Burn for You - Brennende Herzen - Claudia Balzer - E-Book

Burn for You - Brennende Herzen E-Book

Claudia Balzer

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Beschreibung

Nick will einfach nur alles hinter sich lassen. Er will vergessen, dass man ihm das Beste in seinem Leben genommen hat. Er will die Liebe seines Lebens vergessen, die es kein zweites Mal für ihn geben kann. Bis er Jess trifft, die ihn glücklicher macht, als er je zu hoffen wagte. Aber kann er sie vor seiner Vergangenheit schützen? Jess wird wohl niemals ganz über den Tod von Max hinwegkommen. Er war ihre große Liebe und sein Verlust wirft sie vollkommen aus der Bahn. Erst als sie Nick begegnet, findet sie ihr Gleichgewicht und ihren Lebensmut wieder. Doch sie ahnt, dass er ein Geheimnis hat. Kann sie ihm und dem gemeinsamen Glück wirklich trauen? Von Claudia Balzer sind bei Forever erschienen: In der Burn-Reihe: Burn for Love - Brennende Küsse Burn for You - Brennende Herzen Burn for Us - Brennende Leidenschaft Flying Hearts Meant to be Nothing Between Us

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Die AutorinClaudia Balzer, Jahrgang 1987, wuchs vor den Toren Dresdens auf, wo sie noch heute mit Mann, Kind und zwei Katzen lebt. Schon im zarten Alter von fünfzehn Jahren hat sie sich in den Kopf gesetzt, ein Buch zu veröffentlichen, bevor sie dreißig wird. Dass sie ihr Ziel sogar deutlich vor ihrem dreißigsten Geburtstag erreicht hat, verdankt sie nicht nur einem ausgeprägten Hang zur Nachtaktivität, sondern vor allem ihrem Lieblingsgetränk: Kaffee.

Das BuchNick will einfach nur alles hinter sich lassen. Er will vergessen, dass man ihm das Beste in seinem Leben genommen hat. Er will die Liebe seines Lebens vergessen, die es kein zweites Mal für ihn geben kann. Bis er Jess trifft, die ihn glücklicher macht, als er je zu hoffen wagte. Aber kann er sie vor seiner Vergangenheit schützen?  Jess wird wohl niemals ganz über den Tod von Max hinwegkommen. Er war ihre große Liebe und sein Verlust wirft sie vollkommen aus der Bahn. Erst als sie Nick begegnet, findet sie ihr Gleichgewicht und ihren Lebensmut wieder. Doch sie ahnt, dass er ein Geheimnis hat. Kann sie ihm und dem gemeinsamen Glück wirklich trauen?   Von Claudia Balzer sind bei Forever erschienen:  Burn for Love - Brennende Küsse Burn for You - Brennende Herzen  Flying Hearts - Rückkehr ins Nimmerland

Claudia Balzer

Burn for You - Brennende Herzen

Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.   Originalausgabe bei Forever. Forever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Mai 2016 (1) © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016 Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privat ISBN 978-3-95818-083-3  Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Für Jana,vielen Dank, dass du wieder einmal eingesprungen bist.Ab jetzt geht es nur noch bergauf, okay?

KAPITEL 1

Nick

Süchte können sich auf zwei Arten in dein Leben drängen.

Sie können sich einschleichen. Tag für Tag nimmst du nur ein Stückchen, eine Tablette oder einen Tropfen mehr. Du wirst unmerklich abhängiger. Du gierst mehr und mehr nach dem einzigen Stoff, der dir Befriedigung bringt oder dich genug betäubt, damit dein Leben für ein paar Stunden erträglicher wird. Du bemerkst deine Besessenheit erst, wenn es zu spät ist – und dann ist es dir egal. Du machst einfach weiter. Du ruinierst stetig deinen Körper und deine Seele, bis eins von beiden dich aufgibt. So ist es doch schon immer in deinem Leben gewesen, oder? Erst hat dein Vater dich und deine Mutter aufgegeben und ist abgehauen, daraufhin schlich sich die Abhängigkeit auf diesem Weg bei ihr ein. Stück für Stück driftete deine Mutter von dir weg, bis sie sich selbst und schließlich auch dich im Stich gelassen hat.

Ich selbst bin nicht der Typ, der einfach, ohne zu kämpfen, aufgibt.

Meine Sucht kam auf die andere Art und Weise. Es ist wie die verbotene Frucht. Bereits vom ersten Riechen und Lecken weiß man um das Potenzial. Dann beißt man hinein. Zögerlich, weil man vor der Enttäuschung Angst hat, dass sie besser aussieht und riecht, als sie am Ende schmeckt. Aber man wird nicht enttäuscht, und es ist, als hätte man seinen eigenen Himmel auf Erden gefunden. Es ist um einen geschehen. Nie hat etwas die Geschmacksknospen mehr in Ekstase versetzt. Nie hat etwas vergleichbar geschmeckt. Man will immer und immer mehr. Aber die Sache mit verbotenen Früchten ist die: Sie sind meist aus gutem Grund verboten. Man bekommt sie nicht, wann man will oder in rauen Mengen. Ich bin keinen kleinen Pillen oder weißem Pulver, das man in dieser Stadt an jeder zweiten Ecke erhalten kann, hörig, und das ist gleichzeitig mein Problem. Mein Hunger lässt sich einzig zu später Nacht stillen und auch dann nur für wenige Stunden. Vor etwas mehr als einer Woche habe ich das erste Mal von ihr gekostet, und seit ich weiß, dass ich sie jeden Tag zu einer bestimmten Zeit bekommen kann, ist sie mein einziger Lichtblick, wenn die Arbeit in der Werkstatt endet.

Meine zweite Sucht, die sich auf diese Art eingeschlichen hat, ist meine Arbeit. Sie lenkt mich am Tag ausreichend ab, wenn ich keine Berufsschule habe. Für die Nächte, die bisher zu still gewesen sind, habe ich jetzt diese unbekannte Schöne.

Heute begleitet mich bereits eine ungute Vorahnung, die sich nicht abschütteln lässt. Außerdem bin ich zu spät. »Komm schon«, fluche ich ungeduldig ins Dunkle des Treppenhauses. Erst beim zweiten Versuch gelingt es mir, den Schlüssel ins Schloss zu stecken. Das Öffnen und Schließen der Tür und das Abstreifen meiner Arbeitstasche ist ein fließender Prozess. Meine Schuhe auszuziehen ist auf dem von unzähligen Vormietern abgenutzten Teppich nicht nötig. Mit einem dumpfen Schlag landet die Tasche hinter der Tür.

Die Küche liegt im Dunklen. Es dringt kaum das Licht der Straßenbeleuchtung hinein und der Mond ist noch nicht weit genug gewandert, um durch das Fenster zu spicken. Der Kühlschrank wirft ausreichend Licht in den kleinen Raum, als ich mir ein Bier entnehme. Die restlichen Flaschen klirren aneinander, als ich die Tür hastig mit einem Stoß meines Fußes schließe. Ich miete diese Wohnung noch nicht lange, doch kenne ich bereits ihre Tücken. So stolpere ich im Finstern auch nicht mehr über die ungewöhnliche Kante auf dem Weg vom Flur zu dem einzigen Zimmer meiner Wohnung. Auch hier schalte ich die Deckenbeleuchtung nicht ein. Das Feuerzeug in meiner Jeans wird kurzerhand zum Flaschenöffner umfunktioniert. Ich weiß nicht, warum ich es noch immer bei mir trage. Ich hänge nicht daran und ich rauche nicht mehr. Es ist ein Überbleibsel vergangener Tage: Geschäfte laufen besser, wenn man vorbereitet ist. Es laufen keine Geschäfte mehr, aber das Feuerzeug ist geblieben. Ich gehe zwischen meinem Bett und dem abgenutzten Sessel zur üppigen Fensterfront. Der Bierdeckel gleitet im Vorbeigehen auf den kleinen dunklen Beistelltisch neben dem Sessel. Altbauten und ihre riesigen Fensterfronten verabscheue ich. Sie bieten unnötig große Angriffsfläche. Seit letzter Woche finde ich sie weniger schrecklich.

Mein Einzug ist nur ein paar Tage her und zwischen mir und meiner Nachbarin hat sich bereits ein festes Ritual geformt. Dieses Ritual droht durch meine Verspätung ins Wanken zu geraten. Wie stehen die Chancen, dass sie auf mich wartet? Es ist ein Ritual, aber gleichzeitig auch keins. Was ist ein Ritual? Benötigt es Abstimmungen zwischen den beteiligten Parteien? Denn die gibt es definitiv nicht. Wir haben kein einziges Wort miteinander gewechselt, noch habe ich sie je außerhalb unserer wenigen gemeinsamen Stunden gesehen. Wir standen uns noch nie unmittelbar gegenüber, und trotzdem gibt es diese Nähe, die man nicht rational erklären kann.

Uns verbindet viel und doch wieder nichts. Sie ist allein. Sie lächelt nie. Sie ist verzweifelt. Genau diese Dinge lassen mich Abend für Abend auf meinen winzigen Balkon eilen. Sie gleicht mir zu sehr.

Ich vermute, dass es in manchen Ländern illegal ist, was ich mache. Manche würden mich mit dem Begriff »Stalker« brandmarken. Ich dagegen sehe es als reine Ablenkung. Wenn ich ihr zusehe, drosseln sich meine Gedanken zu einem leisen Rauschen in meinem Hinterkopf. Sie sind präsent, aber ich kann sie ausblenden. Den Dämonen in mir gefällt das nicht. Sie hassen meine Nachbarin. Ihnen bleibt dadurch weniger Zeit, mich mit ihren grauenhaften Krallen zu zerfetzen.

