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Obwohl der vermeintliche Stalker von Mia Hoffmann ermordet gegenüber ihrer Wohnung gefunden wird, hören die Belästigungen durch SMS und anonyme Anrufe nicht auf. In ihrer Verzweiflung wendet sich die junge Frau an die Privatermittler der SE-PRI-SOKO. Deren Recherchen als auch die Ermittlungen der Kriminalpolizei unter der Leitung von Kriminalhauptkommissarin Nicole Wegener decken einen perfiden Plan auf, der für Mias Freundin Lena beinahe zum Verhängnis wird.
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Seitenzahl: 367
Veröffentlichungsjahr: 2024
Rita Renate Schönig
Eiskalte Absicht
Seligenstädter Krimi
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Eiskalte Absicht
Inhalt:
Eiskalte Absicht
Samstag – 12. August 2023 / 02:20 Uhr
Sonntag – 13. August 2023 / 09:35 Uhr
Montag – 14. August 2023 / 07:30 Uhr
Dienstag – 15. August 2023 / 07:30 Uhr
Mittwoch – 16. August 2023 / 07:15 Uhr
Donnerstag – 17. August 2023 / 05:45 Uhr
Sonntag – 20. August 2023 / 20:40 Uhr
Dankesworte:
Informationen zum ›Felsenkeller‹
Vita:
Bis heute sind folgende Bücher erschienen:
Impressum neobooks
13. Seligenstadt – Krimi
Die Handlung entspringt ausschließlich meiner Fantasie.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Teile des gesprochenen Textes sind in Seligenstädter Mundart verfasst und daher, die Grammatik betreffend, nicht regelkonform.
***
Impressum
Texte © Copyright by Rita Renate Schönig
Bildmaterialien © Copyright by Rita Renate Schönig
Postfach 1126
63487 Seligenstadt
E-Mail-Adresse: [email protected]
Homepage: www.rita-schoenig.de
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Buches darf reproduziert, in einem Abrufsystem gespeichert, in irgendeiner Form elektronisch, mechanisch, fotokopiert, aufgezeichnet oder auf andere Art übertragen werden.
***
Obwohl Mia Hoffmann ein Annäherungsverbot gegen ihren Ex-Freund Jan Holbe erwirkt hat, erhält sie weitere Nachrichten von ihm. Doch auch als er ermordet gegenüber ihrer Wohnung aufgefunden wird, hören die Belästigungen durch SMS und anonyme Anrufe nicht auf. In ihrer Verzweiflung sucht sie nach einer Detektei und stößt auf die zwar schon älteren, aber erfolgreichen Privatermittler der SE-PRI-SOKO in der Stadt, in der sie wohnt.
Deren Recherchen, wie auch die der Kriminalpolizei unter der Leitung von Kriminalhauptkommissarin Nicole Wegener, decken einen perfiden Plan auf, der Mias Freundin Lena fast zum Verhängnis wird.
***
Ständige Protagonisten– Ermittlerteam Präsidium Offenbach K11
Nicole Wegener, EKHK
Harald Weinert, KHK
Lars Hansen, KHK
Dagmar Dietz, KOK
Andreas (Andy) Dillinger, KHK
Patrick Rudolph, IT-Techniker IKT-Polizeipräsidium
Staatsanwaltschaft:
Falk von Lindenstein und Felix Heller
Rechtsmedizin:
Dr. Martin Lindner (Doc)
Seligenstädter Polizeistation
Andreas Eberbach, PHK / neuer Dienststellenleiter.
Hans Lehmann, POK
Berthold Bachmann, POK
Saskia Ehrlich, POK
Marie Schwan, PK
***
Hobby-SoKo (SE-PRI-SOKO)
Helene Wagner, Freundin von Nicole Wegener
Herbert Walter, Lebensgefährte von Helene
Ferdinand und Bettina Roth, Freunde
Gundula (Gundel) Krämer, Nachbarin
Georg (Schorsch) Lenz, Nachbar
***
Speziell diesem Roman zugeordnete Protagonisten
Jan Holbe, Opfer und Ex-Freund von Mia
Maria Holbe, Tante von Jan
Mia Hoffmann, Ex-Freundin von Jan
Lena Berger, Freundin von Mia
Alexander Moers, Freund von Lena
Holger Kanz, Chef von Alexander Moers
Ingo Nagel, Arbeitskollege von Mia
Helma Kemmerer, Vermieterin von Ingo Nagel
Thomas Weller, Kraftsporttrainer
Jenny und Charly, Mitarbeiter des Fitnessstudios
Anton Kuhn, Ute und Volker Kuhn, Anwohner
Theo Müller, Marktleiter
Erklärungen:
EKHK, Erste Kriminalhauptkommissar
KHK, Kriminalhauptkommissar
KOK, Kriminaloberkommissar
PHK, Polizeihauptkommissar
POK, Polizeioberkommissar
PK, Polizeikommissar
IKT, Informations- und Kommunikationstechnologie
Erklärungen:
Halswürgegriff, Befreiungsgriff
Kneipche, kleines Messer
***
Nach dem, was Mia in den vergangenen Wochen zu ertragen gehabt hatte, war ihr eigentlich überhaupt nicht nach Feiern zumute. Doch Lena, ihre beste Freundin, hatte keine Ruhe gegeben und vom Catering bis zu den Einladungen alles für eine Geburtstagsparty im kleinen Rahmen und nur mit Mädels organisiert. Bedauerlich, dass wegen der stetig sinkenden Temperaturen und des später auch noch einsetzenden Regens sich alle von der Terrasse ins Wohnzimmer zurückziehen mussten. Dennoch verabschiedeten sich die letzten Gäste erst um kurz nach zwei Uhr und Mia fiel müde, aber glücklich und auch ein wenig beschwipst auf die Couch.
»War das nicht eine gute Idee?«, fragte Lena nun und legte Mia einen Arm um die Schulter.
»Jaaa«, antwortete sie gähnend und drehte ihren Kopf im Halbkreis über die Unordnung. »Aber zum Aufräumen habe ich jetzt keine Lust mehr.«
»Ich auch nicht. Morgen haben wir den ganzen Tag Zeit dazu, und das übrig gebliebene Essen habe ich ohnehin schon in den Kühlschrank gestellt.«
»Du bist einfach super!« Mia gab ihrer Freundin einen Kuss auf die Backe und erhob sich schwerfällig. »Aber einen kleinen Absacker haben wir uns verdient. Sekt oder ein kühles Bier?«, fragte sie auf dem Weg zur Küchenzeile.
»Für mich nicht, danke«, lehnte Lena ab. »Aber gönn dir gerne noch einen Schlummertrunk.«
In dem Moment, als Mia eine Bierflasche aus dem Kühlschrank nahm, meinte sie, vor ihrer Wohnungstür ein Rascheln gehört zu haben.
»Was war das?«, fragte sie in Richtung ihrer Freundin.
»Was meinst du?«, kam deren Gegenfrage.
»Na, das Geräusch vor meiner Tür.«
»Ich habe nichts gehört«, antwortete Lena. Aber die Panik in den Augen von Mia veranlasste sie, zu sagen: »Ich sehe mal nach.«
Sie schaute durch den Spion. Da war niemand ... weder direkt vor der Tür noch auf dem Gang. Dennoch schaltete sie zusätzlich die Kamera ein, die einen Halbkreis vor der Eingangstür erfasste.
