Brandwunden - Klaus Rose - E-Book

Brandwunden E-Book

Klaus Rose

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Beschreibung

Zwei Monate nach den Bränden auf La Gomera findet Richard die Leiche des Drogendealers Walter. Der hat ein Loch in der Stirn. War das Abfackeln seines Drogendepot der Auslöser für das Brandspektakel? Klaus Kleber setzt auf ein sauberes La Gomera. Sein Motto lautet: Die Freaks müssen weg. Seither herrscht Krieg auf der Insel. Zwei Tage später findet Richard den Zottelkopf Erwin in Tagaluche, ebenfalls mit einem Loch in der Stirn. Richard spielt Detektiv. Aber nicht er, sondern der Freund Georg wird angeschossen und in eine Nobelanlage verschleppt. Ein Befreiungsversuch misslingt. Tags drauf liegt Georg tot im Wohnwagen eines Galleristen. Er ist an einem Knebel erstickt. Wer steckt hinter diesen Schweinereien? Die Drogenmafia? Klaus Kleber, der Immobilienmakler Alonso oder der Gallerist? Zu den Verdächtigen hat sich Pedro gesellt. Der hat sein Geld durch eine Baupleite in den Sand gesetzt. Wer von denen ist der Drogenbaron? Richard will Georgs Tod rächen. Hilft ihm der verdeckt ermittelnde Fernando? Oder steckt der selbst im Drogensumpf und hält die Hände auf? Die Lage spitzt sich zu, denn bei einer Hetzjagd durch die Anlage geraten Richard und seine Freunde in Lebensgefahr.

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Klaus Rose

Brandwunden

La Gomera Krimi

ISBN

Paperback

978-3-7439-2330-0

Hardcover

978-3-7439-2331-7

e-Book

978-3-7439-2332-4

© 2017 Klaus Rose

Umschlag, Illustration: Klaus Rose

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt für eine elektronische Vervielfältigung, für die Übersetzung, für die Verbreitung und die öffentliche Zugänglichmachung.

KLAUS ROSE

BRANDWUNDEN

LA GOMERA KRIMI

Personen, Umgebung und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind Zufall, so auch namentliche Übereinstimmungen mit vorhandenen Einrichtungen

Das Buch:

Nach den Bränden auf La Gomera findet Richard bei Alajero die verkohlte Leiche des Drogendealers Walter. Die hat ein Einschussloch in der Stirn. War’s eine Hinrichtung? War das Abfackeln seines Drogendepots der Auslöser für das Brandspektakel?

Bei einer weiteren Wanderung stößt Richard auf den Zottelkopf Erwin, fünfhundert Meter unterhalb des Mirador dos Santo, ebenfalls mit einem Loch in der Stirn.

Durch seine Aufklärungsgier begibt sich Richard in Gefahr. Aber nicht er, sondern sein Freund Georg wird angeschossen und in eine mondäne Anlage verschleppt. Ein Befreiungsversuch misslingt. Tags drauf liegt Georg tot im Wohnwagen eines Galeristen. Der Gute ist an seinem Knebel erstickt.

Wer hat die Schweinereien veranlasst? Klaus Kleber, gar ein Immobilienhai oder der Galerist? Dazu hat sich Pedro gesellt. Der hat viel Geld durch eine Baupleite in den Sand gesetzt.

Richard will Georgs Tod rächen. Hilft ihm der verdeckt ermittelnde Fernando? Oder steckt der selbst im Drogensumpf und hält die Hand auf?

Zwangsläufig beginnt eine Hetzjagd, bei der Richard und seine Freunde in Lebensgefahr geraten.

Der Autor:

Klaus Rose, Jahrgang 1946, kam 1955 als Flüchtling nach Aachen. Nach dem Studium lebte er in München. Später heiratete er, wurde Vater und engagierte sich in der Kommunalpolitik. Dann eine neue Partnerschaft und der Ausstieg aus der Politik. Seine zweite Heimat wurde La Gomera.

Wenn wir bedenken, dass wir alle verrückt sind, dann ist das Leben erklärt.

Mark Twain

Aus Liebe zu La Gomera

1

Hocherfreut über den wolkenlosen Himmel über Teneriffa ruckele ich am Arm meiner schlafenden Partnerin.

„Wach auf, Anna. Wir landen“, flüstere ich ihr ins Ohr, schon setzt die Boeing auf der Landebahn auf.

Mit der gebotenen Eile holen wir unsere Koffer vom Gepäckband, dann fahren wir mit dem Linienbus nach Los Cristianos, wo ich beim Fußmarsch zum Hafen unverschämt anmachende Blicke registriere, ausnahmslos von Männern. Witzig finde ich die nicht.

Ich verspüre so was wie Wut im Bauch und quäle mich an den dreist Glotzenden vorbei, dabei strapaziere ich mein Wahrnehmungsvermögen mit allerlei Fragen.

Was wollen diese blöden Gaffer von uns?

Das ist eine der Fragen. Und die anderen bewegen sich auf ähnlichem Niveau.

Bin ich zu flippig angezogen? Trage ich zu warme Klamotten? Steht gar mein Hosenstall offen?

Ich lechze nach Aufklärung, deshalb schaue ich an mir runter. Okay, an meinem Outfit liegt es nicht, stelle ich zufrieden fest. Ich scheide als Anschauungsobjekt aus. Meine Kleidung ist urlaubsgerecht und frei von Mängeln.

Es ist wohl eher so, dass mich das hiesige Mannsvolk um meine Begleiterinnen beneidet, mit denen ich durch die hässliche Hotelansammlung eile. Auch auf Tenerif-fa wecken attraktive Weiber die sexuellen Sehnsüchte der Dreibeiner. Das ist eine Tatsache. Warum auch im-mer gönnt mir die Machocouleur keine der hübschen Grazien.

Ich fluche leise: „Sakrament! Fehlt euch irgendwas?“

Doch prompt wird mir klar, wo ich hier bin, und ich nehme mich zurück.

Never mind, denke ich, langsam sehe ich Gespenster. Oder bin ich vom Stress überempfindlich und dadurch gereizt? Eigentlich sind mir die Machos oder Toreros piepegal, solange sie’s beim Gaffen belassen und nicht zum Angrabschen übergehen.

In Los Cristianos reihen sich die Hotelbauten wie Schriftzeichen auf Gebetsteppichen aneinander. Im Rekordtempo hat man unzählige Bettenburgen aus dem Boden gestampft. Die recken sich gen Himmel, wie die Pappeln, die man als Windschutz angepflanzt hat. Dazu wimmelt es von greisen Engländern, die ihre schwabbeligen oder ausgemergelten Körper würdelos zur Schau tragen. Der Rollstuhl und die Betonklötze dominieren das Paradies für Pauschalreisende, was keinesfalls unserem Urlaubsgeschmack entspricht. Los Cristianos ist für uns ein denkbar ungeeigneter Platz.

