Tirol für Entdecker - Michael Schottenberg - E-Book

Tirol für Entdecker E-Book

Michael Schottenberg

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Beschreibung

Eine Reise ins Paradies »Nur wo du zu Fuß warst, bist du gewesen.« Johann Wolfgang von Goethe hat es gewusst. Seine »Italienische Reise« führte ihn durch das gesegnete Tirol und Südtirol, die er von Nord nach Süd bereiste, entlang schneebedeckter Gipfel und saphirblauer Seen. Die Schönheit der Landschaft macht noch immer süchtig. Kostbares wie Kurioses gilt es zu entdecken. In Tirol pfeifen Tiere von den Bergen, fliegen Menschen durch die Luft, spazieren Elefanten über Gipfel, versinken Kirchtürme im Wasser und thronen Götter in Steintempeln – und das alles auf tausenden Metern Höhe. Menschen erzählen Michael Schottenberg ihre Geschichten. Wer zu hören versteht, dem sei eine Reise durch das Paradies empfohlen. So, wie es der Geheime Herr Rat einst empfunden hat, ergeht es dem aufmerksamen Reisenden auch heute: »Das Glück liegt im heiligen Land zum Greifen nah. Man braucht sich nur zu bücken, um es aufzuheben.« Das ist der erste Satz des Buches. Nicht zu Unrecht.

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Seitenzahl: 217

Veröffentlichungsjahr: 2025

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MICHAEL SCHOTTENBERG

Tirol für Entdecker

SCHOTTI TO GO

Michael Schottenberg

Tirol für Entdecker

Mit 76 Fotos

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Redaktioneller Hinweis:

In Fällen, in denen aus Gründen der Stilistik das generische Maskulinum verwendet wird, sind grundsätzlich immer alle Geschlechter gemeint.

© 2025 by Amalthea Signum Verlag GmbH, Wien

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung und Satz: Johanna Uhrmann nach einem Design von Valence/valencestudio.com

Umschlagfoto: © Barbara Nidetzky

Lektorat: Martin Bruny

Herstellung: VerlagsService Dietmar Schmitz, Erding

Gesetzt aus der Collier und der Ramona

Designed in Austria, printed in the EU

ISBN 978-3-99050-285-3

eISBN 978-3-903441-27-9

Für Claire

Inhalt

1 Der Schönheit auf der Spur

Vorwort

2 Bären, Katzen und jede Menge Affen

Beim Murmelwanderführer Peter Kendlbacher, Reith 5, 6392 St. Jakob in Haus

3 Der Philosoph vom Innergschlöß

Almgeschäft Franz Oberschneider, Innergschlöß 20, 9971 Innergschlöß

4 Augenblicke der Maßlosigkeit

Passionsspielhaus Erl, Mühlgraben 56, 6343 Erl

5 Der Duft des Waldes

Tiroler Holzmuseum, Auffach Dorf 148, 6313 Wildschönau

6 Tirol unter Palmen

Andrea Kostenzer, Jausenstation Hörbighof, Thierbach 28, 6311 Wildschönau

7 Welt aus den Fugen

Museumsfriedhof Tirol, Hagau 82, 6233 Kramsach

8 Im Reich der schönen Töne

Orgelbau Erler, Badergasse 8, 6262 Schlitters

9 Gewerkschafterin wider Willen

Notburga Museum, Ebener Straße 98, 6212 Maurach-Eben

10 Von Bergen und Seen

Achensee / Reintalersee / Berglsteinersee

11 Mehr Licht!

Bartenbach academy, Lindenstraße 1, 6112 Wattens

12 Momente meiner Kindheit

Lederwerkstatt Monika Nuener, Rinner Straße 497, 6073 Sistrans

13 Die Schwerelosigkeit von Glück

Sprungschanze Natters, Seestraße 17, 6161 Natters

14 Ein Schloss der Liebe

Schloss Ambras, Schloßstraße 20, 6020 Innsbruck

15 Von Igls bis zur Hungerburg

Waldstraßenbahn, Bahnhof Igls, Obexerstraße 18, 6080 Innsbruck – Hungerburgbahn, Station Hungerburg, Höhenstraße 151, 6020 Innsbruck

