Brauchstu ma keine Doktor, brauchstu nur diese Buch - Mimi Fiedler - E-Book

Brauchstu ma keine Doktor, brauchstu nur diese Buch E-Book

Mimi Fiedler

3,9

Beschreibung

»Ich bin Mimi. Weiblich. Mitteleuropäisch. 39 Jahre. Habe gefühlte 2 Millionen Mal in den Lebensabort gegriffen. 4 Beziehungen. 1 Ehe. 1 Kind. 1 Scheidung. 1 Rosenkrieg. Affären (Dunkelziffer). 1 Verlobung. 1 Entlobung. 1 Hochleistungsmixer aus Fenster geworfen. 2 x pleite. 14 Kilo zugenommen. 14 Kilo abgenommen. 165 cm. 55 kg. Dann endlich beschlossen, nur noch auf Mama zu hören. Und jetzt: happy!« Mimi Fiedler weiß dank ihrer kroatischen Mutter, wie frau mit dem Leben, der Liebe und den Männern umzugehen hat. Vor Mama spuren alle drei! Ihre original kroatischen Ratschläge sind bodenständig, urkomisch, politisch inkorrekt, frei von der Leber weg gegeben und, darauf verwettet Mimi ihren balkanesischen Po, sie funktionieren! Sie gibt sie mit vollen Händen, Charme und Witz weiter. Ein Buch wie ein Plauderstündchen mit der besten Freundin!

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

Auch als Hörbuch erhältlich

1. Auflage 2015

© 2015 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Lektorat: Julia Jochim

Umschlaggestaltung: Melanie Melzer, München

Umschlagabbildungen: Iris Luckhaus, www.irisluckhaus.de

Illustrationen: Iris Luckhaus, www.irisluckhaus.de

Satz: inpunkt[w]o, Haiger

ISBN Print 978-3-86882-585-5

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86415-760-8

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86415-761-5

ISBN Hörbuch: 978-3-86882-629-6

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Inhalt

Vorwort

It’s a man’s world

Meet the family

Bevor ich happy wurde

Das wundersame ­Navigationssystem

Um Gottes willen

Gott, Kirche, Jesus und ­Christophers Möhre

Geheimnisse

Selbsthilfe

Mimi Mouse und Walt Disney

Be confident, baby

Entruempele dein Leben, dein Karma und deinen Schrank

Brauchen Sie das noch? Oder ­karma das weg?

Blutsauger

Wo wir doch eh ­andauernd von meiner ­Mutter reden …

Bodytime

Ein U-Turn, der an die ­Nieren geht

Allohooool & Friends

Schall und Rauch

Ran an den Speck, Mäuschen

Eat! Pray! Love your ­animals!

Tier-reich und fett-arm und rank und schlank

Fakten, Fakten, Fakten

Cellulite, oh du meine Pein

Bye bye Cellu… what?

Love your body

Dr. Ticlea, der Doc vom Balkan, dem die Frauen vertrauen

Hach! Die Liebe! und ­andere Katastrophen

Meine Männergalerie

Wut! tut! gut!

Liebeskummer? Lösch die Nummer!

Erwischt

Putzen auf Balkanesisch

Apropos Möpse

Frauenpower

Keep him on his toes, Sista

Erziehung ist alles

Was des Terminators ­Pullermann mit Ihrem Mann und der Zugehfrau zu tun hat

Vertrag kommt von vertragen

Vergebene Männer

Du, ich such nur was ­Lockeres

Die Heiligen Drei Könige und ein Lampenschirm

Es kann nicht immer ­Tiffany sein

Geht nicht auf Tinder, wollt ihr Familie und Kinder

Es war einmal …

Wenn er Sie will, versetzt er für Sie das Siebengebirge

Danksagung

Für meine Nichte Golda,die im gleichen Jahr geboren wurde wie dieses Buch.

Und für alle Supernovas dieser Welt

Oder wie Beyoncé sagen würde:

Vorwort

No, you haven’t seen the best of me

I’m still working on my masterpiece2

Jessi J

Sie haben mich gefunden.

Endlich haben Sie das! Sie geben meinem Leben den Sinn, auf den ich jahrelang hingearbeitet habe. Und ich, ich bin die einzige Therapeutin auf Gottes weiter Flur, die für Sie infrage kommt. Sie und ich, wir machen eine wunderbare und hocheffiziente Verhaltenstherapie. Ich Therapeutin, Sie bald von allem, was Sie je gestört hat, Geheilte.

Wir werden zusammen an Ihrem Masterpiece arbeiten. Ich werde Ihnen natürlich nicht nur heiße Luft in Ihre Eingeweide pusten – nein, wir zwei beide werden gemeinsam Ihr Leben verändern und die beste Version aus Ihnen herausholen, die Ihnen der Herrgott in die Gene gelegt hat. Sie werden endlich aus Ihrem Prinzessinnenschlaf erwachen und Samba tanzen. Sie werden feststellen, dass es in Zukunft pipileicht sein wird, schön und gesund und glücklich zu sein!

Denn ich bringe alles mit, was Sie dafür brauchen.

Ich bin eine 40-jährige seltsame Frau, die schon so viel erlebt hat, dass in mein kleines Leben ganz gemütlich und ohne zu quietschen das Leben von vier 90-Jährigen passen würde. Es gibt also nichts, womit Sie mich schockieren können. Außer, Sie essen Ihr Aa oder so.

Ich bin ziemlich ehrgeizig, wenn es um Sie geht. Sehr, sehr ehrgeizig! Bevor wir Sie nicht zu Superwoman gemacht haben, werde ich nicht aufgeben. Alles, was Sie tun müssen, ist mitmachen.

