Brandleiche - Rita Renate Schönig - E-Book

Brandleiche E-Book

Rita Renate Schönig

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Beschreibung

Eine abgebrannte Laube und eine Leiche. Hatte das Opfer sich durch sein Engagement für die Umwelt und das Anprangern der Verantwortlichen Feinde gemacht oder ist es Ausländerfeindlichkeit? Vielleicht liegen die Gründe für seinen Tod aber auch im familiären Umfeld? Nicole Wegener und ihr Team stochern lange Zeit ebenso im Dunklen wie auch die Seligenstädter Privatermittler, die SE-PRI-SOKO.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 387

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Rita Renate Schönig

Brandleiche

Seligenstädter Krimi

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Brandleiche

Inhalt:

Brandleiche

Pfingstmontag, 29. Mai 2023 / 22:40 Uhr

Dienstag, 30. Mai 2023 / 00:10 Uhr

Mittwoch – 31. Mai 2024 / 07:50 Uhr

Donnerstag – 01.06.2023 / 06:30 Uhr

Freitag / 02. Juni 2023 – 01:50 Uhr

Epilog – Freitag 09. Juni 2023 / 11:50 Uhr

Vita:

Impressum neobooks

Brandleiche

12. Seligenstädter Krimi

Die Handlung entspringt ausschließlich meiner Fantasie.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Teile des gesprochenen Textes sind in Seligenstädter Mundart verfasst und daher, die Grammatik betreffend, nicht regelkonform.

Impressum

Texte © Copyright by

Rita Renate Schönig

Bildmaterialien © Copyright by

Rita Renate Schönig

Postfach 1126

63487 Seligenstadt

Mailadresse: [email protected]

Homepage: www.rita-schoenig.de

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Buches darf reproduziert, in einem Abrufsystem gespeichert, in irgendeiner Form elektronisch, mechanisch, fotokopiert, aufgezeichnet oder auf andere Art übertragen werden.

Inhalt:

Eine brennende Laube in den Schrebergärten und eine Leiche, die bald als Ilker Yilmaz identifiziert werden kann.

Hatte er sich durch sein Engagement für die Umwelt und das Anprangern der Verantwortlichen Feinde gemacht? Oder handelt es sich um Ausländerfeindlichkeit - generell?

Vielleicht liegen die Gründe für seinen Tod aber auch im familiären Umfeld?

Für Kriminalhauptkommissarin Nicole Wegener und ihr Team gibt es eine Menge herauszufinden. Ebenso für die Seligenstädter Privatermittler (SE-PRI-SOKO) die mit Spaniel-Dame Miss Lizzy eindeutig im Vorteil ist.

Letztendlich schauen beide Ermittlergruppen in Abgründe der menschlichen Psyche.

Ständige Protagonisten:

Ermittlerteam Präsidium Offenbach K11

Nicole Wegener, Erste Kriminalhauptkommissarin

Harald Weinert, Kriminalhauptkommissar

Lars Hansen, Kriminalhauptkommissar

Dietmar Schönherr, Kriminaloberkommissar

Andreas (Andy) Dillinger, Kriminaloberkommissar Lebenspartner von Nicole

Staatsanwaltschaft:

Falk von Lindenstein und Felix Heller

Rechtsmedizin:

Dr. Martin Lindner (Doc)

Kriminaltechnik:

Lutz Berger, Kriminaloberkommissar

Wiebke Pannkok,Kriminalkommissarin

Seligenstädter Polizeistation:

Josef Maier, Polizeihauptkommissar/ Dienststellenleiter

Hans Lehmann, Polizeioberkommissar

Berthold Bachmann, Polizeikommissar

Saskia Ehrlich, Polizeikommissarin

Philipp Reichenbach, Polizeianwärter

Noah Oetting, Polizeianwärter

Hobby-SoKo (SE-PRI-SOKO):

Helene Wagner, Freundin von Nicole Wegener

Herbert Walter, Lebensgefährte von Helene

Ferdinand und Bettina Roth, Freunde von

Helene und Herbert

Gundula (Gundel) Krämer, Nachbarin

Georg (Schorsch) Lenz, ehemaliger Nachbar

Felix und David Körner, Nachbar-Jungs

Liane Körner, Mutter von Felix und David

Speziell diesem Roman zugeordnete Protagonisten:

Leonie Meinhardt, Freundin von David Körner

Claudia und Michael Meinhardt, Eltern

Cemile und Eymen Yilmaz, Eltern von

Ilker, Ismet und Selin

Gretel Salzer, Gartennachbarin der Familie Yilmaz

Marlies Kunze, Mutter von

Alina Kunze, Freundin von Leonie

Silke Wohlfahrt, Nachbarn der Familie Kunze

Gerlinde Jäger, Hauseigentümerin

Toni Umbach – Tankstellenangestellter / Langen

Liam Collins – Kneipenbesitzer Irish Pub in Langen

IKT-Polizeipräsidium Offenbach

Patrick Rudolph, IT-Techniker

Abteilung Brandursachenermittlung

Florian Rauch, Kriminalhauptkommissar

Erklärungen:

IKT, Informations- und Kommunikationstechnologie

HWS-Fraktur, Halswirbelbruch

Die Kalten, Leichen in der Rechtsmedizin

Huulbessen, Heulbesen/Staubsauger - Plattdeutsch

Kirschnerdraht, perkutane Schienung einer Fraktur

Spineboard,Rettungsliege

Verdeckungstat, eine ursprüngliche Straftat wird mit einer nachfolgenden Tathandlung überdeckt.

Brandleiche

Pfingstmontag, 29. Mai 2023 / 22:40 Uhr

In hohem Bogen flog das brennende Feuerzeug durch die Tür der Gartenlaube und traf auf den mit Benzin getränkten Holzfußboden. Mit rasanter Geschwindigkeit fraßen sich die Flammen weiter, hin zu dem, mit einer blutenden Kopfwunde neben dem Campingtisch liegenden Menschen. Zuerst leckten die Feuerzungen an der Kleidung, ergriffen aber sodann gierig den gesamten Körper.

Rotgelbe und bläulich züngelnde Flammen spiegelten sich in den Pupillen der Person, die an der Tür stand, fasziniert zusah und kaum in der Lage war, sich von dem Anblick zu lösen. Aber das Zeitfenster war knapp bemessen. Gleich würde die Laube explodieren.

Mit dem Gefühl der Genugtuung wandte sie sich ab und stolperte im fahlen Schein des Handys durch den ansonsten dunklen Weg der Gartenanlage. An der asphaltierten Straße Am Eichwald angekommen, gab es einen gewaltigen Knall und der Blick zurück setzte erneut Glückshormone frei.

Holzstücke flogen hoch durch die Luft und fielen wie in die Erdatmosphäre eintretende Meteoriten auf die Erde. Die ehemalige Gartenhütte glich jetzt einer einzigen hochauflodernden Flammensäule.

Feuer! Nichts war fesselnder, als vor der offenen Ofentür zu sitzen und den Flammen zuzusehen, wie sie ein Holzscheit nach dem anderen verschlangen, um sich danach den Kohlen zu bemächtigen, die irgendwann den Eindruck von glühenden Augen entstehen ließen, bis die Hitze in den eigenen Augen schmerzte und die Haut auf den Wagen glühte.

Bedauerlich war, dass im Sommer kein Feuer im Ofen brannte. Deswegen durften sich die glutroten Feuerzungen in den kommenden Jahren öfter frei auf abgeernteten Ackerflächen bewegen und in ihrer ganzen Pracht an Strohballen entfalten. In einer Laube, mit ihm im Zentrum der Flammen, war das Schauspiel umso imposanter. Einzig der Geruch nach verbranntem Fleisch war neu aber nur eine Sache der Gewohnheit.

Hätte er die Finger von ihr gelassen, wäre es nicht so weit gekommen, huschte der Gedanke durch den Kopf der Person.

