sie ein paar Lektorinnen, die man kennt. Aber was soll’s.

»… und die sind ebenfalls begeistert, wollen aber keine große Summe zahlen, bevor das Buch abgeschlossen ist, schon gar keine siebenstellige. Weil du eine unbekannte Größe darstellst. Weißt du, was das bedeutet?«

Billy erliegt beinah der Versuchung zu sagen, dass er das natürlich weiß. Die Möglichkeiten sind ihm etwas zu Kopf gestiegen. Es könnte tatsächlich eine ausgezeichnete Tarnung sein, vor allem die Idee, er müsse sein Projekt absolut geheim halten. Außerdem dürfte es Spaß machen, etwas zu spielen, was er irgendwie immer schon sein wollte.

»Dass das Buch vielleicht doch nichts taugt?«

Nick lässt sein gewinnendes Grinsen aufblitzen. Giorgio nickt.

»So ungefähr. Etwas Zeit vergeht. Ich warte auf weitere Manuskriptseiten, aber Dave meldet sich nicht. Worauf ich noch eine Weile warte. Weiterhin nichts. Da fahre ich hoch in den Norden, um ihn zu besuchen, und was muss ich feststellen? Der Kerl macht Party, als wäre er schon so bekannt wie Hemingway. Wenn er nicht bei der Arbeit ist, sitzt er entweder mit seinen Kumpels in der Kneipe oder ist verkatert. Es gibt da nämlich einen Zusammenhang zwischen Talent und Drogen- oder Alkoholmissbrauch.«

»Ehrlich?«

»Ist wissenschaftlich erwiesen. Aber George Russo ist entschlossen, den Kerl zu retten, jedenfalls so lange, bis der sein Buch fertig geschrieben hat. Er überredet einen Verleger zu einem Vertrag und einem Vorschuss von sagen wir mal dreißig oder vielleicht sogar fünfzig Mille. Keine Riesensumme, aber auch keine Peanuts, und außerdem kann der Verleger das Geld zurückfordern, wenn er das Buch nicht bis zu einem bestimmten Termin erhält, den man als Abgabedatum bezeichnet. Aber jetzt kommt’s, Billy – der Scheck ist auf mich ausgestellt, nicht auf dich.«

Jetzt ist Billy alles klar, aber er lässt Giorgio einfach weiterfabulieren.

»Ich stelle dir bestimmte Bedingungen, in deinem eigenen Interesse. Du musst deine Heimat und all deine trinkfreudigen und Koks schnupfenden Kumpels verlassen. Musst irgendwohin, wo du weit weg von denen bist, in ein beschissenes Kaff, wo es nichts zu tun gibt und niemand, mit dem du über die Stränge schlagen könntest. Ich erkläre dir, dass ich für dich ein Haus anmieten werde.«

»Das, wo ich gestern war, stimmt’s?«

»Genau. Wichtiger noch, ich werde für dich zusätzlich ein Arbeitszimmer anmieten, in das du dich an jedem Wochentag begeben musst. Da sitzt du dann im Kämmerlein und tippst fleißig vor dich hin, bis dein streng geheimes Buch fertig ist. Wenn du diesen Bedingungen nicht zustimmst, ist deine einmalige Gelegenheit vorüber.«

Giorgio lehnt sich zurück. Der Sessel ist stabil, gibt jedoch trotzdem ein Ächzen von sich.

»Wenn du mir jetzt allerdings sagst, dass das Ganze eine schlechte Idee ist oder auch nur, dass es zwar eine gute ist, du so eine Rolle aber nicht glaubwürdig spielen kannst, brechen wir die ganze Chose ab.«

Nick hebt die Hand. »Bevor du was sagst, Billy, will ich noch etwas erklären, was zum Erfolg beitragen wird. Alle Leute auf deinem Stockwerk werden dich kennenlernen und allerhand andere Leute in dem Hochhaus da ebenfalls. Wie ich weiß, hast du ein weiteres Talent außer dem, dass du auf einen halben Kilometer eine Münze treffen kannst.«

Als ob ich das könnte, denkt Billy. Das könnte nicht mal jemand wie Chris Kyle.

»Du kommst mit anderen Leuten gut klar, ohne dich anzubiedern. Man lächelt, wenn man dich kommen sieht.« Und als hätte Billy widersprochen: »Das hab ich selbst beobachtet! Also, laut Hoff stellen sich jeden Tag mehrere Imbisswagen vor das Gebäude, und bei schönem Wetter stehen die Leute da Schlange und setzen sich dann zum Essen auf die Parkbänke. Da kannst du dich dazugesellen. Das heißt, deine Wartezeit muss nicht umsonst sein; du kannst sie dazu nutzen, akzeptiert zu werden. Sobald das Interesse daran abgeflaut ist, dass du an einem Buch schreibst, bist du ein ganz normaler Typ, der seine Arbeitszeit runterreißt und sich abends nach Midwood in sein Häuschen verzieht.«

Das kann Billy sich durchaus vorstellen.