Jedem das Seine, denke ich.

Dennoch, der Fluchtinstinkt meiner Partnerin Anna, der blondgelockten Karla, des Turteltäubchens Vera und von mir, dem fünfzigjährigen Ingenieur Richard, treibt uns nach La Gomera. Die Berichte der Heimatpresse über die Brände haben uns nicht abgeschreckt.

Stattdessen hat die Vorfreude gesiegt, denn unser Ziel ist es, die Seele baumeln lassen. Den Aufenthalt auf der Insel der Glücksseligkeit nutzen wir dazu, den Horror der Welt auszublenden, zum Beispiel die Dramatik um die Griechen, den ansteigenden Rechtsradikalismus und die erbarmenswürdige Flüchtlingszahl.

Diese Themen und andere Alltagsquerelen müssen raus aus dem Kopf. Der gesamte Mist hat uns an den Rand der Belastbarkeit getrieben.

Da ist es gegenüber den Politikwirren ein Klacks, dass man die Seeroute von San Sebastian zum Hafen in Vueltas im Valle Gran Rey stillgelegt hat. Den Benchijigua-Express gibt es nicht mehr. Für immer? Das weiß hier keiner. Jedenfalls ist die zeitsparende Weiterreise mit dem Expressboot ein Vergangenheitsrelikt und schuldig ist die länderübergreifende Finanzkrise.

Die Anreise mit dem Flieger aus Belgien war preiswert und kurz. Wir sind nachts vier Uhr aufgestanden, dann hat uns meine Ex-Frau mit unserem Citroen Berlingo zum Flughafen in Lüttich gebracht. Den behält sie für die zwei Wochen unserer Abwesenheit, dann holt sie uns wieder ab. Tja, auf der freundschaftlichen Ebene klappt es wunderbar mit uns. Das war in der Ehe leider selten der Fall, trotz gemeinsamer Kinder. Aber das Scheitern ist Schnee von gestern.

Ich liebe den Sonnenschein und das milde Klima auf den vor der afrikanischen Küste gelegenen Kanaren. Uns bleibt eine Stunde bis zur Abfahrt der Fähre nach San Sebastian. Und wir haben Glück, denn wir finden auf der Hafenterrasse einen schattigen Tisch und harren der Dinge, die da kommen.

Hungrig esse ich ein mit Schinken belegtes Brötchen, dazu gönne ich mir einen Kakao mit Sahne. Meine Begleiterinnen schlürfen ihren Cappuccino. Da sie allesamt Lehrerinnen sind, scheint das Gesöff eine Lehrerkrankheit zu sein.

Um uns herum erkennen wir vertraute Gesichter, denen nicken wir zu. Man kennt sich vom Valle Gran Rey. Im Tal des großen König ist das Treiben überschaubar. Doch in diesem Jahr sind’s wenige Mitreisende. In den Ferien der Vorjahre waren mehr Gleichgesinnte an Bord. Es fehlen die treuen Stammgäste, die im Valle eine zweite Heimat sehen.

Halleluja, das ist für die Vermieter der Unterkünfte eine Farce. Durch die Brandkatastrophe geht die Zahl der Touristen im Valle Gran Rey den Bach runter. Das aber ist nicht verwunderlich, denn viele Wanderstrecken führen über verbrannte Erde, durch niedergebrannte Waldregionen und angekokelte Dörfer. Große Flächen des Nationalparks sind zerstört. Das Trauerspiel will sich der Wanderfreak aus Germany nicht antun.

Tja, wie sieht’s jetzt auf der Bananeninsel aus?

Das haben wir uns während der Anreise gefragt. Hoffentlich ist La Gomera nach der Apokalypse wenigstens stellenweise noch üppig grün und damit liebenswert?

Wir sind gespannt auf das Ausmaß der Feuersbrunst. Die hatte bis hinunter ins Valle gewütet. Das Vernichten der Häuser und Vegetation hat unsere Trauminsel nicht verdient.

Aber wie kam es zu dem Szenario? Welche Mächte wollen La Gomera schaden? Womöglich hat ein Trottel mit einer weggeworfenen Zigarette das Inferno verursacht? Oder liegt doch die zu vermutende Brandstiftung in der Luft?

Ermittlungserfolge lassen auf sich warten. Nach Pressemitteilungen gibt es keine Festnahmen. Ist die verheerende Aufklärungsquote auf miserable Polizeiarbeit zurückzuführen? Wir haben keinerlei Einfluss auf die laufenden Ermittlungen. Und dass das mit der Beschaulichkeit auf La Gomera ein Traum bleibt, und wir uns mit Mord und Todschlag herumschlagen werden, das ahnt keiner von uns auch nur ansatzweise.

Seit zwanzig Jahren treibt es mich und meine Lebensgefährtin an die Playa. Alljährlich zu Ostern und zur Zeit der Herbstferien. Zwar haben sich einige Anlagen angesiedelt, zum Beispiel in Borbolan, in La Puntilla und auch einige in Playa, am befestigten Weg zur Playa del Ingles, doch dessen Menge hält sich in Grenzen. Zudem sind es keine geschmacklosen Betonsilos, siehe Teneriffa, die den Charakter der Landschaft verschandeln.

Nein, gottbewahre, die im kanarischen Stil gestalteten Wohnanlagen fügen sich zurückhaltend in die wunderschöne Küstenregion ein.

Anna und ich bevorzugen ein Studio an der Uferpromenade in Playa. Es bietet das beruhigende Meeresrauschen und einen Balkon mit bezaubernder Aussicht aufs Meer und den Strand. Von dem beobachten wir das komplette Wirrwarr um uns herum und fühlen uns mittendrin im Geschehen. Und einen weiteren Vorteil hat das Studio: Von dem kann ich vor dem Frühstück ins Wasser springen und ein paar Meter schwimmen.

Auf das ist die Freude riesengroß, aber noch sind wir auf Teneriffa und es ist viertel vor zwei. Die Nachmittagsfähre biegt ins Hafenbecken ein. Dann wendet sie und legt sie an der Kaimauer an. Das Anlegemanöver ist immer wieder ein beglückendes Schauspiel.

Eine Menge Autos fahren aus dem Bauch des Katamarans, als wir die Seitengangway zum Oberdeck nutzen, zuvor hatten wir das Hin- und Rückfahrtticket käuflich erworben. In dem Riesenpott ist die einstündige Überfahrt bei bewegter See ein Kinderspiel, und das sogar für Seekrankheitsanfällige, aber wehe, das Meer wird rau, doch an den Extremfall will ich nicht denken.

Während der Überfahrt quatsche ich mit Karla und Vera. Meine Partnerin schläft oder sie tut so. Dann legt die Fähre pünktlich im Hafen der Hauptstadt San Sebastian an, wo wir erwartungsfroh von Bord staksen. Endlich betreten wir den von uns heißgeliebten La Gomera Boden.

