Bin ich schon alt - oder wird das wieder? - Josef Aldenhoff - E-Book

Bin ich schon alt - oder wird das wieder? E-Book

Josef Aldenhoff

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Beschreibung

Slow aging - wie wir gelassen älter werden

Nie wurden wir so jung alt. Und doch wird über keine Lebensphase so missmutig und ängstlich, gleichwohl verlogen beschönigend geschrieben wie über das, was wir Alter nennen. Josef Aldenhoff, erfahrener Psychiater und die 70 fest im Blick, räumt mit Larmoyanz genauso auf wie mit Schwarzmalerei. Dieses Buch gewinnt dem Leben ab 60 neue Aspekte ab – zwischen provokantem Realismus und wunderbaren Möglichkeiten. Aldenhoff schaut genau hin auf das, was das Leben 60plus für ihn und all die anderen Alternden bereithält – an Verlusten wie an Chancen. Dabei geht es genauso um Gewicht, Fitness von Körper und Geist wie um Neugier, Liebe und Lust auf Neues. Wer sich im Ruhestand zur Ruhe setzt, baut schnell ab; wer sich neue Unruhe zumutet, lebt auf.

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Zum Buch:

Nie hatte das Alter so viel Lebensqualität. Und doch wird über keine Lebensphase so missmutig und ängstlich vermeidend, gleichwohl verlogen beschönigend geschrieben wie über das, was wir Alter nennen. Josef Aldenhoff, erfahrener Psychiater und die 70 fest im Blick, räumt mit Larmoyanz genauso auf wie mit Schwarzmalerei. Dieses Buch gewinnt dem Leben ab 60 neue Aspekte ab – zwischen provokantem Realismus und wunderbaren Möglichkeiten. Aldenhoff schaut genau hin auf das, was das Leben 60plus für ihn und all die anderen Alternden bereithält – an Verlusten wie an Chancen. Dabei geht es genauso um Gewicht, Fitness von Körper und Geist wie um Neugier, Liebe und Lust auf Neues. Wer sich im Ruhestand zur Ruhe setzt, baut schnell ab; wer sich neue Unruhe zumutet, lebt auf.

Zum Autor:

Josef Aldenhoff ist Psychiater, Psychotherapeut und Neurobiologe. Nach verschiedenen Stationen in Deutschland und den USA wurde er 1995 als Professor und Klinikdirektor nach Kiel berufen. Heute arbeitet er als Therapeut, Autor und Berater. Seine Bücher »Bin ich psycho?« (2014) und »Ich und Du – warum?« (2016) erhielten hohes Lob in der Presse und sind Longseller.

JOSEF ALDENHOFF

BIN ICHSCHON ALT

ODER WIRD DAS WIEDER?

Älter werden für Ungeübte

C.Bertelsmann

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

© 2018 beim C. Bertelsmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Covergestaltung: Jorge Schmidt, München

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-21299-5V002

www.cbertelsmann.de

Inhalt

That’s Why

Alter ist Ihre Chance!

Respekt! Oder: Das Paradies ist nicht verloren!

Der alte Vogel fängt noch ganz schön dicke Würmer

Wie das Leben schmeckt – Ihre Chance!

Bin ich schon alt?

Unerschrocken dem Alter begegnen

Gesamtkunstwerk Mensch

Alter verändert Körper, Geist und Seele

Your Choice!

Individualität – ja, Sie!

Sie sind viele

Die Freiheit, die nur Sie meinen

Ihr Ruhestand: Jetzt sind Sie frei für Experimente

Ist Golfen gut fürs Alter?

Eine gute Struktur und genügend Schlaf

Der innere Schweinehund

Wir sind Bewegung

Tango statt Fango

Wiegen Sie sich nicht so oft!

Wie Sie gesund essen und auch Ihre subversive Seite füttern

Alkohol ist kein Grundnahrungsmittel

Rauchen sollten Sie bitte lassen!

Mit Haut und Haaren

Was kann der Dermatologe tun, damit die alte Haut schön bleibt?

Die Wir-Perspektive oder: gute Beziehungen, schlechte Beziehungen

Im Glück des Augenblicks

Vielleicht die beste Phase meines Lebens

Denkt es – oder denken Sie? Wofür Meditation gut ist

Jetzt oder nie!

Angekommen! – Altersweisheit

Wie wird es weitergehen?

AltersLasten – Darüber sollten wir reden!

Sorgt euch nicht – über den Umgang mit Risiken

Ärzte fürs Alter – eine Entscheidungshilfe

Der zweite Pfeil des Schmerzes

Alterskrankheiten

»Da kommt noch etwas Wichtiges«

Wer aktiv ist, bleibt fit

Noch vor dem Tod in die Hölle? – Pflege I

Vom Rollator zum Roboter – Pflege II

Ohne Furcht jeden Tag bereit sein zu gehen

Die Kränkung

Das ewige Leben – wie weit ist die moderne Molekularmedizin bei der Verwirklichung dieses alten Traums gekommen?

Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen

Der Brander trickst den Tod aus

Sie wollen nicht mehr leben?

ZEN oder: Jeder Moment ist Ewigkeit

Auf dass wir klug werden

Handeln in Achtsamkeit

Dank

Literaturempfehlungen

Anmerkungen

Register

Für alle, die sich an die Herausforderung Alter herantrauen – und natürlich für meine Kinder, denen ich ein langes Leben sowie ein erfülltes und spannendes Alter wünsche!

That’s Why!

So besonders habe ich mich nie für das Alter interessiert.

Aber eines Tages tauchte die Frage auf, die jetzt zum Titel dieses Buchs geworden ist: Irgendwie war ich plötzlich langsamer und schwächer als sonst. Nach einer Sportverletzung brauchte ich gefühlt Ewigkeiten, um mich wieder zu regenerieren. War es das jetzt? War das Alter gekommen, um das ich mich nie kümmern wollte? Wird es den Rest meines Lebens beherrschen? Ich bin ja immerhin siebzig. Früher war man damit ein Greis.

Das Thema war also bei mir angekommen. Ich entdeckte, dass »weniger werden« mit zunehmendem Alter zwar »passiert«, aber dass ich was dagegen tun kann. Erstaunt hat mich der irreführende Unsinn des Wortes »Ruhestand«: Wenn Lebensqualität im Alter erhalten bleiben oder mehr werden – ja, schon! – soll, dann geht das nur über Bewegung und Aktivität – mehr Bewegung, mehr Aktivität! Erfreulicherweise gilt das auch für das respektabelste Organ von allen, mein Gehirn und damit auch für meine geistigen Fähigkeiten.

Ein 70-Jähriger fragte neulich: »Habe ich noch Zukunft?« Ich bin überzeugt: Solange wir lernen wollen, solange wir offen sind, uns mit Neuem zu konfrontieren, Lust haben, etwas ganz anderes zu probieren, haben wir Zukunft. Mit dem Geburtsdatum hat das nichts zu tun. Auch Junge sollten dieses Buch lesen. Sie würden merken, dass das Alter ein Alleinstellungsmerkmal hat: Wir müssen nach niemandes Pfeife mehr tanzen. Diese Freiheit – warum gönnen wir uns die eigentlich erst im Alter? Das Glück im Hier und Jetzt ist alterslos. Und schenkt uns einen unerwarteten Zugang zu dem Thema, das wir so erfolgreich vermeiden, Sie wissen schon …

Ich habe viel gelesen, vor allem die »Bibel« aller am Alter Interessierten, den Bericht über »Die Berliner Altersstudie«, in dem Spitzenwissenschaftler eine tolle Studie an einer Gruppe alter und sehr alter – dass das nicht dasselbe ist, habe ich gelernt – Berliner Menschen beschreiben1. Vorurteile, die wir über das Alter pflegen, sind zum großen Teil falsch, aber im hohen Alter gibt es Alterslasten, auch bei denen, die aktiv geblieben sind und das Beste aus sich gemacht haben.

Meine aufregendste Entdeckung ist die Individualität: Auch wenn wir alle Menschen sind, ist keiner wie der andere, sind Sie nicht wie ich, jeder ist einzigartig, jede kann ihren eigenen Weg gehen und überraschende Inseln und Erdteile entdecken. Was mich schon lange bewegt: Wie kann ich, wie können wir uns die Individualität, unsere Entfaltungsmöglichkeiten und Begrenzungen, wie können wir Einzelnen unseren einzigartigen Weg gerade im Alter bewahren?

Wie wird dieses Experiment »Leben« ausgehen? Jetzt, im Alter? Und wie werden andere diese Frage beantworten?

That’s why!

Alter ist Ihre Chance!

Respekt! Oder: Das Paradies ist nicht verloren!

Ja, ich habe Respekt vor Ihnen, denn Sie haben das Buch mit diesem Wort auf dem Cover in die Hand genommen: »alt«! Und jetzt blättern Sie sogar darin. Sie haben Courage! Nicht umsonst hat Joachim Fuchsberger getitelt: »Alt werden ist nichts für Feiglinge«2

Viele sind lieber feige und vermeiden die Auseinandersetzung mit ihrem Alterungsprozess ein Leben lang. Ein Leben lang? Sie sind doch jetzt gerade erst alt – pardon! – älter geworden!

Naturwissenschaftlich gesehen stimmt das nicht. Wir altern fast seit Beginn unseres Lebens. Bei der Geburt haben wir ein Überangebot an Nervenzellen. Wenn wir anfangen, mit der Umwelt zu kommunizieren, und zwar vom ersten Tag an, werden Nervenzellen drastisch reduziert, das heißt, sie sterben ab. Bei Neugeborenen! Warum? Um dem Gehirn zu ermöglichen, sich zunächst effektiver um das Überleben zu kümmern. Zu viel ist nicht effektiv. Wenn Kleinkinder sich dann nach und nach ihre Welt erobern, gewinnt der Prozess eine neue Dimension: Es bilden sich aufgabenspezifische Netzwerke aus Nervenzellen, und Zellen, die nicht gebraucht werden, gehen unter.

