Briefe aus dem Gefängnis - Nelson Mandela - E-Book

Briefe aus dem Gefängnis E-Book

Nelson Mandela

0,0
10,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

"Eine neue Welt wird nicht von denen geschaffen, die tatenlos beiseitestehen, sondern von denen, die sich in die Arena begeben, deren Kleider vom Sturmwind zerfetzt sind und deren Leiber im Kampf bleibende Spuren davontragen."
Nelson Mandela

1962, auf dem Höhepunkt einer brutalen Kampagne des südafrikanischen Apartheidregimes gegen die politische Opposition, wurde der vierundvierzigjährige Anwalt und Aktivist des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) Nelson Mandela verhaftet. Er ahnte nicht, dass er die folgenden siebenundzwanzig Jahre im Gefängnis verbringen würde. Im Laufe seiner 10 052 Tage in Haft schrieb der künftige Führer Südafrikas eine Vielzahl von Briefen an sture Gefängnisbehörden, an Mitstreiter, Regierungsfunktionäre und insbesondere an seine Frau Winnie und seine fünf Kinder.
Nun erlauben uns mehr als 250 ausgewählte Briefe, die meisten davon bislang unveröffentlicht, einen höchst unmittelbaren Blick auf diesen außergewöhnlichen Menschen. Ob er über den Tod seines Sohnes Thembi schreibt, ob er seine ebenfalls inhaftierte Frau unterstützt oder eine bis heute aktuelle Philosophie der Menschenrechte entwirft - aus den "Briefen aus dem Gefängnis" spricht ein Mann, den keine Macht auf Erden zu beugen vermochte. Heute wird Nelson Mandela als einer der inspirierendsten Menschen des 20. Jahrhunderts verehrt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Nelson Mandela

Briefe aus dem Gefängnis

Herausgegeben von Sahm VenterMit einem Vorwort von Zamaswazi Dlamini-Mandela

Aus dem Englischen übersetzt von Anna Leube und Wolf Heinrich Leube

C.H.Beck

Zum Buch

«Eine neue Welt wird nicht von denen geschaffen, die tatenlos beiseitestehen, sondern von denen, die sich in die Arena begeben, deren Kleider vom Sturmwind zerfetzt sind und deren Leiber im Kampf bleibende Spuren davontragen.»

Nelson Mandela

«Mandelas Worte geben uns einen Kompass in einem Meer des Wandels, festen Boden inmitten wirbelnder Strömungen.»

Barack Obama

1962, auf dem Höhepunkt einer brutalen Kampagne des südafrikanischen Apartheidregimes gegen die politische Opposition, wurde der vierundvierzigjährige Anwalt und Aktivist des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) Nelson Mandela verhaftet. Er ahnte nicht, dass er die folgenden siebenundzwanzig Jahre im Gefängnis verbringen würde. Im Laufe seiner 10.052 Tage in Haft schrieb der künftige Führer Südafrikas eine Vielzahl von Briefen an sture Gefängnisbehörden, an Mitstreiter, Regierungsfunktionäre und insbesondere an seine Frau Winnie und seine fünf Kinder.

Nun erlauben uns mehr als 250 ausgewählte Briefe, die meisten davon bislang unveröffentlicht, einen höchst unmittelbaren Blick auf diesen außergewöhnlichen Menschen. Ob er über den Tod seines Sohnes Thembi schreibt, ob er seine ebenfalls inhaftierte Frau unterstützt oder eine bis heute aktuelle Philosophie der Menschenrechte entwirft – aus den «Briefen aus dem Gefängnis» spricht ein Mann, den keine Macht auf Erden zu beugen vermochte. Heute wird Nelson Mandela als einer der inspirierendsten Menschen des 20. Jahrhunderts verehrt.

Über den Autor

Nelson Mandela (1918–2013) war ein südafrikanischer Anti-Apartheid-Revolutionär, Freiheitsheld und Politiker. Von 1994 bis 1999 war er der erste demokratisch gewählte Präsident Südafrikas, 1993 erhielt er den Friedensnobelpreis.

Die Herausgeberin Sahm Venter ist Senior Researcher bei der Nelson Mandela Foundation.

Zamaswazi Dlamini-Mandela ist die Enkelin von Nelson Mandela und Winnie Madikizela-Mandela und als Unternehmerin tätig.

Inhalt

Vorwort

Einführung

Anmerkung zu den Briefen

Nelson Mandelas Häftlingsnummern

Zentralgefängnis Pretoria – November 1962 bis Mai 1963

Hochsicherheitsgefängnis Robben Island – Mai 1963 bis Juni 1963

Zurück in Pretoria

Hochsicherheitsgefängnis Robben Island – Juni 1964 bis März 1982

Hochsicherheitsgefängnis Pollsmoor – März 1982 bis August 1988

Tygerberg Hospital & Constantiaberg MediClinic – August bis Dezember 1988

Victor-Verster-Gefängnis – Dezember 1988 bis Februar 1990

Anhang

ANHANG A Personen, Orte, Ereignisse

Anhang B Gefängnischronik

Anhang C Karte von Südafrika

Anmerkungen

Briefe und Sammlungen

Danksagung

Abdruckgenehmigungen und Bildnachweise

Personenregister

Fußnoten

Mandela auf dem Dach von Kholvad House, Johannesburg (1953). Dort wohnten Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre Ismail Meer und Ahmed Kathrada. Das Haus wurde zu einem informellen Treffpunkt der Antiapartheidaktivisten.

Kontaktabzug von Aufnahmen von Winnie und Nelson Mandela am Tag ihrer Hochzeit im Juni 1958.

Mandelas Zelle auf Robben Island, heute in ihren alten Zustand versetzt im Robben Island Museum. Wenn Mandela sich hinlegte, stieß er mit dem Kopf an der einen, mit den Füßen fast an der anderen Wand an.

Diese Aufnahme von Mandelas Zelle auf Robben Island stammt aus dem Jahr 1977, als die Apartheidregierung für die Medien einen Besuch auf der Insel inszenierte, um vorzuführen, wie ‹gut› die politischen Gefangenen behandelt würden. Im Lauf der Jahre kämpften die Gefangenen um bessere Haftbedingungen, und ab 1977 durfte Mandela Bücher besitzen, die er für sein Studium benötigte.

Brief Mandelas an den Commanding Officer auf Robben Island mit dem Antrag auf die Genehmigung, von seinem Mithäftling Ahmed Kathrada Geld zu leihen, damit er die Kosten für die Anmeldung zum Examen begleichen konnte. In anderer Schrift heißt es am Briefende: «Habe keinen Einwand gegen die Überweisung von 16.00 Rd, bin jedoch nicht bereit, zuzulassen, dass Häftlinge sich untereinander Geld leihen» (vgl.S. 47).

Zwei Seiten eines Briefs vom 23. Juni 1969 an seine Töchter Zindzi und Zenani, nachdem Mandela von Winnies Verhaftung erfahren hatte (vgl. die Seiten 129 ff.).

Im April 1977 lud die Regierung südafrikanische Journalisten auf Robben Island ein, um Gerüchten über die brutale Behandlung der Gefangenen entgegenzutreten. Von Mandela und seinen Mithäftlingen wurden Aufnahmen gemacht als Teil eines für die Medien arrangierten Spektakels.

Eine Seite des von den Häftlingen verfassten Briefs an den Gefängnisdirektor, in dem sie sich über den Besuch von Journalisten im Jahr 1977 und die Missachtung ihrer Rechte beschweren. Man beachte die Randbemerkungen: «Quatsch» und «Wie die anderen Gefangenen auch» (vgl. die Seiten 431 f.).

Häftlinge auf Robben Island mussten im Gefängnishof aufgereiht sitzen und mit dem Hammer Steine zerkleinern.

Mitglieder des von Justizminister Kobie Coetsee eingesetzten Teams, das mit Mandela im Gefängnis Gespräche führen sollte. Von links nach rechts: General Willemse, Commissioner of Prisons; Mandela; Dr. Niël Barnard, Chef des Geheimdienstes; Kobie Coetsee und Fanie van der Merwe, Generaldirektor der Justiz.

Vorwort

Als ich zur Welt kam, war mein Großvater schon seit siebzehn Jahren im Gefängnis. In einem Brief, den er kurz nach seinem 62. Geburtstag an meine Großmutter Winnie Madikizela-Mandela schrieb, führt er alle Personen auf, von denen er Telegramme und Postkarten erhielt, darunter auch meine Tante Zindzi, meine Schwester Zaziwe und mich, sowie die Leute, von denen er hofft, Nachrichten zu bekommen. «Von denen, die mir die vielen Freunde von überall auf der Welt geschickt haben, kam noch keine einzige bei mir an», scherzt er. «Dennoch ist es tröstlich zu wissen, dass so viele Freunde nach all den Jahren immer noch an einen denken.» Dies ist eines der vielen Beispiele in diesem Buch, die verdeutlichen, wie sehr ihm die Verbindung zur Außenwelt die ganzen siebenundzwanzig Jahre seiner Gefangenschaft hindurch Mut machte und wie sehr er sich nach diesen Briefen sehnte.

In dieser Zeit schrieb mein Großvater Hunderte von Briefen. Die Auswahl, die in diesem Buch versammelt ist, macht den Leser nicht nur mit Nelson Mandela als politisch Handelndem und Gefangenem, sondern auch als Anwalt, Vater, Ehemann, Onkel und Freund vertraut. Sie veranschaulicht, wie sehr seine schier endlose Gefangenschaft in der Abgeschiedenheit vom Alltagsleben ihn daran hinderte, diese unterschiedlichen Rollen zu erfüllen. Sie bringt uns zurück in eine dunkle Zeit der Geschichte Südafrikas, in der gefangene Gegner des Apartheidregimes, das ein ganzes Volk unterdrückte, entsetzliche Strafen erduldeten. In seinen Briefen belegt er die permanente Verfolgung meiner Großmutter und gewährt Einblick in die Situation, in der sich seine Kinder Thembi, Makgatho, Makaziwe, Zenani und Zindzi befunden haben mussten: Ihr Vater war abwesend, sie konnten kaum mit ihm kommunizieren, und – das fand ich besonders unerträglich – sie durften ihn erst besuchen, als sie sechzehn Jahre alt waren. So sehr er sich auch vom Gefängnis aus um ihre Erziehung bemühte, es war ihm unmöglich.

