Burgenland für Entdecker - Michael Schottenberg - E-Book

Burgenland für Entdecker E-Book

Michael Schottenberg

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Beschreibung

Mit Schotti durchs Burgenland 100 Jahre Burgenland – Grund genug für Reisephilosoph Michael Schottenberg, Österreichs jüngstem Bundesland einen Besuch abzustatten. Mit seiner roten Vespa braust er von Kittsee bis zum Csaterberg, von Stinatz bis Andau, macht halt auf Burgen und Kulturbühnen, in Stadtschlaining wie in Bildein. Die "junge Dame aus den Golden Twenties" ist der Mittelpunkt der Welt, ist doch das Schicksal von Österreichern, Kroaten, Ungarn und Roma eng mit ihr verknüpft. Der ethnischen Vielfalt und einzigartigen Kultur der Region begegnet "Schotti" in Gesprächen mit außergewöhnlichen Menschen: dem "Gschalerma(n)dlbauer" in Heiligenbrunn, einem Töpfermeister aus Stoob, dem Grabinschriftenjäger von Eisenstadt oder dem, der mit den Düften tanzt, in Frauenkirchen. Entstanden ist ein humorvolles, geistreiches Buch für Entdecker – und ein Geburtstagsgeschenk der besonderen Art für ein besonderes Land. Mit zahlreichen Extra-Tipps und Reisefotos in Farbe

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Seitenzahl: 197

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SCHOTTI TO GO

Michael Schottenberg

Burgenland für Entdecker

Mit 68 Fotos

Bildnachweis

Alle Bilder stammen von Michael Schottenberg mit Ausnahme der folgenden: Ulrik Hölzel (5, 9, 16, 150, 173, 213, 224), Denise Krall (36), Andreas Graf (67, 68), Naturpark Raab (80, 83), Romapastoral der Diözese Eisenstadt (117, 119), Burg Schlaining (123), Johannes Reiss (153, 154), Birgit Wenhardt (185, 186), Ruth Moser, Wien (191), Hans Wetzeldorfer (192)

Der Verlag hat alle Rechte abgeklärt. Konnten in einzelnen Fällen die Rechteinhaber der reproduzierten Bilder nicht ausfindig gemacht werden, bitten wir, dem Verlag bestehende Ansprüche zu melden.

Der Verlag bedankt sich bei Tanja Stacherl und Christoph Langecker für die Idee zur Konzeption des Buches in Anlehnung an die Feierlichkeiten zu „100 Jahre Burgenland“.

Besuchen Sie uns im Internet unter:amalthea.at

© 2021 by Amalthea Signum Verlag, Wien

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung und Satz: Johanna Uhrmann nach einem Design von Valence/www.valencestudio.com

Umschlagfotos: © Ulrik Hölzel

Lektorat: Madeleine Pichler

Herstellung: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten

Gesetzt aus der Collier und der Ramona

ISBN 978-3-99050-209-9

eISBN 978-3-903217-78-2

Für Claire

Inhalt

Das Burgenland entdecken!

Versuch einer Annäherung

1 Ein kopfloses Genie

Haydn-Haus, Joseph-Haydn-Gasse 19 & 21, 7000 Eisenstadt

2 Rot-weiß-rotes Gold

Zuckerfabrik und Safranoleum, Ödenburger Straße/ Eisenstädter Straße 97, 7011 Siegendorf

3 Kultur fürs Volk

Das Kulturzentrum Mattersburg, Wulkalände 2, 7210 Mattersburg

4 Wo er recht hat, hat er recht

Die Fahnengemeinde Neckenmarkt, Rathausgasse 1, 7311 Neckenmarkt

5 Eine offene Tür

KUGA, Parkgasse 3, 7304 Großwarasdorf

6 Die wiedergefundene Zukunft

Kraftplatz Liebing, 7443 Mannersdorf an der Rabnitz

7 Der Wind der kalten Tage

Kreuzstadl Rechnitz, Geschriebenstein Straße, 7471 Rechnitz

8 Die Kraft der Worte

Literaturweg Csaterberg, Am Kleinen Csaterberg, 7512 Kohfidisch

9 Pinka on the Rocks

picture on festival, Florianigasse 1, 7521 Bildein

10 Beim Gschalerma(n)dlbauer

Buschenschank Familie Trinkl, Kellergasse 56a, 7522 Heiligenbrunn

11 Der Natur auf der Spur

Naturpark Raab, Büro: Kirchenstraße 4, 8380 Jennersdorf

12 Im Tal der Könige

Kulturverein Künstlerdorf Neumarkt an der Raab, Hauptstraße 45, 8380 St. Martin an der Raab