Ab sofort ist Ihr neues Lebensmantra: Nie mehr Selbstverarsche. Willkommen nackige Wahrheit. Denn nur, wenn Sie Ihre nackige Wahrheit kennen, können Sie sie auch verändern. Wenn da also zum Beispiel eine Delle in Ihrem Po ist, reden Sie sich ab sofort nie mehr ein, die Delle käme von der Stuhlkante oder die Jeans sei zu eng gewesen. Verstanden, was ich meine?

Das gilt im Übrigen auch für größere Angelegenheiten als ’ne Delle im Po.

Aber was für uns beide viel wichtiger ist: Ich habe ein Ass im Ärmel. Meine Cheftherapeutin, meine Supervisorin, die Patin aller Therapeutinnen. Sie ist noch besser als die allwissende Müllhalde bei den Fraggles und nietet alles um, was ihr im Weg steht. Die meisten Leute räumen von ganz allein den Weg, wenn sie im Anmarsch ist. Das ist wahres Können.

Und diese Cheftherapeutin ist: Marija, meine kroatische Mutter!

Die Balkan-Jeanne d’Arc der unverschämten und glücklichen Frauen.

Dieses Buch ist ein zutiefst feministisches Werk. Kommen Sie bitte bloß nicht auf die Idee, mir etwas anderes unterzujubeln. Falls Sie, während Sie es lesen, den Eindruck bekommen, dass einige der Ansichten und Tipps volle Lotte steinzeitmäßig sind, lassen Sie sich nicht abschrecken. Glauben Sie mir: Hier geht es nur um UNS. Uns Frauen. Uns wundervolle Wesen, und darum, wie wir uns dieses Leben einfach so richtig, richtig schön machen können. Das haben wir verdient! Und das machen wir mit allen Waffen, Tricks und Techniken, die uns zur Verfügung stehen. Auch denen, die Frau Schwarzer unter aller Sau finden würde. Die funktionieren nämlich besonders gut. Ich finde – und meine Mutter Marija findet das erst recht –, der Zweck heiligt die Mittel. Und zwar alle!

Versuchen Sie es mit mir und diesem Buch. Vielleicht entdecken Sie ja etwas in sich, was immer schon mal rauswollte. Zum Beispiel die maximal beste Version Ihrer selbst.

It’s a man’s world

This is a maaaaan’s world, sang schon James Brown, aber freundlicherweise hat er noch hinzugefügt: But it would be nothing, nothing without a woman or a girl.3 Der Rest des Liedes dreht sich ausschließlich um die unfassbar wichtigen Errungenschaften der Männer. Die natürlich fürs Klo wären, gäb‘s keine Women oder Girls. Oooch, DANKE, James. Das ist soooo lieb.

Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit ergreifen, James Brown richtigrum zu zitieren:

This is my Mamas world, but it would be nothing without my father or any man in it.

Damit hier keine Missverständnisse auftreten: Ich finde Männer toll. So toll, dass ich ihnen meine allerbesten Stoffwechsel- und Bindegewebsjahre geschenkt habe. Ich meine, Sie können sich vorstellen, wie so ’n hoch und runter benutztes ­Bindegewebe aussieht. Mir kann also echt niemand sagen, ich hätte was gegen Männer. Ich bin weit davon entfernt, eine dieser männermordenden Feministinnen zu sein, die alle Männer dieser Welt am liebsten mit Schwanz und Stiel ausrotten oder zumindest kastrieren würden. Ohne Männer wäre die Welt ziemlich langweilig und sehr, sehr fad. Und ohne die wunderbaren Paarungszustände mit ihnen gäbe es uns Menschen ja sowieso mal gar nicht. Wir würden als Staubpartikelchen immer noch irgendwo an der letzten Zapfsäule des Universums kleben. Das wäre ja erst recht langweilig.

Trotzdem hat aber James Brown irgendwie recht: It’s a man’s world. Frauen gucken auch im 21. Jahrhundert nach wie vor ziemlich oft in die Röhre, sind die Gelackmeierten, die Doofen. Weil Männer die Spielregeln machen. Immer noch. Meine kroatische Mutter ist der Meinung, dass die Idee der modernen Gleichberechtigung so gut funktioniert wie der Kommunismus. In der Theorie eine wahnsinnstolle Sache, in der Praxis so gut umsetzbar wie gesundes Abnehmen durch Fast Food. Versuchen Sie das bitte mal. Sie werden nicht sooo weit kommen.

Ich habe die meiste Zeit meines Daseins als erwachsene Frau versucht, die Bälle wie ein Mann zu spielen. Auf einem Spielfeld, das nur für Männer reserviert ist. Weil ich nicht klein beigeben wollte. Bis meine kroatische Mutter endlich zu mir vordrang und ich kapiert habe, dass die einzigen Bälle, mit denen ich auf einem männlichen Spielfeld spielen und sogar haushoch gewinnen kann, meine eigenen sind. Die Waffen einer Frau.

Viele Feministinnen werden die Mittel, die ich Ihnen hier predige, verachten und verabscheuen und versuchen, mich mit Tomaten und faulen Eiern zu bewerfen. Trotzdem bin ich Feministin, und zwar eine ganz spezielle Sorte. Ich bin eine Balkanfeministin.

