One Step Closer - Claudia Balzer - E-Book

One Step Closer E-Book

Claudia Balzer

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Beschreibung

Welche Geschichte erzählt dein Leben?  Juna braucht Geld, wenn sie endlich die Schulden ihres Vaters abzahlen und ihre Vergangenheit hinter sich lassen will. Da ist der lukrative Ghostwritingjob für YouTube-Superstar Yannick genau das Richtige. Auch wenn sie sich nicht erklären kann, dass ein 24-Jähriger eine Biografie veröffentlichen will. Was Juna nicht braucht, sind Aufmerksamkeit, Stress und vor allem Gefühle. Und sie ahnt, dass die Zusammenarbeit mit Yannick ihr all das einbringen könnte…   Yannick braucht vieles, aber keine Autobiografie. Und schon gar keine Autorin, die in seinem Leben herumstöbert. Das machen seine Fans schon genug. Aber er weiß, nicht nur sein eigener Job steht auf dem Spiel, sondern auch die seines gesamten Teams. Er spürt die Verantwortung jeden Tag. Und bald spürt er etwas, von dem er dachte, dass es in der Scheinwelt von Clicks, Likes und Challenges gar nicht mehr gibt: Vertrauen, Lebensfreude und sogar echte Gefühle…

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One Step Closer

Die Autorin

Claudia Balzer, Jahrgang 1987, wuchs vor den Toren Dresdens auf, wo sie noch heute mit Mann, Kind und zwei Katzen lebt. Schon im zarten Alter von fünfzehn Jahren hat sie sich in den Kopf gesetzt, ein Buch zu veröffentlichen, bevor sie dreißig wird. Dass sie ihr Ziel sogar deutlich vor ihrem dreißigsten Geburtstag erreicht hat, verdankt sie nicht nur einem ausgeprägten Hang zur Nachtaktivität, sondern vor allem ihrem Lieblingsgetränk: Kaffee.

Das Buch

Welche Geschichte erzählt dein Leben?

Juna braucht Geld, wenn sie endlich die Schulden ihres Vaters abzahlen und ihre Vergangenheit hinter sich lassen will. Da ist der lukrative Ghostwritingjob für YouTube-Superstar Yannick genau das Richtige. Auch wenn sie sich nicht erklären kann, dass ein 24-Jähriger eine Biografie veröffentlichen will. Was Juna nicht braucht, sind Aufmerksamkeit, Stress und vor allem Gefühle. Und sie ahnt, dass die Zusammenarbeit mit Yannick ihr all das einbringen könnte…  

Yannick braucht vieles, aber keine Autobiografie. Und schon gar keine Autorin, die in seinem Leben herumstöbert. Das machen seine Fans schon genug. Aber er weiß, nicht nur sein eigener Job steht auf dem Spiel, sondern auch die seines gesamten Teams. Er spürt die Verantwortung jeden Tag. Und bald spürt er etwas, von dem er dachte, dass es in der Scheinwelt von Clicks, Likes und Challenges gar nicht mehr gibt: Vertrauen, Lebensfreude und sogar echte Gefühle…Von Claudia Balzer sind bei Forever erschienen:In der Burn-Reihe: Burn for Love - Brennende KüsseBurn for You - Brennende HerzenBurn for Us - Brennende LeidenschaftAußerdem:Flying HeartsMeant to beNothing Between UsJust one BreathAll the things we areOne Step Closer

Claudia Balzer

One Step Closer

Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever Forever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Mai 2022 (1) © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privat E-Book powered by pepyrusISBN 978-3-95818-590-6

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Playlist

PostIt

Was war der schlechteste Ratschlag, den du je bekommen hast?

Was würde Beyoncé tun?

Führst du heute das Leben, das du dir als Kind ausgemalt hast?

Bist du eine Nachteule oder der frühe Vogel?

Wo würdest du hingehen, wenn du unsichtbar wärst?

Wie leicht vertraust du anderen?

Arbeiten andere gerne mit dir zusammen?

Glaubst du an Geister?

Was ist deine größte Angst?

In welchen Situationen unterschätzen Menschen dich ständig?

Für was hättest du gerne mehr Zeit?

Wo gehst du hin, wenn du allein sein möchtest?

Was lässt dich lebendig fühlen?

Wenn du heute Abend sterben würdest, was würdest du bereuen bisher nicht gesagt zu haben und warum hast du es bisher nicht gesagt?

Hast du dich je auf deinem Lebensweg verlaufen? Wie hast du zurückgefunden?

Welche fiktionale Figur wärst du, wenn du freie Wahl hättest?

Wann warst du das letzte Mal davon überzeugt, kurz vor einem Herzinfarkt zu stehen?

Würdest du lieber nie wieder sprechen können oder immer sagen müssen, was dir gerade durch den Kopf geht?

Ist Fremdgehen in einer Beziehung verzeihbar?

Welche eine Sache würdest du am liebsten nicht mehr besitzen?

Kannst du anderen in die Augen sehen, während du mit ihnen sprichst?

Wie gesund sind die Freundschaften, die du pflegst?

Was denkst du über dich selbst, wenn du dich im Spiegel betrachtest?

Wie zeigst du Nervosität?

Erzähl mir von einer Zeit, in der du geglaubt hast, dass du nicht gut genug bist.

Wie stehst du zum Küssen beim ersten Date?

Wie würde es sich anfühlen sich in Schwerelosigkeit zu bewegen?

Was war dein schlimmster Albtraum als Kind und welcher ist es heute als Erwachsener?

Was in deinem Leben würdest du als Wunder bezeichnen?

Was hast du im Leben ein bisschen zu spät gelernt?

Welche besondere Angewohnheit hast du, die sonst keiner hat?

Was macht dich besonders?

Von was hättest du gerne mehr im Leben?

Wie oft fühlst du dich vom Leben komplett ausgelaugt?

Gibt es jemanden auf diesem Planeten, der für dich die perfekte Person ist?

Wie weit bist du bereit, für deine Freunde zu gehen?

Wie sieht deine ideale Welt aus?

Wem zeigst du deine Tränen?

Fühlst du dich manchmal, als wärst du in der falschen Zeit geboren?

Was hast du schon einmal getan, für das dich Leute noch heute für verrückt halten?

Mit welcher unveränderlichen Tatsache musst du Frieden schließen?

Was würdest du deinem zukünftigen Ich sagen wollen?

Epilog

Danksagung

Leseprobe: All the things we are

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Playlist

Playlist

Inner Light – Elderbrook, Bob Moses

Mr. Sandman – SYML

Recovery – James Arthur

Seventeen Going Under – Sam Fender

Beat of My Heart – Lost Frequencies, Love Harder

Red Wine – MØ

Wrecked – Imagine Dragons

Feel Me – Selena Gomez

Love Is Gone – SLANDER, Dylan Matthew

Troubles – SOMMA, FAST BOY

Goodbye – Imanbek, Goodboys

Some Say – Felix Jaehn, Nea

Keep Me Safe – Boundary Run

Hymn For The Missing – Red

Wait for You – Tom Walker, Zoe Wees

Above the Clouds – Luca

Better Days – Jack Hawitt

Love Again – AVAION

I’ll Stay – Kyd the Band

 

Was war der schlechteste Ratschlag, den du je bekommen hast?

Juna

Ein bekanntes Zitat gibt sinngemäß wieder, dass man zu jedem freundlich sein soll, weil man nie weiß, welche Kämpfe der andere mit sich austrägt, die sein Verhalten rechtfertigen könnten. Ich lebe nach diesem Sinnbild und gebe mein Bestes, immer freundlich zu sein.

Doch diese erste Begegnung hier stellt meine Prinzipien auf eine harte Probe. Mein Geldbeutel und ein lukratives Angebot zwingen mich dazu die Grenzen meiner Geduld und Toleranz bis zum Äußersten auszudehnen. Dieter Thelen ist eine Nummer für sich und Agent aus Leidenschaft. Er hat diese Art Freundlichkeit, die einem die Nackenhaare zu Berge stehen lässt. Ein Lächeln, das nie zu verschwinden scheint, selbst wenn er spricht. Der Anblick erinnert sehr an den Heath-Ledger-Joker. Es fehlen nur die grünen Haare und die Narben an den Mundwinkeln. Der Ausdruck in seinen Augen dagegen ist zum Verwechseln ähnlich. Seine unnatürlich weißen Zähne sind immer zu sehen. Seine Stimme ist melodisch, als ob er mich mit einem Schlaflied besänftigen will. Ich könnte nicht mit dem Finger darauf zeigen oder sagen »Da! Genau das lässt es mir kalt den Rücken runterlaufen!« Dieses Gefühl, es ist wie Zigarettenqualm. Man kann ihn sehen, riechen und schmecken, aber nicht greifen. Bei Batmans Erzfeind hat man die Verrücktheit auf den ersten Blick gesehen. Bei Dieter muss man sicherlich tiefer graben, um herauszufinden, warum alles in mir danach schreit, sein Büro zu verlassen. Vielleicht ist es auch sein Erscheinungsbild. Auf ihn zugeschnittene Designerkleidung, die aufgezwungen locker sitzt. Sie ist zeitlos und immer im Trend, aber nicht für seinen Typ geeignet. Oder sein Umgang mit Worten. Ein Gespräch von zehn Minuten würde reichen und man würde ihm, ohne es zu merken, sein Erstgeborenes versprechen.