In der Pubertät fluten die Hormone an – und ganze Netzwerke verschwinden oder werden neu strukturiert, vor allem solche, die mit unseren sozialen Fähigkeiten zu tun haben. Das merkt man am Sozialverhalten pubertierender Jugendlicher. Dieser Zustand hat übrigens einiges mit Ihrer heutigen Lebensphase zu tun, lediglich mit umgekehrten Vorzeichen.

Ihr Körper und Ihr Gehirn, damit auch Ihre geistig-seelischen Fähigkeiten, stellen sich also immer wieder um, und zwar in Abhängigkeit von den Herausforderungen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Nervenzellen verschwinden, können aber auch neu gebildet werden, wenn sie gebraucht werden.

Zum Beispiel, wenn Sie jonglieren lernen. Sie sind kein Clown? Würde vielleicht nichts schaden. Es gibt da eine interessante Studie:3 Hamburger Neurowissenschaftler haben verglichen, was im Gehirn von 20-Jährigen und von 65-Jährigen passiert, wenn sie etwas lernen. Und weil die Forscher sichergehen wollten, dass das zu Lernende für die Teilnehmer neu war, haben sie das Jonglieren ausgesucht. Das macht man ja eher nicht täglich.

Was kam raus? Die Jungen lernten wie zu erwarten schneller. Aber auch bei den 65-Jährigen kam es zu einer Neubildung von grauer Nervensubstanz, den Nervenzellen und den von ihnen gebildeten Vernetzungen. Alte Menschen können, wenn nötig, neue Nervensubstanz bilden, und zwar beträchtlich. Sie übrigens auch! Eine wesentliche Voraussetzung: Das Neue muss Sie interessieren, sonst funktionieren das Lernen und auch die Neubildung der Nervensubstanz nicht.

Was ich für das Nervensystem kurz skizziert habe, spielt sich im gesamten Körper ab – Ihr Leben lang. Ab- und Aufbau passieren in Abhängigkeit von dem, was wir tun.

Dabei hat jeder Lebensschwerpunkt seine optimale Phase: Das biologische Optimum fürs Kinderkriegen beginnt sicher vor 20 und geht vor 30 allmählich runter. Aber … Ja, klar! Sie haben mit 32 angefangen und mit fast 40 Ihre Jüngste bekommen, und eine Freundin war noch später dran. Was sagt uns das? Unser Organismus hat Phasen, in denen er etwas optimal kann, aber er ist auch zu anderen Zeiten in der Lage, sich hervorragend an die Funktionen anzupassen, die gerade anstehen. Nicht beliebig, mit über dreißig gewinnen Sie keine Goldmedaille im Sprint über 100 Meter mehr, aber auch das ist flexibel, denken Sie an Claudia Pechstein, die hat ihre letzte Goldmedaille mit 34 gewonnen. Und für Nicht-Olympiasieger wie für Sie und mich gilt das allemal: Sie können Ihre Fähigkeiten trainieren, und Sie können auch etwas Neues anfangen! Es wird länger dauern als mit 25, aber es geht.

Deshalb ist das Alter die spannendste und interessanteste Lebensphase überhaupt. Weil Sie wieder frei sind! Frei für neue Erfahrungen, frei, um Neues zu lernen, frei, Ihr Leben neu zu genießen.

Als ich das für mein eigenes Leben begriffen hatte, kam mir die Idee, dieses Buch zu schreiben: Weil ich erlebe, dass so viele ältere Menschen vor dieser auf sie zukommenden Lebensphase Angst haben, weil sie fürchten, dass sie voller Leid und Plackerei sei wird und grau obendrein. Grau ist die Farbe der Depression, auch so eine Heimsuchung des Alters. All das kann eintreten, sicher kennen Sie solche Beispiele. Aber auch mit sechzig und mehr Jahren tragen Sie das Potenzial in sich, mit solchen Herausforderungen fertig zu werden und aus Ihrem Alter Ihre aufregendste und ertragreichste Lebensphase zu machen.

Sie haben gute, vielleicht wunderbare Zeiten erlebt. Nur ist das schon eine Weile her. Heil war Ihr Leben in der Kindheit, Sie fühlten sich geborgen, und Ihre Zukunftserwartungen waren Träume, die aus dieser Geborgenheit erwuchsen. Auch wenn Ihre Kindheit nicht so toll war, blieben Ihnen die Träume vom Paradies. Wenn Ihnen Paradies ungewohnt klingt, wie wäre es mit gelobtes Land? Auch nicht so richtig? Träume passen ganz gut?

Im Leben, das auf die Kindheit folgte, haben Sie diese Träume allmählich vergessen. Schule, Studium, Beruf, Ihre Beziehungen – schon okay, aber oft hatten Sie das Gefühl: So richtig war das alles nicht. Die Idee vom Ausbrechen hat schnell wieder den vernünftigen Zwängen Platz gemacht.

Schließlich sind Ihnen Ihre Träume abhanden gekommen. Sie haben sich erwachsen verhalten und Abstriche gemacht, sind nicht Dirigent geworden, sondern haben nur heimlich die CD von der h-Moll-Messe dirigiert, oder die »Meistersinger«, wenn die Eröffnungsvorstellung aus Bayreuth übertragen wurde. Eine Liebste aus dieser Zeit meinte mal, dass Menschen, die zur Radiomusik dirigieren, wohl ziemlich beschränkt seien. Aus dieser Liebe ist nichts geworden, und heimlich dirigieren Sie immer noch, gerne auch Verdi. Ihr Entdeckerdrang allerdings endete im Robinson Club oder im Dschungelcamp.

Jetzt stehen Sie an der Schwelle zum Alter und fänden es besser, wenn es das noch nicht gewesen wäre.

Machen Sie sich auf! Suchen Sie nach Ihrem ganz persönlichen gelobten Land, zu dem nur Sie Zugang haben! Tasten Sie sich heran! Nicht jeder Schritt muss passen. In Ihrer jetzigen Lebensphase ist Optimierung endlich kein Thema mehr! Sie tun damit mehr für Ihr gutes Alter, als Sie vielleicht glauben.

Ich suche gerne mit.

Der alte Vogel fängt noch ganz schön dicke Würmer

Älter wurden Sie also schon Ihr ganzes Leben lang, ohne es zu bemerken. Aber kaum fühlen Sie sich alt, denken Sie ans Ende. Dass da noch was kommt, übersehen Sie aus Ihrer depressiven Tunnelperspektive.

Aber auch wenn Sie alt sind, werden Sie älter!

Zum Beispiel sind Sie mit 65 in den Ruhestand eingestiegen und haben jetzt die Chance, 80, durchaus auch 90 Jahre alt zu werden. Noch über 20 Jahre! Eine ganze Menge Zeit. Denken Sie mal zurück: Vor 20 Jahren waren die Kinder gerade in der Pubertät, Sie hatten die vorletzte Stufe der Karriereleiter erklommen, die Zeit war knapp, der Stress erheblich, und entsprechend kriselte es in Ihrer Ehe. Was ist alles in diesen zwanzig Jahren geschehen! Und diesen Zeitraum haben Sie jetzt wieder vor sich.

Alte Menschen sind häufig mehr mit sich im Reinen als Jüngere.

Es wird sich eine Menge ändern, in den nächsten zwanzig Jahren, jede Menge Herausforderungen warten. Aber wieso sollen ausgerechnet Sie nicht damit umgehen können? Menschen wachsen an ihren Herausforderungen. Herausforderungen haben aus Ihnen die Persönlichkeit gemacht, die Sie heute sind, und nur weil Sie älter werden, verlieren Sie Ihre Fähigkeit, mit Herausforderungen klar zu kommen, nicht. Lassen Sie sich nichts einreden! In uns Alten steckt mehr, als diese Spaßgesellschaft glauben will.

Trotzdem haben Sie Angst? Ja, schon: Alter ist nicht nur das Sonnendeck. Viele denken an Alter, Krankheit, Tod.

Krankheit: Nein, Sie werden nicht automatisch krank, wenn Sie älter werden. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass Sie krank werden könnten, nimmt zu. Und die Hundertjährigen müssen im Schnitt vier Krankheiten behandeln lassen, zum Beispiel ihre Arthrose4. Die arthrotischen Gelenke tun weh und nerven. Doch Sie können lernen, damit zurechtzukommen. Grauer und Grüner Star, Schwerhörigkeit, der Verlust der Zähne, die Demenz: Für all das gibt es zum Teil gute, zum anderen Teil gar keine Behandlungen. Aber auf alles können wir uns einstellen.

Schon klar: Die größte Herausforderung ist der Tod, das letzte Tabu. Nachdem die Sexualität auf die Funktion eines unverzichtbaren Fitnessattributs reduziert wurde, ist er übrig geblieben. Da wollen Sie nicht ran! Ich verstehe Sie. Ich bin selbst siebzig. Aber als Psychotherapeut blieb mir irgendwann nichts anderes übrig, als eine Grundwahrheit zu lernen: Vermeiden macht alles schlimmer.

Versuchen Sie, sich mit dem Tod vertraut zu machen. Es wäre doch nicht das einzige Tabu, dem Sie sich in Ihrem bisherigen Leben angenähert haben.

Ein schöner, überraschender Versuch ist das Buch Sophia, der Tod und ich, das es immerhin auf die SPIEGEL-Bestsellerliste geschafft hat5. Ich musste beim Lesen immer wieder lachen, obwohl in jeder Zeile klar ist, um was es geht. Tiefsinniger ist Wenn alle Katzen von der Welt verschwänden6. Danach ist es nicht mehr so schwer, an den Tod zu denken.

Wir wissen nicht, was nach dem Tod kommt, und das wird auch so bleiben. Am Tod scheitert die Wissenschaft. Aber tun Sie jetzt nicht so, als ob Sie Ihr ganzes bisheriges Leben nach wissenschaftlichen Kriterien ausgerichtet hätten. Bei der Annäherung verschwindet der Schrecken. Die beste Nachricht ist, dass Sie viel tun können, um gut zu sterben.