Sirenen kündigten die sich nahende Feuerwehr an – endgültig Zeit, den Ort zu verlassen. Der Anblick der erlöschenden und bald vom Wasser besiegten Flammen, war ohnehin schwer zu ertragen. Außerdem war noch ein anderes Problem zu beseitigen.

Montag / 23:10 Uhr

Der Notruf erreichte die Leitstelle der ›Freiwilligen Feuerwehr‹ der Stadt Seligenstadt um 22:55 Uhr. Keine zehn Minuten später bogen die ersten Löschfahrzeuge mit lärmendem Sirenengeheul zur Kleingartenanlage Am Eichwald ab, fast zeitgleich mit der Polizei.

Den Feuerwehrleuten war in Kürze klar – hier ist nichts mehr zu retten. Primär galt es jetzt ein Übergreifen der Flammen auf die angrenzenden Grundstücke und Lauben zu verhindern.

Weniger als eine halbe Stunde später war es dem eingespielten Team der Brandbekämpfer gelungen, das Feuer zu löschen, und einer der Männer betrat, noch immer in voller Montur die völlig zerstörte Gartenhütte, um mit der Wärmebildkamera nach eventuell noch glimmenden Glutnestern Ausschau zu halten.

Stattdessen fand er einen verkohlten Körper mittig auf dem vom Löschwasser klatschnassen und dampfenden Boden. Dass es sich nicht um ein Tier handelte, war dem erfahrenen Feuerwehrmann augenblicklich klar.

Arme und Beine zusammengeschrumpft in unnatürlicher verrenkter Haltung und die Hände klauenartig gekrümmt: Das war definitiv ein Mensch!

Ein Obdachloser, der in der Gartenhütte übernachten wollte, überlegte er, machte kehrt und meldete dem Einsatzleiter seinen grausigen Fund.

Dessen Stirn legte sich in Falten. »Wenn das ein makabrer Scherz sein soll ...?«

Der entsetzte Ausdruck im Gesicht seines Kameraden, welches vom Ruß gezeichnet die Konturen der zuvor abgenommenen Atemmaske zeigte, besagte, dass er keinen Spaß machte.

Mit weitausholenden Schritten rannte er selbst jetzt zur abgebrannten Gartenlaube, um im Anschluss den Polizisten, die an ihrem Fahrzeug lehnten, zuzurufen: »Wir haben eine Leiche!«

Außer einer nächtlichen Ruhestörung und der Meldung des Brandes in der Kleingartenanlage Am Eichwald gegenüber dem Wertstoffhof, war der Nachtdienst für Polizeioberkommissarin Saskia Ehrlich ruhig verlaufen. Das änderte sich schlagartig, als sie um 23:50 Uhr den Anruf ihres Kollegen Hans Lehmann entgegennahm, der mit ihrem jüngsten Neuzugang, Polizeianwärterin Marie Schwan, am Brandort war.

»Wir haben eine Leiche in der niedergebrannten Laube und brauchen den KDD und die SpuSi«, erklärte er kurz und bündig.

»Eine Leiche?« Für einen Augenblick glaubte Saskia, sich verhört zu haben. Weil aber von ihrem Kollegen kein weiteres Wort zu ihr durchdrang, erwiderte sie: »Geht klar. Was ist mit Brandursachenermittlern?«

»Das sollen die von der Kripo entscheiden. Wir können uns nicht um alles kümmern«, knurrte Hans Lehmann.

»Okay. Meinst du, ich sollte unserem Chef Bescheid ...?«

Die Antwort blieb der Kollege ihr schuldig, indem er sie wegdrückte. Nicht die feine Art, aber sie konnte seine Verstimmung verstehen. Eh schon immer chronisch unterbesetzt, hatte ihre Kollegin Mona Schilling sich für eine Karriere bei der Kriminalpolizei entschieden und stand aufgrund ihres Dualstudiums zur Kriminalbeamtin nur tageweise zur Verfügung. Ein kompetenter Ersatz war auch noch in weiter Ferne.

Nicht, dass es an Bewerbern mangelte, die eine Ausbildung bei der Polizei anstrebten ... Nur viele Anwärter bestanden das Eignungsauswahlverfahren nicht, wobei die körperliche Fitness bei den meisten das geringste Problem darstellte. Der größte Teil scheiterte am psychologischen Test – dem sogenannten Einzelinterview – das sich enorm vom klassischen Bewerbungsgespräch bei einem Unternehmen unterscheidet und bei dem Kandidaten von vornherein ausgesondert werden.

Prinzipiell befürwortete die Polizeioberkommissarin die Vorgehensweise, zumal es in den letzten Jahren vermehrt vorkam, dass manche Polizisten sich zur rechtsextremen Szene hingezogen fühlen und aus Frust oder es war schon immer ihr Ansinnen, damit für Negativschlagzeilen sorgten. Zum Glück handelte es sich nur um eine Minderheit und Saskia hoffte sehr, dass diese Personengruppe und deren Gedankengut sich nicht weiter ausbreitete.

Andererseits konnten sie in der Seligenstädter Dienststelle seit Anfang des Jahres zwei Neuzugänge vorweisen, die dem Polizeidienst hoffnungsvoll entgegensahen. Doch bevor die beiden Küken Marie Schwan und Noah Oetting alleine zu einem Einsatz geschickt werden konnten, würde noch viel Wasser den Main hinabfließen. Das könnte natürlich auch ein Grund sein, weshalb der sonst ausgeglichene Polizeioberkommissar Hans Lehmann ein wenig gestresst wirkte. Zudem redete Marie Schwan auch gern und viel.

Mit einem tiefen Seufzer wählte Saskia die Nummer der Spurensicherung. Anschließend informierte sie die Kollegen vom Kriminaldauerdienst. Ihre Überlegung, nun doch Josef Maier, ihren Dienststellenleiter, anzurufen, wurde durch einen weiteren eingehenden Telefonanruf unterbrochen.

Eine aufgeregte Frau meldete mit brüchiger Stimme, dass ihre gerade erst 18 Jahre alt gewordene Tochter gestern Abend nicht nach Hause gekommen war und bis jetzt auch nicht an ihr Handy ginge. Auf Nachfrage von Saskia, ob sie die Nacht bei einer Freundin oder einem Freund verbracht haben könnte, versicherte ihr die Frau, die ihren Namen nicht genannt hatte, dass sie Freunde und Bekannte ihrer Tochter bereits abtelefoniert hätte.

Die ersten 24 Stunden sind bei vermissten Minderjährigen am wichtigsten, erinnerte sich die Polizeioberkommissarin. »Wie schnell können Sie bei uns auf der Dienststelle sein?«

»In fünf Minuten«, kam die Antwort ohne Zeitverzug.

»Gut. Bringen Sie bitte ein aktuelles Foto Ihrer Tochter mit.«

Nachdem die Frau aufgelegt hatte – Saskia wusste noch immer nicht ihren Namen – fiel ihr die Leiche ein, die in der Gartenlaube gefunden worden war.

Könnte es sich um die vermisste Jugendliche handeln? Der Gedanke löste bei ihr eine Gänsehaut aus. Gleichzeitig mahnte sie sich: Denk nicht gleich an das Schlimmste.

Kurze Zeit später klingelte es an der Eingangstür der Polizeistation. Die Außenkamera zeigte eine ungefähr 50-jährige Frau. Saskia vermutete, dass es sich um die Mutter der Vermissten handelte, und betätigte den Türöffner.

Sofort stemmte sich die Frau gegen die schwere Metalltür und stürmte in den Vorraum.

»Ich bin Claudia Meinhardt«, stellte sie sich nach Atem ringend, dennoch verständlich hörbar durch die Glasscheibe vor. »Es geht um meine Tochter. Hatten wir telefoniert?«

»Ja«, bestätigte Saskia und eilte zum Empfangsbereich. Anschließend führte sie die Frau ohne Anzuklopfen in das Büro das sie mit ihrem Kollegen Philipp Reichenbach, mittlerweile Polizeikommissar, teilte.