Ich möchte an dieser Stelle auch erst mal einen Dank loswerden: Ich wäre nicht, wo ich bin, hätte es nicht all die großartigen Vorreiterinnen, die Feministinnen der Vergangenheit und der Heutezeit, gegeben. Allen voran meine kroatische Mutter Marija. Aber auch all die Frauen, die laut und vehement oder auch still und leise den Feminismus und das Recht auf Gleichberechtigung unters Volk und ihre Kinder gebracht haben. Ohne sie hätten wir gar nicht die Voraussetzungen, mit den Jungs auf Augenhöhe mitzuspielen. Weil wir immer noch laut Gesetz und allgemeiner Meinung tun müssten, was Männer wollen. Ohne die Verdienste dieser Frauen würde ich mit Sicherheit immer noch in einer unglücklichen Ehe stecken und tun oder besser lassen, was mein Ehemann von mir verlangt. Ich wäre ein braves Frauchen im Sinne der Männer und keine promiskuitive, freiheitsliebende Balkanschnalle, die gelernt hat, sich nicht mehr auf der Nase herumtanzen zu lassen.

Wenn Sie bereit sind, Ihre ultraweibliche Reise mit mir anzutreten, dann holen Sie am besten genau jetzt Ihre höchsten High Heels aus der Ecke – denn die werden Sie brauchen – und kommen Sie rein.

Gemeinsam werden wir eine Mission antreten – die Mission zu einem glücklichen Dasein. Vergessen Sie alle ­Psychotherapeuten, Aromatherapien, Yogasessions, Zauberdiäten und was Sie sonst noch so an Dingen betrieben haben, um glücklich zu werden. Hier kommt die Balkantherapie – die ultimative Therapie für die Frau. Gemeinsam mit meiner Mutter Marija werde ich Ihnen zeigen, wie Sie es mit dem Leben aufnehmen. Und natürlich auch mit den Männern. Wie Sie mit den Waffen der Frau jedes Hindernis aus dem Weg räumen. Natürlich geht es nicht nur darum, wie Sie Ihre weiblichen Waffen am besten benutzen, sondern auch darum, wie Sie selbige reparieren und auf Hochglanz bringen.

Das wird anstrengend. Und hier und da sogar unangenehm. Aber sehen Sie es so: Waxing ist auch keine Kaffeefahrt, aber wenn Sie es hinter sich haben, sind Sie froh, dass Sie es gemacht haben. Weil’s einfach besser aussieht und sich besser anfühlt.

So ähnlich wird es Ihnen hier mit mir und meiner kroatischen Mutter gehen. Erst tut’s weh, dann ist’s schön. Oder um es mit dem Rödelheim Hartreim Projekt zu sagen: Wenn es nicht hart ist, ist es nicht das Projekt!4

Ach so, bevor ich’s vergesse. Es mag sein, dass Ihnen mein kleines Buch hier und da wie eine Aneinanderreihung von Klischees vorkommt. Und wissen Sie was? Es stimmt.

Meet the family

Icke

Weiblich.

Mitteleuropäisch.

40 Jahre.

Gefühlte 8 Milliarden Mal in den Lebensabort gegriffen.

4 Beziehungen.

4 x gescheitert.

1 Ehe.

1 Kind.

1 Scheidung.

1 Rosenkrieg.

Danach pleite.

Wegen des Rosenkriegs.

12 Kilo zugenommen.

Liebe des Lebens kennengelernt.

12 Kilo abgenommen.

8 Jahre Upper-Class-Leben mit Gärtner und Nanny.

Liebe des Lebens sich verbröselt, quasi über Nacht.

7 Monate akuter Liebeskummer, Schokolade zum Frühstück und am Abend davor einen sitzen.

Das zweite Mal pleite.

Gärtner und Nanny abgegeben, heulend.

Führerschein auch.

14 Kilo zugenommen.

2 Jahre chronischer Liebeskummer.

Affären (Dunkelziffer).

Jugendliebe wiedergetroffen.

1 Verlobung.

1 Entlobung.

1 Hochleistungsmixer aus Fenster geworfen. Sehr, sehr teuren Hochleistungsmixer.

14 Kilo abgenommen.

165 cm.

55 kg.

Dann endlich beschlossen, nur noch auf meine Mutter Marija zu hören.

Und jetzt:

Happy.

Seeeeehr, sehr happy.

Damit Sie mich und meine kroatische Mutter Marija kennenlernen, erzähle ich Ihnen erst mal was über mich und ein bisschen was über meine Familie. Und ein bisschen was von meinem Weg bis hierher zu diesem Buch. Sie wollen doch sicher wissen, in wessen Hände Sie hier gerade Ihr Leben legen, oder?

Ich bin am 11. September 1975 in einem Militärkrankenhaus in Split an der kroatischen Adria geboren. Damals gab es Tito noch und Jugoslawien auch. Heute ist Tito tot. Und Jugos­lawien auch. Aber die Küste gibt es noch und alle meine Verwandten und es gibt Rakija und Pršut, und Sveti Duje, die berühmte Kathedrale von Split, steht auch immer noch da, wo sie steht, und jedes Jahr laufe ich am Grgur Ninski, der riesigen Statue des Bischofs Gregor, vorbei und rubbel ihm über seinen großen Zeh. Wenn man sich dabei was wünscht, gehen diese Wünsche irgendwann in Erfüllung. Und es stimmt auch. Man muss einfach nur Geduld haben.

Meine Mutter war sehr jung, als ich zur Welt kam, und weil es so war, wie es eben war und meine Familie den Kommunismus nicht sonderlich mochte, ist sie mit meinem Vater nach Deutschland gegangen. Sie hatten einen kleinen roten Koffer dabei und zwei Decken unterm Arm. Meine Mutter wollte auf keinen Fall ohne mich gehen, aber es war kein Platz für ein Baby in dem Arbeiterbus, der nach Deutschland fuhr, und auch kein Platz in der kleinen Unterkunft, die sie dort hatten. Deswegen blieb ich bei meinen Tanten und Onkeln in Svib, dem kleinen Dorf meiner Familie, und wurde dort ihr Maskottchen. Ich wurde herumgereicht wie ein Siegerpokal und von allen Seiten geliebt. Eine meiner Tanten erzählt heute noch, dass sie wochenlang nichts essen konnte vor Trauer, als ich wegging. Und jedes Mal, wenn sie mich heute sieht, fängt sie wieder an zu heulen.