Alles in diesem Büro ist darauf ausgelegt mich oder jeden, der es betritt, entweder zu beeindrucken oder einzuschüchtern – das kommt ganz darauf an, als was Dieter mich betrachtet. Freund oder Feind? Verbündete oder jemand, auf den man ein Auge haben muss. Ich will nichts davon sein. Ich will nur meinen Job machen.

Der Besucherstuhl, in dem ich sitze, ist bequemer als jedes Möbelstück in meiner Wohnung. Er scheint sich meinem Körper anzupassen und ihn zu umarmen. Mich würde nicht wundern, wenn das gute Stück mehr kostet als mein gesamtes Mobiliar. Alles in diesem Büro ist in Schwarz und Weiß gehalten. Jedes Detail ist aufeinander abgestimmt. Mit rollenden Schultern versuche ich die Kälte abzuschütteln, die dieser Raum ausstrahlt. Draußen ist der Sommer inzwischen in vollem Gang, doch die überdrehte Klimaanlage sorgt für Gänsehaut auf meinen Armen.

In meinem WG-Zimmer ist alles bunt zusammengewürfelt und ich liebe es. In diesem Berliner Büro bin ich fehl am Platz. Aber das bin ich so ziemlich überall. Ich muss mich darauf konzentrieren Dieters Worten zu folgen. Mein Instinkt sagt mir, dass er kein guter Mensch ist, und mein Instinkt hat mich noch nie im Stich gelassen. Ich bin einigen unangenehmen Menschen in meinem Leben begegnet und er ist definitiv nicht der schlimmste, aber wohl der, der am meisten heraussticht. Wie er sich vor mir bewegt, erinnert er mich mehr an einen aufgeblasenen Gockel als alles andere. Vom Alter könnte er mein Vater sein. Wenn ich meine Augen zukneife, könnte er ihm sogar ähnlichsehen. Vielleicht ist es das, was meine Abneigung ihm gegenüber noch steigert. Sein strahlend weißes Hemd ist um einen Knopf zu weit geöffnet und seine blonden Locken fallen ihm immer wieder in die Augen. Nach jedem Satz, den er sagt, pustet er sie sich aus dem Gesicht. Vermutlich soll sein Look einen Surfer-Vibe vermitteln. Ich finde ihn nur schleimig. Es gibt Menschen, bei denen es funktioniert und man ihnen das abkauft. Dieter gehört definitiv nicht dazu. Dazu versucht er es zu sehr. Ich bezweifle, dass er je auf einem Surfbrett gestanden hat. Dennoch sitze ich lächelnd und nickend vor ihm, als er mir seine Lebensgeschichte erzählt, und bemühe mich, innerlich nicht wieder einfach abzuschalten. Ich glaube ihm kaum eines seiner Worte. Er erzählt ebenso wie der Joker nur aufgeplusterte Geschichten, die nur er für wahr hält. Aber ich brauche diesen Job. Diesen hier speziell. Er verspricht eine Menge Geld, mehr als üblich. Ich muss nur die Details mit Dieter klären und dann habe ich hoffentlich nur noch wenige Berührungspunkte mit ihm.

»Du kennst Yannick sicherlich, Juna«, sagt er und hört endlich auf, vor mir auf und ab zu gehen. Auch gestikuliert er endlich nicht mehr ausschweifend mit seinen Händen oder seine Muskeln sind müde von der ständigen Bewegung oder er merkt, dass er mich mit seinen Worten nicht abholen kann, wie vielleicht seine üblichen Gesprächspartner. Er setzt sich in seinen Chefsessel auf die andere Seite des Schreibtisches, die Skyline Berlins in seinem Rücken.

»Natürlich.« Wieder lächle ich nur und nicke. Bis vor Kurzem habe ich ihn nur aus Erzählungen meiner besten Freundin gekannt, die ihn und seine Freunde vergöttert. Aber außerhalb dieser Fangirlmomente ihrerseits in unserem Wohnzimmer, wenn mal wieder eine besondere Aktion oder ein Livestream online geht, habe ich noch nie etwas von diesem Yannick Pohlmann mitbekommen. Er tauchte nie in irgendeinem meiner Social Media Feeds auf, weil die Algorithmen unsere Interessen nie verbunden haben. Erst, als sein Name in den Medien rauf und runter gespielt wurde, habe ich mehr Notiz von ihm genommen. Er ist der erste deutschsprachige YouTuber, der die Marke von zehn Millionen Abonnenten auf der Videoplattform geknackt hat. Es gibt andere deutsche Kanäle, die diese Zahlen schon lange erreicht haben, aber auf denen wird kein Deutsch gesprochen. Es mag ein kleiner Unterschied sein, aber Dieter wird sicherstellen, dass dieser Unterschied jedem bewusst wird. Seither sieht man Yannicks Gesicht überall. Auf jedem Plakat und in jeder Werbung. Und jetzt will er seine Memoiren schreiben.

Mit vierundzwanzig.

Vierundzwanzig!

Wenn man das Wort Memoire im Wörterbuch nachschlägt, findet man als Definition: eine veröffentlichte Lebenserinnerung, unter besonderer Berücksichtigung des persönlichen Entwicklungsganges sowie der Darstellung zeitgeschichtlicher Ereignisse.

Wer schreibt also in diesem Alter seine Lebenserinnerungen nieder? Mit meinen siebenundzwanzig Jahren würde es mir im Traum nicht einfallen. Aber ich sollte nicht urteilen, immerhin ist es meine Einkommensquelle und allemal besser, als die tausendste Produktbeschreibung zu verfassen, um die nächste Miete bezahlen zu können. Selbst mit meinen Romanen verdiene ich nicht so viel wie mit diesem Projekt hier. Es ist unter anderem meine Aufgabe als Ghostwriterin für andere Leute deren Ideen auf Papier zu bringen, die selbst dazu nicht in er Lage sind oder die Zeit nicht dafür haben. Es ist die ideale Lösung für meine Situation. Ich kann meiner Leidenschaft nachgehen und damit Geld verdienen, aber mein Name wird nicht veröffentlicht. Zumindest, wenn ich es nicht möchte. Für gewöhnlich will ich das auch nicht. Dennoch, auch wenn es die Kuh ist, die ich melke: Memoiren mit vierundzwanzig? Wie abgehoben muss man sein? Ich weiß, dass es ein Trend unter den Internetberühmtheiten ist. Unzählige solcher Bücher scheinen gerade den Markt zu überfluten. Ich versuche an meinen Prinzipien festzuhalten und nicht voreingenommen zu sein, aber die gegebenen Umstände erschweren mir dieses Vorhaben.

»Yannick ist großartig. Er ist mein bestes Pferd im Stall«, schwärmt Dieter und ich muss mir ein Augenrollen bei seiner Metapher unterdrücken. »Ich meine zehn Millionen! Juna! Kannst du dir das vorstellen?«

Ich knirsche unhörbar mit meinen Zähnen. Ich kann mich nicht erinnern, wann wir einvernehmlich beschlossen haben uns mit Du anzusprechen.