Er biss gerade in einen üppig mit Sprühsahne drapierten Muffin und zuckte zusammen, wodurch seine Nasenspitze mit der Sahne Bekanntschaft machte und er hektisch in seiner Hosentasche nach einem Taschentuch suchte.

In einer weniger ernsten Situation hätte Saskia einen passenden Spruch von sich gegeben. Jetzt aber bat sie: »Philipp, kannst du bitte die Zentrale übernehmen? Das ist Frau Meinhardt. Ihre Tochter wird vermisst. Ich nehme ihre Anzeige auf«, erklärte sie die Sachlage.

»Ja, klar«, murmelte er mit noch vollem Mund und wischte die Sahne aus seinem Gesicht.

Bevor er die Tür hinter sich schloss, warf er einen scheuen Seitenblick auf die Frau, die sich trotz der schmerzlichen Umstände offensichtlich gut im Griff hatte. Dennoch war er froh, dass seine Kollegin sich der Sache annahm. Stets schnürte es ihm die Kehle zu, wenn es um vermisste Kinder ging. Er wusste, dass dies nicht sehr professionell war, konnte aber nichts dagegen unternehmen.

Saskia setzte sich an ihren Schreibtisch gegenüber dem des Kollegen und bat Frau Meinhardt auf dem danebenstehenden Stuhl Platz zu nehmen.

»Könnte ich bitte ...«

»Ja, natürlich«, wurde sie unterbrochen und ihr wurde das Foto einer jungen Frau mit dunkelbraunen langen glatten Haaren, einem pausbäckigen Gesicht und braunen Augen, die an den Blick eines scheuen Rehs erinnerten, zugeschoben.

»Das ist unsere Leonie. Es wurde vor einigen Wochen im Februar, an ihrem 18. Geburtstag aufgenommen.«

Eigentlich wollte Saskia den Ausweis der Frau sehen, um deren Personalien aufzunehmen.

»Wann haben Sie Ihre Tochter zuletzt gesehen oder gesprochen?«

»Gestern Abend. Sie war mit ihrem Freund bei der Feuerwehr, um einiges zu besprechen, wollte aber spätestens um 24 Uhr wieder zu Hause sein.«

»Von der Feuerwehr?«, wiederholte Saskia.

»Ja. Leonie ist seit vier Jahren in der Jugendfeuerwehr tätig. Ihr Vater ist – war auch bei der ›Freiwilligen Feuerwehr‹, bis ...« Für einen Moment schien Frau Meinhardt geistig abwesend, besann sich aber sofort wieder darauf, weshalb sie hier war. »Was unternehmen Sie jetzt wegen Leonie? Schicken Sie Ihre Kollegen los, um unsere Tochter zu suchen?«

Die Polizeioberkommissarin räusperte sich und dachte: Würde ich gerne.Leider fehlt uns dafür das Personal. Um die Frau jedoch nicht unnötig zu belasten, sagte sie: »Haben Sie Ihren Ausweis dabei, damit ich die Abgängigkeits ... die Vermisstenanzeige aufnehmen kann?«

»Ja, natürlich.« Claudia Meinhardt kramte in Ihrer Tasche, zog ein Portemonnaie heraus und überreichte Saskia ihren Personalausweis.

»Wissen Sie, um welche Uhrzeit Ihre Tochter das Haus verlassen hat?«, stellte die Polizistin routinemäßig die Frage, während sie die Personalien in den Computer eintrug.

»Ein paar Minuten vor 19 Uhr. Wann schicken Sie endlich Ihre Leute los?«, kam die Gegenfrage von Frau Meinhardt.

Angespannt sah sie ständig auf ihre Armbanduhr, fuhr mit einer Hand durch ihre kurz geschnittenen dunkelblonden Haare und trommelte mit der anderen auf der Tischplatte herum. Dabei stieß sie kurzen Abständen hörbar die Luft aus.

Saskia verstand ihre Nervosität, war aber gezwungen den Dienstweg einzuhalten.

»Ich werde mich sofort mit meinen Kollegen in Verbindung setzen. Sie sind ... sowieso unterwegs.«

Dass Hans Lehmann und Marie Schwan vor knapp einer Stunde in einer brennenden Gartenhütte eine Leiche gefunden hatten, würde sie der besorgten Mutter auf keinen Fall mitteilen. Sollte es – was hoffentlich nicht zutreffen würde – sich um ihre vermisste Tochter handeln, würde sie es früh genug erfahren.

»Wo könnte sich Leonie noch aufhalten – außer bei ihren Freunden? Bitte, denken Sie genau darüber nach. Jeder Hinweis könnte für uns hilfreich sein.«

Claudia Meinhardt schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.« Aus feuchten Augen sah sie die Polizistin an. »Nur eins: Unsere Tochter würde nie, ohne Bescheid zu geben, außerhalb übernachten. Bitte, bringen Sie mir meine Leonie zurück!«

Saskia schluckte. »Ich versichere Ihnen, wir leiten alles Notwendige ein. Sie sollten jetzt nach Hause gehen. Vielleicht ist sie ja auch schon wieder daheim«, fügte sie an, wohingegen sich ein ungutes Gefühl in ihrer Magengegend breitmachte.

»Ja. Ich bin schon zu lange ... Michael macht sich gewiss Sorgen. Sie geben mir sofort Bescheid, wenn Sie etwas hören?«

»Selbstverständlich«, nickte Saskia und Frau Meinhardt hetzte aus dem Zimmer.

Dienstag, 30. Mai 2023 / 00:10 Uhr

Ein Teil der Gartenparzellen war in Flutlicht getaucht, sodass die Leute vom KDD, dem ›Rund um die Uhr‹-Bereitschaftsdienst der Kriminalpolizei, keine Schwierigkeiten hatten, ihren Einsatzort zu finden. Das galt ebenso für Kriminalkommissarin Wiebke Pannkok und Kriminaloberkommissar Lutz Berger von der Spurensicherung.

Sofort nach deren Eintreffen brachte Hans Lehmann von der örtlichen Polizei alle auf den aktuellen Wissensstand. Danach zogen die Kriminaltechniker ihre Schutzkleidung über und stapften zur abgebrannten Laube. Sie schossen Fotos von der mittlerweile nur noch leicht dampfenden Leiche, dokumentierten den Ort zusätzlich durch Videoaufzeichnungen, sammelten die spärlichen, gegebenenfalls relevanten Beweisstücke auf und packten sie in Plastiktüten.

In der Zwischenzeit unterhielten sich die Kriminalermittler vom Dauerdienst mit den Feuerwehrleuten. Sie erfuhren, dass das Gartengrundstück früher Michael Meinhardt, einem Mitglied der Feuerwehr gehörte, der bei einem Einsatz so schwer verletzt wurde, dass er seitdem arbeitsunfähig und die meiste Zeit auf einen Rollstuhl angewiesen war und, dass er die Parzelle verkauft hätte. Wer der jetzige Besitzer war, wussten die beiden nicht.

Auf Nachfrage was denn damals passiert war, wollte keiner der Feuerwehrmänner so recht mit der Sprache herausrücken. Aber einer gab den Kriminalbeamten Namen und Adresse ihres ehemaligen Kameraden.

Hans Lehmann hatte das Gespräch mitbekommen, zog sein Handy aus der Jackentasche und rief Saskia an. »Kannst du bitte herausfinden, wer der jetzige Besitzer ist?«, bat er sie.

Als Wiebke und Lutz zu den Kollegen des KDD zurückkamen, waren die meisten Einsatzwagen der Feuerwehr davongefahren. Lediglich das Dienstfahrzeug des Einsatzleiters war noch vor Ort und er selbst im Gespräch mit den Kriminalbeamten.