Als Mutter bewegte es mich besonders, durch die Briefe meines Großvaters mitzuerleben, was meine Mutter und meine Tante Zindzi als Kinder durchmachten. Oft waren sie praktisch verwaist, in den Zeiten, als meine Mutter ebenfalls im Gefängnis war, teils, weil sie sich am Kampf gegen die Apartheid beteiligte, doch oft auch nur, weil sie die Frau eines der bekanntesten politischen Gefangenen Südafrikas war.

Herzzerreißend ist der wehmütige Optimismus, der aus vielen Briefen an meine Großmutter und seine Kinder spricht, in denen er andeutet, dass sie vielleicht eines Tages dies oder jenes tun werden. Dieses «Sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage» erfüllte sich für meinen Großvater, meine Mom, meine Onkel und Tanten nie. Am meisten hatten die Kinder zu leiden, und letzten Endes waren die Folgen des Verzichts auf ein geordnetes Familienleben zugunsten seiner politischen Ideale ein Opfer, mit dem sich mein Großvater abfinden musste.

Immer wieder ermahnte uns unsere Großmutter, wir sollten niemals unsere Vergangenheit und unsere Herkunft vergessen. Die demokratische Gesellschaft, für die mein Großvater und seine Mitstreiter kämpften, wurde erst nach vielem Leid und dem Verlust vieler Menschenleben errungen. Diese Briefe erinnern uns daran, dass die Zeit des Hassens noch gar nicht so lange vorbei ist, doch sie zeigen auch, dass persönliche Widerstandsfähigkeit selbst unerträgliche Situationen überwinden kann. Vom ersten Tag seiner Haft an beschloss mein Großvater, nicht zu wanken und zu weichen; er bestand darauf, dass man ihn und seine Kameraden mit Würde behandelte. In einem Brief an meine Großmutter im Jahr 1969 empfiehlt er ihr, Mut zu schöpfen mit dem Bestseller von Vincent Peale Die Kraft positiven Denkens. Er schreibt: «Den metaphysischen Aspekten seiner Argumente messe ich keine Bedeutung bei, aber seine Ansichten zu physischen & psychologischen Fragen halte ich für brauchbar. Er geht davon aus, dass nicht so sehr das Gebrechen, an dem man leidet, entscheidend ist, sondern die Einstellung dazu. Wer sagt: Ich werde diese Krankheit besiegen & ein glückliches Leben führen, hat schon halb gewonnen.»

Diese optimistische Einstellung gab meinem Großvater die Kraft, unerschütterlich nach einer Gesellschaft zu streben, in der gleiche Rechte für alle Südafrikaner gewährleistet wären, eine Haltung, die wohl in vielen Herausforderungen des Lebens Anwendung finden kann.

Diese Briefe gaben Antwort auf viele Fragen, die mir rätselhaft erschienen waren: Wie konnte mein Großvater siebenundzwanzig Jahre im Gefängnis überleben? Was ließ ihn so lange durchhalten? In seinen Briefen können wir die Antworten finden.

Zamaswazi Dlamini-Mandela

Einführung

Die Briefe der politischen Gefangenen in Südafrika wurden von kleinlichen Wärtern willkürlich anhand einer Reihe drakonischer Verordnungen mit dem Ziel überwacht, den bedeutsamsten Aspekt ihres Innenlebens zu kontrollieren – den Kontakt mit den ihnen nahestehenden Personen und den Zugang zu Nachrichten von der Außenwelt.[1]

Nach ihrer Verurteilung wurden politische Gefangene meist in das Gefängnis überstellt, in dem sie voraussichtlich ihre Strafe zu verbüßen hatten. Nelson Mandela hingegen kam, nachdem er am 7. November 1962 wegen unerlaubter Ausreise und Anstiftung zum Streik zu fünf Jahren Haft verurteilt worden war, zunächst in das Zentralgefängnis von Pretoria. 1963 wurde er erneut vor Gericht gestellt und wegen Sabotage angeklagt und schließlich am 12. Juni 1964 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Seine Frau Winnie Mandela besuchte ihn an diesem Tag in Pretoria, und wenige Stunden danach wurde er zusammen mit sechs von sieben seiner Kameraden ohne Vorwarnung in einer Militärmaschine von Pretoria in das berüchtigte Gefängnis auf Robben Island verbracht. An einem bitterkalten Wintermorgen kamen sie am 13. Juni 1964 an. Anders als Insassen, die «gewöhnliche» Verbrechen wie Vergewaltigung, Raub oder Überfälle begangen hatten und bei ihrem Haftantritt in eine Gruppe C oder manchmal auch B eingestuft wurden, ordnete man politische Gefangene der Gruppe D zu, der niedrigsten Stufe mit den wenigsten Rechten. Sie durften nur alle sechs Monate einen Besuch empfangen und einen 500 Wörter langen Brief schreiben beziehungsweise bekommen. Ein- und Ausgang der Briefe waren so unberechenbar, dass sich Mandela sechs Jahre nach seiner Inhaftierung auf Robben Island mit seinen Anwälten ins Benehmen setzte und Beispiele «unsinnigen und bösartigen Umgangs der Behörden» auflistete. Er beklagte, dass die Beeinträchtigungen seines Briefverkehrs «auf die bewusste Absicht der Behörden verweisen, mich von allen Kontakten nach außen abzuschneiden und zu isolieren, um mich zu entmutigen und zu demoralisieren, mich in die Verzweiflung zu treiben, mir jegliche Hoffnung zu nehmen und am Ende meine Moral zu brechen».[2]

Später, als die Zensoren es leid waren, die Wörter zu zählen, erlaubten sie anderthalbseitige Briefe.[3] Schreiben an Anwälte und die Gefängnisverwaltung waren von dieser Regelung ausgenommen. Samstag und Sonntag waren für Besuche bestimmt, Briefe wurden samstags ausgehändigt. Die Gefangenen konnten im Tausch gegen zwei eingehende Briefe auf einen Besuch verzichten, Besuche wie auch Briefwechsel hatten anfangs ausschließlich mit «Verwandten ersten Grades» zu erfolgen. Den Gefangenen war es verboten, in ihren Briefen Mitgefangene zu erwähnen sowie über die Haftbedingungen und andere Dinge zu schreiben, die von der Gefängnisleitung als «politisch» ausgelegt werden konnten.[4] Alle ein- und ausgehenden Briefe gingen über das Zensurbüro auf Robben Island.[5] Jahrzehnte später erinnerte sich Mandela:

«Sie wollten nicht, dass man irgendetwas anderes als Familienangelegenheiten besprach, besonders wenn sie der Ansicht waren, es sei etwas Politisches. Und deshalb musste man sich auf rein familiäre Themen beschränken. Dazu kam noch ihre Ignoranz in sprachlicher Hinsicht. Schrieb man ein Wort wie ‹Kampf›, ganz gleich in welchem Zusammenhang, hieß es: ‹Weg damit›, denn sie verstanden die Sprache schlecht. Und Kampf ist Kampf, das konnte nichts anderes bedeuten. Schrieb man ‹Kampf der Ideen›, dann war das etwas, was man nicht sagen durfte.»[6]

In seinem Buch über die fünfzehn Jahre, die er als Häftling im selben Trakt wie Mandela auf Robben Island verbracht hatte, schildert Eddie Daniels die «Frustration» über die willkürliche, inkompetente und «schikanöse» Zensur und das Zurückhalten von Briefen.[7]

Ab 1967 besserte sich die Lage langsam, wohl aufgrund der Intervention von Helen Suzman, einem Mitglied der parlamentarischen Opposition, und des Internationalen Rot-Kreuz-Komitees sowie der Bemühungen der Häftlinge selbst. Nun waren Besuche und Briefe alle drei Monate erlaubt.[8]

Eigentlich sollte ein Gefangener zwei Jahre in einer Kategorie bleiben, das heißt, ein Häftling der Gruppe D sollte nach sechs Jahren in Gruppe A gelangen, die Gruppe mit den meisten Rechten. Mandela blieb jedoch zehn Jahre in Gruppe D. Seinen Briefen, in denen er manchmal seinen Gefangenengrad erwähnt (auch die Häftlinge benutzten diese Einteilung in eine «Gruppe»), entnehmen wir, dass er 1972 der Gruppe B und schließlich 1973 der Gruppe A zugewiesen wurde. Von da an durfte er monatlich sechs Briefe schreiben.[9]

Bevor ein Gefangener höhergestuft wurde, musste seine Führung vom Prison Board bewertet werden, der mit Gefangenen diskutierte, was laut Mandela den Zweck hatte, die politischen Gefangenen zu «provozieren».[10]

Trotz der rigorosen Zensur durch die Gefängnisbürokratie wurde der Gefangene Nelson Mandela zu einem produktiven Briefeschreiber. Von den allermeisten Briefen fertigte er eine Abschrift an und verwahrte sie in einer Kladde mit festem Einband, damit er sie leichter noch einmal schreiben konnte, wenn die Zensoren die Absendung verweigerten, solange er bestimmte Abschnitte nicht entfernte, oder Briefe auf dem Postweg verloren gingen. Auch wollte er festhalten, was er wem geschrieben hatte. Während seiner Gefangenschaft vom 5. August 1962 bis zum 11. Februar 1990 schrieb er Hunderte von Briefen. Doch nicht alle erreichten ihren Adressaten unbeschädigt. Manche wurden von den Zensoren so stark verstümmelt, dass sie nicht mehr zu verstehen waren, andere wurden grundlos eine Zeit lang zurückgehalten, manche erst gar nicht abgeschickt. Einige konnte er mit den Habseligkeiten freigelassener Häftlinge hinausschmuggeln.

Nur selten wurde den Gefangenen mitgeteilt, ob ein Brief nicht abgeschickt wurde, und meistens erfuhren sie es, wenn sich ein Adressat beschwerte, keinen Brief erhalten zu haben. Wir wissen zum Beispiel nicht, ob alle seine Briefe an Adelaide Tambo, die er mit ihren verschiedenen Namen anschrieb, sie je in London erreichten, wo sie mit ihrem Mann im Exil lebte. Oliver Tambo war Präsident des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) und Mandelas früherer Partner in ihrer gemeinsamen Anwaltskanzlei. Vermutlich waren diese Briefe an beide gerichtet. Vom Mithäftling Michael Dingake wissen wir, dass Mandela «das Recht verlangte, sich mit O. R. Tambo brieflich über den Freiheitskampf auszutauschen».[11]

Als Mandela ins Gefängnis kam, war er Vater von fünf Kindern – die beiden Jüngsten durfte er erst sehen, nachdem sie sechzehn Jahre alt geworden waren. Briefe wurden daher ein wesentliches Mittel zur Ausübung seiner Vaterschaft.