13 Archaeopteryx

Jost-Mühle, Windisch-Minihof 188, 8384 Minihof-Liebau

14 Nau nau, af d’ Roas!

Auswanderermuseum, Stremtalstraße 2, 7540 Güssing

15 Das Gelübde

Marktgemeinde Stinjaki/ Stinatz/Pásztorháza, 7552 Stinatz

16 Licht am Ende des Tunnels

Denkmal in Erinnerung an die Opfer des Anschlags in Oberwart, Am Anger, 7400 Oberwart

17 Krieg und Frieden

Friedensburg Schlaining, Rochusplatz 1, 7461 Stadtschlaining

18 Sprechen Sie Hianzisch?

Haus der Volkskultur, Hauptstraße 25, 7432 Oberschützen

19 Bananenski Heil!

Schizentrum Rettenbach, Rettenbach 141, 7434 Bernstein

20 Ein Ort des Widerstandes

Rabnitztaler Malerwochen, Am Kastell 2, 7371 Unterrabnitz

21 Duttlplutzer

Das Töpfermuseum in Stoob, Hauptstraße 85, 7344 Stoob

22 Das Lachen der Kinder

Synagoge und Jüdischer Friedhof Kobersdorf, Schloßgasse 25, 7332 Kobersdorf

23 Durch die Nacht

Burg Forchtenstein, Melinda-Esterházy-Platz 1, 7212 Forchtenstein

24 Monolithisches

Meierhof, Gedächtnisweg und Skulpturenweg – auf der Suche nach Identität, 7033 Pöttsching

25 „Wer nicht schmeckt, der weiß nicht“

The Pit/Die Grube, 7091 Breitenbrunn

26 An Tagen wie diesen

Marillenverkauf Gerold Maurovich, Untere Hauptstraße 44, 2421 Kittsee

27 Von Menschen und anderen Mäusen

Erwin Moser Museum, Hauptplatz 20, 7122 Gols

28 Der See

Besuch beim Schilfschneider Erwin Sumalowitsch, Tränkäcker 1, 7141 Podersdorf am See

29 Der mit den Düften tanzt

Die Basilika Frauenkirchen und die Duftmanufaktur, Kirchenplatz 2/Maria-Weitner-Platz 28, 7132 Frauenkirchen

30 Wunderwelt Safari

St. Martins Therme & Lodge, Im Seewinkel 1, 7132 Frauenkirchen

31 Der Nabel der Welt

Die Brücke von Andau, Am Hottergraben, 7163 Andau

Der Autor

Das Burgenland entdecken!

Versuch einer Annäherung

Der Bub sitzt im Fond des dottergelben Opel Rekord, eingepfercht zwischen Weinkisten, Taschen und Omama, indes der strenge Herr Papa hinterm Volant sitzt, den Hut am Kopf, die Hände in kokett gelöchertem Sämischleder. Aufmerksam mustert der Herr Chauffeur die bügelbrettflache Landschaft, weicht geschickt den aus den Feldwegen einbiegenden, mit Bergen von Weintraubenbutten beladenen Leiterwägen aus, um endlich auf der schnurgeraden Straße zwischen Jois und Purbach seiner Lust am „Dahinbrettln“ freien Lauf zu lassen. Wenn sich die Tachonadel bei Tempo siebzig einzittert, saugt die Mutter hörbar die Luft zwischen den Zähnen ein und stemmt sich mit all ihrer Kraft auf ihr (imaginäres) Bremspedal, worauf der Vater-Blick gestrenger wird, als er ohnehin schon ist. „Die Straßen sind zum Fahren da“, brummt er und betätigt das Gaspedal nur noch heftiger.

Der Wiederaufbau des beginnenden Wirtschaftswunderlandes ist in vollem Gange, die Herren duften nach Haarcreme und Tabac-Rasierwasser, und die Mädels stecken in Karottenhosen oder Jersey-Hemdblusenkleidern. So auch die Mutter des damaligen Dreikäsehochs. Um die Dauerwelle zu schützen, hat sie heute ein groß gemustertes Tuch aus Dralon um den Kopf geschlungen – unter der amerikanischen Sonnenbrille trägt Frau von Welt die Wimperntusche aus dem Hause Winterstein: La Bella Nussy. Die städtischen Ausflügler putzen sich an Sonntagen fein heraus. Auch der Bub steckt im Feiertagsgewand: Ein allerletztes Mal darf er heute die „Kurze“ anhaben, seine Füße aber stecken schon in den von der reichen Katzi Steinbrecher abgelegten Übergangsschuhen, unverhandelbare Vorboten der kühlen Jahreszeit. Die Omama, bei Familienfahrten oftmals als Lastenträgerin und Kofferraumschlichterin eingesetzt, komplettiert.