Wir holen unser Gepäck aus dem Transportwagen und gehen damit zum wartenden Carlos mit seinem Taxi. Den hatte Manuel, Karlas einheimischer Freund, in den Hafen beordert. Er wird uns auf der Fahrt über die Bergkämme ein Bild über die Schäden der Brände im Parque Nacional de Garanjonay liefern. Carlos wäre der beste Führer auf der Insel. Mit derlei Lobhudelei hatte Manuel die Qualitäten des Taxidrivers unserer Karla angepriesen.

Vor zwölf Jahren sahen wir Karla am Schalter in der Abflughalle des Brüsseler Flughafens. Damals flogen wir per IBERIA über Madrid nach Teneriffa. Sie stand da in ihren Wanderstiefeln und ich wusste sofort: Aha, die Schönheit ist eine La Gomera Urlauberin.

Beschnuppert haben wir uns als Fahrgemeinschaft im Taxi von San Sebastian ins Valle. Die mündete in eine wunderbare Freundschaft. Und so kam es, das La Gomera zum gemeinsamen Lebensfixpunkt wurde.

Die Prophezeiung Manuels kommt hin, denn wir sind kaum in der zerfurchten und zerklüfteten Bergwelt La Gomeras unterwegs, schon hält Carlos einen detailgetreuen Vortrag über die Dramaturgie der Brandtage. Auf Spanisch natürlich. Ich habe Mühe, dem Erguss zu folgen. Er stoppt sein Taxi an gruseligen Stellen mit den scheußlichsten Brandwunden und erläutert das Ausmaß. Es dauert hundert Jahre, bis sich der Nationalpark wieder in seiner Urwüchsigkeit präsentiert.

Nun ja, das Zeitfenster ist wahrscheinlich übertrieben, denke ich, dennoch überfällt mich ein Gänsehaut-Feeling. Das Verherrlichen ihres Archipels mit seiner herrlichen Flora und Fauna liegt den Nachfahren der Guanchen im Blut. Carlos vergöttert jede Palme, jeden Bergund Stausee, jedes malerische Bergdorf, und den über eintausendvierhundertachtzig Meter hohen Garanjonay. Wie alle Gomeros ist er vernarrt in jeden Quadratmeter der berauschenden Landschaft, bestehend aus Regenoder Lorbeerwald. Besonders stolz ist er auf die Ausstrahlung des Valle Gran Rey. Tal des großen König bedeutet das auf Deutsch.

Doch brennend interessiert mich begeisterten Krimileser etwas anderes, und das ist die Brandkatastrophe.

Carlos spekuliert vogelwild: „Für mich liegt der Beginn der Brände in der Nähe der Ortschaft Alajero. Ich gehe felsenfest von absichtlicher Brandstiftung aus.“

Oho?

Ich bin kribbelig und spitze die Ohren. Absichtliche Brandstiftung? Hol mich der Henker. Hat da tatsächlich jemand Feuer gelegt? Und wenn ja, warum?

Und Carlos behauptet weiter: „Gut möglich ist auch das Abfackeln zum Vertuschen einer Schweinerei.“

Hm, abwegig klingt das nicht, denke ich. In Südeuropa ist Brandroden eine beliebte Methode zum illegalen Landgewinn. Aber wer macht das hier auf La Gomera und dann in den Bergen? Da sind Grundstücksspekulationen ähnlich normal wie in der Antarktis. Aber es muss einen Grund geben, den Brand mit katastrophalen Folgen zu legen, aber welchen?

Betrifft es die rapide angestiegene Kriminalitätsrate auf La Gomera? Die Insel ist längst nicht mehr so unbefleckt, wie sie es vor etwa zwanzig Jahren mal war.

Das ganze Drumherum stimmt mich nachdenklich. Früher hatten wir auf La Gomera göttliche Zustände. Mit leuchtenden Augen erinnere ich mich an die achtziger Jahre. Die Zeit war phantastisch. Das Zusammenleben war friedlich und von gegenseitiger Achtung getragen. Das Verhältnis der Freaks zu den Wanderern war in Ordnung. Das kann man guten Gewissens behaupten. Die Zustände waren von Harmonie geprägt, denn der Massentourismus war weit entfernt und stand nicht in voller Blüte.

Als wir seinerzeit auf der Insel der Glücksseligkeit aufkreuzten, da gab’s keine Polizeistation der regionalen Polizei, geschweige denn eine Niederlassung der Guardia Civil. Doch mit und mit wurde das Hippietreiben durch die Ottonormalverbraucher an den Rand gedrückt. Natürlich gehörte auch lichtscheues Gesindel zu den Neuankömmlingen. Prompt war der berauschende Traum von der freien Liebe und ähnlichen Errungenschaften restlos ausgeträumt.

Jetzt, da der Handel mit Drogen und deren Gebrauch in die Höhe geschnellt ist, bestimmen Polizeikontrollen die Abläufe. Auf einmal ist der Mix an Drogen den Geschäftemachern ein Dorn im Auge. Wer aber verdient seinen Zaster mit der Drogenkacke?

Wir kennen einen Kleindealer, den Walter aus der Eifel. Der trägt sein langes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Lebt das Schlitzohr von der Dealerei?

Ich verachte den Kerl und mache um ihn einen Bogen. Er ist mir durchweg unsympathisch. Wir haben Walter über Karla kennengelernt, denn in die hatte er sich bis weit über seine abstehenden Ohren verknallt. Dem Mistkerl würde niemand eine Träne nachweinen, wäre er von der Insel verschwunden.

*

Der Taxitrip über die Höhenstraße führt uns vorbei am Alto del Contadero und an La Laguna Grande, dem Einheimischengrillplatz. Die Luft riecht muffig und ranzig, total verbraucht. Der Gestank verbrannter Erde und verkohlter Reste des Bewuchses liegt wie eine Käseglocke über der Insel. Unterirdische Brandherde werden weiterhin von Feuerwehrleuten überwacht. Die bleiben als Vorsichtsmaßnahme in Alarmbereitschaft.

Nach dem Abzweig Vallehermoso fahren wir durch Arure. Der Ort dient als Eingangstor zum Valle Gran Rey. Und nach dem Weg zum Mirador dos Santo biegen wir ins Tal der Palmen ein. Nun geht’s in Serpentinen abwärts, dabei durchfahren wir zwei lange Tunnel.

Und den zweiten Tunnel hinter uns wird uns mulmig. Im einzigartigen Tal der Terrassen und Palmen verblüfft uns die große Anzahl an verbrannten Palmstämmen. Doch es gibt den Silberstreif am Horizont, denn aus den Kronen ragen frische Büschel Palmzweige heraus. Auch das nachwachsende Schilf im Barranco erfreut uns mit leuchtendem Grün.