Mia hatte sich diesen teuren Luxus gegönnt, nachdem sie ständig von Jan belästigt wurde und sich letztlich sogar von ihm bedroht gefühlt hatte.
Jetzt fiel Lena ein Päckchen mit roter Schleife ins Auge. Es lag halb schräg aufgerichtet neben der Tür.
»Was ist? Ist da jemand?«, fragte Mia direkt hinter ihr.
»Irgendwer hat dir ein Päckchen vor die Tür gelegt.«
Beide wussten sofort, wer das war.
»Dieser verdammte Mistkerl.« Mia wollte die Tür aufreißen, doch Lena hielt sie am Arm fest.
»Solltest du nicht die Polizei informieren? Vielleicht ist es eine Bombe.«
»Unsinn! Jan ist ein Stalker und ein Scheißkerl, aber ganz bestimmt kein Bombenbauer. Dazu ist er nicht intelligent genug.«
Lena holte tief Luft und stieß sie wieder aus. »Du musst es ja wissen.«
Mia öffnete die Tür und hob das Päckchen auf. Unter der roten Schleife befand sich eine Karte.
Für meine Liebste.
Alles Gute zum Geburtstag. Dein Lieblingsduft soll dich immer an mich erinnern.
Bis bald. In ewiger Liebe
»Versteht der Kerl kein NEIN?«, schrie Mia laut.
Bedenken, dass ihre Nachbarn gleich aus der Tür gerannt kommen könnten, hatte sie nicht. Das ältere Ehepaar, das direkt neben ihr wohnte, war für einige Wochen in ihrem Ferienhaus an der Ostsee.
»Seltsam, dass die Karte nicht unterschrieben ist«, stellte Lena fest.
Sie wusste, dass Jan alle seine Geschenke an Mia mit kleinen Briefchen oder Karten versehen und mit seinem Namen unterzeichnet hatte. Letztendlich war ihm das zum Verhängnis geworden.
Was, wenn es nicht Jan ist, sondern ein anderer, der Mia auf die gleiche Weise bedrängt?
Der Gedanke verursachte bei Lena Gänsehaut, und sie wagte es nicht, ihn auszusprechen. Stattdessen sagte sie: »Ich bleibe heute Nacht bei dir.«
Mittlerweile hatte Mia das Päckchen geöffnet. Darin befand sich ein Flacon mit ihrem Lieblingsparfüm.
Lena konnte gerade noch verhindern, dass sie die Flasche an die Wand pfefferte.
»Du willst doch nicht in den kommenden Tagen oder Wochen ständig an den Typ erinnert werden, indem du den Geruch nicht mehr aus deiner Wohnung bekommst. Gleich morgen gehen wir beide shoppen und du suchst dir einen neuen Lieblingsduft. Und den hier«, sie nahm Mia den Flacon aus der Hand, »entsorgen wir in der Mülltonne.«
***
Seit einigen Stunden hielt er sich bereits auf dem Parkplatz auf. Nun wollte er nach Hause gehen. Aber plötzlich, wie aus dem Nichts, stand ein dunkel gekleideter Mann vor ihm.
»Verdammt, hast du mich erschreckt. Was willst du denn hier ... mitten in der Nacht?«
»Das Gleiche könnte ich dich fragen«, antwortete der andere mit rauer, leiser Stimme. »Obwohl dir das gerichtlich verboten wurde, lässt du Mia noch immer nicht in Ruhe.«
»Ich bin weit mehr als hundert Meter entfernt. Außerdem wurde ich hereingelegt. Nicht ich bin es, der Mia stalked. Ich will sie vor ihrem echten Stalker beschützen. Vielleicht bist du es ja.«
»Du spinnst. Los! Hau ab Jan oder ich ruf die Bullen.«
»Das werde ich, sobald auch du von hier verschwindest.«
Der leise, aber heftige Wortaustausch und das Gerangel wurde von zwei Personen beobachtet. Während der eine – rein zufällig – von seinem Balkon aus mit einer Spezialvideokamera die Auseinandersetzung filmte, war der andere unbemerkt über die Straße geschlichen und hatte sich hinter einigen Autos versteckt, die dort über Nacht standen.
Plötzlich schepperte es. Erschrocken ließen Jan und sein Kontrahent voneinander ab. Während er sich schnellstens aus dem Staub machte, torkelte, röchelte und hustete Jan und griff sich an den Hals.
Kaum hatte er sich von der Attacke erholt, erhielt er einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf.
Samstag / 02:30 Uhr
Er trat aus dem Gebüsch hervor, hinter dem er sich ununterbrochen versteckt gehalten und die Party auf dem Balkon in der zweiten Etage des Mehrfamilienhauses verfolgt hatte. Dann setzte Regen ein und die Mädchenclique zog sich in den Wohnraum zurück, wo sie fröhlich weiterfeierte, hingegen er von der Nässe durchweicht wurde. Aber jetzt war es so weit. Die letzten Gäste waren gegangen und er würde Mia persönlich sein Geschenk überreichen können.
Obwohl …, Lena musste noch immer in der Wohnung sein. Zumindest war sie nicht mit den anderen herausgekommen.
Mist! Warum hängt sie ständig bei ihr herum? Wie siamesische Zwillinge kleben die aneinander.
Na gut. Würde er seiner Liebsten das Geschenk eben vor die Tür legen – ein letztes Mal. Bald hätte das Versteckspiel ein Ende und sie beide würden zusammen sein.
Seine Zukunftsvisionen wurden von zwei Personen auf dem gegenüberliegenden Parkplatz abgelenkt. Sie schienen sich zu streiten und jetzt sogar handgreiflich zu werden.
Neugierig geworden schlich er über die Straße und versteckte sich zwischen den Fahrzeugen, die dort von einem Autohaus aufgereiht zum Verkauf standen.
In der Dunkelheit konnte er die Männer nicht erkennen; dagegen mit eindeutiger Sicherheit ihre Stimmen. Bei einem von ihnen wunderte er sich nicht, dass er hier herumlungerte, obwohl er es eigentlich nicht durfte, hingegen erstaunte ihn die Anwesenheit des anderen.
Je länger er der Rangelei zwischen den beiden zusah, umso deutlicher erkannte er sie. Jetzt gingen sie sich sogar gegenseitig an die Gurgel, wobei die Chance für den weitaus kräftigeren besser stand, seinen Kontrahenten die Luft abzudrücken.
Konnte das denn möglich sein? Hatte er wirklich so viel Glück? Würde einer, für ihn die Arbeit erledigen und dem lästigen Typen ein für alle Mal das Licht ausknipsen?
Plötzlich ertönte ein lautes Geräusch von einem der Balkone des angrenzenden Häuserblocks. Erschrocken hielten die beiden inne und schauten in die Richtung, genau wie auch er selbst. Zu erkennen war nichts. Aber die Männer ließen schlagartig voneinander ab.
Während der eine zischte: »Lass sie bloß zufrieden, sonst wirst du es bereuen«, und sich eilig entfernte, griff sich der andere an seinen Hals, hustete und röchelte vornübergebeugt.
Zwei Sekunden später fiel er auf den mit Verbundsteinen gepflasterten Boden des Parkplatzes. Nach und nach vergrößerte sich die Blutlache um seinen Kopf und die Augen verloren an Glanz.