»Unserer Meinung nach handelt es sich um eine ›Brandleiche‹«, teilte Lutz Berger mit. »Am Kopf des Opfers klafft ein ziemlich großes Loch, das nicht durch die Explosion verursacht wurde.«

Wiebke Pannkok nickte zustimmend. »Der Zustand des verkohlten Körpers lässt darauf schließen, dass ein Brandbeschleuniger benutzt wurde. Ob dieser zu Lebzeiten des Opfers oder postmortal eingesetzt wurde, wird sich bei der Obduktion herausstellen. Es liegt aber noch immer ein intensiver Benzingeruch in der Luft. Dieser Klumpen Plastik«, sie deutete auf den Kunststoffbeutel, den sie neben sich abgestellt hatte, »könnte ein Benzinkanister gewesen sein.«

»Weshalb sind wir eigentlich hier, wenn ihr schon alles geklärt habt?«, murrte einer der Leute vom Dauerdienst.

»Damit ihr dafür sorgt, dass der Leichnam ordnungsgemäß zur Rechtsmedizin verbracht wird und weil das der Dienstvorschrift entspricht, Herr Kollege«, antwortete Wiebke mit einem Lächeln.

Im Stillen fragte sie sich, was dieser Mann, der ihr schon öfter durch seine schlechte Laune aufgefallen war, noch immer beim Bereitschaftsdienst der Polizei macht, anstatt sich einen dösigen Job bei einem Wachdienst zu suchen?

»Habt ihr eine Ahnung, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt?«, unterbrach der Einsatzleiter der Feuerwehr das kurze Wortgefecht.

»Das ist auf den ersten Blick nicht feststellbar«, antwortete Lutz Berger. »Aber auch das wird die Rechtsmedizin bestimmt herausfinden.«

»Oder deine fachlich kompetente Kollegin«, maulte der Dauerdienstler, was ihm ein genervtes Schnaufen seines Kollegen einbrachte und Lutz beinahe auf die Palme.

Wiebke fasste ihn am Arm. »Komm, wir sind hier durch.«

Dienstag / 02:10 Uhr

Verwundert stellte Leonie fest, dass sie zwischen hohen Gräsern an einem Maschendrahtzaun lag. Zudem hatte sie höllische Kopfschmerzen und beim Berühren ihres Kopfes spürte sie eine Beule. Weder wusste sie, woher die kam noch wo sie sich befand und weshalb. Und schon gar nicht, wie sie hierhergekommen war.

Umständlich versuchte sie sich an dem Drahtgeflecht hochzuziehen. Im dritten Anlauf gelang es ihr endlich. Einigermaßen aufrechtstehend klammerte sie ihre Finger in den Zaun. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihr rechter Fuß mindestens ebenso schmerzte wie ihr Kopf.

Nicht weit entfernt hörte sie Stimmen, die Anweisungen brüllten und erkannte rotierende blaue Lichter sowie eine rotgelbe Flammensäule, die den nachtschwarzen Himmel erleuchteten.

Flüchtig baute sich vor ihrem geistigen Auge eine brennende Laube auf, dann ein lauter Knall. Anhand ihres Brummschädels vermutete sie, dass die Hütte in die Luft geflogen war, sie von einem umherfliegenden Stück Holz getroffen worden sein musste und anschließend das Bewusstsein verloren hatte.

Leonies Überlegung wurde von einem plötzlichen Brechreiz verdrängt, sodass sie instinktiv eine Hand auf ihren Bauch legte. Als die Übelkeit nachließ, überfiel sie eine innere Kälte. Sie lehnte sich an den Maschendrahtzaun und umschlang ihren Körper mit beiden Armen. Im Zuge dessen spürte sie etwas flaches und eckiges in ihrer Jacke. Sie zog es hervor. Am momentanen Aufleuchten erkannte sie, dass es ein Handy war und ein junger Mann mit krausen braunen Haaren und einem sympathischen Lächeln sie angrinste. Verwirrt fragte sie sich, wer das sein könnte. Des Weiteren sah sie drei verpasste Anrufe.

Mama stand mittig auf dem Display. Das Gesicht kam Leonie bekannt vor, doch konnte sie keine Verbindung herstellen.Zudem ihr gerade bewusst wurde, dass sie sich ebenso wenig an ihren eigenen Namen erinnern konnte. Sie bekam Panik.

Wie kann das sein?Ist das überhaupt mein Handy?

Sie öffnete die Sprachnachricht.

»Leonie, wo bist du? Papa und ich machen uns große Sorgen«, hörte sie die verzweifelte Stimme einer Frau. »Bitte, ruf zurück!«

Leonie? Ist das mein Name? Verdammt! Was ist los mit mir?

Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn. Zumindest hoffte sie, dass es Schweiß war. Mit dem noch leuchtenden Smartphone besah sie sich ihre Hand.

Kein Blut, Gott sei Dank! Ihr nächster Gedanke war: Fotos! Auf jedem Handy gibt es Fotos.

In der Hoffnung, Klarheit zu erhalten, tippte sie auf den Button mit der Bezeichnung Gallery. Sofort war der junge Mann wieder zu sehen mit einer zierlichen Frau mit langen dunkelbraunen Haaren.

»Ob ich das bin?«, murmelte Leonie vor sich hin. Dann kam ihr die Idee, eine Aufnahme von sich selbst zu machen. Es blitzte. Sie sah sich das Foto an. »Ja, das bin ich«, sagte sie laut zu ihrer eigenen Bestätigung, dass sie das nicht alles nur träumte.

Aber wieso kann ich mich nicht erinnern? Sie schaute zu der Stelle, wo die blinkenden Lichter herkamen. Ich muss dorthin! Jemand muss mir helfen.

Mühsam zog sie sich an der Einzäunung entlang, an dem die teils dornigen Sträucher ihr ins Gesicht und in die Unterarme stachen, während ihr Fuß vor Schmerzen zu brennen schien.

Nur noch ein paar Meter, du schaffst das, spornte sie sich an.

Dann, urplötzlich war da kein Zaun mehr. Ihre Hand griff ins Leere. Sie stürzte, rappelte sich wieder auf und fiel erneut. Sie merkte, wie die Kraft sie verließ und sich abermals Schwärze über ihr Bewusstsein legte.

Als sie zu sich kam, dämmerte es bereits, doch in ihrem Kopf war noch immer dieser Nebel. Die Stille um sie herum, nur unterbrochen vom Gesang der frühen Vögel, war zum einen beruhigend, auf der anderen Seite aber auch beängstigend.

Wo waren die Leute hin?

Sie sah sich um, erfasste, dass sie auf einem, teils mit Gras bedecktem Weg lag inmitten der Kleingärten. Sofort spürte sie wieder den Schmerz in ihrem Fuß. Bei näherer Betrachtung stellte sie fest, dass ihr rechter Knöchel stark angeschwollen war.

»Verdammte Scheiße!« Ihr Gefühlsausbruch hallte durch die Schrebergärten, zumindest glaubte sie es. Jedoch kein Mensch reagierte und zu sehen oder zu hören war auch nichts. Oder doch ...? Sie reckte ihren Kopf, sah aber niemanden.

Bilde ich mir jetzt schon Dinge ein?

Mittlerweile war ihr Mund ausgetrocknet, wohingegen kalter Schweiß vom Hals über ihren Rücken herablief. Und sie fror. Mit zittrigen Händen zog sie den Reißverschluss ihres Hoodies zu.

Wo ist mein Handy?

Während Leonie nur auf ihr iPhone konzentriert in der Frühdämmerung die Fläche um sich herum absuchte, näherte sich ihr eine Person. Und noch bevor sie reagieren konnte, fühlte sie einen Sack über dem Kopf. Trotzdem sie nichts sehen konnte und ihr fast die Luft wegblieb, schlug sie mit den Armen um sich. Schnell stellte sie fest, dass sie keine Chance hatte. Die Person war stark und ... ja auch nicht angeschlagen wie sie selbst.

Unsanft wurde sie einen unebenen Weg entlang geschubst, sodass sie immer wieder ins Stolpern kam. Unter ihren Schuhsohlen spürte sie abwechselnd Gras und sandigen Boden. Kurze Zeit später hörte sie das Quietschen einer Tür. Sie erhielt einen Stoß, taumelte und landete auf einem Bett oder Ähnlichem. Danach fiel die Tür zu und wurde von außen abgeschlossen.