»Wenn es also endlich zur Sache geht, bist du dann noch ein Fremder, den niemand kennt? Der Außenseiter, bei dem es sich um den Täter handeln muss? Ganz und gar nicht, schließlich bist du schon monatelang da, machst im Aufzug Smalltalk und schließt mit den Typen aus dem Inkassobüro im ersten Stock Wetten ab, wer für die Tacos zahlen muss.«

»Man wird rauskriegen, wo der Schuss hergekommen ist«, sagt Billy.

»Klar, aber nicht sofort. Weil alle zuerst Ausschau nach dem besagten Außenseiter halten werden. Und weil es ein Ablenkungsmanöver geben wird. Aber auch, weil du immer ein wahrer Houdini warst, wenn es darum ging, dich nach einem Hit in Luft aufzulösen. Wenn der Trubel sich legt, bist du längst über alle Berge.«

»Was ist das für ein Ablenkungsmanöver?«

»Darüber können wir uns später unterhalten«, sagt Nick, woraus Billy schließt, dass Nick wahrscheinlich noch gar nicht darüber nachgedacht hat. Wobei so etwas bei Nick immer schwer zu beurteilen ist. »Wir haben mehr als genug Zeit. Jetzt allerdings …« Er wendet sich Giorgio alias Georgie Pigs alias George Russo zu. Übernimm du wieder, drückt sein Blick aus.

Giorgio greift wieder in die riesige Jacketttasche und holt sein Handy hervor. »Okay, Billy. Sag mir deine Kontonummer bei deiner liebsten Offshorebank, dann überweise ich fünfhunderttausend drauf. Das dauert etwa vierzig Sekunden. Anderthalb Minuten, falls die Verbindung schlecht sein sollte. Dazu kommt noch ein anständiger Betrag bei einer Bank hier in der Stadt, damit du genügend Taschengeld hast.«

Billy hat den Eindruck, dass die beiden ihn zu einer schnellen Entscheidung drängen wollen. Einen Moment lang kommt ihm das Bild einer Kuh in den Sinn, die durch einen engen Gang ins Schlachthaus getrieben wird, aber vielleicht ist das nur Paranoia, weil die in Rede stehende Summe derart hoch ist. Vielleicht sollte der letzte Auftrag, den man übernimmt, nicht nur der lukrativste, sondern auch der interessanteste sein. Trotzdem würde er gern noch etwas erfahren.

»Wieso ist eigentlich Hoff dabei?«

»Weil dem das Hochhaus gehört«, antwortet Nick prompt.

»Okay, aber …« Billy legt die Stirn in Falten und zaubert einen Ausdruck angestrengter Konzentration in sein Gesicht. »Er hat gesagt, da sind eine Menge Flächen nicht vermietet.«

»Die Ecksuite auf der vierten Etage ist nun mal ideal«, sagt Nick. »Übrigens hat die dein Agent – unser lieber Georgie hier – gemietet. Das heißt, wir haben nichts damit zu tun.«

»Außerdem besorgt er die Waffe«, sagt Giorgio. »Falls er das nicht schon getan hat. Dadurch kann man uns auch damit nicht in Verbindung bringen.«

Das alles ist Billy bereits klar, schließlich hat Nick sich die größte Mühe gegeben, von Außenstehenden nicht mit ihm gesehen zu werden, nicht mal auf der Veranda des von einer Mauer umgebenen Anwesens hier. Dennoch ist er nicht ganz zufrieden. Weil er Hoff als Quasselstrippe empfunden hat, und so jemand will man lieber nicht in der Nähe haben, wenn man einen Mordanschlag plant.

4

Später am selben Abend. Bald ist Mitternacht. Billy liegt auf dem Hotelbett, hat die Hände unters Kissen geschoben und genießt die Kühle, die so flüchtig ist. Natürlich hat er zugesagt, und wenn man das gegenüber Nick Majarian tut, kommt ein Rückzieher nicht infrage. Jetzt ist er der Star seines eigenen letzten Coups.

Er hat sich die Fünfhunderttausend von Giorgio auf ein Konto in der Karibik überweisen lassen. Da liegt jetzt bereits eine anständige Geldsumme, und nachdem Joel Allen auf der Treppe zum Gerichtsgebäude gestorben ist, wird noch wesentlich mehr dazukommen. Genügend, dass er davon lange leben kann, sehr lange, wenn er umsichtig damit umgeht. Was er tun wird. Er hat keine teuren Vorlieben. Champagner und Escort-Agenturen waren nie sein Ding. Bei zwei weiteren Banken – hier vor Ort – stehen David Lockridge zusätzlich achtzehntausend Dollar zur Verfügung. Das ist eine Menge Taschengeld, aber auch nicht so viel, dass dadurch irgendwelche Warnsysteme der Aufsichtsbehörde ausgelöst werden.

Billy hatte noch ein paar zusätzliche Fragen gestellt. Am wichtigsten war ihm, wie viel Zeit zur Vorbereitung er voraussichtlich haben werde, bevor es richtig losgehe.