Im zwölften Jahr seiner Haft schrieb Mandela einen offiziellen Beschwerdebrief an die Gefängnisverwaltung:

«Manchmal wünschte ich mir, die Wissenschaft könnte Wunder vollbringen und bewirken, dass meine Tochter ihre Geburtstagskarten tatsächlich bekommt und sich freut, zu wissen, dass ihr Papa sie liebt, an sie denkt und sich bemüht, mit ihr Kontakt aufzunehmen, wann immer dies nötig ist. Es ist bezeichnend, dass wiederholte Versuche von ihr, mit mir in Verbindung zu treten, gescheitert und die Fotos, die sie mir geschickt hat, spurlos verschwunden sind.»

Die bewegendsten Briefe sind die Special letters, die «Sonderbriefe», die er zusätzlich zu der erlaubten Quote nach dem Tod seiner geliebten Mutter Nosekeni im Jahr 1968 und dem seines erstgeborenen Sohnes Thembi ein Jahr danach schrieb. Da er an ihrer Bestattung nicht teilnehmen durfte, konnte er seine Kinder und andere Familienmitglieder nur über diese qualvolle Zeit hinweg trösten und sich bei älteren Familienangehörigen dafür bedanken, dass sie ihn vertreten und sichergestellt hatten, dass seine Mutter und sein Sohn eine angemessene Beerdigungsfeier erhielten.

Mandela, der vor seiner Verhaftung Anwalt gewesen war, pflegte auf dem Weg schriftlicher Eingaben auf die zuständigen Behörden Druck auszuüben, damit diese die Menschenrechte einhielten, und mindestens zweimal schrieb er an die Behörden und verlangte seine Freilassung und die seiner Mithäftlinge.

Dingake beschrieb Mandelas Rolle in den frühen sechziger Jahren im Gefängnis angesichts «grauenhafter» Bedingungen als die eines «Rammbocks».[12] Er konnte nicht nur wegen seines Status nicht ignoriert werden, sondern weil er sich «von denen nichts gefallen ließ».[13] Sein beharrlicher Kampf um die Rechte der Gefangenen führte schließlich dazu, dass die Behörden es aufgaben, nur Beschwerden einzelner Häftlinge zuzulassen.[14] Mandela hörte nicht auf, in seinen Briefen an den Commissioner of Prisons «hartnäckig die allgemeinen Haftbedingungen zu schildern», und die übrigen Gefangenen begannen, «bei jeder Gelegenheit» Beschwerden einzureichen. Es war den Bewachern «unmöglich», schreibt Dingake, «alle Beschwerden von über tausend Insassen einzeln» zu registrieren.[15] Die Vorschriften wurden «in der Praxis aufgehoben», und Einzelpersonen oder Gruppen jeder Abteilung durften im Namen aller Häftlinge sprechen.[16]

In seinen Auseinandersetzungen und seinen Briefen an Regierungsbeamte in den späten achtziger Jahren kämpfte Mandela für die Freilassung seiner Kameraden. Beispiele dafür sind die Briefe an den Commissioner of Prisons vom 11. September 1989 (S. 671) und vom 10. Oktober 1989 (S. 683). Schließlich hatten seine Bemühungen Erfolg, als die noch verbliebenen fünf zu lebenslanger Haft verurteilten Mitgefangenen am 15. Oktober 1989 freikamen. (Denis Goldberg kam 1985 frei, Govan Mbeki 1987.) Weniger als vier Monate danach verließ er als freier Mann das Gefängnis.

Nelson Mandela hinterlässt einen umfangreichen Bestand an Briefen, die Zeugnis ablegen von seinen siebenundzwanzig Jahren in Haft, von seinem Zorn, seiner Selbstbeherrschung und der Liebe zu Familie und Heimatland.

Anmerkung zu den Briefen

Nelson Mandelas Briefe befinden sich nicht zentral unter einem Dach, und Auswahl und Zusammenstellung für diesen Band nahmen beinahe zehn Jahre in Anspruch. Die Briefe stammen aus verschiedenen Sammlungen: den im National Archives and Records Service of South Africa aufbewahrten Unterlagen Mandelas aus der Gefängniszeit, der Himan Bernadt Sammlung, den Sammlungen von Meyer de Waal, von Morabo Morojele, von Fatima Meer, Michael Dingake, Amina Cachalia, Peter Wellman und Ray Carter. Andere stammen aus der Donald-Card-Sammlung, benannt nach dem früheren Sicherheitspolizisten, der 2004 die Kladden zurückgab, in denen Mandela die Abschriften seiner Briefe verwahrte. Sowohl die Himan-Bernadt-Sammlung als auch die Donald-Card-Sammlung liegen bei der Nelson Mandela Foundation. Diese Kladden wurden 1971 aus seiner Zelle entwendet, worüber er sich am 4. April 1971 in einem Brief an die Gefängnisleitung beschwerte. Zur Herkunft der einzelnen Briefe siehe Seite 739 ff.

Die allermeisten Briefe werden im National Archives and Records Service of South Africa aufbewahrt. Neben anderen schriftlichen Unterlagen füllen sie gebündelt etwa 59 Pappkartons. Hier liegen die vom Prisons Department registrierten ein- und ausgehenden Briefe. Manche sind dort im Original verblieben, was beweist, dass sie niemals abgeschickt wurden.

Da die meisten dieser Briefe Kopien der Originale sind, hängt ihre Lesbarkeit ab von der Qualität der Fotokopien, dem verwendeten Papier und davon, wie stark die Tinte mit der Zeit verblasst ist. In einigen Briefen fehlen einzelne Wörter, die von den Gefängnisbeamten beim Fotokopieren entfernt oder von der Zensur ausgeschnitten worden waren. In manchen Fällen werden wir nie genau wissen, was Mandela geschrieben hat.

Ein langer, liebevoller Brief an seine Tochter Zindziswa lag immer noch säuberlich gefaltet in seinem weißen Umschlag und wurde erst neunzehn Jahre nach Mandelas Freilassung in den Gefängnisarchiven aufgefunden. Beigelegt war der Vermerk eines Gefängnisbeamten, dass es Mandela nicht gestattet sei, einen Brief zusammen mit einer Weihnachtskarte zu verschicken. Dieser Brief vom 9. Dezember 1979 ist der herzzerreißende Versuch, Kontakt mit seiner Tochter herzustellen. Sie sollte ihn rechtzeitig zu ihrem neunzehnten Geburtstag von ihrem Vater bekommen, den sie als ein Jahr altes Baby verloren hatte. So weit ging die willkürliche und grausame Kontrolle der Korrespondenz.

Bis auf die Fälle, in denen wir im Interesse der Privatsphäre Informationen ausgelassen haben, wurden diese Briefe alle komplett aufgenommen. Um Wiederholungen zu vermeiden, wurde die Adresse bei fast allen Briefen weggelassen. Der Band ist gegliedert nach den vier verschiedenen Gefängnissen und den beiden Krankenhäusern, in die Mandela verlegt war.

Abgesehen von der Verbesserung falsch geschriebener Wörter oder Namen (bezeichnenderweise war das nur selten notwendig) wurde der Brief jeweils textgetreu wiedergegeben; um der besseren Lesbarkeit willen haben wir gelegentlich die Zeichensetzung verändert. Die unterschiedlichen Schreibweisen der Daten und die Abkürzungen haben wir beibehalten. Der Grund für manche dieser Abkürzungen ist unklar, vielleicht wollte Mandela den vorgeschriebenen Umfang von anderthalb Briefseiten nicht überschreiten, nachdem die Zensur das Wörterzählen aufgegeben hatte. Abweichend von Mandela, der Buchtitel in Anführungszeichen setzte, haben wir diese gemäß den üblichen Redaktionsstandards kursiv gesetzt. Mandela verwendete häufig eckige Klammern anstelle von runden; um jedoch den Brieftext nicht mit redaktionellen Einschüben zu beschweren, haben wir die eckigen Klammern durch runde ersetzt, sofern nichts anderes vermerkt ist.

Die Unterstreichungen einzelner Wörter oder Abschnitte in manchen Briefen haben wir beibehalten. Diese wurden zumeist von der Zensur vorgenommen, die darin vorkommende verdächtige Personen oder Ereignisse hervorhob. Gelegentlich unterstrich Mandela selbst einzelne Abschnitte. In Fußnoten wurde vermerkt, von wem die Unterstreichungen jeweils stammten und wo dies unklar ist. Etliche Briefe schrieb Mandela auf Afrikaans oder isiXhosa, der Sprache seiner Kindheit, und es ist jeweils vermerkt, dass sie ins Englische übersetzt wurden. Einige Briefe wurden von Gefängnisbeamten abgetippt, und auch dies ist vermerkt.

Je nach Adressat unterschrieb Mandela seine Briefe unterschiedlich. Bei offiziellen Schreiben unterzeichnet er mit «NRMandela», wobei das «R» für seinen Vornamen Rolihlahla steht. Briefe an seine Frau Winnie Mandela und an bestimmte Familienangehörige enden meist mit dem Namen Dalibunga, der ihm nach seiner Initiation in die Mannbarkeit im Alter von 16 Jahren verliehen wurde. Für andere ist er Nelson oder Nel; diesen Namen gab ihm seine Lehrerin Miss Mdingane in der Grundschule gemäß dem damaligen Brauch, den afrikanischen Kindern einen englischen Namen zu verpassen. Für seine Kinder ist er Tata, was Vater auf isiXhosa bedeutet, für seine Enkel ist er Khulu, Großvater auf isiXhosa.

Nicht alle in den Briefen erwähnten Personen konnten identifiziert werden, doch soweit möglich wurden Personen, Orte und Ereignisse in Fußnoten erläutert. Ein ausführlicher Anhang bietet zusätzliche Informationen über viele Personen und Ereignisse, auf die sich Mandela vielfach bezieht.