16 Vom Gleichklang der Zeit

Glockengießerei Grassmayr, Leopoldstraße 53, 6020 Innsbruck

17 Ski foan

SPURart, Höttinger Gasse 26, 6020 Innsbruck

18 Das Kind

Hofkirche Innsbruck, Universitätsstraße 2, 6020 Innsbruck

19 Just 4 fun

Mountain Carts, Muttereralm Innsbruck, Nockhofweg 40, 6162 Mutters

20 Pfeifenwelt

Der Pfeifendesigner Ludwig Lorenz, Olympiastraße 11, 6091 Götzens

21 Aus Liebe zum Glas

Glasbläserei & Glasapparatebau Barbara Votik, Kreidweg 12, 6416 Obsteig

22 Wo der Himmel beginnt

Apollontempel am Hundstalsee, Gemeinde Inzing, Bezirk Innsbruck-Land

23 Applestrudl and Linsenbhat

Amberger Hütte, Gries 17, 6444 Längenfeld

24 Das Urgestein von Affenhausen

Steindrucker Günther Stecher, Leite 82, 6414 Wildermieming/Affenhausen

25 Des passt nit do her!

Festival medienfrische, Verein Sous les Pavés, Bschlabs 30, 6647 Pfafflar

26 Elephants On The Rocks!

Rettenbachgletscher, Bergbahnen Sölden, Dorfstraße 115, 6450 Sölden

27 Die Welt erklären

Museum »Serfauser Lauser« – Alte Mühle, Untertösens 1, 6541 Tösens

28 Das versunkene Dorf

Der Kirchturm vom Reschensee, Vinschgauerstraße, 39027 Graun im Vinschgau, Italien

29 Am Ende des Tals

Alpinarium Galtür, Hauptstraße 29c, 6563 Galtür

30 Die beiden Raben

Museum Paul Flora, Tauferer Torturm, Florastraße 3, 39020 Glurns, Italien

Bildnachweis

Der Autor

Der Schönheit auf der Spur

Vorwort

Das Glück liegt im heiligen Land zum Greifen nah, man braucht sich nur zu bücken, um es aufzuheben. Der Satz beschreibt meine Erkundungstour durch Tirol aufs Trefflichste. Sie führte mich vom Innergschlöß bis ins Paznaun, vom Vinschgau in Südtirol, dessen Geschichte so eng mit dem einstigen Mutterland Österreich verbunden ist, bis ins nördliche Unterinntal, an der Grenze zu Bayern. Entlang schneebedeckter Gipfel und saphirblauer Seen, durch schattige Wälder und über steile Bergrücken, von denen kristallklares Wasser in freiem Fall zu Tal stürzt, quer über Hochalmen und Naturparks, auf Pisten und Wegen – meine Reise durch das gottgewollte Land mochte kein Ende nehmen. Zum Glück. Die vielfältigen Herausforderungen quer durch das Karwendel-, Rofan- und Kaisergebirge, vorbei an der Verwallgruppe, den Ötztaler Alpen, über das Mieminger Plateau, das Tiroler Ober- und Unterland, entlang des mächtigen Inn, durch das bekannte und unbekannte Land haben meine Entdeckerlust geweckt.

Natürlich wusste ich um die Artenvielfalt von Flora und Fauna, um verschwiegene Flusstäler und majestätische Berggrate. Vom Bewahren alter Traditionen aber, dem Wissen um verloren geglaubtes Handwerk und von der Neugier auf zeitgenössische Kunst und Kultur erfuhr ich während zahlloser Begegnungen und Gespräche, die mir eine völlig neue Sicht auf Land und Leute eröffneten. In Tirol habe ich so vieles entdeckt: die Pfiffigkeit der Menschen, die Würde der Landschaft, die Muße des Innehaltens – und die Stille. Liegt das an den vielen kleinen und großen Kirchen, die beinahe auf jedem Bühel stehen und den Fremden begrüßen, als wiesen sie ihm den Weg zu sich selbst? Vielleicht ist es ja genau das, was das Land beschreibt: die Kraft des Zusammenwirkens allen Lebens, die Heiterkeit des Moments und die Schönheit der Natur.

Warum nicht die Welt mit eigenen Füßen erkunden? Wandern ist so einfach. Nicht die Marke des Materials entscheidet, sondern der eigene Antrieb, das Leben und die Landschaft zu genießen. Meine Neugier ließ mich am Morgen aufbrechen, der Hunger wies mich an, es gegen Abend wieder gut sein zu lassen – bei Kaspressknödeln, Kiachl oder Krapfen. Und Kaiserschmarrn. Unterwegs hieß es offen sein für Geräusche und Gerüche, für die Geschenke der Natur, die am Wegesrand bereitstanden: Pilze, Beeren, Früchte. Meine großstadtverkümmerten Sinne wurden mit himmlischen Gaben verwöhnt. Wie genussvoll erschien mir der Eifer des Entdeckens und Erkundens. Die Erschöpfung, an deren Grenze ich oftmals stieß, brachte mich der Freiheit näher. »Nur wo du zu Fuß warst, bist du gewesen«, sagt der Volksmund. Die Vielfalt an Wegen, die Schönheit der Panoramen und den Zauber von Hochalmen vermag nur der zu genießen, der die Langsamkeit des Reisens für sich entdeckt.

