Blick in den Abgrund - Shannon McKenna - E-Book

Blick in den Abgrund E-Book

Shannon McKenna

4,5
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wenn es um Frauen geht, folgt der Privatdetektiv Davy McCloud einer eisernen Regel: Niemals blind seinen Gefühlen zu vertrauen. Doch dieser Entschluss gerät ins Wanken, als er der attraktiven Margot begegnet. Ihre verletzliche Schönheit weckt augenblicklich Davys Beschützerinstinkt. Margot ist auf der Flucht, nachdem ihr ein Mord in die Schuhe geschoben wurde, den sie nicht begangen hat. Und Davy ist der Einzige, an den sie sich wenden kann. Schon bald lodern die Flammen der Leidenschaft zwischen beiden hoch. Doch da wird Margot von ihrer Vergangenheit eingeholt und ihr Leben ist in Gefahr ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 616

Bewertungen
4,5 (22 Bewertungen)
14
5
3
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Titel

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

Impressum

 

Shannon McKenna

Roman

Ins Deutsche übertragen von Patricia Woitynek

 

1

San Cataldo, Kalifornien

Wie ein Dolchstoß ins Auge, so fühlte es sich an.

Mag Callahan umklammerte den Becher lauwarmen Kaffee, den zu trinken sie völlig vergessen hatte, so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Mit leerem Blick starrte sie den Plastikbeutel an, der auf ihrem Küchentisch lag. Er enthielt die Beweise, die sie mithilfe einer Pinzette eine halbe Stunde zuvor aus ihrem zerwühlten Bett gefischt hatte.

Beweisstück Nummer eins: ein schwarzer Spitzen-Stringtanga. Sie selbst bevorzugte Pastelltöne, die keinen solch krassen Kontrast zu ihrer hellen Haut darstellten.

Beweisstück Nummer zwei: drei lange, schnurgerade dunkle Haare. Sie selbst hatte kurzes, lockiges rotes Haar.

Ihre Gedanken wirbelten wild umher und setzten sich gegen die unerwünschte Information zur Wehr. Craig, ihr Freund, war in letzter Zeit einsilbig und paranoid gewesen, doch hatte sie das auf sein lästiges Y-Chromosom, seinen beruflichen Stress und seine Bemühungen, ein eigenes Beratungsunternehmen zu gründen, geschoben. Es wäre ihr niemals in den Sinn gekommen, dass er … großer Gott!

In ihrem eigenen Haus. Ihrem eigenen Bett. Dieses Schwein!

Der kalte Schock begann zu prickeln und sich an den Rändern rot zu färben, während er sich unvermeidlich in rasenden Zorn verwandelte. Sie war so nett zu ihm gewesen. Sie hatte ihn mietfrei bei sich wohnen lassen, während er seine eigene Bleibe von Ungeziefer befreien und renovieren musste. Sie hatte ihm Geld geliehen, und das nicht zu knapp. Sogar seine geschäftlichen Darlehensverträge hatte sie mit unterzeichnet. Sie hatte alles gegeben, um ihn zu unterstützen, ihm zu gefallen, der Inbegriff der Weiblichkeit zu sein. Auch, indem sie versuchte, sich ihre herrische Art abzugewöhnen, nachdem sie mit ihrer großen Klappe bislang einen Freund nach dem anderen in die Flucht geschlagen hatte. Sie hatte sich so sehr angestrengt, und dies war nun der Lohn für ihre Mühe. Sie war betrogen worden. Wieder einmal.

Mag stieß beim Aufstehen gegen die Tischkante, und ihr Kaffee kippte um. Sie konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen, um zu verhindern, dass er sich auf das cremefarbene Leinenkostüm ergoss, das sie eigens für ihre Verabredung zum Mittagessen mit Craig angezogen hatte.

Sie war vorzeitig von ihrer Konferenz am Wochenende zurückgekehrt, um sich für ihr Rendezvous schick zu machen, nachdem sie zu der irrigen Überzeugung gelangt war, dass Craig allein deshalb so reizbar war, weil er plante, das Thema – Trommelwirbel, bitte! – gemeinsame Zukunft anzuschneiden. Sie hatte sich sogar so weit hineingesteigert und sich das Ganze als kitschiges Fotomotiv ausgemalt: Craig, der ihr beim Nachtisch schüchtern ein Ringkästchen überreichte. Sie, wie sie es öffnete. Ein Seufzen glückseliger Ehrfurcht. Anschwellende Geigenklänge, während sie in Tränen zerfloss. Wie dumm von ihr.

Der Zorn loderte hoch, als würde Benzin in ein Feuer gegossen. Sie musste etwas unternehmen, jetzt sofort. Vielleicht sein Auto in die Luft jagen. Craigs Lieblingskaffeebecher war das Erste, was ihr ins Auge fiel. Selbstgefällig stand er in der Spüle, daneben eine zweite benutzte Tasse, aus der ohne Zweifel das mysteriöse Flittchen heute Morgen seinen Kaffee getrunken hatte. Sieh mal einer an! Eine Spur korallenroten Lippenstifts war über den Becherrand verschmiert.

Mag schleuderte die Tassen quer durch den Raum. Die klirrenden Geräusche besänftigten ihre Wut, allerdings prangte jetzt ein Kaffeefleck an ihrer Küchenwand, um sie auf ewig an diesen glorreichen Moment zu erinnern. Super gemacht, Mag!

Leise fluchend kramte sie unter der Spüle einen Müllsack hervor. Sie würde jede Spur von diesem Dreckskerl in ihrem Haus beseitigen.

Zuerst knöpfte sie sich das Gästezimmer vor, das Craig als Büro beschlagnahmt hatte. Der Laptop landete im Müllsack, samt Modem, Maus und ergonomischer Tastatur. Post, Fachzeitschriften, Disketten, Sicherungs-CDs polterten hinterher. Eine versiegelte Box, die sie ganz hinten in einer der Schreibtischschubladen entdeckte, landete scheppernd auf dem Boden des Müllsacks.

Weiter. Sie zerrte den Beutel in den Flur. Es war idiotisch gewesen, mit den schwersten Sachen anzufangen, doch das ließ sich nun nicht mehr ändern. Nächster Stopp: Garderobenschrank. Teure Anzüge, Oberhemden, Krawatten, Schuhe und Slipper. Ab ins Schlafzimmer zu den Schubfächern, die sie für seine anderen Klamotten geräumt hatte. Sein hypoallergenes Silikonkissen. Sein Wecker. Seine spezielle Zahnseide. Jedes Teil, das sie entsorgte, fachte ihren Zorn weiter an. Dieser menschliche Abschaum!

Fertig. Es gab nichts mehr, das sie wegwerfen konnte. Sie verknotete die Öffnung des Müllsacks.

Er war inzwischen zu schwer, um ihn zu tragen, deshalb schleifte sie ihn rumpelnd und polternd aus der Tür, über die Veranda, die Treppe hinunter und über den schmalen Kiesstrand am Parson’s Lake. Der hölzerne Steg, der zu ihrem Schwimmdock führte, schwankte bedrohlich, als sie ihre bleischwere Last hinter sich herzerrte.

Mit einem Ächzen hievte sie den Sack über den Rand des Floßes. Gluck, gluck, ein paar jämmerliche Blasen, und schon versank er, bis er nicht mehr zu sehen war. Craig konnte, wenn er wollte, gern ein erfrischendes Novemberbad nehmen, um ihn zu bergen.

Das Atmen fiel ihr jetzt ein bisschen leichter, aber sie wusste aus Erfahrung, dass der positive körperliche Effekt solch kindischen, rachsüchtigen Verhaltens sehr kurzlebig war. Sie würde bald den nächsten Zusammenbruch erleiden, wenn sie nicht in Bewegung blieb. Arbeit war das Einzige, was sie jetzt retten konnte. Sie schnappte sich ihre Handtasche, sprang ins Auto und fuhr in die Innenstadt zu ihrem Büro.

Dougie, ihr Assistent, sah mit erschrockener Miene auf, als sie durch die gläserne Doppeltür von Callahan Web Weaving stürmte. »Einen Moment, bleiben Sie bitte kurz dran. Sie kommt gerade zur Tür rein«, sagte er in den Hörer. Er drückte eine Taste. »Mag? Was machst du denn hier? Ich dachte, du wolltest erst heute Nachmittag kommen, nach deinem Mittagessen mit …«

»Kurzfristige Planänderung«, informierte sie ihn knapp. »Ich habe Wichtigeres zu tun.«

Dougie guckte sie verdattert an. »Aber Craig ist auf Leitung zwei. Er will wissen, warum du zu spät zu eurer Verabredung kommst. Er sagt, er müsse mit dir sprechen. Dringend. So schnell wie möglich. Es gehe um Leben und Tod, behauptet er.«

Mag verdrehte die Augen und stolzierte in ihr Büro. »Sonst noch irgendwelche Neuigkeiten, Dougie? Ist nicht alles, was mit Craigs kostbaren Interessen zu tun hat, eine Frage von Leben und Tod?«

Dougie folgte ihr. »Er, äh, klingt wirklich aufgeregt.«

Bei genauerer Betrachtung wäre es stilvoller, würdiger und vor allem endgültiger, Craig in die Augen zu sehen, wenn sie ihm den Laufpass gab. Außerdem könnte sie ihm den Gefrierbeutel mit dem Slip ins Gesicht schleudern, sollte er die Unverfrorenheit besitzen, es abzustreiten. Das wäre zutiefst befriedigend. Ein echter Schlussstrich.