Ich weiß nicht, was es der Brünetten bringt. Vielleicht macht sie es nur für den Reiz oder den Kick.

Ihr Zimmer liegt meinem genau gegenüber. Meine Hand zögert über dem Riegel der Balkontür. Vielleicht komme ich bereits zu spät. Ein Blick hinüber und ich weiß, dass meine zwei Stunden Verspätung unser Ritual nicht brechen. Es brennt noch Licht. Ich trete von der Glastür zurück und an mein Bett. Ich schalte die Lampe auf meinem Nachttisch an. Es bietet die einzige Lichtquelle auf meiner Seite. Es wirft genug Schein in den Raum, dass es meine Silhouette von hinten umspielt. Es gibt ihr die Chance, mich durch das Herunterlassen ihrer Jalousien auszuschließen, aber sie schließt mich nicht aus. Sie hat es an meinem ersten Abend getan, als ich sie zufällig entdeckte, und seitdem nie wieder.

Die späte Septemberluft ist kühl und mein Atem bildet kleine weiße Rauchschwaden, als ich schließlich hinaustrete. Der Balkon ist gerade groß genug, dass ich mich drehen kann. Meine abgetragene Lederjacke und Straßenschuhe halten mich warm. Ich ziehe die Tür hinter mir zu und lehne mich gegen das Geländer.

Sie ist da.

Ihre Arme hat sie um sich selbst geschlungen. Sie lehnt mit ihrer Stirn gegen das Glas des Fensters und sieht auf die Straße zwischen unseren Wohnungen hinab. Sie ist klein, das erkennt man trotz der Distanz. Ihre dunkelbraunen Haare fallen ihr in leichten Wellen über die Schultern und verdecken die Hälfte ihres delikaten Gesichts. Ihr Blick ist auf die Straßenecke gerichtet. Sie sieht in die Richtung meiner Straßenbahnhaltestelle. Sucht sie den Weg nach mir ab?

Ich nutze den Moment ihrer Konzentration und betrachte sie. Sie trägt ein weißes, flatterndes T-Shirt, das ihr bis zur Hälfte der Oberschenkel reicht. Es ist weit geschnitten, aber es verbirgt kaum die zierliche Figur darunter. Sie trägt eine lange, schwarze Leggings und ihre Füße sind wie immer nackt. Ihr Teppich scheint in einem besseren Zustand zu sein als der in meiner Wohnung.

Ihr Blick verweilt, dann scheint sie meine Augen auf sich zu spüren. Sie sieht mir direkt ins Gesicht. Sie zuckt zusammen, als sie mich bereits starrend vorfindet. Sie nickt mir zaghaft zu. Sie hat gewartet, und ich kann es kaum glauben. Sie hat auf mich gewartet, obwohl sie mich dazu nicht braucht.

Mit gerunzelter Stirn nehme ich einen Schluck des kühlen Bieres. Für gewöhnlich interessiert es sie nicht, ob ich den Anfang verpasse. Sie lässt mich sonst nicht mal spüren, dass sie mich überhaupt bemerkt. Das ungute Gefühl verstärkt sich. Heute ist etwas anders, aber ich habe noch nicht herausgefunden, was genau. Sie hebt ihre Hand und winkt zögerlich. Sie atmet mit geschlossenen Augen tief durch. Sie sieht neben sich und greift nach etwas, dass sich außerhalb meines Blickfelds befindet. In ihrer Hand kommt eine Flasche zum Vorschein. Sie setzt sie ohne große Umschweife direkt an ihre Lippen und nimmt drei große Schlucke. Als würde ihr wieder einfallen, dass sie nicht allein ist, hält sie inne und prostet mir zu. Ich erwidere die Geste und wir trinken gemeinsam. Ich kann nicht genau erkennen, was es ist, das sie in sich hineinkippt, aber es ist nicht nur Sekt. Davon abgesehen, dass man diesen in solchen Schlucken nicht pur aus der Flasche trinken kann, ohne dass die Kohlensäure ein Nasenfluten beschert, passt die Form nicht. Es muss sich um mehr Prozente handeln.

Ihr Blick ruht auf mir und sie nimmt noch einen kleinen Schluck. Sie knickt unter meinem Starren nicht ein. Unsere Zusammenkünfte sind faszinierend und verstörend zugleich. Zwei völlig Fremde verbringen Abend für Abend und Nacht für Nacht miteinander, ohne sich tatsächlich zu treffen. Es ist ein ungewöhnliches Spiel ohne Sinn und Ziel. Es gibt keine Gewinner und Verlierer. Würde man mich fragen, warum wir diese Treffen aufrechterhalten – ich hätte keine plausible Antwort parat. Ihre Augenfarbe lässt sich aus der Entfernung und in den schummrigen Lichtverhältnissen nicht erkennen, doch ihr Blick scheint mich direkt zu durchbohren. Ich gönne mir einen weiteren Schluck meines Bieres, als ihre Augen zu intensiv werden. Ich habe mir angewöhnt, Leute mit dieser Gabe zu meiden. Sie scheint eine von diesen Menschen zu sein, die einem bis ins Innerste sehen können, ohne sich dabei anzustrengen. Meine Wohnung bietet mir eine Sicherheitsblase, die mich vor einem Seelenstriptease schützt. Sie würde nur ölige Schwärze und verkümmerte Träume vorfinden.

Lichterketten an ihren Wänden lassen mich glauben, dass unzählige kleine Glühwürmchen sie ebenfalls beobachten. Sie könnten auch als funkelnde Sterne durchgehen. Der zarte Schimmer umhüllt sie und bedeckt immer nur einen Teil ihres Körpers. Es lässt sie wie ein Traum erscheinen. Ein Fabelwesen. Eine tanzende Fee. Sie nimmt ihr Smartphone vom Schreibtisch auf und trifft vermutlich ihre heutige Musikauswahl, denn danach steckt sie es an ein Kabel, das zu ihren Lautsprechern gehören muss.

Ich habe richtig vermutet. Kaum fällt ihr Arm zurück an ihre Seite, beginnt sie mit dem Kopf zu einem tonlosen Takt zu wippen. Ein letzter flüchtiger Blick in meine Richtung, ein weiterer Schluck aus ihrer Flasche und sie wendet mir den Rücken zu. Ihre Finger umschlingen weiter den Flaschenhals. Mit ihrer freien Hand tappt sie im Takt auf ihrem Oberschenkel. Ein erneuter Schluck und sie wischt sich mit dem Handrücken über den Mund. Sie trinkt heute mehr. Wenn sie so weitermacht, ist diese Nacht viel zu schnell vorbei. Ich will nicht, dass sie schnell vorbeigeht.

Die Kälte zieht nun doch langsam in meine Finger, während sie beginnt, zaghaft ihre Hüften zu bewegen. Ich ignoriere sie. Die Finger, nicht die Hüften. Ihre Augen sind geschlossen, als sie den Kopf in den Nacken legt. Die Haare fallen ihr dadurch tiefer über den Rücken. Ihr ganzer Körper ist in Bewegung.

Das ist sie. Meine Sucht.

Ich bin die letzten Jahre oft umgezogen, doch diese Wohnung gefällt mir trotz ihrer Macken bisher eindeutig am besten.

Wenn ich dieser Frau beim Tanzen zusehen darf, kann ich mich auf nichts anderes konzentrieren. Ihre fließenden Bewegungen faszinieren mich. Sie verliert sich immer tiefer in der stummen Musik und leert ihren Alkohol kaum weiter. Ihr ist nicht mal bewusst, dass sie die Flasche irgendwann auf den Schreibtisch stellt.

Ihre Hände gleiten ihren schmalen Körper hinauf. Sie hebt sie über ihren Kopf und führt sie wieder an ihre Seiten, die Hüften und Beine stetig in Bewegung. Sie liefert sich der Musik völlig aus. Ich höre keine Note, nur einen gedämpften Bass, doch lässt sie mich das Lied spüren. Dadurch, dass ich meine Augen nicht von ihr abwenden kann, weiß ich, dass sie mich nie ansieht, wenn sie tanzt. Ihre Kür ist nicht übertrieben und ganz sicher nicht für andere bestimmt. Es hat nichts Anrüchiges. Es ist nicht der Sexappeal, der meinen Blick an ihr haften lässt. Viele Tänzer verströmen pure Lebensfreude, wenn sie sich bewegen. Sie ist das komplette Gegenteil. Ihren Bewegungen fehlt sämtliche Leichtigkeit. Sie verscheucht damit jede verbliebene Energie des Tages. Es soll sie erschöpfen. Erst wenn ihr das Haar auf der Stirn und das Shirt auf dem Rücken klebt, hört sie auf. Nicht selten sackt sie einfach schweißgebadet auf ihrem Bett zusammen. Sie bringt dann nicht mal mehr die Kraft auf, das Licht zu löschen oder sich zuzudecken.

Es ist erschreckend beruhigend, wie sie sich das letzte Fünkchen Funktionalität herauspresst, und genau das lässt mich jeden Abend erneut auf den Balkon treten. Am Tag hält meine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker meine Gedanken beschäftigt. Schraube um Schraube halte ich meine Gedanken in Schach. Abends, bis weit in die Nacht, ist es ihr Job geworden, mich abzulenken. Sie ist verdammt gut darin.