Nelson Mandelas Häftlingsnummern

Die Gefangenen wurden nicht bei ihrem Namen genannt, sondern erhielten Nummern, mit denen sie anfangs angesprochen wurden und die bei jedem Schriftwechsel anzugeben waren. Der erste Teil der Nummer bezog sich auf die Anzahl der im Jahr der Einweisung in ein bestimmtes Gefängnis aufgenommenen Gefangenen; der zweite Teil gab das jeweilige Jahr an. Nelsons bekannteste Häftlingsnummer war 466/64. Jahre nach seiner Freilassung sagte er bei einem Konzert in Kapstadt zugunsten einer Anti-Aids-Kampagne, das diese Nummer anführte: «Man wollte mich auf diese Nummer reduzieren.»[17]

Mandela war zweimal auf Robben Island und bekam dort zwei verschiedene Häftlingsnummern. Nach der Urteilsverkündung war Mandela im Laufe seiner siebenundzwanzig Jahre dauernden Inhaftierung in vier verschiedenen Gefängnissen und hatte sechs verschiedene Häftlingsnummern erhalten:

19476/62

Zentralgefängnis Pretoria: 7. November 1962 bis 25. Mai 1963

191/63

Robben Island: 27. Mai 1963 bis 12. Juni 1963

11657/63

Zentralgefängnis Pretoria: 12. Juni 1963 bis 12. Juni 1964

466/64

Robben Island: 13. Juni 1964 bis 31. März 1982

220/82

Pollsmoor-Gefängnis: 31. März 1982 bis 12. August 1988

Tygerberg Hospital: 12. August 1988 bis 31. August 1988

Constantiaberg MediClinic: 31. August 1988 bis 7. Dezember 1988

1335/88

Victor-Vester-Gefängnis: 7. Dezember 1988 bis 11. Februar 1990

Zentralgefängnis Pretoria

November 1962 bis Mai 1963

Nur sechs Monate lang, als er auf seiner geheimen Tour durch afrikanische Länder sowie nach London unterwegs war, war Nelson Mandela nicht den Apartheidgesetzen unterworfen und konnte als freier Mann nach Belieben umherreisen. Am Donnerstag, den 11. Januar 1962, verließ er heimlich Südafrika und bereiste mit dem Auto die erst vor kurzem unabhängig gewordenen afrikanischen Staaten. Mandela war von den im Untergrund arbeitenden Gruppen seiner Organisation, dem Afrikanischen Nationalkongress (ANC), aufgefordert worden, auf einer Konferenz afrikanischer Nationen in Äthiopien zu sprechen, den Kontinent zu bereisen und Gelder für den bevorstehenden Kampf zu sammeln. Zwei Jahre zuvor war der ANC verboten worden, und ein Jahr später gelangte er zu der Überzeugung, dass der bewaffnete Kampf unausweichlich war, um gleiche Rechte und Demokratie in Südafrika durchzusetzen. Mitte 1961 hatte der ANC beschlossen, einen bewaffneten Arm aufzustellen: Umkhonto weSizwe (Speer der Nation), auch bekannt als MK. Als Erstes machte MK durch eine Reihe von Sprengstoffanschlägen auf strategische Ziele, die bewusst Verluste von Menschenleben vermieden, auf sich aufmerksam.

Ein Antrag eines so bekannten Gegners des Apartheidregimes wie Mandela auf einen Reisepass wäre natürlich abgelehnt worden. Zudem wurde er polizeilich gesucht, weil er die Untergrundaktivitäten des ANC fortgesetzt unterstützte.

Er reiste unter dem Namen David Motsamayi, den er sich von einem seiner früheren Mandanten geliehen hatte. Er benutzte mindestens einen gefälschten Pass. Einen hatte ihm Äthiopien besorgt und Senegal, so hieß es, einen zweiten.

Die Reise führte ihn in 16 unabhängige afrikanische Staaten; in Marokko und Äthiopien nahm er an einem militärischen Training teil. Zwischendurch war er zehn Tage in London, wo er sich mit alten Freunden und Genossen traf, unter anderen Oliver Tambo und dessen Frau Adelaide. Tambo, der nach dem Tod von Chief Albert Luthuli 1967 Präsident des ANC werden sollte, begleitete Mandela auf einigen seiner Reisen.

Mandelas Freiheit endete an einem Sonntag Nachmittag auf einer Landstraße in Howick, einer kleinen Ortschaft im Osten Südafrikas. Es war der 5. August 1962. Zusammen mit dem Antiapartheidaktivisten und Theaterregisseur Cecil Williams war er im Auto unterwegs nach Johannesburg. Mandela war in dieser Gegend gewesen, um Albert Luthuli und anderen über seine Reise Bericht zu erstatten. Ein gemeinsames Essen mit Freunden am Tag zuvor sollte für drei Jahrzehnte das letzte dieser Art sein.

Mandela verkleidete sich häufig als Chauffeur eines Weißen. An diesem Tag war jedoch Williams am Steuer seines Austin, als ein Ford V-8 sie plötzlich überholte und ihren Wagen anhielt. Es war die Polizei. Mandela, mit Mantel, Mütze und Sonnenbrille, stritt ab, Mandela zu sein, und behauptete, er sei David Motsamayi, doch die Polizisten ließen sich nicht beirren. Einen Moment dachte er daran, wegzurennen, doch er wusste, dass das Spiel aus war. Über dreißig Jahre später meinte er dazu: «Ich war damals körperlich sehr fit und konnte fast jede Wand hochklettern. Und dann schaute ich nach hinten, und im Rückspiegel sah ich, dass zwei Autos hinter uns waren. Da wusste ich, ein Fluchtversuch wäre sinnlos, sie würden schießen. Also hielten wir an.»[18]

Die Männer wurden kurzerhand verhaftet, und die Polizei brachte sie in das neun Meilen entfernte Pietermaritzburg, wo Mandela über Nacht festgehalten wurde. Dort wurde er am nächsten Morgen kurz dem örtlichen Richter vorgeführt. Von hier aus ging es weiter nach Johannesburg, wo er im Old Fort Prison eingesperrt wurde, in dem sich heute ein Museum und das Verfassungsgericht Südafrikas befinden. In den darauffolgenden zehn Tagen wurde Mandela zweimal vor den Johannesburg Magistrates’ Court geführt. Sein Verfahren wurde auf den 15. Oktober angesetzt. Am Samstag, den 13. Oktober, wurde ihm mitgeteilt, dass er nach Pretoria verlegt würde, wo er am Montag, den 15. Oktober, in der Alten Synagoge vor Gericht gestellt wurde, die eigens für diesen Prozess in «regionales Sondergericht» umbenannt wurde. Sein Auftritt setzte sowohl das Publikum als auch die Justizbeamten in Erstaunen. Um die breiten Schultern hatte er einen aus vielen Schakalfellen zusammengenähten Kaross. Dazu trug er ein T-Shirt, Khakihose, Sandalen und einen Halsschmuck aus gelben und grünen Perlen. Er wollte als Afrikaner in einer ungleichen Gesellschaft wahrgenommen werden.[19]

Der Anwalt Mandela, der die Zulassungsprüfung zum Rechtsanwalt 1952 abgelegt und jahrelang in seiner eigenen Kanzlei praktiziert hatte, verteidigte sich selbst, beraten von Advokat Bob Hepple, der, Ironie der Geschichte, mit ihm und neun weiteren Angeklagten im Jahr darauf wegen Sabotage vor Gericht stand. Mandelas Taktik war es, von der Anklagebank aus zu sprechen, was ihm ein Kreuzverhör als Zeuge ersparte. In seiner ersten Rede vor Gericht am 22. Oktober 1962 beantragte er die Ablehnung des Richters Mr. W. A. van Helsdingen wegen Befangenheit: Als Schwarzer bekomme er keinen fairen Prozess.[20] Van Helsdingen lehnte den Antrag ab.

Mandela erinnerte sich an den letzten Verhandlungstag, den 7. November 1962, als der Ankläger D. J. Bosch, den er aus seinen Tagen als Anwalt kannte, in die Gefängniszelle kam und sich bei ihm dafür entschuldigte, dass er ihn habe verurteilen müssen. «Er nahm mich in den Arm und küsste mich auf die Wangen und sagte: ‹Ich wollte heute nicht ins Gericht kommen. Es tut mir weh, dass ich das Gericht auffordern muss, Sie ins Gefängnis zu schicken.› Ich dankte ihm für seine Worte.»[21]

Widerstrebend verließ Hepple den Raum während dieser Szene und schrieb später: «Als Bosch nach etwa fünf Minuten aus der Zelle herauskam, sah ich Tränen in seinen Augen. Ich fragte Mandela: ‹Was zum Teufel geht hier vor?› Er antwortete: ‹Du wirst es nicht glauben, aber er hat mich gebeten, ihm zu verzeihen.› Ich rief: ‹Nel, ich hoffe, du hast ihm gesagt, er könne dich mal kreuzweise.› Zu meiner Überraschung antwortete Mandela: ‹Nein, hab ich nicht. Ich sagte zu ihm, ich wüsste, er tue nur seine Arbeit, und dankte ihm für seine guten Wünsche.›»[22]

In seiner Urteilsbegründung sagte Van Helsdingen, es stehe fest, dass Mandela der Drahtzieher hinter einem Streik vom Mai 1961 gegen das Vorhaben Südafrikas, aus dem Commonwealth auszutreten und eine Republik zu werden, gewesen sei.[23]

Nachdem er in beiden Anklagepunkten für schuldig befunden worden war, hielt Mandela eine zweite längere Rede von der Anklagebank aus: «Welches Urteil auch immer Sie über mich fällen, Sie können sicher sein, dass nach Verbüßung der Strafe mein Abscheu vor der Rassendiskriminierung nicht geringer sein wird und ich den Kampf gegen Ungerechtigkeiten wieder aufnehmen werde, bis sie ein für allemal abgeschafft sind.»[24]

Van Helsdingen nannte das Verfahren «quälend und schwierig» und erklärte, Mandelas Aktivitäten seien «mit harter Hand zu unterbinden». Es sei klar, behauptete er, dass Mandelas eigentliches Ziel der «Sturz der Regierung» sei.[25]

Am Ende der kurzen Verhandlung, in der er sich außer in seinen beiden Reden nicht zu seiner Verteidigung äußerte, wurde Mandela zu drei Jahren wegen Anstiftung zum Streik und zwei Jahren wegen Verlassens des Landes ohne Pass verurteilt. Er war 44 Jahre alt.