Carlos erzählt, dass die Evakuierung des oberen Tals wie bei einem Wunder vonstatten ging. Zwar hätten nicht alle Maßnahmen geklappt, doch die Menschen konnten sich rechtzeitig retten. Niemand kam zu Schaden. Nur die in ihre Ställe eingesperrten Tiere, seien es die Ziegen, die Schafe oder das Federvieh, kamen jämmerlich in den Flammen um. Sogar die Esel und die Pferde unterhalb der Ermita waren vom Verbrennungstod bedroht.

Aber ein Hoch auf die Solidarität. Die Geflüchteten fanden problemlos Unterschlupf bei Fluchthelfern, und das waren nicht nur Verwandte. Die Bewohner rückten eng zusammen. Ein Segen für die Brandbekämpfung war die Bruchsteinmauereinfassung des Barranco bei La Calera, die aus EU-Mitteln finanziert wurde, und der böige Wind vom Meer, das alles hatte das Vordringen der Feuerwalze bis hinunter an die Playa verhindert. Durch den Kahlschlag im Bereich der Baustelle fand das Feuer keine Nahrung, somit hatte die Finanzspritze aus Brüssel auch mal eine gute Seite.

„Bravo, Carlos“, entfährt mir ein Lob. „Die Schilderungen sind irre interessant.“

Hat mich Carlos verstanden?

Ein Lächeln huscht über seine Mundwinkel, trotzdem geht er nicht auf mich ein. So erreichen wir hinter Lomo del Balo, Retamal und Casa de la Seda mit El Guro ein schmuckes Hangdorf.

Der Ort ist in deutscher Künstlerhand. In der Esoterikerhochburg hatte das Feuer besonders erbarmungslos gewütet.

Carlos stoppt sein Taxi auf dem Parkstreifen unterhalb der Wohnbebauung.

„Bum“, „bum“, gestikuliert er.

Wie bei einem Bombardement oder Silvesterfeuerwerk hatte es sich angehört. Explosionen erschütterten das Valle, erzählt er weiter. Als Propangasflaschen in den Küchen der Häuser explodierten, da glich das dem oft prophezeiten Weltuntergang. Mehrere Künstlerklausen wurden zerstört. Von denen sind nur zerfallene Ruinen übriggeblieben, aber an einigen sieht man Fortschritte des Wiederaufbaus.

Wir setzen unsere Fahrt bis La Calera fort. Dort steigt Karla aus, denn sie wohnt bei Manuel. Uns Verbliebene fährt Carlos hinunter bis vor die Casa Maria. Wir bedanken uns gestenreich, dann eilt Vera ein kleines Stück zurück ins Casa Domingo, und meine Freundin und ich watscheln krumm und lahm in den Ausschank. Die Sitzerei fordert ihren Tribut, sei’s im Flieger, in der Fähre oder im Taxi.

Von Pepe, er ist der Chef der Casa Maria und gleichzeitig unser Vermieter, erhalten wir die Schlüssel zum Studio, danach ergötzen wir uns an der Superbreite des Strandes. Der präsentiert sich makellos bis hinüber nach La Puntilla.

Es herrscht reger Seegang. Die Wassermassen donnern mit Karacho auf den schwarzen Sand, oder zerschellen an der Mauer zur Promenade. Gigantisch bäumen sich die Wellen auf und bersten in salzhaltigen Elemente. Es ist die sich ständig wiederholende Szenerie einer begeisternden Dramaturgie. Aqui tenemos el paraiso, hier haben wir das Paradies. Zurecht behaupten das viele Einheimische.

Nun gut, es war eine dreizehnstündige Anreise, von unserer Haustür bis an die Playa. Wir reißen uns vom Atlantikanblick los und staksen in die vertraute Bleibe hinauf, dort verstauen wir die Klamotten im Schrank und hasten zum Einkaufen in den Supermercado.

Und den Einkauf in die Küchenzeile gekramt, geduscht und in frische Klamotten geschmissen, treffen wir uns mit Vera. Wir gehen zum Abendessen in die Yaya-Bar. Ich bevorzuge die kanarische Küche und esse mein Lieblingsgericht. Die Chocos à la plancha mit papas arrugadas sind phantastisch, dazu genießen wir die Show der Sonnenuntergangsanbeter. Ein beliebtes Ritual auf den Kanaren. Mit Feuerspektakeln feiert die bunte Schar vor der Casa Maria das faszinierende Szenario am fernen Horizont.

Wir sind zwar hundemüde, nichtsdestotrotz wechseln wir von der Yaya Bar zum Szenelokal hinüber. Es ist ein absolutes Muss für die tanzwütige Vera. Sie steht auf jede Form von Salsa und zelebriert ihre Tanzauftritte bei cooler Live Musik. Spötter nennen sie Kanaren-Polka.

Vera ist übrigens frisch verliebt. In drei Tagen erscheint ihre Neuerwerbung aus Köln hier im Valle. Wir kennen ihn nicht, daher sind wir mächtig gespannt auf diesen Georg.

Aber nun zurück ins Hier und Jetzt.

Pepe lässt zum Gitarrenspektakel mit Gesangsuntermalung aufspielen. Durch den begnadeten Sänger Esteban haben die Auftritte eine stattliche Fangemeinde, obwohl die Songs über Liebe, Trauer und Schmerz vor Schmalz nur so triefen.

Andererseits haben die Interpreten ein Lob verdient, denn ihre Evergreens servieren sie hochklassig. Wie bei allem gilt folgendes: Entweder man mag die Dudelei auf Volksmusikniveau, oder man bleibt weg.

Auch unsere Freundin Karla ist mit ihrem langjährigen Freund Manuel aus La Calera zu uns vor die Casa Maria heruntergeeilt. Er vermietet Apartments oben in seiner Umgebung, noch dazu ist er als Friedensrichter eine Institution im Valle.

Wir lauschen den akustischen Gitarrenklängen und der begeisternden Stimme Estebans, doch trotz des Geräuschpegels und der anhaltenden Begeisterung zeigt mir Karla einen mir unbekannten Mann, natürlich von Manuel unbemerkt.

„Der Mann sieht gut aus, oder?“, flüstert sie mir ins Ohr. „Sei ehrlich. Der hat was.“

Und ich frage ungläubig zurück: „Meinst du den mit dem schütteren Haar und dem Schwänzchen?“

Bei den Männern hat Karla einen merkwürdigen Geschmack.

„Ja, der. Er ist aus Teneriffa und der Schwager vom Oberkellner. Sein Name ist Fernando. Er gehört zu der Einheit der Geheimpolizei, die nach dem Brandstifter forscht. Er arbeitet praktisch als verdeckter Ermittler.“

„Aha, so eine Art Spion im Untergrund“, erwidere ich, dabei muss ich schmunzeln.