Ich erkenne Schmerz, wenn ich ihn sehe, und sie spiegelt ihn in jedem Schwung, jeder Bewegung und jeder Drehung in seiner reinsten Form wider. Aufgerichtet leere ich mein Bier. Es hat einen faden Beigeschmack. Es ist definitiv etwas anders. Sie tanzt länger und bedeutend intensiver. Nach über zwei Stunden kann sie sich kaum noch auf den Beinen halten, doch zögert sie das Ende immer weiter hinaus.

Sie will nicht, dass diese Nacht endet.

Ich will nicht, dass diese Nacht endet.

Plötzlich wendet sie sich mir zu. Sie sucht meinen Blick und ich beuge mich wieder über das Geländer. Die Straßenbeleuchtung erhellt meine Konturen genug, dass sie mich erkennen kann. Ihre Bewegungen werden müde und träge, während sie der Fensterfront immer näher kommt. Ihre rechte Hand presst sie flach gegen das Glas. Sie ringt um Atem. Ihr Brustkorb hebt sich über ihren Lungen und zieht sich wieder zusammen. Ihre Haare sind ein wilder Mopp. Mir gefällt, dass es ihr egal ist. Ich hebe fragend eine Augenbraue, obwohl ich mir nicht mal sicher bin, dass sie es unter den Lichtverhältnissen erkennen kann. Mit geschlossenen Augen lehnt sie ihre Stirn gegen das kühle Glas des Fensters. Ich erkenne ihr Gesicht kaum noch. Es liegt im Schatten. Nur der Schimmer der Straßenlaterne lässt das Lächeln auf ihren Lippen erahnen. Es ist eine Art Lächeln, das man nie an jemandem sehen will. Es lässt einem das Herz schwer werden, wenn man denn eins hat. Für mich schmeckt es einfach nur verdammt nach Abschied. Ich erwidere ihr Lächeln mit einem meiner eigenen gebrochenen. Ich kann ihr dabei nicht in die Augen sehen. Lächeln fühlt sich auch nach Jahren wie Verrat an. Als ich wieder aufsehe, hat sie sich bereits abgewandt, einfach so. Sie löscht die Lichter und verschwindet im Schatten der Nacht.

Bereits am nächsten Abend wird deutlich, warum ihr Tanz so anders gewesen ist. Kaum betrete ich meinen Balkon, weiß ich, dass unser kleines Spiel ein abruptes Ende gefunden hat. In ihrem Zimmer brennt ein einzelnes Licht. Nur ein einziges. Keine Lichterketten oder gar die Deckenlampe. Das Licht ist gegen ihre Scheibe gerichtet. Es beleuchtet einen Zettel, der ans Fenster geklebt ist und auf dem groß und dunkel nur ein Wort steht. Ich lese es und verlasse meinen Balkon. Ich lösche die Nachttischlampe im Vorbeigehen. Mein Bier trinke ich trotzdem. Ich trinke es schnell und hole mir das nächste aus der Küche. Unsicher, was ich mit der gewonnenen Zeit anstellen soll, durchstreife ich ziellos die Wohnung. Ich stoppe vor meinem Bett. Ich setze mich auf die Bettkante, und die Matratze gibt unter meinem Gewicht nach. Ich trinke mein Bier hier. Anscheinend ist es ihr doch zu viel geworden.

Das erste Mal seit langem muss ich mir eine Beschäftigung suchen, um meine Gedanken am Abschweifen zu hindern. Es fällt mir fast zu leicht. Dieses kleine Wort auf dem weißen Papier erscheint immer wieder vor meinen Augen. Die fünf fein säuberlich geschriebenen Buchstaben, die mir mehr ausmachen, als ich es erwartet hätte.

»Sorry.«

KAPITEL 2

Nick

Seit mehreren Minuten schrubbe ich meine Hände unter lauwarmem Wasser, doch die schmierigen Überreste des Arbeitstages lassen sich nicht gänzlich entfernen. Egal, wie sehr ich mit der einst weißen Bürste unter meinen Nägel scheuere, es bleiben immer kleine hässliche Rückstände. Mich stört es nicht besonders. Es ist der Nachweis, dass ich mit meinen Händen gearbeitet habe, und das nicht zu wenig. Meinen heutigen Patienten, ein alter Mercedes, der seine besten Zeiten sicher vor meiner Geburt hatte, hätten andere, ohne mit der Wimper zu zucken, auf den Schrottplatz verfrachtet. Ich habe ihn nicht nur wieder zum Laufen gebracht. Der TÜV wurde ohne Beanstandung erteilt. Nicht einer der verbliebenen Rostflecken wurde bemängelt, da sie die Sicherheit nicht gefährdeten. Der Chef hält mich für den neuen Gott seiner Werkstatt und hofft, dass ich nach der Ausbildung bei ihm bleibe. Solang es mich von früh bis spät beschäftigt hält, kann er von mir aus glauben, dass ich der Prinz von Timbuktu bin.

Doch wie jede Woche findet auch diese an einem Freitag ihr Ende. Ein ganzes Wochenende liegt vor mir. Zwei Tage, ohne wirklich etwas zu tun zu haben. Mir haben bereits die letzten drei Nächte ohne meine Tänzerin gereicht. Die Dämonen in meinem Kopf verpesten mein Blut mit ihrem Gift. Sie lassen mich Stunde um Stunde durch mein Bett wälzen und geben mir keine Pause, um wenigstens kurz meine Augen schließen zu können. Sie zerstören mich von innen, und ich kann ihnen nichts entgegensetzen. In der Stille meiner Wohnung sind sie einfach übermächtig. Ich mache so viele Überstunden, wie ich nur kann, damit ich die Quälgeister solange wie möglich fernhalte. Doch jedes Unternehmen schickt seine Angestellten irgendwann nach Hause, erst recht die Azubis. Nur mich schicken sie in meine Wohnung. Ich habe kein Zuhause mehr – nicht seit Emily fort ist.

Ich spüre ihn hinter mir, noch bevor er spricht. Für gewöhnlich reicht ein gezielter Blick und die Kollegen halten gebührenden Abstand. Alle, bis auf einen.

»Hey Nick, bist du heute Abend dabei?«, fragt er mich in seiner dauerhaft eklig guten Laune. Ich glaube, sein Name ist Franz oder Frank. Seit zwei Jahren arbeite ich hier und habe mir nur den Namen vom Chef gemerkt, und das auch nur, weil sein Name in großer, roter Schrift auf die Fassade gedruckt ist. Die Namen der anderen tun nichts zur Sache. Er hier ist um die zwei Jahre jünger als ich, hat aber seine Ausbildung letztes Jahr beendet. Nicht, weil er ein Überflieger ist. Ich habe meine erst mit zwanzig Jahren begonnen. Die Polizei hat mich früher nicht aus ihrem Schutzprogramm entlassen. Dabei bin ich noch immer der Meinung, dass man die Allgemeinheit vor mir schützen sollte. Wahrscheinlich habe ich daher, im Gegensatz zu meiner besten Freundin, keinen neuen Namen verpasst bekommen. So bin ich Kanonenfutter und leichter zu finden. Durch das ständige Umziehen hoffe ich mir den Ärger so lange wie möglich vom Hals zu halten. Doch weiß ich selbst, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie mich finden.

»Wobei?«, frage ich, ohne vom laufenden Wasser aufzusehen. Nervosität strahlt aus jeder seiner Poren und verbreitet sich im ganzen Raum. Er verrät sich von selbst, ich muss ihn nicht einmal ansehen. Seine Kleidung raschelt bei jeder seiner unsicheren Bewegungen, wenn er sein Gewicht von einem aufs andere Bein verlagert. Er könnte mit der Wimper zucken und ich würde es spüren. Wenn man über vier Jahre jede Sekunde in Alarmbereitschaft lebt, dann entwickelt man eine Sensibilität für solche Dinge.

»Heute gehen ein paar Kollegen in die Kneipe gleich um die Ecke«, erklärt er und fährt sich mit der Hand über den Nacken. Ich sehe noch immer nicht auf. Fast jede Woche führen wir dieses Gespräch.

»Das machen wir fast jeden Freitag, wenn es sich einrichten lässt«, fährt er fort, als ich ihm nicht gleich antworte und als ob er auch das nicht jede Woche erklären würde. Jetzt heißt es wohl das geringere Übel wählen. Ein paar Stunden die Stille der Wohnung und die Diktatur meiner Gedanken krampfhaft hinauszögern oder dem Drang sozialer Interaktion nachgeben? Die Entscheidung fällt nach dem Fernbleiben meiner Tänzerin erstaunlich leicht.

»Bin dabei«, entscheidet schließlich mein Impuls. Mein Verstand würde alles dafür geben, eine einzige Nacht eine Pause einlegen zu dürfen. Alkohol wirkt nur einen begrenzten Zeitraum, aber es betäubt ausreichend. Wenn ich es schaffe einzuschlafen, bevor die Wirkung nachlässt, verschwindet hoffentlich die Übermüdung. Ich besitze kein Auto und fahre immer mit der Straßenbahn zu meiner Wohnung. Es spricht also nichts dagegen mitzugehen.