»Es ist eine imposante Zahl«, gestehe ich ein. Mich graut es jetzt schon, diese Zahl zu erhöhen. Wenn ich dieses Buch schreibe, wird ein beachtlicher Teil der Recherche Stunden vor seinen Videos auf YouTube beinhalten. Ich werde mir anonyme Accounts bei TikTok, Instagram und YouTube zusätzlich zu meinen bestehenden zulegen müssen, um alles Wissen über Yannick aufzusaugen, das ich finden kann, und mir damit meinen eigenen Feed in der Buchbubble nicht zu versauen. Dabei wird es nicht bei seinen Kanälen bleiben. Freunde, Wegbegleiter, Gegenspieler – sie alle gehören dazu, wenn ich es richtig machen will. Egal, als wie wenig sinnvoll ich dieses Buch erachte, eine gute Arbeit will ich dennoch abliefern. Dazu muss ich mich in ihn hineinversetzen können, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, so ein Leben in der Öffentlichkeit zu führen. Ein derartiges Dasein stelle ich mir als moderne Art der Folter vor. Ich habe noch nie verstanden, warum andere so ein enormes Interesse am Alltag und Leben von fremden Menschen haben. Ich meine, Yannicks Fans glauben, ihn in- und auswendig zu kennen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er wirklich alles in seinem Leben teilt und offenlegt. Die scheinbar perfekten Momentaufnahmen auf seinem Instagramprofil oder die strategisch platzierten TikTok-Videos sind eben nur das: eine Spiegelung des Augenblicks. Hinter der Kamera könnte das größte Chaos herrschen und niemand würde es mitbekommen. Yannicks Lächeln könnte fallen, sobald das Video oder das Foto gemacht ist. Niemand macht sich so öffentlich nackt und lässt alle in jeglichen Winkeln seines Lebens herumkriechen. Jeder hat in seinem Leben die eine oder andere Rumpelkammer, in die niemand einen Blick hineinwerfen darf. Dennoch komme ich nicht umhin selbst neugierig zu werden, wie es eben hinter jenen Kulissen, hinter der Fassade aussieht. Falls ich einen echten Einblick bekomme. Denn so wie Dieter spricht, soll dieses Buch eine reine Lobeshymne über seinen Liebling werden und nicht unbedingt die Wiedergabe von Tatsachen. Das muss meine Agentin gewusst haben, bevor sie mich hergeschickt hat und genauso weiß sie, dass ich niemanden schönschreibe. Ich vermute, dass ich Dieter Thelen ein gesamtes Kapitel widmen werde und ich bezweifle, dass ihm der Inhalt gefallen wird.

»Und er ist wirklich erst Anfang zwanzig?«, frage ich nach, obwohl ich die Antwort weiß. Aber ich muss Zeit überbrücken, bis besagter Yannick auftaucht. Unser Termin für ein erstes Treffen ist vor einer halben Stunde verstrichen. Ich weiß nicht, ob ich noch eine Runde Selbstdarstellung seines Agenten ertragen kann. Ich weiß nur, dass Dieter sich und Yannick, aber vor allem sich, großartig findet. Ob ich mir das antun würde, wenn ich das Geld nicht brauchen würde? Ich weiß es nicht. Meine Situation ist nun mal wie sie ist und ich kenne kein anderes Leben. Ich bin auch kein Freund davon, mir mit Was-wäre-wenn-Fragen den Kopf zu zerbrechen. Das mache ich genug in meinen Büchern, wenn ich Geschichten erfinde. Es ändert an der Realität nichts und man zieht sich damit nur selbst herunter.

Ich selbst könnte auch einige Kapitel über mein Leben schreiben. Ich spüre jedoch nicht den Drang dazu und warum nicht? Weil ich gerade einmal verdammte siebenundzwanzig Jahre alt bin. Zeitweise glich jeder meiner Atemzüge einem reinen Überlebenskampf. In meinem Kopf verstecken sich so viele Erinnerungen, die ich am liebsten mit einem Tippen auf die Löschtaste entfernen würde. Doch leider geht das nicht so einfach. Sie kriechen nachts aus ihren dunklen Ecken und suchen mich in meinen Träumen heim, bis ich schweißgebadet in die Wirklichkeit zurückkehre. Ich kann mir nicht vorstellen ihnen noch eine Bühne aus Papier zu geben.

Die Vermutung liegt nah, dass diese Idee zum Buch ein Ergebnis von Dieters Hirngespinsten ist. Aber wenn Yannick damit einverstanden ist, kann er nicht viel anders sein. Ob die Egos der beiden überhaupt Platz in diesem Büro finden werden? Ich meine, das Zimmer ist größer als die gesamte WG, die ich mir mit meiner besten Freundin Josi teile.

Ehe Dieter tatsächlich noch einmal ausholt, um mir von seinen fraglichen Erfolgen zu berichten, wird die Tür aufgeschwungen und ich wende mich dankbar für die Ablenkung dem neuen Besucher zu. Ich habe jedoch keine Augen für Yannick, der ebenfalls eintritt. Sein haariger Begleiter fängt sofort meinen Blick ein: Ein junger Golden Retriever, der eine abschätzige Bemerkung von Dieter bekommt und ein dickes, fettes Grinsen von mir. Er schwänzelt geradewegs auf mich zu und setzt sich neben mich, als ich ihm über den Kopf streichle. Aus der Nähe erkenne ich, dass der Hund ein Mischling ist. Wenn ich richtig liege, dann hat er die Fellfarbe eines Golden Retriever, aber seine Kopfform ist eindeutig die eines Schäferhundes.

»Musstest du den Köter mitbringen?«, fragt Dieter, als er um seinen Tisch eilt, um Yannick zu begrüßen. Er bemüht sich, seine schleimige Art aufrecht zu erhalten, aber es gelingt ihm kaum.

»Nur für dich, Dieter. Ich weiß doch, wie sehr du Hunde magst«, erwidert der Erfolgs-YouTuber. Seine Stimme ist tiefer, als ich angenommen habe und ein Schauer überzieht meinen Rücken. Dass er Dieter bereits mit dem ersten Satz aufzieht, bringt ihm Pluspunkte ein. Ich grinse auf das Tier neben mir herab und erst, als zwei Füße in Sneakers vor mir erscheinen, sehe ich auf.

Yannick sieht exakt so aus wie auf den Plakaten und in der Werbung. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe. Vielleicht, dass die Werbeversion Photoshop entspringt? Oder, dass tausend Filter über jegliche Fotos gelegt wurden? Das Outfit, das an Dieter gezwungen erscheint, würde an Yannick wie für ihn gemacht aussehen. Seine dunklen Haare bändigt er mit einem Cap, natürlich nach hinten gedreht. Sein graues Shirt hat einen tiefen Ausschnitt, der durch eine lange Kette, dessen Anhänger unter dem Stoff versteckt ist, betont wird. Darüber trägt er ein hellblaues Hemd, dessen Ärmel bis zu seinem Ellbogen hochgekrempelt sind. Ein dunkelgrauer Rucksack ruht auf seinem Rücken und hält sein Skateboard sicher und seine Hände frei. Seine helle Jeans macht das Outfit komplett. Er könnte geradewegs als Protagonist in einem meiner Romane mitspielen. Das Lächeln, das ich ihm schenke, erwidert er nur zögerlich, aber freundlich.

»Dolby, aus!«, befiehlt er und der Hund trottet zu seinem Herrchen. Und dann – passiert nicht wirklich viel. Yannick wendet sich von mir ab, als wäre er nicht sicher, was er mit mir anfangen soll.

Außerdem sind seine Augen verdächtig rot. Ich könnte mich natürlich täuschen und er erholt sich nur von einer Bindehautentzündung. Aber ich bin ein gebrandmarktes Kind: Mir sieht es verdächtig danach aus, als hätte er etwas geraucht, das ziemlich wenig mit einer herkömmlichen Zigarette zu tun hat, oder er erholt sich von einem Kater. Leider befinden sich beide Möglichkeiten auf der Liste mit unverzeihlichen Dingen. Mein Vorsatz, unvoreingenommen zu bleiben, bröckelt langsam aber sicher.

»Setz dich, Yannick«, sagt Dieter und kehrt selbst auf seinen Stuhl zurück.

»Warum hast du mich herbeordert?«, fragt Yannick und verschränkt die Arme vor der Brust. Er setzt sich nicht. Für einen Moment sehe ich das erste Mal an diesem Vormittag Verunsicherung in Dieters Gesicht. Erst deutet er an, sich ebenfalls wieder hinzustellen, aber scheint sich dann eines Besseren zu besinnen, um sein Gesicht zu wahren.

»Yannick, darf ich dir Juna Roos vorstellen?«, sagt er freundlich und deutet mit einer ausladenden Geste auf mich. Yannick sieht auf mich herab und das nicht nur auf Grund unserer Positionen, sondern auch sprichwörtlich. Ohne zu lächeln oder auf eine andere Art und Weise zugänglich zu wirken, hebe ich meine Hand und winke kurz. Der Star in diesem Raum scheint noch immer nicht sicher, was er von mir halten soll, als er sich wieder seinem Agenten zuwendet und ich lache geräusch- und humorlos auf.

