Blütenlese - Silke Goldstein - E-Book

Blütenlese E-Book

Silke Goldstein

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Beschreibung

Blütenlese - ein Fühlbuch für Erwachsene. Entstanden im zweiten Lockdown, gestatten chronologisch geordnete Drabbles einen Blick ins Tagebuch der Autorin. Dicht formuliert und in 100 Wörtern auf den Punkt gebracht, inspirieren diese Texte zum Nachfühlen und Vorlesen. In Schreibseminaren spontan entstandene Texte finden sich im zweiten Teil dieses Bandes. Mit 20 Drabbles wird der Leser im dritten Teil auf eine mentale Reise eingeladen, die zum Nachdenken und selber schreiben einlädt. Blütenlese inspiriert und verdichtet.

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Seitenzahl: 67

Veröffentlichungsjahr: 2025

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„Blütenlese“ sammelt kurze Texte, die inspiriert durch Erlebnisse in der Natur oder durch Lebenserfahrungen und auftauchende Gefühle spontan entstehen. Einige dieser Inspirationen sind als Drabbles auf 100 Wörter komprimiert und dicht formuliert auf den Punkt gebracht.

Mai 2021

© Silke Goldstein

Silke Goldstein wurde 1968 in Bielefeld geboren. Nach dem Abitur absolvierte sie eine kaufmännische Ausbildung und eine weitere zur Sekretärin. Viele Jahre arbeitete sie als Assistentin, bis eine Erkrankung das Leben komplett veränderte.

Geprägt durch diese Erfahrungen wuchs ihr Interesse an psychologischen Themen und der Wunsch anderen Entspannung zu ermöglichen. So ließ sie sich am Peter-Hess-Institut zur Klangmassagepraktikerin und Entspannungstrainerin ausbilden. Sie begann ihr kreatives Potential weiterzuentwickeln und knüpfte an die seit Jugendtagen bestehende Liebe zu Lyrik und Schriftstellerei an. In ihren Texten spiegelt sich persönliches Schicksal, Reflexion und das Interesse an den tiefen Themen des Menschseins.

Prolog

Oder: - Warum ich schreibe

So, wie die Matrijoschka mir als Kind Geheimnis um Geheimnis preisgab oder verbarg. So, wie ich die Kleinste am meisten liebte und die Größte am meisten bewunderte. So, wie ich spürte, dass die eine die andere barg und schützte und sich gleichsam geborgen und geschützt fühlte. Ja, so dringe ich Epoche um Epoche im Schreiben in mein eigenes Leben vor. Was lebend - vielleicht - rückwärts verstanden wird, kann ich schreibend vom Startpunkt aus neu betrachten und wissend durchdringen. Wenn ich an das kleinste Püppchen gelangen will, muss ich mit der größten beginnend, Puppe um Puppe - Lebensphase um Lebensphase - öffnen. Eine birgt die andere. Umschließt sie. Wächst aus ihr heraus und um sie herum. Ich wage mich vor. Öffne behutsam, was mir schreibend begegnet. Betrachte es neu. Betrachte das Damals im Jetzt. Ich lasse mir Zeit. Genieße. Fühle. Ich öffne und schließe. Und als ich die größte Puppe schließe, weiß ich, dass sie ihr Gewicht, ihre Fülle hat, weil alles das in ihr wohnt. Alles, das ganze Leben, jeder erlebte Moment. Ja, ich bin stolz auf die größte Puppe. Wie damals! Da streckt sich mir im Schreiben ein größerer Hohlkörper entgegen. Unbemalt, roh und ungeschliffen. Ich verstehe. Ich bin bereit. Jetzt ist Zeit ihn zu schmücken, mit den anderen bekannt zu machen, ihn zu füllen, ihn als das Jetzt zu ergreifen, schleifen und schön werden lassen. Bis er als gereifte Version der nächstkleineren eine weitere schützende Hülle bildet. Ausgefüllt mit Erinnerungen und Werten.

Schreiben kann das, Dein Leben in Symbolen erzählen, Dich lehren und verstehen lassen.

Im Gegenteil

Zukunft ist nicht das Gegenteil von Vergangenheit. Es gibt kein Gegenteil für diese Begriffe. Die Zukunft kommt aus der Vergangenheit und die Vergangenheit führt in die Zukunft. Ich suche die Frage, den Begriff zwischen den Worten und da erscheint ein „Jetzt“. Ein Jetzt in Fettdruck mit 3 Ausrufezeichen. Das nehme ich gerne an, dieses Jetzt und werde es befragen. Gehen wir ins Interview, das Jetzt und das Ich.

Willkommen, liebes Jetzt. Hast Du ein Thema für unser Gespräch mitgebracht?

Das Jetzt lacht. Es lacht laut und hört gar nicht auf.