Und erst die Bewohner des gebenedeiten Landes! Als hochmütiger Hauptstädter habe ich Schuhplattler, Jodler und Skifahrer erwartet. Ich bekenne mich schuldig, und die Sittenwächter des Landes mögen mir verzeihen. Gefunden habe ich Menschen, deren Humor, Inspiration und Wagemut mich verblüfft haben. Meine Reise glich einer Achterbahn durch den Alpengarten von Fantasie und Weisheit.

Menschen erzählten mir ihre Lebensentwürfe. Nie sind es die Sehenswürdigkeiten, die Auskunft geben über das Land, immer aber sind es die Geschichten der Menschen – schmerzvolle, heitere, wahrhaftige Lebensberichte. Ob meine Gesprächspartner längst vergessenes Gemüse wiederentdeckten oder durch die Luft flogen, Achttausender erklommen, die Welt illuminierten, auf Steinen druckten, aus Holz Unterwäsche schnitzten oder Glocken zeitgleich läuten ließen. Ob ein Dorf im Wasser versank, ob sich die Heimat unter Palmen verbarg, Raben zu Stein wurden oder Menschen auf Friedhöfen verschwanden – der Fantasie war keine Grenze gesetzt. Lebensfreude steckte mich an, das Wissen verloren geglaubten Handwerks erstaunte, und die Weisheit alten Glaubens machte neugierig auf mehr.

Tirol gleicht einer Schatztruhe, auf deren Boden sich das unscheinbarste Erlebnis als Kostbarkeit erweist, dessen Funkeln sich vervielfacht. So wurde die Welt rund um mich zu einer Bühne, die nur der betreten darf, der zu sehen versteht. Und die Tiroler, die schloss ich sowieso ins Herz.

Bären, Katzen und jede Menge Affen

Beim Murmelwanderführer Peter Kendlbacher, Reith 5, 6392 St. Jakob in Haus

Die putzigen Kuschler sind älter, als man glaubt. Es gibt sie seit über dreiundzwanzig Millionen Jahren. Nicht schlecht für die kleinen Racker, deren Nasen oftmals nur ein paar Millimeter aus der Erde lugen, bei Gefahr aber blitzschnell verschwinden, um sich frühestens ein halbes Jahr später erneut aus demselben Erdloch zu wagen. Dabei sind die flauschigen Gesellen beileibe nicht allein. Unzählige Sippschaften wabbeln und krabbeln unter der Erde herum. Auf so ziemlich jedem Kontinent der nördlichen Hemisphäre führen sie ihr seltsames Eigenleben. Marmotas werden sie genannt oder Petromarmota, je nachdem, ob es sich um ein nordostsibirisches Erdloch handelt, ein britisch-kolumbianisches, ob es unter den Gipfeln der Tian-Shan-Berge Turkestans liegt, unter jenen des Himalaja oder der Hohen Tatra, an den Pazifikküsten West-Washingtons oder in der herrlichen Bergwelt rund um die Gemeinde Fieberbrunn in den Kitzbüheler Alpen. Überall kratzen und ratzen, pfeifen und keifen, huscheln und kuscheln sie oberhalb und unterhalb der Erde. Manchmal wieseln sie so dicht unter der Oberfläche herum, dass schon so manch ahnungsloses Gämslein, das über die Almwiese setzt, im nächsten Murmelloch landet.

Die Kitzbüheler Alpen

Das Gangsystem gleicht dem des unterirdischen Wien. Harry Lime at its best! Bis zu siebzig Meter können die unterirdischen Katakomben lang sein, allesamt im Einbahnsystem angelegt. Einige der endlosen Gänge dienen als Fluchtrouten, andere, breitere, sind als Gemeinschafts- oder Schlafräume angelegt. Hat sich einer der Murmler verirrt, muss er bis zum nächsten Umkehrplatz laufen, erst dort kann er wenden – allerdings nur, wenn grade kein Gegenverkehr herrscht. Eine zweite Tunneltrasse wäre wünschenswert, würde der Grabmannschaft jedoch vermutlich zu viel Energie abverlangen. Die aber braucht’s, um ausreichend Fett unters Fell zu kriegen. Je blader die Erdlinge, desto enger erweisen sich die Gänge. Bis es kommt, wie es kommen muss: Die fettgefressenen Tiere passen durch keinen Tunnel mehr. Höchste Zeit für den Winterschlaf! Also kuscheln sie sich aneinander, schließen die Augen und dämmern ein. Bis zum nächsten Frühjahr.