Im Ortsgebiet wird die Fahrgeschwindigkeit stark reduziert, der Herr Papa, der sich sonst nicht ungern mit den Gendarmen anlegt, achtet darauf, dass heute die Scheine nicht zum Autofenster hinausflattern, denn man hat Großes vor. Die Mutter jauchzt beim Anblick der Standln, die zu beiden Seiten der Straßen wie die Dominosteine aufgereiht stehen, kaum dass die Familienkutsche die geduckten burgenländischen Häuser passiert, laut auf. Trauben und Erdäpfel werden in der „goldenen Jahreszeit“ in Steigen angeboten, und die vorüberkommenden Städter greifen gerne zu.

„Ich liiiiiebe das Burgenland!“, ruft sie den einheimischen Burschen zu, während die der übermütigen Städterin sehnsuchtsvoll zuwinken.

„Omama, brauchen wir noch Erdäpfel?“, kreischt sie fröhlich gegen den Fahrtwind an, denn eins, zwei, drei macht ihr das Fahrtempo gar nichts mehr aus, und noch ehe aus dem Fond des Wagens ein schwerhöriges „Waaas?“ ertönt, steigt der Vater, kaum dass das Ortsende-Schild in Sichtweite kommt, wieder auf die Tube, worauf die Mutter, hin und her gerissen zwischen Lust und Enttäuschung, reflexartig auf die Beifahrerbremse steigt und ihr unvermeidliches „Nicht so schnell, Goschi!“ stöhnt.

Tage vorher schon sorgt der alljährlich wiederkehrende Familienausflug für Vorfreude. Die Realität aber erweist sich als widerspenstig: Die Mutter, glücklich über die Spritztour in ihr Lieblingsbundesland, verbleibt ob der „Raserei“ des Vaters mehr als nur angespitzt, der Vater, den anschließenden Heurigenbesuch im Visier, wird von seiner Frau zum wievielten Male zum „Vernünftigsein“ angehalten, kaum dass das erste Achterl in Nipp-Nähe kommt, die Omama, die sich ein Näschen voll Ungarn (wo ihre Wurzeln liegen) erhofft, indes der Herr Schwiegersohn wie zufleiß an allem Pannonischen vorbeibraust, und endlich der Bub, der einmal mehr ein Kopftüchl „gegen den Zug“ verordnet bekommt, von den festen, ausrangierten Katzi-Schuhen ganz zu schweigen. So hat ein jeder nicht wirklich das, was er sich erhofft, jedoch genug, womit er sich zu bescheiden hat.

Die alljährliche Expedition ins Burgenland erreicht ihren Höhepunkt, wenn der Weinhauer des Vertrauens erreicht ist, die Omama die Weinkisten mit dem Leergut in die Hofeinfahrt schleppt, die Mutter das Kopftuch des Buben herunternestelt, der Vater die hastig gerauchte Belohnungs-Nil austritt, und die Familie schließlich die holprigen Steinstufen in den bacchantischen Keller hinuntersteigt. „Jöschaschna, ist das glatt!“, sagt die Muttermutter und krallt sich am Geländer fest. Hier unten geschieht das Unvermeidliche: Der Vater leckt sich zufrieden die Lippen, die Mutter beginnt nach dem ersten Schluck zu kichern, die Omama verzieht das Gesicht („Höchstens ein Stamperl Eierlikör!“) und der Bub ist zum ersten Mal an dem Tag zufrieden – das Tüchl ist endlich weg und die klobigen Schuhe schützen gegen die Kälte.

Die Weinverkostung gewinnt an Schwung. Obwohl die Erwachsenen wissen, was sie wollen und wie das Gewünschte schmeckt, muss man doch pflichtschuldig dem ersten „Staubigen“ die Aufwartung machen, indem man unter „Oh!“ und „Ah!“ und „Heuer ist es aber ein ganz besonderes Tröpferl!“ das goldene oder rote Getränk einer fachkundigen Verkostung unterzieht, es für „TADELLLLOS!“ befindet, worauf der Weinbauer entschlossen Kiste um Kiste die steile Treppe hinaufwuchtet, gefolgt von der bereits reichlich illuminierten Degustationsrunde (die eigentlich einzig und allein aus dem Vater besteht). Oben übernimmt die Omama die neue Lieferung und „zaht“ Unmengen von Dopplern zum geöffneten Kofferraum, während der Vater bezahlt, die Mutter das Erdäpfel-Sortiment in der Küche der Dame des Hauses begutachtet und der Bub sich vor einem heimtückischen Überfall der Hofgänse in Sicherheit bringt.