Zu viele Tränen waren auch der Grund, warum meine Kinderkarriere bei meiner kroatischen Sippschaft irgendwann beendet war. Meine Mutter hörte sich jeden Abend nach der Arbeit die Kassette mit meiner Stimme an, die ihr meine Tante geschickt hatte, sie war abgemagert bis auf die Knochen und weinte sich jede Nacht in den Schlaf. Meinem Vater blieb nichts anderes übrig, als sie und den roten Koffer in den Arbeiterbus zurück in die Heimat zu packen, damit sie mich abholte und mitbrachte. Nach Deutschland.

Es ist jetzt nicht so, dass er mich nicht haben wollte, denken Sie das bloß nicht. Er versuchte einfach nur, alles richtig zu machen, und wollte mich nicht nach Deutschland holen, weil er ja eigentlich so schnell wie möglich in die Heimat zurückgehen wollte. Aber meine Mutter nahm irgendwann ihre Kraft zusammen und sagte ihm: »Entweder ich hole sie zu uns. Oder ich gehe zu ihr. Und komme nicht mehr wieder.«

Na ja, und das war natürlich keine Option! So kam also auch ich als sehr kleines Mädchen nach Deutschland. In ein kleines hessisches Örtchen mit dem ziemlich heiteren Namen Liederbach. Mit Fachwerkhäusern und aufgeräumten Gehwegen, einem Supermarkt, der Bon Markt hieß, dem Kiosk an der Ecke, dessen Besitzer Alwin in späteren Jahren – na ja, wenn ich genug Pfennige zusammen hatte – mein Süßigkeitendealer wurde, mit den Pferden von Moni und mit Berta, der alten Nachbarin, die meine deutsche Großmutter wurde, weil mir meine kroatische sehr, sehr fehlte. Berta hatte zwanzig Hühner, und ich durfte die Eier wiegen. Die ganz dicken kosteten 30 Pfennige und die ganz leichten 26. Mein Lieblingshuhn hieß Lieschen.

Lieschen und ich, wir waren SO (ich verkreuze jetzt den Zeige- und Mittelfinger, aber das können Sie ja nicht sehen). Lieschen stolzierte im Hühnerstall herum wie eine sehr vornehme Prinzessin, und ich war mir sicher, dass sie eine ebensolche verzauberte war.

Im Bon Markt gab es sooo viele verschiedene Sorten Marmelade. Von zu Hause kannte ich nur Hagebuttenmarmelade aus Eimern und das selbst gebackene Steinofenbrot meiner Tanten. Ich kam aus dem Schoße einer kroatischen Großfamilie, in der die Kinder alle in einem großen Zimmer mit zusammengeschobenen Betten schliefen und den ganzen Tag barfuß durch die Felder wanderten. Ich kam in eine Welt, in der es von allem mehr gab, als ich zählen konnte, und Einzelbetten für Kinder. Einzelbetten! Eiskalte, viel zu große Einzelbetten, in denen kein Cousinenfuß den meinen berührte. Ich fühlte mich wie ein Küken, das von den anderen Küken getrennt worden war.

Von da an gab es nur noch meine Mutter, meinen Vater und mich. Und jeder musste Schuhe tragen. Sogar im Sommer!

Und ich, ich musste irgendwann in einen Kinderstall gehen. Aber ich wollte viel lieber weiterhin barfuß durch die Gegend spazieren und die Vögelchen beobachten. Und bis dahin war ich mir eigentlich sicher gewesen, dass außer mir keine anderen Kinder in Deutschland lebten. Da waren aber seeehr viele Kinder. Nur verstand mich davon keines. Es war alles sehr, sehr schrecklich. In Deutschland war alles sooooo viel größer und gleichzeitig sooooooo viel kleiner. Und als ich Jahre später das erste Mal Alice im Wunderland las, war ich mir sicher, dass sie auch ein Gastarbeiterkind aus Svib ist. Und ich womöglich sogar mit ihr verwandt bin.

Meine Mutter war sehr beliebt in Liederbach, sie war fleißig und freundlich, aber auch immer ein bisschen frech. Das mochten die Menschen dort. Ich erinnere mich, dass meine Mutter, mit Rollschuhen an den Füßen, mich in einem Puppenwagen durchs Dorf schob; beides hatte sie auf dem Sperrmüll gefunden, und da ich so ein Winzling war, ist der Puppen­wagen auch nie eingekracht. Immer wenn ich heute sehe, wie eine Mutter auf Rollerblades ihr Kind im Designerkinderwagen vor sich her schiebt, denke ich an meine Mutter. Irgendwie war sie ihrer Zeit immer einen Schritt voraus. Sie hat sich nichts sagen lassen, von niemandem, und einen Teufel drauf gegeben, was die Leute von ihr halten könnten. Er war ihr schnuppe.

Is mia doch ma egaaaal

und

Interessiert misch ma ibbehaupt nisch,

mit diesen beiden Sätzen bin ich aufgewachsen. Und irgendwann hatte ich mich daran gewöhnt, meine Cousinen und Cousins, Tanten und Onkel und meine Großeltern nur noch einmal im Jahr zu sehen. Und nach einer gewissen Zeit tat’s auch nicht mehr weh und ich begann, Deutschland ziemlich zu mögen.