»Super, dann gehörst du endlich endgültig zum Team«, sagt Frank oder Franz begeistert und klopft mir vertraut auf die Schulter. Das Wasser rinnt unbeeindruckt weiter über meine Hände, die sich seit seiner Berührung nicht mehr bewegt haben, und spült die Seife und den Dreck von meiner Haut. Die Borsten der Bürste stechen in die Innenfläche meiner Hand, als ich sie fest darum verschließe. Meine Schultern sind hart und angespannt und meine Schulterblätter verkrampfen sich. Mit jeder Faser meines Körpers will ich ihm deutlich zeigen, was ich von seiner ach so freundschaftlichen Geste halte. Mit Leichtigkeit könnte ich nach seiner Hand greifen, sie ihm ordentlich verdrehen und ihm wahrscheinlich dabei ein paar Knochen brechen. Doch mache ich meinen Job zu gern, als dass ich ihn durch einen Temperamentsausbruch verlieren will. Die Auflagen der Polizei raten mir ebenfalls davon ab. Wenn ich jemandem die Finger oder ein Handgelenk breche, ruft sie das nur unnötig auf die Bildfläche.

Ich ignoriere das Zucken in meinen Oberarmen und das Jucken in meinen Fingern. Stattdessen gebe ich keinen Laut von mir und drehe den Wasserhahn zu. Ich richte mich zu meiner vollen Größe auf und sehe meinen Kollegen über den Spiegel an. Kaum kreuzen sich unsere Blicke, fällt sein freundliches Gesicht in sich zusammen. Er zieht seine Hand, die noch immer auf meiner Schulter liegt, zurück und räuspert sich. Er bereut seine Einladung und weicht meinem Blick aus.

»Ich warte dann mal draußen«, erklärt er langsam, und ich rechne ihm hoch an, dass er mich nicht einfach wieder auslädt. Vielleicht steckt ja wirklich so etwas wie ein Mann in ihm. Meine freie Hand ballt sich zur Faust, als ich mich selbst im Spiegel erblicke. Natürlich ist die Reaktion ihm gegenüber unfair und übertrieben, aber kann man es mir wirklich verübeln? Es ist noch gar nicht lange her, dass ich nicht nur von allen respektiert wurde, sondern auch gefürchtet. Solche Gewohnheiten lassen sich nur schwer abstellen. Freunde suche ich hier keine.

Kaum fünf Minuten später bin ich abgetrocknet, umgezogen und habe meine Sachen zusammengesucht. Als ich aus dem Rolltor trete, warten mit Frank bereits vier Kollegen auf mich. Für ein Gespräch über ein »Hallo« oder das erforderliche Fachsimpeln über eine knifflige Reparatur hinaus hat es mit keinem von ihnen gereicht. Das Tor rasselt hinter mir und einer der älteren Kollegen verschließt es. Er ist keiner, der große Reden schwingt. Ich arbeite gern mit ihm zusammen. Er nickt mir zu und ich folge ihm wortlos. Die vier Männer verfallen sofort in ein Gespräch und ich halte ein paar Schritte Abstand. Ich verstehe keinen ihrer Insiderwitze, und wenn ein Name fällt, kann ich kein Gesicht zuordnen. Ich versuche nicht, mich einzubringen.

Mein Hände vergrabe ich tief in den Taschen meiner Lederjacke und ziehe meine Schultern gegen den kalten Herbstwind an. In diesem Augenblick würde es wohl niemandem auffallen, wenn ich einfach kehrtmachen und die entgegengesetzte Richtung einschlagen würde. Mir bleibt keine Zeit, diesen Gedanken auszuschmücken oder ihn gar umzusetzen, da wir schon am Ziel sind. Die Kneipe ist wirklich sprichwörtlich um die Ecke. Ich gehe jeden Tag daran vorbei, wenn ich zur Straßenbahn laufe, doch aufgefallen ist sie mir noch nie. Auf beiden Seiten erstreckt sich eine lange Strecke an Altbauten, wahrscheinlich ist dieses unscheinbare Schild einfach untergegangen.

»Zur Zielscheibe«, lese ich, und meine Kollegen mustern mich argwöhnisch, als ich verbittert und humorlos auflache. Ich erkläre es ihnen nicht. Frank oder Franz ist der Erste, der die merkwürdige Stimmung bricht und nach einem Räuspern die Tür öffnet. Ich folge ihnen zuletzt.

Im Inneren ist es warm und laut. Classic Rock aus den Achtzigerjahren schallt gerade laut genug aus den Lautsprechern, dass man ihn nicht ignorieren, aber sich noch anständig miteinander unterhalten kann. Die Garderobe zu meiner Linken ist geräumig, und ich warte, während die anderen ihre Jacken ausziehen und aufhängen. Ich selbst lasse meine an. Es ist eine alte Angewohnheit. Mein Instinkt ist darauf ausgelegt, eine Szene bei Bedarf schnell verlassen zu können, und dabei ist das Suchen nach einer Jacke nicht förderlich. Ich hänge zu sehr an dieser Jacke, als dass ich sie einfach zurücklassen könnte, auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass ich dieses Lokal fluchtartig verlassen muss. Doch mit einer Organisation wie den Adlern im Nacken kann man nie wissen. Meine Paranoia ist so stark, dass ich alle paar Monate umziehe. Ich vertraue der Polizei zu wenig, als dass sie meinen Aufenthaltsort geheim halten würden, wenn ihnen dadurch ein größerer Fisch ins Netz ginge.

Die Kollegen steuern geradewegs auf einen der letzten freien Tische zu. Ich folge ihnen und setze mich. Nur Frank/Franz setzt sich nicht. Er wartet, bis alle einen Platz gefunden haben.

»Nick, was willst du trinken?«, fragt er und stützt sich auf den letzten freien Stuhl ab. Er sieht mich erwartungsvoll an.

»Ein Bier, bitte«, sage ich knapp und lasse meinen Blick über die Einrichtung schweifen.

»Geht klar. Ihr anderen wie immer?«, fragt er in die Runde, und ein zustimmendes Gemurmel erfüllt den Tisch.

»Hey Frank«, ruft der große Stille hinterher. Frank. Ich muss mir den Namen endlich merken. »Bring noch Knabberzeug mit.« Frank hält einen Daumen nach oben und geht zur Theke. Alle heben ihr Gespräch von draußen auf, aus dem ich mich wieder ausklinke.

Das Lokal ist gemütlich eingerichtet. Von Billardtischen über einzelne Glücksspielautomaten ist alles Typische vertreten. Die guten Dartscheiben würde meine beste Freundin lieben. Die Bar erstreckt sich über die Hälfte des Raumes. Sie ist gut ausgestattet und ausreichend beleuchtet, ohne die Gäste zu blenden.

Trotz des Andrangs kehrt Frank überaus schnell mit der Bestellung zurück. Auf meine gehobene Augenbraue reagiert er mit einem Grinsen.

»Es hat durchaus Vorteile, dass die Barkeeperin die beste Freundin meiner Freundin ist«, sagt er zwinkernd, und ich nehme mein Getränk entgegen. Ich nicke verstehend und lehne mich in meinem Stuhl zurück. Frank bringt sich in das Gespräch ein, als ob er nie weg gewesen wäre. Ich atme tief durch und trinke mein Bier, die Augen auf eine der Dartscheiben fixiert. Ich unterdrücke ein Grinsen, als ich mich an die guten Zeiten erinnere. An die vielen Abende, an denen wir bis tief in die Nacht trainierten, für Dinge, die wir zu tun hassten. Auch wenn wir unsere Taten aus tiefsten Herzen verurteilten, hat es unseren Ehrgeiz nicht gebremst. Roxy und ich wollten die Besten sein. Wir sind die Besten gewesen. Wären wir es nicht gewesen, dann wären die anderen wie Hyänen über uns hergefallen. Unser Leben glich einer wilden Safari. Fressen oder gefressen werden.

»Nick?«, gluckst Frank. Er wedelt mit seiner Hand vor meinem Gesicht. »Bist du noch da?« Ich richte mich auf und vernichte den Rest meines Bieres. Der Inhalt der Flasche hat bereits reichlich abgebaut.

»Ja?«, antworte ich schließlich.

»Was hast du vor der Werkstatt gemacht? Du bist nicht aus der Gegend, oder?«, wiederholt er eine Frage, die mir offenbar entgangen ist.

»Nicht viel«, antworte ich karg, und Frank seufzt. Die anderen folgen unserem Austausch. Sie sind schon immer neugierig auf meine Geschichte.

»Komm schon. Ein paar mehr Details kannst du bestimmt rausrücken«, drängt einer der anderen. Ein blonder Schönling, der jedoch verdammt talentiert unter der Motorhaube ist. Und ich habe geglaubt, dass ein Abend in Gesellschaft meine Gedanken von der Vergangenheit fernhalten würde. Ich hätte es besser wissen müssen.

»Na gut«, gebe ich mich seufzend geschlagen. Ich stelle die Flasche auf den Tisch und stütze meine Unterarme auf die Tischplatte. »Seit ich ungefähr vierzehn gewesen bin, habe ich im Familiengeschäft meiner besten Freundin gejobbt und bin relativ schnell komplett eingestiegen. Es hat sich halt angeboten. Ihr Bruder und ich, wir sind nicht wirklich einer Meinung gewesen, um es milde auszudrücken. Roxy und ich haben der Firma und ihrem Bruder gekündigt, als es einfach nicht mehr passte.«

»Hatten sie eine Werkstatt?«, fragt Frank interessiert. »Oder wo hast du so zu arbeiten gelernt?«

»Nein, keine Werkstatt. Aber das fehlende Bedürfnis, nach Hause zu gehen, und ein geduldiger Lehrer im Fuhrpark der Firma ergaben die eine oder andere Lektion, die von Nutzen sein konnte.« Alle fünf Köpfe nicken unisono und ich lache humorlos über dieses obskure Bild.