Ich bin etwas verblüfft, aber sein Lachen ist so ansteckend, dass ich mitlachen muss. Und dann, ganz plötzlich, verstummt das Jetzt, schaut mich mit Lachtränen im Augenwinkel an und sagt: „Ich bin so dankbar, dass Du mich wahrnimmst. Irgendwie bin ich in dieser Pandemie fast verschwunden.“ Das Jetzt schaut traurig. Ein trauriges Jetzt missfällt mir, so wage ich einen Scherz, damit es sich wieder spürt und wohl fühlt. Und so sage ich: „Hast Du eigentlich bemerkt, dass Du Dich gerade pandemisch verhalten hast?“ Erstaunt schaut es mich an: „Wie, ich? Niemals!“ „Doch“, entgegne ich. Du hast mich mit Deinem Lachen infiziert ...“ Es lächelt – immerhin. Es sagt nichts, es lächelt nur versonnen. Heute ist kein guter Tag für ein langes Interview. Ich lasse das Schweigen zu und mag es, einfach zu sein. Körperlos ist das Jetzt, doch zeigt es ein gütiges Gesicht. Alterslos. Die Mimik verfliegt so schnell, wie sie erscheint. Leuchten und Schimmern zieht über dieses Gesicht, als zögen Wolken vorüber. Ein Regenbogen schimmert kurz in den himmelblauen Augen. Wie wunderschön das Jetzt ist! Wunderschön und absolut präsent. Ja, präsent. Anwesend und ein Geschenk. Und es hört nie auf sich zu schenken. Das Jetzt hat viel Erfahrung. Es kennt jede Vergangenheitssekunde und kommt über die Brücke des Erinnerns wieder und wieder, bis es in die Zukunft geht. Wenn es der Vergangenheit die Hand reicht, ist es weise und manchmal ist es naiv, wenn es sich bemüht, weit in die Zukunft zu schauen.

Das Jetzt schaut mir tief in die Seele und ich spüre Glück, das mich warm durchströmt. Bedingungslose Liebe erfüllt mein Herz. Da fragt das Jetzt: „Spürst Du es auch?“ „Ja“, antworte ich lächelnd. „Es ist so wunderschön.“ Wir schließen beide die Augen, spüren und fühlen den Moment. Da beginnt das Jetzt eine Geschichte zu erzählen:

Obwohl es mich schon immer gab, vergessen die Menschen mich oft. Das macht mich manchmal traurig. Ich hole die Menschen aus der Vergangenheit und leite sie in die Zukunft. Ich bin das Leben in diesem Moment und eigentlich bin ich die wichtigste Zeit. Hast Du gespürt, wie sehr ich Dich liebe, wie glücklich es mich macht, dass ich Dein Jetzt sein darf? Ich weiß alles aus Deiner Vergangenheit, weil ich schon da Dein Jetzt sein durfte. Ich wandle mich in jedem Moment und solange Du lebst, werde ich bei Dir bleiben. Wir sind unzertrennlich, doch manchmal spürst Du mich nicht, vergisst mich für eine Weile. Ich dränge mich nicht auf. Ich bleibe einfach da. Ich erlebe Deine Freuden und Deine Sorgen, ich bin nur für Dich da. Jeder Mensch hat sein eigenes Jetzt, wir sind eine große Familie, sprechen alle Sprachen und kennen alle Kulturen. Die Menschen glauben, wir vergingen schnell, doch bleiben wir immer dasselbe persönliche Jetzt. Wir vergehen nicht, wir verwandeln uns nur.

Kaum nimmst Du mich wahr, werde ich schon Vergangenheit. Und dann lastet die Zukunft auf mir. Ich mag die Zukunft nicht so sehr, sie ist eine unsichere Erscheinung. In Deinem Schreiben war ich das Jetzt des ersten Buchstabens, bin schon Vergangenheit und werde die Zukunft des nächsten Wortes. Ich lebe Dich, wenn Du mich lässt. Und wenn Du Dich gut mit mir verbindest, dann entsteht dieses sichere Gefühl der Freiheit, das Gefühl des Seins. Du machst das manchmal, wenn Du einen Schluck Tee behutsam im Mund behältst und versuchst jedes einzelne Aroma zu schmecken. Oder im Wald, wenn Du die vielen Nuancen von grün entdeckst. Dann bist Du ganz im Jetzt und ich umfange Dich liebevoll. Wir erfüllen uns gegenseitig. Ich weiß, dass Du das spüren kannst und es macht mich sehr glücklich. Ich bin gerne Dein glückliches Jetzt.

Während dieser Pandemie werden so viele Menschen unruhig. Sie wissen nicht, wie sie die Zeit füllen sollen. Sie haben zu viel Zeit. Zeit? Sie haben viel „Jetzt“. Und nun nehmen sie ihr Jetzt zum ersten Mal wahr. Es ist ihnen völlig unbekannt und macht ihnen „jetzt“-Angst. So stehen sie ihrem unbekannten Jetzt scheu gegenüber. Doch irgendwann kommt der Moment, wo sie sich trauen. Und wenn sie zum ersten Mal die Liebe zu und von ihrem Jetzt erfahren, dann werden sie ruhig.

„Ach, es ist wunderbar, ein Jetzt zu sein!“, sagt das Jetzt und vergeht ...

Weißt Du noch ...

... als wir aus den Sofapolstern und allen Kissen und Decken, die wir finden konnten, Buden im Wohnzimmer gebaut haben?

... als wir aus Schuhkartons Puppenhäuser für die kleinen, biegsamen Püppchen bauten, die unser Opa uns aus der Stadt mitgebracht hatte?

... als Du mir mit der hellblauen Plastikschere den ersten Pixischnitt meines Lebens verpasstest?

... als wir bäuchlings auf sonnenwarmen Stegen lagen und mit Bambusangeln Ewigkeiten auf einen Fisch warteten?

... als wir unser Taschengeld zusammengeschmissen haben und uns heimlich ein Kindersegelboot mieteten und auf große Fahrt gingen?

... wie wir kicherten und lachten?

Kindheitserinnerungen, die uns Kraft für harte Zeiten schenkten.

Lockdown