Sie lächelte den aufgelösten Dougie beschwichtigend an. »Richte Craig aus, dass ich auf dem Weg bin. Und danach nimmst du keine Anrufe mehr von ihm entgegen. Auch keine Nachrichten. Was Craig Caruso betrifft, bin ich bis ans Ende meiner Tage in einer Besprechung. Haben wir uns verstanden?«

Dougie blinzelte eulengleich durch seine Brille. »Geht es dir gut, Mag?«

Das Lächeln auf ihrem Gesicht glich einer kriegerischen Maske. »Absolut. Tatsächlich fühle ich mich großartig. Das Ganze wird nicht lange dauern. Ich werde auf keinen Fall mit ihm essen.«

»Möchtest du, dass ich dir etwas kommen lasse? Das Übliche?«

Sie zögerte, da sie bezweifelte, dass sie großen Appetit haben würde, aber der arme Dougie wollte so gern helfen. »Ja, das wäre prima.« Sie tätschelte seine Schulter. »Du bist wirklich ein Schatz. Ich verdiene dich nicht.«

»Ich bestelle dir Karottenkuchen und einen doppelten Latte mit entrahmter Milch. Du wirst es brauchen«, versprach er, bevor er zurück zu seinem klingelnden Telefon hastete.

Mag warf einen Blick in den Spiegel in ihrem Garderobenschrank, zog ihren Lippenstift nach und vergewisserte sich, dass ihr kupferrotes Haar stylisch verstrubbelt war und nicht wirr nach allen Seiten abstand, wie es das zu tun pflegte, wenn sie es nicht mit Gel bändigte. Frau sollte versuchen, elegant auszusehen, wenn sie einer parasitären Zecke mitteilte, dass sie in der Hölle schmoren solle. Sie überlegte, ihre Wimpern zu tuschen, entschied sich aber dagegen. Sie brach leicht in Tränen aus, wenn sie verletzt oder stinkwütend war, und heute traf beides zu. Wimperntusche aufzutragen wäre wie den Göttern ins Gesicht zu spucken.

Sie nahm ihre Handtasche und war sich wie stets voll Unbehagen bewusst, dass sie eine Neun-Millimeter-Beretta neben ihrem Portemonnaie, den Schlüsseln und einem Lippenstift mit sich rumschleppte. Craig hatte sie ihr gegeben, nachdem sie vor einigen Monaten auf offener Straße überfallen worden war. Ein nutzloses Geschenk, denn sie hatte es nie über sich gebracht, das Ding zu laden, zudem besaß sie keine Lizenz, die Waffe mitzuführen. Craig hatte darauf bestanden, dass sie sie in ihrer Handtasche trug, zusammen mit einem Satz Munition. Und sie hatte nachgegeben, in ihrem Bestreben, lieb und dankbar und umgänglich zu sein. Pah!

Wäre sie eine andere Frau, würde sie dafür sorgen, dass er dieses Geschenk bereute. Sie würde damit vor ihm herumfuchteln, ihn zu Tode erschrecken. Nur war diese Art von Ausraster einfach nicht ihr Stil. Genauso wenig wie eine Schusswaffe. Sie würde sie ihm heute zurückgeben. Die Pistole war illegal, sie war furchteinflößend, sie machte ihre Handtasche unnötig schwer – ganz abgesehen davon ging es heute ausschließlich um Rationalisierung, darum, überflüssigen Ballast abzuwerfen.

Emotionales Feng-Shui. Platsch, ab in den See damit!

Als sie ihr Auto endlich erreichte, rannen ihr wegen der für diesen Spätherbst untypischen Hitze Schweißtropfen zwischen den Schulterblättern hinab. Mag fühlte sich zerzaust, überhitzt und emotional angeschlagen. Sie wollte bei der bevorstehenden Begegnung auf keinen Fall das Bild einer erschöpften Arbeitsbiene abgeben. Gleichgültige Eiskönigin käme der Sache schon näher. Sie kühlte die Klimaanlage auf Eisköniginnentemperatur runter und fädelte sich in den Verkehr ein, dessen hohes Aufkommen ihr übermäßig viel Zeit ließ, über das schmerzvolle Muster ihres Liebeslebens nachzudenken.

Benutzt und weggeworfen von charmanten Wichsern. Wieder und wieder. Sie war fast dreißig, Herrgott noch mal! Sie hätte diesem ermüdenden, selbstzerstörerischen Mist inzwischen entwachsen sein müssen. Sie sollte ihr Leben endlich in den Griff bekommen.

Vielleicht sollte sie ihren Kopf mal von einem Seelenklempner untersuchen lassen. Was für ein Spaß! Die abartigsten Aspekte ihrer Persönlichkeit entblättern und jemandem haufenweise Geld dafür zahlen, dass er ihr half, sich darin zu suhlen. Auf keinen Fall. Selbstbetrachtung war nie ihr Ding gewesen.

Sie parkte ihren Wagen vor dem frisch renovierten Backsteinlagerhaus, das Craigs neues Labor beherbergte, und wartete darauf, Craigs technische Assistentin aufspringen zu sehen, um eine Begrüßung zu zwitschern. Mandi hieß sie. Vermutlich versah sie das i mit einem Herz. Nichts als Seifenblasen hinter diesen großen braunen Kulleraugen. Sie hatte außerdem lange dunkle Haare. Was für ein Zufall!

Im Labor war niemand zu sehen. Eigenartig. Vielleicht waren Mandi und Craig im hinteren Büro von der Leidenschaft übermannt worden. Mag biss die Zähne zusammen und ging den Flur entlang. Ihre Absätze klackten überlaut auf den Fliesen. Die Stille ließ die harten Töne widerhallen und anschwellen.

Die Tür zu Craigs Büro stand einen Spalt offen. Sie klapperte noch lauter mit den Absätzen.

Nur Mut. Brich alle Brücken hinter dir ab, Mag, das ist es, was du am besten kannst.

Sie stieß die Tür auf, holte tief Luft, öffnete den Mund, um …

Mit einem erstickten Aufschrei fuhr sie zurück. Der Beutel mit dem Slip glitt ihr aus der Hand.

Craig baumelte, mit einer seiner eigenen Krawatten an den Handgelenken aufgehängt, von den Deckenrohren. Nackt. Blut strömte ihm aus Mund und Nase. Ihr Gehirn pickte wahllos Details heraus, um sich mit unnatürlicher Klarheit auf sie zu fokussieren. Die Krawatte um seine Handgelenke schien grausam eng geknotet zu sein. Beigefarbene Seide mit geschmackvollen goldenen Akzenten. Eins seiner Lieblingsstücke.

Er riss seine blutunterlaufenen Augen wild auf, als er sie bemerkte. Sein Mund bewegte sich, aber kein Laut drang heraus. Dünne, haarfeine Objekte ragten aus seinem nackten Körper. Nadeln. Er war übersät mit Nadeln. Sie steckten überall.

Ein heiseres Krächzen, das mehr animalisch als menschlich klang, entrang sich ihrer Kehle, als sie auf ihn zustürzte und dann schwankend stehen blieb.

Schlanke, weit gespreizte Beine auf dem Boden, ein Schuh an-, der andere ausgezogen. Von Strapsen gehaltene Seidenstrümpfe. Ein nackter, blasser, magerer Hintern. Mandi. Sie lag schrecklich still.

Mags entsetzter Blick kollidierte mit Craigs. Seine verzweifelten Augen zuckten zu einer Stelle links hinter ihr. Langsam drehte sie den Kopf.

Ein plötzlicher, grauenvoller Schmerz, Feuer und Eis zugleich, fuhr ihr in den Hals, den Arm hinunter und gleichzeitig hinauf in ihren Kopf, wo er explodierte.

Die Eruptionen wurden von Dunkelheit erstickt. Die Welt verschwand.

»Sie muss sterben, Faris.«

Marcus’ Stimme aus dem Handy, das Faris an sein Ohr drückte, klang sanft vor besorgtem Bedauern, doch er kannte die stählerne Kälte, die sich dahinter verbarg, nur zu gut.

Faris starrte auf das nackte Mädchen, das auf dem Hotelbett lag. Ihr kupferrotes Haar kringelte sich auf dem Kissen. Er streichelte die Wölbung ihres Bauchs, die Vertiefung ihres Nabels. Ihre durchscheinende Haut war unfassbar weich und zart.

Er war so begabt. Er verdiente dies. Ihre Liebe würde die schmerzhafte Leere füllen, die ihn peinigte, wann immer Marcus keine Arbeit für ihn hatte.

»Nein«, wisperte er.

»Es sollte nach einem erweiterten Selbstmord aussehen, Faris. Du hattest den Auftrag zurückzuholen, was Caruso uns gestohlen hat. Es steht dir nicht zu, meinen Befehl zu ignorieren und den Kurs zu ändern, um dir selbst etwas zu gönnen.«

»Aber das Szenario ist fast genau so, wie du es wolltest«, protestierte Faris. »Carusos eifersüchtige Freundin überrascht ihn bei etwas, das nach perversen Sexspielchen aussehen wird. Sie erschießt ihn und seine Geliebte mit ihrer Pistole, dann entsorgt sie, weil sie eine reine Amateurin ist, die Waffe in der erstbesten Mülltonne und taucht unter.«

»Faris.« Marcus’ Stimme war unheilvoll sanft. »Das ist nicht das, was wir …«

»Ich weiß, wo der Abdruck ist«, unterbrach Faris ihn. »Ich werde ihn dir jetzt holen. Welchen Unterschied macht es, ob sie verschwindet oder stirbt? Sie ist die Hauptverdächtige. Die Polizei hat keinen Grund, weitere Nachforschungen anzustellen. Sollen sie ihre Energie ruhig bei der Suche nach ihr vergeuden. Sie werden sie niemals finden.«

»Faris.« Marcus’ Vorwurf war nun unüberhörbar. »Das ist nicht der springende Punkt. Hier geht es um mein Vertrauen in dich. Ich habe eine Unmenge an Energie und Geld in deine Ausbildung gesteckt. Ich habe aus dir den Besten der Besten gemacht. Und nun sagst du wie ein verzogenes Kind einfach Nein?« Er machte eine Pause. »Möglicherweise bist du dieser Sache nicht so würdig, wie ich dachte.«

Faris’ Finger zeichneten die markante Vertiefung unter ihrem Brustkorb nach, wo ihre lebenserhaltenden Organe lagen, geschützt nur durch geschmeidige Muskeln und seidige Haut. Normalerweise setzte ihm Marcus’ Zorn so sehr zu, dass er glaubte, sich übergeben zu müssen, aber mit seinem roten Engel an seiner Seite berührte ihn all das nicht im Geringsten. Beinahe … frei. »Ich habe noch nie etwas für mich selbst erbeten«, erwiderte er mit verträumter Stimme. »Immer tue ich, was du willst. Immer.«

Marcus’ Seufzen war scharf und ungeduldig. »Wir dürfen unsere Pläne nicht durch eine solche Banalität gefährden. Frauen sind austauschbar. Niemand weiß das besser als wir. Sei vernünftig. Ich werde dir zehn von ihrer Sorte geben. Hundert.«

Nein. Es gab auf der ganzen Welt keine wie sie. Sein roter Engel. Faris’ Finger flatterten nach unten und umkreisten ihre Hüftknochen.