Zwischen der jungen Frau in Rollschuhen vom Sperrmüll und der Frau, die meine Mutter heute ist, liegen 35 Jahre. Meine Eltern sind in Deutschland geblieben und pünktlich zur Einschulung hatte ich eine Schwester in meiner Schultüte. Meine Mutter und mein Vater haben zwar Deutsch gelernt, aber sie sprechen es mit kroatischem Akzent und sie haben eigene Satzstellungen entwickelt. Aber das machen eigentlich alle Kroaten so. Besonders meine Mutter. Und wenn wir uns miteinander unterhalten, dann springen meine Eltern innerhalb eines Satzes vom Deutschen ins Kroatische und beenden den Satz dann gerne auf Kroateutsch. Kroateutsch ist, wenn man deutschen Verben kroatische Endungen gibt. Zum Beispiel staubsaugen. Auf Kroateutsch heißt das dann staubsaugeniti.

Ich hab mich in der Schule dann als ziemliche Streberin entpuppt. Es blieb mir auch nichts anderes übrig, ich sah wirklich sonderbar aus. Meine Haare waren schepp und schief geschnitten, weil meine Mutter Marija der Meinung war, wir bräuchten keinen Friseur, sie könne das auch. Konnte sie aber nicht, ich sah vier lange Grundschuljahre aus, als hätte ich einen Helm auf. Außerdem hatte ich eine Zahnlücke. Und die war so groß, dass da gemütlich der Güterwaggon einer Spielzeugeisenbahn hätte rein- und rausfahren können.

Und dann war da noch die Krankenkassenbrille. Zur Einschulung hatte ich eine sehr schöne Brille bekommen. Eine knall­rote, auf die ich ziemlich stolz war. Leider habe ich die gleich am Anfang meiner Karriere als Streberin auf dem Schulweg verloren. Meinen Eltern war es unbegreiflich, wie ich DAS geschafft hatte. Mir auch. Ich hatte keinen blassen Schimmer. Weil die Brille aber nicht das Einzige war, was ich auf mysteriöse Weise verlor, haben meine Eltern mir lieber keine teure Brille mehr, sondern das Krankenkassengestell gekauft. Zusammen mit dem Helm muss das ziemlich erheiternd ausgesehen haben, denn die Menschen grinsten immer, wenn sie mich sahen. Und ich habe jedes Mal genauso heiter mit »Guten Taaaag, wie geht es Ihnen heute so?« zurückgegrüßt und war irgendwann sehr sicher, dass Deutschland der freundlichste Flecken der Erde sein muss.

Meine Eltern fanden gut, dass ich eine Streberin war. In Deutsch war ich besser als die deutschen Kinder, und darauf war meine Mutter ganz besonders stolz. Ich konnte es kaum ertragen, wenn ich eine Eins Minus anstatt einer glatten Eins bekam. Meine Mutter war sich sicher, dass ich Anwältin werden würde. Aber ich wäre als Anwältin eine Katastrophe gewesen, mit Sicherheit wäre ich schon nach dem ersten verlorenen Prozess wegen tätlichen Angriffs verhaftet worden. Ich bin eine schrecklich schlechte Verliererin.

Ich habe nach meinem Abitur angefangen, Literaturwissenschaften zu studieren, und meine Mutter hat bis heute nicht verkraftet, dass ich nie zu Ende studiert habe, sondern eine ordinäre Schauspielerin geworden bin:

Schräkklisch! Was ist das ma fia Beruuuuf??

Meine Akademikerkarriere hat sie zwar mittlerweile schweren Herzens begraben, aber sie bringt mir in regelmäßigen Abständen ausgeschnittene Stellenanzeigen mit, auf denen so Sachen stehen wie Kassiererin gesucht – Lidl macht’s möglich und sagt dann, sie und Papa würden auch nicht ewig leben.

Wenn sie mal einen guten Tag hat, weil gerade ein Film mit mir im Fernsehen lief, in dem ich länger als zwei Minuten zu sehen war und sie damit überall angeben kann, dann sagt sie:

A, bist du einfach ma zuuuu gut fia diese Welt!

Das sagt sie immer, wenn sie mir mitteilen möchte, dass ich doch nicht alles soooo falschrum gemacht habe im Leben, sondern einfach nur zu guuuuut bin. Die Logik dahinter habe ich zwar bis heute nicht verstanden, aber es ist ein Liebes­beweis. Also, auf ihre Art. Manchmal will sie mir mit

A, bist du einfach ma zuuuu gut fia diese Welt

aber auch mitteilen, dass sie wirklich nicht versteht, wie man immer wieder auf die gleichen Sachen reinfallen kann. Dass sie für zwei so unterschiedliche Gefühlsausdrücke den gleichen Satz verwendet und das eigentlich gar keinen Sinn ergibt, das machen alle kroatischen Mütter so, die ich kenne.

Wir Kroaten pfeifen eh auf Logik.

Meine Mutter Marija ist der Boss bei uns zu Hause. Mein Vater Pere tut zwar immer so, als sei er es. Aber er ist es nicht. Wir wissen es, er weiß es, und er weiß auch, dass wir es wissen. Meine Mutter ist der Boss und es herrscht das absolute Matriarchat. Auf dem ganzen Balkan herrscht das absolute Matriarchat. Alle kroatischen Gastarbeiterfrauen, die nach Deutschland gekommen sind, haben zwei wichtige Dinge mitgebracht: Čevapčići und das Matriarchat. Männer haben prinzipiell erst mal nix zu melden. Denn wir Balkanfrauen wissen (ich weiß das mittlerweile auch), dass alles, was einen Penis hat, tendenziell unter Beobachtung gestellt werden muss.