Bewegung kommt erst in die Penne, wenn einen der Dickwanste ein allzu tierisches Verlangen überkommt. Dann wird’s eng in der Mulde, die Großen rappeln, die Kleinen zappeln, und der Kollege verschwindet in einer Art Sackgassenlatrine, die dem Verrichten seines Geschäfts dient und die genügend weit vom Schlafplatz entfernt ist, sodass sichergestellt ist, dass kein Missgeruch den ratzenden Felltigern ums Näschen streicht.

»Richtige Popscherln haben sie gegen Ende des Sommers«, sagt der Bergfex und Murmeltier-Experte Peter Kendlbacher, den ich in seinem Bau am Ufer des schönen Pillersees aufsuche, um mehr über die possierlichen Tiere zu erfahren. »Im Frühjahr hängt ihnen das Fell von den Rippen, so abgespeckt sind sie. Das Fett ist weg, aber es hat ihnen geholfen, zu überleben.«

»Kennen Sie die Tiere eigentlich persönlich? Ich meine, erkennen Sie sie wieder?«, wage ich die Großstädterfrage.

»Ja und nein. Ich weiß, wo sie wohnen, und ich erkenne die Bären, die meine Pirschgänge begleiten. Kaum tauche ich auf, pfeifen sie, und die Katzerln und Afferln, wie wir die Muttertiere und ihre Kleinen nennen, tauchen ab – und die Gams, hinter der ich her war, verschwindet im Unterholz. Auf Nimmerwiedersehen. Eine perfekte Alarmanlage.«

Herrn Kendlbacher habe ich mir als Experten in Sachen Murmeltier auserkoren, weil er der Einzige ist, der eine ausgewiesene Murmeltierwanderung in den Kitzbüheler Alpen anbietet. Will man die scheuen Bergbewohner von Angesicht zu Angesicht erleben, bucht man genau hier das unverwechselbare Bergabenteuer – nebst nahezu garantierter Erfolgsaussicht. Aber was heißt schon garantiert? Ich selbst habe bereits mehrfach »garantiertes« Glück einer Mensch-Tier-Begegnung versucht, jedes Mal mit niederschlagendem Erfolg. Kaum ertönte der sattsam bekannte Pfiff, war es schlagartig still auf der Alm, und ich war ratlos, kam mir ertappt vor, drehte und wendete mich mit oder gegen den Wind, hielt den Atem an, um vielleicht doch noch die eine oder andere Murmeltiernase zu erspähen, die sich hervorwagen könnte aus einem der unzähligen Erdlöcher, mit denen die Hänge gespickt sind, um zu prüfen, ob die Bergluft rein ist oder eben nicht. Nie hatte ich das Glück, dem legendären Tierchen von Angesicht zu Angesicht zu begegnen. Nicht so beim Kendlbacher Peter.

»Gibt es so etwas wie eine Erfolgsgarantie?«, frage ich.

»Die Wahrscheinlichkeit ist extrem hoch«, sagt er, »ich weiß ja, wo die Kräutln stehen, die sie mögen. Genau dort bauen sie. Die Chance auf eine Sichtung ist dementsprechend. In neunundneunzig von hundert Fällen klappt’s!« Und dabei schaut mich der Murmeltierexperte so treuherzig an wie ein ausgewachsener Affe.

»Wie kommen die Tiere eigentlich zu ihren seltsamen Namen?«, frage ich.

»Keine Ahnung«, sagt er und beginnt in Fotos zu kramen, um mir ein wenig Anschauungsmaterial zu liefern. »Bei uns heißen sie ja nicht Murmeltier, sondern Mangei.«

»Monkey?«, frage ich, »vielleicht nennt man die Jungen in der Jägersprache ja deshalb Affen? Aber warum man das Männchen ›Bär‹ und die Weibchen ›Katze‹ nennt …?«

»Keine Ahnung«, sagt Herr Kendlbacher, und jetzt sieht er aus wie ein betroppezter Bär, wie mir scheint.