»Dein Verhalten schockiert mich. Diese Callahan ist überflüssig wie ein Kropf. Bring den Job zu Ende. Ich will das tragische Finale der Caruso/Callahan-Saga heute Abend in den Elf-Uhr-Nachrichten hören. Versagen ist inakzeptabel. Haben wir uns verstanden? Faris?«

Faris legte auf und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Mädchen. Die billige Synthetikdecke war ihrer unwürdig. Sie sollte auf einem Altar purpurroten Samtes liegen, umhüllt von goldenem Stoff.

Seine Finger verweilten auf der zarten Haut ihres Handgelenks und prüften ihren Puls. Er maß die entsprechende Dosis einer Droge ab, die sie für weitere zwei Stunden bewusstlos halten würde, und führte die Nadel sachte in ihren Arm ein.

Er überlegte, sie ans Bett zu fesseln, nur für den Fall, dass er sich verspäten sollte, doch es widerstrebte ihm, ihre Liebesbeziehung damit zu beginnen, dass er sie verängstigte. Er wollte zärtlich mit ihr umgehen. Behutsam. Zwei Stunden waren reichlich Zeit, um den Abdruck für Marcus zu beschaffen. Ein paar Minuten mit Faris’ Nadeln, schon war Caruso mehr als bereit gewesen zu verraten, wo er ihn versteckt hatte.

Tatsächlich war dies ein erbärmlich leichter Auftrag. Fast schon unter seiner Würde. Wenn alles glattlief, würde er das Mädchen noch nicht einmal foltern müssen.

Faris hoffte darauf. Er war ein meisterlicher Folterknecht, doch er würde es vorziehen, wenn sie ihn liebte. Müsste er sie quälen, würde das die Dinge erheblich verkomplizieren. Frauen nahmen alles so furchtbar persönlich.

Er verharrte weiter an ihrem Bett. Es widerstrebte ihm, sie so bald, nachdem er sie gefunden hatte, allein lassen zu müssen. Er griff nach der Kette mit dem Schlangenanhänger, dem Symbol seines Ordens, hob ihren Kopf an, um sie ihr umzulegen, und arrangierte den Anhänger sorgsam zwischen ihren perfekten Brüsten. Er war sein wertvollster Besitz. Faris streichelte die weiche Haut, die üppigen Kurven. So. Schon besser. Er war der materielle Beweis seiner Hingabe. Er würde sie bis zu seiner Rückkehr beschützen. Sie sah perfekt aus.

Das Gefühl der Verzückung machte ihn schwindlig. Es war stark genug, um selbst Marcus’ Zorn standzuhalten. Faris verließ das Zimmer und malte sich dabei aus, wie dankbar und euphorisch sie sein würde, wenn er zurückkäme und sie weckte.

Sie verdankte ihm ihre pure Existenz. Jeder Augenblick ihres Lebens gehörte nun ihm. Sie sollte ihm für jeden einzelnen Atemzug dankbar sein.

Eine detailreiche und höchst sinnliche Fantasie all der Möglichkeiten, wie sie ihre Dankbarkeit zum Ausdruck bringen würde, sorgte während seiner Fahrt für vergnügte Zerstreuung.

 

2

Seattle, Washington, acht Monate später

Der Drache sinkt in den Ozean …

Davy McClouds Körper führte mit fließender Dynamik die Figur aus, unbelastet von bewussten Gedanken, in perfektem Einklang mit den traditionellen Bewegungsabläufen. Greife mit der Drachenklaue. Sinke nach unten, um deinen Phantomgegner zu Boden zu bringen. Atme tief und gelöst, um das Qi in deine lebenserhaltenden Organe zu leiten und dort zirkulieren zu lassen. Sein Körper war entspannt und voller Energie, seine Aufmerksamkeit konzentriert, Körper und Geist in vollkommener Harmonie, das Qi durch die Augen nach außen fokussiert.

Er war der Drache, er war die Wolke, aus der er sich formte, der Ozean, in dem er lebte. Getragen von der Luft. Frei und schwerelos.

Die Tür des Dojo machte kein Geräusch, als sie geöffnet wurde, doch Davys gesteigerte Wahrnehmung registrierte jede noch so winzige Veränderung der Temperatur und der Luftströmung. Er spürte ihre Energie, ohne sich umdrehen zu müssen, wusste instinktiv, wie sie sich anfühlte. Wie das Klingeln einer Million kleiner Glöckchen.

Sekunden später erreichte ihn ihr Duft. Würzig. Ingwer oder Nelken. Waldig, wie Zedernholz mit einem Hauch Orange. Köstlich. Sein Körper spannte sich an, während sie sich der Tatami näherte, auf der er übte, und, verdammt, jetzt machte er auf einmal eine Tigerkralle – eine die Luft durchschneidende Abwärtsbewegung – anstelle der weicheren, kreisenden Drachenklaue. Er korrigierte sich sofort und nahm sich einen Sekundenbruchteil Zeit, um seine Konzentration zu bündeln.

Der Drache streckt die linke Klaue aus …

Sie musste gerade ihren Aerobickurs im Women’s Wellness Center, dem benachbarten Fitnessstudio für Frauen, beendet haben. Er hatte die hämmernde Musik vor einer zeitlosen Unendlichkeit verklingen hören, die das Zählwerk in seinem Hirn auf circa fünfzehn Minuten einschätzte. Tief versunken im abgelegenen Niemandsland seiner Selbstvergessenheit hatte er das helle Stimmengewirr der Frauen, die, berauscht vom Endorphinkick, das Fitnesscenter in Richtung Fußgängerzone verließen, kaum registriert.

Und hier war sie. Direkt hinter ihm. In seinem Revier.

Der Drache streckt die rechte Klaue aus …

Was zum Teufel tat sie hier? Er hatte sich so sehr bemüht, sie zu meiden, und jetzt ging sein Atem harsch, zu verkrampft und schnell, zu weit oben in seiner Brust. Sein Herz raste und hämmerte gegen seine Rippen, als hätte er Angst.

Konzentrier dich, verflucht noch mal! Er atmete weicher, doch dadurch strömte nur noch mehr von ihrem warmen, weiblichen Duft in seine Lungen. Feuchte Lieblichkeit. Parfümierte Seife, Shampoo oder welches feminine Zeug auch immer sie sich sonst auf ihren Körper schmierte, aktiviert durch den Schweiß ihres Trainings. Wenn er sich umdrehte und sie ansähe, würden winzige Tropfen auf ihrer perfekten Haut schimmern.

Er drehte sich nicht zu ihr um. Obwohl er sie nicht ansah, regten sich seine Lenden. Er war wütend auf seinen eigenen Körper.

Der Drache greift nach dem Regenbogen …

Ihre Trainingsbekleidung aus leuchtend pinkfarbenem Elastan blitzte in seinem Augenwinkel auf, als er sich zur Seite drehte. Irritiert zu werden, war nur eine weitere Prüfung, die es zu bewältigen galt, rief er sich ins Gedächtnis. Das Gleiche traf auf den Ansturm irrationalen Ärgers zu. Er beherrschte die Technik. Beobachte leidenschaftslos deine Reaktion. Löse dich davon. Mach weiter.

Er sollte jede Herausforderung für seine Konzentration begrüßen. Es war nur eine Frage der Psyche. Im Idealfall sollte er in der Lage sein, seinen Fokus ungebrochen aufrechtzuerhalten, selbst wenn der Himmel über ihm einstürzte.

Der Drache streckt die linke Klaue aus …

Nur dass dem einstürzenden Himmel nicht dieser süße, würzige Duft anhaften würde, der seine Verteidigung durchsiebte wie Kugeln, die durch Stahl schlugen.

Mit ausgestrecktem Bein wirbelte er ganz zu ihr herum und bekam die Bestätigung, dass sie tatsächlich ihren scharfen zweiteiligen pinkfarbenen Gymnastikanzug trug – einen verführerischer Tanga mit hohem Beinausschnitt. Eins seiner Lieblingsteile. Er hatte sich ihre Sportbekleidung in den sechs Wochen, seit sie nebenan arbeitete, genau eingeprägt. Jedes einzelne Teil.

Eigentlich ein bisschen abartig, wenn er darüber nachdachte. Aber er sollte überhaupt nicht denken. Im Moment waren nicht mehr als fünfundzwanzig Prozent seiner Konzentration auf die Figur fokussiert. Die restlichen fünfundsiebzig waren sich Margot Vetters Anwesenheit hyperbewusst. Sie beobachtete ihn, wie er in dem dämmrigen stillen Dojo trainierte, und er war verlegen wie ein halbwüchsiger Junge. Er hatte die Baumwolljacke seines Gi ausgezogen, und sein Oberkörper war schweißgebadet. Wenn er sie aus dieser Entfernung riechen konnte, roch sie ihn auch, und nachdem er zwei aufeinanderfolgende Karatekurse gegeben hatte, war das keine angenehme Sache. Mit Sicherheit verströmte er das brünstige Aroma eines verschwitzten männlichen Tiers.