Wenn Sie mutig hinschauen, wie Fuchsberger vorgeschlagen hat, wenn Sie sich bewusst machen, dass Leben endlich ist, dann werden Sie begreifen: Heute ist es Zeit für »carpe diem«.

»Genießen ist gescheit«, sagt André Hellers Mutter7, mit 102! Genießen, in vollen Zügen wahrnehmen, sich nichts von dem entgehen lassen, was Sie wollen. Genießen statt zu malochen. Sie meinen: Genießen können doch nur die Jungen? Was für ein Irrtum! Zum Genießen brauchen Sie Erfahrung. Die haben Sie ja nun wirklich. Wie Bertolt Brecht schrieb:

»Seid nur nicht so faul und so verweicht,

denn genießen ist bei Gott nicht leicht,

starke Arme braucht man und Erfahrung auch,

und mitunter stört ein dicker Bauch.«8

BB bringt gleich noch eine zweite Information rüber: Genießen geht besser, wenn Sie sich dafür fit machen. Das wirft ein ganz anderes Licht auf das Thema Fitness, mit dem Sie sich eigentlich nun wirklich nicht konfrontieren wollten. Es spielt schon eine Rolle, wie Sie beieinander sind in den kommenden zwanzig Jahren. Zeit für Ihr persönliches »Fit für Genuß«-Programm!

Wie das Leben schmeckt – Ihre Chance!

Jetzt könnten Sie Ihr Leben so leben, wie Sie wollen. Endlich müssen Sie nicht mehr nach der Pfeife irgendwelcher anderer Menschen tanzen, Chefs, Partner – Sie können tun, was Sie mögen, sich mit dem beschäftigen, was Sie fasziniert, was Ihnen Spaß macht. Sie können noch einmal neu herausfinden, wie das Leben schmeckt. Und Sie haben den Vorteil, dass Sie schon ziemlich genau wissen, was Sie nicht wollen.

Gut leben können Sie jetzt.

Ihre Chance!

Vermasseln Sie es nicht! Denn ganz so einfach ist es nicht. Warum? Ihr bisheriges Leben war ja keine elektrische Eisenbahn, von irgendjemandem gesteuert, an dessen Stelle jetzt Sie mit dem Trafo spielen dürfen. Es setzte sich vielmehr aus Gewohnheiten, Automatismen und Routinen zusammen, die Ihnen zwar nicht so richtig bewusst waren, aber an denen Sie kräftig mitgewirkt haben.

Vom Wind der Freiheit umweht, denken Sie jetzt: »Na, dann mache ich das eben anders.« Versuchen Sie es mal! Sie werden feststellen, dass kaum etwas so schwer zu verändern ist wie Gewohnheiten. Denn auch wenn sie Ihnen lästig vorkommen, haben sie Ihr Leben stabilisiert, leichter gemacht. Ohne diese Stabilisatoren schwankt es wie auf dem wilden Ozean, und Sie müssen alle Sinne mobilisieren, um halbwegs vernünftig zu navigieren. Schadet nichts, dafür haben Sie Ihre Sinne! Die sind nur etwas ungeübt, weil sie längere Zeit wenig zum Einsatz kamen. Aber das ist ja das Wunderbare an unserem Organismus: Die Funktion folgt den Anforderungen. Ohne dieses robuste Prinzip gäbe es die Menschen nicht. Und Sie gibt es ja offensichtlich.

Wie kommen Sie nun an Ihre Gewohnheiten ran?

Behutsam, aber entschlossen. Gewohnheiten bestimmen Ihre Komfortzone, also den Bereich, in dem Sie sich wohl- und sicher fühlen. In der Komfortzone ist alles vertraut. Und sehr persönlich. Ihre Komfortzone gehört zu Ihnen.

Vielleicht ist es der Fernsehsessel. Meine Komfortzone ist das nicht, aber vielleicht Ihre: ein bequem verstellbarer, gut gepolsterter Sessel, leicht erreichbare Ablagefläche für Aschenbecher, Bierglas und eine komfortable Fernbedienung, um den hervorragenden Großbildschirm anzuwerfen. Okay.

Nein, ich habe gar nichts gegen Ihre selbst gewählte Regenerationszone, wenn Sie nach einem harten, meist mit Überstunden garnierten Arbeitstag nach Hause kamen und abschalten wollten, wenn Ihre Frau schon im Bett, bei der Nachbarin zum Prosecco, oder gar nicht vorhanden war.

Nur – jetzt, im Ruhestand? Wollen Sie aus einer Dreiviertelstunde Komfortsessel acht Stunden machen? Ehrlich gesagt ist das mit einem Leben, das diesen Namen verdient, nicht vereinbar.

Für andere ist das Bett diese Komfortzone. Schlafen hat Sie immer wunderbar regeneriert. Aber auch das können Sie nicht den ganzen Tag machen. Ja, leider, ist so.

Wenn Sie dem Gegenentwurf gefolgt sind und Ihr bester Ort das Fitnessstudio war, sind Sie schon etwas zukunftsträchtiger aufgestellt; aber wenn Sie nicht wie Sylvester Stallone aussehen wollen, können Sie dort nicht permanent trainieren.

Weiter kommen Sie, wenn Sie Ihr Leben ändern. Das Leben ändern? Nichts leichter als das – haha! Doch, schon: Sie werden zwar auch zukünftig nicht ohne Routinen und Gewohnheiten auskommen, aber welche das sind, sollten Sie neu definieren. Und dafür müssen Sie erst mal raus. Raus! Ändern Sie Ihren Horizont.

Machen Sie eine Reise. Nein, nicht so eine, bei der Sie Ihre Komfortzone auf einer der sehr beliebten Kreuzfahrten in die weite Welt mitnehmen, wo Sie Fernsehsessel, Bett, Fitnessstudio und noch einige andere Annehmlichkeiten all inclusive bekommen. Reisen Sie ins Unbekannte! In ein Land, in dem Sie noch nie waren. Wie Ihr Alter: Das ist auch ein Land, das Sie noch nie betreten haben und das Ihnen nicht vertraut ist. Gerne auch mit dem Rucksack! Da müssen Sie Ihr Gepäck reduzieren, eine neue und sehr heilsame Erfahrung. Fahren Sie in eine unbekannte Stadt, gehen Sie in die Cafés der Einheimischen, versuchen Sie, etwas von diesem anderen Leben mitzubekommen. Andere Sitten, andere Zeiten, anderes Essen – und vor allem: andere Erfahrungen. Ein paar Wochen. Wenn Ihnen das zu teuer erscheint, machen Sie es einfacher: Hostel statt Hotel? Finden Sie es raus! Andere Erfahrungen ermöglichen Ihrem danach geradezu hungerndem, aber bisher brachliegendem Nervensystem, sich auf seine Fähigkeiten zu besinnen, eben wenn Sie Neues erleben. Enriched environment nennen das die Neuro-Forscher. Diese Bereicherung hilft Ihnen, die alten Muster aus den Knochen zu schütteln und Ihr Leben auf neue Gleise zu stellen.

Diese Findungsphase für das neue Leben, die Eindrücke von Ihrer Reise nehmen Sie mit, und in der Auseinandersetzung mit dem, was Ihr veränderter Geist zu Hause vorfindet, basteln Sie sich das neue Leben.

Dafür brauchen Sie einen etwas längeren Atem. Besonders fruchtbar sind Momente der Leere: Stellen, an die eine der alten Gewohnheiten gut hinpassen würde. Machen Sie jetzt den nächsten Schritt nicht automatisch, lassen Sie ruhig eine Pause zu, ein Vakuum. Wie sollen Sie es füllen? Sie sollen gar nichts! Freiräume, Offenheit ziehen Neues an. Wenn Sie sich daran gewöhnen, Leere zu ertragen, können Sie merken, dass das eine ganz eigene Qualität hat. Es gibt Meditationen, in denen das Wesentliche zwischen den Atemzügen passiert.

Apropos Meditation: Sie müssen das wirklich nicht tun, aber glauben Sie mir. Meditation hilft ganz ungemein auf dem Weg zu sich selbst – 10 bis 20 Minuten täglich.

Frisch meditiert können Sie sich das Neue in Ihrem Leben anschauen, auch wenn es erst in Ihrem Kopf ist.

Auf ein paar Details sollten Sie aufpassen:

Was auch immer Sie neu machen, es sollte Sie interessieren (Erinnern Sie sich an das Experiment mit dem Jonglieren?): Klavier spielen, Sprachen lernen, rauf und runter, Zweit- oder Drittstudium, was immer Ihnen einfällt. Neue Sportarten, Golf? Ihr Interesse mobilisiert in Ihrem Gehirn die nötigen Reserven. Außerdem – warum sollten Sie jetzt noch etwas machen, was Sie nicht interessiert?Geben Sie sich einen Zeitraum zum ausprobieren. Schnuppern Sie in etwas Neues rein, ohne Leistungsdruck und mit dem einzigen Ziel, rauszufinden, ob es Ihnen gefällt und guttun könnte.Auf das Körperliche müssen Sie jetzt mehr Augenmerk richten als früher, obwohl Ihnen das auch schon seit einer ganzen Weile gut bekommen wäre: Wenn Sie Kraft, Koordination und Ausdauer nicht üben, bauen Sie ab. Es macht schon Sinn, in der Muckibude mehr Gewicht aufzulegen.Bei sich selber sollten Sie das Gegenteil tun. Da ist weniger Gewicht besser als mehr. Essen Sie gut, aber nicht viel, denn mit zunehmendem Alter bringt schon das Betrachten des Essens die Waage zum Entgleisen.Wenn Sie Alkohol trinken wollen, tun Sie es maßvoll und nicht regelmäßig, achten Sie auf Qualität.Rauchen kann ein netter Verstärker sein, der Ihnen schadet. Wie Sie schon tausend Mal hören und lesen konnten, macht es Ihre Gefäße kaputt und steigert die Wahrscheinlichkeit, an allen möglichen Krebsen zu sterben. Helmut Schmidt war eine sehr, sehr seltene Ausnahme. Jetzt ist spätestens der Zeitpunkt, an dem Sie entscheiden müssen, wie Sie es mit Ihren Zigaretten in Zukunft halten wollen; denn Sie verändern diese Ihre Zukunft mit jeder Zigarette zum Schlechten.Sex – klar! Es wird viel von »gutem Sex« geredet. Ist dabei nur Ihr Befinden gefragt, können Sie sich auch selbst befriedigen. Das hat durchaus seine Qualität. Wenn es Ihnen wirklich um Sexualität geht, brauchen Sie eine entsprechend aufregende Partnerin beziehungsweise einen aufregenden Partner. Vielleicht haben Sie die/den längst, und es ist Ihnen nur nicht aufgefallen? Neues Leben – neuer Blick! Oder Sie müssen vielleicht auch in diesem Bereich Ihr Leben noch mal ändern. Ja, kochen ist toll, und das aus verschiedenen Gründen: Sie lernen, was im Essen drin ist, was Ihnen schmeckt, was weniger, Sie können kontrollieren, was Sie zu sich nehmen. Sie lernen, wie das Leben schmeckt und – hoffentlich – zu genießen: Wie schmecken die Blätter der Kaffir-Limette oder Kreuzkümmel? Was macht den einzigartigen Geschmack eines Bio-Hühnchens aus? Kochbücher kaufen ist lustvoll, aber kochen Sie nicht nur nach fremden Rezepten, sondern fangen Sie irgendwann an, eigene Rezepte zu entwickeln.

Sie sehen, es ist eine aufregende Lebensphase, auf die Sie sich jetzt einlassen. Dennoch: Alt werden ist kein Angebot aus einem Freizeitpark oder aus einem Wellness-Center, auch wenn Wellness schon mal einen Platz in Ihrem Zeitplan haben könnte. Selbst wenn Sie viel für sich tun, körperlich und geistig in einem guten Zustand bleiben, werden Sie allmählich weniger. Ihr Leben verändert sich von der aktiven zur kontemplativen Seite: Anschauen, betrachten ersetzt das Machen.

Das ist Ihnen fremd? Bei aller intellektuellen Offenheit, auch gegenüber problematischen Themen, damit wollen Sie sich nun nicht beschäftigen? Einschränkungen hinnehmen ist ja so furchtbar.

Entschuldigen Sie, ich glaube, Sie machen einen Denkfehler. Denn Sie können heute nicht beurteilen, wie Sie sich später einmal, in einer ganz anderen Situation, verhalten werden; Sie können nicht einschätzen, wie sich das andere Leben anfühlt. Das finden Sie immer nur im Hier und Jetzt heraus. Oder wussten Sie als 10-Jähriger, wie sich der erste Sex mit 17 anfühlen würde, oder als 16-Jährige, wie es sein würde, mit zwei Kindern und in der Tretmühle eines nervigen Jobs zu leben?

Alfred Biolek, mit dem ich als überzeugter Nicht-Fernseher erst in Kontakt kam, als ich ein Interview mit dem 83-Jährigen las, antwortete auf die Frage, was er heute genieße:

»Es ist eigenartig. Obwohl ich fast alles, was mein Leben ausgemacht hat, nicht mehr machen kann, lebe ich immer noch gern. … Ein Blick aus dem Fenster auf den Park. Ich beobachte, wie sich die Jahreszeiten ablösen und die Natur sich verändert. Ich habe immer Blumen in der Wohnung …«

Und auf die Frage:

»Was für ein Verhältnis haben Sie zum Älterwerden?«, antwortete er:

»Ein entspanntes, es gibt ja keine Alternative.«9

Um mit diesem unausweichlichen Prozess zurecht zu kommen, ist ein entspanntes Verhältnis in der Tat die sinnvollste Haltung. Das hilft Ihnen auch bei den vielen neuen Dingen, die Sie lernen wollen.

Bin ich schon alt?

Chance hin, Chance her – Ihnen ist nicht geheuer, dass Sie alt werden?

Das wurde Ihnen in dem Moment klar, als Sie in den Spiegel schauten, als Sie die Treppe nicht so schnell hochkamen wie sonst, als Ihre Tochter plötzlich feststellte: Papa, du hast ja Altersflecken auf den Händen!

Und nun? Sie brauchen sich nicht zu genieren, denn Sie sind in guter Gesellschaft!

»Wenn es (das Alter) sich unseres eigenen Lebens bemächtigt, sind wir bestürzt.«10

Wenn die schon so scharfsinnige Simone de Beauvoir »bestürzt« schreibt und sich dabei ausdrücklich mit einschließt, dann kann Sie erst recht niemand zwingen, heiteren Sinnes in den Lebensabend hineinzuschreiten. Alter zu realisieren, ist irritierend.

Der Beginn ist nicht eindeutig. Beauvoir schreibt, dass sich das Alter unseres Lebens bemächtige. Das tut es natürlich nicht. Vielmehr können Sie irgendwann den Gedanken nicht mehr unterdrücken, weil sich die Hinweise mehren. Hinweise, die Sie wahrscheinlich längere Zeit verdrängt haben und von denen Sie nicht genau wussten, wie Sie sie einordnen sollten: dass Sie die anderen schlechter verstehen – die nuscheln ja immer so! –, dass die Beine steif sind, dass Sie Namen so schnell vergessen – sie kommen zwar wieder, aber nicht auf die erste Anforderung –, diese eine Alterswarze, bei deren Erscheinen Sie an schwarzen Hautkrebs dachten und so schnell, wie Ihnen unser Gesundheitssystem einen Termin gab, zum Hautarzt rannten, der nur gutmütig lachte: Es ist kein klarer Schnitt, es hängt auch kein Etikett dran, »ab jetzt Alter«, nein, es ist für lange Zeit ein Zwischenzustand: Sie werden älter.

Die Beauvoir hat es wohl selbst so erfahren, sonst könnte sie es kaum so präzise beschreiben:

»… alte Leute … nehmen den Standpunkt eines noch jungen Menschen ein, der es beunruhigend fände, wenn er schwerhörig oder weitsichtig wäre, wenn er gesundheitliche Beschwerden hätte oder rasch ermüdete.«11

Diese Beunruhigung begleitet Sie lange Zeit, ein inneres Hin und Her zwischen realisieren und nicht realisieren, das Sie quälen kann, wenn es zur inneren Unruhe wird, die ein häufiges Symptom der Depression ist.

Sie treibt die Frage um, ob es wieder wird. Genau davon handelt dieses Buch: Was können Sie tun, dass es wieder wird? Meine Antwort dazu ist glasklar: Nur wenn Sie etwas für sich tun, kann es wieder werden. Und wenn wir nun schon bei den härteren Wahrheiten sind: Sie müssen erhebliche Disziplin reinstecken! Einfach ein bisschen rummachen, hier mal ein bisschen Gymnastik, da mal eine Zigarette weniger – das wird Ihnen kaum etwas bringen.

Bereits das Wort Disziplin fanden Sie immer nervig; es genügte, so zu sein, wie Sie eben sind, und jetzt, ausgerechnet jetzt, wo Sie es mit dem Älterwerden ohnehin schon schwer genug haben, sollen Sie auch noch diszipliniert sein?

Vielleicht hilft Ihnen das hier: Es ist Ihre Disziplin. Andere geht das nichts an.

Noch eine Wahrheit – und danach reicht es erst mal: Sie werden sich verändern in den kommenden Jahren, nicht nur äußerlich, sondern auch in Ihrer inneren Einstellung. Vieles wird Ihnen nicht mehr so wichtig sein, und zu vielem werden Sie eine neue Haltung entwickeln. Man könnte sagen, Sie werden reifer. Natürlich, Sie kennen das Spiel ja jetzt schon, hilft es, wenn Sie auch dafür etwas tun. Sie können sich dagegen sträuben, aber das ist dann eher komisch.

Wenn Sie Ihren Frieden mit dem Älterwerden machen, wird es Ihnen besser gehen. Dem damals 83-jährigen, also ganz schön alten Alfred Biolek scheint es gut zu gehen. Entspannt älter werden klingt nicht so schlecht, oder?

Ich habe den Vortrag eines ZEN-Meisters gehört, Thich Nhat Hanh, der auch im Westen bekannt ist. Zu jenem Zeitpunkt war er schon ziemlich alt, über siebzig mindestens. Das Verblüffende war, dass ich sein Alter nicht schätzen konnte. Als er seinen Vortrag begann, saß da ein schlanker, aber unverkennbar alter Mann. Und während seiner Rede dachte ich plötzlich: Er spricht ja wie ein Junger, er ist noch ganz jung. Später habe ich ihn am Flughafen gesehen, ich stand hinter ihm in der Schlange. Er hatte eine dicke Mütze auf dem Kopf, und wieder dachte ich, er ist ja noch ein ganz junger Kerl.

Wenn Sie Ihr Alter akzeptieren, können Sie jung wirken – und in gewisser Weise auch jung sein. Oder vielleicht zeitlos?