„So ist es, Richard“, beteuert Karla. „Lache nicht über mich, denn ich finde ihn toll. Sehr charismatisch. Aber sei vorsichtig was du sagst, denn er spricht deutsch.“

„Woher weißt du das?“

„Mein Freund Manuel erfährt in seiner Funktion natürlich alles“, klärt mich Karla auf. „Außerdem sind hier Hinz und Kunz verwandt. Nichts kannst du geheim halten.“

Ein mit viel Herzschmerz vorgetragener La Gomera Song erzeugt lautstarke Emotionen bei den Einheimischen. Das hat orkanartigen Beifall aus Geklatsche und Getrampel zur Folge, sodass das Gespräch schwierig wird.

Ich ziehe mich unauffällig zurück und überlege. Das Thema mit dem Geheimagenten hat meine kriminalistische Ader geweckt. Dieser Fernando mischt sich also unters Volk, denke ich an den Spion. Aber was will der ausrichten, da ihn jeder kennt? Mit seinem Grad der Bekanntheit wird er den Hintergrund des Brandes nie aufklären, wenn er’s überhaupt vorhat.

In Gedanken gleite ich zu der gerade in Spanien nicht unbekannten Korruption ab, dabei denke ich an die vielen unübersehbaren Baupleiten. Verbirgt sich hinter der Brandattacke eine Interessenüberschneidung? Ist das logisch, oder sehe ich Gespenster?

Ja klar, denke ich unkompliziert. Im Korruptionssumpf liegt der Hase im Pfeffer. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus, so sagt man dazu, und besser ausgedrückt, irgendwie stecken hier alle unter einer Decke.

Ein Griff an meinen rechten Arm schreckt mich auf. Anna ist mir gefolgt und reißt mich aus meinen Gedanken, daher kehre ich mit ihr zu den anderen zurück.

Neben alten Bekannten hat sich ein Stuttgarter Pärchen in die Runde gesellt. Wir begrüßen sie, denn Petra und Rainer kennen wir seit Ewigkeiten. Meistens meiden wir sie, denn wie so oft haben sie Krach und das nervt.

Doch da sie bereits eine Woche vor Ort sind, stelle ich ihnen die bedeutsame Frage: „Wo treibt sich dieser Walter herum?“

Petra ist nicht überrascht und antwortet: „Der Dealer? Den Arsch habe ich den ganzen Urlaub nicht gesehen. Er ist wie vom Erdboden verschluckt.“

„Man munkelt“, mischt sich Rainer ein, „die Guardia Civil hat ihn festgesetzt. Aber was Genaues weiß keiner.“

„Was du so erzählst“, wird Petra prompt zickig. „Du weißt gar nichts. In Alajero wird er sein, wo sonst.“

Ihre Streiterei bahnt sich erneut den Weg.

Ich wage den Versuch sie abzulenken, und stelle die spekulative Frage: „Von Alajero aus könnte sich das Feuer nach Nordwesten durch die Berge gefressen haben? Was wisst ihr darüber?“

Worauf Karlas Freund, der zugehört hatte, für beide in schlechtem Deutsch antwortet: „Das sein Vermutung. Niemand kann wissen. La Policia in Dunkel tappen. Sagt man bei euch so?“

Oh jemine. Niemand ist im Bilde, denke ich. Der Ermittlungsstand zur Brandstiftung basiert auf lockeren Verdächtigungen. Das war zu befürchten.

Doch die reichen mir nicht, denn umso mehr hat mich die Feuerursache im Griff. Mit Wucht hat mich der Trieb des Ermittlers vereinnahmt. Es ist wie ein Rausch.

Ich befriedige meine Sucht, indem ich Gleichgesinnte herausfiltere: „Ich will rauskriegen, wodurch das Brandinferno ausgelöst wurde. Übermorgen mache ich die Wanderung vom Roque de Agando über Benchijigua nach Alajero. Wer geht mit?“

Zögerlich meldet das Frankfurter Pärchen sein Interesse an, worauf der Besserwisser Rainer die Route vollendet: „Und von da latschen wir bis Playa de Santiago und fahren mit der Tina heim ins Valle.“

„Super“, ergänze ich seine Ausführung. „Dann sehe ich die Edelferienanlage Tamina nochmals, außerdem den Aeropuerto. An dem war ich noch nie. Ob Walter seinen Stoff über den Flugplatz importiert? Genau das wüsste ich gern.“

Meine Freundin ahnt, wie’s weitergehen wird.

Sie reagiert wütend: „Der Walter kann mich mal“, schimpft sie wie ein Rohrspatz. „Ich mache Urlaub und bin nicht zur Verbrechensaufklärung hier.“

Dann nimmt sie den Dampf raus. „Aber schön ist die Strecke allemal. Ich bin dabei.“

Ja, so liebe ich meine Anna. Sie kann ihre Wanderleidenschaft nicht zügeln, denn die hat sie bereits mit der Muttermilch inhaliert.

Und diese Zusage ist das Signal an Karla, sich uns Wandervögeln mit Pauken und Trompeten anzuschließen.

„Wunderbar“, bläst sie ins gleiche Horn. „Müßiggang ist aller Laster Anfang. Wir nehmen den Frühbus, zuvor spreche ich die Rückfahrt mit den Leuten der Tina ab.“

Dazu ist zu erwähnen, das sie durch die Freundschaft zu Manuel perfekt Spanisch spricht.

Der Ausflug ist im Kasten. Danach heißt es: Schluss, aus, vorbei, denn es ist Feierabend vor der Casa Maria. Schlag Elf läutet die Guardia civil die Sperrstunde ein, und die Musiker beenden ihr Programm.

Sie stehen auf und bedanken sich mit viel Effekthascherei für den Applaus, aber das ohne Zugabe. Dann packen sie ihre Instrumente ein und bringen sie in den Abstellraum. Pepe und seine Spießgesellen haben das Abendprogramm routiniert heruntergespult, so löst sich die Runde vor der Casa Maria auf.

Wir Frischlinge verabschieden uns voneinander mit dem Gefühl, eine Wanderung der Superlative zum Leben erweckt zu haben. Karla und Manuel gehen nach La Calera und Vera ins Casa Domingo. Ich setze mich mit Anna auf unseren Balkon. Auf dem gönne ich mir einen Cuba-Libre als Gutenachtgetränk, dann gehen wir zu Bett.

Lange liege ich wach. Mich beschäftigt die Brandursache. Doch irgendwann wiegen mich die nimmermüden Atlantikwellen in einen von Albträumen überschatteten Schlaf. Dass ein atemberaubender Urlaub an seinem Anfang steht, bei dem wir die Kontrolle über die Abläufe verlieren werden, das kann ich ohne Gewissensbisse vorwegnehmen.