Als alles bereit zur Abfahrt ist, steigt das obligate Abschiedswinken, der Schwur, auch im nächsten Herbst wieder pünktlich zur Stelle zu sein, und nachdem man sich gegenseitig ein „gutes Geschäftsjahr“ und ein herzhaftes „G’sund bleiben!“ wünscht, steigt der Vater auf des Opels Tube, die Mutter auf die Bremse, die Omama krallt sich an den Taschen voller Erdäpfel fest, während der Bub sich das wieder verpasste Tüchl vom Kopf reißt und beschließt, die Fahrt über zu bocken.

Diese, meine alljährlichen Begegnungen mit dem jüngsten aller österreichischen Bundesländer sind lange schon Geschichte. Vater, Mutter und Omama sind allesamt schon längst vorausgegangen und verkosten jetzt anderswo den jungen Wein, der Opel ist verschrottet, die Doppler-Flaschen sind in anachronistischer Versenkung verschwunden, über das Buben-Kopftuch liegt der Mantel des Vergessens, und, das Wichtigste, der heimische Wein lebt lange schon nicht mehr vom Ondit seiner selbst, sondern von der De-facto-Qualität einer neuen Winzergeneration.

Ja, das Burgenland hat sich herausgeputzt, und der Ruf besteht längst nicht mehr aus Saufen, Störchen und See. Im Gegenteil. Seit den Neunzehnsiebzigerjahren haben kluge Köpfe jede Menge Grips und Kohle investiert – und das Ergebnis ist verblüffend. Das Land hat sich in allen Belangen selbst überholt. Unzählige große und kleine Initiativen ließen es zum europäischen Chimborasso kulturellen Selbstbewusstseins aufschließen: die Gelsenbastionen Mörbisch und St. Margarethen, das Gidon-Kremer-Kammermusikfest in Lockenhaus, das Haydn-Festival in Eisenstadt, das Liszt-Zentrum in Raiding, das länderverbindende picture on festival Bildein, die interkulturelle KUGA Großwarasdorf, nicht zu vergessen der Literaturweg Csaterberg, die Hianzen-Gesellschaft in Oberschützen, die Osliper Cselley Mühle, das Künstlerdorf Neumarkt, die Rabnitztaler Malerwochen, das Jazz Festival Wiesen und und und …

Und erst die Vielfalt der Museen! Vom Auswanderermuseum Güssing, dem Erwin Moser Museum Gols, dem Land Art Project The Pit in Breitenbrunn, dem Dorfmuseum Mönchhof, dem Museum für Baukultur in Neutal, dem Wimmer-Museum Oberschützen, dem Skulpturenpark Pöttsching bis zum Stiefelmachermuseum Rechnitz und dem Töpfermuseum in Stoob – und das sind, bei der Ikone von Kasan, potzneusiedelnocheinmal, bei Gott noch lange nicht alle!

Wer bitte weiß um den Kraftplatz Liebing, um die größte Marillen-Gemeinde Österreichs in Kittsee, um das Kanufahren im Drei-Länder-Eck des Naturparks Raab-Őrség-Goričko? Wer weiß vom Grasschizentrum Rettenbach oder dem von der UNESCO in die Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommenen Neckenmarkter Fahnenschwingen?

Man staunt über die Vielfalt und den Reichtum von Schlössern und Burgen: Deutschkreutz und Bernstein, Lockenhaus und die Friedensburg Schlaining, Tabor und Batthyány, von den stupenden Schätzen Forchtensteins ganz zu schweigen.

Kurioses wie Erlesenes, Handwerkliches wie Überraschendes, Wohlschmeckendes und Gutriechendes. Naturwunder, Historie, Bedenkens- und Gedenkenswertes. Kaum ein Bundesland hat so viele Überraschungen parat wie die 100-jährige Jubilarin!

Immer aber sind es die Schicksale der Menschen, die mich in ihren Bann ziehen: Die der Stinatzer Kroaten, der Roma in Oberwart, der Kobersdorfer Juden, der Zwangsarbeiter von Rechnitz oder die der Ungarn-Flüchtlinge in Andau. Menschen und ihre Geschichten. Was sonst macht ein Land aus? Ich durfte sie kennenlernen, über einige lachen, manche haben mich mehr berührt, als ich es mir eingestehen wollte, viele haben mich überrascht.