Und noch eine gute Nachricht: Das Alter hat sich verändert. Simone de Beauvoir zitiert in ihrem Buch die Äußerungen berühmter Persönlichkeiten. Manche werden Sie nicht kennen, aber sie waren zu ihrer Zeit bedeutsam: Mark Aurel, Michel de Montaigne, Sigmund Freud und natürlich Jean-Paul Sartre, der Lebensgefährte Beauvoirs. Deren Meinungen über das Alter sind negativ gefärbt, pessimistisch. Aber das Alter hat sich gewandelt. In den vergangenen 30 Jahren wurde nicht nur unsere Lebenserwartung länger, sondern diese gewonnenen Jahre sind auch mit einer, noch vor zwei Generationen unvorstellbaren, verbesserten Lebensqualität verbunden. Die Rolling Stones, die Stars meiner Jugend – obwohl ich die Beatles lieber mochte –, treten immer noch auf! Rockstars! Sie sind allesamt über 70! Und der Reporter Kurt Kister, der Chefredakteur der SZ ist, schreibt:12

»Ich hätte 1975 nicht gedacht, dass ich mal 60 würde. Und ich hätte schon gar nicht gedacht, dass ich in diesem schrecklichen, haarverlierenden, weltmüden Alter dann mit ein paar Zehntausend Leuten in einem Stadion darauf warten würde, ob Mick Jagger, faltig, fertig, dynamisch, ganz der Alte, ins Mikro schreien würde: Pleased to meet you, hope you guess my name.«

Weltmüde sind die über 60-Jährigen eben nicht mehr!

Unerschrockendem Alter begegnen

Gesamtkunstwerk Mensch

Alter ist ein Thema, das wie kein anderes den ganzen Menschen betrifft. Und der ist ein Gesamtkunstwerk. Auch Sie. Um das Kunstwerk zu verstehen, bleibt uns nichts anderes übrig, als seine Teile anzuschauen. Die sind noch wunderbar genug und geprägt von vielfachen komplexen Wechselwirkungen.

Nehmen wir unser Gehirn, beziehungsweise das, was wir von seiner Existenz mitkriegen. Sie können davon ausgehen, dass uns der größte Teil der Hirnaktivität verborgen bleibt, weil er unbewusst abläuft: Notiz nehmen wir von dem, was wir Geist und Seele nennen, konkret Stimmung, Antrieb, Motivation, Kognition. Ohne dass wir es merken müssen, steuert das Gehirn unsere Körperlichkeit und wird umgekehrt von den anderen Aspekten dieses Gesamtkunstwerks Mensch beeinflusst. Von Nerven, Muskeln, Sehnen, Knochen und Gelenken, also dem sogenannten Bewegungsapparat, der in Kooperation mit dem Gehirn Gleichgewicht, Tonus, Kraft, Ausdauer reguliert, unsere Bewegungsfähigkeit. Von der Wechselwirkung zwischen Gehirn und Herz-Kreislauf-System merken wir meistens ebenfalls nicht viel; denn diese lebenswichtigen Funktionen spüren wir nur dann, wenn sie nicht mehr reibungslos ablaufen: Herzschlag, Blutdruck, Durchblutung der Organe. Unser Hormonsystem wiederum reguliert das Zusammenspiel von Körperfunktionen, Verhalten und Befindlichkeit und verändert sich in Abhängigkeit von den verschiedenen Altersphasen stark; ich sage nur Pubertät oder Menopause.

Ohne unsere Verdauungsorgane geht nichts, und sie beeinflussen beileibe nicht nur die Verdauung. Eine Theorie spricht sogar vom zweiten Gehirn im Darm. Unser gesamter Stoffwechsel beruht auf der Interaktion von Nahrungsaufnahme und -verarbeitung.

Noch geheimnisvoller ist das Immunsystem, unsere höchst individuelle Abwehr gegen Bedrohungen von außen, Bakterien und Viren, und von innen, eigene Zellen, die zu Krebszellen mutiert sind und sich gegen unseren Organismus wenden. Die endliche Leistungsfähigkeit des Immunsystems bei der Reparatur von Mutationen scheint wohl einer der Faktoren zu sein, die das überhaupt erreichbare Lebensalter begrenzen.13 Was die Mikroorganismen angeht, ist die Betrachtung, dass wir die nur abwehren müssten, eher falsch; heute geht man davon aus, dass jeder von uns über einen individuellen Cocktail von Mikroorganismen verfügt, der Nahrungsverwertung, Befinden und Immunsituation bestimmt: das Mikrobiom. Letztlich bestehen wir aus Zellverbänden, die unglaublich faszinierend sind und die wir bisher nur ansatzweise verstehen.

Dabei will ich es erst mal bewenden lassen, weil wir mit dem Wissen um diese Systeme schon ziemlich weit kommen, wenn wir uns und unsere Alterungsprozesse verstehen wollen. Sie können auch noch Umwelt und soziale Systeme mitdenken, in die unsere Persönlichkeit eingebettet ist.

Die geschilderten Systeme machen insgesamt unser Dasein aus, unsere Gesundheit und unser Befinden. Sie beeinflussen sich gegenseitig und können durch unser Verhalten beeinflusst werden. Doch von allen Einflüssen wirkt sich das Alter über die Zeit am stärksten aus. Auch wenn diese Auswirkungen im Einzelnen sehr unterschiedlich sind, kann man sie in einem Satz ausdrücken: Wir werden weniger.

Und das findet niemand lustig. Es wird als Herausforderung schlechthin verstanden, als Zumutung. Letzteres insbesondere vor dem Hintergrund, dass Wachstum die allumfassende Devise unserer Zivilisation ist.

Alles, was altert, führt diesen Glaubenssatz ad absurdum. Nicht zuletzt deswegen wollen viele vom Alter nichts wissen. Vor allem in der westlichen Kultur.

Um den Einfluss des Alters einschätzen zu können, brauchen Sie die weite Perspektive, müssen Ihre Veränderungen über einen langen Zeitraum betrachten. Je kürzer die Zeiteinheiten Ihrer Betrachtungen sind, desto weniger bekommen Sie vom Alter mit.

Und doch können wir nur im Jetzt versuchen, unsere Existenz zu beeinflussen, vor allem im Blick auf das Altern. Darin liegen Risiko wie Chance.

Wann also spielt unser Einfluss eine Rolle?

Bei der Ernährung!

Sie haben wahrscheinlich bereits gelesen, dass ein großes Problem der westlichen Zivilisationen das Übergewicht ist. Die Art und Weise, wie Sie Ihre Nahrungsaufnahme steuern, und das daraus resultierende Gewicht haben immense Bedeutung für Ihre Gesundheit: Der Bewegungsapparat, das Herz-Kreislauf-System, Ihr Stoffwechsel, die Befindlichkeit, Motivation und sogar die Immunabwehr werden durch Übergewicht wohl negativ beeinflusst. Wenn Sie Übergewicht haben, wächst unter anderem die Wahrscheinlichkeit, dass Sie an irgendeinem Krebs erkranken.

Der wichtigste Gegenspieler der Ernährung ist die Bewegung, ein Wunder!

Natürlich brauchen Sie Nahrung, um sich bewegen zu können. Aber Sie überschätzen die Menge, die Sie brauchen, bei Weitem! Machen Sie sich nur mal klar, dass in der Zeit, als wir Menschen entstanden sind, als wir uns zum Homo sapiens entwickelt haben, um 120 000 bis 80 000 vor Christus, Nahrung in unserem heutigen Sinn überhaupt nicht existierte: Möglicherweise hat es die Menschwerdung entscheidend beflügelt, dass diese Lebewesen, die unsere Vorfahren waren, nicht mehr Affe, aber noch nicht so richtig Mensch, relativ wenige, nährstoffarme Pflanzen suchen und finden mussten – die Sammlerinnen waren wohl vor allem Frauen und Kinder – oder Tiere jagen, die ziemlich schnell weglaufen konnten. Diese hatten ihre genetische Ausstattung nicht in der Auseinandersetzung mit den Menschen erworben, die es ja noch gar nicht gab, sondern mit Raubkatzen, Wölfen oder Hyänen. Und vor diesen mussten die jagenden Menschen, vorwiegend Männer, sich noch dazu hüten, denn sie gehörten in deren Beuteschema. Unsere Vorläufer waren also Jäger und Gejagte. Sie können davon ausgehen, dass diese sich ständig bewegten, mit erheblicher Ausdauer rannten, mit großer Wendigkeit und beachtlichem Geschick mit Beute- und Raubtieren umgingen und dass sie stark waren: Selbst gegen eine Neandertaler-Frau hätte Arnold Schwarzenegger keine Chance gehabt.

Kraft und Ausdauer folgen der Funktion: Das ständige hungrige Rumrennen war gut für die Menschen und wahrscheinlich eine der Vorbedingungen fürs Überleben. Und so ist es vermutlich zu erklären, dass Bewegung auch heute, nachdem sich die Lebensbedingungen völlig verändert haben, das Geheimrezept gegen alles ist, an was wir nicht leiden wollen: Depression, Demenz, Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Beweger haben eine wesentlich bessere Widerstandskraft gegen Stress. Und gegen die Effekte, die das Alter auf unseren Organismus ausübt, sowieso!

Warum gibt es dann noch Menschen, die sich nicht bewegen? Man kann es nur als Ausdruck ziemlicher Ignoranz gegenüber unserer Menschwerdung verstehen. Schon in den 1940er-Jahren fand der englische Arzt Jerry Noah Morris heraus, dass die Schaffner in den Londoner Doppeldeckerbussen deutlich weniger Herzinfarkte erlitten als die Fahrer.14 Der einzige Unterschied zwischen den beiden Gruppen: Die einen saßen, die anderen waren ständig in Bewegung. Der lebensverlängernde Einfluss von Bewegung hängt natürlich davon ab, wie diese Bewegung von Muskeln, Gelenken und Knochen toleriert werden kann: Harte körperliche Arbeit auf dem Bau oder dem Feld kann uns schädigen oder kaputt machen.

Eine weitere Einflussgröße, die uns voraltern lässt, sind Gifte, die wir zum Genuss oder um uns zu stimulieren zu uns nehmen. Sie denken jetzt an die verschiedenen Rauschgifte? Na ja: Die mit Abstand größten Gesundheitsschäden werden durch Rauchen und Alkohol verursacht, beide legalisiert und gesellschaftlich akzeptiert.

Zusammenfassend bedeutet all das: Unser Funktionsgefüge verändert sich mit zunehmendem Alter. Wir können die altersbezogenen Veränderungen in gewissen Grenzen beschleunigen oder verlangsamen.

Alter verändert Körper, Geist und Seele

Was passiert eigentlich, wenn Sie älter werden?