Meine Mutter sieht aus wie eine Hummel. Eine sehr schöne Hummel. Sie findet sich superschlank. Und es ist ihr schnuppe, wie andere das sehen. Die Hauptsache ist, dass sie das so sieht.

Mein Vater sieht aus wie eine Mischung aus Rocky Balboa und Louis de Funès. Er ist ein bisschen kleiner als sie. Aber darüber redet keiner. Wir erwähnen es nicht. So wie wir alles nicht erwähnen, was man nicht ändern kann. Den Zweiten Weltkrieg zum Beispiel und die kroatische Liebäugelei mit den Deutschen. Sie wissen schon. Reden wir einfach nicht mehr darüber!

Seit ein paar Jahren tut mein Vater so, als sei er Autist. Aber er kommuniziert viel. Und zwar mit sich selbst. Um seinen Zustand zu unterstreichen, hat er sich kabellose Kopfhörer für den Fernseher gekauft, die er den ganzen Tag trägt. Er möchte damit signalisieren, dass er nur im äußersten Notfall angesprochen werden möchte. Das gilt vor allem für meine Mutter. Sie hält sich natürlich überhaupt nicht daran.

Mein Vater ist inzwischen in Rente. Meine Mutter sagt, er sei nun der Innen- und Finanzminister unserer Familie. Und sie sei Marija Merkel. Er dürfe jetzt das Geld verwalten, das sie ihm gebe. Das sei ja wohl eine sehr hohe Position und vollkommen ausreichend. Sie findet Frauen an der Spitze der Versorgungskette geeigneter. Männer würden letztendlich ja doch alles versauen. Und daher mache es doch wirklich überhaupt keinen Sinn, ihnen die Herrschaft zu überlassen. Meine Mutter ist quasi der Inbegriff der Emanzipation. Allerdings versteht sie nicht, warum gerade in diesem sehr weiblichen Wort ein MANN drinstecken muss:

Warum heißt das ibbehaupt ma Emannzipation? Isch bin doch ma keine Mann, bin isch ma ein Frau, soll ma heißen Efrauzipation.

Ich habe mal versucht, ihr zu erklären, dass der »man« in Emanzipation nicht Mann, sondern was anderes bedeutet; daraufhin hat sie gesagt:

Was is da jetz ma fia Quatsch? Was soll de ma sonst sein als eine Mann, wenn de ma ein Mann ist? Obwohl! Bei de Menne heute weiß ma auch nisch me so genau was die ma sind!

Mein Vater hat früher als Automechaniker und Schlosser gearbeitet. Wir sind uns aber sicher, dass er viel lieber Künstler geworden wäre. Er hat die schönsten Kerzenständer geschweißt, die ich jemals gesehen habe. Mit Rosenmotiven und sehr kompliziert aussehenden Verzierungen. Wenn er in seiner Werkstadt verschwunden war und mit niemandem reden musste, war er bestimmt sehr, sehr glücklich. Dafür ist ihm bei seiner richtigen Arbeit die Motorhaube oft auf die Nase gefallen. Irgend­wann ist klar geworden: Was das angeht, habe ich viel von meinem Vater.

Meine Mutter hat angefangen, als Küchenhilfe und Putzfrau zu arbeiten, als sie mit meinem Vater nach Deutschland kam, aber sie sagte immer:

Isch bin ma ein Putzfrau. Na und? Geh isch ma putzen in HOHE Schuhe!

Sie hat sich von äußeren Umständen nie davon abbringen lassen, sich trotzdem wie eine Königin zu fühlen. Mit fünfzig hat sie beschlossen, Altenpflegerin zu werden. Und obwohl sie ziemlich streng ist, lieben die alten Damen und Herren meine Mutter sehr und machen alle, was sie will. Ausreden lässt meiner Mutter nicht durchgehen! Auch nicht, wenn man 95 ist. Eigentlich war sie überall, wo sie gearbeitet hat, sehr beliebt. Und das, obwohl sie sich vor allem immer zuerst mit den Chefs angelegt hat. Also, wenn sie etwas an ihnen auszusetzen hatte. Die mochten meine Mutter immer am meisten. Da sieht man es, Unterwürfigkeit bringt Frauen nicht weiter.

Und da ist eine Sache, die meine Eltern immer schon verbunden hat: ihr ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit. Es hat beide nie gejuckt, ob sie gerade den Bürgermeister von Liederbach oder den Prinzen von Zamunda vor sich hatten. War denen egal. Was gesagt werden muss, muss gesagt werden. Den ausgeprägten Gerechtigkeitssinn haben meine Schwester und ich beide – genauso ausgeprägt – von unseren Eltern geerbt.

Meine Schwester ist sieben Jahre jünger als ich. Sie ist wirklich sehr hübsch. Sie sieht nicht aus wie eine Hummel. Aber obwohl sie sehr hübsch ist, sieht sie immer ein bisschen aus wie Fräulein Rottenmeier aus Heidi. Wenn meine Mutter früher mit uns spazieren ging und fremde Menschen sie verzückt auf ihre Kinder ansprachen, sagte sie immer:

Die Große is ma bischen kommisch, aber die Kleine fasse Sie ma besse nisch an.

Mit »bischen kommisch« meinte sie den Helm und die Brille und mit »fasse Sie ma besser nisch an« meinte sie, dass meine Schwester jedem, der ihr ungefragt über die Wange streichelte, erst mal ordentlich eine verpasste.