Überall haben Menschen mir ihre Lebensgeschichten erzählt. Und ich, ich habe ihnen zugehört. Ich durfte durch ihr Land reisen, ein Land, wie es vielfältiger, entdeckungsreicher nicht sein könnte: vom Großen See, dem Neusiedler See, im Norden, dem Vogelparadies der Langen Lacke über die Höhen des mittelburgenländischen Geschriebensteins, von den mit Kellerstöckeln überzuckerten Uhudler-Hügeln und den romantischen Flusskrümmungen der Raab zurück zu den Ausläufern des Leithagebirges und der weiten Ebene der Parndorfer Platte.

Menschen haben mir ihr altes Handwerk vorgeführt: Der Blaudrucker und der Schilfschneider, der Töpfer, der Gschalerma(n)dlbauer, der Winzer und der Marillen-Bauer, die Dialektforscherin, der Parfümeur, der Grabinschriftenjäger – bis hin zur Omama in Stinatz. Sie alle haben mich mit offenen Armen empfangen, ohne Argwohn, und haben drauflos geplaudert. Ich habe gestaunt, gelernt, entdeckt und all das Neue um mich herum genossen. Die Menschen des kleinen, großen, jungen, alten Landes haben mich willkommen geheißen. Schöneres kann einem Reisenden nicht passieren.

Ich habe sie besucht, die hundert bemerkenswertesten Orte, Plätze und Sehenswürdigkeiten des Landes. Über manche von ihnen habe ich Geschichten geschrieben, andere gebe ich als besondere Empfehlungen weiter. Setzen Sie sich auf den Sozius und entdecken Sie mit mir ein bekanntes unbekanntes Land, ein Land, das sich so viel jünger anfühlt, als es ist: Das hundertjährige Burgenland!

Ein kopfloses Genie

Haydn-Haus, Joseph-Haydn-Gasse 19 & 21, 7000 Eisenstadt

Wo sonst kommt man dem Leben und Schaffen eines der größten Musikgenies aller Zeiten näher als in dessen eigenen vier Wänden? So schwingt man sich, kaum dass die ersten Boten des nahen Frühlings das Land mit Teppichen aus Primeln überziehen, aufs rote Einspurige und pfeift ins Reich des „Vaters der klassischen Sinfonien, Sonaten und Quartette“, ins auf Hochglanz gebrachte Hauptstädtchen der hundertjährigen alten Dame, um ihrem großen Sohn die Reverenz zu erweisen.

Sogar das hellgrau-weiße Barockhaus in der Joseph-Haydn-Gasse ist frisch gebotoxt. Ich löse ein Ticket und streife alsbald durch Räume, in denen gottnahe Melodien erfühlt, wohl auch erlitten, jedenfalls notiert wurden. Hier, im Zimmer mit dem Hammerflügel, arbeitete das Genie, dort dinierte es, in der Kammer mit der Bettstatt raufte es seine unter der wohlondulierten Perücke verbliebenen letzten Haare, weil, so darf vermutet werden, der Dienstherr mal wieder nicht verstand, was nicht zu verstehen werden brauchte. Mäzen und Künstler – das ewige Thema. An der endlos langen Mauer des Esterházy’schen Schlossgartens lebte der Hofmusikus inmitten seiner vollen, halben, Achtel-, Sechzehntel-, Zweiunddreißigstel- und Vierundsechzigstelnoten: Joseph Haydn, Musikdirektor und Kapellmeister derer zu Esterházy. Vernahm der Meister in diesen Räumen auch die Nachricht seiner Kündigung?

Der Kopf des Genies

Die Absonderlichkeit seines Todes konterkariert die Bedeutung seines Lebens, das ist die traurige Pointe meiner Geschichte. Was die Mozartkugel für Salzburg, Schanis Geige für Wien, ist die makabre Geschichte über Haydns kopflose Bestattung für Eisenstadt. Von den Räumlichkeiten des Wohnhauses aus möchte ich mich auf die Spur des seltsamen Verschwindens des erhabenen Musikerhauptes begeben.