Okay, Sie glauben, Altern verhindern zu können, indem Sie nicht darüber nachdenken. Obwohl Sie und ich wissen, dass das ein bisschen schwachsinnig ist. Aber es ist ein nachvollziehbares, menschliches Verhalten, so verständlich, dass es dafür einen psychologischen Begriff gibt, und der heißt »vermeiden«: Was Sie dadurch aus der Welt schaffen wollen, wird im Allgemeinen schlimmer.

Wenn Sie diese Phase des nachvollziehbaren, menschlichen Schwachsinns überwunden haben – Sie sind ja mutig, sonst hätten Sie dieses Buch gar nicht in die Hand genommen –, können Sie sich genauer anschauen, was Sie keinesfalls wollen: Sie wollen nicht in einen Zustand kommen, in dem sich Menschen befanden, die Sie als alt erlebt haben. Denn Sie befürchten, dann alt auszusehen. Alt aussehen – eine Formulierung von Jungen über Alte oder über vom gerade angesagten Trend Abgehängte. Das Aussehen als Hinweis, dass mit Ihnen nicht mehr viel los ist, also der Verweis auf Niederlagen, Versagen, ins Hintertreffen geraten.

Nebenbei bemerkt: Aus Sicht von uns Ältergewordenen ist es eigentlich belanglos, was die Jungen über uns denken. Entscheidend ist, wie wir mit unserem Alter auskommen. Immer wieder aus der Perspektive des jeweiligen Moments, der seine je eigene Herausforderung mit sich bringt. Für solche Herausforderungen gibt es heute mehr Hilfsmittel denn je. Die können Sie aber nur nutzen, wenn Sie die Auseinandersetzung mit dem Alter eben nicht vermeiden.

Die Angst vor dem »alt aussehen« haben die Verschönerungsarbeiten an unserer Oberfläche zu einem Millionengeschäft gemacht. Nichts dagegen. Jeder Hausbesitzer achtet auf die Fassade. Wir kommen noch darauf. Aber die Veränderungen von Haut und Hautanhangsgebilden, wie es fachsprachlich ernüchternd heißt – also Haut, Haare, Flecken, Warzen –, sind nicht alles. Eigentlich sogar der kleinste Teil.

Wichtiger, und prägend für das Aussehen, sind die Muskeln. Die können Sie nicht direkt sehen, und deswegen ist Ihnen deren Bedeutung für Ihre Optik nicht so bewusst: Tatsächlich wird Ihre Gestalt, Ihre Anmutung wesentlich durch Ihre Muskulatur geprägt, Rücken, Bauch Arme, Beine, aber vor allem eben auch im Gesicht. Muskeln haben Volumen, das die Wölbungen Ihres Körpers prägt, zusammen mit dem Fettgewebe. Ich gebe zu, das ist eine sehr nüchterne Beschreibung für etwas, das ästhetisch und begehrenswert aussehen kann. Muskeln verändern sich, abhängig davon, wie Sie sie bewegen. Gebrauchen Sie sie, so bleiben sie erhalten, trainieren Sie sie, so werden sie größer, sind Sie inaktiv, so nehmen sie ab. Im Alter ist das Abnehmen beschleunigt. Die von Ihnen so verabscheuten Falten entstehen nicht nur, weil die Haut nicht mehr elastisch ist, sondern auch, weil die relevante Substanz darunter fehlt. Das heißt: Substanz ist schon noch da, aber nicht die erwünschte. Muskeln werden durch Fettgewebe ersetzt, sodass Sie den Verlust zunächst kaum wahrnehmen. Aber Fett ist wabbelig und bleibt passiv. Es wird nicht durch Tonus und Bewegungen moduliert. Dadurch erscheint Ihre Fassade irgendwie lebloser, und durch das Schrumpfen bekommen Sie Falten – besonders leicht am Hals und am Oberarm, wo man kaum etwas dagegen machen kann. Gleichzeitig verändert sich die Haltung, die, sofern vorhanden, durch den Tonus der Muskulatur geprägt wird, vor allem durch den Tonus der großen Haltemuskulatur im Rücken und weniger im Bauch. Fett kann nichts halten und noch weniger bewegen. Ihre Haltung, die Ihr ganzes Erscheinungsbild ausmacht, können Sie willentlich kaum beeinflussen, sondern sie trägt, ohne dass Sie es bemerken, zu Ihrem Erscheinungsbild und seiner Wirkung bei. Natürlich funktioniert »Rücken gerade, Brust raus, Bauch rein!«, aber immer nur für wenige Sekunden.

Muskelabbau hat aber nicht nur ästhetische Folgen: Der Zustand Ihrer Gelenke hängt entscheidend davon ab, wie sie von den Muskeln gehalten werden. Das macht sich an Hüften und Knie bemerkbar und vor allem an der Wirbelsäule. Die Ursache für Schmerzen, Schmerzmittelmissbrauch, unnötige Operationen sind ganz überwiegend degenerative, durch Inaktivität reduzierte Muskeln. Dieses Problem spielt schon bei vielen Jugendlichen eine Rolle und wird im Alter durch den beschleunigten Muskelabbau immer drängender. Es hilft nichts. Sie müssen in die Muckibude!

Letzten Endes moduliert Ihr Geisteszustand Ihr Verhalten und das wiederum Ihren Muskelzustand. Da liegt der Hund begraben.

Während Sie von den Haltungsproblemen lange Zeit nichts spüren, fallen Ihnen andere körperliche Einschränkungen eher auf: Sie müssen sich für vieles anstrengen, das mal selbstverständlich war; Treppen rauf- und runterrennen, auf einem Bein balancieren können Sie kaum noch, Tennis oder Fußball spielen, sich aufs Fahrrad schwingen so lala.

Vieles davon hat nicht nur mit der Muskulatur, sondern mit dem verminderten Gleichgewichtssinn zu tun.

Üben!

Sie meinen, das hätte keinen Sinn mehr? Da liegen Sie falsch! Erinnern Sie sich an die Hamburger Oldies, die jonglieren gelernt haben. Und was noch wichtiger ist: Geisteszustand moduliert nicht nur die Muskeln, sondern Bewegung moduliert Geisteszustand. Da kommen wir später noch hin.

Hören und sehen:

Sie brauchen eine stärkere Brille und oft ein Hörgerät. Dass das nicht nur Ihnen so geht, sehen Sie an den aus dem sonst nicht so fruchtbaren Boden der Städte sprießenden Akustikstudios und Brillenläden. Sie wären schnell allein, wenn Sie sich um dieses Defizit nicht kümmern würden.

Schmerzen:

Ihnen tut häufig Verschiedenes weh, und wenn Ihr Arzt Sie ließe, wären Diclofenac und Ibuprofen Ihre ständigen Begleiter. Aber da er ein Guter ist, hat er Ihnen die ziemlich hässlichen Folgen einer Dauermedikation deutlich gemacht, und Sie sind gerade dabei, sich in alternative Schmerzbekämpfung einzuarbeiten. Auch darüber reden wir noch.

Sex:

Im Bett verändert sich ebenfalls einiges. Bei vielen passiert dort außer schlafen nur noch sehr selten etwas, und das ist dann meist nicht so dolle. Das liegt an Ihnen.

Inkontinenz:

Kein Scherz. Das ist Ihnen richtig peinlich, denn in die Hose haben Sie zuletzt als 2-Jährige gemacht. Auch in diesem Punkt sind Sie nicht allein: Etwa 30 Prozent der über 65-Jährigen, vor allem Frauen, haben damit Probleme. Ein Hammer! Haben Sie nicht gewusst. Vermutlich auch nicht gewusst haben Sie, dass Sie das gut in den Griff bekommen können:

»In einer Cochrane-Analyse aus 13 randomisierten Studien mit 714 Frauen wurde der Wert der Beckenbodengymnastik gegenüber Placebo bei weiblicher Belastungsinkontinenz untersucht. Die Wahrscheinlichkeit, wieder kontinent zu werden, war in der Verumgruppe 17mal und damit signifikant erhöht.«15

Sie haben kein Wort verstanden? So sind sie, die Ärzte! Das Zitat ist nämlich aus dem Deutschen Ärzteblatt, das nun nicht grad ein Hort unverständlicher Wissenschaft sein, sondern eine gut verständliche Botschaft für alle vermitteln sollte. Übersetzt steht da, dass Beckenbodengymnastik, also ein nicht-medikamentöses Verfahren, einen tollen Effekt hat, nämlich Inkontinenz verhindern kann. Auf jeden Fall kann es nicht schaden, wenn Sie sich mit dieser Art von Sprache allmählich vertraut machen, denn die erwähnte »Cochrane-Analyse« ist ein Verfahren, das besagt, welche Methode tatsächlich wie wirksam ist. Und diese Art Analysen sollten Sie verstehen können, wenn Sie sich mit Ihrem Arzt darüber streiten wollen, ob Sie sich nun operieren lassen oder doch lieber zur Krankengymnastik gehen. Wir kommen darauf zurück.

Die sensible Seele:

Sie werden empfindlicher. Wenn Sie mit vermeintlichen oder echten Kränkungen nicht aktiv umgehen, werden Sie depressiv. Also: Die Gelassenheit, von der Biolek spricht, kommt nicht von selbst, auch dafür müssen Sie etwas tun.

Vergesslichkeit:

Sie werden mit unterschiedlichen Schwerpunkten vergesslicher, auch wenn das nicht gleich auf Demenz hindeutet. Aber auch das kann der Fall sein.

Dies ist eine Auswahl dessen, was Älterwerden Ihnen bringen kann. Ich verstehe gut, dass Sie so nicht sein wollen. Aber um das Wollen geht es hier nicht, denn diese Veränderungen kommen. In unterschiedlicher Ausprägung. Und eben diese Unterschiede hängen nicht unwesentlich davon ab, wie Sie mit sich selbst umgehen.