Hör auf, denk nicht daran, blende es aus! Er ließ sich ein weiteres Mal in die Eröffnungsposition sinken, fest entschlossen, sie durchzuziehen. Der Kranich steigt zum Himmel auf … Sprung, behände Landung in Katzenstellung links, die rechte Hand unter die linke geschoben zu Der Kranich kühlt seine Flügel … aber es war zwecklos, mit dem Gebimmel dieser winzigen Glöckchen, die seine Konzentration zunichtemachten.

Er vollendete die Figur, wenn auch nur, weil ihm die Disziplin untersagte, etwas, das er begonnen hatte, nicht zu Ende zu bringen, und sank nach unten zu Der Kranich bewacht sein Nest.

Vergebliche Liebesmüh.

Nichts sollte ihn aus dem Gleichgewicht bringen, wenn er in diesem meditativen Zustand war. Und nichts hatte das je vermocht, bis Margot Vetter im Women’s Wellness nebenan aufgetaucht war, um dort Aerobicstunden abzuhalten. Er war achtunddreißig Jahre alt, und er fuhr völlig auf diese Frau ab.

Aber mehr konnte daraus nie werden. Er wusste das seit dem Abend, als Tilda, seine Mieterin, die das Women’s Wellness Center leitete, sie einander vorgestellt hatte. Er hatte die Nacht damit zugebracht, sich im Bett hin und her zu wälzen, bis er die unter der Matratze festgesteckten Laken herausgezerrt und um seinen verschwitzten Körper gewickelt hatte. In seinen Fantasien umschlang Margot ihn, sie lag auf ihm, kniete vor ihm. Mitten in der Nacht hatte er die Hoffnung auf Schlaf aufgegeben und sich an den Computer gesetzt, um das zu tun, was jeder Mann mit einem funktionstüchtigen Hirn tun sollte, wenn er in Erwägung zog, sich mit einer Frau einzulassen: Er hatte einen umfassenden Hintergrundcheck angestellt.

Die Resultate dieser Überprüfung hatten ihm wochenlang die Stimmung vermiest.

Er holte tief Luft und ließ sie langsam wieder entweichen, bevor er sich umdrehte.

»Keine Schuhe auf der Tatami«, sagte er.

»Ich bin barfuß«, antwortete sie. »Ich habe meine Flip-Flops an der Tür ausgezogen.«

Ihre rauchige Altstimme strich über die Nerven an seiner Hautoberfläche. Seine Härchen kribbelten, sein Schoß fühlte sich schwer an, und es machte ihn wütend, dass er wütend war, verlegen, dass er verlegen war. Sein Blick huschte über ihren Körper: schlanke nackte Füße, grazile Knöchel, türkisfarbene Leggings, die lange, muskulöse Beine umschmiegten, das aufreizende pinkfarbene Trikot, das jede ihrer erotischen Kurven betonte. Sie war groß, mit breiten Schultern und ausladenden Hüften. Nicht zu dünn, mit ihrem runden, etwas abstehenden Po, und der weichen, köstlichen Wölbung ihres Bauchs. Ihr Kopf war erhoben, ihr Rücken kerzengerade, ihr Gang forsch und wiegend, womit sie einen Mann jederzeit dazu bringen könnte, wie hypnotisiert mit dem Auto auf den Bürgersteig zu rasen und in eine Parkuhr zu krachen.

Was ihm nämlich um ein Haar passiert wäre, als er sie zum ersten Mal erblickt hatte.

Der Sport-BH, der zu dem Tanga gehörte, bändigte ihre üppigen, weich aussehenden Brüste. Irgendwann in den nächsten Tagen würde er unter dem Vorwand einer nachbarschaftlichen Stippvisite durch die Tür ihres Fitnesscenters schlendern und bei einer ihrer Aerobicstunden zusehen, nur um sich von der Leistungsstärke dieses Büstenhalters zu überzeugen. Trotzdem würde er diese Brüste nackt und ungestützt sehen müssen, um wirklich an sie zu glauben. Bis dahin würde er der Existenz Gottes weiterhin skeptisch gegenüberstehen.

Falsch. Nein. Er würde diesen Weg nicht beschreiten, das würde er nicht tun. Er hatte diese Tür schon vor Wochen zugeschlagen, trotzdem irrlichterten die Fantasiebilder unaufhörlich durch seinen Kopf, und nun manifestierte sich die Schwere in seinem Schritt zu einem offiziellen Ständer. Die dünnen Baumwollhosen, die er bei seinem Kung-Fu-Training trug, würden ihm nicht dabei helfen, seine männliche Würde zu bewahren. Er war geliefert.

Ihre Augen waren ein Kaleidoskop leuchtender Farben: die Iriden umrahmt von Indigoblau, das um die Pupille zu einem bläulichen Grün und dann zu Gold verblasste. Sie trafen seine so direkt, dass er sich mit aller Kraft gegen den Impuls wehren musste, den Blick zu senken und auf seine Füße zu starren. Gott im Himmel! Als Nächstes würde er noch erröten und anfangen zu stottern.

Die spannungsgeladene Stille machte ihn verrückt.

»Was tun Sie hier?«, fragte er. Seine Verlegenheit ließ seine Stimme barscher klingen, als er es beabsichtigt hatte.

Sie zog ihre volle, rosige Unterlippe zwischen die Zähne und kaute auf ihr herum. »Ich … ich, äh, tut mir leid, dass ich Sie gestört habe.«

Er zuckte die Schultern. Abwartend.

»Ihre Kata sieht toll aus«, bemerkte sie. »Sie haben eine wunderbare Technik. Ich bin zwar keine Expertin, trotzdem … nun, was soll ich sagen? Es war wirklich beeindruckend.«

Die Höflichkeit gebot, ihr Kompliment mit einer freundlichen Erwiderung zu belohnen, doch alles, was er zustande brachte, waren ein Nicken und ein Grunzen. Sie wartete vergeblich, dass er sein Stichwort aufgriff. Er biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich darauf, seine körperliche Reaktion zu bezähmen – es war die Biofeedback-Entsprechung zu dem Versuch, nicht an einen rosaroten Elefanten zu denken.

Ihre Wangen wurden noch rosiger. »Ich, ähm … tatsächlich wollte ich Ihnen ein paar Fragen stellen. Wie ich höre, sind Sie Privatdetektiv, deshalb …«

»Von wem haben Sie das?«

Sein schroffer Ton schien sie aus der Fassung zu bringen. »Von diesem blonden Mann, der hier die Kickboxkurse gibt. Er sagte mir, dass Sie …«

»Sean«, brummte er. »Mein Bruder. Der kann einfach nie seine große Klappe halten.«

Eine verwirrte Falte trat zwischen ihre geraden dunklen Brauen. Vermutlich zerbrach sie sich den Kopf, wie es möglich sein konnte, dass er mit Sean verwandt war, diesem Inbegriff eines männlichen Pin-up-Models mit dem entsprechenden verführerischen Charme. Es gab nicht viele Ähnlichkeiten zwischen ihnen, mit Ausnahme ihres aschblonden Haars und ihres bizarren Hintergrunds.

»Oh.« Ihre Stimme klang wachsam. »Es ist also ein Geheimnis?«

Die Vorstellung, wie Sean Margot anmachte, ließ ihn unwillkürlich die Kiefer zusammenpressen. Und weil er wusste, wie dumm und irrational seine Reaktion war, verstärkte sich seine Wut wie in einer endlosen Teufelskreisspirale. »Ich bin gerade dabei, aus dem Geschäft auszusteigen. Meine Lizenz besitze ich zwar noch, trotzdem nehme ich keine neuen Klienten mehr an. Was Sean verdammt genau weiß.«

»Oh.« Margot klang kleinlaut. »Warum steigen Sie denn aus?«

Davy verschränkte die Arme vor seiner nackten Brust und wünschte sich, seine Jacke zu tragen, die am anderen Ende des Raums über dem Hantelständer hing.

»Langeweile. Erschöpfung.« Er ließ seine Stimme kühl und abweisend klingen. »Ich orientiere mich neu.«

Ihr Blick ging zu Boden, und sie wich einen Schritt zurück.

Es funktionierte. Er hatte sie vergrault. Sie würde nicht wiederkommen. Genau wie er es beabsichtigt hatte. Alles lief nach Plan. Warum fühlte er sich dann so beschissen?

»Ich verstehe. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie belästigt habe«, murmelte sie und wandte sich ab. »Ich werde Sie nicht länger aufhalten …«

»Warten Sie!«, hörte er sich sagen.

Margot drehte sich langsam wieder zu ihm um. Ihr Gesicht wirkte blass im schwindenden Tageslicht. Ihre Haare wurden von einer Spange zusammengehalten, bis auf ein paar kürzere Strähnen, die ungebändigt nach allen Richtungen abstanden. Die tiefen Höhlen unter ihren hohen Wangenknochen waren neu. Sie hatte in den letzten Tagen Gewicht verloren, und ihre Blässe bestätigte das, was er seit dem Moment, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, vermutete: Diese stumpfe braune Haarfarbe war falsch, genau wie ihr Name, ihr Führerschein, alles an ihr.

Sie sah heute Abend verändert aus. Zerbrechlich. Die Erinnerung an Kevin blitzte in seinem Kopf auf und versetzte ihm einen dumpfen, schmerzhaften Stich. Sein jüngerer Bruder war schon vor Jahren gestorben, als er mit seinem Laster über eine Klippe gerast war. Davy war damals am Persischen Golf stationiert gewesen, doch er hatte in der Nacht, bevor ihn die Nachricht erreichte, von seinem Bruder geträumt. Auf Kevins Gesicht hatte ein Schatten gelegen.

An diesem Abend lag auch auf Margot Vetters Gesicht ein solcher Schatten.

Er wich gerade von seinem Skript ab. Die Frau verhieß Probleme, die er nicht brauchte. Sie war ein lebendiges, atmendes Fragezeichen. Und er hatte schon genug am Hals mit dem neuen beruflichen Standbein, das er sich gerade aufbaute.