Wie verliert man seinen Kopf? Als Vulgo-Wort, wenn’s denn sein muss, gewiss aber nicht realiter. Und schon gar nicht post mortem. Dennoch und trotz allem – einem der größten Musikgenies aller Zeiten widerfuhr das Außerordentliche. Und das kam so …

Joseph der Große diente den Házys, genau genommen Fürst Paul II. Anton und dessen Nachfolger, Nikolaus I., dem „Prachtliebenden“. Ihm folgte Fürst Anton, der weder G’spür für das Wahre noch für das Schöne, ganz zu schweigen für Kaiser-, Russische oder Erdödy-Quartette hatte. Dem Herrn Kapellmeister, nachmals weitgereist und weltberühmt, begegnete das Undenkbare: Er bekam den blauen Brief. Ein österreichisches Schicksal. Bis nach England zog es ihn in der Folge, später dann nach Bonn. Die Reisen waren Anlass zu den großen Compositiones des „Maître de la musique“: die Paukenschlag-, die Londoner, die Militärsinfonie, später, zurück in Wien, Die Schöpfung, Die Jahreszeiten und was nicht alles. Und irgendwann geschah es: Haydn, der Genius des 18. Jahrhunderts, wurde müde. Nach dem Tod seiner Frau war er nicht mehr in der Lage zu arbeiten, zu komponieren, noch weniger aufzutreten. Er starb an Altersschwäche, während die ersten Kanonenschüsse fielen. 1809 ritt Napoleon in Wien ein. Und Haydn verlor seinen Kopf.

Eine obskure Lehre geisterte durch Europa. Der Anatom und Kraniologe Franz Joseph Gall begründete zu dieser Zeit mit der Phrenologie die Anfänge der Gehirnforschung. Der Herr Doktor glaubte anhand von Ausformungen der Schädelform auf Charakter und Wesen des Toten schließen zu können. Er hortete Porträtbüsten bekannter Zeitgenossen, hielt Privatvorlesungen und schreckte auch nicht vor okkulten Handlungen zurück. Halbgebildete Jünger schossen wie Pilzlinge aus dem Nährboden obskurer Theorien. Der Privatsekretarius des Fürsten Esterházy, Josef Carl Rosenbaum, war einer davon. Ein anderer: Johann Nepomuk Peter, Verwalter des k. k. Niederösterreichischen Provinzialstrafhauses. Eines Nachts rückten sie mit Spaten und Krampen bewaffnet aus. Der Totengräber des Hundsturmer Friedhofes zu Wien, der Joseph Haydn am Tag zuvor verscharrt hatte, wurde bestochen. Er grub den Leichnam wieder aus und trennte den Schädel vom Rumpf. Rosenbaum vermaß Kopf und Kragen nach dem Gall’schen System und erkannte prompt an einer der Schädelausbuchtungen Haydns ausgeprägten „Tonsinn“.

Das Haydn-Haus in der Haydn-Gasse im Haydn-Städtchen

Die grausige Reliquie bekam einen Ehrenplatz in seiner Wohnung, und vermutlich wäre der Diebstahl nie publik geworden, hätte nicht einige Zeit später Prinz Adolph Friedrich von Cambridge dem alten Esterházy seine Aufwartung gemacht und ihn auf den verstorbenen Compositeur angesprochen, der doch lange Zeit in Diensten seiner Vorfahren gestanden hatte. Der Fürst erblasste, hatte er doch glatt auf Haydns standesgemäßes Begräbnis vergessen. Umgehend ordnete er dessen Exhumierung an, um die Gebeine nach Eisenstadt überführen zu lassen. Als der Sarg geöffnet wurde, staunten die Anwesenden nicht schlecht. Statt des Kopfes lag eine Perücke in der Kiste. Fürst Esterházy übergab den Fall der Polizei, und Rosenbaum, bei der Graböffnung ebenfalls anwesend, notierte in seinem Tagebuch, dass es ihm „diebische Freude bereitet hatte, den Fürsten düpiert zu sehen“. Die Schlinge um seinen Hals aber zog sich zusammen. Vorerst übergab der Grabräuber der Polizei den Kopf eines x-beliebigen jungen Mannes, später dann den eines Greises. Beamtenüberforderung. Um keinen Skandal heraufzubeschwören, beließ man es dabei, und der arme Haydn begab sich mit fremdem Schädel auf seine letzte Reise nach Eisenstadt.