Erst nach einer Weile, als Leonie sicher war alleine zu sein, traute sie sich, den Sack von ihrem Kopf zu nehmen. Sie atmete tief durch und schaute sich um, konnte aber kaum etwas erkennen. Lediglich diffuse Lichtstreifen des nahenden Tages bahnten sich durch Ritzen in den fensterlosen Raum.

Nachdem ihre Augen sich einigermaßen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte sie die Umrisse allerlei Gerätschaften, wie sie für die Gartenarbeit benötigt wurden.

Ich befinde mich in einer Gartenhütte und demnach noch in der Schrebergartenanlage.

Hoffnung stieg in ihr auf. Leute werden kommen, um in ihren Gärten zu arbeiten. Sie musste nur genau aufpassen und sich bemerkbar machen, sobald sie ein Geräusch hörte.

Ihr Blick fiel auf den schmalen Tisch, auf dem eine halb volle Flasche stand. Aufgrund der Farbe vermutete sie, dass es sich um Orangensaft oder etwas in der Art handelte. Hastig schraubte sie den Deckel ab und trank durstig in großen Schlucken. Dann humpelte sie zur Tür, rüttelte daran, aber wie schon geahnt, ließ sie sich nicht öffnen. Also hieß es – warten.

Sie setzte sich wieder auf die alte Couch. Bald darauf schlief sie ein.

Dienstag / 05:45 Uhr

Voller Vorfreude schnitt Nicole ein Stück von dem saftigen Steak ab und führte es zu ihrem Mund. Aber gerade, als sie zubeißen wollte, unterbrach ein aufdringliches Geräusch den Vorgang und der Bissen löste sich in Luft auf. Der Geruch aber blieb in ihrer Nase, bis Andy in sein Handy brummte: »Andreas Dillinger. Was gibts?«

Eine kurze Weile hörte er wortlos zu, um dann ruckartig seine Beine aus dem Bett zu schwingen.

»Was ist los?«, murmelte Nicole in ihr Kissen.

»Brand in einer Gartenlaube und eine verkohlte Leiche«, antwortete Andy.

Ihrem traumversunkenen »Hm«, folgte schlagartig die Frage: »Sagtest du Leiche ...?«

»Ja«, kam es kurz und zackig von Andy zurück. »Also, raus aus den Federn. Obwohl ...? Du musst da nicht hin. Die oder der Tote ist bereits in der Rechtsmedizin. Der Doc wird dich ...«

Andys weitere Ausführungen gingen im Zuschlagen der Badezimmertür unter.

Grinsend bewegte er sich in Richtung Küche, um den Kaffeeautomaten in Gang zu setzen. An ein ausgiebiges Frühstück war nicht zu denken, aber Kaffee musste sein.

»Wohin müssen wir?«, erkundigte sich Nicole fünf Minuten später und nippte vorsichtig an ihrer Tasse; stellte jedoch fest, dass Andy reichlich Milch in den Wachmacher getan hatte, und trank sie in einem Zug aus.

Währenddessen bestrich er eilig einen Toast mit Butter, legte großzügig zwei Scheiben Schinken darauf und hielt ihn Nicole entgegen. Sie schüttelte den Kopf. »Kann jetzt noch nichts essen.« Stattdessen trank sie gierig den Rest des Kaffees und stellte den Becher aufs Spülbecken. »Können wir?«

»Muss mich erst anziehen.« Andy deutete auf seine Schlafanzughose. »Wieso hast du es so eilig? Die Leiche ist wie gesagt längst in der Rechtsmedizin und die Überreste der Gartenhütte stehen garantiert noch genauso da wie nach dem Brand. Zwei Feuerwehrmänner hatten ein Auge darauf.« Er lachte und zwinkerte ihr zu.

»Du weißt doch, dass ich mir immer gerne einen eigenen Eindruck vom Fundort einer Leiche mache«, entgegnete Nicole. »Wenn deine Kollegen dort herumwuseln, habe ich dazu keine Chance mehr.«

Ungeduldig, von einem Fuß auf den anderen wechselnd, stand sie in der Schlafzimmertür und wartete, dass Andy endlich Jeans und Shirt angezogen hatte. Dabei schaute sie ständig auf ihr Handy.

»Wieso melden sich die vom KDD nicht bei mir?«, murmelte sie. »Und wie kannst du so ruhig bleiben? Dir muss es doch in den Fingern kribbeln. Zumal die Staatsanwaltschaft bereits grünes Licht zur Begutachtung der Brandursache erteilt hat; das meine ich zumindest aus dem Telefonat herausgehört zu haben. Oder bist du doch nicht so glücklich in dem Job?«

»Bin ich«, erwiderte Andy. »Ist genau mein Ding. Danach habe ich all die Jahre gesucht.« Er lachte. »Hat ja lange genug gedauert.«

Nicole stimmte ihm gedanklich zu. Sie erinnerte sich an die Zeit, als Andys Arbeitsplatz das Archiv des Polizeipräsidiums gewesen war, in das er sich, wegen einer Beinverletzung, die er sich in Ausübung des Berufs, wie es in der Amtssprache hieß, zugezogen hatte, sprichwörtlich verkroch. Außer zu Harald Weinert, seinem jahrzehntelangen Freund, und Lars Hansen, der mal auf einen kurzen Schnack vorbeischaute, hatte er zu den Kollegen des Präsidiums wenig Kontakt. Sie suchten ihn nur dann auf, wenn sie seine Hilfe als Wächter der verstaubten und nicht elektronisch erfassten Akten oder einem der ›Cold Cases‹, mit dessen Inhalten Andreas Dillinger bestens vertraut war, brauchten, ebenso wie Nicole.

Auch sie kannte den Kriminalhauptkommissar bis dahin nur flüchtig. Ein »Hallo« und »Wie gehts?«, wenn sie sich mal über den Weg liefen – sonst war da nichts. Auch hatte sie immer das Gefühl, dass der Mann nicht gern und vor allem nicht viel reden wollte. Das änderte sich, als sie einen länger zurückliegenden Vorgang in Verbindung zu einem aktuellen Mordfall benötigte und sich ausnahmsweise selbst in die Katakomben – so die interne Bezeichnung des Archivs unter den Mitarbeitern – begab. Von da an kamen sie sich ziemlich schnell näher. Sie bezogen das Haus von Herbert Walter, das, seit er zu Helene, Nicoles langjähriger mütterlicher Freundin in deren Häuschen gezogen war, leer gestanden hatte. Einige Zeit später wechselte Andy wieder in den aktiven Polizeidienst – vorerst zum Kriminaldauerdienst – bis er vor einem halben Jahr bei der Abteilung ›Brandursachenermittlung‹ angekommen war.

Für diesen Job hatte er sich mehrfach beworben, bis es endlich geklappt hatte. Allerdings wurde Nicole als Erste Kriminalhauptkommissarin des K11 Offenbach dadurch seine direkte Vorgesetzte. Das störte Andy aber nicht. Ganz im Gegenteil. Zu Hause bist du ja auch der Boss, verkündete er feixend. Und fügte in seiner pragmatischen Art hinzu: Wir können privat aktuelle Fälle besprechen, ohne dass es Ärger gibt, wegen Verbreitens interner Infos.

»Ich bin fertig. Wir können.« Und mit der Frage: »Was geht in deinem hübschen Köpfchen vor?«, holte Andy sie endgültig zurück ins Hier und Jetzt.

Nicole lächelte und warf ihm den Autoschlüssel zu.

Wohlwissend, dass er ohnehin keine Antwort erhalten würde, fragte er nicht nach.

Um 06:10 Uhr stellte er den schwarzen Insignia an der Umzäunung des Wertstoffhofs ab.