Margot Vetters bewegte Vergangenheit ging ihn nichts an, egal, wie groß seine Neugierde war. Er musste nicht wissen, vor was sie davonlief, welche Verantwortung sie scheute. Verdammt sollte er sein, wenn er sich seinem beständigen Streben um Selbstkontrolle zum Trotz von seinem Schwanz in die Schlangengrube falscher Entscheidungen und schlechten Urteilsvermögens eines anderen Menschen würde locken lassen.

Außerdem wollte er sich auf keine weiteren Rettungsaktionen einlassen. Er hatte sich vor Jahren, bei Fleur, in der Heldenrolle versucht, und es hatte ihm rein gar nichts eingebracht.

Außer seinen Narben.

Verdrossen über sein beharrliches Schweigen zuckte Margot mit den Schultern. »Also?«, fragte sie ungeduldig. »Worauf soll ich warten? Weshalb starren Sie mich so an?«

Er versuchte, Zeit zu gewinnen. »Wozu brauchen Sie einen Detektiv?«

Sie kniff ihre vollen Lippen zusammen. »Warum interessiert Sie das? Es ist irrelevant, schließlich sind Sie nicht mehr im Geschäft. Und ich möchte Sie auf keinen Fall langweilen.«

»Sie langweilen mich nicht. Außerdem entscheide ich, was relevant ist und was nicht.«

Sie wurde auf der Stelle fünf Zentimeter größer. »Was Sie nicht sagen. Na, wenn das nicht arrogant ist!«

Arrogant. Und wenn schon. Frauen hatten ihm das schon öfter vorgehalten, aber er hatte es stets mit einem Schulterzucken abgetan. Es gab Schlimmeres, was eine Frau einem Mann vorwerfen konnte.

»Erzählen Sie es mir einfach.« Davy setzte seinen gebieterischen Blick auf, der ihm als einziger Autoritätsperson bei seinen drei widerspenstigen jüngeren Brüdern stets gute Dienste leistete und nie seine Wirkung verfehlte. Er hatte ihn bei der Armee weiterentwickelt und als Kampfsportmeister perfektioniert – seine gesamte Willenskraft gebündelt im Feuer seines Blicks. Der Legende nach konnte ein wahrer Meister der Drachenform seine Feinde mit einem einzigen Blick so sehr einschüchtern, dass sie sich unterwarfen. Diese Stufe hatte er noch nicht erreicht, trotzdem machte er sich meistens ganz gut.

Nur bei Margot Vetter kam er damit keinen verdammten Schritt weiter. Sie verschränkte einfach die Arme vor der Brust und starrte ungerührt zurück. »Ich habe keine Zeit für unproduktive Neugier, Kumpel. Ich muss einen Körperstraffungskurs geben, und zwar in …« – sie sah auf die Uhr – »… drei Minuten. Machen Sie also mit Ihren Karateübungen weiter, und zermartern Sie sich nicht das Hirn über …«

»Kung-Fu«, korrigierte er.

Sie versengte ihn mit ihrem feurigen Blick. »Wie bitte?«

»Ich habe Kung-Fu trainiert, nicht Karate.«

Sie verdrehte die Augen, kehrte ihm den Rücken zu und stolzierte zur Tür.

Ohne nachzudenken, hechtete er an ihr vorbei, um den Ausgang zu blockieren. Sie zuckte perplex zurück. »Hey! Wie haben Sie das angestellt?«, fragte sie scharf.

Die faszinierende Farbenvielfalt in ihren Augen hypnotisierte ihn. »Was angestellt?«

»Ich habe nicht mal gehört, wie Sie sich bewegen, und – wusch! – tauchen Sie plötzlich vor mir auf.« Sie pikte ihn mit dem Finger in den Solarplexus, bevor sie die Hand, schockiert über den Hautkontakt, zurückzog. »Sie haben mich erschreckt!«

»Hm …« Er zermarterte sich das Gehirn wegen irgendeiner Antwort. »Der Drachengeist vielleicht.«

Oh, verdammt! Er bereute die Worte, noch während sie ihm entschlüpften.

»Der Drachen-was?« Sie musterte ihn mit tiefem Argwohn.

»Der Legende zufolge kann ein Shaolin-Kämpfer den Geist des Drachen benutzen, um seinen Gegner zu der irrigen Annahme zu verleiten, der Angriff erfolge aus der anderen Richtung«, erklärte er lahm. »Theoretisch.«

Margot reckte herausfordernd ihr spitzes Kinn. »Oh. Ich verstehe. Wollen Sie mich dann also angreifen? Seit wann bin ich Ihr Gegner?«

»Das sind Sie nicht. Das sind Sie absolut nicht«, versicherte er ihr. »Ich habe das gesagt, ohne nachzudenken. Es war dumm von mir. Ich wollte damit nicht andeuten … warten Sie. Gehen Sie noch nicht!« Er versperrte ihr den Weg, als sie sich an ihm vorbeizwängen wollte.

Sie runzelte die Stirn. »Hey. Versuchen Sie absichtlich, mich einzuschüchtern, oder sind Sie einfach nur seltsam?«

Er dachte darüber nach und kam zu dem Schluss, dass er nicht versuchte, sie einzuschüchtern. »Ich glaube, ›einfach nur seltsam‹.«

Sie verdrehte die Augen. »Okay, das reicht jetzt. Aus dem Weg. Die Arbeit wartet auf mich.« Sie verscheuchte ihn mit einem autoritären Winken ihrer schlanken Hand.

»Treffen Sie mich nach Ihrem Kurs. Dann können Sie mir von Ihrem Problem erzählen. Beim Abendessen. Falls Sie möchten.« Nachdem er mit diesem impulsiven, unüberlegten Vorschlag herausgeplatzt war, wartete er mit angehaltenem Atem auf ihre Antwort.

Ihre Augen weiteten sich vor hilfloser Überraschung. Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper, und ihr Ausschnitt rutschte tiefer. Der Ansatz ihrer Brüste war von roten Sommersprossen übersät. Er riss den Blick von ihrem Dekolleté los.

»Wer sagt, dass ich ein Problem habe?« Ihre Stimme klang angriffslustig.

»Menschen, die einen Privatdetektiv brauchen, haben immer ein Problem. Erzählen Sie es mir. Wenigstens die Kurzfassung. Bitte!«

Margot starrte einen langen Moment zu Boden, dann ließ sie ein gedehntes, zittriges Seufzen hören. »Na ja … es ist nur so, dass es da diesen kranken Typen gibt, der mir nachstellt, und das macht mich fix und fertig.« Die Worte sprudelten mit nervöser Hektik aus ihrem Mund. »Ich wollte einfach mit jemandem darüber reden. Sie wissen schon, um einen anderen Blickwinkel zu bekommen. Ich drehe mich wie eine Irre im Kreis, wann immer ich daran denke.«

»Was ist passiert?«, bohrte er nach. »Was hat er bisher getan?«

Sie knetete ihre Hände. »Das Ganze fing damit an, dass ich Rosenblätter vor meiner Haustür fand, was merkwürdig war, aber ich habe mir nichts weiter dabei gedacht. Ein heimlicher Verehrer, hipp, hipp, hurra! Das Ganze hat sich in den letzten zwei Wochen mit Unterbrechungen wiederholt. Bis dann vor sechs Tagen bei mir eingebrochen wurde. Keine Ahnung, ob da ein Zusammenhang besteht. Bloß dass neulich …« Sie verstummte und schluckte.

»Was?«

Die unverhohlene Ungeduld in seinem Ton ließ sie zusammenzucken. »Die Sache mit dem Hund. Ich fand einen toten Hund auf meiner Veranda, mit aufgeschlitzter Kehle. Alles war voller Blut.«

Irgendwo tief in seinen Eingeweiden tat sich ein kalter, dunkler Abgrund auf. »Was hat die Polizei gesagt?«

Sie zögerte und schüttelte den Kopf. »Ich, ähm, habe sie nicht alarmiert.«

»Warum nicht?«, fragte er, obwohl er den Grund haargenau kannte.

Der Schatten auf ihrem Gesicht verdunkelte sich um eine kaum wahrnehmbare Nuance. Sie wandte den Blick ab. Die schwachen bläulichen Ringe unter ihren Augen verliehen ihr etwas Gehetztes. »Sehen Sie, ach … vergessen Sie es, okay? Ich hätte Sie nicht belästigen sollen, außerdem komme ich zu spät zu meinem Kurs, und Sie sind sowieso nicht mehr im Geschäft, deshalb vielen Dank für Ihre Zeit, aber ich muss jetzt …«

»Erzählen Sie mir den Rest beim Abendessen«, wiederholte er.

Sie bedachte ihn mit einem langen, forschenden Blick. »Wissen Sie, irgendetwas sagt mir, dass das keine besonders gute Idee wäre.«

Hier war sie. Seine Chance, mit halbwegs intakter Würde aus der Sache rauszukommen. Wie gewonnen, so zerronnen, und das war bei Gott auch das Beste.

»Warum nicht?«, fragte er.

Sie wirkte verlegen. »Ich muss meinen Hund aus der Tagespension abholen.«

»Ich kann warten. Mögen Sie mexikanisches Essen?«

»Klar, sehr gerne. Aber es hat keinen Zweck, Ihnen mit meinen persönlichen Problemen die Zeit zu stehlen, wenn Sie nicht …«

»Ich habe meine Meinung darüber, keine neuen Fälle anzunehmen, geändert.«

Verwirrtes Schweigen folgte auf seine Worte. Ihr bedeutungsschwerer Schatten lastete auf ihm, er reizte ihn wie ein quälender Traum, der sich dem Zugriff bewusster Gedanken entzog und eine nachklingende vage Angst hinterließ.

Es war ein vertrautes Gefühl. Die Fälle, die ihm nicht am Arsch vorbeigingen, setzten ihm immer zu. Nur geschah das im Regelfall nicht so schnell.