»Sollte ich sie kennen?«, fragt er, als wäre ich eine seiner unangenehmen Stalkerinnen, die er laut einigen Artikeln zuhauf hat. Die eben verteilten Pluspunkte streiche ich wieder. Er scheint genauso arrogant und herablassend wie sein Agent. Dieser hatte wenigstens noch den Anstand mich zu begrüßen und Freundlichkeit zu heucheln. Das einzig Sympathische an dem Mann vor mir ist sein Hund. »Juna ist deine Ghostwriterin, ein großer Fan und wird deine Memoiren schreiben«, eröffnet Dieter. Bei seiner Lüge, dass ich ein Fan wäre, verschlucke ich mich fast an meiner eigenen Spucke. Doch ich sage nichts. Sein Grinsen jagt mir kalte Schauer über den Rücken und lässt meinen Magen zusammenziehen.

Ich würde die Situation vielleicht mit einem Lachen überspielen, wenn Yannicks eigene Reaktion nicht so unerwartet käme.

Was würde Beyoncé tun?

Yannick

Zu oft muss ich mich in letzter Zeit daran erinnern, warum wir uns von ThelenNetzwerk und damit von Dieter vertreten lassen. Es sollte so vieles einfacher machen. Aufträge und die Abwicklung der Finanzen im Marketing unseres Kanals sollten besser überwacht werden und uns dadurch mehr Freiraum zur Kreativität geben. Nur scheint Dieter zu glauben, dass wir nichts anderes mit unserer Zeit anzufangen wissen, als uns ständig und überall zu präsentieren. Unser Name ist inzwischen groß genug, dass diese Firma nicht wenig Umsatz durch uns allein macht. Ich weiß nicht, seit wann er glaubt, dass er sich über meine Meinung und Entscheidung stellen kann.

»Ich habe klipp und klar gesagt, dass ich so ein Buch nicht veröffentlichen werde! Nicht mit vierundzwanzig und auch nicht mit dreiundachtzig!« Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich Dieter in letzter Zeit gesagt habe, dass seine Idee nicht umgesetzt wird. Mein Werbespezialist springt wieder aus seinem Stuhl und eilt um seinen Tisch herum. Mit beschwichtigt ausgestreckten Händen stellt er sich vor mich. Dolby weicht vor ihm zurück und rückt näher zu der Autorin, deren Namen ich schon wieder vergessen habe und die alles schweigend beobachtet. Ihre Augen sind verdammt wach und ihnen scheint kein Detail zu entgehen. Hätte ich sie nicht hier in Dieters Büro das erste Mal gesehen, was ein Warnzeichen an sich ist, wäre sie mir trotzdem aufgefallen. Allein schon durch Dolbys Reaktion auf sie. Bis eben dachte ich, dass sie die neue Caroline werden soll und habe sie deshalb nur halbherzig wahrgenommen. Obwohl es schwer scheint, sie zu ignorieren. Ich will sie einfach immer wieder ansehen. Sie ist hübsch, das lässt sich nicht abstreiten und was schlimmer ist: Sie ist genau mein Typ. Ja, eine oberflächliche Beobachtung und ich weiß, dass schon mehr dazu gehört, um jemanden sympathisch zu finden, aber das ist mein Ersteindruck von ihr.

»Hey, hey. Wir haben doch drüber geredet«, beginnt Dieter und ich falle ihm gleich ins Wort.

»Wir haben drüber geredet und ich habe gesagt, dass ich diesen Mist nicht will!«

»Aber deine Fans wollen es«, hält er in seiner Singsangstimme dagegen und ich kann die Eurozeichen in seinen Augen aufblitzen sehen. Er scheint keine Gelegenheit auszulassen, ihnen Geld aus der Tasche zu ziehen. Das übliche Merchandise, wie Shirts, Pullover oder gar Tassen sehe ich völlig ein. Ich trage selbst gerne Sachen von meinen Lieblingsbands und -künstlern. Aber irgendwo ist auch eine Grenze erreicht. Und Memoiren würden diese Grenze ganz klar sprengen.

»Bullshit! Alles was sie wissen wollen, finden sie im Netz über mich. Ansonsten sind sie nicht auf den Mund gefallen und fragen mich direkt. Sie brauchen keinen weiteren Merch, der ihnen das Geld aus den Taschen zieht.«

»Aber Yannick«, versucht mein Agent es noch einmal in einem Tonfall, der einen glauben lässt, dass er mit einem bockenden Kleinkind redet.

»Dieter! Ich bin kein Kerl voller Lebensweisheiten. Ich bin wie jeder andere in meinem Alter! Die meiste Zeit habe ich keinen blassen Schimmer davon, was ich eigentlich mache.«

»Aber die Verträge habe ich in deinem Namen längst unterschrieben«, sagt Dieter, als wäre jegliche Diskussion ohnehin sinnlos. Was sie vermutlich auch ist, aber das heißt nicht, dass ich das einfach hinnehmen muss.

»Ich kann mich nicht erinnern, etwas unterschrieben zu haben.«

»Das hast du, als du mir eine Vertretungsvollmacht ausgestellt hast, mit den Worten, und ich zitiere dich hier: Damit ich mich nicht um jeden popligen Vertrag kümmern musst.«

Das ist die einzige Unterschrift, die ich bisher in meinem Leben ansatzweise bereue. Es klang mit zwanzig nach einer großartigen Idee und ich sage auch nicht, dass nur Schlechtes aus dieser Kooperation entstanden ist. Im Gegenteil – beide Seiten haben ihren Nutzen daraus gezogen. Nur in letzter Zeit hat Dieter des Öfteren vergessen unsere Meinung einzubeziehen.

»Aber nur für die, denen ich vorher mein Okay gegeben habe.« Ich stöhne frustriert auf.

»Ich sehe schon, du willst es nicht einsehen«, sagt Dieter und mit geschlossenen Augen atme ich einmal durch. Es ist nicht die erste Aktion dieser Art, mit der er mich konfrontiert, aber ich werde einen Weg finden, dass es seine letzte ist. Ich habe zwar keine Ahnung wie ich das anstellen soll, weil nicht nur meine Karriere daran hängt. Das ganze Vorhaben nur aus meiner Sicht zu sehen wäre egoistisch. Mein Team darf unter keiner meiner Entscheidungen leiden. »Die Diskussion ist sowieso sinnlos, Yannick. Die Verträge sind unter Dach und Fach und die Deadlines stehen. Denk an die Jobs, die daran hängen.« Natürlich spielt er diese Karte aus, als ob ich nicht ständig selbst daran denken würde. Er weiß, dass er mich damit in eine Ecke drängt, in der mir nur die Zustimmung bleibt. Nicht umsonst ist seine Agentur eine der gefragtesten, wenn es um die Künstlervermarktung geht. Er ist gut in seinem Job, das kann jeder sehen. Was nicht jeder sehen kann, sind seine Methoden, dank der er seine Ziele erreicht. Mit welchem Recht stelle ich mich über andere und riskiere deren Kopf?

Als wäre das Thema erledigt, geht er zurück zu seinem Tisch und kramt in seinen Unterlagen nach etwas. Mir fehlt Dolbys Wärme neben mir, als ich automatisch meine Hand nach ihm ausstrecke.

Mit angezogenen Ohren und gesengtem Kopf nähert er sich weiter der jungen Frau. Er weiß, dass er gegen das Wort seines Herrchens handelt. Juna, wie mir gerade wieder einfällt, begrüßt ihn mit einem Lächeln und krault ihn ausgiebig hinter den Ohren.

Sie ist wirklich hübsch. Ihre langen rotbraunen Haare fallen über ihre Schultern und sind zur Hälfte zurückgebunden. Die Haut ihres rechten Armes ist mit floralen Tattoos verziert. Das schwarze T-Shirt betont ihren Körper an jeder Stelle vorteilhaft. Der grüne Rock reicht ihr bis über die Knie. Caroline würde mich jetzt vermutlich belehren, dass diese Farbe kein Grün ist, sondern Petrol. Aber sie ist nicht hier, also ist er grün. Schwarze Strumpfhosen, die ihre Haut durchblicken lassen, runden das Outfit ab. Sie ziert sich nicht, als Dolby seine Schnauze in ihren Schoß legt. Viele andere Frauen, die ich kenne, besonders Caroline, hätten ihn beiseitegeschoben oder gequiekt, dass meine Ohren klingeln, aus Angst ihr Outfit könnte durch mögliche Sabber oder Hundehaare versaut werden. Sie streichelt ihn einfach weiter.

»Du bist so ein guter Junge«, flüstert sie ihm zu. Eine ihrer Augenbrauen zieht sich fragend in die Höhe. »Bist du überhaupt ein Junge? Entschuldige, dass ich einfach davon ausgehe. Ich hätte dich fragen sollen. Dolby ist so ein niedlicher Name«, sagt sie und meinem Hund gefällt es. Sein Schwanz hört nicht auf zu wedeln. Ich würde sie vielleicht sympathisch finden, wenn sie nicht die Autorin des schwachsinnigsten Buches des Jahrhunderts wäre. Es ist mehr der Hass gegen diese Memoiren als gegen Juna, der mich antreibt, als ich beschließe sie in diese Schlammschlacht zwischen Dieter und mir hineinziehen.