Sofort wechselte sein Status innerhalb des Gefängnisses vom Untersuchungshäftling zum verurteilten Gefangenen. Er wurde mit Robert Mangaliso Sobukwe, einem Hochschullehrer und früheren ANC-Kollegen, der sich vom ANC getrennt und den Pan Africanist Congress (PAC)[26] gegründet hatte, und etlichen weiteren Mitgliedern dieser Organisation zusammengelegt. Sobukwe und seine Kameraden waren zwei Jahre zuvor wegen ihrer Beteiligung an einem Protest gegen die Passgesetze, bei dem 69 unbewaffnete Demonstranten von der Polizei erschossen worden waren, zu zwei Jahren Haft verurteilt worden. Dieser Vorfall ging als Sharpeville-Massaker in die Geschichte ein.

Die Briefe aus dem Gefängnis beginnen mit einem Brief, den Mandela einen Tag vor seiner Verurteilung an Louis Blom-Cooper schrieb, einen britischen Anwalt, der von einer Organisation, die damals unter dem Namen Amnesty firmierte, als Prozessbeobachter entsandt worden war. Während der Verhandlung beantragte Mandela ein zweites Mal die Ablehnung des Richters, nachdem ihm Blom-Cooper mitgeteilt hatte, er habe Van Helsdingen vom Gericht in Begleitung des Ermittlungsbeamten wegfahren sehen. Van Helsdingen wies den Antrag erneut mit der schlichten Aussage zurück, er habe «mit den beiden Beamten nicht gesprochen».[27]

Nach seiner Freilassung beschrieb Mandela Blom-Cooper als «tollen Mann» und sagte in diesem Zusammenhang: «Er benahm sich wie ein typischer Engländer, Sie kennen ja ihr Bedürfnis, alles zu hinterfragen, was nicht einwandfrei aussieht. Während ich den Zeugen der Anklage ins Kreuzverhör nahm, wurde der Richter gesehen, wie er zusammen mit einem Ermittlungsbeamten das Gerichtsgebäude verließ, und Blom-Cooper bereitete sofort eine eidesstattliche Erklärung vor und ging zum Registrar, um sie vor dessen Augen zu unterschreiben. Und damit kam er zu mir und sagte: ‹Hier haben Sie eine eidesstattliche Erklärung.›»[28]

Brief an den Sekretär von Amnesty, geschrieben am Tag vor Mandelas Schuldigsprechung und Verurteilung im November 1962.

An den Sekretär von AmnestyLondon

6. 11. 62

Sehr geehrter Herr Generalsekretär,

wir sind Ihrer Organisation außerordentlich dankbar, dass sie Mr. L. Blom Cooper zu unserem Prozess entsandt hat.

Seine bloße Anwesenheit sowie sein Beistand waren für uns eine Quelle wunderbarer Inspiration und Ermutigung.

Die Tatsache, dass er zugegen war, lieferte einen weiteren Beweis dafür, dass aufrechte und ehrliche Menschen sowie demokratische Organisationen auf der ganzen zivilisierten Welt uns im Kampf für ein demokratisches Südafrika zur Seite stehen.

Zum Schluss möchte ich Sie bitten, dieses Schreiben als festen, warmen und herzlichen Händedruck meinerseits anzunehmen.

Mit freundlichen GrüßenNelson

Hochsicherheitsgefängnis Robben Island

Mai 1963 bis Juni 1963

Ende Mai 1963 wurde Mandela zusammen mit drei PAC-Leuten überraschend aus Pretoria abgeholt und auf Robben Island gebracht. Sie wurden hinten in einen Polizeiwagen verfrachtet und kamen nach einer anderthalb Tage dauernden Fahrt in Kapstadt an, von wo aus sie die Fähre bestiegen. Am 27. Mai landeten sie auf der berüchtigten Insel. Es war trostlos und bitterkalt.

Die vier Männer wurden in eine Zelle gesperrt und aufgefordert, sich auszuziehen. Jedes Kleidungsstück wurde von Wachleuten durchsucht und danach auf den nassen Fußboden geworfen. Mandela geriet in eine Auseinandersetzung mit einem der Wärter, der bedrohlich auf ihn zuging. Was Mandela über diesen Zwischenfall erzählte, ist bezeichnend für seinen Umgang mit den Gefängnisbeamten. Er ließ sich nicht einschüchtern: «Und ich sagte: ‹Wenn Sie es wagen, mich anzufassen, bringe ich Sie vor das Oberste Gericht in diesem Land, und wenn ich mit Ihnen fertig bin, sind Sie so arm wie eine Kirchenmaus.› Da blieb er stehen. Ich war nicht … ich hatte Angst; ich war gar nicht mutig, aber man musste so tun als ob, und deshalb blieb er stehen.»[29]

Keine drei Wochen später erhielt Mandela die Anweisung, seine Sachen zu packen, und wurde in das Gefängnis von Pretoria zurückverlegt. Er erhielt nie eine Begründung dafür und nahm später seine Vermutung zurück, dies habe mit dem Rivonia-Prozess zu tun gehabt, weil zwei seiner Mitstreiter – die nach seiner Rückverlegung verhaftet worden waren – am 24. Juni 1963 in Soweto festgenommen wurden, die übrigen am 11. Juli 1963.

Zurück in Pretoria

Wenige Wochen nach seiner Rückkehr in die Gefängniszelle in Pretoria im Juni 1963 erfuhr Mandela, dass Andrew Mlangeni und Elias Motsoaledi, Mitstreiter vom MK, bei ihrer Rückkehr von einer Militärausbildung in China verhaftet worden waren. Eines Morgens rannte Mandela die Treppe zum Frühstücksraum hoch (in Pretoria erhielt er das gleiche Essen wie die weißen Häftlinge und sagte, er habe sich auf das Frühstück gefreut) und sah eine Gruppe Mithäftlinge, die er als Arbeiter auf der Liliesleaf-Farm erkannte, die ihm und seinen Kameraden als Unterschlupf gedient hatte. «Das verdarb mir den ganzen Appetit», erzählte er.[30]

In seiner Autobiografie Der lange Weg zur Freiheit beschreibt er die Begegnung mit Thomas Mashifane, der Vorarbeiter auf der Liliesleaf-Farm gewesen war: «Ich begrüßte ihn herzlich, obwohl mir klar war, dass man ihn mit Sicherheit zu meinem Korridor gebracht hatte, um zu sehen, ob ich ihn erkennen oder begrüßen würde. Ich konnte einfach nicht anders. Seine Anwesenheit hier konnte nur eines bedeuten: Die Behörden hatten Rivonia entdeckt.»[31]

Aber es sollte noch schlimmer kommen. Als sie annähernd drei Monate in Einzelhaft verbracht hatten, traf sich Mandela mit ein paar Kameraden. «Ein oder zwei Tage später wurde ich zum Gefängnisbüro bestellt, wo ich bekannte Gesichter antraf: Walter [Sisulu], Govan Mbeki, Ahmed Kathrada, Andrew Mlangeni, Bob Hepple, Raymond Mhlaba, Mitglied des MK-Oberkommandos, der kürzlich von der Ausbildung in China zurückgekehrt war, Elias Motsoaledi, ebenfalls Mitglied des MK, Denis Goldberg, Ingenieur und Mitglied des Congress of Democrats, Rusty Bernstein, Architekt und gleichfalls Mitglied des MK, und Jimmy Kantor, Rechtsanwalt … Wir alle wurden der Sabotage beschuldigt und sollten am nächsten Tag vor Gericht erscheinen.»[32]

Während er auf seinen Prozess wartete, hielt Mandela die Korrespondenz mit den Gefängnisbehörden konstant aufrecht – eine Gewohnheit, die seine gesamte Haftzeit prägen sollte.

Mandela und zehn seiner Mitstreiter, unter ihnen Bob Hepple, standen am 9. Oktober 1963 im Justizpalast in Pretoria vor Gericht. Mit ihm waren Walter Sisulu, Govan Mbeki, Ahmed Kathrada, Denis Goldberg, Raymond Mhlaba, Elias Motsoaledi, Andrew Mlangeni, Rusty Bernstein und James Kantor angeklagt. Die Verhandlung wurde auf den 20. Oktober angesetzt, und an diesem Tag beantragte die Verteidigung, das Verfahren wegen 235 Sabotageakten einzustellen, die angeblich Teil eines umfassenden Plans zum «gewaltsamen Umsturz»[33] waren. Die Verteidigung war entschlossen, die Klage anzufechten, die sie für «ein schlampiges und unpräzises Schriftstück»[34] hielt, aus dem nicht hervorging, welches die Anklagepunkte waren und wer die Taten begangen haben sollte. Anwalt Joel Joffe schrieb, dass das Verteidigungsteam gewillt sei, «dem Gericht und der Staatsanwaltschaft von Verfahrensbeginn an klarzumachen, dass wir uns nicht von der Hysterie in diesem Land anstecken lassen und auf keinen einzigen gesetzlichen Rechtsanspruch verzichten».[35]

Am 30. Oktober hatte ihr Antrag Erfolg, und alle Angeklagten mit Ausnahme von Bob Hepple (die Anklage gegen ihn war fallengelassen und er auf freien Fuß gesetzt worden) wurden noch im Gerichtssaal sofort wieder verhaftet und wegen Sabotage angeklagt. Hepple hatte dem Staatsanwalt angeboten, als Kronzeuge auszusagen, jedoch nicht gegen Menschen, die er «bewunderte und respektierte».[36] Deshalb flohen er und seine Frau Shirley außer Landes.

Am 12. November wurde erneut Anklage erhoben. Am 25. November waren die 199 Sabotageakte auf 193 reduziert worden, und die Verteidigung beantragte erneut die Einstellung des Verfahrens. Am 26. November wurde ihr Antrag abgelehnt, und am nächsten Gerichtstermin am 3. Dezember plädierten alle zehn Angeklagten auf nicht schuldig.

Am 11. Juni 1964 erging das Urteil gegen Mandela und sieben weitere Angeklagte. Bernstein wurde freigesprochen, die Anklage gegen Kantor[*1] war bereits am 4. März zurückgezogen worden.