Meine Schwester hat, sobald sie physisch dazu in der Lage war, angefangen, große Flaschen mit Pfennigstücken zu füllen, um sie wieder zu leeren, die Pfennige in kleine Häufchen zu stapeln und sie zu zählen. Immer, wenn meine Eltern Besuch bekamen – und sie bekamen oft Besuch –, servierte meine Schwester Kaffee und verlangte dann eine angemessene Vergütung für ihre Leistungen. Außerdem sei es verboten, dass Kinder arbeiten, deswegen koste es Aufschlag. Anstelle von Süßigkeitenmitbringseln wollte sie auch lieber Bares haben. Hat natürlich jeder gemacht. Ruckzuck war sie mit vier vermögender, als ich es in meiner Kinderzeit je geschafft habe. Heute ist meine Schwester Chefin eines gut laufenden kleinen Unternehmens und kommandiert ihre Angestellten rum. Sie hat viel von meiner Mutter. Die Menschen machen einfach immer, was sie möchte. Und erstaunlicherweise tun sie das sogar sehr gerne.

Ich war lange Zeit das schwarze Schaf unserer Familie. Ich habe mich nie getraut, auch nach Barem anstelle von Süßigkeiten zu fragen. Deswegen hatte ich immer einen Stapel Kinderschokolade im Zimmer und mit elf das erste Loch im Zahn. Kaffee servieren durfte ich irgendwann auch nicht mehr, ich kam meistens nicht heil von der Küche ins Wohnzimmer. Im Laufe meines Lebens habe ich mir so ziemlich jeden Knochen mindestens einmal gebrochen.

Pünktlich zum ersten Loch im Zahn war ich auch das erste Mal pleite. Ich hatte mein Kommunionsgeld meinem Klassenkameraden Ahmed Abdullah geliehen. Der hatte eine schrecklich kranke Mutter zu Hause und kein Geld für Medizin. Er weinte so bitterlich auf dem Schulhof, dass ich zu Hause meine Kasse plünderte, um ihm das Geld für seine arme Mutter zu leihen.

Den Rest der Geschichte können Sie sich denken, oder? Seine Mutter war putzmunter. Und genau die hat Ahmed Abdullah zusammen mit seinen Brüdern zurück nach Marokko geschickt.

Natürlich habe ich aus dieser Erfahrung nichts gelernt fürs Leben. Es haben noch ein paar weitere Ahmed Abdullahs meinen Weg gesäumt. Aber das ist ja jetzt ein für alle Mal vorbei.

Bevor ich happy wurde

Was hab isch ma nua ge-boooo-ren?!

und

Bist du ma zuuuu gut fia diese Welt!

und

Wann westu ma ENDLISCH ewachse?

sind die drei Sätze meiner Mutter, die mich mein Leben lang genauso begleitet haben wie die Macke, einfach NIE davon auszugehen, jemand würde vorsätzlich was Böses im Schilde führen. Und immer, wenn es doch geschehen ist, bin ich vor Mitleid fast übergelaufen. Denn wie schrecklich muss es sein, schreckliche Sachen machen zu müssen.

Meine Mutter sagt, das sei keine Macke, das sei stinknormale Naivität. Deswegen hat sie jahrelang versucht, mir zu verklickern, dass an erster Stelle niemand Geringeres als ICH SELBST kommt und DANN lange nichts (Kinder zählen natürlich zu ICH SELBST) und dann erst die anderen. Die Reihenfolge sei bei denen dann egal.

Warum bist du ma so doof? Wenn du imma ma zuest de andere zu esse gebst und die esse dann ma alles auf, ja ibbeleg ma, was dann passiert? Vehungest du!

Aber erst nachdem ich mit Mitte dreißig in der untersten Etage angekommen war und es wirklich kein Entkommen mehr gab, habe ich es kapiert: ICH bin die Nummer Eins. Und zu einer Nummer Eins ist man nur eins: GUT! Verdammt gut! Und ich möchte auf keinen, gar keinsten Fall verhungern!

Hätte ich mir das früher klargemacht, hätte ich mir vielleicht einiges ersparen können.

Ich habe mich nämlich seeeehr lange aufgerubbelt wie ein alter Radiergummi. Mich aufgeopfert ohne Sinn und Nutzen. Mein Weg war gesäumt mit energiesaugenden Menschen, die viel nahmen und wenig zurückgaben, er bescherte mir einen fast zehn Jahre andauernden Rosenkrieg mit meinen Ex-Ehemann, bei dem es um Scheidung und Sorgerecht ging und der alles Geld, das ich verdient habe, geschluckt hat wie ein Müllschlucker. Der Weg brachte mir eine neue Beziehung, die lange Jahre eine große schöne Liebe war. So richtig schön. Ich dachte, das ist es jetzt. Forever and a day. Wie in einem Nicholas-Sparks-Film.

Na ja, diese große Liebe war dann praktisch über Nacht beendet.

Ich hab das natürlich überhaupt nicht kapiert, geschweige denn verkraftet. Und da ich plötzlich schon wieder alleine war, das Haus dieses Mal aber größer und alles teurer war, ich mein gesamtes Geld aber in den Rosenkrieg gesteckt hatte, das Haus und das Leben trotzdem nicht aufgeben wollte, weil ich FEST davon überzeugt war, dass doch eine so große Liebe nicht einfach so vorbei sein kann und er wiederkommen MUSS und auch wird und ich meinem Kind das Zuhause auf keinen Fall nehmen werde, habe ich Kredite aufgenommen.

Die ich nicht zurückzahlen konnte.