»Und was ist aus dieser Roxy geworden?«, fragt Frank. Mein Knie wippt unbehaglich. Die Fragen zwingen mich zu sehr zum Nachdenken. Ich rolle mit den Augen und erhebe mich. Ich bin das Fragespiel leid. Alle Blicke folgen mir irritiert.

»Roxys und meine Wege haben sich getrennt«, erkläre ich kalt. »Will jemand noch etwas zu trinken?« Ich sammle alle leeren Gläser und Flaschen ein und bahne mir den Weg mit der Bestellung im Kopf zum Tresen. Ich weiche einer bereits durchaus betrunkenen Blondine aus, die es nicht kümmert, dass sie die Einzige ist, die tanzt. So traurig es klingen mag, aber sie erinnert mich an Roxy. Nicht der betrunkene Part, aber diese Ich-gebe-einen-feuchten-Dreck-auf-eure-Meinung-Einstellung. Ich umgehe sie gekonnt und stelle mich hinter einen Mann, der seinen Getränkewunsch der Bedienung zuschreit, obwohl sie so nah bei ihm steht, dass ich nicht mal ihr Gesicht erkennen kann.

Der Typ lässt sich Zeit und ich betrachte die Flaschen im Regal. Vielleicht sollte ich doch auf ein paar höhere Prozente aufrüsten. Die Fragen und das Stochern in meiner Vergangenheit haben einen sauren Nachgeschmack hinterlassen, den ich nur zu gern hinunterspülen will.

»Stalkerboy?«, bittet mich eine Frauenstimme um meine Aufmerksamkeit. Ich sehe mich nach ihrem Ursprung um und muss nicht lange suchen. Mich bringt nichts leicht aus der Fassung, aber sie schafft es für den Bruchteil einer Sekunde mit Leichtigkeit. Nur der Tresen der Bar trennt mich von meiner kleinen Tänzerin. Auf der freien Straße hätte ich sie im Vorbeigehen wahrscheinlich nicht erkannt. Ihre langen Haare fallen ihr wie meist in Wellen ums Gesicht. Doch der Rest ist so fremdartig im Gegensatz zu ihrer Tanzaufmachung. Aus der Nähe erkenne ich endlich, dass sie braune Augen hat. Sie strahlen warm. Sie sind dunkel geschminkt, fast so hat Roxy immer ausgesehen, wenn sie zu einem ihrer Aufträge musste. Ihr weißes Tanktop sitzt ihr wie eine zweite Haut und lässt nur wenig Raum für Spekulationen, was sich darunter befindet. Ihre enganliegende Jeans unterstreicht das Bild noch. Mit einem hatte ich trotz der Entfernung zwischen unseren Fenstern Recht: Sie muss ihren zierlichen Körper nicht verstecken.

»Was ist? Hat es dir die Sprache verschlagen?«, fragt sie belustigt über den Lärm hinweg und hebt eine Augenbraue, als ich weiter an ihr auf und ab sehe. Sie reicht einem wartenden Gast eine geöffnete Bierflasche.

»Sorry«, räuspere ich mich und sehe ihr wieder in die Augen. »Hallo«, füge ich hinzu, als ich mich endlich gefangen habe. Ich lehne mich mit den Unterarmen auf die Bar. Mit einem Nicken deute ich auf ihre Umgebung. »Das ist also der Grund, dass man dich abends nicht mehr sieht?«, frage ich. Ich kann es nicht verhindern, dass sich ein Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen zieht.

»Sozusagen. Jeder Urlaub nimmt irgendwann sein Ende«, bestätigt sie meine Vermutung. »Und du bist mit Frank hier?«, fragt sie weiter. Mit wem? Ich folge ihrem Blick, der direkt beim Tisch meiner Kollegen endet. Ach, der Frank. Vier Augenpaare beobachten uns, als hätten sie noch nie etwas Obskureres gesehen.

»Sozusagen«, mime ich ihre Antwort und es entlockt ihr ein Schmunzeln. »Er und ich sind Kollegen. Ich bin übrigens Nick«, informiere ich sie, auch wenn sie nicht danach fragt. Sie reicht mir ihre Hand.

»Jess«, sagt sie simpel. Ich erwidere ihre Geste. Ihre weiche Haut fühlt sich kühl an. Wahrscheinlich wärmt sie sich zwischen den Getränken und dem Crusheis erst gar nicht mehr auf. Ihre Hand ist so schmal verglichen mit meiner, dass ich mich gar nicht traue zuzudrücken. Ich entlasse ihre Hand und sie steckt beide in die Gesäßtasche ihrer Jeans.

»Also, Nick, was kann ich dir bringen?«, fragt sie.

»Den Jungs das Übliche und mir ein Bier, bitte«, gebe ich meine Bestellung bei ihr auf. Sie nickt und macht sich sofort an die Vorbereitung. Hinter mir drängelt bereits ein stark Angetrunkener. Ich richte mich zu meiner vollen Größe auf und mit einer gezielten Bewegung meines Ellbogens verschaffe ich mir Freiraum. Kaum eine Minute später stellt Jess alle bestellten Getränke vor mir ab.

»Sag Frank bitte, dass Nina in einer halben Stunde zu Hause auf ihn wartet«, sagt sie und bedeutet dem Drängler hinter mir, sich in Geduld zu üben.

»Okay«, erwidere ich langsam wie der Laufbursche, der ich definitiv nicht bin, und zücke mein Portmonee. Sie winkt direkt ab.

»Lass gut sein. Ich packe es einfach auf Franks Rechnung«, erklärt sie und zwinkert mir zu, bevor sie sich dem nächsten Kunden widmet. Problemlos und ohne einen Tropfen zu verschütten, bringe ich die Getränke an unseren Tisch. Ich stelle sie in die Mitte der Platte und jeder greift nach seiner Bestellung. Frank mustert mich eindringlich, als ich mich setze.

»Was?«, frage ich. Frank nimmt einen Schluck seines Getränkes und beugt sich in meiner Richtung.

»Du kennst Jess?«, fragt er argwöhnisch.

»Kennen wäre zu viel gesagt«, wäge ich ab. »Sie wohnt mir gegenüber«, erkläre ich und beobachte sie bei ihrer Arbeit. Frank lehnt sich grinsend zurück.

»Ah, dann nervt sie dich sicher auch mit ihrer stundenlangen, auf höchste Lautstärke gedrehten Musik?«, lacht er. Er sieht beruhigter aus. Er scheint einen auf großen Bruder zu machen. Dann verschwendet er seine Zeit und Energie. Aber was ist er für Jess, wenn es Beschützerinstinkte in ihm hervorruft?

»Das kann man so nicht sagen«, erkläre ich schulterzuckend. »Durch die verschlossenen Fenster höre ich es kaum.« Ich wende meinen Blick nicht ein einziges Mal von ihr ab. »Ich soll dir von ihr ausrichten, dass Nina in einer halben Stunde zu Hause auf dich wartet.« Nun habe ich mich doch zum Laufburschen degradieren lassen. Ich sehe auf, als er nicht antwortet. Franks Flasche verharrt vor seinem Mund und seine Augen weiten sich.

»Ja«, räuspert er. »Ich weiß, danke.« Hastig zieht er sein Smartphone aus seiner Jeans. Er legt es mit dem Display nach unten vor sich ab und beginnt sein Bier etwas schneller zu leeren. Er sieht immer wieder auf sein Telefon und überprüft die Zeit. Er hat es vergessen. Eine ganze Weile beobachte ich sein Schauspiel, bis mein Blick wieder umherschweift und schließlich bei Jess hängenbleibt. Ich staune nicht schlecht. Vor der Bar sitzen ein paar Männer, die eine Runde Kurze trinken. Das an sich ist in einem Lokal wie diesem nichts Ungewöhnliches, doch Jess mischt ordentlich mit. Sie verzieht angeekelt das Gesicht, als der Alkohol ihre Kehle hinunterbrennt. Sie atmet nach dem Schlucken tief durch und gibt der Truppe einen Daumen hoch, bevor sie sich den nächsten Gästen zuwendet. Das Schauspiel wiederholt sich. Wie viel Promille dieser zierliche Körper wohl meistern kann?

»Sie ist nicht interessiert, weißt du?«, flüstert Frank ganz dicht neben mir. Nur meine Augen wenden sich ihm zu. Unsere Kollegen sind in ein Gespräch vertieft, dessen Thema ich nicht ansatzweise mitbekommen habe. Frank hat sich zu mir herüber gebeugt, um unser Gespräch unterm Radar zu halten.

»Gut, denn ich bin auch nicht interessiert«, weihe ich ihn ein. Die Muskeln in meinen Armen spannen sich an, bis sich das Shirt über meinem Brustkorb spannt und sich der Kettenanhänger darunter auf meiner Haut abzeichnet.

»Du bist vergeben?«, fragt Frank erstaunt. Ich sehe ihn mit zu Schlitzen verengten Augen von der Seite an. Er weicht augenblicklich zurück.

»Sozusagen«, murmle ich, während Jess bereits wieder einen hebt.