Samstag / 10:15 Uhr
Aus dem Tiefschlaf gerissen, schreckte Mia in ihrem Bett hoch. Irgendetwas hatte gescheppert. Sie hielt den Atem an und blickte panisch zur Tür. Doch weder bewegte sich die Türklinke noch ging die Tür auf. Es klirrte erneut.
Ach ja, Lena hatte bei ihr übernachtet, fiel ihr ein.
Der Griff zum Handy und die darauf angezeigte Uhrzeit zehn Uhr fünfzehn sorgten bei Mia sofort für ein schlechtes Gewissen. Sie lag hier herum und ihre Freundin beseitigte vermutlich schon eine ganze Weile das Chaos vom gestrigen Abend.
Sie schwang ihre Beine aus dem Bett, streckte sich, lief zum Fenster und genoss bei jedem Schritt den flauschigen Teppichboden unter ihren Füßen.
Ihre Eltern hatten sie gewarnt, dass es schwierig sein würde, den hochflorigen, dazu noch hellblauen Bodenbelag sauber zu halten. Aber in dieser Beziehung hatte sie sich durchgesetzt, während sie beim Einbau der Küche sowie dem Badezimmer ihre Eltern hatte entscheiden lassen – schließlich hatten sie die Wohnung gekauft und wollten irgendwann selbst hier einziehen.
Mia betätigte den Schalter für die elektrische Jalousie. Sonnenstrahlen erhellten ihr Schlafzimmer und sie kniff die Augen zusammen. Es schien ein schöner Tag zu werden – genau richtig zum Shoppen. Zugleich erinnerte sie sich aber auch an den Grund, weshalb Lena die Shoppingtour vorgeschlagen hatte. Und so wie die Sonne sich direkt wieder hinter der nächsten Wolke versteckte, breitete sich ein dunkler Schatten über Mia aus. Sie fröstelte und schlug die Arme um ihren Körper.
Wie lange halten mich die Erinnerungen noch fest, fragte sie sich. Gleichzeitig packten sie Zweifel, ob sie überhaupt jemals darüber hinwegkommen würde.
Wütend stampfte sie innerlich mit dem Fuß auf. Werde ich, sagte sie sich trotzig.
Es klopfte an der Tür. »Mia, bist du wach?« Zaghaft streckte Lena ihren Kopf herein. »Hab ich doch richtig gehört.« Sie lächelte, sodass die von Mia so sehr bewunderten Grübchen auf ihren Wangen erschienen und den Eindruck erweckten, dass Lena nie ganz ernst sein konnte.
Sie selbst nannte sie muskuläre Lücken unter der Haut – nach der exakten medizinischen Bezeichnung.
»Sorry, ich bin gerade erst aufgewacht. Bist du etwa schon am Großreinemachen?«
»Ein wenig«, antwortete Lena. »Ich konnte nicht mehr schlafen. Los, ab ins Bad mit dir«, forderte sie Mia auf. »Frühstück ist gleich fertig.«
An der großen Spiegelfläche, hinter der sich ein Hängeschrank verbarg, stellte sie fest, dass heute etwas mehr Make-up erforderlich war. Sie öffnete die Tür des Schranks, hielt in ihrer Bewegung inne und schwankte.
»Was ist?«, fragte Lena. »Zu viel getrunken?«
Mia schüttelte den Kopf, während ihre Hände die Umrandung des Waschbeckens umklammerten.
Dann sah Lena, was ihre Freundin derart aus der Fassung brachte – Seifen und Badeöle. Sie vermutete, dass es Geschenke von Jan waren.
Weshalb hatte sie die Sachen nicht längst weggeworfen?
Sie führte Mia, die wie ein nasser Sack in ihren Armen hing, zur Couch und deckte sie mit der Wolldecke zu, unter der sie selbst die Nacht verbracht hatte, und holte ein Glas Wasser.
»Trink!«, forderte sie und setzte es Mia an die Lippen.
»Warum macht er das? Wie kommt er eigentlich in meine Wohnung? Wieso kann er mich nicht einfach in Ruhe lassen?«, fragte Mia mit brüchiger Stimme, nachdem sie einige Schlucke getrunken hatte.
»Weil der Kerl nicht ganz richtig tickt. Und vermutlich besitzt er noch immer einen Schlüssel.«
»Das kann nicht sein. Den hat er mir gegeben«, widersprach Mia.
»Moment mal.« Lena schaute jetzt genauso schockiert wie ihre Freundin. »Ich dachte, es wären Geschenke von Jan, aus der Zeit als ihr ...«
Mia schüttelte den Kopf. »Die sind bereits im Müll.«
»Als Erstes werden wir das Schloss austauschen«, sagte Lena fest entschlossen, ihre Freundin vor weiteren Attacken dieses Geisteskranken zu schützen.
»Aber was ist mit der Haustür?«, gab Mia, wieder mit etwas mehr Farbe im Gesicht, zu bedenken.
»Ich regele das. Gib mir die Telefonnummer des Hausmeisters. Du gehst jetzt unter die Dusche, danach machen wir uns einen schönen Tag. Wir werden uns von diesem Stalker nicht einschüchtern lassen. Zuvor entferne ich diesen Mist aus deinem Bad.«
Lena rannte zur Küche, schnappte sich den Plastiksack, in den sie die Essensreste gestopft hatte, und schmiss Parfüm, Seifen und Badeöle dazu.
Der entschiedene Ton in Lenas Stimme gab Mia Hoffnung. Sie wickelte sich aus der Decke, folgte ihr und schaute sich genau um, ob nicht noch etwas herumstand, das sie an Jan erinnerte.
»Hier, diese Seifenschale ist auch von ihm.« Sie beugte sich über die Badewanne. »Hatte ich wohl übersehen.«
Samstag / 11:50 Uhr
Lena hatte sich vom Hausmeister weder auf Montag vertrösten noch sich abweisen lassen. Den eigentlichen Grund – dass Mia sich von einem Mann bedroht fühlte – wollte sie dem Hausverwalter, der ihr ohnehin schon immer merkwürdig vorkam, nicht nennen.
Letztlich hatte er das Türschloss zu Mias Wohnung gewechselt, nicht aber das Schloss der Haustür. Zum einen benötigte er dazu die Zustimmung aller Wohnungseigentümer und zum anderen war die Schließanlage nicht einfach so, mir nichts, dir nichts, wie er sich ausdrückte, austauschbar – schon gar nicht am Wochenende.
Für Mia bedeutete das natürlich keine komplette Sicherheit, zumindest aber einen Teilerfolg.
Nun waren die Frauen zu Fuß unterwegs zur Innenstadt. Zwar war es noch immer bewölkt und die Sonne ließ sich nur vereinzelt blicken, aber die Temperatur war mittlerweile auf 22 Grad gestiegen und würde laut Wetterbericht noch ansteigen. Deswegen hatte Lena entschieden, dass ein Spaziergang ihnen beiden guttun würde.
Wie an jedem Samstag war Markttag. Und schon auf Höhe der Sparkasse kamen ihnen Leute mit prall gefüllten Einkaufskörben entgegen und je mehr sie sich dem Marktplatz näherten, umso lauter wurde der Geräuschpegel.
Vor den Schaufenstern der Boutique LuMa blieben Lena und Mia stehen. Hier hatten die beiden häufig schon traumhaft modische Kleidung erstanden.