Sie schluckte. »Eigentlich hatte ich nicht vor, Sie zu engagieren. Um ehrlich zu sein, bin ich zu pleite, um Sie bezahlen zu können. Ich wollte nur mit jemandem darüber reden. Mein Hund hat es satt, mir zuzuhören.«

»Also reden Sie mit mir«, bot er an. »Beim Abendessen.«

Sie biss sich auf die Lippe, ihre Augen waren groß und sorgenvoll. »Ihre Überzeugungskraft ist wirklich beachtlich, McCloud. Aber es war ein langer Tag, und ich möchte heute Abend einfach nur entspannen und mit meinem Hund zusammen sein. Danke für die Einladung, aber ich muss leider ablehnen. Sie dürfen mich jetzt durchlassen.«

»Ich werde mich zurückhalten«, versprach er. »Ich besorge uns etwas zu essen, während Sie Ihren Hund holen, anschließend treffen wir uns bei Ihnen zu Hause.«

Sie schüttelte vehement den Kopf. »Nein. Wir werden nichts dergleichen tun.«

Ihr Rückzieher ließ ihn verzweifeln, als müsste er dringend ein Schiff erreichen, das nun ohne ihn ablegte. Sie versuchte, sich zwischen ihm und der Wand hindurchzumanövrieren. Er blockte sie ab, indem er schnell einen Arm nach vorn, den anderen nach hinten ausstreckte.

»Warten Sie«, beschwor er sie. »Nur eine Sekunde.«

»Was soll das?« Sie holte aus.

Er fing ihre Hand in der Luft ab, bevor sie ihm eine knallen konnte. »Beruhigen Sie sich! Diese Sache ist wirklich ernst. Ich will …«

»Wagen Sie es nicht, mich anzufassen!« Sie rammte ihr Knie nach oben.

In dem automatischen Reflex, seine Weichteile zu schützen, wirbelte er zur Seite und presste Margot gegen die Wand. Es passierte so schnell und unerwartet, dass ihm ihr Duft in die Nase stieg, ihr weiches Haar seinen Mund kitzelte und ihre geschmeidigen Kurven schließlich fest an seinen Körper gepresst wurden.

Sie zitterte. Aus Furcht vor ihm.

Er ließ augenblicklich von ihr ab und trat bestürzt zurück. »Verdammt! Es tut mir leid. Ich wollte das nicht tun. Das schwöre ich.«

Schwer atmend starrte sie ihn an. Sie schlug eine Hand vor den Mund, dann legte sie beide Hände auf die hektische Röte, die ihre hohen Wangenknochen überzog.

Davy betete, dass sie nicht nach unten sehen würde. Er versuchte, wie ein Traktorstrahl ihren Blick festzuhalten, und flehte im Stillen: Sieh nicht nach unten, sieh nicht nach unten …

Sie sah nach unten. Er war erledigt. Hitze stieg ihm ins Gesicht.

»Oh Gott«, wisperte sie. »Sie Psychopath.«

»Es tut mir leid.« Er hob die Hände. »Ich wollte Sie nicht angrapschen. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.«

Ihr Blick huschte wieder zu seinem Schritt. »Nun, ich hätte da so eine Vermutung«, kommentierte sie verächtlich.

Er suchte krampfhaft nach einer Rechtfertigung für sein bizarres Verhalten, fand jedoch keine. »Ich wollte nur nicht, dass Sie wütend weggehen.«

Sie stieß ein trockenes Lachen aus. »Clever, McCloud. Überaus clever. Ich habe einen kleinen, gut gemeinten Tipp für Sie. Denken Sie von nun an daran, Ihre Psychopharmaka rechtzeitig einzunehmen, okay?«

Das Glasfenster mit der Aufschrift McCloud Martial Arts Academy schepperte im Türrahmen, als sie beim Hinausgehen energisch die Tür zuknallte.

 

3

Mikey würde sie dafür büßen lassen, dass sie ihn in der Tierpension abgegeben hatte. Das ganze Ausmaß seines Kummers und Zorns war daran erkennbar, wie starr er seinen kleinen Körper hielt, als sie ihn die Treppe zu ihrer Veranda hinauftrug. Sie bezwang ihre übelkeiterregende Angst, bevor sie in die Schatten spähte, um sich zu vergewissern, dass nichts Grauenvolles auf ihrem Türvorleger wartete.

Heute nicht. Snakey, dieser perverse Irre, hatte sich den Tag freigenommen.

Während sie die Tür aufsperrte, normalisierte sich ihre Atmung langsam wieder. Sie knipste das Deckenlicht an – eine nackte Glühbirne, die scheinbar speziell dazu gedacht war, Wasserschäden und Risse im Putz hervorzuheben, ganz zu schweigen von Augenringen und diversen Hautunreinheiten. Margot verabscheute das Ding, aber ihre hübschen Lampen waren bei dem Einbruch kaputtgegangen. Sie musste mit der nackten Funzel vorliebnehmen, bis sie ihr Leben wieder auf Kurs gebracht hatte. Aber nach dem, wie die Dinge derzeit liefen, schien dieser Tag in immer weitere Ferne zu rücken.

Behutsam setzte sie Mikey ab. Er schüttelte sich, bevor er sich mit leiser Verwirrung umsah, fast, als wollte er sagen: Wo sind wir hier? Ich erinnere mich kaum daran … oder an dich. Er wandte sich von ihr ab und humpelte langsam und erbarmungswürdig in Richtung Küche.

Natürlich humpelte er schon seit jenem Tag vor sieben Monaten, als ihre Flucht aus Kalifornien sie schließlich nach Seattle verschlagen und sie ihn halb tot am Straßenrand gefunden hatte. Ein Auto hatte seine Hinterbeine zertrümmert. Der Tierarzt hatte dazu geraten, ihn sofort einschläfern zu lassen, nur war sie nie dafür berühmt gewesen, auf die Stimme der Vernunft zu hören. Stattdessen hatte sie Mikey ihre eigene, intuitive Auffassung von Hundetherapie angedeihen lassen und es sich zur Aufgabe gemacht, ihn zu retten, als wäre er die Verkörperung all dessen, was sich im Leben zu retten lohnte. Denn wenn ihr das gelänge, würden sich die Dinge am Ende auch für sie wieder zum Guten wenden.

Möglich, dass das dumm und abergläubisch von ihr war, aber es spielte letztendlich keine Rolle, denn Mikey, der Wunderköter, war Belohnung genug. Er war klug, ihr treu ergeben und der schamloseste Manipulator, den sie je gekannt hatte. Sein hinkender Gang zerriss ihr das Herz. Wahrscheinlich übertrieb er immer, damit sie sich schlecht fühlte, gleichzeitig wusste sie aus Erfahrung, dass Kummer und Schmerz umso größer waren, wenn man sich einsam und deprimiert fühlte. Warum sollte es Mikey da anders gehen?

Falls er es tatsächlich vortäuschte, dann sah sie ihm die List auf jeden Fall nach. Er war ein kleiner Hund. Alt noch dazu, in Hundejahren gerechnet. Er musste sämtliche Waffen einsetzen, die ihm zur Verfügung standen. Das war etwas, was sie gut nachempfinden konnte.

Sie zog ihre verschwitzten Trainingsklamotten aus, während sie Mikey in die Küche folgte, und füllte dort die Spüle mit heißem Wasser und einer Verschlusskappe Waschmittel. Mikey kletterte in sein Körbchen, vollführte seine obligatorischen dreieinhalb Umdrehungen und ließ sich mit einem schwermütigen Seufzen hineinplumpsen.

Auch ihr entfuhr ein schwermütiger Seufzer, als sie ihren Gymnastikanzug in die Seifenlauge tauchte. Eine schnelle Dusche in ihrem schimmligen Badezimmer, eine weite Jogginghose und ihr übergroßes Superman-T-Shirt, und sie fühlte sich fast wieder wie ein Mensch. Sie wühlte in dem Korb auf ihrer Kommode nach einem Kamm, als sich ihre Finger um den schweren goldenen Schlangenanhänger schlossen.

Margot zog das Ding heraus und kämpfte den Anflug von Angst nieder, den es ihr einflößte. Sie wünschte sich, der Dieb hätte dies anstelle ihres Laptops mitgenommen. Obwohl es wertvoller war, wäre sie heilfroh gewesen, es los zu sein. Sie würde das grauenvolle Schmuckstück zu einem Pfandleiher bringen. Das Geld würde schmutzig sein, aber damit konnte sie leben. Irgendwie mussten die Tierarztrechnungen schließlich bezahlt werden.

Sie wusste, warum sie es behielt, auch wenn sie es sich nicht gern eingestand. Der Anhänger war der einzige Schlüssel zu dem albtraumhaften Puzzle, das ihr Leben geworden war. Er war wie ein magischer Talisman. Wenn sie ihn verkaufte, würde sie vielleicht für immer in diesem einsamen, düsteren Niemandsland gefangen sein – ohne Ausweg.

Stopp, hör auf damit! Sie durfte sich nicht dazu hinreißen lassen, auch nur eine Sekunde in diese Richtung zu denken. Ihre einzige Chance, geistig gesund zu bleiben, bestand darin, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren, einzuatmen, auszuatmen und dankbar dafür zu sein, dass sie am Leben war.

Sie ging in die Küche und hockte sich neben Mikeys Körbchen, absolut bereit, um Vergebung zu betteln. Er hatte sich zu einem Ball zusammengerollt und die grau werdende Schnauze zwischen den Pfoten vergraben. Seine Augen waren fest geschlossen. Kein Schwanzwedeln, kein Händelecken, kein freudiges Jaulen, keine freundliche Reaktion jedweder Art. Er mimte die Eiskönigin in Hundegestalt.

»Hey, Mikey! Willst du denn kein Abendessen?«, fragte sie.

Mikey war weit davon entfernt, auf eine solch plumpe Bestechung reinzufallen. Er zuckte nicht mit einem einzigen Barthaar. Margot stand auf und suchte im Schrank nach den Hundeleckerbissen. Sie wedelte mit einem vor seiner Nase herum.

Er öffnete ein Auge halb und bedachte sie mit seinem typischen »Vergiss es«-Blick.