»Welche von den Hütten soll es gewesen sein?« Nicole schaute zu den Schrebergärten auf der anderen Seite. Zeitgleich entdeckte sie das rot-weiße Absperrband und lief zielstrebig darauf zu. »Da hat jemand ganze Arbeit geleistet.« Vorsichtig, um keine Spuren zu vernichten, setzte sie einen Fuß auf die in Beton gegossene Türschwelle; der einzige Hinweis, dass hier mal der Eingang gewesen war. Ansonsten erinnerten die übrig gebliebenen in den Himmel ragenden schwarzen Balken eher an die zerstörten Türme des ›World Trade Centers‹ nach dessen Einsturz.

»Dort lag vermutlich die Leiche.« Andy deutete auf eine elliptische Stelle, die sich deutlich von der restlichen Umgebung abhob. Er ging davor in die Hocke, fuhr mit Zeige- und Mittelfinger über den Boden und schnupperte anschließend an seiner Hand. »Eindeutig. Hier wurde Benzin als Brandbeschleuniger verwandt, genau wie Wiebke Pannkok mir berichtete.«

»Wiebke?« Nicole sah Andy verwundert an. »Ich dachte, der Anruf von vorhin wäre vom KDD gekommen?«

»Sollte er eigentlich ... ist er aber bis jetzt nicht. Wiebke sagte, der Kollege der Bereitschaft hätte sich mal wieder etwas grummelig gezeigt, weil sie ihm ihre Meinung, was Leiche und Todesumstände betrifft, mitgeteilt hatte.«

»Oh! Kompetenzgerangel.«

Andy wackelte mit dem Kopf. »War ja selber lange genug bei der Truppe und weiß, dass die Nachricht zu einem Tatort zu kommen, nicht immer dem eigenen Biorhythmus angepasst ist. Da kommt es vor, dass jemand mal grummelig reagiert.«

»Apropos Biorhythmus.« Nicole sah auf ihre Armbanduhr. »Denkst du, ich könnte schon bei Harald anrufen?«

Andy schaute ebenso auf seine Uhr. »Es ist kurz nach halb sieben. Er ist ganz bestimmt schon wach. Ob er allerdings für die Ankündigung einer Leiche empfänglich ist ...?« Er zuckte mit den Schultern und grinste.

»Du hast recht. Ich lasse den Kollegen zuerst noch frühstücken und erkundige mich in der Rechtsmedizin, ob schon erste Erkenntnisse vorliegen«, erwiderte Nicole.

»Es ist kaum sechs Stunden her. Meinst du, die haben nur unsere Leiche?« Andy legte die Stirn in Falten.

»Nö, aber Brandleichen werden vom Doc bevorzugt behandelt ... sind interessanter.«, hielt Nicole mit einem Lächeln dagegen und wählte die Rufnummer der ›Villa‹ in der Kennedyallee in Frankfurt.

Das Gespräch verlief jedoch offenbar nicht so, wie Kriminalhauptkommissarin Wegener sich das vorgestellt hatte, und wurde von ihr zügig mit dem Satz: »Danke, die Telefonnummer von Dr. Lindner habe ich«, beendet.

»Na, kein Glück gehabt?«, foppte Andy.

»Nein. Der Doc kommt erst gegen acht Uhr«, knurrte Nicole, wählte aber sogleich die Nummer von der Seligenstädter Polizeidienststelle.

Dienstag / 08:20 Uhr

Das Einfamilienhaus der Familie Meinhardt stand in einer ruhigen Wohngegend in Seligenstadt. Bei näherem Hinsehen ordnete Saskia Ehrlich es in die Siebziger ein: Waschbetonplatten auf dem Zugang zur Eingangstür aus dunklem Holz mit gewölbten Butzenscheiben.

Sie drückte ihren Finger auf die Klingel neben dem Schild:

Hier wohnen Claudia, Michael und Leonie Meinhardt.

Inständig hoffte die Polizeioberkommissarin, dass die Tochter des Hauses ihr die Tür öffnen würde, und die Mutter nur vergessen hatte, in der Dienststelle über deren Heimkehr Bescheid zu sagen. Stattdessen stand Saskia der Frau gegenüber, die in den frühen Morgenstunden die Abgängigkeit angezeigt hatte. Abgängigkeitsanzeige. Der formaljuristische Ausdruck, der das Verschwinden eines Menschen bezeichnete, empfand die Polizeibeamtin seit jeher als unpassend, zumal es sich um eine längst veraltete und aus Österreich stammende Wortwahl handelte.

»Haben Sie Leonie gefunden? Geht es ihr gut? Wo ist sie?«, wurde Saskia von Frau Meinhardt auf der Stelle mit Fragen überschüttet.

Bevor sie antworten konnte, drängte sich ein Mann Anfang fünfzig, mit kurzen grauen und ,struppigen Haaren im Rollstuhl sitzend neben die Frau. Auffällig war eine Narbe auf seiner linken Wange.

»Wo ist unsere Tochter?«, fragte auch er ungeduldig.

Saskia Ehrlich schluckte, während das mulmige Gefühl in ihrer Magengegend sich weiter ausbreitete. Jetzt nur keinen Fehler machen – nicht verplappern, mahnte sie sich.

»Eh ... leider wissen wir noch nichts Neues. Meine Kollegen halten aber weiterhin die Augen auf.«

»Weshalb sind Sie dann hier?«, erkundigte sich Frau Meinhardt verwundert.

»Darf ich hereinkommen?«, fragte Saskia.

Das Ehepaar warf sich einen Blick zu. Anschließend trat die Hausherrin einen Schritt zur Seite. Ihr Mann rollte ebenfalls ein Stück zurück, machte dann eine 180 Grad Drehung mit seinem Rollstuhl und fuhr den Frauen voraus ins Wohnzimmer. Dort standen die Türen zur Terrasse offen und gaben die Aussicht in einen großräumigen Garten frei.

Rechtsseitig gedieh allerlei Gemüse in akkurat angelegten Beeten und entlang des Zauns zum Nachbargrundstück rankten Brombeer- und Himbeerhecken. Die Rasenfläche machte jedoch den größten Teil aus. Ein breiter mit großen quadratischen Steinplatten ausgelegter Weg führte zu einer Feuerstelle im hinteren Bereich sowie links zu einem Carport. Von dem graulackierten Auto sah Saskia nur die Seitenansicht, erkannte aber, dass es ein Van sein musste. Jetzt bemerkte sie auch die Rampe zum Garten.

Alles genau durchdacht und rollstuhltauglich angelegt.

»Wir setzen uns am besten draußen hin.« Die Hausherrin zeigte zur Bestuhlung auf der Terrasse. »Noch ist das Wetter schön. Es soll aber gegen Abend anfangen, zu regnen«, sagte sie hektisch, als wollte sie die mögliche negative Nachricht, die von der Polizistin doch noch kommen könnte, hinauszögern.

Währenddessen rollte Herr Meinhardt an den Tisch und ergriff das Glas, das offenbar dort für ihn bereitstand. »Möchten Sie auch?«, fragte er nach dem ersten Schluck, zu Saskia aufschauend. »Ist Pfefferminze mit Zitrone, von meiner Frau selbst zubereitet, nicht so ein chemisches Zeug aus dem Discounter.«

Claudia Meinhardt streifte mit einer Hand liebevoll über seine Schulter. Dann griff sie, ohne Saskias Antwort abzuwarten, die Glaskaraffe, füllte eines der bereitstehenden Gläser und schob es in deren Richtung.

»Weshalb sind Sie hier?«, wiederholte sie ihre Frage.

»Sie besaßen ein Gartengrundstück gegenüber des Wertstoffhofs?«

Das Ehepaar nickte einvernehmlich.

»Die Parzelle haben wir nicht mehr«, antwortete Michael Meinhardt schnell. »Haben wir verkauft als ich ...« Er ließ den Ausgang des Satzes offen.

Anhand des Rollstuhls konnte Saskia sich den Grund denken.

»An Eymen Yilmaz. Ist das richtig?«, fragte sie nach.