2

Der erste Urlaubstag dient dem Erholen von den Anreisestrapazen. So machen wir es seit Jahren und das Ritual beginnt mit dem Frühstück auf dem Balkon. Danach verschiebe ich das Schwimmen wegen des hohen Wellengangs, stattdessen unternehmen wir den Erinnerungen auf die Sprünge helfenden Spaziergang durch die Ortsteile La Calera, Borbolan und Vueltas.

Betrübt stellen wir dabei fest: Weitere Bananenplantagen werden dem Tourismus geopfert. La Gomera setzt den Ruf der verträumten Bananeninsel aufs Spiel.

Auf einer Bank vor der Eisdiele am Baby Beach schlecke ich drei Kugeln Eis, und das in der prallen Sonne. Leider bin ich durch das schüttere Haar am Hinterkopf nicht resistent gegen intensive Sonnenbestrahlung, aber eine Kappe verhindert den möglichen Sonnenbrand. Anna dagegen begnügt sich mit einer Kugel Bacio, allerdings mit Sahne.

Das Eis intus, stellen wir einstimmig stellen wir fest: Das La Crema ist die beste Eisdiele der spanischen Hemisphäre.

Und an die Playa zurückgekehrt, fühlen wir uns prompt heimisch. Wir lassen uns in den schwarzen Sand nahe unserem Studio fallen und genießen den ersten Badetag. Gut eingecremt, aalen wir uns auf unseren Strandmatten und Handtüchern in der Sonne, dabei lese ich im Valle-Boten. Das ist die Satirezeitschrift La Gomeras.

In der steht ein Artikel über eine fragwürdige Organisation. PULG nennt sich der Verein.

PULG? Ich denke nach, denn der Name sagt mir nichts. Ich habe ihn noch nie gehört. Was soll das sein?

Die Bezeichnung PULG ist das Pseudonym für eine militante Gruppe, erfahre ich im Gespräch mit einem Nachbarn. Im vollen Wortlaut heißt sie: „PARA UNO LIMPIO GOMERA“ und frei übersetzt ins Deutsche soll es „FÜR EIN SAUBERES GOMERA“ bedeuten.

Aha, warum nicht?

Ich halte den Quatsch für eine Erfindung, für blöde Satire. Öfter mal was Neues, denkt sich der clevere Redakteur. La Gomera ist reich an witzigen Anekdoten

Im Bericht über die PULG ist von einem Sonnenkönig die Rede. Demnach ist einer der Mitglieder ein Deutscher, dem große Bereiche des Valle gehören, mutmaßt der Schreiberling der Story. Aber typisch für das ultimative Inselmagazin nennt es keine Namen. Auch ein Makler gehöre zu den Gesellen. Das wären schon mal zwei dicke Fische.

Zwischen den Zeilen spekuliert, tippe ich auf Klaus Kleber, so heißt die deutsche Lichtgestalt. Und dieser Kleber hat’s faustdick hinter den Ohren. Er ist ein Workaholic und regelt die Geldgeschäfte auf seine Art. Aber wie er alles deichselt, das bleibt sein Geheimnis. Jedenfalls führt kein Weg am Allmächtigen vorbei.

Und in der Inselpostille steht außerdem, dass weitere Raffzähne auf gewinnbringende Strategien für die Kanareninsel setzen, also rigoros auf den Qualitätstourismus. Sie haben der langhaarigen Mischpoke den Kampf angesagt. Die treten den Hippies mit ihrer Einschüchterungspolitik entgegen. Alle schmutzigen Mittel sind den Ausbeutern recht für ihr Wunschziel, die Gutbetuchten auf die Ferieninsel zu locken. Sogar Kreuzfahrtsschiffe sollen im Hafen von Vueltas anlegen, was für uns den Supergau bedeuten würde. Nur beim Thema Abfackeln der Hütten in der Schweinebucht hält sich das Satireblatt bedeckt, obwohl es weiß, wer dafür verantwortlich ist.

Das ist starker Tobak. Oder ist es fragwürdige Satire, und demnach erstunken und erlogen? Bei den gewagten Artikeln im Valle-Boten ist man sich da nie sicher. Jedenfalls werden zwei Einflussreiche durch den Kakao gezogen. Spekuliert das beliebte Blatt dabei in den blauen Dunst?

Das ungewöhnliche Magazin gibt sich unabhängig und überparteilich. Es hat Kultcharakter. Zurecht wirbt es mit total abgedreht zu sein. Ich habe mich über das Blatt oft krumm und buckelig gelacht, aber am PULG Artikel kann ich wenig Lustiges entdecken.

Sei’s, wie es ist.

Ich sollte das Machwerk nicht ernst nehmen, denke ich. Der Valle-Bote ist das, was er immer war, nämlich eine Klamaukpostille, dessen Berichterstattung ändert sich nicht. Doch in einem Punkt unterstütze ich den Beitrag, denn mich täten Touristenhorden in der Tat von der Insel vertreiben, nähmen die überhand. Kleber dagegen würde sich die Hände reiben, täten Spitzenverdiener wie die Heuschrecken über La Gomera herfallen.

Wie ich den Geldhai einschätze, sind Blechlawinen durchs friedliche Valle für ihn kein Alptraum. Sowas stört Kleber nicht, schon eher der sich haltende Ruf, dass La Gomera ein Hippieparadies sei.

Erhebt man seine Meinung zum Evangelium, dann schaden die Junkies, Lebenskünstler und Gelegenheitsfreaks, dem Insel-Image. Die Schmarotzer und Parasiten gehören zerquetscht. Die bringen nur Ärger, nicht das große Geld. Zumindest eins hat Kleber mit seinen Aktivisten erreicht, und das ist das regelmäßige Abfackeln der Schweinebucht.

O je, was ist bloß aus dem friedlichen Aussteigerparadies geworden?

Direkt unsympathisch ist mir dieser Kleber eigentlich nicht. Ich kenne ihn nur von seiner zuvorkommenden Seite. Nun gut, er ist arrogant. Er will immer gewinnen und muss in allen Belangen der Beste sein. Und um seine Sonderstellung zu untermauern, schmückt er sich mit einer attraktiven Frau.

Null Problem, die gönne ich ihm. Das Leben spielt ihm in die Karten. Und die Gier nach schnödem Mammon treibt auch auf der Insel der Sanftmut unerfreuliche Blüten.

Ich kehre aus meinem Gedankengeflecht ans Geschehen am Strand zurück, denn nach der Flut folgt die Ebbe, wodurch die Wellen handzahm geworden sind. Das nutze ich aus und springe kurzentschlossen ins Wasser, damit kühle ich mein Gemüt. Danach trockne ich mich ab und knalle mich auf meine Matte, schon bin ich innerlich erneut bei diesem Dealer.

Seit langem denke ich darüber nach, ob Walter mit Drogendeals seinen Lebensunterhalt finanziert. Das er mit Haut und Haaren im Drogensumpf steckt, vermuten alle, aber aus dem Verkehr gezogen hat man ihn meines Wissens nur kurzzeitig.