Im Frühjahr werden die abgeschlankten Weibchen, die während der letzten Monate im Schlaf bis zu fünfzig Prozent ihres Gewichts verloren haben, in der Regel von mehreren Männchen begehrt. Nach erfolgter Begattung tragen sie fünf Wochen lang ihr süßes Geheimnis unterm Herzen, bis sie bereit sind, sommersüber den Nachwuchs zu »setzen«. Zwei Jahre bleiben die Jungen unter elterlicher Obhut, danach bilden die Flauscher ihre eigene Familie, wobei heftige Revierkämpfe anstehen. Längstens aber, wenn die ersten rauen Herbstwinde über die Hänge pfeifen, ist Reunion angesagt, und das große Versöhnen findet statt. Die Verbände vereint ihr Schicksal, nur so lässt sich das kommende halbe Jahr überleben – im gemeinsamen Schlaf. Je dichter das Fellknäuel, desto mehr Wärme für den Einzelnen.

Murmelwanderführer Peter Kendlbacher

»Mangeis sehen gut. Raubvögel erkennen sie aus einer Distanz von zwei Kilometern. Und sie sind schlau. Ist der Pfiff des Wächters kurz und kräftig, bedeutet das ›Adler im Tiefflug‹. Andere Pfiff-Variationen unterscheiden ›Angriffe‹ von Mensch oder Tier, aus der Luft oder vom Boden aus.«

Ein Bär kommt selten allein.

»Gibt’s so etwas wie Inzucht?«, frage ich, und was antwortet der lustige Herr Kendlbacher darauf?

»Möglich. Aber dabei war ich nie.«

»Wie schmeckt Murmelfleisch?« Ich weiß eigentlich gar nicht, weshalb ich das frage. Die Antwort kommt jedenfalls prompt.

»Intensiv.«

»Nach Wild?«

»Nach Murmel.«

Womit bewiesen ist, dass für den Peter die allerliebsten Tierchen ganz sicher nicht zum Abschussplan gehören, noch weniger zur Kategorie Wild, am ehesten noch zur Familie Mensch. Denn putzigere Wesen existieren nicht in der Kitzbüheler Alpenwelt – nicht umsonst gehören sie zu den Big Five der hiesigen Fauna, und damit, geschätzter Leser, ist allemal die hochlöbliche Gemahlin des römischen Waldgottes Faunus gemeint, die oberste Beschützerin des Tierreichs.

Hoch oberhalb des schönen Pillersees, jenseits der siebzehnhundert Höhenmeter, herrscht das göttliche Gemurmel der wohl wunderlichsten Tiere auf Tiroler Boden – das der »Bären«, »Katzen« und »Affen«, »Murmuntos«, »Munggen«, »Mangeis«, aus dem Reich der »Mus montis«.

TIPPS

Tirols BIG FIVE

Steinadler

Die Könige der Luft leben im Felsen- und Waldgebiet des Karwendelgebirges. Man sieht sich nicht satt an den weiten Adlerschwingen, die majestätische Bahnen über den Himmel ziehen. Schauen und staunen!

Murmeltier

Die putzigen »Mangeis« buddeln ein weitverzweigtes Netz an unterirdischen Gängen und Wegen kreuz und quer durch die Tiroler Bergwelt. In höchster Not ertönt ein schriller Pfiff. Im »Murmelland Zillertal« kommt man den Kuschlern nahe. Scheu, aber liebenswert!

Steinbock

Die hochspezialisierten Kraxler erklimmen auch die steilsten Felswände. Was für eine Freude, sie über unzugängliches Gebiet böckeln zu sehen. Besonders entspannt tut man dies im »Steinbockzentrum St. Leonhard« im Pitztal. Geschickt und behände!

Gämse

Die possierlichen Felsenziegen hüpfen aus dem Stand bis zu zwei Meter hoch und sechs Meter weit. Ihr größter Feind ist und bleibt die gute Stube des Jägers, wo ihre Krucken und Krickel die Wände »zieren«. Im »Nationalpark Hohe Tauern« in Osttirol sind die stolzen Tiere am schönsten zu beobachten. Quietschlebendig und überlebensfroh!

Bartgeier

In fünf Tiroler Naturparks kümmert man sich um die Wiederansiedlung der weltweit größten flugfähigen Vögel. Wer den »Bartler« aus nächster Nähe betrachten will, fährt in den »Naturpark Ötztal«, dort schweben sie über Wipfel und Grate. Majestätisch!