»Komm, lass uns reingehen und ein wenig stöbern«, forderte Lena ihre Freundin auf; allein, um sie auf andere Gedanken zu bringen.
Im Modegeschäft erklangen italienische Schlager, was sofort einen Wohlfühlfaktor schaffte und an Urlaub denken ließ. Zudem wurden sie von der Inhaberin, ihrem Mann sowie deren Personal wie immer freundlich begrüßt.
Über eine Dreiviertelstunde trieb es die jungen Frauen zwischen Verkaufsraum und Umkleide hin und her. Und – wie sollte es anders sein – hatte jede von ihnen ihre Garderobe um zwei Teile erweitert.
Gutgelaunt und mit einem Lächeln verließen sie das Geschäft und spazierten zum Marktplatz. Dort ging das Treiben langsam dem Ende zu, während sich vor dem Weinstand immer mehr Leute versammelten. Einige von ihnen standen wohl schon länger hier, das verriet ihre nicht mehr ganz so klare Aussprache.
Mia wurde von einem Mann angerempelt, als sie zügig vorbeigehen wollte.
»Oh, hoppla. Tut mir leid.« Er drehte sich zu ihr um, hob kurz die Augenbrauen, grinste dann und sagte: »Mia? Du hier?«
Als sie in ihm einen Arbeitskollegen erkannte, den sie allerdings nicht besonders mochte, gab sie wortkarg zurück: »Ja, wie du siehst«, und wollte weitergehen.
Er hielt sie jedoch am Arm fest. »Bleib doch einen Moment. Ich lade dich und deine Freundin zu einem Weinchen ein.« Er grinste Lena schief an.
»Nein, danke, Ingo«, lehnte sie sofort ab, entfernte seine Hand von Mias Arm und schob sie vor sich her über den Marktplatz.
»Schon nüchtern ist der einfach nur ätzend, angetrunken fast nicht zu ertragen. Lass uns ein Eis essen.« Lena steuerte auf die Eisdiele zu.
An einem Tisch, momentan ins Sonnenlicht getaucht, ließen sie sich auf die Stühle fallen und stellten ihre Taschen mit den neu erworbenen Anziehsachen neben sich.
»Mein Gott«, stöhnte Mia. »Erst der Stress mit Jan und dann auch noch der.«
Lena war der gleichen Meinung, brachte es aber nicht zum Ausdruck. Sie wusste nur eins: Bis zum Nachmittag musste sie Mia wieder einigermaßen auf Kurs bringen, denn um sieben Uhr war sie mit Alex verabredet, der von einer zweiwöchigen Dienstreise zurückkam.
Während Mia mit ihrem Maracuja-Eisbecher beschäftigt war, löffelte Lena die Extraportion Sahne, die sie sich separat zu ihrem Cappuccino bestellt hatte und ein sicheres Zeichen für ihre Angespanntheit war. Dabei beobachtete sie aus den Augenwinkeln heraus diesen Ingo, der – wenn sie sich nicht täuschte – vereinzelte Blicke zu ihnen herüberwarf. Sein Gesichtsausdruck gefiel ihr ganz und gar nicht. Da war etwas in seiner Mimik, was sie abstieß und sie erschaudern ließ.
»Wollten wir nicht noch zur Parfümerie?«, riss Mia sie aus ihrem Denken.
»Ja, sicher. Bin gleich so weit«, antwortete Lena, trank hastig den Rest ihres Cappuccinos, winkte der Bedienung und streckte ihr einen 20-Euro-Schein zu.
»So eilig muss es jetzt auch nicht sein. Ich wollte dich keinesfalls drängen«, äußerte Mia mit schlechtem Gewissen, als sie sah, dass ihre Freundin die heiß geliebte Sahne nur halb aufgegessen hatte.
»Schon in Ordnung. Ich hatte nur das Gefühl, dass dein Kollege uns ständig beobachtete. Der Kerl ist mir unheimlich.«
»Wem sagst du das?«, erwiderte Mia, sich an seine unangenehmen Bemerkungen am Arbeitsplatz erinnernd.
Natürlich hätte sie ihrem Chef Bescheid sagen können, aber dann hätte das vielleicht die Runde gemacht – irgendwie sickerte immer etwas durch – und ihre Arbeitskollegen hätten davon erfahren. Das wollte Mia auf jeden Fall vermeiden. Auch war es, seit sie Ingo vor einigen Wochen zurechtgewiesen hatte, das erste Mal, dass er sie wieder ansprach.
Vergiss den Dödel, sagte sie sich, nahm ihre Einkaufstasche und stand auf.
Auf ihrem Weg zur Parfümerie sahen die beiden die Schaufenster an und betrachteten die Warenständer vor den Geschäften.
»Hallo ihr zwei Hübschen. Hab ich euch beim Einkaufsbummel erwischt?«
Erschrocken drehten sich die Frauen um und starrten in das breit lächelnde Gesicht von Alexander Moers.
»Gelungen, würde ich sagen«, deutete er die Überraschung der beiden.
»Wie ... eh ... wieso bist du schon hier?«, stammelte Lena, nachdem sie von ihm umarmt und geküsst worden war. »Ich dachte, du kämst erst heute Nachmittag?«
»War auch so geplant. Aber alles lief wie am Schnürchen und deshalb kam ich gestern Abend schon zurück.«
»Und warum bist du dann nicht auf meiner Party erschienen?«, folgte Mias vorwurfsvolle Frage, während Alex ihr Küsschen auf die Wangen hauchte.
»Nachträglich herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, schob er hinterher. »Glaub mir, ihr hättet keine Freude an mir gehabt. Ich war doch ganz schön geschafft und wollte nur noch ins Bett.«
»Aber anrufen hättest du wenigstens können«, wandte Lena anklagend ein.
»Ja, sorry. Habe nicht daran gedacht«, entschuldigte sich Alex und fasste sie um die Taille. »Kann ich es wiedergutmachen, indem ich euch zum Essen einlade?«
»Nein danke«, entgegnete sie ähnlich kühl, wie sie zuvor Ingo zurückgewiesen hatte. »Mia hatte gerade einen großen Eisbecher und ich einen doppelten Cappuccino mit viel Sahne.«
Alex machte ein betrübtes Gesicht. »Darf ich euch dann wenigstens begleiten und beratend zur Seite stehen?«
»Begleiten ja – beraten nein«, antwortete Lena schon wieder sanfter.
»Wir wollten gerade zur Parfümerie«, teilte Mia mit und hakte sich ganz selbstverständlich bei ihm unter.
»Die zwei hübschesten Frauen von Seligenstadt. Wer kann da schon widerstehen?« Alex zeigte erneut seine makellosen weißen Zähne und hielt seiner Freundin seinen linken Arm zum Einhaken hin.
»Kämst du aus Amerika oder China zurück, würde ich sagen – das ist der Jetlag. Aber so, tippe ich mal auf Schlafmangel«, alberte Lena.
In fröhlicher Stimmung stolzierten die drei in den Tempel der Düfte – wie Alex ihn nannte. Schnurstracks bewegte er sich zum Regal, in dem die Pflegeartikel für Männer standen. Nach einigen Minuten hatte er ein Aftershave als auch ein im Duft gleiches Duschgel ausgewählt. Mit beidem in der Hand ging er zu Lena und Mia, die sich von einer Verkäuferin beraten ließen.