Für ihn gilt: Abends werden die Faulen fleißig. Aber wie schafft er es, unbehelligt zu bleiben? Hat er promi-nente Helfer? Wo versteckt er sein Sammelsurium an Drogen? Seit die PULG existiert, möchte ich nicht in seiner Haut stecken.

Ein Drogenabnehmer ist bisher nicht im Valle aufgetaucht, der gutaussehende Günther aus der Pfalz. Der hatte sich kontinuierlich um den Verstand gekifft. Doch irgendwann wurde der Frauenschwarm unangenehm. Es war eine qualvolle Tortur sich sein Geschwafel anhören zu müssen. Zuletzt wurde er aggressiv. Logischerweise hatte er Dresche bezogen. Ist Günther aus Angst vor weiteren Handgreiflichkeiten nach Deutschland zurückgekehrt?

Nun mal halblang. Was kümmert mich dieser abgewrackte Günther. Er kann mir gestohlen bleiben, denn ich mochte ihn sowieso nicht. Jetzt ist nur der Urlaub wichtig. Ich habe Anna Ruhe und Erholung versprochen, daher konzentriere ich mich auf meinen Roman.

„Leo Berlin“ heißt die Kriminalgeschichte aus den zwanziger Jahren, die das Berlin der damaligen Zeit hochinteressant widerspiegelt. Es ist ein toll geschriebener Krimi.

Die Bedingungen am Strand sind hervorragend. Einige Badegäste spielen Fußball, andere Federball oder Softball. Daher ist es spät, als Anna das Signal zum Aufbruch gibt. Außerdem hat die Sonne ihre Wirkung nicht verfehlt, denn leicht gerötet packen wir den Strandkram in die Badetasche und rollen die Matten ein. Mit Sack und Pack verschwinden wir ins Studio.

Wir duschen mir das Salzwasser vom Körper und ziehen saubere Sachen an. Ich eine Jeans und einen langärmeligen Pulli. Abends wird’s empfindlich frisch. So neigt sich der erste Urlaubstag dem Ausklang zu, außerdem sind durch das Baden hungrig.

Anna und ich speisen im El Paraiso, in einem klassischen La Gomera Restaurant. In dem bestelle ich das gelobte Conejo-Gericht. Das Kaninchen schmeckt hier hervorragend, daher empfiehlt es der Valle-Bote, und die Beurteilung stimmt. Zweimal im Jahr genieße ich diese Gaumenfreude.

Doch mit dem Festmahl ist der Abend nicht beendet, denn als Nachspeise musiziert, anstatt der gewohnten Volklore Truppe, die Punkband „Poisen Folk“ vor der Casa Maria. Der Auftritt der Punker ist eine Neuerung, doch die trifft nicht jedermanns Geschmack, dennoch sind sie eine gelungene Abwechslung. Deren rockige Stücke gehen ins Ohr. Mir gefällt der Sound.

Nach den letzten schrillen und schrägen Akkorden der Punker ist Schicht im Schacht. Anna und ich verabschieden uns von den Miturlaubern und gehen Schlafen. Am nächsten Tag heißt es früh wach werden.

*

Früh mit den Hühnern aufgestanden und superpünktlich wie die Maurer, treffen wir uns mit Karla und den Frankfurtern an der Bushaltestelle vor der Casa Maria. Vera will auf den Freund warten und bleibt zuhause. Der Bus nimmt uns auf und würgt sich die Ausfallstraße nach Arure hinauf. Bei der Fahrt durch das obere Tal sehen wir die Brandschäden aus einer anderer Perspektive, doch die ist genauso verheerend.

Hinter Arure, am Abzweig nach Vallehermoso, biegen wir rechts ab auf die Höhenstraße und von der aus zu den Bergdörfern Las Hayas, El Cercado und Chipude, dabei schlängelt sich das Monstrum auf sechs Rädern mit traumwandlerischer Sicherheit durch die verzwickten Dorfdurchfahrten und engen Serpentinen. Die Busfahrer liefern Meisterleistungen ab. Sie sind die Artisten am Lenkrad.

Und wieder zurückgekehrt auf die Höhenstraße in Richtung San Sebastian, verabschiedet uns der Dompteur der Bergstraße am Roque de Agando. Da ist mir schlecht. Ich vertrage lange Busfahrten nicht gut, umso weniger durch das stinkende Brandgebiet. Dennoch hat die Sicht auf das Szenario meine Aufklärungsgier nach der Brandursache immens erhöht.

In unserem Wanderbereich hat es wenig gebrannt und in den Bergen ist es früh am Tag recht kühl. Die Sonne wird den Schweiß erst ab den Mittagsstunden mit ihrer geballten Kraft aus den Poren treiben. Wir beugen dem Totalverlust an innerer Wärme vor und ziehen die wärmenden Wanderjacken an, dazu feste Wanderschuhe. Dann stiefeln wir vom Waldbranddenkmal steil abwärts in Richtung Benchijigua.

Manchmal ist der Boden weich, dann und wann bedecken ihn Nadeln des Kiefernwaldes. Ansonsten trotten wir durch die Gesteinsmassen aus verwitterter Lava. Wir benutzen die Wanderstöcke zur Absicherung gegen das Abrutschen. Die Gegend hatte das Feuer verschont, aber der durchdringende Brandgeruch, der wie ein imaginärer Schleier die Luft über der Insel beeinträchtigt, verdirbt die Freude am Riechorgan. Kein Laut eines Vogels ist zu hören, dennoch ist es wegen der überra-genden Fernsicht ein beglückendes Wandergefühl. Mit stiller Leidenschaft blicken wir über das durch weiße Schaumkronen vom Wind aufgeraute Meer bis zur kleinen Kanareninsel El Hierro hinüber. Die Fernsicht auf das besuchenswerte Miniaturatoll ist prickelnd. Den er-neuten Aufenthalt drüben kann ich mir sehr gut vorstellen.

Das Wetter ist hervorragend. Dreizehn Grad in der oberen Bergregion sind normal. Und ständig wird es wärmer. Nach zwei Stunden erreichen wir das dreihundert Meter tiefergelegene Benchijigua. In der Ansiedlung, bestehend aus drei Häusern, legen wir die erste Rast ein. Die Temperatur beträgt immerhin neunzehn Grad. Wir ziehen die schweißnassen Jacken aus und hängen die über den Rucksack, da sie dort hervorragend trocknen. Außerdem sind wir bärenstark und guten Mutes. Der bisherige Ablauf entspricht unseren Erwartungen. Weder eine Panne, noch andere Negativvorkommnisse deuten auf einen Paukenschlag hin.