Kurz vor Beginn des acht Monate dauernden Verfahrens, das als Rivonia-Prozess bekannt wurde, beantragte Mandela bei den Behörden die Erlaubnis, seiner Frau ein Geburtstagstelegramm zu schicken. Er unterschrieb mit «Dalibunga», dem Namen, der ihm nach dem traditionellen Initiationsritual verliehen worden war. Der Name bedeutet «Begründer der Bunga», der führenden Schicht seines Heimatterritoriums Transkei (bis 1994, heute Teil der östlichen Kapprovinz). Für Traditionalisten, schrieb er später inDer lange Weg zur Freiheit, sei dieser Name annehmbarer gewesen als sein ursprünglicher Vorname Rolihlahla – «Unruhestifter» – oder auch der Name Nelson, den er in der Schule, wo allen Kindern ein «christlicher Taufname» gegeben wurde, erhielt.»Ich war stolz, meinen neuen Namen ausgesprochen zu hören: Dalibunga.»[*2]

An den Commanding OfficerZentralgefängnis Pretoria

[Übersetzt aus dem Afrikaans]

23. September 1963

Am 26. dieses Monats hat meine Frau Geburtstag.

Würden Sie mir bitte gestatten, ihr das folgende Telegramm zu senden:[a]

«NOBANDLA MANDELA, ORLANDO WEST 8115

JOHANNESBURG

MEIN SCHATZ ALLES GUTE UND LIEBE ZUM GEBURTSTAG TAUSEND KÜSSE

DALIBUNGA»

Nelson Mandela, Pretoria

Hochachtungsvoll[Unterzeichnet NR[b]Mandela]Häftling Nr. 11657/63

a

Der Telegrammtext ist auf Englisch.

b

R steht für seinen Vornamen Rolihlilala.

An den Commanding OfficerZentralgefängnis Pretoria

8. Oktober 1963

Zentralgefängnis Pretoria

Würden Sie bitte dafür Sorge tragen, dass meine Augen von einem Spezialisten untersucht werden.

Ich benutze seit 1945 eine Lesebrille, und meine derzeitige Brille ist offenbar unbrauchbar geworden. Meine Augen sind entzündet, und trotz der vom Sanitätsoffizier verordneten Behandlung, der ich mich in den vergangenen drei Wochen unterzog, hat sich der Zustand weiter verschlimmert.

Bislang hat mich der Augenarzt DR. HANDELSMAN[a] aus Johannesburg behandelt, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn ich mich erneut von ihm untersuchen lassen könnte. Ich möchte hinzufügen, dass der Optiker, von dem ich die Brille beziehen möchte und der bisher alle meine Brillen anfertigte, DR. BASMAN ist, ebenfalls in Johannesburg. Er würde mir auch einen Preisnachlass gewähren.

Ich bin in der Lage und willens, die Kosten für Untersuchung und Brille aus meinen in Ihrem Besitz befindlichen Geldmitteln zu bestreiten. Erwähnen möchte ich außerdem, dass dieses Gesuch auf Empfehlung des Sanitätsoffiziers erfolgt.

[unterzeichnet NRMandela]Häftling Nr. 11657/63

a

Dr. Gordon Handelsman war ein sehr gesuchter Augenarzt in Johannesburg, der auch den Schah von Persien zu seinen Patienten zählte. Es ist nicht bekannt, ob Mandela ihn aufsuchen durfte.

An den Commanding OfficerZentralgefängnis Pretoria

25. Oktober 1963

Ich verweise auf mein Schreiben vom 8. des Monats, in dem ich den Antrag gestellt hatte, meine Augen untersuchen zu lassen.

In genanntem Schreiben wies ich darauf hin, dass dieses Gesuch auf Empfehlung des Sanitätsoffiziers erfolgte. Ich muss hinzufügen, dass sich der Zustand meiner Augen rapide verschlechtert, und muss Sie daher bitten, der Angelegenheit dringend Ihre Aufmerksamkeit zu schenken.

Außerdem muss ich erwähnen, dass ich bei der Vorbereitung meines bevorstehenden Prozesses am 29. des Monats stark gehandikapt bin. Besagte Vorbereitung erfordert die Lektüre zahlreicher Dokumente sowie das Verfassen vieler Schriftstücke. All dies belastet und gefährdet meine Gesundheit.

Abschließend bitte ich um die Erlaubnis, aus Anlass des Erscheinens vor Gericht am 29. des Monats meine eigene Kleidung tragen zu dürfen.

[Unterzeichnet NRMandela]Häftling Nr. 11657/63

So wie am Tag vor seiner Verurteilung 1962 schrieb Nelson Mandela am Vorabend seiner Verurteilung wegen Sabotage einen weiteren Dankesbrief. Wieder ging er an einen Vertreter des Auslands, der als Prozessbeobachter fungiert hatte.

Er bedankte sich bei Coen Stork, dem niederländischen Botschafter in Südafrika, der beim Rivonia-Prozess anwesend war.

Das Todesurteil stand als reale Möglichkeit im Raum, und er und seine Kameraden beschlossen, falls es dazu käme, keine Berufung einzulegen.[37]

Wenn er Angst hatte, so ließ er sich das nicht anmerken. Vielmehr fiel es Mandela auf, dass Richter de Wet es war, der nervös zu sein schien, als er sein Urteil verkündete.[38]

Nach einem acht Monate dauernden Prozess wurden die acht Männer zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Mandela war bereits seit sechshundertachtundsiebzig Tagen im Gefängnis.

Damals bedeutete in Südafrika «lebenslang» für politische Gefangene genau das: das ganze Leben. Im Alter von 45 Jahren sollte er den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen.

Er kannte das Gefängnis nur dem Namen nach, in das er früh am nächsten Morgen gebracht wurde.

Brief vom 11. Juni 1964 an Coen Stork.

An Coen Stork, Botschafter der Niederlande in Südafrika

11. Juni 1964

Lieber Herr Stork,

ich schreibe Ihnen vor Abschluss dieses Verfahrens, denn danach wird mir dies nicht mehr möglich sein.

Meine Kollegen und ich bedanken uns für Ihre wertvolle Unterstützung. Ihre persönliche Anteilnahme an diesem Prozess sowie der Zuspruch aus allen Teilen der niederländischen Bevölkerung verleihen uns Kraft und Mut.

Sie sollen wissen, dass wir Sie als einen unserer besten Freunde betrachten, und wir sind sicher, dass Sie auch künftig unserem Volk in seinem Kampf gegen Rassendiskriminierung zur Seite stehen werden.

UNGADINWA NANGOMSO[a]

Hochachtungsvoll[Unterzeichnet NRMandela]

a

«Nangamso» ist ein isiXhosa-Wort, das tiefe Dankbarkeit gegenüber einem Menschen ausdrückt, der mehr als seine Pflicht getan hat. Mandela schreibt auch Nangomso.

Hochsicherheitsgefängnis Robben Island

Juni 1964 bis März 1982

Wenige Stunden nach der Verurteilung zu lebenslanger Haft wurde Nelson Mandela zusammen mit sechs Kameraden aus seiner Zelle im Gefängnis von Pretoria geholt und in Handschellen in eine nahegelegene Militärbasis verbracht. Frühmorgens am Samstag, den 13. Juni 1964, kamen sie auf Robben Island an. Denis Goldberg, der einzige weiße Mitangeklagte, der mit ihnen verurteilt worden war, verblieb in Pretoria und musste dort seine Strafe verbüßen – gemäß den Apartheidgesetzen durfte er nicht zusammen mit schwarzen Häftlingen eingekerkert werden.

Mandela war jetzt zum zweiten Mal im Hochsicherheitsgefängnis auf Robben Island. Die wenigen Wochen als Häftling dort im Mai 1963 hatten ihn auf die rigorosen Haftbedingungen vorbereitet, und er empfahl seinen Mitgefangenen, darauf zu achten, ihre Würde zu wahren.

Gleich nachdem er mit vier anderen Häftlingen zum ersten Mal in das Hochsicherheitsgefängnis Robben Island gekommen war, bellten ihnen Wärter den Befehl zu, sich paarweise im Laufschritt zu bewegen, und trieben sie an wie Vieh. Als die Gefangenen ihren Schritt nicht beschleunigten, wurden sie von den Wärtern bedroht. Mandela erinnert sich: «Hört zu, Männer, wir werden euch hier umbringen – eure Eltern, eure Leute werden niemals erfahren, was mit euch geschehen ist.» Zusammen mit Steve Tefu, einem Mitgefangenen, der dem PAC angehörte, setzte sich Mandela an die Spitze und ging gemessenen Schrittes weiter. «Ich war entschlossen, vom ersten Tag an klarzumachen, dass wir kämpfen mussten, denn das würde über unsere künftige Behandlung entscheiden. Denn wenn wir am ersten Tag klein beigeben würden, würden sie uns verächtlich behandeln. Deshalb gingen wir nach vorne und schritten noch langsamer aus. Sie konnten nichts machen, und sie machten auch nichts.»[39]

Die Haftbedingungen auf Robben Island waren außerordentlich hart. Erst vierzehn Jahre später, 1978, mussten die Gefangenen keine Zwangsarbeit mehr verrichten. Bis dahin war das Leben auf der Insel eintönig und grausam, allenfalls erleichtert durch ihre aufrechte Haltung und durch Besuche und Briefe von Familienangehörigen.

Anfangs war das Essen kaum genießbar[*3] und aufgrund der Apartheidpolitik unterschiedlich. Das Frühstück für die schwarzen Häftlinge bestand aus etwa 300 Gramm wässrigem Maisbrei und einer Tasse schwarzem Kaffee, sogenannte Farbige und indische Häftlinge bekamen 400 Gramm Maisbrei, dazu Brot und Kaffee.[40] Es gab keinen einzigen weißen Gefangenen auf der Insel.

«Man hielt uns wie Vieh auf Sparration, als müsste man uns für den Markt rank und schlank präsentieren», schreibt der Gefangene Indres Naidoo. «Körper, die gerade so am Leben erhalten werden, nicht Menschen, die Freude am Essen haben.»[41]

Die Wetterverhältnisse auf der Insel sind extrem, «glühend heiß im Sommer, im Winter bitter kalt, Regen oder Geniesel die meiste Zeit», erinnert sich der ehemalige Häftling Mac Maharaj.[42] Anfangs mussten die afrikanischen Häftlinge das ganze Jahr hindurch kurze Hosen und Sandalen tragen, während Inder und farbige Gefangene lange Hosen und Socken erhielten.[*4] Am 25. April wurden dünne Pullover ausgegeben, die am 25. September wieder eingezogen wurden.[43] In den ersten zehn Jahren gab es keine Betten – die Häftlinge schliefen auf dem Betonboden auf einer Sisalmatte und hatten drei «fadenscheinige»[44] Decken zur Verfügung. Im Winter war es so kalt, dass sie in voller Bekleidung schliefen. In den ersten zehn Jahren wuschen sich Mandela und seine Kameraden mit kaltem Wasser.