»Und du? Juna, richtig? Hast du eigentlich keinen Stolz, Liebes?«, frage ich so kühl ich kann. Ich treffe den Ton, den ich anstrebe, ohne große Mühe. So zuwider ist mir die Idee, ein Buch über mein Leben schreiben zu lassen.

»Entschuldigung?«, fragt sie empört und das zurecht. Sie steht auf, aber lässt eine Hand auf Dolbys Kopf ruhen. Ihre Augen haben ein warmes Braun und Caroline wäre auf ihren perfekten Lidstrich neidisch. Sie ist ein Stück größer als Caroline, aber erreicht meine Größe um gute fünfzehn Zentimeter nicht. »Was soll das heißen?«

»Warum schreibt man ein Buch, auf dem der eigene Name nicht erscheint?«, frage ich. Wenn ich sie dazu bekomme, den Auftrag hinzuschmeißen, löst das sicher nicht das Grundproblem, aber es gibt mir Zeit eine Lösung zu finden, bis Dieter mir einen Ersatz vorsetzt. Ich bin mir sicher, dass sie noch andere Bücher zu schreiben hat und ihre Karriere am wenigsten von allen leiden würde.

»Ich habe meine Gründe«, sagt sie. Sie atmet einmal durch, als hätte ich einen wunden Punkt getroffen, den sie nicht offenbaren will. Wenn ich noch ein wenig bohre, bringe ich sie vielleicht zum Explodieren und zum Hinschmeißen des Projektes insgesamt.

»Oder bist du so schlecht, dass es dir peinlich ist, deinen Namen auf dem Cover zu sehen?«, lege ich nach.

»Das Einzige, was mir peinlich an der Sache sein könnte, wäre meinen Namen neben deinem auf dem Cover zu sehen. Meine Schreibe ist alles andere als schlecht, keine Sorge.« Sie hat Biss. Das gefällt mir. Wären wir uns unter anderen Umständen begegnet, würde ich mich womöglich wunderbar mit ihr verstehen. Johannes würde sie lieben.

»Ich verstehe es trotzdem nicht. Wenn du so gut bist, müsstest du dann nicht stolz sein, deinen Namen unter dein Werk zu setzen? Warum die Stunden und den Schweiß investieren, wenn niemand erfährt, wer es geschaffen hat, Liebes?« Bisher reißt sie sich zusammen, aber ich sehe deutlich, wie es unter ihrer Oberfläche köchelt. Ihre Nasenflügel beben, als sie tief Luft holt. Noch ein bisschen und ich habe sie. Wenn ich ihren Stolz genug verletze, komme ich auch zum Ergebnis. Egal für was für ein Arschloch sie mich im Anschluss halten wird. Sie wäre nicht die Erste.

»Ich habe meine Gründe. Außerdem brauche ich keine Bestätigung durch andere, um stolz auf meine Arbeit zu sein«, wiederholt sie so ruhig, dass ich Zweifel an meiner Taktik habe. Der letzte Teil ihrer Aussage fühlt sich wie ein Seitenhieb auf meine eigene Arbeit an.

»Hör auf damit«, schaltet sich Dieter dazwischen. »Du wirst sie nicht reizen, bis sie hinschmeißt.« Er kennt mich zu gut. »Steh es einfach durch, sei kooperativ und um so schneller hast du es überstanden.«

»Wenn es von vornherein klar war, dass es keinen Spielraum zum Verhandeln gibt, warum musste ich dann erst antanzen?«, frage ich. Das Grinsen, das Dieter auflegt, verrät mir sofort, dass mir die Antwort nicht gefallen wird.

»Damit du weißt, wer bald in dein Haus einzieht und Teil der Squad wird«, eröffnet mein Agent, der eigentlich nur das Beste für mich im Sinn haben sollte und dessen Ziel es nicht ist, mich an den Rand des Wahnsinns zu treiben.

Mein entsetztes »Was?« wird von einem ebenso überraschten »Wie bitte?« von Juna begleitet. Diese Information ist also für uns beide neu. Das nun wiederum überrascht mich keineswegs. Wäre Dieter nicht der Beste in seinem Geschäft, dann hätten sich unsere Wege schon längst getrennt. Es ist der einzige Grund, warum ich ihn, trotz solcher Aktionen wie dieser, ertrage. Diesen Ruf hat er letztendlich auch durch genau dieses Vorgehen. Er setzt dem Gegenüber die Pistole auf die Brust und lässt kaum Zeit zum Nachdenken. Dass er diese Methoden bei seinen eigenen Klienten nutzt, ist selten, aber aus seiner Sicht hier wohl nötig. Er weiß, dass ich dagegen halten werde, wenn ich etwas nicht möchte.

»Es war nie die Rede davon, dass ich in das Haus einziehe oder, dass ich Teil dieser sogenannten Squad werden soll!«, empört sich Juna und ich glaube, stände der Tisch nicht zwischen den beiden, würde sie ihm an den Hals springen. Wie sie das Wort Squad hämisch betont, lässt mich innerlich grinsen. »Ich werde mich durch die unzähligen Videos kämpfen, Interviewfragen vorbereiten und mich melden, wenn mir noch etwas fehlt oder ich Fragen habe.«

»Das wird nicht reichen«, hält Dieter dagegen. »Dieses Leben kann man nur beschreiben, wenn man es am eigenen Leib gespürt hat.« Das ist ein Punkt, bei dem ich ihm recht geben muss. Dennoch bin ich gegen einen Einzug einer weiteren Person, speziell, wenn es jemand ist, der mich ausspionieren soll. Dafür haben wir zu hart gearbeitet uns alles aufzubauen. Das Haus ist der einzige Ort, an dem wir wir sein können. Es gibt Dinge, die gehen die Öffentlichkeit nichts an.

»Nein«, stellt sie klar. »Beobachten reicht völlig aus. Ich werde sicher nicht Teil dieser öffentlichen Zurschaustellung. You do You, aber für mich ist das absolut nichts.«

Zieht sie gerade über meine Art zu leben her, während ich neben ihr stehe?

»Es ist doch nicht die erste Biografie, die du schreibst, oder? Und soweit ich informiert bin, warst du mit diesen Künstlern sogar auf Tour und wochenlang auf engstem Raum mit ihnen in einem Bus unterwegs«, argumentiert Dieter.

»Das ist nicht dasselbe. Von ihnen hat mich keiner auf die Bühne gezerrt, um mit ihnen im Scheinwerferlicht ein Duett zu trällern. Ich wohne in Berlin, gebt mir die Adresse und ich stehe pünktlich jeden Morgen auf der Matte und gehe erst, wenn der Tag auch für den Rest beendet ist.« Diese Aussage zeigt, wie wenig sie tatsächlich über unsere Arbeit weiß. Als hätten wir einen Tagesrhythmus, nach dem wir arbeiten.

»Juna, du wirst merken, warum das nötig ist. Außerdem bekommst du alles, was du als Mitglied an Werbegeldern und Sponsoren verdienst, ausgezahlt. Du bekommst einen Vertrag wie jeder, der in diesem Haus wohnt.«

»Jeder hat einen Vertrag, der dort wohnt?«, fragt sie ungläubig.

»Natürlich«, sagt Dieter, erklärt aber nichts weiter dazu. Die Information, dass sie das zusätzlich verdiente Geld behalten kann, scheint sie nachdenken zu lassen. Verdient man als Ghostwriter so schlecht, dass man auf jeden Cent angewiesen ist? Oder ist sie wie fast jeder in meinem Leben und versucht durch den Kontakt zu mir den größtmöglichen Profit rauszuschlagen?

»Es bleibt bei meinem Nein.« Dieters Dauerlächeln wackelt kurz und er scheint das nächste Argument parat zu haben, doch Juna kommt ihm zuvor. »Mein Auftraggeber ist der Verlag und nicht du, Dieter.« Wie sie Dieters Namen betont, lässt mich ahnen, dass man nicht in ihre Ungnade fallen will. Doch ich will genau das, um mir ihre Missgunst zum Vorteil zu machen. »Squad«, fügt sie noch murmelnd hinzu. »Zu meiner Zeit hat man dazu noch Freunde gesagt.« Damit bringt sie mich fast zum Lachen.