Viel Wasser getankt, gehen wir die nächste Herausforderung an. Die erfordert aufmerksame Wandermechanismen und Trittsicherheit, denn der steile Aufstieg zum Bergkamm hat einen hohen Schwierigkeitsgrad. Wir überqueren ihn ohne Probleme, allerdings verlieren wir eine Menge Kraft. Die Beschilderung durch deutliche Hinweistafeln ist hervorragend. Die Markierungen mit roten und weißen Balken auf markanten Felsbrocken oder auf großen Steinen sind ausreichend vorhanden. Sich zu verlaufen wäre grotesk.

Nach der Kletterei führt uns ein ebener Weg zu einem Eukalyptushain, vor dem kreuzen wir einen brüchigen Wasserkanal. Dann steht ein nochmaliges Hinaufstaksen an, diesmal nach Imada. Das dauert eine Stunde und ist anstrengend. Die Strecke prüft uns auf Herz und Nieren und testet die Leidensfähigkeit. Unsere Ausdauer setzt eine große Zahl an Glückshormonen frei, denn von der Terrassenlandschaft um den Ort Imada sind wir begeistert. Sie ist die Belohnung für die Quälerei. Mit Jubelausbrüchen genießen wir die Freiheit des Wanderns. Aber auch ein abgedroschenes Zitat bewahrheitet sich: Von der Liebe kann der Mensch nicht leben. Eine Nahrungsaufnahme ist fällig.

Der eine ist mehr, der andere weniger erschöpft, in dem Zustand erreichen wir Lomo del Azadeo. Wir haben noch alle Zeit der Welt bis zur Abfahrt mit der TINA. Der neuerliche Rastplatz bietet Rundblicke auf Imada, den Roque de Agando und zum Fortaleza hinüber. Die Sicht auf das Felsmassiv ist ein Höhepunkt der Wanderung nach Playa de Santiago.

Anna hat leckere Brote mit Serrano-Schinken und Käse vorbereitet. Ich habe hartgekochte Eier und einen Salzstreuer mitgenommen. Dazu sind wir mit Bananen und Wasser eingedeckt. Die von dem Brandgeruch geschwängerte Luft ist übel, nichtsdestotrotz verschaffen wir uns mit einer zünftigen Brotzeit einen unermesslichen Genuss. Auch den Vorteil, dass sich durch die Mahlzeit der Ballast verringert, kann man nicht hoch genug bewerten.

Karla kaut noch auf dem letzten Bissen herum, dabei wühlt sie in ihrem Rucksack. Zufrieden kramt sie eine kleine Dose hervor. Sie dreht sie auf und reicht sie rum, dabei fragt sie lächelnd: „Ein Kräuterbonbon für den frischen Atem?“

Wir lachen. Die Kraftanstrengung ist aus unseren Gesichtern verflogen. Frisch und ausgeruht haben wir den Schalk im Nacken und den Frohsinn gepachtet. Bis auf Petra und Rainer sind wir gut gelaunt. Daher geht’s mit dem einen oder anderen spaßigen Spruch auf den Lippen nur noch abwärts weiter.

Nach einer Stunde durch leichtes Gelände erfolgt der Angriff auf den El Drago, das ist der weltberühmte Drachenbaum. Wenn wir schon einmal hier sind, sage ich mir, ist der Besuch des Baumes eine Notwendigkeit.

Leider verlieren wir durch das Gastspiel eine Menge an Zeit. Der Abstecher war nicht eingeplant. Und da ich die Strecke zum Hafen nach Santiago schlecht einschätzen kann, dränge ich zur Eile. Das Ausflugsschiff TINA darf uns nicht vor der Nase wegfahren. So kommen wir im strammen Tempo alsbald zur Casa Agalan, von wo wir uns dem Städtchen Alajero nähern. In dessen Umgebung vermute ich den Brandherd.

Geraume Zeit danach bewegen wir uns auf dem Teilstück nach Alajero. Unvermeidbar führt uns der Weg über verbrannte Erde. Hatten wir uns vorher Witze erzählt und uns darüber amüsiert, vergeht uns das Lachen. Das liegt einerseits am Brandgestank, zum anderen an den Stuttgartern. Petra und Rainer streiten sich wie die Kesselflicker. Mittlerweile liegen bei allen an der Wanderung Beteiligten die Nerven blank.

CARAMBA.

Es passiert das Ungeheuerliche.

Urplötzlich, in der Umgebung Montanas, stolpert Petra und stürzt ab. Wie konnte das passieren? Und vor allem, wo ist sie hin?

Petra ist in eine fünfzehn Meter tiefe, scharf eingeschnittene, aber versteckt liegende Schlucht gefallen. Wie war der Absturz möglich? Der Boden ist geröllhaltig, trotz allem sind die Umstände des Absturzes merkwürdig. Wandert man achtsam, dann ist die Absturzstelle ungefährlich.

Hat Rainer sie gestoßen?

War er der Versuchung erlegen und wollte die Partnerin loswerden? Ich kann mich täuschen, aber ich habe einen Stoß in Petras Rippen beobachtet.

Rainer ist durch den Wind.

Anna, Karla und ich, wir legen uns an den Rand der Unglücksstelle und horchen hinunter. Leicht gedämpft hören wir die fluchenden Laute aus der Tiefe. Ist das Petra?

Natürlich. Wer sonst. Ihre Schimpflaute haben sich durch die Streitereien mit Rainer in uns eingeprägt. Sie wettert zu uns rauf: „Scheiße, ich habe mir den Knöchel verstaucht.“

Ich glaube, mich tritt ein Pferd, denn was macht dieser Rainer? Der Knabe reagiert nicht. Er ist wie gelähmt. Wie kann das sein? Sie ist seine langjährige Freundin. Normalerweise bemüht man sich um die Partnerin.

Aber nicht der Muffensauser. Der zeigt keinerlei Regungen und schweigt.

Ich bin derjenige, der aktiv wird. „Warte, Petra. Ich komme zu dir runter“, rufe ich ihr zu.

Seit der Jugend habe ich die Gabe, Problemen nicht ausweichen zu können. Ich presche bei undurchsichtigen Situationen andauernd in die Poleposition. Es ist wie ein Fluch, der Anna oft in den Wahnsinn treibt. In diesem Fall allerdings bleibt sie ruhig. Sie hat die Stelle erkannt, an der das Hanggefälle ungefährlich ist und nicht sonderlich steil zu sein scheint.

Genau dort mache ich mich ohne Absicherung an den Abstieg. Und mittendrin vernehme ich aus der Tiefe, wie Petra eine Besonderheit andeutet.

„Irgendwas ist komisch“, ruft sie mir zu. „Hier stimmt was nicht.“

„Ich bin gleich bei dir“, antworte ich beschwichtigend, dabei steigt meine Anspannung, woraufhin Petra hart ausschnauft: „Mensch, da liegt was.“

Was fange ich mit dem Schnaufer an?