Die gute Nachricht wollen wir also noch einmal wiederholen:

Sie können den Alterungsprozess beeinflussen, denn sehr viele Dinge aus diesem Gruselkatalog stimmen so nicht (Sex!), lassen sich aufhalten (Übergewicht und muskuläre Schwäche, Inkontinenz) oder ganz verhindern (Depression). Oder Sie können heute so gut Abhilfe schaffen, dass Sie nur noch wenig davon wahrnehmen (Schwerhörigkeit, Sehprobleme). Die Folge können Sie jeden Tag sehen: Menschen gelten im Vergleich zu früheren Generationen heute erst in viel höherem Alter als alt.

Die schwierige Nachricht: Sie müssen etwas dafür tun, und zwar ständig. Ruhestand ist nicht.

Sie treffen also selbst die Entscheidung, auf welche Weise Sie alt werden. Jeden Tag wieder. Mühsam?

Ich sag ja: Ihre Chance!

Your Choice!

Menschen können immer älter werden. Angus Deaton, der 2015 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften bekam, hat die Rettung vom frühen Tod als »The Great Escape« – das große Entkommen, die große Rettung – bezeichnet. Groß, weil sie die Menschen auf der ganzen Welt betrifft, weil sie im besten Sinn global ist, mit beträchtlichen Unterschieden, aber immerhin. Der größere Anteil unser aller gestiegenen Lebenserwartung geht auf das Konto der geringeren Kindersterblichkeit, ein Prozess, der in den westlichen Industrieländern zur Zeit zum Abschluss gekommen ist. Die kleinere, aber für Sie als Mensch jenseits der Fünfzig bedeutsamere Steigerung der Lebenserwartung können Sie selber beeinflussen, indem Sie gesund leben. Denn zusätzliche Lebensjahre gewinnen Sie, wenn Sie die Wahrscheinlichkeit von Gefäß- und Krebs-Erkrankungen minimieren. Zum Beispiel, indem Sie nicht rauchen, auf ein gesundes Körpergewicht achten, sich viel bewegen und Ihre Muskeln durch Krafttraining fit halten.

Das haben Sie schon oft gelesen, und das finden Sie auch an verschiedenen Stellen in diesem Buch. Klingt ganz glatt.

Glatt ist es deshalb nicht, weil Lebensqualität nicht zwingend mit der verlängerten Lebensdauer korreliert. Sie wollen ja etwas von diesem gewonnenen Leben haben. Doch das ist nicht selbstverständlich. Das Problem: Mehr Lebensdauer heißt nicht zwingend mehr Lebensqualität. Oder wie Angus Deaton gesagt hat:

»Health is not only about living and dying, but about how healthy people are while they are alive.«*

How are you?

Zum Beispiel beim Rauchen.

Wenn Sie nicht rauchen oder Rauchen verabscheuen, ist das nicht Ihr Thema. Aber wenn Sie gerne rauchen, bringt Ihnen eine Zigarette direkte Freude: Sie ist ein leicht verfügbarer und immer noch relativ billiger Verstärker, eine wichtige Genussquelle. Das liegt daran, dass Zigarettenrauch in der Lunge schnell Nikotin ins Blut freisetzt, was in Ihrem Gehirn zu einem flash-artigen Anstieg des Neurotransmitters Dopamin führt. Dieser Effekt löst in Ihrem subjektiven Erleben die Empfindung von Genuss und vielleicht sogar Lust aus. Und das in hübsch kleinen, häufig wiederholbaren Dosierungen. Der Schaden steht auf einem anderen Blatt: In dem Moment, in dem Sie Genuss erleben, interessiert Sie das Wissen über schädliche Wirkungen kein bisschen. Die setzen ja auch nicht sofort, sondern erst nach Jahren ein, und das auch nicht in jedem Fall, sondern nur mit statistischer Wahrscheinlichkeit, allerdings mit ziemlich hoher. Es ist nie untersucht worden, wie viele Lungenkrebstote das Rauchverhalten unseres verehrten Altkanzlers Helmut Schmidt zur Folge hatte. Wissen und Vergnügen spielen sich auf verschiedenen Gehirnebenen ab. Außerdem ist Rauchen eine Gewohnheit – und nichts ist so schwer zu verändern wie ein Verhalten, das wir gar nicht mehr wahrnehmen, weil wir uns daran gewöhnt haben.

Was heißt das?

Sie müssen sich entscheiden: Ist Ihnen die langfristige Lebensdauer oder die kurzfristige Lebensqualität wichtiger? Und Sie werden nur dann eine lebensverlängernde Maßnahme ergreifen, wenn Sie deren Folgen auch als Qualität und nicht ausschließlich als Mangel erleben. Nur aus Angst vor Krebs oder Gefäß-Erkrankung mit dem Rauchen aufzuhören, macht nicht viel Sinn, denn aus der Angst leiten sich nur selten sinnvolle Verhaltensweisen ab.Durch was ersetzen Sie die meist unbewusste Gewohnheit, sich eine Zigarette anzuzünden? Wenn Sie einen Verstärker wegnehmen, brauchen Sie einen anderen.Schauen Sie sich Ihre Verstärkersituation an: Brauchen Sie ein kurzfristiges und leicht verfügbares Vergnügen, wenn die Zigarette wegfällt? Und was könnte das sein? Ganz ohne Genuss kommt nicht einmal Clint Eastwood aus!**

Analoge Überlegungen stehen an, wenn Sie andere lebensverlängernde Maßnahmen planen:

Der Start in den – lebensverlängernden – Ausdauersport kann eine ähnliche Herausforderung sein wie der Verzicht auf die Zigaretten, wenn Sie Ihr Leben bisher nach der Devise »no sports«*** geführt haben. Wenn Sie bei oder mindestens nach dem Sport eine Art von Befriedigung empfinden wollen und die neu begonnene Herausforderung nicht nur mit Schmerzen und Entbehrungen verbunden sein soll, kommen Sie mit reinen Nützlichkeitserwägungen nicht sehr weit. Fangen Sie unter Anleitung an, und geben Sie sich die Zeit, zu spüren, was die ungewohnte sportliche Betätigung nach einigen Wochen in Ihnen verändert hat. Wie fühlt sich das an? Wenn es nur furchtbar ist, hören Sie auf. Wenn sich aber unter Muskelkater, Schmerzen in ganz neu entdeckten Gelenken, dem Fluchen über bescheuerte Dehnübungen – die mindestens so wichtig wie der Muskelaufbau sind und die ich hasse! – ein Gefühl von Ruhe, Gelassenheit und vielleicht sogar Wohlbehagen ausbreitet, dann machen Sie weiter. Es ist ganz allein Ihre Sache, wie viel Frustration Sie sich zumuten.

Ähnlich ist es bei der Gewichtsreduktion: Genuss bei Essen und Trinken ist untrennbar mit der Aufnahme von Kalorien verbunden. Ihre Essgewohnheiten formen Ihre Gestalt und bestimmen Ihr Körpergewicht. Wollen Sie dieses reduzieren, so müssen Sie vor allem Ihre Essgewohnheiten ändern, und es hilft auch, Ausdauersport zu betreiben und sich auf einen monate- bis jahrelangen Veränderungsprozess einstellen. Schnell geht gar nichts. Ihr Gehirn muss umlernen. Als Gipfel der existenziellen Niedertracht mag Ihnen erscheinen, dass Sie mit zunehmendem Alter weniger Kalorien brauchen, um Ihr aktuelles Gewicht aufrechtzuerhalten.

Das Wichtigste aber bei all diesen Möglichkeiten: Jeder Weg führt nur zum Ziel, wenn es Ihr Weg ist. Ihr ganz persönlicher, individueller Weg, für den Sie sich entscheiden. Sie wägen Ihr persönliches Risiko ab, indem Sie sich informieren. Sie finden heraus, was Ihnen Spaß macht, was Sie fasziniert, aber auch, wie viel Frust Sie ertragen können. Auf dem Weg zu einem guten Leben sind Stress, Schmerzen und Frustration unvermeidbar. Auch wenn Sie Ihr Leben als Ganzes ziemlich gut finden.

»Sadness, pain, and stress might be inevitable during some of the experiences one must go through in order to build a good life.«****16

Individualität – ja, Sie!

Was wollen Sie?

Wieso? Ich?

Es kommt auf Sie an. Ganz allein auf Sie.

Diese Aussage wundert Sie vielleicht zuerst, weil Ihnen das in Ihrem bisherigen Leben nicht so klar gesagt wurde. Aber bei einigem Nachdenken werden Sie feststellen, dass das so ist.

»Jeder Mensch ist einzigartig. Seine Individualität zu leben, macht den Sinn des Lebens aus.«17Der Satz stammt von dem Schweizer Entwicklungsforscher Remo Largo. Er steht am Beginn seines Buches »Das passende Leben«. Dieses Buch ist eine Art Quintessenz seiner Forschung, in der er die Lebensverläufe von Schweizer Bürgern untersucht hat und zum Ergebnis kam, dass jeder Mensch nur sein eigenes Leben leben kann, eben das, was in ihm angelegt ist: Sie sind einzigartig. Sie haben Ähnlichkeiten mit Ihren Eltern und Geschwistern, unter Umständen auch die Anfälligkeit für bestimmte Krankheiten; aber selbst wenn Sie einen eineiigen Zwilling haben, was genetische Identität bedeutet, sind Sie aufgrund Ihrer in Ihrem einzigartigen Leben gemachten Erfahrungen ein Unikat. Wow!

Largo hat sich vor allem mit Kindern und Jugendlichen beschäftigt, aber seine Aussage gilt genauso für die Älteren. Eigentlich vor allem für die.