Juna Roos ist eine Frau, mit der ich mich unter anderen Umständen mit Sicherheit angefreundet hätte, schon allein aus dem Grund, dass sie sich von Dieter nichts gefallen lässt und Dolby scheinbar einen Narren an ihr gefressen hat. Doch das Timing und vermutlich auch der Grund unseres Aufeinandertreffens hätten nicht unpassender sein können.

Führst du heute das Leben, das du dir als Kind ausgemalt hast?

Juna

»Dann wollen wir es mal angehen.« Ich klappe den Laptop bis zu der Stelle auf, von der ich weiß, dass er beginnt sich zu verklemmen. Nur mit leichtem Druck nach links überspringt man diese Hürde und ein kleines Knacksen ertönt. Erst dann lässt sich der Monitor komplett aufklappen. Mit einem Stoßgebet zu den Göttinnen der Autorinnen und der technischen Funktionalität fahre ich das Gerät hoch. Beim Booten könnte man meinen, dass ich in meinem Zimmer eine geheime Start- und Landebahn für Düsenjets betreibe, und ich kneife meine Augen zusammen, falls die Festplatte sich dazu entschließt in Flammen aufzugehen. »Wir zwei haben schon so viele Wörter zusammen geschrieben. Dann schaffen wir das auch noch, okay?« Ich streiche leicht über die Tastatur, als würde es den Lüfter besänftigen und das Leben des Laptops auf magische Weise verlängern. Dabei weiß ich, dass unsere gemeinsamen Tage schon lange gezählt sind. »Fühl dich nicht gehetzt.«

Dieser eine Auftrag, noch einmal durchkämpfen und dann kann ich die Schulden, die meine Vergangenheit an mich binden, endlich hinter mir lassen. Dann kann ich mein Leben beginnen. Mit dem Smartphone in der Hand lehne ich mich in meinem Stuhl zurück. Ich öffne den Browser und beginne meine Recherche wie vermutlich jeder heutzutage: Ich gebe Yannicks Namen in die Suchmaschine ein. Sein YouTube- und weitere Social-Media-Kanäle werden als Erstes angezeigt. Auch Dieters Agentur befindet sich unter den ersten Treffern. Er hat damit nicht gelogen, dass Yannick sein bestes Pferd im Stall ist. Ein Blick auf die Agenturseite reicht, um das herauszufinden. Es scheint sich alles um Yannick zu drehen. Seine Erfolge und Meilensteine finden sich in den aktuellen News. Doch ich gehe wieder zurück zur Suchmaschine und scrolle ein paar Einträge weiter. Ich persönlich nehme es mit Einträgen auf Wikipedia wie mit Statistiken. Ich glaube nur denen, die ich selbst geschrieben habe. Dennoch bekommt man einen generellen Überblick zu einem Thema und findet erste Quellenverweise. Es ist ein Anfang, bevor man sich tiefer in die Materie einarbeitet. Viele meiner Kollegen würden es sicher nicht zugeben, aber ich bin mir beinahe sicher, dass wir alle so beginnen. Das Netz macht es viel zu einfach Dinge über Menschen herauszufinden – ob diese Dinge der Wahrheit entsprechen, ist eine ganz andere Sache. Ich überfliege den Artikel und picke mir die wichtigsten Eckdaten heraus.

»Yannick Pohlmann«, lese ich leise seinen Namen, um mich bereits daran zu gewöhnen. Ich werde ihn die nächsten Wochen oder Monate öfter in den Mund nehmen.

Yannick Pohlmann (*15. November 1997 in Berlin) ist ein deutscher Webvideoproduzent, Entertainer, Extremsportler, Schauspieler und Synchronsprecher. Seine Videos drehen sich vor allem um Lifestyle, Parkour und Comedy (früher auch Dokumentationen). Mit mehr als zehn Millionen Abonnenten ist er zur Zeit der am meisten abonnierte deutschsprachige YouTuber.

Soweit nichts neues für mich. Ich scrolle weiter zu der Kategorie »Leben«.

Yannick Pohlmann wurde in Berlin geboren. Sein erstes Video stellte er mit vierzehn Jahren auf seinem Hauptkanal HeYannick online. Zu Beginn lag der Fokus auf Filmen über Parkourläufe, die Pohlmann an verschiedenen Orten absolvierte. Den Kanal betreibt er am Anfang mit seinen Freunden Johannes Brück und Simon Stelzer. Nach eigenen Angaben haben sie sich die Fähigkeiten für das Herstellen von Filmen selbst angeeignet. Nach vier Jahren trennte sich Stelzer vom Kanal. Es folgten Jahre mit wechselnden Mitgliedern. Zurzeit besteht das Team um Pohlmann aus: Johannes Brück, Caroline Mende, Lydia Scheel und Leon Kratz.

Er besuchte die Filmschule in Babelsberg, die er nach vier Semestern abgebrochen hat, um sich gänzlich seinem immer besser laufenden YouTube-Kanal zu widmen.

Er gründete einen Zweitkanal, HeYou, auf dem vor allem Vlogs und Behind-the-Scenes-Material veröffentlicht wird.

Heißt das, ich muss mich durch doppelt so viele Videos durcharbeiten?

2017, 2018 und 2019 war er für den Goldenen Blogger und die Goldene Kamera Digital nominiert und gewann in der Kategorie Lieblingsvideoblogger.

»Für so etwas gibt es Preise?«, frage ich in mein Zimmer hinein, wohlwissend, dass mir niemand antworten wird.

Er lebt mit seinem Team in einer Villa in Berlin. Die Kategorie Auszeichnungen und Filmografie sind ebenfalls erstaunlich gut gefüllt. Auch die Filme, in denen er Charakteren seine Stimme lieh, sind aufgeführt. Die Weblinks und Einzelnachweise durchforste ich später.

So sehr es mich sträubt Dieter zuzustimmen: wirklich Nennenswertes, was man in Memoiren lesen will, finde ich hier nicht über Yannick heraus.

Das Vertragsaddendum, das der Manager mir vorgesetzt hat, liegt noch immer neben mir. Er hat es mir mit dem Hinweis ich solle doch noch eine Nacht darüber schlafen mitgegeben. Bis eben habe ich das Papier neben mir auf dem Schreibtisch angestarrt und mit dem Kopf geschüttelt, bis ich mich aufgerafft habe meinen Laptop zu starten – der inzwischen leiser ist, aber noch nicht einsatzfähig.

Dieser Vertrag! Ich konnte mir denken, dass vieles nicht real ist in dieser Social Media Welt. Aber so falsch, dass man Verträge für ein Miteinander unterschreibt? Wie kann man so ein Leben führen und sich selbst noch treu bleiben? Zugegeben, die Summe des Zusatzverdienstes hat mich für den Bruchteil einer Sekunde überlegen lassen – ich war versucht –, aber am Ende ist es die Sache einfach nicht wert.

Eine Person wie mich kann man nicht vor eine Kamera stellen. Ich habe eine große Klappe, trage mein Herz auf der Zunge und sage immer meine Meinung, egal ob es in dem Moment passend ist oder nicht. Ein Filter für mein Mundwerk existiert nicht und mein Bauchgefühl sagt mir, dass mir das Schwierigkeiten bereiten wird. Es wäre nicht das erste Mal. Und ja, ich habe schon Biografien für Musiker geschrieben und war mit ihnen auf Tour. Aber eben aufgrund dieser Tour gab es keine Alternative, als mich ihnen anzuschließen, damit ich genug Material sammeln und die Deadline halten konnte. Außerdem pflegten diese Künstler ihre Privatsphäre und haben nicht jeden ihrer Atemzüge mit einer Kamera festgehalten, wie es diese Gruppe an YouTubern macht. Diese Villa ist in Berlin, in der Stadt, in der ich selbst wohne. Mit Bus und Bahn brauche ich gute zwei Stunden für eine Strecke, aber diese Zeit nehme ich in Kauf.

»Juna?«, ruft Josie aus dem Wohnzimmer. »Ein Kurier hat ein ziemlich großes und schweres Paket für dich abgegeben!«

»Was für ein Paket?«, rufe ich zurück. Kurz überlege ich, wie schlau es ist den Laptop zuzuklappen, wo er gerade endlich in die Gänge gekommen ist. Doch die Neugier gewinnt. »Ich habe nichts bestellt«, erkläre ich, als ich zu ihr ins Wohnzimmer gehe. Ich habe den Vertrag noch immer in der Hand. Auf dem Couchtisch liegt ein Paket, das diesen komplett unter sich begräbt.