An den Werktagen mussten sie im Hof arbeiten und mit Hämmern Steine zerkleinern. An den Wochenenden wurden sie täglich dreiundzwanzig Stunden in ihre Zellen gesperrt, ausgenommen sie hatten Besuch. Anfang 1965 wurden Mandela und seine Kollegen zur Arbeit in den Steinbruch[*5] geschickt. Es war eine mörderische Arbeit, und die gleißende Sonne auf dem weißen Kalk versengte die Augen. Der wiederholte Antrag auf Sonnenbrillen wurde drei Jahre lang von der Gefängnisleitung abgewiesen. Als schließlich der Forderung stattgegeben wurde, war die Sehkraft vieler Häftlinge, darunter die Mandelas, irreparabel geschädigt.

Als Mandelas Mutter Nosekeni im Jahr 1968 starb, wurde ihm die Teilnahme an ihrer Beerdigung verweigert. Im Jahr darauf kam Thembi, sein ältester Sohn, bei einem Autounfall ums Leben, und auch diesmal wurde sein Gesuch, bei der Beerdigung anwesend sein zu dürfen, ignoriert. Er musste in der Ferne beiseite stehen, während Freunde und Angehörige an seiner Stelle die Beerdigungsfeierlichkeiten vollzogen. Die Briefe aus dieser Zeit zeugen von seinem tiefen Schmerz über den schweren Verlust.

Um die gleiche Zeit wurde seine geliebte Frau Winnie von der Polizei festgenommen und verbrachte vierzehn Monate in Untersuchungshaft. Seine Briefe an Winnie und andere Briefpartner zeigen deutlich seine Verbitterung darüber, ihr und den Kindern während dieses Albtraums nicht beistehen zu können.

Er unterhielt eine regelmäßige Korrespondenz mit den Gefängnisbehörden, um seine Rechte als Gefangener geltend zu machen, und ging sogar so weit, seine Freilassung und die seiner Mithäftlinge zu fordern oder zu verlangen, dass sie zumindest als politische Kriegsgefangene behandelt würden (vgl. Brief an L. Le Grange, den Minister für Gefängnisse und Polizei, vom 4. September 1979, S. 481–485).

Auf Anregung seiner Kameraden begann er 1975 heimlich mit der Niederschrift seiner Memoiren, assistiert von Walter Sisulu, Ahmed Kathrada und zwei weiteren Mithäftlingen, Mac Maharaj und Laloo Chiba. Geplant war eine Veröffentlichung im Ausland, rechtzeitig zu seinem sechzigsten Geburtstag am 18. Juli 1978. Maharaj schmuggelte eine Abschrift des Manuskripts, verborgen zwischen den Deckeln einer Kladde, bei seiner Entlassung aus dem Gefängnis Ende 1976 nach draußen. Als 1977 das in der Nähe des Gefangenenblocks in einer Blechdose vergrabene Original entdeckt wurde, wurde Mandela und seinen Gefährten ab 1978 die Fortsetzung des Studiums untersagt. Das Manuskript gelangte zwar nach London, doch es wurde erst 1994 unter dem Titel Long Walk to Freedom (dt. Der lange Weg zur Freiheit, Frankfurt am Main: S. Fischer, 1994) veröffentlicht.

An Frank, Bernadt & Joffe, Anwälte

[Stempel vom 15. 6. 64 mit dem Vermerk «Special» in anderer Schrift und in Afrikaans][a]

Kapstadt

Sehr geehrte Herren,

BETR.: DER STAAT GEGEN NELSON MANDELA & ANDERE

bitte teilen Sie unserem Anwalt Mr. Joffe, Johannesburg, mit, dass sich seine Mandanten in diesem Verfahren mit Ausnahme von DENIS GOLDBERG jetzt auf Robben Island befinden.

Möglicherweise hält sich Mr. B. FISCHER, der Leiter des Verteidigerteams, urlaubshalber zur Zeit in der Stadt auf, und wir wären Ihnen dankbar, Sie würden ihn über die Sachlage unterrichten, sofern Ihnen sein Aufenthaltsort bekannt ist.

Mit freundlichen Grüßen

[Unterzeichnet NRMandela] NELSON MANDELA

a

Special letters waren von der festgelegten Quote der Briefe ausgenommen.

Bram Fischer war ein Afrikaaner, der Mandela und seine Mitangeklagten im Hochverratsprozess von 1959 bis 1961[*6] und im Rivonia-Prozess verteidigte. Außerdem war er ein Genosse und ein guter Freund. 1964 besuchte er die Beteiligten im Rivonia-Prozess auf Robben Island zum ersten Mal und bestärkte sie in ihrer früheren Entscheidung, ihr Urteil nicht anzufechten.

Mandela und einige seiner Mitgefangenen kannten Fischer und seine Frau Molly gut und verbrachten manche fröhliche Stunde in deren Haus in Johannesburg. Als Mandela sich jedoch bei diesem Besuch im Gefängnis nach Molly erkundigte, drehte sich Fischer um und ging wortlos weg. Nachdem der Anwalt die Insel verlassen hatte, erfuhr Mandela von einem älteren Gefängnisbeamten, dass sie bei einem Unfall, bei dem ihr Wagen von der Straße abgekommen und in einen Fluss gestürzt war, ertrunken war. Der vorgesetzte Beamte gestattete Mandela, Fischer einen Beileidsbrief zu schreiben, der jedoch nie abgeschickt wurde.

Der Brief an Bram Fischer ist sehr formal gehalten, wie es sich für das Schreiben eines Häftlings an seinen Anwalt gehört – in diesem Fall eines Häftlings, der zugleich Rechtsanwalt war. Wenn Gefangene an ihren Rechtsbeistand schrieben, war es opportun, nicht den Eindruck zu erwecken, dies sei ein persönlicher Brief, denn ein solcher wäre nicht durch die Zensur gegangen.

1965 wurde Fischer verhaftet und im Jahr darauf wegen Unterstützung der Ziele der Kommunistischen Partei[*7] und Verschwörung zum Sturz der Regierung angeklagt und zu lebenslanger Haft verurteilt. Während seiner Haft im Zentralgefängnis Pretoria wurde Krebs bei ihm diagnostiziert, und 1974 verschlimmerte sich sein Zustand. Die Behörden gaben schließlich dem Druck der Öffentlichkeit nach und entließen ihn in das Haus seines Bruders, das er nicht verlassen durfte. Er starb 1975, und die Gefängnisverwaltung ließ ihn einäschern. Der Verbleib seiner Asche wurde nie ermittelt.

An Bram Fischer, Kamerad und Anwalt im Rivonia-Prozess

Johannesburg

2. August 1964

Lieber Herr Fischer,

wie Sie sich bestimmt erinnern werden, besprachen Sie bei Ihrem letzten Besuch hier auf der Insel mit Major Visser die Möglichkeit, das South African Law Journal zu beziehen.

Bis heute habe ich die Zeitschrift nicht bekommen und halte es daher für angebracht, Sie daran zu erinnern; vielleicht kamen Sie aus Arbeitsdruck nicht dazu, mit Juta’s & Co. eine Abmachung zu treffen.

Auch die Vorlesung von Wolsey Hall, London, und die juristischen Lehrbücher habe ich nicht erhalten, daher wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie sich bei Mr. Joffe[a] danach erkundigen könnten.

Mit freundlichen Grüßen

[unterzeichnet NRMandela] Häftling Nr. 466/64

a

Joel Joffe, Mandelas Anwalt.

Während seiner gesamten Haftzeit verfolgte Mandela beharrlich sein Jurastudium, das er 1943 als junger Mann mit dem Ziel begonnen hatte, es mit dem LL.B abzuschließen. Obwohl er als Anwalt auch nur mit einem Diplom in Rechtswissenschaft arbeiten durfte, hatte er sich dieses Ziel in den Kopf gesetzt, als er noch ein junger Aktivist und Student an der Witwatersrand-Universität in Johannesburg war. Er begann seine dreijährige Ausbildung in der Kanzlei Witkin, Sidelsky und Eidelman, als er erst seit ein paar Wochen immatrikuliert war. Ein Jahr später trat er dem ANC bei und half bei der Gründung von dessen Jugendliga. 1944 heiratete er seine erste Frau Evelyn Mandela, und bald schon kam Familienzuwachs, was seine mageren Finanzen aufs Äußerste strapazierte. Sein Antrag im Dezember 1949 bei der Universität, die Abschlussprüfungen, bei denen er schon dreimal gescheitert war, wiederholen zu dürfen, wurde abgelehnt.

Auch nach dem bestandenen Zulassungsexamen am 8. August 1951 strebte er immer noch den LL.B an. Trotz seiner führenden Rolle in der Missachtungskampagne von 1952[*8] versuchte er, seine Wiederaufnahme an der Witwatersrand-Universität zu erreichen, bis ihm an seinem 34. Geburtstag I. Glyn Thomas von der Universität mitteilte, er sei so lange vom Unterricht ausgeschlossen, bis er die geschuldeten 27 £ bezahlt habe.

Während er im Zentralgefängnis Pretoria in Haft war, schrieb er sich 1962 in der London University ein und hatte dabei auf Schritt und Tritt gegen Widrigkeiten zu kämpfen. Das nächtliche Studium nach fast acht Stunden Schufterei im Steinbruch war noch nicht einmal das größte Problem. Aus seinen Briefen geht hervor, dass er häufig nicht das entsprechende Lehrmaterial und auch dieses oft nicht rechtzeitig erhielt. Die Situation, die er den zuständigen Beamten der Universität von London und später der Universität von Südafrika schilderte, dauerte viele Jahre an. Am Ende absolvierte er seinen Bachelor-Abschluss im Jahr 1989, wenige Monate vor seiner Freilassung.

An den Commanding Officer

Robben Island

30. November 1964

DRINGEND

Ich muss heute dem Kulturattaché der Britischen Botschaft, Hill Street, Pretoria, für die Zulassung zu Teil I des Abschlusses des LL.B an der University of London 16,00 Rd an Gebühren bezahlen.

Vergangenen Monat bat ich die Universität per Brief um Zusendung der Zulassungsformulare und meine Frau um die dafür erforderlichen Mittel. Am 9. dieses Monats schrieb ich einen weiteren Brief an den Kulturattaché mit der Bitte um die Formulare. In beiden Fällen habe ich weder eine Bestätigung noch eine Rückmeldung erhalten.