»Oh, ein neuer Duft?«, stellte er fest und schnupperte ungeniert an Mias Handgelenk.
»Woher willst du das wissen?«, fragte Lena misstrauisch zurück.
»Nun ... Mias Parfümflakons stehen auf dem Garderobenschrank und im Bad und das hier riecht anders ... nach Zitrusfrüchten und Holz.«
»Der Herr hat eine feine Nase«, stellte die Mitarbeiterin der Parfümerie fest. »Und ja, es ist eine Neuinterpretation, ein limitierter Duft. Schon das minimalistische Design des Flakons erinnert an einen Tropfen«, schwärmte sie.
»Was meinst du?«, wandte Mia sich Lena zu, die ihrerseits Alex grimmig ansah.
Dass er sich gelegentlich nach anderen Frauen umsah oder auch mal ein Kompliment machte – sie eingeschlossen – war ihr bekannt. Doch hielt Mia es einfach nur für seine legere Art und hatte sich nie etwas dabei gedacht. Der Blick ihrer Freundin sagte ihr aber, dass wohl mehr dahintersteckte. Und im Hinblick auf das, was sich in den letzten Monaten in ihrem Leben abgespielt hatte ...
»Nimm es. Es passt perfekt zu dir. Außerdem ist es limitiert«, wurde Mia von Lena in ihren Überlegungen unterbrochen.
»Ja, mir gefällt es auch. Deshalb nehme ich gleich zwei«, stimmte sie zu, wohl wissend, was ihre Freundin mit dem Hinweis limitiert sagen wollte.
Sie selbst hatte sich mittlerweile auch einen neuen Duft ausgesucht. »Den darfst du mir gerne schenken«, sagte sie an Alex gewandt.
»Eine gute Entscheidung«, flötete die Angestellte der Parfümerie und eilte zur Kasse.
Ob sie damit meinte, dass Lena ihren Freund dazu genötigt hatte, ihr ein Parfüm zu kaufen oder Mias Zusage, gleich zwei Flakons zu nehmen, blieb offen.
Mittlerweile war es kurz vor halb drei.
»Also ich muss jetzt was essen, und wenn es nur eine Wurst ist«, äußerte Alex und strich mit der Hand über seinen nicht vorhandenen Bauch. »Wenn ihr aber lieber nach Hause wollt ...«
»Ich könnte auch eine Kleinigkeit vertragen«, antwortete Lena.
Es schien Mia, als wäre sie eifersüchtig und wollte Alex keine Minute aus den Augen lassen.
»Nur werden wir um diese Uhrzeit außer einer übrig gebliebenen vertrockneten Wurst oder Döner nichts Warmes bekommen«, gab sie zu bedenken. »Deshalb lass uns zu mir gehen. Es ist noch gegrillter Schinken von gestern Abend da und Eier sind auch im Kühlschrank.«
»Gute Idee«, stimmte Alex sofort zu.
In Mias Wohnung angekommen wunderte er sich über den offenbar neuen Türschlüssel, den sie auf dem Garderobenschrank ablegte. »Hast du das Schloss austauschen lassen?«, fragte er sie deshalb spontan.
»Ja«, war ihre knappe Antwort.
Nach etwa einer Stunde und nachdem ein Großteil der übrig gebliebenen Reste vom Vorabend verspeist war, brachen Alex und Lena auf.
»Du rufst an, falls ... Egal, um welche Zeit«, raunte sie bei der Umarmung in Mias Ohr. Und fügte hinzu: »Wir sind zehn Minuten später hier.«
Mia nickte, schloss hinter den beiden ab und räumte das gebrauchte Geschirr in die Spülmaschine. Anschließend setzte sie sich mit einem Glas Weißwein vor den Fernseher.
Das Samstagabendprogramm in den Öffentlichen löste keine frenetische Begeisterung in ihr aus und konnte auch das – jetzt, wo sie wieder alleine war – wiederkehrende mulmige Gefühl nicht verdrängen. Also zappte sie, um sich abzulenken, durch die Pay-TV-Sender und blieb an einer Action-Serie hängen, die sie vor einiger Zeit begonnen hatte anzuschauen. Irgendwann musste sie eingeschlafen sein, bis sie ein fortwährendes Klingeln aufschreckte. Es kam von ihrem Handy. Noch dösig schaute sie aufs Display. Unbekannte Nummer. Sofort stieg ihr Adrenalinspiegel an. Sie sah auf die Uhrzeit: zweiundzwanzig Uhr, fünfundfünfzig. Das könnte nur wieder Jan sein!
Im ersten Moment wollte Mia rangehen und ihn so richtig zusammenstauchen. Aber das hatte sie schon x-mal getan und genutzt hatte es nichts. Ebenso wenig wie die Anzeige und die einstweilige Verfügung, die ihm untersagte, sich ihr bis auf 100 Meter zu nähern.
Inzwischen hatte das Klingeln aufgehört. Sie schaltete das Handy auf Flugmodus und legte es zur Seite.
Im Fernsehen lief immer noch die erste Staffel der Serie, aber nun begann schon der vierte Teil, wie Mia anhand des Vorspanns feststellte. Sie goss den Rest des Weins in ihr Glas, ging damit zur Terrassentür und schaute angestrengt in die Dunkelheit. Erneut fiel Regen und nur sporadisch erhellten Scheinwerfer der vorbeifahrenden Autos die Straße.
Und plötzlich sah sie ihn, nur für den Bruchteil einer Sekunde. Er stand auf der anderen Straßenseite und sah zu ihr rauf. Zumindest hatte sie den Eindruck, dass er sie direkt ansah.
Erschrocken wich sie vom Fenster zurück. Ein Teil des Weins schwappte über das Glas und landete sowohl auf ihrem Shirt als auch auf dem dunklen Holzboden. Voller Panik drückte sie auf den Schalter des elektronischen Rollladens, der sich wie in Zeitlupe nach unten bewegte. Erst als die Jalousie komplett geschlossen war, traute sie sich, wieder durchzuatmen.
Sie stellte das Glas auf den Tisch, rannte zu den anderen Fenstern und wiederholte das Ganze, bis ihre Wohnung einer Festung glich und sie erschöpft an der Wand entlang auf den Boden sank.
Wie sollte sie das nur aushalten? Wie konnte sie weiterleben ... immer in der Annahme, dass er irgendwo lauerte?
Mit zitternden Knien erhob sie sich, schlich zur Couch und nahm ihr Handy. Sie schaltete den Flugmodus aus und scrollte nach Lenas Telefonnummer. Doch bevor sie den grünen Button betätigte, zögerte sie. Zwar hatte ihre Freundin gesagt, sie sollte unbedingt anrufen, wenn irgendetwas Verdächtiges passierte ... egal zu welcher Zeit ... Aber konnte sie Lena wirklich bitten, jetzt zu ihr zu kommen? Und für wie lange würde sie das mit ihr noch durchstehen? Irgendwann wäre es sogar ihr zu viel. Noch dazu hatte sie sich auf den Abend mit Alex gefreut ...
»Du bist kein Kleinkind, sondern eine erwachsene Frau«, sagte Mia laut vor sich hin und holte ihr Selbstvertrauen, das sich in den letzten Wochen irgendwo in einer Ecke ihres Ichs verkrochen hatte, wieder hervor.