Der Philosoph vom Innergschlöß

Almgeschäft Franz Oberschneider, Innergschlöß 20, 9971 Innergschlöß

Gar nicht so leicht, sie zu treffen, die Oberschneiders. Man muss schon weite Wege gehen, beinahe bis an den Talschluss des verstecktesten Winkels in Osttirol, am Fuße des Großvenedigers. Hier im Innergschlöß ist er aufgewachsen, der Franz. Hier steht sein Elternhaus. Hütte wäre richtiger. Ein Mittelding eigentlich. Zu klein für Halblinge, zu groß für Erdlinge. Aber die tauchen im Gschlöß sowieso selten auf. Hier braucht’s ganze Kerle. Man muss den Anblick des großen Berges ertragen. Die Oberschneiders sind daran gewöhnt. Hier lebt man freiwillig oder gar nicht. Eingehüllt in Einsamkeit. Hier »drinnen« tickt die Zeit anders. Eigentlich gleich schnell wie »draußen«, nur langsamer. Intensiver. Vielleicht ist es der Mut zur Endlichkeit, die es hier zu entdecken gilt. Der Talschluss sieht aus wie das schönste Ende der Welt. Fühle ich die Nähe des Himmels? Oder stoße ich an die Grenzen meiner Möglichkeit? Die Menschen hier sind auf sich allein gestellt. Man tut, was man tut. Die Natur, die Tiere, der Wind, die Sonne, die Steine. Alles scheint gleich viel wert zu sein. Das eine bedingt das andere. Man muss stark sein, so viel Natur zu ertragen. Es scheint, als ob die Menschen ihre Kindheit in die Tasche gesteckt haben und sie nicht mehr loslassen. Hier begegnet man der Langsamkeit, der Würde, der Gelassenheit. Durch sie empfindet man Empathie für alles, was lebt. Man geht seinen Weg. Vielleicht ist es simpler, als man denkt. Man wird auf den großen Berg hinaufsteigen und das Einfache erfahren, die Nähe zu sich selbst. Und dann wird man all das Schöne erleben, weil man zu sehen gelernt hat – hier draußen im Innergschlöß.

Das Haus des Oberschneider Franz

Am Christkindlmarkt vor dem Wiener Schloss Schönbrunn habe ich ihn kennengelernt, den Franz. Dort stehen die Oberschneiders Jahr für Jahr. Gegenüber der riesengroßen Tanne. Die riesige Schaukrippe haben sie mit dem Auto hergebracht. Hier wird sie zusammengesetzt und aufgebaut. Stück für Stück. Vier Meter misst der Stolz der Oberschneiders. Auch den Ostermarkt lassen sie nicht aus, die Frau, die Kinder, und er, der Franz. Bei jedem Wetter stehen sie da und verkaufen ihre Krippen. Oder die Ostersachen. Viele Besucher legen sich, verteilt über die Jahre, einen Vorrat an frommen Figuren zu. Auch ich. Jahr um Jahr bin ich hier und schaue und staune und denke, wie viel Geduld es wohl braucht, diese zum Teil so winzigen Figuren zu erschaffen. Der Oberschneider Franz hat mich angesehen und hat gesagt: »Kummscht holt amol vorbei bei uns im Tal.« Ich habe auf die richtige Gelegenheit gewartet. Jetzt bin ich tatsächlich da. Hier, kurz vorm Talschluss. Im Innergschlöß.

Die Philosophen vom Innergschlöß

Der Aufstieg führt über einen Steilhang, durch den Wald und über Wiesen, Weiden, Almen, vorbei an Sturzbächen, vorbei auch an einer schönen Felsenkapelle, hinauf, immer hinauf, im Angesicht des Berges. Zwei Waldarbeiter legen neue Querbalken über den Weg, die alten sind schon abgetreten. »Im Sommer isch goar viel los hier«, sagen sie und nicken und lachen. Und weiter. Und höher. Und irgendwann ist man oben, im Vorzimmer der Osttiroler Bergwelt. Auf siebzehnhundert Meter bin ich aufgestiegen, und jeder einzelne davon will erobert sein. Der letzte Abschnitt führt vorbei an einer Weide, auf der Pinzgauer Rinder stehen oder auf den Matten liegen und das fette Gras von einem Magen in den anderen kauen. Bedächtig und langsam bin ich heraufgestiegen, so wie es die Menschen tun, die hier leben. Und dann stehe ich endlich vor der gedrungenen Hütte. »Kummscht holt amol vorbei bei uns im Tal.«