»Das ist nicht fair«, schalt sie ihn. »Ich bringe dich in diese Tierpension, um dich vor Snakey zu beschützen, du undankbarer kleiner Rotzlöffel. Dabei kann ich es mir noch nicht mal leisten. Ich stehe wegen deinem letzten Kampf noch immer bei dem Tierarzt in der Kreide. Der Hund war zehnmal so groß wie du, aber hast du darüber nachgedacht, bevor du dich mit ihm anlegen musstest?«

Mikey bedeutete ihr mit einem schnüffelnden Grunzen, dass ein Hund nun mal ein Hund war und sie sich ihre finanziellen Probleme sonst wohin stecken konnte.

»Außerdem schuldest du mir was«, erinnerte sie ihn. »Ohne mich wärst du nur Matsch auf der Straße, Fellgesicht.«

Keine Chance. Mikey würde heute Abend nicht von seinem hohen Ross heruntersteigen.

Margot ließ sich neben sein Körbchen sinken und konzentrierte sich darauf, ihn so zu hätscheln, wie er es am liebsten hatte: ein sanftes Streicheln von der Stirn zum Nacken, mit einem Extrakraulen gegen den Strich rund um die Ohren. Er ließ sich ihre Berührung gefallen, weigerte sich aber, darauf zu reagieren. Sie fuhr mit den Fingern durch sein seidiges Fell, sorgsam darauf achtend, die rasierten Stellen um seine Stiche nicht zu berühren. Ein Andenken an seine Auseinandersetzung mit dem bissigen Streuner im Park.

Mikey war ein rauflustiger kleiner Bursche. Sie bewunderte das an ihm, auch wenn es sie Geld kostete. Er kapierte nicht, wann er seine große Klappe lieber halten sollte. In diesem Punkt ähnelten sie sich sehr, deshalb konnte sie ihm kaum einen Vorwurf machen.

Obwohl sie total erledigt war, sollte sie unbedingt an ihrem Webdesign-Projekt arbeiten oder sich zumindest mit ihrer privaten, laienhaften Mordermittlung befassen.

Der Gedanke schoss ihr durch den Kopf, bevor ihr wieder einfiel, dass sie ihren Laptop nicht mehr hatte. Jetzt hatte ihn diese hinterhältige Ratte von einem Dieb.

Egal. Sie war heute sowieso komplett am Ende. Fix und fertig. Sie war noch vor Morgengrauen aufgestanden, um Mikey zur Hundepension zu bringen, bevor ihre Schicht als Bedienung anfing. Anschließend hatte sie sich in die Innenstadt geschleppt, um mittags eine Körperstraffungs- und Aerobicstunde in einem Fitnesscenter zu geben, das auf Mitarbeiter größerer Unternehmen ausgerichtet war, und schließlich noch die Abendkurse im Women’s Wellness. Außerdem fühlte sie sich nach einer Woche mit ihrer neuen Radikaldiät allmählich etwas schummrig. Die Hundebetreuungsgebühren und Tierarztrechnungen hatten ein großes Loch in ihr ohnehin mageres Haushaltsbudget gerissen.

Trotzdem war ihr Hintern kein bisschen kleiner geworden. Das stelle man sich mal vor!

Zeit, auf Nahrungssuche zu gehen. Es erforderte Charakterstärke und Sinn für Humor, um aus dem, was ihre Küche noch zu bieten hatte, eine Mahlzeit zu zaubern. Margot stellte sich auf die Zehenspitzen und öffnete den Hängeschrank: Krümel auf dem Boden der Cornflakes-Schachtel, Reste im Erdnussbutterglas, die man herauskratzen musste, und dazu ein paar geschälte Babykarotten in einer Tüte im Kühlschrank. Heute Abend war sie hungrig genug, um sie tatsächlich zu essen, anstatt sich nur zu sagen, dass sie es tun sollte. Oh, es wäre herrlich, einfach zum Telefon zu greifen und irgendeine sündige, köstliche Kalorienbombe zu bestellen.

Das rief ihr Davy McClouds Einladung zum mexikanischen Essen in Erinnerung. Ein heißkalter Schauder lief ihr über den Rücken. Sie beobachtete den Mann, seit sie im Women’s Wellness angefangen hatte. Er war der typische ernste, wortkarge nordische Krieger: muskulös, atemberaubend und kalt wie Eis. Offenkundig nicht interessiert an ihr, aber doch so faszinierend – der Reiz des Unerreichbaren und dieser ganze Mist.

Sie starrte auf den schwarzen Pfeffer und die Teebeutel, während die Bilder durch ihren Kopf drifteten – McClouds kraftvoller Körper, der sich mit der geschmeidigen, tödlichen Anmut eines geworfenen Speers über die Tatami bewegte. Er war so gut proportioniert, dass man gar nicht bemerkte, wie riesig er war, bis er direkt vor einem stand – und dann, schwuppdiwupp, war es zu spät.

Er war viel zu groß für sie. Große Männer machten sie nervös. Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen sie sich von ihren niederen Instinkten hatte leiten lassen – damals, in prähistorischen Zeiten, als sie noch den nötigen Mumm besaß –, hatte sie sanftmütige, schlaksige Männer bevorzugt, die sie zum Lachen brachten. Männer, die sie, falls nötig, in den Schwitzkasten nehmen konnte. Craig hatte zu dieser Kategorie gehört.

Ihre Gedanken scheuten vor der Erinnerung an den armen Craig zurück. Sie konzentrierte sich wieder auf die weitaus verlockendere Vision von Davy McClouds halb nacktem Körper. Niemand könnte McCloud in den Schwitzkasten nehmen. Aber es fiel ihr ebenso schwer, sich ihn lachend vorzustellen. Der Gedanke an seine durchdringenden Augen trieb ihr die Hitze ins Gesicht – und in verschiedene andere Körperregionen.

Seltsam, diese primitive sexuelle Reaktion auf einen Kerl, den sie kaum kannte. Sie entsagte dem männlichen Geschlecht schon seit Monaten. Nackt und orientierungslos in einem fremden Hotelzimmer aufzuwachen, nachdem man Zeuge eines brutalen Mordes geworden war, konnte so was durchaus zur Folge haben. Ein echter Killer für die Libido. Es brachte die Hormone zum Versiegen wie bei einem kaputten Wasserhahn.

Oh Gott, sie wollte darüber heute Abend wirklich, wirklich lieber nicht nachdenken, sonst würde sie sich armselig und beschmutzt fühlen und müsste ein weiteres Mal duschen.

Eine heiße, schlüpfrige Fantasie mit Davy McCloud und ihrem treuen Vibrator in den Hauptrollen wäre eine fabelhafte Ablenkung. Solange sie nicht vergaß, dass es nur eine Fantasie war. Mit seinen markanten Gesichtszügen, dem grimmigen Mund und dem vom Schwitzen stacheligen Bürstenhaarschnitt hatte er einen leicht militärischen Touch. Viel zu tough für sie. Sobald sie sich erst mal um seinen Ständer gekümmert hätte, würde sie einen Typen wie ihn mit ihrer großen Klappe in den Wahnsinn treiben.

Es musste das alte Gegensätze-ziehen-sich-an-Klischee sein. Seine strenge Disziplin und sein autoritäres Auftreten reizten sie auf die falsche Weise und brachten sie dazu, ihn provozieren zu wollen. Frei nach dem Motto: Wer hat dich zum Chef des Universums gemacht, Kumpel?

Anschließend würde sie ihn nackt ausziehen, ihn mit Öl einreiben, auf den Rücken werfen und auf ihm in den Sonnenuntergang reiten. In hartem Galopp.

Wow! Sie öffnete den Kühlschrank, fischte eine Karotte aus der Tüte und knabberte daran. Ebenso gut könnte sie diesem Extraspeichel etwas Vernünftiges zu tun geben.

Sie sollte nicht so streng mit sich sein. Sich nach McCloud zu verzehren, machte wesentlich mehr Spaß, als sich wegen Mikeys großer, kummervoller Augen zu grämen, wenn sie ihn in der kostspieligen Tierpension abgab. Und es war auch unterhaltsamer, als vor Angst fast kotzen zu müssen, wann immer sie in die Schatten ihrer eigenen Veranda spähte. Es war besser, als sich ständig Sorgen zu machen, dass Snakey ihr im Dunkeln auflauern könnte. Oder sich in das hineinzusteigern, was Craig und Mandi zugestoßen war.

Sie schnappte sich das Erdnussbutterglas und die Karottentüte, dann setzte sie sich neben Mikeys Körbchen und rollte sich um das kalte, hässliche Ziehen in ihrem Bauch zusammen. Manchmal half das. Ein bisschen zumindest.

Sie strich mit der Karotte am Innenrand des Glases entlang und biss mit grimmiger Entschlossenheit hinein. Sie brauchte einen neuen, brillanten Plan, aber Snakey belegte den gesamten Arbeitsspeicher in ihrem Gehirn. Es gab nicht genügend Platz auf ihrer Festplatte, um das sagenhaft phänomenale Programm für kreative Lösungen zu starten. Sie hatte erst vor ein paar Wochen begonnen, sich aus dieser Jauchegrube zu befreien, und einen Job in einer neuen Grafikdesignfirma in Belltown ergattert. Die falschen Referenzen, die sie für ihre neue Identität gekauft hatte, hatten die kümmerlichen Ersparnisse mehrerer Monate verschlungen, aber damals schien es die Sache wert zu sein.

Es hatte exakt zehn glorreiche Tage gedauert, bis die Firma niedergebrannt war. Es war, als läge ein Fluch auf ihr.

Scheiß drauf! Sie würde den Witzbold, der ihr diese bösen Streiche spielte, zur Strecke bringen und ihm sämtliche Gliedmaßen sowie andere bewegliche Körperanhänge herausreißen. Anschließend würde sie Mikey aus seiner Schutzhaft holen, ihren Namen reinwaschen und ihr Leben ein für alle Mal wieder in die richtigen Bahnen lenken. Die Details waren noch unscharf, aber so lautete der Plan. Einen Plan zu haben war ein guter erster Schritt, richtig? Richtig.