Und du bist nicht hilflos. Wozu trainierst du Kampfsport, brachte sie sich in Erinnerung.
Die Kampfsportschule besuchte sie seit fast zwei Jahren – anfangs einfach aus Neugier und Spaß. Dann wurde eine regelrechte Sucht daraus, weitere, verschiedene Kampfsportarten zu erlernen. Auch das war Jan ein Dorn im Auge gewesen. Und immer öfter hatte er genau zu Zeiten ihrer Übungsstunden etwas geplant, sodass sie das Training häufiger ausfallen ließ.
Ob sie mit ihren erworbenen Kenntnissen eine Chance bei einer körperlichen Auseinandersetzung hätte, wusste sie nicht. Auch hatte sie sich aufgrund der von Jan verursachten Attacken kaum mehr alleine aus dem Haus getraut und das Training noch mehr schleifen lassen. Aber das sollte sich ändern!
***
Wenn er noch länger auf dem Parkplatz des Supermarktes stehen bliebe, wäre er bald bis auf die Knochen durchnässt. Andererseits war es ihm egal, Hauptsache er hatte Mia im Auge. Irgendwann – da war er sich ganz sicher – würde sie es zu schätzen wissen, dass er auf sie aufpasste. Dennoch fragte er sich jetzt, wann sie endlich ins Bett gehen würde. Vielleicht war sie aber auch vor dem Fernseher, dessen flimmerndes bläuliches Licht er durch die Fensterscheiben sah, eingeschlafen.
Er holte sein Handy aus der Hosentasche, rief bei ihr mit unterdrückter Nummer an und ließ es lange klingeln. Folgerichtig nahm sie den Anruf nicht entgegen. Dafür trat sie eine Minute später, mit einem Weinglas in der Hand, an die Terrassentür. Er konnte es durch sein Fernglas genau sehen.
Nach seinem Ermessen trank sie für eine Frau schon immer zu viel Alkohol. Das musste er ihr klarmachen. Es war nicht gut für sie, und schon gar nicht für ihre künftigen Kinder.
Seine Visionen wurden durch zwei aus verschiedenen Richtungen heranfahrende Autos unterbrochen, in deren Lichtkegel er geriet.
Ob sie ihn gesehen hatte?
In dem Moment schloss Mia die Jalousien.
Die Aufregung der letzten Tage, hatte Mia veranlasst, eine Schlaftablette zu nehmen, sodass und fest geschlafen hatte, allerdings nicht in ihrem Bett. Sie war auf der Couch eingeschlafen. Als sie kurz nach halb zehn zu sich kam, stellte sie fest, dass ihr iPhone auf dem Wohnzimmertisch vor sich hin tanzte, aber, gerade als sie rangehen wollte, in seinen Bewegungen aufhörte.
Das Display zeigte eine Sprachnachricht von Lena.
Mia. Bei dir alles okay? Wahrscheinlich schläfst du noch, drang die Stimme ihrer Freundin an ihr Ohr, gefolgt von einem heiteren Lachen. Ruf mich an, wenn du aufgewacht bist, damit ich weiß, dass bei dir alles in Ordnung ist. Also bis dann.
Mia überlegte, Lena sofort zurückzurufen, entschied sich aber zuerst für eine Dusche und danach für einen Kaffee.
Frisch geduscht und voller Elan stellte sie ihre Tasse erneut unter die Ausgussröhrchen des Kaffeeautomaten, drückte jetzt jedoch auf das Symbol für Cappuccino. Während die Maschine ihren Befehl ausführte, wollte sie Lena anrufen, wurde aber auf eine zwischenzeitlich eingegangene Nachricht – wieder mit unterdrückter Nummer – aufmerksam.
Guten Morgen, meine Schöne. Hast du gut geschlafen?
Aber anstatt wie sonst in Panik zu verfallen, stieg unbändige Wut in Mia auf. Keinesfalls würde sie sich von Jan ihr Leben zerstören lassen. Sie würde ihn fertig machen und sie wusste auch wie. Gleiches mit gleichem vergelten. Auge um Auge. Aber dazu musste sie zuerst im Internet einige Dinge recherchieren.
Mit ihrem Cappuccino in der Hand ging sie in ihr Büro, in dem sie in den letzten Wochen mehr Zeit verbracht hatte, als an ihrem eigentlichen Arbeitsplatz in der Niederlassung eines Versicherungsunternehmens, in dem sie seit fünf Jahren arbeitete.
Sie fuhr ihren Rechner hoch und versuchte, an Informationen zu kommen, wie man einem Stalker gegenübertreten, beziehungsweise wie man ihm schaden konnte. Gleich zu Anfang, als die Übergriffe von Jan begannen, hatte Mia sich damit beschäftigt, sogar auf der Webseite ›Weißer Ring‹ hatte sie sich informiert, doch ziemlich bald wieder aufgegeben. Sie hatte das Gefühl, dass, erst wenn die Attacken derart massiv wurden und man schon seelisch ein Wrack war, die Tathandlungen für den Strafbestand ›Stalking‹ vor Gericht durchsetzbar waren.
Natürlich gab es Gemeinschaften, die Menschen mit ähnlichen Erfahrungen zusammenzubringen – eine Art Selbsthilfetherapiegruppen –, um sich gegenseitig zu unterstützen. Doch waren ihr die Vorschläge zu abgehoben, vorgekommen oder zu aggressiv, sodass sie sich schnell daraus zurückgezogen hatte. Letztlich konnte sie, mit Lenas Hilfe, wenigstens ein Annäherungsverbot auf 100 Meter erlangen.
Jetzt rief sie diese Seiten erneut auf, in der Hoffnung, dass der eine oder andere – möglicherweise neue Ratschlag – doch hilfreich sein könnte. Das war jedoch nicht der Fall.
Auch der Versuch, die Telefonnummer des unbekannten Anrufers herauszubekommen, war unmöglich – zumindest für sie.
Für einen kurzen Zeitraum nahm ohnmächtige Hilflosigkeit wieder Besitz von ihr; dann kam dieser Blitzgedanke: ein Privatdetektiv! Das war die Lösung, eine Detektei und möglichst eine in der näheren Umgebung.
Sie gab den Suchbegriff ein und war überrascht, dass in Seligenstadt solch eine zu finden war. Allerdings überzeugte die Webseite der SE-PRI-SOKO – so der Name der Gruppe – Mia nicht wirklich.
Das Ermittlerteam, bestehend aus drei Frauen und drei Männern, alle anscheinend schon weit über siebzig Jahre alt, sowie einer Hündin namens Miss Lizzy. Wobei Mia sich fragte, was ein Hund dabei zu suchen hatte. Entweder es war ein Fake oder einfach nur eine extrovertierte Gruppe von Leuten, die auf diese verlockende Art und Weise mit Personen ihres Alters in Kontakt treten wollten, um fiktive Verbrechen aufzuklären.
Sie scrollte weiter. Die nächstgelegenen Privatdetekteien, die sich durchweg Investigation Service nannten, hatten ihren Firmensitz oder eine Niederlassung in Hanau und im bayerischen Alzenau. Deren Internetseiten waren professioneller aufgebaut, aber das sagte nichts über die Arbeitsweise und schon gar nicht über den Erfolg aus. Und wie lange so eine Ermittlung dauerte, bis gerichtsrelevante Beweise vorlagen, konnte natürlich niemand vorhersagen. Dementsprechend könnten sich die Kosten in die Höhe schrauben.