Ich trete ein und beuge den Kopf. Früher einmal war dies hier der Stall, im ersten Stock lebten die Leut’. Zur Begrüßung streckt mir der Franz die Hand entgegen. Hinten, wo die schiachen G’sichter hängen, steht er. Er legt das Schnitzmesser zur Seite. Ein kräftiger Händedruck heißt mich willkommen. So einfach ist das. Als wären seit unserer letzten Begegnung in Wien erst ein paar Tage vergangen. »Bischt echt kemma!«, sagt er, und dann erzählt er von den Bräuchen hier im Tal und von den Kindern, die sie lieben und pflegen, vom Klaubauf, dem Krampuslauf, der jedes Jahr unten in Matrei stattfindet. Meist stecken Kinder hinter den furchterregenden Masken. Sie bitten um Geld. »Das wird dann gespendet«, erzählt der Franz, und dass er selbst als Kleiner mitgelaufen ist und sich nichts sehnlicher gewünscht hat, als die Wintergeister milde zu stimmen. Maschinenbau hat er studiert, und eine Zeit lang hat er sie auch wirklich gebaut, bis er beschlossen hat, nur mehr aus Freude zu arbeiten und nicht, um Geld zu verdienen. Nur für diejenigen wollte er arbeiten, die er mochte. Für Menschen, in deren Nähe er sich wohlfühlt. Das tut er auch heute noch. Seine Kunden sind seine Freunde. Der wahre Grund, zweimal pro Jahr die weite Reise zum großen Markt in Wien auf sich zu nehmen, ist, Menschen zu treffen. Und die, die er mag, lädt er zu sich ein, ins ferne Tal im fernen Osttirol.

Hier, in seinem Paradies, lebt der Franz unter Gleichgesinnten. Hier hat man die gleichen Träume: in Harmonie zu leben. Mit der Natur, mit seiner Familie, mit den Nachbarn und deren Kindern. Und frühmorgens steigt man hinauf auf den Berg. »Gämsen schauen, Geschichten hören und Gletscher gehen.« Schöner kann man’s nicht sagen. »Ich will holt wissen, wos der Bach mir sogt. Ich will’s ihm vom Mund ablesen. Jed’s Ding hot a eigene G’schicht. A jedes Stückl Holz. Nur wer zuhört, wird wissen.«

Ich habe viel erfahren vom Oberschneider Franz. Eigentlich wollte ich mit ihm ja übers Schnitzen sprechen. Den Gefallen hat er mir nicht getan. Stattdessen habe ich vom Leben »gehört«. Ich kaufe ein kleines, blank poliertes Stück Holz, auf dem das Wort Liebe eingraviert ist. Auf der Rückseite steht es in Chinesisch. Und dann, dann steige ich den Weg hinunter ins Tal. Unterwegs finde ich ein paar Pilze und einige Walderdbeeren, im Dorf kaufe ich ein Stück Käse und Brot. So einfach ist das. Das Leben ist schön, denke ich. Hier draußen.

Augenblicke der Maßlosigkeit

Passionsspielhaus Erl, Mühlgraben 56, 6343 Erl

Natürlich ist Theater nur eine der Ausdrucksformen unserer Leidenschaften. Die gleiche Emotion finden wir in der Wissenschaft oder in der Medizin, im Sport oder in der Glaubenslehre, überall dort, wo Anspruch und die Verwirklichung dessen die Welt verlangsamen oder beschleunigen. Auf der Bühne kulminieren die individuellen Blitzlichter des Alltags – sie spiegelt, reflektiert und verstärkt sie. Leidenschaft ist unser Antrieb. Mit ihr verbinden wir Augenblicke der Maßlosigkeit, Sternstunden, die wir in der geheimen Schatztruhe unserer Erinnerung aufbewahren und die uns, wenn die Zeit zu Ende geht, das Gefühl vermitteln, gelebt zu haben.

Die Leidenschaft, einen Theaterabend zu gestalten, spielend oder inszenierend, entsteht zunächst im Kopf. Während der Entwicklung einer Figur oder der Vision, eine Geschichte zu erzählen, verwandeln sich Träume zu Ideen, Ideen zu Fantasie und Fantasie zu Realität. Es gleicht einem Rausch, wenn die Inspiration zu blühen beginnt. Die Ideen des Regisseurs nehmen Gestalt an, die Noten des Komponisten werden zu Musik, und die Begabung der Schauspieler verwandelt Ideen zu Menschen. Ab dem Moment der ersten scheuen Begegnung mit dem Publikum verwandelt sich die Vorfreude der Theaterleute in Leidenschaft, die alle erfasst, und gemeinsam erfüllt sich des Dichters Wort.

Rücken an Rücken

Wo gibt es das: ein Theater, das nur alle sechs Jahre spielt und dennoch berstend voll ist; ein Theater, das ohne marktschreierische Werbung auskommt. Von seinem Publikum wird es erwartet, von den Schauspielern ersehnt und von der Presse auf Händen getragen. Sogar die Kirche hält ihre Hände schützend über den Schnürboden, von Gottvater, dem Generalintendanten des Unternehmens, ganz zu schweigen. Kein Wunder, von ihm stammt die Story. Und die ist so spannend und abenteuerlich, so verwegen und voller Innigkeit, dazu noch frei von lästigen Tantiemen, dass man sich fragt, weshalb nicht auch andere Bühnenunternehmen auf die Idee kommen, das Stück in ihren Spielplan aufzunehmen. Bis auf eine Handvoll Konkurrenzunternehmen wagt es keiner.