Während über die Sache Gras wuchs, ruhte Haydns Caput auf einem kleinen, samtverbrämten Seidenkissen in der Wohnung der Familie Rosenbaum. Erst als der Patron im Sterben lag, vererbte er das edle Stück seinem Freund Peter, der es an seinen Leibarzt weitergab. Der wiederum ließ den Kopf einem anderen Kollegen zukommen, dessen Erben ihn dem Haus der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien vermachten. Erst in den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts kam man der Reliquie auf die Schliche, die Herren Musiker aber wollten ihren kostbaren Schatz beileibe nicht herausrücken. Juristische Begründung: Der Transport von Leichenteilen über die Wiener Stadtgrenze hinaus sei strengstens untersagt. Viele Jahre sollten vergehen, ehe der inzwischen hundertfünfundvierzig Jahre verblichene Haydn seinen Kopf zurückbekam.

Am 5. Juni 1954 war es so weit. Man überführte den genialen Schädel nach Eisenstadt und bettete ihn zu den Überresten des wohl größten Sohnes des Burgenlandes. Joseph Haydn war heimgekehrt. In allen Ehren – vor allem aber mit erhobenem Haupt.

TIPPS

Land und Grenze

Klingenbach-Sopron:

1989: Die Außenminister Mock (A) und Horn (H) griffen zur Zange, der Eiserne Vorhang war durchschnitten. 7013 Klingenbach

Klostermarienberg:

1945: Der erste Soldat der Roten Armee betrat deutsches Reichsgebiet – der Anfang vom Ende des Schreckens. 7444 Mannersdorf an der Rabnitz

Nickelsdorf-Hegyeshalom:

1989: Der Todesstreifen zwischen Ost und West war Geschichte.2015: Einundsiebzig Leichen im Kühlwagen eines Schleppertransportes – die Grenze des Schreckens. 2425 Nickelsdorf

Katastralgemeinde Luising:

1923: Der kleine Grenzort zwischen Strem und Pinka kam im Tausch gegen zehn andere Gemeinden erst zwei Jahre später zu Österreich – Luising, das jüngste Dorf Österreichs. c/o 7522 Heiligenbrunn

Kirche und Glaube

Evangelische Kirche H. B. Oberwart:

Das älteste evangelische Gotteshaus Österreichs – die Gemeindemitglieder*innen sind Nachfahren der einstigen königlichungarischen Grenzwächter*innen. Reformierte Kirchengasse 16, 7400 Oberwart

Flugplatz von Trausdorf:

Von der Roten Armee zum Modellflugplatz – 1988 las Papst Johannes Paul II. hier (vor ausverkauftem Haus) eine Messe. 7061 Trausdorf an der Wulka

Haus der Gemeinschaft:

In Kleinfrauenhaid wird jungen Menschen geholfen; Krisen, Drogen, Neubeginn – Cenacolo meets Burgenland. Kleinfrauenhaid 18, 7023 Zemendorf-Stöttera

Wallfahrtskirche St. Emmerich:

Hinterm Eisernen Vorhang war sie als Wachtturm getarnt, heute schiebt sie Dienst als Hochzeitskirche. 9954 Rönök, Ungarn

Basilika Maria Loretto:

Der mächtige Bau aus dem 17. Jahrhundert dominiert die Skyline von Loretto. 1997 wurde die Wallfahrtskirche zur Basilica minor erhoben. Im sehenswerten Kreuzgang steht die Kapelle mit dem Gnadenbild der „Schwarzen Madonna von Loretto“. Hauptplatz 22, 2443 Loretto

Rot-weiß-rotes Gold

Zuckerfabrik und Safranoleum, Ödenburger Straße/Eisenstädter Straße 97, 7011 Siegendorf

Rüben, Rüben, Rüben. Der Weg zahlt sich aus. Vor mir steht eine fünfstöckige Halle. Viel mehr ist nicht übrig von der „Großen Fabrik“ der Patzenhofers. So hießen die Dorfkaiser hierzulande, und sie waren Herren über ein von ihnen geschaffenes Imperium: die Rübe. Daraus machten sie Zucker. Ihr Reichtum wuchs in gleichem Maße wie der der Bevölkerung. Aus einer Handvoll Häuser wurde eine Siedlung, ein Marktflecken, eine Marktgemeinde. Eine Schule, eine Feuerwehr, eine Arztpraxis, sogar ein eigener Gendarmerieposten, all das wurde zum Wohle der Belegschaft von den Patzenhofers I–III finanziert – von betriebseigenen Arbeiterwohnungen ganz zu schweigen. Bald schon nannte man die Siegendorfer Aufschneider, kein Wunder, patzig zeigte man, was man hatte. Und das war nicht wenig: Arbeit nämlich. Auch in Zeiten, in denen es beileibe nicht selbstverständlich war, sich und seine Familie durchzubringen, die Esterházys der Wulkaebene – vulgo der Patzenhoferische Clan – zeigten, wie’s ging: Zucker, Zucker, Zucker. Die ehemalige Fabrik galt hundertfünfunddreißig Jahre lang (1853–1988) als einer der sozial am klügsten aufgestellten Betriebe des Bezirks Eisenstadt-Umgebung.