Ob sie nicht doch zuerst mal ...?
Ihr Handy klingelte und sie zuckte zusammen. Es war Lena.
Verdammt! Sie hatte ganz vergessen, sie zurückzurufen.
»Süße, alles in Ordnung?«, fragte ihre Freundin sie auch gleich besorgt.
»Ja, soweit alles klar«, erwiderte Mia, erzählte ihr aber von der Überlegung, eine Privatdetektei einzuschalten.
»Wieso? Hat der Typ dich etwa schon wieder belästigt?«
»Ich glaube, er stand gestern bis spätabends gegenüber auf dem Parkplatz des Supermarktes und hat zu meiner Wohnung heraufgestarrt. Und heute Morgen schickte er mir eine Nachricht, ob ich gut geschlafen hätte. Aber jetzt ist Schluss! Ich werde mich wehren.«
Sonntag / 11:20 Uhr
Lena hatte vorgeschlagen, zusammen mit Alex zu ihr zu kommen, doch Mia lehnte ab. »Macht euch noch ein paar schöne Stunden. Wir können morgen telefonieren oder uns abends sehen.«
Bei dreiundzwanzig Grad und Sonne, wenn sie nicht gerade hinter dicken Wolken verschwand, entschied Mia, ein wenig zu joggen, um den Kopf freizubekommen. Der Fuß – und Fahrradweg auf der linken Seite der Frankfurter Straße in Richtung Froschhausen erschien ihr geeignet. So zuversichtlich sie auch in der vergangenen Stunde gewesen war ... so ganz alleine auf Feldwegen zu laufen, traute sie sich aber nicht.
Wie erhofft, begegneten ihr Leute, die mit ihren Hunden Gassi gingen und ihr einen schönen Tag wünschten oder Joggern, die ihr im Vorbeilaufen zunickten.
Sie wurde immer mutiger, bog vor dem ersten Kreisverkehr nach links ab und dehnte die Strecke zur Dudenhöfer Straße hin aus. Dadurch kam sie linksseitig zwar an Feldern vorbei, war jedoch auf der rechten Seite von Autofahrern der viel befahrenen Umgehungsstraße gut zu sehen.
Doch plötzlich hatte das Wetter es sich anders überlegt. Es fing zu regnen an. Auch hatte sie schon einige Zeit keinen Gassigänger mehr getroffen, weshalb sie jetzt mit gesenktem Kopf den asphaltierten Weg entlang rannte und nicht eher stoppte, bis sie ziemlich außer Atem an den ersten Häusern der Dudenhöfer Straße ankam. Und als wollte der Wettergott sie verhöhnen, hörte der Regen schlagartig auf und die Sonne zeigte sich wieder.
Wollt ihr mich alle verarschen, schrie Mia in Gedanken und setzte ihren Weg im normalen Lauftempo fort.
Eine Viertelstunde später kam sie zu Hause an und schälte sich aus den nassen Klamotten. Eins hatte die Joggingrunde als auch der kurze Regenguss dennoch bewirkt: Sie hatte sich entschieden, mit den Leuten dieser SE-PRI-SOKO zu reden – jetzt sofort.
Sonntag / 13:40 Uhr
Wegen des Regenschauers hatten Helene, Herbert, Bettina und Ferdinand sowie Miss Lizzy auf der ›Lügenbank‹ Unterschlupf gesucht. Als der Himmel langsam wieder aufklarte, wollten sie ihren Spaziergang am Mainufer fortsetzen, da kündigte die Titelmelodie der bekannten Fernsehserie ›Magnum‹ einen Anruf auf Herberts Handy an.
Diesen Klingelton hatte er speziell für ihre private Ermittlungsarbeit eingerichtet, weshalb er sich jetzt mit: »SE-PRI-SOKO, Herbert Walter. Was können wir für Sie tun?«, meldete.
Eine Zeit lang hörte er nur zu, brummte gelegentlich ein: »Hm« und nickte.
Entsprechend unruhig traten Helene und Bettina von einem Fuß auf den anderen. Währenddessen Ferdinand, nicht so neugierig wie die beiden, seine Spaniel-Hündin Miss Lizzy zu den jetzt nassen Wiesen am Mainufer führte, damit sie ihr Geschäft verrichten konnte. Dazu hatte die empfindsame Hundedame aber nicht so recht Lust und setzte sich direkt auf die Grenze zwischen Asphalt und dem ersten feuchten Grashalm.
»Du bist ziemlich anspruchsvoll. Meinst du nicht auch?«, murmelte Ferdinand.
Lizzy legte den Kopf schräg und schaute ihn aus ihren dunklen Augen und mit geöffneter Schnauze an. Es sah aus, als ob sie lächelte.
Zurück bei den anderen erfuhr er, was es mit dem Telefonanruf auf sich hatte.
»Wir sollen einen Stalker observieren?«, erkundigte er sich, weil er dachte, sich verhört zu haben.
»So isses«, bestätigte Herbert. »So was hatte wir noch net. Des wird e neue Herausforderung.«
Ferdinand spürte, dass Bettina am liebsten sofort losgelegt hätte.
»Wir befinden uns auf Neuland und sollten in Ruhe überlegen wie wir vorgehen«, bremste er sie. »Mit wem haben wir es hier eigentlich zu tun? Und wer soll dieser Stalker sein?«
Um sicherzustellen, dass auch niemand innerhalb von zehn Metern in Hörweite war, drehte Herbert sich um, bevor er antwortete: »Unsere Klientin – falls wir den Auftrag annehmen – heißt Mia Hoffmann. Der Stalker soll ihr Ex-Freund sein. Sein Name ist Jan Holbe, 30 Jahre alt, hat hellbraune kurze Haare und ist circa 1,82 groß. Ein aktuelles Foto bekomme wir zugeschickt. Gege ihn wurde bereits eine richterliche Verfügung erlassen, sich unserer Klientin auf nicht mehr als 100 Meter nähern zu dürfen. Daran scheint er sich aber net zu halten. Er bedrängt sie nach wie vor, beobachtet ihre Wohnung, ruft sie an und schickt ihr SMSen. Erst gestern Abend soll er gegenüber ihrer Wohnung in der Frankfurter Straß' auf dem Parkplatz vom Supermarkt gestande habe«, fasste Herbert die Infos zusammen, die er erhalten hatte.
Helene zog sofort eine Schnute. Ausgerechnet heute, an ihrem neunundsiebzigsten Geburtstag. Den wollte sie mit Kaffee und Kuchen zu Hause feiern. Dazu hatte sie sogar Gundel und Schorsch, ebenfalls Mitglieder der privaten Ermittlergruppe, eingeladen.
Ihr Verdacht, dass Herbert eine Observation einem Kaffeekränzchen mit Gundel vorziehen würde, war nicht unrealistisch. Nach wie vor waren sich die beiden durchaus nicht immer wohl gesonnen.