»Sie sollte aufhören zu trinken. Sie ist sicher mit ihrem Schrotthaufen hier«, blubbert er über den Flaschenhals seines Bieres, als er den letzten Schluck nimmt.

»Dann nimm sie mit. Ihr scheint den gleichen Weg zu haben«, schlage ich ihm vor, und er nickt, aber runzelt seine Stirn.

»Normalerweise ist das freitags so. Doch sie arbeitet noch mindestens drei oder vier Stunden und ich muss jetzt los.« Er schüttelt den Kopf über ihr Verhalten. »Sie weiß das ganz genau.«

Er folgt seinen Worten und verabschiedet sich von uns. Bevor er geht, zieht er Jess zur Seite. Ich kann mir den Inhalt des Gespräches vorstellen. Sie sieht nicht begeistert aus, winkt ab und geht dazu über, ihn zu ignorieren. Er wendet sich einem großen, korpulenten Mann mit Rauschebart und Zopf im Nacken zu, den ich bereits mehrmals die letzte Stunde durch die Kneipe habe streifen sehen. Er hat mit vielen Gästen gesprochen und auch ordentlich mit angestoßen. Er wird der Chef dieser Einrichtung sein. Er sieht mit gerunzelter Stirn zu Jess, während Frank auf ihn einredet. Er nickt und verschränkt die Arme vor der Brust und sein Blick huscht kurzzeitig in meine Richtung. Kopfschüttelnd und vor sich her schimpfend verlässt Frank schließlich die Kneipe.

Das Gespräch am Tisch wird wieder aufgenommen und ich antworte wie ein gut erzogener Junge, wenn eine Frage direkt an mich gerichtet wird. Die drei verbliebenen Kollegen verabschieden sich kurz darauf. Meine Flasche ist noch zur Hälfte gefüllt.

Ich bleibe eine Weile an dem für mich allein zu großen Tisch sitzen. Mein Blick ist auf alles und nichts gerichtet. Erst als eine Gruppe von Fremden, die anscheinend befreundet sind, eintritt, erhebe ich mich und überlasse ihnen den Platz.

An der Bar ist noch ein Hocker frei, den ich sofort als meinen deklariere. Jess bemerkt mich, aber schenkt mir keine weitere Beachtung. Ihr Blick ist glasig und ihre Wangen haben einen Hauch Rosa angenommen. Das Mixen und Austeilen geht ihr nicht mehr so leicht von der Hand wie noch vor einer Stunde. Sie scherzt und schäkert mit den jungen Männern, aber wirklich involviert scheint sie nicht zu sein. Solange sie Drinks spendiert bekommt, hält sie die Fassade aufrecht. Sobald der Nachschub stoppt, wendet sie sich den Nächsten zu. Es ist traurig anzusehen. Ich habe genug davon. Ich stelle mein leeres Bier ab und will die Bar verlassen, damit ich die letzte Straßenbahn noch erwische.

»Nick?«, fragt eine tiefe, bebende Stimme neben mir, und ich bleibe wie angewurzelt stehen.

»Kommt ganz darauf an, wer fragt«, antworte ich und erkenne den Mann mit dem Rauschebart hinter mir. Ich wende mich ihm zu.

»Ich bin Petzi, mir gehört die Kneipe«, stellt er sich vor und reicht mir seine Hand zum Gruß. Nach einem kurzen Zögern erwidere ich die Geste mit Skepsis.

»Womit habe ich die Ehre verdient?«, frage ich desinteressiert. Ich habe nicht mehr viel Spielraum, wenn ich nicht nach Hause laufen will.

»Du bist Jess‘ Nachbar?«, fragt er mit verengten Augen. Sein Ton ist scharf. Wir haben dieselbe Größe, aber sicher nicht die gleiche Kampfmasse. Dennoch bin ich mir sicher, dass ich im Zweifelsfall die Oberhand gewinnen kann. Doch ehe ich mich für eine Kampftechnik entscheide, sollte ich ihn vielleicht anhören.

»Sozusagen«, antworte ich ihm vage. Er verdreht die Augen und setzt sich kopfschüttelnd auf.

»Hör zu. Frank meinte, ich soll mich an dich wenden. Jess’ Schicht endet bald und sie hat zu viel getrunken, um selbst noch zu fahren«, erklärt er laut flüsternd, damit Besagte nichts mitbekommt. »Ihre Schicht geht zwar noch mindestens eine Stunde, aber sie hat offensichtlich einen ihrer schlechten Tage. Ich brauche sie morgen fit, und wenn sie so weitermacht, hat sie einen mörderischen Kater und schnauzt meine Gäste an. Das kann ich mir an einem Samstag einfach nicht leisten.«

»Und wie komme ich da ins Spiel?«, frage ich mit verschränkten Armen.

»Hast du ein Auto?«, fragt er, statt mir direkt zu antworten.

»Nein.«

»Aber du hast einen Führerschein?«, fragt er weiter, meine Ahnungslosigkeit ignorierend.

»Ja«, sage ich langsam und habe inzwischen eine Vermutung, in welche Richtung sich dieses Gespräch entwickelt.

»Dann macht es dir doch sicher nichts aus, sie nach Hause zu fahren«, schlägt er vor. Er lässt mich nicht mal Luft holen und spricht weiter. »Sieh es mal von der Seite: So musst du nicht zu Fuß gehen oder mit der Bahn fahren oder womit auch immer du dich fortbewegst.« Er gestikuliert untermauernd mit seinen Händen und sein Bart wippt im Takt seiner Lippen mit. Allgemein scheint immer alles an ihm in Bewegung zu sein.

»Was?«, frage ich etwas entrüstet nach. Dass ein Fremder mich darum bittet, eine ebenfalls praktisch Fremde nach Hause zu fahren, dazu noch in ihrem Auto, grenzt an absoluten Wahnsinn.

»Ich lasse sie so sicher nicht fahren. Sie ist noch nicht blau, aber sie ist auch nicht mehr weit davon entfernt.« Trotzdem ist mir noch nicht klar, was ich damit zu tun habe. Jess’ Lachen dringt an meine Ohren und ich wende mich ihr automatisch zu.

»Und wieso legst du ihre Sicherheit dann in die Hände eines Wildfremden?«, murmle ich vor mich hin. Petzi ist es trotzdem nicht entgangen.

»Du wirst schon kein Massenmörder sein«, scherzt er. Der Scherz landet schwer in meiner Magengrube. Ich überspiele es mit einem Husten. »Und wenn ihr etwas passiert, dann weiß Frank, wo du zu finden bist, und glaub nicht, dass wir dann die Polizei vorbeischicken.« Fast lache ich über seine Drohung, doch scheint es mir dem Ernst der Lage nicht zu entsprechen. Jess beobachtet uns inzwischen. Unsere Augen lassen nicht voneinander ab, als sie ihren Kopf etwas schräg legt, als würde sie mich fragen, was ihr Chef von mir wolle. Sie hält sich mit beiden Händen an der Arbeitsplatte der Bar fest.

»Dann aber jetzt«, presse ich heraus, ehe ich es mir anders überlege. »Ich müsste jetzt los, um meine letzte Bahn zu bekommen.« Wenn ich ihnen schon entgegenkomme, dann zu meinen Bedingungen.

»Geht klar. Sieh nur zu, dass sie nach Hause kommt und morgen nüchtern um siebzehn Uhr zur Schicht erscheint.« Mit diesen Worten lässt er mich stehen und steuert geradewegs auf Jess zu. Ihr gefallen seine Nachrichten überhaupt nicht. Beide diskutieren hitzig miteinander. Jeder zeigt mal auf mich und mal aufeinander. Einige der Gäste finden Interesse an dem Streit und beäugen auch mich. Ihre Blicke prallen an mir ab. Meine Augen sind auf meine Nachbarin gerichtet, die sehr deutlich macht, was sie von Franks und Petzis Plan hält. Schließlich stürmt sie mit erhobener Nase an ihrem Chef vorbei, schnappt sich ihre Tasche unter dem Tresen und lässt auch mich hinter sich.

»Kommst du?«, zischt sie mir zu, als ich ihr nicht sofort folge. Meine Beine setzen sich in Bewegung und Petzis Blick verfolgt mich wachsam. An der Tür drückt sie mir unbeholfen einen Autoschlüssel in die Hand, der zu einem alten VW gehören muss. Es ist ein flacher, schwarzer Schlüssel mit dem Logo des Herstellers.

Ohne ein weiteres Wort stolziert sie vor mir her. Ihre Auge-Hand-Koordination scheint bereits in Mitleidenschaft gezogen, doch ihr Gang lässt erstaunlich wenig auf den Alkohol in ihrem System schließen. Sie geht bis zur Straßenkreuzung des spärlich beleuchteten Weges und biegt rechts ab. Ich verliere sie für ein paar Sekunden aus den Augen. Doch als ich selbst an der Ecke ankomme, wartet sie bereits an einem wirklich alten und wirklich heruntergekommen 2er Golf. Er ist direkt unter einer Straßenlaterne geparkt und so entgehen mir die verschiedenen Lackierungen und der Rost nicht. Das Dach ist rot, die Seiten grün und die Motorhaube ist in einem dunklen Blau gehalten. Die Radkästen werden von einem deutlichen Rostrand geziert. Die hintere Stoßstange sieht bereits mächtig verbogen aus. Ob dies an einem Unfalls liegt oder eher an dem allgemeinen Zustand der Karre, bleibt zu erfahren. Größere Schlaglöcher sollte ich dennoch meiden.