Denn jetzt, im Alter von 55 bis 65, in dem Sie dieses Buch vielleicht in die Hand nehmen, sind die Bedingungen besser als je zuvor, Ihr Leben nach Ihren Vorstellungen gestalten zu können. Vielleicht zum ersten Mal können Sie jetzt allein entscheiden, wie Sie leben wollen: In der Kindheit waren es die Vorstellungen der Eltern, die Sie realisieren sollten, später, in Ausbildung und Beruf, mussten sich Ihre eigenen Vorstellungen von Selbstverwirklichung den Zukunftsplänen Ihrer Arbeitgeber unterordnen. Jetzt sind Sie an der Schwelle zum oder vielleicht schon im sogenannten Ruhestand. Und jetzt könnten Sie tatsächlich endlich machen, was »ihre ureigenen inneren Werte reflektiert«. Daniel Schreiber hat das in seinem Bestseller über den Alkohol beschrieben:

»Unser Verständnis von Erfolg stammt zum größten Teil nicht von uns selbst, sondern von anderen … In einer Kultur, die grundsätzlich Reichtum und das damit verbundene Prestige als das gute, das begehrenswerte Leben inszeniert, wird einem stets vermittelt, dass man nie mit dem zufrieden sein sollte, was man hat, wer man ist und was man tut. Um dagegen angehen zu können, müssen wir erst einmal selbst herausfinden, was wir wirklich als Erfolg erleben, was wir wirklich von unserem Leben … wollen.«18

Im Zuge der Umsetzung, was er wirklich von seinem Leben will, hat Daniel Schreiber aufgehört, Alkohol zu trinken.

Alkohol, darauf kommen wir noch.

Aber – sind Sie jetzt nicht zu alt dafür, dieses eigene, individuelle Leben umzusetzen?

An diesem Einwand ist schon etwas dran: Jetzt, wenn Sie endlich die Freiheit bekommen, Ihr Leben selbst zu gestalten, ohne dass Ihnen jemand hineinredet, sind Sie vielleicht nicht mehr ganz so, wie Sie eigentlich gerne wären, um diese Freiheit in vollen Zügen genießen zu können. Einiges fehlt Ihnen, und von einigem haben Sie zu viel.

Hier verbirgt sich ein Grundproblem des Älterwerdens. Wir wollen länger, möglichst lange leben, aber wir wollen dabei so bleiben, wie wir in unserer vermeintlich besten Lebensphase, in unserer Jugend, waren. Älter werden wollen wir also gar nicht. Wie Sie sich erfolgreich mit diesem Dilemma auseinandersetzen können, macht einen großen Teil dieses Buches aus.

Wenn Sie nicht krank sind, haben Sie heute die Chance, an Jahren sehr alt zu werden und von diesem Leben auch etwas zu haben. Aber natürlich altern Sie dabei, in allen Organsystemen – Haut und Haaren, Muskulatur, Herz-Kreislauf-System, Hormonsekretion, Gehirn. Dieser unvermeidliche Alterungsprozess ist individuell, was im Klartext bedeutet, dass jeder anders altert.

Die interessanteste Botschaft ist, dass Ihr persönlicher Alterungsprozess sehr stark davon abhängt, wie Sie ihn gestalten. Durch diesen selbst gestalteten Alterungsprozess können Sie Ihren Lebensstil stärker beeinflussen, als Sie sich das je träumen ließen. Ob Sie das wollen und wie Sie das machen, das ist allein Ihre Sache. Ich versuche Ihnen dabei zu helfen, indem ich Ihnen die verschiedenen Möglichkeiten zeige, wie Sie leben könnten. Ihre Aufgabe ist es, die Frage zu beantworten:

Was macht das gute Leben aus, mein Leben?

Sie sind viele

Nein, ich meine nicht, dass Sie eine multiple Persönlichkeitsstörung hätten. Aber ohne jeden Zweifel verfügen Sie noch über ganz andere Persönlichkeitsanteile als diejenigen, die Sie sich jeden Tag im Spiegel anschauen, und das sind nicht nur respektable und nicht nur solche, die Sie den anderen zeigen wollen.

Woran merken Sie das?

Zum Beispiel, wenn Ihnen Ihre Motivation plötzlich abhandenkommt. Sie sind von Ihrem Job überzeugt, Sie lieben Ihr work-out-Programm, Sie wollen den nächsten Halbmarathon mitlaufen, alles gut – aber eines Morgens stellen Sie fest: null Bock!

Da Sie, bei allem Respekt, nicht mehr zwanzig sind, haben Sie schon viele solcher Tage erlebt: voll Widerwillen, heute ins Büro zu gehen, der work-out ekelt Sie plötzlich an, für das Lauftraining sind Sie heute echt zu müde.

Faul? Sie sind nicht einfach plötzlich faul geworden! Das war ein dummes Argument Ihrer Lehrer, die nicht genug Phantasie besaßen, einen motivierenden Unterricht zu gestalten. Warum schleppen Sie solche moralisierenden Wertungen jahrzehntelang mit sich rum? Weil Ihre dominierenden Persönlichkeitsanteile in dieser Zeit, in der Schulzeit und drum herum, entstanden sind. Deshalb rekapitulieren Sie gerne die Rezepte von Lehrern – und Eltern! Obwohl Sie die seinerzeit nur blöd fanden. Und damit sind Sie ja auch nicht so schlecht gefahren.

Dominierende Persönlichkeitsanteile? Gibt’s noch andere? Na klar! Je nachdem, welch große Vielfalt Sie sich leisten mögen – das kommt auf Ihre Biografie an. Das Grundthema all dieser Persönlichkeitsanteile ist, dass sie alle irgendwann mal zur Sonne, das heißt gesehen werden wollen. Und je stärker Ihre dominierende Persönlichkeit das zu unterbinden versucht, desto stärker wird der Druck von unten. Sie merken das daran, dass Ihre Motivation plötzlich entschwindet. Wenn Sie einen Job haben, bei dem Sie einfach nur anwesend sein müssen, ist das noch zu verkraften. Aber wenn Sie auf Ihre Kreativität angewiesen sind, wie zum Beispiel alle künstlerisch tätigen Menschen, dann wird es ernst. Für den Schauspieler, der endlich die Traumrolle seines Lebens angeboten bekommt und sich einfach nicht motivieren kann, seinen Text zu lernen, für den Schriftsteller, der schon den dritten Vorschuss kassiert hat und mit seiner Schreibhemmung nicht klarkommt. Menschen, die in solch einer fatalen Situation feststecken, berichten, dass da etwas Subversives in ihnen mit aller Kraft versuche, ihre Existenz zu zerstören. Psychotherapeuten kennen das, Irvin Yalom beschreibt das19, buddhistische Heiler sprechen vom inneren Dämonen20, den man füttern muss. Nichts, was Sie ignorieren sollten! Aber: Selbst wenn Ihnen diese Seite nicht recht geheuer ist, es ist kein fremdes Monster. Das sind Sie selbst!

Wir sind nicht aus einem Guss, sondern haben viele Anteile, denen wir nie Raum geben wollten – oder durften.

Erziehung? Ja, schon. Erziehung kann die Persönlichkeit akzeptieren und fördern. Solche Kinder bekommen die Freiheit, alles, was in ihnen hochkommt, zu prüfen und ohne Druck auszuwählen.

Aber manche Eltern bevorzugen die Bonsai-Methode mit paradoxem Effekt, den Sie jetzt ausbaden dürfen. Um im Bild zu bleiben: Wenn Sie schon mal Pflanzen zurückgeschnitten haben, wissen Sie, dass Ihr Sieg nur von kurzer Dauer ist, denn mit dem Schnitt provozieren Sie manchmal geradezu die Triebe, die Sie nicht wollen. Was die Pflanze will, ist eine andere Geschichte.

Sie fragen sich, ob dieser olle Erziehungskram aus Ihrer Jugend jetzt im reifen Alter immer noch wirksam ist. Glauben Sie mir, er ist es.

Was tun?

Lassen Sie diese subversiven Anteile Ihrer Seele ein bisschen Frühlingsluft schnuppern und sich einen kleinen Sonnenbrand um die Nase holen. Keine Angst, Ihre Existenz wird dadurch nicht gefährdet, die ist stabil genug. Und wenn doch? Unerschrocken dem Alter begegnen!

Ich werde auf Ihre subversive Seite immer mal wieder zurückkommen, da gibt es viele Möglichkeiten: So gut Sie sonst mit Ihrem strukturierten Tagesablauf zurechtkommen, dem Müßiggang zu frönen – das hat was! Auch der fette Burger nimmt Ihrer wunderbaren Diät nicht das Geringste, der faule Tag Ihrem Marathon-Training auch nicht, wenn beides nicht zur Gewohnheit wird.

Im Gegenteil: Genießen Sie Ihre subversiven Anteile so achtsam und so sparsam wie möglich! Das macht sie kostbar.

* »Bei Gesundheit geht es nicht nur um Leben und Sterben, sondern auch darum, wie gesund Menschen im Verlauf ihres Lebend sind.«.

** Das verstehen Sie nicht? Dann schauen Sie sich »Gran Torino« an!

***  Es ist übrigens nirgendwo belegt, dass Winston Churchill das wirklich gesagt hat. Sehr wahrscheinlich ist es nicht, denn Churchill hat in seiner Jugend begeistert und hervorragend Polo gespielt, ein Sport, der mit Bequemlichkeit nichts zu tun hat.

**** »Traurigkeit, Kummer und Stress mögen während mancher Erfahrungen, die man durch leiden muss, um zu einem sinnerfüllten Leben zu finden, unverzichtbar sein.

Die Freiheit, die nur Sie meinen

Ihr Ruhestand: Jetzt sind Sie frei für Experimente!

Zugegeben: So richtig subversiv klingt es nicht, wenn ich Ihnen im Folgenden vom Kochen, Golfen oder Tanzen erzähle. Und Zeitlöcher will ich auch nicht füllen.

Eher so: Einzigartig und besonders wird die jetzt vor Ihnen liegende Zeit, wenn Sie sich auf Neues einlassen und es sich zu eigen machen. Sich herantasten, probieren, ohne festes Ziel rummachen, ein Gefühl dafür bekommen, um irgendwann zu entscheiden: Schmeckt es mir?