Worum geht’s in dem Wunderwerk und wie realisiert man es? Ich nahm Kontakt auf mit den Verantwortlichen, schwang mich auf den Roller und stattete dem nördlichsten Norden einen Besuch ab. Und wem jetzt immer noch kein göttliches Licht aufgeht, dem ist in Ewigkeit nicht zu helfen. Erl führt die wohl größten und populärsten Passionsspiele des Landes durch. Der winzige Ort beherbergt zwar nur etwas mehr als sechzehnhundert Einwohner, knapp ein Drittel aber steht an den Spielabenden auf oder hinter der Bühne. In Erl gibt es niemanden, der die Geschichte des Herrn nicht aus dem Gedächtnis aufsagen kann. Man geht sogar so weit, dass die begehrteste Rolle des Stücks gleich zwei Darstellern anvertraut wird. Verständlich, denn solange Gottes Sohn auf Erden wandelt, ist er witterungsanfällig – ein Männerschnupfen setzt auch den Gutgläubigsten außer Gefecht. Also verlangt’s nach einer Zweitbesetzung.

Die Geschichte drängt sich mir auf. Als langjähriger Bühnenlurch bin ich dergleichen nur allzu gerne auf der Spur. Mit allerhöchster Dispens vereinbare ich einen Termin mit dem hochsympathischen Regisseur und Autor der neuen Textfassung, dem Schauspieler Martin Leutgeb. Schon von Weitem protzt das Passionsspielhaus mit einer überdimensionierten Dornenkrone. Was’ wiegt, das hat’s. Herr Leutgeb, vor Jahren durfte ich mit ihm Garderobe und Schmerzen im Hintergrund einer glamourösen TV-Tanzshow teilen, fällt mir, einer Bühnengepflogenheit gemäß, um den Hals. Wir knutschen einander ab und lachen über alte Zeiten. Prompt melden sich, wie meist, wenn ich mich daran zurückerinnere, Phantomschmerzen. Vergangenes verklärt sich, Schmerzen aber fühlen sich auch Jahre danach nach Schmerzen an.

»Schön, dass du da bist«, ruft Freund Martin, »nur herein! Die Herren warten schon!«

Welche Herren, denke ich, während ich das riesige Theater betrete. Erst mal sehe ich nichts. Ich lande in tiefschwarzer Finsternis. Gut so, hierzulande muss man wohl vom Dunkel der Unbelehrbarkeit umfangen werden, um später das Licht des Himmels zu erfahren. Der Zuschauerraum des Passionsspielhauses wirkt flächenmäßig doppelt so groß wie der Ort Erl. Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnen, erkenne ich vorn auf der Bühne zwei gleichartige Wesen. Es muss sich um Zwillinge handeln, denke ich. Beide tragen eine Art Nachthemd und stehen an je einer Seite eines langen, schmalen Tisches.

»Du hast Glück, sie haben beide Zeit«, flüstert mir Martin ins Ohr.

Jetzt erst erkenne ich die wunderbare Vermehrung des Herrn. Die Männer winken mir zu. Vollbart, Kapuze, wallendes Gewand. Ihre nackten Füße stecken in Sandaletten, »Christussandalen«, wie man früher sagte. Handelt es sich hier um eine allzu freie Auslegung der Bibelgeschichte? Ich winke zurück. Wann passiert einem das? Jesus mal zwei? Das Theater macht so manches Wunder wahr, denke ich, indes mich mein Freund den Gang entlangbugsiert, geradewegs in die Arme der beiden Gottessöhne.

An der Bühnenrampe begrüße ich sie und erfahre, dass für heute auch noch gleich eine Kostüm- und Fotoprobe angesetzt ist, weswegen wie aufs Stichwort eine beflissene Dame mit Nadel und Faden erscheint, an den beiden heiligen Säumen herumnestelt und die Ärmel abzustecken beginnt. Bei den jungen Kollegen handelt es sich also beileibe nicht um das Geschwisterpaar Jesus, sondern, ganz profan, um die Erst- und Zweitbesetzung der Hauptrolle. Der Regisseur streift den beiden über ihre Kapuzen, prüft Festigkeit und Elastizität des Stoffes, zupft und rupft und erteilt endlich die Freigabe zur Fotosession.

Am Regietisch