Deshalb sagte Helene: »Wenn die junge Frau doch weiß, dass ihr Ex sie weiter belästigt, wieso geht sie nicht erneut zur Polizei?«
»Des is es ja. Sie kann net einwandfrei beweise, dass er hinter den Nachrichte steckt«, entgegnete Herbert. »Die Nummer ist immer unterdrückt. Nur, dass er gestern Nacht da auf dem Parkplatz gestande hat ... Da is sie sich hundertpro sicher.«
»Also ist es nur eine Vermutung?«, hakte Ferdinand nach.
»Deshalb solle wir den Mann ja beobachte. Wenn er es net is, dann muss es jemand anders sein«, erwiderte Herbert. »Fakt ist –, dass die Frau belästigt wird.«
»Aber erst nach meinem Geburtstagskaffee«, beharrte Helene, zu dem Nicole und Andy diesmal nicht kamen, sondern sie und Herbert für Samstag zu einem Abendessen eingeladen hatten.
Sonntag / 14:10 Uhr
Die neunzehnjährige Polizeianwärterin Marie Schwan nahm den Anruf entgegen.
Eine tote Person auf dem Gelände eines Supermarktes in der Frankfurter Straße lautete die Information.
Später musste sie sich den Vorwurf ihres neuen Vorgesetzten Polizeihauptkommissar Andreas Eberbach – seit Mitte des Jahres neuer Dienststellenleiter der Polizeidienststelle Seligenstadt – gefallen lassen, dass sie weder Namen noch Telefonnummer des Melders der Leiche hatte.
Daran traf Marie Schwan, aber keine Schuld. Die Nummer des Anrufers, der den Toten auf dem Gelände eines Lebensmittelmarktes gemeldet hatte, war unterdrückt. Und bevor die junge noch unerfahrene Polizistin nach dessen Namen fragen konnte, legte er auf und Marie informierte ihre Kollegen.
Kurz nachdem Polizeioberkommissar Hans Lehmann und Polizeioberkommissarin Saskia Ehrlich vor Ort waren, beauftragten sie Marie, den Kriminaldauerdienst und die Spurensicherung zu schicken. Es könnte sich, aufgrund der Einblutungen in den Augen des Toten um einen nicht natürlichen Tod handeln, begründete sie ihre Anweisung.
Polizeihauptkommissar Andreas Eberbach, der neue Chef der Polizeidienststelle, betrat die Zentrale, als Marie mit den zuständigen Kollegen telefonierte. Mit seinen ein Meter achtundsiebzig, dem Bauch und der stämmigen Statur, ähnelte er seinem Vorgänger, der Mitte des Jahres in Pension gegangen war.
Aber anstatt Josef Maiers vollen grau melierten lockigen Haaren, wurde Eberbachs Halbglatze von einem flaumigen rötlich blonden Haarkranz umrahmt. Und der Blick aus seinen graublauen Augen wirkte gelegentlich autoritär. Zudem war er mehr als zehn Jahre jünger.
»Wieso rufen Sie die Kollegen der SpuSi, ohne mich vorher zu informieren?«
Unsicher setzte die Polizeianwärterin ihren Chef zur augenblicklichen Lage ins Bild.
»Der Tod wurde durch den Notarzt vor Ort als vermutlich unnatürlich festgestellt, wegen der dunklen Einfärbungen am Hals. Deshalb habe ich auf Anweisung von Frau Ehrlich die SpuSi und die Kollegen des KDD angefordert.«
Dass ihre Kollegin ebenfalls von Tod durch Erdrosseln ausging, verschwieg Marie ihrem Vorgesetzten. Hinsichtlich der Kooperation mit der Kriminalpolizei in den letzten Jahren, waren sich alle hier in der Dienststelle bis jetzt nicht im Klaren, ob das zukünftig so weiterging. Deshalb hieß es erst einmal den Ball flach halten.
»Ist bekannt, wer der Tote ist?«
»Den Papieren in seiner Brieftasche nach handelt es sich um Jan Holbe 30 Jahre alt. In seiner Geldbörse befanden sich 150 Euro und etwas Münzgeld. Einen Wohnungsschlüssel hatte er in seiner Hosentasche sowie ein Handy.«
»Aha. Demnach kein Raub«, resümierte der Dienststellenleiter mehr im Selbstgespräch und strich mit der linken Hand über sein Kinn. »Was meinen Sie«, wandte er sich Marie zu, »ob Frau Wegener die Ermittlungen übernimmt?«
»Ich ... eh ... Ich gehe davon aus«, stotterte sie. »Wie ich von den Kollegen erfahren habe, ist sie gerne selbst vor Ort, wenn in Seligenstadt ein Schwerverbrechen passiert. Das habe ich selbst letztes Jahr erlebt«, fügte sie hinzu.
Andreas Eberbach nickte. »Halten Sie mich auf dem Laufenden«, trug er seiner Mitarbeiterin auf und verließ den Raum.
In seinem Büro angekommen – hier roch es noch immer nach frischer Farbe – gab er den Namen Jan Holbe in den Computer ein und sofort erschien die Strafanzeige auf dem Bildschirm.
»Hab ich's doch gewusst«, murmelte er vor sich hin und druckte die Anzeige als auch das durch ein Gericht festgelegte Annäherungsverbot zu Mia Hoffmann aus.
Dabei fiel ihm ins Auge, dass die Wohnung der jungen Frau, die am Freitag vierundzwanzig Jahre alt geworden war, genau gegenüber dem Lebensmittelmarkt lag und sich die logische Frage ergab: Hatte sie etwas mit dem Tod ihres Stalkers zu tun?
Er rief Hans Lehmann an. »Wie ich höre, haben wir es vielleicht mit einem Mord zu tun. Wurden die Nachbarn schon befragt?«
»Wir sind vor einigen Minuten erst hier eingetroffen und sichern gerade den Auffindeort«, erwiderte der Polizeioberkommissar. »Die Spurensicherung und die Kollegen vom KDD wurden bereits ...«
»Ist mir bekannt«, unterbrach ihn sein Chef. »Gegen den Toten liegt ein Annäherungsverfahren vor, und zwar von einer Mia Hoffmann. Sie wohnt direkt gegenüber dem Supermarkt. Könnte eine Verdächtige sein. Es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn diese Frau sofort befragt würde.«
Woher weiß er das und so schnell, schoss Hans die Frage durch den Kopf.
Es war zwar der erste – vermutlich durch Fremdeinwirkung – verursachte Todesfall, mit dem Neuen. Doch war der normale Ablauf klar: Absperren, abwarten, bis die SpuSi aufgekreuzt und zwischendurch die Personalien der immer neugierigen Anwesenden aufnehmen. Aber zu Zeiten von Josef Maier hatten sie anschließend – und das war im Sinne von Nicole – die Nachbarn befragt. Ob das in Zukunft so sein würde ...? Hans hatte keine Ahnung. Ganz davon zu schweigen, ob die Zusammenarbeit weiterhin so gewollt war. Das hing ausschließlich von der Chemie zwischen Nicole und dem neuen Dienststellenleiter ab.
Dessen Nachfrage oder besser gesagt, Order, sich ohne Zustimmung der Kriminalpolizei einzumischen, kam dem Polizeioberkommissar deshalb etwas übereilt – und übergriffig vor, weshalb er dezent nachfragte: »Sollten wir nicht zuerst abwarten, bis die Kollegen von KDD hier sind?«
»Ich werde euch helfen. Bin gleich da«, kam die Antwort von Andreas Eberbach zurück.
Sonntag / 14:20 Uhr