Sie starrte das Telefon an, zum millionsten Mal versucht, Jenny oder Christine oder Pia, ihre besten Freundinnen aus ihrem alten Leben, anzurufen. Nur um sie wissen zu lassen, dass sie lebte und sie vermisste.

Angst und Schuldgefühle besiegten diesen Impuls. Nach dem, was Craig und Mandi zugestoßen war, durfte sie ihre Freundinnen nicht so leichtfertig in Gefahr bringen. Ihre Einsamkeit war keine ausreichende Rechtfertigung. Ganz egal, wie schlimm es wurde.

Margot wünschte sich, mit ihrer Mutter sprechen zu können. Nur war sie mittlerweile seit acht Jahren, fast neun, tot, dahingerafft vom Lungenkrebs. Vielleicht schwebte sie ja irgendwo im Äther umher und hielt ein wachsames Auge auf ihre glücklose, naive Tochter. Ein leicht tröstlicher Gedanke. Wenn auch ein wehmütiger.

Sie musste den Verstand verloren haben, dass sie McCloud heute in seinem Dojo aufgesucht hatte – getrieben von dem Wunsch, zumindest einen streng zensierten Teil ihrer Leidensgeschichte bei jemandem abzuladen, der kein Hund war. Mikey war ein guter Zuhörer, nur konnte er nicht mit vielen brauchbaren Ratschlägen aufwarten. Der Kickbox-Lehrer, Sean – sie konnte kaum fassen, dass dieser fröhliche Sonnyboy mit seinen Grübchen der Bruder des beängstigend hinreißenden Davy McCloud sein sollte – hatte das Keine-Kohle-Thema abgetan, als wäre dies kein Problem. Abgesehen davon hatte sie nur auf einen Grund gewartet, sich Davy McCloud aus der Nähe anzusehen, als Anregung für ihre Fantasie sozusagen. Und die brauchte sie dringend. Die Nächte konnten lang werden für ein Mädchen, das sich vor dem Einschlafen fürchtete.

Es war eine verdammte Schande, dass er so groß war. Dazu nur ein paar Pakete von einem Waschbrettbauch entfernt und die bizarren Dinge, die er sagte. Der Geist des Drachen, herrje!

Mikey hob den Kopf und knurrte. Jedes von Margots Körperhaaren richtete sich auf. Dann hörte sie ein hartes, gebieterisches Klopfen, und das Entsetzen, das sie erfasst hatte, fiel von ihr ab und ließ sie mit schwammigen Knien zurück.

Snakey würde niemals so klopfen. Tatsächlich würde er überhaupt nicht klopfen. Er würde wie eine stinkende Dunstschwade durch ein Kanalisationsrohr wabern und mit einem feucht klingenden Ploppen aus dem Abfluss im Bad schlüpfen.

Gott, wie ekelhaft! Gut gemacht, Erbsenhirn! Jetzt lehrte sie sich schon selbst das Fürchten.

Es klopfte wieder, kurz und geschäftsmäßig. Mikey kletterte aus seinem Körbchen. Margot sah an sich runter, als sie ihm zur Haustür folgte. Die Brüste lagen frei und ungebändigt unter ihrem Superman-T-Shirt, die Haare waren feucht und standen wirr nach allen Seiten ab, und ihr Gesicht musste in Ermangelung jedweder kosmetischer Hilfsmittel oder Abdeckcremes in dem gnadenlosen Licht der nackten Glühbirne tapfer für sich selbst einstehen.

Selbst wenn sie sich die größte Mühe gäbe, könnte sie die Situation nicht noch ungünstiger für sich selbst hinbekommen.

Mikeys Krallen klackten über das Linoleum, sein Hinken hatte er vollständig vergessen. Margot schnappte sich im Schlafzimmer ihren Kamm und versuchte ihre Haare zu bändigen, während sie durch den Spion blinzelte. Kein Zweifel. Er war es. Ihr Herz begann zu rasen. Sie schaute wieder nach draußen, betrachtete die markante Kontur seines Unterkiefers, seinen grimmigen und doch unglaublich erotischen Mund. Die Linien, die ihn umrahmten, bewiesen, dass er wusste, wie man lächelte. Vielleicht tat er es nur im Dunkeln, wenn niemand zusah. Emotional blockiert, ganz eindeutig. Ihrer Erfahrung nach waren solche starken, schweigsamen Männer in der Regel langweilig und geistlos.

Sie hatte ihm gesagt, dass er sie in Ruhe lassen sollte. Er war zu groß, zu seltsam, zu ernst für sie. Und auch zu neugierig. Sie durfte ihm ihre groteske Geschichte nicht anvertrauen.

Sie müsste eigentlich stinkwütend sein und würde es nun vortäuschen müssen. Das erforderte Energie, und wo sollte sie die hernehmen?

Es klopfte schon wieder. War das zu fassen? Seine königliche Hoheit verlor die Geduld. Das verlieh ihr die nötige Entschlossenheit, die Tür aufzureißen und ihn unheilvoll anzublinzeln. »Ich habe Nein gesagt, mein Freund.«

Davy sah sich auf der Veranda um. »Haben Sie hier den Hund gefunden?«

Ihre vorgespielte Verärgerung löste sich in Luft auf. Sie schluckte schwer und nickte.

»Irgendwelche weiteren Vorkommnisse?«

In seiner Stimme lag eine kühle Sachlichkeit, als hätte er einen Schalter umgelegt, woraufhin ein spezieller Mechanismus zu knirschen und zu rattern begann.

»Hey.« Sie streckte die Hand aus der Tür und wedelte vor seinem Gesicht herum. »Haben Sie gehört, was ich sagte? Danke, aber ich verzichte. Und wie haben Sie mich überhaupt gefunden? Ich habe keinen Eintrag im … oh! Mein Gott!«

Er hielt eine große Papiertüte hoch. Köstliche Aromen entströmten ihr.

»Enchiladas«, erklärte er. »Tamales. Gefüllte Pfefferschoten. Tacos mit gegrilltem Schweinefleisch. Shrimps in Butter und Knoblauch. Und …« – er hob die andere Hand – »… ein Sechserpack eisgekühltes Bier.«

Sie hielt sich am Türpfosten fest. Der Duft der reichhaltigen, würzigen Speisen raubte ihr fast das Bewusstsein. Mist – sie sollte wenigstens so viel Stolz haben wie ihr Hund. Mikey verriet seine Prinzipien niemals für Futter.

Sie schluckte krampfhaft. »Äh …«

Der leichte Anflug eines beinahe amüsierten Lächelns veränderte die Züge seines schmalen Gesichts. »Wenn Sie mich wegschicken, werfe ich alles vor Ihren Augen in die Mülltonne«, warnte er sie. »Nur um Sie zu ärgern.«

»Das ist krank und niederträchtig.«

»Ja, ich weiß. Mein Plan war, hier zu sein, bevor Sie zu Abend gegessen hätten. Ich weiß, wie ich mich fühle, wenn ich zwei Kurse hintereinander gegeben habe.«

»Fünf, um genau zu sein«, berichtigte sie.

Seine Augen wurden groß. »Fünf? Hut ab! Das ist eine reife Leistung.«

»In zwei verschiedenen Fitnesscentern. An manchen Tagen mehr als fünf. Benimm dich, Mikey! Er hat mexikanisches Essen dabei. Beiß ihn nicht, solange wir nichts davon abbekommen haben!«

Mikey stellte sich auf die Hinterbeine und schnüffelte an der Tüte. Anschließend beschnupperte er McClouds Schuhe und Knöchel und bellte einen schrillen Befehl.

»Mikey hat Sie soeben reingebeten«, übersetzte Margot. »Er liebt Shrimps.«

Ein träges Grinsen breitete sich auf Davys Gesicht aus und brachte ein paar umwerfende Lachfältchen zum Vorschein, zusammen mit einem Aufblitzen verführerischer Sinnlichkeit, das ihr den Atem verschlug. »Mikeys Einladung ist nicht genug. Ich will Ihre.«

Margot zwang sich, Luft zu holen. Sie war ausmanövriert.

»Na schön, dann rein mit Ihnen«, grummelte sie.

Faris’ Magen überschlug sich förmlich vor nervöser Aufregung, als die Tür hinter McCloud zufiel. Er zwang sich, auszuatmen und klar zu denken. Er musste geduldig sein, sich in Erinnerung rufen, wie verzweifelt sie war, wie wehrlos und allein. Marcus hatte ihn angewiesen, ihr Haus zu durchsuchen und ihr Telefon zu verwanzen, um herauszufinden, mit wem sie in Kontakt stand, und bislang war die Antwort gewesen: mit niemandem. Sie hatte ganz allein in ihrem heruntergekommenen Mietshaus auf dem Capitol Hill gelebt und darauf gewartet, dass er sie zu der Seinen machte. Bis zu diesem Abend.

Er schlich durch die Dunkelheit zu seinem Beobachtungsposten in dem überwucherten Rhododendron neben ihrem Küchenfenster. Zwei Wochen zuvor hatte er in die Mitte einen Hohlraum hineingehackt und die Äste entfernt, die ihm die Sicht versperrten. Dies war nicht das erste Mal, dass Faris Davy McCloud bemerkte. Er hatte den Mann dabei ertappt, wie er Margaret mit lüsternem Gesichtsausdruck beim Verlassen des Fitnesscenters, in dem sie arbeitete, beobachtet hatte.

Aber Faris durfte seine Anonymität nicht gefährden, indem er in Margarets Haus stürmte und McCloud in blutige Fetzen riss. Marcus würde ihm niemals vergeben, wenn er in diesem Ausmaß die Kontrolle verlöre.

Abgesehen davon verfügte McCloud über gute Beziehungen. Ehemaliger Soldat, angesehener Privatdetektiv, enge Kontakte zur örtlichen Polizei, Bruder beim FBI. Diskretion war vonnöten. Faris würde etwas Spezielles für ihn vorbereiten. Etwas Leises, was nicht zurückverfolgt werden konnte, etwas sehr Persönliches – und sehr, sehr Schmerzhaftes.