»Seit wann hast du etwas mit ThelenNetzwerk zu tun?«, fragt meine beste Freundin neugierig. »Du weißt, dass auch Yannick denen angehört?« Sie sieht mir die ganze Zeit über die Schulter, als ich mich daran mache das Klebeband zu lösen. Natürlich weiß sie das. Sie ist seit Jahren Fan seiner Videos. Josi könnte mir so viel mehr Insiderwissen vermitteln als dieser Wikipedia-Artikel und ich werde diese Quelle des Wissens auch nutzen. Nur wusste ich bisher nicht, wie ich das Thema anschneiden sollte. Jetzt wäre wohl ein guter Zeitpunkt.

»Das weiß ich«, erkläre ich ihr und sie sieht mich misstrauisch von der Seite an. Erst vor wenigen Stunden habe ich Dieters Büro verlassen. Was könnte er mir bereits schicken? Ich lege den Vertrag auf die Couch neben mich. Josi weicht nicht von meiner Seite, als ich das Paket öffne.

»Was ist das alles?«, fragt sie verwundert und nimmt eines der Shirts mit dem Logo von Yannicks Kanal heraus.

»Mein Starterset – schätze ich«, spreche ich meine Gedanken aus. Neben den Shirts und Hoodies finden sich noch ganz andere Gadgets. Ein Smartphone und ein Laptop, beides ebenfalls mit dem Logo versehen, toppen jedoch alles. Eine kurze Nachricht liegt dem Ganzen bei.

Fühl dich jetzt schon als Teil des Squad.

Dieter

»Dieser verdammte Vertrag!« Ich seufze und setze mich vor den Couchtisch. Ich sehe weiter durch das Paket und der Druck in meinem Magen wird immer unerträglicher. Er ist da, seit ich Dieters Büro verlassen habe.

»Juna, was hat das zu bedeuten?«, fragt meine beste Freundin.

Ich sehe sie an und dann wieder in das Paket. Jetzt oder nie. »Ich habe dir doch erzählt, dass ich einen neuen Auftrag als Ghostwritern an Land gezogen habe?«, frage ich und Josi nickt langsam.

»Du meintest, dass mehr Geld als üblich dabei rausspringen könnte«, erinnert sie sich.

»Genau. Sogar noch mehr, als ich erwartet habe«, bestätige ich.

Josi entfährt ein kleiner Schrei, als sie eins und eins zusammenzählt. »Du schreibst etwas für Yannick?«, fragt sie aufgeregt.

»Ja, seine Memoiren.« Ich würde über ihr Gesicht lachen, wenn meine Nervosität mich nicht zerfressen würde.

»Memoiren?«, fragt sie und ich murmele zustimmend. »Er ist vierundzwanzig«, sagt sie nüchtern, als müsse sie mich von der Sinnlosigkeit des Buches überzeugen. Ich liebe sie dafür, dass sie ein Hardcorefan ist, aber dennoch den gesunden Menschenverstand darüber hinaus nicht verliert.

»Ich weiß. Die nächsten Wochen werde ich kaum zu Hause sein. Ich werde Yannick und die anderen in ihrem Alltag begleiten.«

»Aber sie drehen immer und ständig für ihre Vlogs und so«, gibt sie zu Recht zu bedenken. Daran habe ich auch schon mit Bauchschmerzen gedacht.

»Ich versuche einfach immer der Linse auszuweichen?«, schlage ich vor, aber auch in meinen Ohren klingt das kaum umsetzbar. »Ich brauche den Job, Josi.«

Sie nickt nur verstehend. »Und was ist mit deinem Instagram-Account? Schaffst du das zeitlich alles? Deine Newsletter für deine Leser?«

»Wir haben noch einige Fotos von dir, die wir verwenden können und die Bildtexte bereite ich vor. Ich mache einen Zeitplan und du würdest aufpassen, dass alles zur geplanten Zeit online geht? Könntest du das machen?«

»Na klar. Ich bin zwar nicht so eine gute Fotografin wie du, aber ich kann auch versuchen ein paar Bilder zu schießen.«

»Danke, Josi«, sage ich aus vollem Herzen und ziehe sie für eine kurze Umarmung an mich.

»Ich schau auch immer mal in die Nachrichten und beantworte die allgemeinen Fragen zu deinen Büchern.« Josi ist nicht nur Testleserin aller meiner Romane, Biografien oder sonstiger Texte – sie ist auch das Gesicht, das jeder mit mir und meinem Autorenpseudonym in Verbindung bringt. Ich meine es ernst, wenn ich sage, dass ich mein Gesicht nicht im Netz zeigen will. Nicht mal mein echter Name steht auf den Covern meiner Bestseller.

»Was, wenn ich doch in einem der Videos auftauche und mich jemand erkennt, Josi?«

»Ich mein, das Internet vergisst schnell, oder?« Da ist etwas dran. »Du schreibst das Buch, zahlst deine Schulden ab und ehe du dich versiehst, kehrt Normalität in dein Leben ein.«

»Genau«, sage ich, auch wenn ich an kaum ein Wort davon glaube, mit dem sie uns beide versucht zu überzeugen.

Mit vierzehn, fast fünfzehn Jahren musste ich über Nacht gänzlich erwachsen werden. Seitdem weiß ich nicht mehr, was ein normales Leben bedeutet, nicht, dass es davor besonders einfach gewesen wäre. Die Fähigkeit, über die Straße zu gehen, ohne ständig das Gefühl zu haben beobachtet zu werden, habe ich längst verloren und auch in einer Metropole wie Berlin, wo niemand niemanden kennt, ist es nicht besser geworden. Yannick hat diese Art zu leben, ständig unter Beobachtung zu sein, freiwillig gewählt. Während dieses Gefühl in mir pure Panik auslöst, scheint er es zu genießen.

Eine weitere meiner Bürden sind Schulden, die ich vererbt bekommen habe und abzahlen muss, obwohl beide meine Eltern noch leben. Aber das stimmt nicht ganz. Ich weiß, dass mein Vater atmet und sein Herz schlägt, aber für mich ist er gestorben, als er sich dafür entschied das Leben einer anderen zu nehmen. Die Tochter eines verurteilten Mörders – ich habe nie um diesen Titel gebeten, aber es ist der, den ich mein Leben lang tragen werde. Jeder in meinem Umfeld hat, bis ich weggezogen bin, sichergestellt, dass ich das nie vergesse. Sie haben mich und meine Mutter behandelt, als hätten wir diese abscheuliche Tat eigenhändig begangen. Als hätten wir hinter meinem Erzeuger gestanden und ihn dazu angestiftet – als wäre es ein Familienprojekt gewesen. Nie wurden wir gefragt, wie es war mit ihm zusammenzuleben. Niemanden hat es interessiert, dass meine blauen Flecken nie von meiner Unbeholfenheit auf dem Spielplatz stammten. Was meine Mutter alles ertragen musste, weiß ich nicht und ich will es auch gar nicht wissen. Bis heute hält sie zu ihm und besucht ihn jede Woche im Gefängnis. Ich schaffe es nicht mehr, Verständnis für sie aufzubringen. Die Leute konnten das auch nie und haben mich ebenfalls behandelt, als würde ich bis zum bitteren Ende zu diesem Scheusal, das sich Vater nennt, halten.

In schwachen Momenten hasse ich das Rechtssystem, das ihn einsperrt. Denn hinter den Mauern und Wänden ist er sicher vor dem Hass und Vorurteilen, denen wir zu Hause immer ausgesetzt waren. Obwohl uns von Nachbarn oder bisweilen völlig Fremden mit Rache gedroht wurde, wurde uns nie geholfen. Wie sich herausstellte, gibt es für Angehörige eines Straftäters keine Schutzmaßnahmen. Erst hätten wir ebenfalls zu Opfern werden müssen. Als müsste auf kranke Art und Weise ein Gleichgewicht hergestellt werden. Meine Mutter weigert sich noch immer Bamberg zu verlassen und erträgt die Einsamkeit und die Abneigung nach wie vor. Ich habe sie angefleht, wegzuziehen oder dass ich die Schule wechseln dürfe – doch sie hat es nie für nötig gehalten. Lieber hat sie dabei zugesehen, wie ich immer einsamer und verschlossener wurde. Meine Albträume sind noch immer geprägt von den Grausamkeiten, die mir zu Schulzeiten angetan wurden. In Abstellkammern zu Schulschluss eingesperrt werden. Prügeleien, die ich nie begonnen habe, für die aber immer ich bestraft wurde. Worte, die härter trafen und mehr in mir kaputt gemacht haben, als es jede Faust hätte können.

Das Schmerzensgeld, das der Opferfamilie zu Recht zusteht, die Anwalts- und Gerichtskosten zahlt natürlich nicht mein Vater. Bis ich eigenes Geld verdient habe, hat meine Mutter versucht so gut es ging alles abzustottern. Was sich auch als schwierig herausstellte.