»Nicht besonders viel«, hat Nick gesagt. »Aber du wirst nicht erst eine Viertelstunde zuvor mitgeteilt bekommen, dass er kommt. Sobald die Auslieferung angeordnet wird, wissen wir Bescheid, und du bekommst einen Anruf oder eine Textnachricht. Danach wirst du allermindestens vierundzwanzig Stunden Zeit haben, wenn nicht gar drei Tage oder sogar eine ganze Woche. Okay?«

»Ja«, hat Billy gesagt. »Solange dir klar ist, dass ich nichts garantieren kann, wenn es doch nur eine Viertelstunde ist. Oder eine Stunde.«

»Wird nicht der Fall sein.«

»Was ist, wenn man ihn nicht über die Treppe ins Gericht bringt? Wenn man einen anderen Eingang nimmt?«

»Es gibt tatsächlich einen weiteren Eingang«, hat Giorgio gesagt. »Den nehmen manche, die dort arbeiten. Aber der ist von dem Ort, wo du dich befindest, ebenfalls einsehbar, und es sind höchstens fünfzig Meter mehr. Das würdest du doch schaffen, oder?«

Was er bestätigt hat. Woraufhin Nick die Hand gehoben hat, als wollte er eine lästige Fliege verscheuchen. »Die nehmen die Treppe, verlass dich drauf. Sonst noch was?«

Das hat Billy verneint, und jetzt liegt er da, denkt über alles nach und wartet aufs Einschlafen. Am Montag wird er in das kleine gelbe Haus einziehen, das sein Agent für ihn angemietet hat. Sein Literaturagent. Am Dienstag wird er dann die Bürosuite sehen, die Georgie Pigs ebenfalls für ihn gemietet hat. Als der ihn gefragt hat, womit er da seine Zeit verbringen wolle, hat Billy erklärt, zuerst werde er Comixology auf seinen Laptop runterladen. Und vielleicht ein paar Spiele.

»Du solltest aber auf jeden Fall nicht bloß Comics lesen, sondern auch was schreiben«, hat Giorgio gesagt, halb im Scherz und halb nicht. »Um dich in deine Rolle einzufinden. Du verstehst schon. Um sie mit Leben zu füllen.«

Vielleicht wird er das tun. Selbst wenn das, was er schreibt, nicht besonders gut sein sollte, kann er sich damit die Zeit vertreiben. Sein eigener Vorschlag war das mit der Autobiografie. Giorgio wiederum hat einen Roman vorgeschlagen, nicht weil er meint, Billy wäre helle genug, einen zu schreiben, sondern damit Billy das sagen könnte, wenn jemand fragt. Wozu es auf jeden Fall kommen wird. Wahrscheinlich werden viele danach fragen, sobald er die Leute im Gerard Tower kennenlernt.

Er ist schon am Einschlafen, als ein cooler Einfall ihn wieder aufweckt: Wieso sollte er die beiden Ideen nicht einfach kombinieren? Wie wäre es mit einem Roman, der eigentlich eine Autobiografie ist, verfasst jedoch nicht von dem Billy Summers, der Zola und Hardy liest und sich sogar einen Weg durch Unendlicher Spaß gebahnt hat, sondern von dem anderen Billy Summers? Von der Version von sich, die er als den Einfältigen bezeichnet. Ob das wohl klappen könnte? Durchaus, meint er, jenen anderen Billy kennt er nämlich genauso gut, wie er sich selbst kennt.

Ich könnte ja einen Versuch wagen, denkt er. Wieso auch nicht, wo ich doch derart viel Zeit zur Verfügung habe. Als er endlich einschläft, denkt er gerade darüber nach, wie der erste Satz aussehen könnte.

Kapitel 3

1

Billy Summers sitzt wieder in der Hotelhalle und wartet darauf, abgeholt zu werden.

Es ist Montagmittag. Neben seinem Sessel stehen sein Koffer und seine Laptoptasche, und er liest wieder ein Comicbuch, diesmal mit dem Titel Archie Comics Spectacular: Friends Forever. Heute denkt er nicht über Thérèse Raquin nach, sondern darüber, was er in seinem Arbeitszimmer im vierten Stock, das er noch nicht gesehen hat, schreiben könnte. So richtig klar ist ihm das nicht, aber er hat immerhin einen ersten Satz, und an dem hält er sich fest. Dieser Satz könnte zu weiteren Sätzen führen. Oder nicht. Er ist darauf vorbereitet, Erfolg zu haben, aber auch darauf, enttäuscht zu werden. So ist er eben, und bisher ist er ganz gut damit durchgekommen. Zumindest in dem Sinn, dass er nicht im Knast sitzt.

Um vier nach zwölf kommen Frank und Paulie durch die Tür. Sie tragen Anzug. Man schüttelt sich die Hand. Franks Schmalzlocke hat offenbar einen Ölwechsel hinter sich.

»Musst du noch auschecken?«

»Schon erledigt.«

»Na, dann los.«

Billy steckt das Archie-Buch in die Seitentasche und hebt den Koffer dann an.

»Nichts da«, sagt Frankie. »Überlass den Paulie. Der braucht etwas Bewegung.«