»Ja«, bestätigte Herr Meinhardt. »Ein wirklich netter Mann. Er und seine Familie hatten schon lange einen Schrebergarten gesucht. Aber wieso interessiert sich die Polizei dafür?«

»Die Gartenhütte ist heute Nacht abgebrannt«, gab Saskia Auskunft, nahm das Glas und führte es an ihre Lippen. Während sie trank, blickte sie über den Rand hinweg zwischen dem Ehepaar hin und her, konnte aber keinerlei Anzeichen wahrnehmen, die darauf schließen ließ, dass die beiden bereits davon wussten.

»Das ist bedauerlich«, antwortete Michael Meinhardt schließlich. »Nur, wieso kommen Sie deswegen zu uns?«

»Ach, du lieber Gott! Sie glauben doch nicht, dass Leonie damit zu tun hat und deshalb ...?«

»Claudia, ich bitte dich!«, schnitt ihr Ehemann ihr das Wort ab und wandte sich Saskia zu. »Sie gehen von Brandstiftung aus. Verstehe ich Sie richtig?«

»Sieht ganz danach aus«, gab die Polizeioberkommissarin ausweichend Auskunft. »Kann aber auch ein Versehen gewesen sein. Das wird zurzeit ermittelt.«

Michael Meinhardt beugte sich der Polizeibeamtin zu. »Wenn Sie annehmen, dass ein fremdenfeindlicher Grund dahintersteckt, sage ich Ihnen gleich – Sie sind auf dem Holzweg.«

»Gab es damals mit ihren Gartennachbarn Unstimmigkeiten, weil Sie ihren Kleingarten an einen ausländischen Mitbürger verkauft haben?«, löcherte Saskia das Ehepaar weiter. Dabei spürte sie, wie sich ihr Magen immer mehr zusammenzog.

Was tust du hier, schimpfte sie sich. Ihre Tochter ist womöglich ums Leben gekommen und du quälst die beiden mit deinen blöden Fragen.

»Im Gegenteil«, holte Michael Meinhardt sie aus ihren Gedanken. »Alle ehemaligen Gartennachbarn bestätigen uns immer wieder, dass der Garten in sehr gutem Zustand ist. Darüber hinaus lebt die Familie bereits in der zweiten Generation in Deutschland und ist voll integriert, wie man heute so sagt. Ismet, ein Sohn der Yilmaz' ist im gleichen Alter wie unsere Leonie. Sie haben letztes Jahr seinen 18. Geburtstag in der Laube gefeiert.«

»Trotzdem dürfen wir nichts ausschließen«, erwiderte Saskia Ehrlich und wechselte mit ihrer nächsten Frage: »Hat Ihre Tochter einen festen Freund? Ich meine ... sie ist 18«, abrupt das Thema.

»Seit gut einem Jahr ist Leonie mit David zusammen«, antwortete Michael Meinhardt. »David Körner. Sie kannten sich aus der Schule. Jetzt will David studieren.«

»Ihn haben wir natürlich als Ersten angerufen«, schaltete seine Ehefrau sich wieder ein. »Er war ebenso schockiert wie wir und konnte es sich nicht erklären. Er versicherte uns, dass er Leonie wie immer bis hierher begleitet und gesehen hätte, wie sie ihr Fahrrad zum Carport schob.«

Frau Meinhardt machte eine kurze Pause und schnäuzte sich. »Zum ersten Mal bin ich nicht aufgeblieben, bis ... Das Rad! Wieso fällt mir das jetzt erst ein?« Mit weit aufgerissenen Augen schaute sie von ihrem Mann zu Saskia und rannte über die Rampe in den Garten, hin zum überdachten Einstellplatz. »Es ist weg!«, schrie sie. »Leonies Rad ist nicht da.«

Die armen Leute, ging es Saskia Ehrlich durch den Kopf, während sie fast fluchtartig das Haus der Meinhards verließ. Der Mann im Rollstuhl und die Tochter eventuell tot ...

Auf dem Weg zu ihrem Wagen spürte sie die Blicke des Ehepaars in ihrem Rücken und musste sich zwingen, nicht zurückzuschauen. Erst hinter dem Steuer atmete sie tief durch, startete den Motor und fuhr zur Dienststelle.

»Hab gehört, was in den letzten Stunden passiert ist«, wurde sie von ihrem Chef, Polizeihauptkommissar Josef Maier, auf dem Flur abgefangen. »Ein vermisstes Mädchen und eine Leiche in einer niedergebrannten Gartenhütte. Weshalb hast du mich nicht benachrichtigt?«

»Weil du mal drei Tage frei hattest ...?«, antwortete Saskia in einem fragenden Tonfall. »Außerdem handelte es sich vorerst rein um einen Brand in einer Gartenlaube. Erst später stellte sich heraus, dass eine tote Person da drin lag.«

»Hm«, äußerte Josef Maier. »Philipp sagte, dass du die Eltern des vermissten Mädchens aufsuchst. Was wolltest du von ihnen? Wir haben doch noch keine Spur von ihrer Tochter. Und überhaupt – du hattest Nachtdienst. Solltest du nicht zu Hause sein?«

Schlagartig erfasste den Leiter der Seligenstädter Polizeidienststelle die Antwort. »Du glaubst, dass die Leiche identisch sein könnte mit ...? Das hast du bei den Meinhardts hoffentlich nicht durchblicken lassen?«

»Nicht dein Ernst? Ich bin lange genug bei der Polizei und weiß, was ich sagen darf und was nicht«, protestierte Saskia lauter als gewollt.

»Ja, klar. War blöd von mir. Entschuldige«, ruderte Josef Maier zurück, fasste seine Kollegin am Arm und schob sie durch die Tür zu seinem Büro. »Ich hatte einen Anruf von Nicole Wegener. Sie fragte, ob wir schon die Eigentümer des Grundstücks über den Brand informiert hätten.«

Aha. Daher weht der Wind, schoss es Saskia durch den Kopf und nahm den Kaffee entgegen, den Josef ihr reichte.

»Schwarz, wie du ihn magst«, grinste er.

»Und heiß«, ergänzte sie und setzte sich auf die kleine Couch. »Hans und Marie haben die Familie Yilmaz, die jetzigen Besitzer des Schrebergartens, heute Früh informiert. Sollte sie dir eigentlich mitteilen. Hans hat ihr das Protokollschreiben überlassen.« Saskia lächelte.

»Das liegt hier auf meinem Schreibtisch und ich habe es auch gelesen. Sehr detailgenau, fast schon literarisch.« Josef nahm den Bericht und reichte ihn seiner Kollegin. Davon, dass die beiden die Eigentümer des Kleingartens aufgesucht haben, stand da allerdings nichts.

Saskia überflog das Protokoll. »Eine lodernde Flammensäule stieg in den nachtschwarzen Himmel auf«, las sie laut und grinste. »Unsere Marie hat offenbar das Zeug zur Autorin. Zum Glück kannst du dich auf deine alten Hasen verlassen.« Sie deutete mit dem Zeigefinger auf sich selbst. »Von den Meinhardts habe ich erfahren, dass ihre Tochter und David Körner ein Paar sind. Ja, genau der David, der neben Nicole wohnt«, fügte sie hinzu, als Josef Maier sie verwirrt ansah. »Und es kommt noch besser. Die beiden sind mit Ismet, einem Sohn des jetzigen Gartenbesitzers Eymen Yilmaz befreundet. Ismet wurde im letzten Sommer 18 und feierte seinen Geburtstag mit seinem gesamten Freundeskreis in dieser Laube im Schrebergarten. Alina Kunze, die beste Freundin von Leonie war auch dabei gewesen.«

»Aha«, äußerte Josef. »Was hat das jetzt miteinander zu tun?«

Saskia starrte auf irgendeinen Punkt im Büro und quetschte ihre Unterlippe zwischen Zeigefinger und Daumen, ein sicheres Zeichen dafür, dass seine Mitarbeiterin ein Gedanke beschäftigte, den sie nicht sofort zuordnen konnte.