»Nettes Gefährt«, sage ich grinsend und schließe das Objekt meines Kompliments auf. Zuerst die Beifahrertür für sie. Es gibt wie bereits vermutet keine Zentralverriegelung.

»Vielen Dank«, sagt sie, ohne eine Spur Sarkasmus, aber dafür mit unüberhörbaren Schlenkern in der Stimme, und gleitet auf den Beifahrersitz.

»Wollen wir mal sehen, ob die alte Dame anspringt«, murmle ich und stecke den Schlüssel ins Zündschloss.

»Sie hat mich noch nie im Stich gelassen«, verteidigt sie das Auto. Doch ihr mulmiger Blick entgeht mir nicht.

Ich drehe den Schlüssel. Es ruckelt unter uns. Der Motor ist laut und gibt Nebengeräusche von sich, die er definitiv nicht von sich geben sollte. Es knallt sogar ein paar Mal. Mich würde es nicht wundern, wenn ich mit dem simplen Starten dieses Autos die halbe Stadt geweckt habe.

»Wie bist du damit noch durch den TÜV gekommen?«, frage ich erstaunt, als ich mich vorsichtig und schwerfällig in den ruhigen mitternächtlichen Straßenverkehr einfädle. Jess antwortet nicht auf meine Frage. »Es hat doch noch TÜV, oder?«, frage ich verwundert. Es wäre nicht die illegalste Sache, die ich je getan habe.

»Ja, Mick, das Auto hat TÜV«, seufzt sie mit belegter Zunge. »Es fragt sich nur, ob es das nächste Mal noch mal eine Plakette bekommt.«

»Nick ist der Name. Ein neues Auto wäre wohl angebrachter, als hier noch Arbeit, Zeit und Geld zu investieren.« Die Polster sind verschlissen. Das Leder des Lenkrads und des Schaltknaufs ist abgenutzt und gerissen. In der Fahrertür klappert etwas, das verdächtig nach Glasscherben klingt.

»Und weißt du, was ich trotzdem machen werde?«, sagt sie voller falschem Enthusiasmus und mit bockigem Gesichtsausdruck.

»Ich«, beginne ich und kann die Worte nicht aufhalten. »Ich könnte etwas dran schrauben, wenn du magst«, biete ich ihr an. Ich habe keinen blassen Schimmer, woher dieses Angebot kommt. Ich halte meine Augen stur geradeaus gerichtet. Was zur Hölle ist verkehrt mit mir?

»Du?«, fragt sie irritiert und überrascht.

»Ich«, bestätige ich ihr. »Es wäre eine gute Übung für mich und du würdest wenigstens den horrenden Stundensatz einer Werkstatt einsparen.« Und ich könnte auch nach Feierabend meine Nase ganz tief in andere Sachen als meinen eigenen Verstand stecken.

»Danke«, sagt sie zurückhaltend. »Das wäre toll.« Sie scheint etwas überrumpelt. Ich nicke knapp und setze unseren Weg fort. Das Fahren in dieser Todesfalle erfordert viel Konzentration. Die Kupplung ist falsch eingestellt und das Lenkrad hat einen Drang, nach rechts zu ziehen.

»Warum machst du das?«, nuschelt sie in die Stille hinein. Ich kann ihren Blick auf mir ruhen spüren, als sie mich mustert und meine Hintergedanken kalkuliert.

»Warum ich was genau mache? Dich nach Hause fahren oder dir die Reparatur deines Autos anbieten?« Für beides hätte ich eine plausible, zugegeben an den Haaren herbeigezogene Antwort.

»Beides, schätze ich«, erwidert sie nach kurzem Überlegen und zuckt mit den Schultern. Eigenartigerweise zögere ich keinen Wimpernschlag mit meiner Antwort. Eigenartigerweise ist es keine der vorher überlegten.

»Weil wir Freunde sind«, erwidere ich simpel und Erinnerungen rauschen auf mich ein. Mit genau solchen Worten begann die Geschichte zwischen mir und meiner besten Freundin. Eine durchaus verkorkste Geschichte. Ich sehe kurz zu Jess hinüber. Ihre Augen haben sich leicht geweitet, doch sie erholt sich schnell von ihrer Sprachlosigkeit. Sie lehnt sich wieder in ihren Sitz zurück und zieht ihre Knie an sich. Sie drapiert einen Arm locker darüber und in ihren nächsten Worten höre ich das Lächeln heraus.

»Freunde klingt gut.«

KAPITEL 3

Nick

Die Straßen sind ruhig und wenig befahren. Jess gibt keinen Mucks von sich und ich befürchte, dass der Alkohol seinen Tribut fordert und sie bereits eingeschlafen ist. Schon im nächsten Moment werde ich eines Besseren belehrt. Sie schnellt in ihrem Sitz hoch und ich verreiße vor Schreck das Lenkrad. Zum Glück kommt uns kein Auto entgegen. Jess drückt eine flache Hand gegen die Armatur und ich glaube schon, dass sie sich übergeben muss.

»Halt an!«, ruft sie aufgeregt und ihre andere Hand klopft unwirsch auf meinen Oberschenkel.

»Was?«, rufe ich erschrocken und steige auf die Bremsen. Ich habe nichts überfahren. Zumindest glaube ich das. Ein zusätzliches Ruckeln würde in diesem Auto kaum auffallen. So gesehen bin ich mir doch nicht allzu sicher.

»Halt an. Halt an. Halt ahaan!«, ruft sie in kindischer Vorfreude. Sie scheint doch betrunkener, als ich zunächst angenommen habe. Wahrscheinlich hat ihr die frische Luft den Rest gegeben. Sie reißt die Tür auf, noch bevor das Auto komplett zum Stehen kommt. Oder die Tür fällt gerade einfach aus dem Rahmen, das könnte natürlich auch sein. Aber immerhin ist ihr offenbar nicht schlecht und ich verbuche das als Pluspunkt.

»Jess?«, rufe ich ihr hinterher, doch sie wandert bereits ins dunkle Unbekannte davon. »Das hat man davon, wenn man einmal nett ist«, fluche ich nicht sonderlich freundlich. Der Motor stirbt röchelnd und ich schicke ein Stoßgebet gen Himmel, dass er später noch anspringt. Ich ziehe den Schlüssel ab und folge ihr.

»Jess?«, rufe ich lauter, als ich sie nirgends erkennen kann. Vor mir erstreckt sich zu beiden Seiten ein Bürgersteig. Einzelne Pflastersteine ragen heraus und ich sehe nur eine Stolperfalle nach der anderen für eine angetrunkene Brünette, die wie vom Erdboden verschwunden ist. Eine halbhohe Mauer trennt den Weg von einer weiten Fläche. Vermutlich ein Park.

»Hier drüben, Mick!«, ruft es links von mir. Die Kälte ist nach der erstaunlicherweise funktionstüchtigen Heizung im Auto noch gravierender zu spüren. Mein Atem produziert kleine Rauchschwaden. Ich folge dem Ruf ihrer Stimme und finde mich auf dem heruntergekommenen Spielplatz des kleinen Parks hinter der Mauer wieder, Jess mittendrin. Sie steht verloren im Kies.

»Komm mit, Mick«, sagt sie, als ich zu ihr aufgeschlossen habe.

»Nick«, korrigiere ich sie abermals.

»Sag ich doch«, winkt sie meinen Kommentar unwirsch mit einer Hand ab. Sie steuert geradewegs auf eine der Schaukeln zu. Sie sucht sich die in der Mitte aus. Die Schaukel hängt an einer Metallkette und scheint bereits die besten Tage hinter sich zu haben. Doch Jess’ Fliegengewicht trägt sie allemal. Sie setzt sich auf die schmale schwarze Sitzfläche und greift mit ihren schlanken Fingern um die Ketten. Die Metallglieder knirschen von der ungewohnten Belastung. Ich kann mir kaum vorstellen, dass eine Mutter ihr Kind hier noch spielen lässt. Ohne Tetanusimpfung sollte man hier keinen Fuß drauf setzen. Jess lehnt sich zurück, bis ihre Arme durchgestreckt sind, und lässt ihren Kopf in den Nacken fallen. Ihre Beine streckt sie vor sich aus. Ihre Schuhe gleiten dabei unter die kleinen Steine. Sie starrt einfach in den Nachthimmel über sich. Langsam, als würde sie in einen Schlaf driften, schließen sich ihre Augen. Der Anblick ist friedlich und eindringlich zugleich. Es passt nicht zu den stummen Hilfeschreien, die ihr Tanz aus ihr herausbrüllt.

»Verdammt«, fluche ich lautstark. Ihr Griff lockert sich und sie droht nach hinten zu kippen. Ich schnelle vor, um sie aufzufangen. Mein Herz rast, als sie sich im letzten Moment fängt und noch die Dreistigkeit besitzt zu kichern. Sie ist offiziell verrückt.

Versprechungen hin oder her. Ich sollte einfach gehen und sie hier aussetzen. Soll sie doch selber fahren.

»Mick?«, ruft sie, als ich mich bereits abwenden will.

Ich sollte einfach gehen. Ihr den Schlüssel in die Hand drücken und gehen. Ich sollte so tun, als hätte ich sie gar nicht gehört. Das Schuldgefühl in meinem Magen wird leichter und schwerer zugleich und ich kann mir nicht erklären wieso.

»Mihick!«, ruft sie eindringlicher und ich bleibe seufzend stehen.