Bitte überweisen Sie noch heute dem Kulturattaché telegrafisch 16,00 Rd und veranlassen ihn, mir die entsprechenden Formulare zu schicken. Falls mein Guthaben dafür nicht ausreicht, ist Ahmed Kathrada, Gefangener Nr. 468, bereit, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, die Anmeldegebühren und die Kosten für das Telegramm zu übernehmen.

Da die Einschreibfristen für diese Prüfungen heute ablaufen, bitte ich Sie, die Sache mit höchster Dringlichkeit zu behandeln.

Nelson Mandela

[Unterzeichnet NRMandela] Gefangener Nr. 466/64

[Vermerk auf Englisch in roter Schrift] Habe keinen Einwand gegen die Überweisung von 16,00 Rd, bin jedoch nicht bereit, zuzulassen, dass Häftlinge sich untereinander Geld leihen. [Handzeichen und Datum vom 30.11.]

Mandela studierte im Gefängnis Afrikaans, um seine Kenntnisse der Geschichte und Kultur der herrschenden National Party und ihrer Anhänger zu erweitern. Er glaubte, damit seine Kommunikation mit dem politischen Gegner verbessern zu können.

Dies gelang auch. Es half ihm, Barrieren zwischen sich und den Gefängniswärtern und später mit Regierungsvertretern und schließlich sogar mit dem Präsidenten P.  W.  Botha[*9] einzureißen.

Im folgenden Brief merkt er an, dass legitime Gesuche häufig ignoriert werden, und er fordert erneut, sich auf seine Examina mittels älterer Arbeiten einer Organisation vorbereiten zu dürfen, die Afrikaans – seit 1925 eine der offiziellen Sprachen Südafrikas – förderte, sowie mittels alter Ausgaben des auf Afrikaans erscheinenden Frauenmagazins Huisgenoot.

An Major Visser, Vollzugsbeamter

[Stempel vom 25. 8. 1965]

Major Visser,

während der Inspektion am 14. August 1965 versuchte ich Sie zu sprechen, Sie gaben mir jedoch keine Gelegenheit dazu. Während die Inspektion im Gange war, versprach mir Chief Warder van Tonder, der Sie begleitete, Ihnen mitzuteilen, dass ich einige Anliegen vorzubringen hätte, doch Sie gingen weg, ohne mit mir gesprochen zu haben. Nun schreibe ich Ihnen, weil die Sache dringlich geworden ist.

1. Ich bin dabei, mein für den 29. Oktober 1965 anberaumtes Examen vorzubereiten. Im vergangenen März und Anfang Mai habe ich schriftlich Anträge an die Gefängnisleitung gestellt, mich zu beurlauben, damit ich alte Examensunterlagen der Saamwerk-Unie of Natal einsehen kann, die Teil meiner Vorbereitung auf die anstehende Prüfung sind. Sie haben mir wiederholt versichert, Sie hätten der SWU geschrieben und die fraglichen Papiere angefordert und warteten auf Antwort. Und obwohl die Prüfung schon in zwei Monaten stattfinden wird, habe ich die Papiere immer noch nicht erhalten.

2. Ich schulde der University of South Africa Gebühren von 40 Rand für einen Honours Degree Course, den ich im Februar 1966 zu machen gedachte. Der Vertrag legt fest, dass dieser Betrag vor dem 1. September 1965 zu entrichten ist. Als ich bei unserer letzten Begegnung die Angelegenheit mit Ihnen besprach, teilten Sie mir mit, dass Sie die Universität angeschrieben hätten. Vor ein paar Tagen erhielt ich die Rechnung über diese Summe, und nun geht es mir darum, die Sache rechtzeitig abzuschließen. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass ich meine Lehrbücher bei Juta’s & Co. bestellt habe. Falls sie die Bücher nicht vorrätig hätten, sollten sie sie bestellen und mich benachrichtigen, wann sie lieferbar wären, damit ich meine Arbeit planen könnte. Ich habe nichts mehr von ihnen gehört und wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir mitteilen würden, ob die Angelegenheit erledigt worden ist.

3. Sie erklärten mir außerdem, Sie hätten die alten Nummern von Huisgenoot[a] bestellt, die ich für Studienzwecke benötige, und ich möchte Sie daran erinnern, dass sie bei mir noch immer nicht angekommen sind.

4. Im letzten Jahr beantragte ich mehrfach – und Anfang dieses Jahres erneut –, Bücher aus der Staatsbibliothek entleihen sowie Immatrikulationsformulare erhalten zu dürfen. Bisher habe ich nichts in dieser Angelegenheit gehört.

Ich frage mich ernstlich, ob ich angesichts der obengenannten Schwierigkeiten die anstehende Prüfung ablegen soll, und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir Gelegenheit geben würden, mit Ihnen das Ganze zu besprechen.

[unterzeichnet NRMandela]

a

Huisgenoot ist eine afrikaanssprachige Zeitschrift.

An den Commissioner of Prisons[a]

PRETORIA

Vielen Dank für Ihr Entgegenkommen vom 13. Oktober 1965, als Sie erklärten, keine Einwände dagegen zu erheben, dass wir unsere Lehrbücher untereinander austauschen. Dies wird die Ausgaben für die benötigten Bücher erheblich senken, denn die meisten von uns können sie sich nicht leisten. Allen Studierenden werden hiermit geeignetere Informations- und Referenzquellen zugänglich.

Wenn das Privileg, studieren zu dürfen, wirklich von Wert sein soll, müssen einige Voraussetzungen unbedingt erfüllt sein. Dies gilt für alle Studenten, aber ganz besonders für diejenigen, die ein Fernstudium machen müssen und denen daher die außerordentlich wichtige unmittelbare Kommunikation zwischen Lehrer und Schüler fehlt. Akademische Förderung in Form von Literaturempfehlungen, Gedankenaustausch und stetiger persönlicher Überprüfung und Kritik sind für Studenten selbstverständlich, die mit ihren Lehrern und Kommilitonen direkt und ungehindert kommunizieren können. Natürlich versuchen Fernkollegs sowie die University of South Africa den offenkundigen Nachteil, unter dem ihre Studenten leiden, dadurch etwas auszugleichen, dass sie Ferienkurse anbieten und deren Bedeutung für die Studenten betonen.

Wenn Häftlingen, die sich auf dieselbe Prüfung vorbereiten wie Studenten, die solche Ferienkurse und andere Formen direkter und uneingeschränkter Kommunikation mit ihren Tutoren, anderen erfahrenen Dozenten und Kommilitonen nutzen können, erlaubt würde, sich gegenseitig zu unterstützen, dann wäre dies eine vertretbare und mit den Gefängnisbestimmungen völlig konforme Maßnahme als Ausgleich für ihren Nachteil als Fernstudenten. Dazu wäre eine freie Diskussion der Häftlinge untereinander und mit denen, die sie unterstützen können, unerlässlich. Dies beträfe insbesondere Häftlinge, die Sprachen, Jura und Geisteswissenschaften studieren. Die Diskussion schärft das Interesse an jedem Thema, regt entsprechend zum Lesen an und korrigiert Irrtümer. All dies zusammen trüge dazu bei, dass das Gelesene leichter und besser behalten wird.

Hinzu kommt, dass die Vorbereitung von Übungen und das Erstellen von Aufsätzen, die andere korrigieren und mit ihren Vorschlägen kommentieren, einen permanenten Stimulus für den Studenten darstellen, der sonst seine Fortschritte nicht richtig einschätzen könnte. In beiderlei Hinsicht sind Häftlinge besonders in diesem Gefängnis enorm im Nachteil, wodurch sie mit Studenten von außerhalb, die entsprechende Möglichkeiten haben, niemals mithalten können. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass ich 1963 im Gefängnis in Pretoria einen Sprachkurs begonnen habe, wobei mir die dortige interne Gefängnisschule zugute kam. Dies war außerordentlich hilfreich, was die Verbesserung meiner Fehler betraf, und versetzte mich in die Lage, mir die Sprache ziemlich schnell anzueignen.

Würden uns die ungehinderte Diskussion und die obengenannten Formen der gegenseitigen Unterstützung gestattet, wäre dies zusammen mit Ihrem bereits gemachten Entgegenkommen ein großer Schritt zur Lösung unserer derzeitigen Probleme. In dieser Hinsicht möchte ich die Zusicherung wiederholen, die ich am 13. des Monats gegeben habe, nämlich dass wir nach Kräften bemüht sind, die bereits gegebenen Zusagen sowie diejenigen, die Sie uns vielleicht noch machen werden, in keiner Weise zu missbrauchen.

Zum Schluss möchte ich noch auf Ihre Entscheidung verweisen, meinen Antrag vom 14. März 1965 bezüglich der Augenuntersuchung abzulehnen. Es wurden keine Gründe für die Ablehnung genannt, und infolgedessen bin ich außerstande, eine neue Begründung für meinen Antrag zu liefern. Ich möchte Sie dennoch bitten, sich der Angelegenheit erneut anzunehmen und mir die nötige Unterstützung zu gewähren.

[Unterzeichnet NRMandela]

a

Von diesem Brief existieren zwei Fassungen, eine davon maschinenschriftlich, datiert auf den 10. Oktober 1965, die vermutlich an den Commissioner gerichtet war. Das Datum der handschriftlichen, für diese Sammlung fotokopierten Fassung ist abgeschnitten.

Außer der erlaubten Korrespondenz mit Behördenvertretern und ihren Anwälten durften die Gefangenen anfangs nur an Familienangehörige ersten Grades schreiben. In der ersten Zeit war nur ein Brief mit 500 Wörtern alle sechs Monate gestattet. Dieselben Fristen galten für Familienbesuche. Über zwei Jahre alte Kinder konnten ihren Vater erst mit sechzehn Jahren zum ersten Mal sehen. Bei Mandelas erster Inhaftierung im Jahr 1962 waren seine fünf Kinder – zwei Jungen und drei Mädchen – zwischen dreiundzwanzig Monate und siebzehn Jahre alt. Alle fünf werden im folgenden Brief erwähnt: Thembi, Makgatho (Kgatho), Maki (Makaziwe), Zeni (Zenani) und Zindzi (Zindziswa). Die ersten drei entstammten der ersten Ehe mit Evelyn Mase, die beiden Jüngsten seiner zweiten mit Winnie Madikizela.

An Winnie Mandela,[a] Ehefrau

Johannesburg

[In anderer Schrift: Special letter]