»Der Name Kunze löst in mir im Zusammenhang mit Feuer irgendetwas aus. War da nicht vor drei Jahren dieser Brand in einem Mehrfamilienhaus, bei dem ein Bewohner starb und ein Feuerwehrmann selbst so schwer verletzt wurde und seitdem arbeitsunfähig ist?«

Saskia hob den Kopf und sah ihrem Chef direkt in die Augen. »Könnte es sein, dass der Mann von der Feuerwehr Herr Meinhardt gewesen ist? Er hat eine lange Narbe auf seiner linken Wange.«

»Zeitlich könnte es zumindest hinkommen«, antwortete Josef. »Kann mich vage daran erinnern. Soweit ich aber noch weiß, wollte der Mieter der Wohnung die Feuerwehrleute partout nicht hineinlassen. Moment.« Er eilte hinter seinen Schreibtisch und tippte Suchbegriffe zu dem damaligen Fall in den Rechner. Kurz darauf hatten Saskia und er die Bestätigung.

Der Feuerwehrmann war Michael Meinhardt. Der andere Mann hieß Norbert Kunze. Aus dem Protokoll ging hervor, dass beide, nach einem heftigen Gerangel die Treppe hinabstürzten. Dabei wurde Michael Meinhardt so schlimm verletzt, dass er seitdem auf einen Rollstuhl angewiesen war, während Norbert Kunze noch auf der Fahrt zur Klinik an seinen Verletzungen verstarb. Warum sich der Mann derart aufführte, konnte nicht geklärt werden. Es stellte sich nur heraus, dass er stark alkoholisiert gewesen war. Seine Ehefrau Marlies hatte als Pflegerin Nachtschicht im Krankenhaus und war zu diesem Zeitpunkt nicht in der Wohnung. Die Tochter Alina stand, nach Aussage des Notarztes, unter Schock, weswegen von ihrer Seite keinerlei Angaben zur Brandursache vorlagen.

»Weshalb wurde sie nicht später befragt?«, wollte Saskia wissen. »Wer war zuständig?«

»Am Anfang Hans und Berthold«, murmelte Josef Maier, der sich offenbar wieder genau erinnerte. »Dann übernahm die Brandermittlung aus Offenbach.« Er scrollte mithilfe der Computermaus durch den Bericht und stieß auf den Anhang eines psychiatrischen Gutachters, in dem hieß es, dass empfohlen wurde, Alina Kunze nicht ein weiteres Mal dieser traumatischen Situation auszusetzen.

Saskia blähte die Backen. »Konnte denn wenigstens festgestellt werden, wie es zu dem Brand kam?«

Josef Maier klickte zu der Seite zurück, auf der die Brandursache festgehalten war.

»Es wurde eine zu stark heruntergebrannte Kerze auf einem Adventskranz vermutet, der letztlich Feuer fing. Es war der 8. Dezember 2019 – also einen Tag vor dem 2. Advent«, fügte Josef ergänzend an.

»Vermutet? Kaum zu glauben.« Saskia schüttelte den Kopf. »Ein bisschen schludrig ermittelt, würde ich sagen.«

Bevor sie sich weiter darüber echauffieren konnte, klingelte Josefs Handy. Nach einem Blick auf das Display wischte er über den Grünen Punkt.

»Guten Morgen. Schätze, du bist am Tatort?«

Er kannte Nicole seit Jahren und wusste um ihre Gewohnheiten. Egal wie akribisch die Ermittler der Spurensicherung auch recherchierten, sie hatte schon immer lieber den Ort eines Verbrechens mit eigenen Augen begutachtet. Zumindest war das so, bevor sie zur Ersten Kriminalhauptkommissarin ernannt wurde und damit die Gesamtleitung für Gewalt-, Brand- und Waffendelikte des K11 Offenbach übernommen hatte. Seitdem kam sie nicht mehr so oft dazu, selbst einen Tatort in Augenschein nehmen zu können – ausgenommen, es betraf die Stadt, in der sie wohnte. Dann ließ sie schon mal ihren Bürojob, wie sie ihn nannte, ruhen.

Nicht nur, um das eigene Nest so gut wie möglich sauber zu halten, sondern, weil die Seligenstädter private Sonderkommission, abgekürzt SE-PRI-SOKO, sich gerne der Mordfälle annahm.

Deren eifrige Mitglieder, in vorderster Reihe Helene Wagner, waren den rechtmäßigen Ermittlern – sprich der offiziellen Kriminalpolizei – wiederholt einige Schritte voraus.

Mit einem: »Ja, natürlich«, bestätigte Nicole die Frage von Josef Maier. »Andy und ich haben aber nichts mehr gefunden. Habt ihr was?«

»Vielleicht. Warte, ich stelle auf mithören. Saskia ist bei mir. Sie kommt gerade von den ehemaligen Eigentümern des Gartengrundstücks, auf dem die Hütte stand, weil sie ihre Tochter Leonie seit heute Nacht als vermisst gemeldet haben. Das Ehepaar heißt Claudia und Michael Meinhardt.«

»Oh! Und ihr nehmt an, es könnte sich bei der ›Brandleiche‹ um eben diese Leonie handeln?«, fragte Nicole.

Saskia beugte sich näher über Josefs Handy. Und als würde sie ein Geheimnis preisgeben, flüsterte sie: »Die Tochter der Meinhardts ist mit David befreundet. Du kennst ihn. Er wohnt direkt neben dir.«

»Wie bitte? Du meinst jetzt aber nicht David Körner?«

»Genau den«, bestätigte die Polizeioberkommissarin.

Bei der Erwähnung des Namens horchte Andy auf.

»Ich nehme an, dass du den Meinhardts nichts von der Leiche in der Gartenhütte erzählt hast«, fragte Nicole die Kollegin.

»Natürlich nicht«, entgegnete Saskia ein weiteres Mal auf diese Frage und dachte: Halten mich alle für bescheuert? Statt sich erneut darüber aufzuregen, sagte sie: »Frau Meinhardt hat, als ihre Tochter heute Morgen noch immer nicht zu Hause war, zuerst bei David angerufen. Sie versicherte mir, dass er genauso erschüttert gewesen wäre und es sich auch nicht erklären konnte, weil er Leonie gestern Abend noch bis zur Haustür gebracht hätte.«

»Habt ihr David schon befragt?«

»Nein, noch nicht«, erwiderte Josef. »Ich hab's ja auch eben erst von Saskia erfahren.«

»Okay. Dann übernehme ich das«, antwortete Nicole. »Danke, Saskia.«

Bevor die Kriminalhauptkommissarin das Gespräch beendete, teilte Josef die Informationen bezüglich eines eventuellen Zusammenhangs zwischen der Familie Meinhardt und den Kunzes mit.

»Was ist los?«, fragte Andy.

»Leonie, die Freundin von David Körner wird vermisst. Könnte es sich vielleicht bei der Leiche in der Gartenlaube um sie handeln?«

Andys Kollegen trafen nur Minuten, nachdem Nicole weggefahren war, ein. Er betrat mit ihnen erneut den Tatort und fasste in kurzen Sätzen seine bereits gesammelten Informationen zusammen.

Erste Rückschlüsse auf die Brandursache sowie deren Verlauf zogen die Ermittler nach etwa einer Stunde und kamen zu dem gleichen Ergebnis wie Kriminalkommissarin Wiebke Pannkok von der Kriminaltechnik: Es wurde Benzin als Brandbeschleuniger eingesetzt!

»Dürfen wir dich ins Büro mitnehmen?«, fragte sie Andy. »Hab weit und breit kein Auto gesehen, weshalb ich davon ausgehe, dass du zusammen mit Nicole hier warst und jetzt eine Mitfahrgelegenheit brauchst.« Sie zwinkerte ihm zu.

Dienstag / 08:30 Uhr

»Es hat schon wieder in einem Schrebergarten gebrannt«, setzte Herbert Helene von der Neuigkeit, die er beim Bäcker gehört hatte, in Kenntnis und legte zwei prall gefüllte Tüten auf den Tisch.

»Was soll das?«

»Des frag ich mich auch. Der Kerl muss doch total gaga sein«, erwiderte Herbert.

»Ich meine das da.« Helene deutete mit ihrem Zeigefinger zu dem opulenten Einkauf.