Ich sollte einfach gehen, denke ich abermals, während meine Beine mich einfach in ihre Richtung zurücktragen.

»Was?«, blaffe ich irritiert, als ich vor ihr zum Stehen komme. Meine Hände vergrabe ich tief in den Taschen meiner abgenutzten Lederjacke. Jess grinst von Ohr zu Ohr, als sie zu mir aufsieht.

»Schubs mich an«, bettelt sie mit weinerlicher Stimme und schiebt ihre Unterlippe schmollend hervor.

»Jess, komm. Ich bring dich nach Hause, du schläfst deinen Rausch aus und alle sind glücklich, okay?«, versuche ich sie zur Vernunft zu bringen. Ihre dunklen Augen sehen mich erstaunlich klar an.

»Ich bin glücklich, wenn du ein bisschen lockerer wirst und mich endlich anschiebst.« Ich seufze. Dagegen zu diskutieren scheint sinnlos. Kopfschüttelnd und den Tag und Jess immer mehr verfluchend stelle ich mich hinter sie. Ihre Beine winkelt sie an, bis sie den Boden nicht mehr berühren. Warum habe ich mich von Frank zu einem Feierabendbier überreden lassen? Warum habe ich mich von diesem Petzi zum Fahren überreden lassen? Wäre ich mein abweisendes Selbst gewesen, dann würde ich mir in der tiefen Nacht nichts abfrieren.

Stattdessen finde ich mich mitten in der Nacht auf einem verlassenen Spielplatz mit meiner fremden Nachbarin wieder und schubse sie auf der Schaukel an.

Bei jedem Schubs, den ich ihr gebe, schüttle ich meinen Kopf aufs Neue. Wie komme ich nur immer wieder in solche Situationen? Ich meine, ich kann sie schlecht in diesem Zustand sich selbst überlassen. Es gibt noch viel kränkere Typen als mich, die hier rumlaufen und ihren Rausch ausnutzen würden. Wir sprechen kein Wort, bis sie nach ein paar Minuten seufzend die Beine sinken lässt und die Schaukel stoppt. Meine Hände verschwinden sofort wieder in den Taschen meiner Jacke und ich stelle mich vor sie.

»Du rauchst?«, frage ich erstaunt, als sie eine Schachtel aus der Seitentasche ihrer Handtasche zieht. Ich angle bereits nach dem Feuerzeug in meiner Jeans. Es ist ein Automatismus, der sich eingebrannt hat. Sie entnimmt einen der Glühstängel. Jess zündet die Zigarette zwischen ihren Fingern jedoch nicht an, sondern lässt sie seufzend sinken.

»Gott, nein«, sagt sie entrüstet. »Aber Max«, fügt sie seufzend hinzu und klemmt sich den weißen Stängel hinter ihr linkes Ohr.

»Wer ist Max?«, frage ich verwirrt, ehe ich mich daran hindern kann. Die ersten Tropfen treffen mein Gesicht.

»Oh, es regnet!«, ruft sie begeistert aus, und ich stöhne über ihre kleinkindartige Aufmerksamkeitsspanne. Sie springt von der Schaukel und nimmt meine Hände in ihre. »Lass uns tanzen!«, ruft sie aus, als die Tropfen größer und die Windböen um uns stärker werden.

»Lass uns was?«, frage ich halb lachend, halb entsetzt, als ich den Ernst in ihrem Gesicht sehe. Nur weil ich ihr so oft dabei zugesehen habe, heißt das nicht, dass mein Körper in irgendeiner Weise rhythmisch veranlagt ist.

»Tanzen. Der Regen macht so eine tolle Musik. Hör mal hin«, bittet sie und sieht mich lächelnd an. Sie schließt ihre Augen und beginnt zu lauschen. Ich kann nicht beschreiben, was mich dazu bewegt, und die wieder schwerer werdende Schuld in meinem Bauch lässt mich es gar nicht weiter beleuchten wollen, aber ich komme ihrer Aufforderung nach. Mit geschlossenen Augen höre ich mich um und fühle mich wie in einem schlechten, klischeebeladenen Schnulzenfilm.

Die Tropfen rauschen an meinen Ohren vorbei und der leichte Wind bringt die letzten Laubblätter in den Bäumen um den Spielplatz zum Rascheln. Musik würde ich jedoch anders bezeichnen.

»Jess, das ist kein Sommerregen mehr. Wir werden uns den Arsch abfrieren«, gebe ich zu bedenken. »Du frierst doch jetzt schon«, stelle ich bei genauerem Betrachten fest. Ihre Kleidung ist durchnässt und die losen Haarsträhnen kleben ihr im Gesicht. Sie zittert.

»Quatsch«, sagt sie grinsend und nimmt meine Hände in ihre. Sie legt sie auf ihre Hüfte, und ihre Hände finden den Weg zu meinen Schultern. Jess beginnt, leicht hin und her zu wippen, doch diesmal hat der Alkohol nichts damit zu tun.

»Wir sehen bescheuert aus«, murmle ich, doch folge ich seicht ihren Bewegungen. Wenn ich mitmache, ist sie hoffentlich schnell befriedigt und wir können nach Hause fahren.

»Es gibt kein Gesetz, das besagt, dass man zum Tanzen Musik benötigt«, rügt sie mich und lässt ihre Stirn gegen meinen Brustkorb fallen. Daraufhin halte ich meinen Mund. Wie viel Sinn hat es auch, mit einer Betrunkenen zu diskutieren?

Es dauert keine fünf Minuten. Dann gleiten ihre Hände langsam Stück für Stück immer tiefer und kraftloser meine Schultern hinab. Sie löst ihre Stirn von meinem Brustkorb und schmiegt seufzend ihre Wange an mich. Ohne Vorwarnung folgt ihr ganzes Gewicht und bringt uns ins Schwanken. Wir tanzen nicht mehr.

»Jess?«, frage ich und halte sie an der Taille fest. Wenn ich sie loslasse, befürchte ich den sofortigen Bodenkontakt für sie. Ein leichtes Zittern sucht ihren schmalen Körper heim. Mit sanftem Druck schiebe ich sie ein wenig von mir weg.

»Jess?«, frage ich erneut etwas eindringlicher und sie öffnet träge ihre Augen. Sie zieht ihre Stirn kraus und blinzelt, als müsste sie sich ihrer Umgebung erst wieder bewusst werden. »Müde?«, frage ich, und wieder zuckt ein Grinsen an meinen Mundwinkeln. Doch auch jetzt, wie immer, kommt es nicht vollends durch.

»Was? Nein«, widerspricht sie, doch bereits im nächsten Augenblick werden ihr die Augenlider wieder schwer. Als ihr Kopf kraftlos nach vorn kippt und sie davon aufschreckt, sehe ich sie nur mit erhobener Augenbraue an.

»Ja, okay. Vielleicht ein bisschen«, lenkt sie mit schwerer Zunge ein und gähnt ausgiebig.

»Okay, hier«, sage ich und stabilisiere ihren Stand, bis sie auf eigenen Beinen steht. Ich ziehe meine Jacke aus und lege sie ihr um die Schultern. Ich mag nicht der Geselligste auf diesem Planeten sein, aber Manieren sind mir kein Fremdwort.

»Danke, Mick«, murmelt sie und zieht die Wärme der Jacke enger um sich. Ich verdrehe nur die Augen und presse meine Lippen aufeinander. Ich werde sie nicht noch einmal korrigieren.

»Na, komm schon, kleine Schnapsdrossel«, seufze ich. Jess bewegt sich keinen Millimeter.

»Ich bin zu müde, um mich zu bewegen«, jammert sie und schließt erschöpft ihre Augen. Ihre Schultern sacken nach vorn und sie zieht meine Jacke enger um sich, als sie herunterzurutschen droht. Ich mache einen zögerlichen Schritt auf sie zu und lege seufzend meinen Arm um ihre Schultern. Der Regen hat mein Shirt durchweicht und es klebt wie eine zweite Haut an mir, genauso wie die Jeans auf meinen Oberschenkeln. Jess lehnt ihren Kopf gegen meine Schulter, oder aufgrund ihrer Größe besser gesagt gegen meinen Brustkorb. Ich übe leichten Druck mit meiner Hand aus und sie setzt sich langsam mit mir in Bewegung. Sie stolpert über einen der herausragenden Pflastersteine, aber kommt unversehrt am Golf an. Unbeholfen steigt sie ein und mir entfährt ein kleines »Gott sei Dank«, als sie endlich angeschnallt im Auto sitzt. Sie zieht ihre Füße unter sich und rollt sich, soweit es der Gurt zulässt, wie eine Katze auf ihrem Sitz zusammen.

Leichte Panik durchfährt mich, als das Auto nicht gleich beim ersten Versuch anspringt. Das würde dem Abend die Krone aufsetzen.

»Komm schon, nur bis nach Hause, okay?«, murmle ich und tätschle das Armaturenbrett. Als ob das Auto mich verstehen kann. Ich starte einen neuen Versuch. Ein kurzes Röcheln und dann ist es erneut still.

»Okay. Ich nehme alle Beleidigungen über dich zurück. Ich repariere an dir, was ich kann, und du hast noch ein langes Leben vor dir. Versprochen. Aber dazu musst du anspringen, okay?«, bettle ich weiter.

»Mit wem sprichst du?«, murmelt Jess, bereits mehr im Traumland als noch geistig anwesend.