Das Reich des Herrn Pinterits

Heute aber bin ich nicht nur auf der Spur des weißen Goldes, auch das rote hat es mir angetan. Ich lasse mich treiben, ich schnuppere. Kaum liegt das (ehemalige) Industriegebiet hinter mir, passiere ich Feuerwehr, Gendarmerieposten und Ärztezentrum, lasse die Volksschule rechts liegen, denke an die (gerne auch zum eigenen Vorteil gereichende) Großzügigkeit der Patzenhoferischen, folge der Eisenstädter Straße, widerstehe dem Angebot der Kakadu-Nachtbar, biege bald nach den letzten Häusern Siegendorfs auf einen geschotterten Weg ein, der mich, entlang von Feldern, zu einem reichlich seltsamen Vogel führt. Nach hundert Metern prangt das Schild: „Safranoleum“. Klingt nach Bodenbelag. Ist es aber nicht. Links von der Einfahrt, das Kräutergärtlein. Die Pflanzen sind fein säuberlich beschriftet, hier wird nichts dem Zufall überlassen. Ich komme nicht unangemeldet.

Das rote Gold: Safranblüten

„Hallo?“

„Ich würde gerne vorbeikommen.“

„Wann?“

„Heute.“

„Nicht zwischen eins und zwei!“

„Gibt’s was zu essen?“, frage ich scherzhaft. Dem Mann ist nicht zum Scherzen zumute, vielleicht hat er gerade Hunger. Er legt auf. Habe ich ins Schwarze getroffen? Safranologen haben Appetit. Zwischen eins und zwei.

Ich bin um zwölf da.

Ein schwarzer Kubus, rechts davon ein schnittiges Einfamilienhaus. Rundherum: Gegend. Nichts als Gegend. Gott sei bei uns! Wer lebt hier? Herr Pinterits Hannes, ein fescher Mensch, schlank wie ein Safranstängel, öffnet die Designer-Tür.

„Sie sind …?“

„Ja“, sage ich, „wann gibt’s was zu essen?“

„Um eins.“

„Deswegen bin ich da.“

„Was?“

„Nein. Ich bin an Safran interessiert. Ausschließlich.“

Erleichtert baut sich der Longinus vor mir auf, und ohne dass ich „Bap“ sagen kann, legt er los: „… dass das Land hier einmal führend in der Zucker- und Safran-Erzeugung war, ein Jahrtausend lang hat man hier das Rote Gold produziert. Bis zum Ersten Weltkrieg. Und dann war’s beinahe hundert Jahre lang ruhig, bis, ja, bis es wieder begonnen hat. Kriterium war und ist die Qualität. Bei der reifen Pflanze entfernt man die drei ‚Narben‘, die in einem gemeinsamen ‚Narben-Griffel‘ verwachsen sind. Die Qualität des Safrans erkennt man an der Farbe (je röter, desto besser) und am fehlenden Griffel. Bei schlechter Ware ist er noch dran. Es geht um jedes hundertstel Gramm. Um ein Kilogramm zu verkaufen, benötigt man bis zu hundertfünfzigtausend Blüten oder vierhundertfünfzigtausend Narben. Die Produktion erfolgt händisch, was auch den Preis erklärt. Die Ernte ist im Spätherbst. Es geht um den geeigneten Moment: Schönwetter. Sonst verdirbt die Ware.“

Herr Pinterits fingert nach ein paar silbernen, hübsch beschrifteten Döschen und reicht mir eine Kostprobe.

„Jetzt werden S’ staunen!“

Ich staune. Ich koste ein Löffelchen. Es schmeckt. Echt jetzt. Keine Ahnung, was das ist. Hocharomatisch.

„Fenchelpollen! Der Geschmack ist so einmalig wie unverwechselbar. Fenchelartig, nur etwas süßer. Elegante, pinienartige Note.“

Anis, Koriander, Curry, Marille, Zitrone, Safran.

„Wofür braucht man das?“

Herr Pinterits rollt die Augen. „Vorspeise, Suppe, Hauptspeise, Dessert. Sie können die Pollen zum Würzen, Marinieren oder Garnieren verwenden – einfach als Tüpfelchen auf dem ‚i‘.“