Meine Mutter hat in dieser Zeit wie vor einer Glaswand gestanden, dahinter war ich, und sie hat schrecklich darunter gelitten, dass sie ihr Kind nicht mehr erreichen konnte und zusehen musste, wie es langsam ertrinkt. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Denn ich habe mein mehrfach gebrochenes Herz und meinen Lebensscherbenhaufen irgendwann nicht mehr ausgehalten und viele Monate lang viel mehr getrunken, als ich vertragen habe. Um mich zu vergessen, mich und meine falschen Entscheidungen, mich und meine unglaubliche Naivität, mich und mein unordentliches Leben, mich, die ich mich plötzlich so geschämt habe. Weil ich nichts von der heilen Welt der Menschen um mich herum hatte. Um meine Wut zu unterdrücken, darauf, dass ich intuitiv doch eigentlich immer gewusst hatte, was richtig und was falsch war, und trotzdem mit voller Wucht in die entgegengesetzte Richtung gelaufen war und nun auf der Quittung saß.

Die Spirale hat sich sehr schnell nach unten bewegt. Und als ich das Haus wirklich nicht mehr halten konnte, hat es nicht mal ein Jahr gedauert, bis ich den großen Touchdown hingelegt habe: Führerschein weg.

An diesem Tag hat meine Mutter ihre ganze Mutterkraft zusammengenommen und hat es geschafft, die Glaswand kurz und klein zu hauen.

Jetzt ist ma Schluss! Seh isch nisch mehr zu, wie du disch kaputt machst. Wege eine MANN? De kommt ma nisch zurick! Und musst du das jetzt in deine Kopf bekommen! Egal wie!

Sie nahm die Zügel in die Hand, Schluss mit lustig. Ich kam für mehrere Wochen in eine Klinik. Nicht wegen des Alkohols. Der war nur die Spitze des Eisbergs. Der Arzt in der Klinik sagte, ich sei innerlich ausgebrannt. Und so fühlte ich mich auch. So und sehr, sehr traurig. Die vielen anstrengenden Jahre hatten tiefe Spuren in mir hinterlassen, und erst als der Führerschein weg war und meine Mutter die Glaswand zerhauen hatte, konnte ich aufhören, mir, meiner Familie und meinen Freunden weiterhin etwas vorzumachen. Sie hatten es ohnehin alle schon gesehen und gewusst und bis zu diesem Zeitpunkt einfach keine Chance, zu mir durchzudringen.

In der Klinik brach der Damm der Tränen und ich heulte, heulte und heulte. Tagelang, nächtelang. Es schien, als würden alle Tränen, die ich die letzten Jahre runtergeschluckt hatte, aus mir rausplatzen. Wie ein Rohrbruch fühlte ich mich, und mir wurde klar, dass ich einen U-Turn einlegen und die Richtung wechseln musste. Dass ich von Grund auf neu anfangen wollte. Und zum ersten Mal nach all den schlimmen Monaten kam ein kleiner, erst mal sehr zaghafter Gedanke in mein Herz, und ich ließ ihn da auch bleiben. Und der war: »Du kannst es schaffen, Mimi, gib jetzt nicht auf!«

Zwischen der Klinik und heute liegen fünf Jahre. Ende 2015 werde ich keine Verbindlichkeiten mehr haben. Dann kann ich meine Vergangenheit dort lassen, wo sie hingehört. Ich habe mein Leben von Grund auf entrümpelt und aufgeräumt. Zum Beispiel den Alkohol, die Zigaretten und auch die schlechte Ernährung habe ich entsorgt. Ich höre jetzt auf meinen Bauch UND auf meine Mutter und lasse nur noch Menschen in mein Leben, die mir gut tun und denen ich gut tun kann. Ich habe mir für alles verziehen und die, denen ich weh­getan habe, um Verzeihung gebeten. Selbst der Rosenkrieg mit meinem Ex-Mann ist endlich vorbei. Wir haben uns wie zwei müde Krieger die Hände gereicht und eingesehen, dass es in so einem Krieg nur Verlierer geben kann.

Früher habe ich mich im Spiegel angeschaut und fand die unglückliche graue und ungesunde Mimi schrecklich deprimierend.

Heute schaue ich mich im Spiegel an und freue mich, mich zu sehen. Ich kann heute sagen, ich liebe mich. So wie ich bin. Ich bin unperfekt perfekt. Und das ist auch gut so. Oder wie meine Mutter sagen würde:

Isch liebe misch. Isch liebe liiiiebe liiiiiiiiiiebe misch.

Das tue ich wirklich. Und ich habe akzeptiert, dass ich vielleicht wirklich ein kleines bisschen merkwürdiger bin als die anderen Kinder. Denn Macken habe ich natürlich immer noch genug. Die gehen ja nicht so mir nichts, dir nichts weg, nur weil man sein Leben ändert.

Ich bin zum Beispiel eine schreckliche Multitaskingniete. Eigentlich bräuchte ich jemanden, der mich ständig an alles erinnert. Na ja gut. Das habe ich ja eigentlich. Meine Agentin tut das. Ich kann unmöglich zwei Dinge gleichzeitig tun. Das fängt bei alltäglichen Dingen an. Einparken, wenn das Radio läuft. Zuhören und Abspülen. Lesen und essen. Noch schlimmer ist es für mich, essen zu müssen, wenn im Hintergrund Musik läuft. Wenn im Hintergrund Musik läuft, ich unter Menschen bin und essen muss, bin ich verloren. Dann schaltet mein Gehirn automatisch ab. Aber ich kann ja im Restaurant unmöglich verlangen, man möge bitte die Musik ausschalten und den Gästen sagen, sie sollen möglichst nicht alle gleichzeitig sprechen. Mein Gehirn schaltet auch dann automatisch ab, wenn ich keine Nahrung bekomme, aber welche brauche. Ich habe Hunger,