An meinem achtzehnten Geburtstag bin ich ausgezogen. Ans andere Ende von Deutschland. Hauptsache so weit weg, wie es nur möglich war. Trotz allem liebe ich meine Mutter. Ich kann sie mit dieser Bürde nicht allein lassen. Also zahle ich die Schulden meines Vaters ab. Das ist das einzige Lebenszeichen, das sie noch von mir bekommt. Solange der Gerichtsvollzieher nicht vor ihrer Tür steht, weiß sie, dass es mir gut geht.

Aber diese Gedanken verfolge ich nicht weiter. Es würde mich nur in eine weitere depressive Phase stürzen. Doch es ist der Grund, warum ich es vermeide mein Gesicht online zu zeigen. Die Angst, dass mich Leute von früher finden könnten und die Taten meines Vaters mich hierher verfolgen, ist lähmend. Ich bin inzwischen Bestsellerautorin, auch mit einer großen Onlinecommunity – aber jedes Buch erscheint unter einem Pseudonym und Josi modelt für die Fotos, die manchmal unvermeidlich sind, damit man nahbarer für die Leser erscheint.

Als Nächstes nehme ich ein Heft aus dem Paket. Ich überfliege es zunächst grob. Es sind Regeln für das Zusammenleben im Haus. Dieter hatte so etwas erwähnt, bevor ich sein Büro verlassen habe. Auf den ersten Blick ist der Tenor des Ganzen, dass ich alles tun und machen kann, wenn keine Kamera läuft. Wenn sie läuft, habe ich meine Rolle zu spielen – welche das auch immer sein mag. Vermutlich, dass ich immer vor der Kamera flüchten werde. Langsam zweifle ich, dass mein Können aus der Theater-AG in der achten Klasse für dieses Schauspiel ausreichen wird. Aber die Befürchtung, dass mir meine große Klappe Probleme machen wird, kehrt zurück. Schon lange habe ich es mir abgewöhnt mich klein zu machen und meine Gedanken für mich zu behalten, wenn ich unfair behandelt wurde. Aber ich habe den Vertrag über einen Einzug in das YouTuber-Haus nicht unterschrieben, dann müssen sie mich eh rausschneiden, oder? Und ewig werde ich dieses Spiel nicht mitmachen müssen. Nur für die Dauer, für die mich der Buchvertrag bindet und keinen Tag länger.

»Worauf habe ich mich da nur eingelassen, Josi?«, frage ich und lasse meine Schultern nach unten sacken. Sie hält mir ihre Hand entgegen und ich reiche ihr die Auflistung. Sie überfliegt sie und mit jedem Punkt, den sie liest, fällt ihr Lächeln Stück für Stück. Sie schluckt schwer.

Ich nehme den Laptop und das Smartphone aus dem Paket. Laut Dieter kann – nein, sollte – ich sie für meine Arbeit verwenden. Außerdem wären sie sicherer gegen Hackerangriffe geschützt. Ich bezweifle, dass ich diese Vorkehrungen brauche, aber man sollte keine schlafenden Hunde wecken. Und ich glaube, so sehr ich meinen Laptop auch liebe, dass mir dieses neue Gerät bessere Dienste leisten könnte.

»In dem Brief stand, dass ich die Klamotten an meine Familie und Freunde verteilen kann«, erkläre ich Josi und das Leuchten kehrt in ihre Augen zurück. »Da du beides bist, ist alles für dich.«

Ich packe den Laptop aus und starte ihn. Noch einmal nehme ich mir den Vertrag und den Regelkatalog zur Hand, während sich der PC einrichtet. Bis das Paket ankam, war ich mir sicher alles auf die Reihe zu bekommen, ein paar Tage reinzuschnuppern, um dann wieder nach Hause zu gehen und loszuschreiben. Jetzt weiß ich nichts mehr. Aus dem Nichts bekomme ich automatisch diese teuren Geräte? Das will nicht in meinen Kopf. Ich werde das Ganze einfach als Zurverfügungstellen von Arbeitsmitteln sehen. Ich werde sie nur in der Zeit und für die Zeit, für die ich den Wahnsinn mitmachen werde, benutzen und dann sofort zurückgeben. Anders kann ich mir die Annahme des Paketes nicht schönreden.

Ein nächster Punkt im Heft lässt mich innehalten. Hausgeheimnisse und Informationen, die ein anderer Bewohner im Vertrauen preisgegeben hat, dürfen nicht veröffentlicht werden.

Ich atme tief durch. Kann ich das wirklich durchziehen? Wenn mir eins gerade bewusst wird, dann, dass mein Leben von nun an fremdgesteuert wird. Nicht, dass ich das nicht kenne, aber ich habe mir ein Minimum an Selbstständigkeit gerade erst wieder zurückerobert. Diese bereits wieder freiwillig aufzugeben, grenzt an Wahnsinn. Wenn ich die finanzielle Seite betrachte, brauche ich diesen Job. Das steht außer Frage. Doch zu welchem Preis? Ist es das Geld wert?

Ich verbinde mich mit dem WLAN und rufe die berühmte Videoplattform auf. Ich hole ein Notizbuch und einen Stift, bevor ich mich wieder vor die Couch setze und mich an sie lehne.

»Okay, Josi. Konzentration.« Meine Freundin setzt sich neben mich und sieht mich fragend an. »Harte Fakten. Was weißt du über Yannick, was mir Wikipedia nicht sagen kann?«

»Alles?« Sie lacht und mir schwant Böses, aber ich nicke.

»Dann wollen wir mal loslegen, damit du endlich deine HeYannick-Jungfräulichkeit verlierst«, sagt sie und zuckt mit den Schultern. Sie zieht den Laptop auf ihren Schoß und gibt den Kanalnamen in das Suchfeld ein. Uns wird nicht nur der Kanal angezeigt. Es erscheinen auch viele Fanvideos, Interviews und Videos von Menschen, die man wohl zu neudeutsch als Hater bezeichnen würde. In diese Kategorie werde ich später eintauchen.

Josi manövriert uns zu HeYannick und lässt sich die ältesten Videos anzeigen.

»Er und Johannes, sein bester Freund, machen seit fast zehn Jahren gemeinsam Videos«, erklärt Josi und zeigt mir das erste Video. Yannick sieht jünger aus. Er kommt mir gänzlich anders vor als die Person, die mir heute Vormittag gegenüber stand. Seine Statur ist schmaler und er trägt schlichtere Kleidung. Sein Gesichtsausdruck ist keine beherrschte Fassade, sondern voller Emotionen. Frust, wenn ein Stunt nicht funktioniert hat. Pure Freude, wenn ein Hindernis dann endlich überwunden wurde. Er lacht viel mit diesem Johannes. Nach dem Kennenlernen heute kann ich mir nicht vorstellen, dass er so losgelöst und aus vollem Herzen lachen kann. Dazu war er zu kontrolliert.

Erfolg verändert die Menschen und das hat vor ihm auch keine Ausnahme gemacht. 1.867 Videos in fast zehn Jahren. Wenn ich alle ansehen müsste, wäre ich Ewigkeiten beschäftigt. Noch nie war ich so dankbar, dass Josi sich mehr für das Leben ihrer Idole interessiert als für ihr eigenes.

Dieter hat eine Werbechance gesehen und sie gepackt. Wenn ich die Deadline richtig im Kopf habe, ist es angedacht, dass das Buch etwa zum Jubiläum erscheinen wird. Zehn Millionen Abonnenten in zehn Jahren. Das hat was. Die ersten Videos, die Josi mir zeigt und erklärt, sind Parkourläufe von Yannick und Johannes quer durch Berlin. Die meisten Kulissen sehen aus, als hätten sie kein Recht gehabt dort zu drehen. Baustellen, Ruinen und private Hinterhöfe. Einige davon sind Lost Places und scheinen vorwiegend bei Fotografen beliebt zu sein, wenn man den automatischen Videovorschlägen daneben Glauben schenkt. Themen, die Teenager bewegen, werden mit aufgegriffen. Freundschaften, die erste Verliebtheit, das Fanleben und Akne. Die Clips und der Schnitt sind bei Weitem nicht perfekt, aber man erkennt Talent. Eine Konstante, wie mir auffällt, ist dieser Johannes. Aus den Artikeln weiß ich, dass er auch heute noch mit Yannick Videos dreht und zu seinem Team gehört. Ich muss mir eingestehen, dass die ersten Jahre durchaus interessant sind und man sieht, dass diese zwei Jungs enormen Spaß dabei haben. Die wechselnden Mitglieder fallen auf, aber sie schaden dem Konzept nicht. Leon stieß dazu, als sie sechzehn waren.

Das Bild ändert sich, als Yannick zwanzig ist und bei Dieter unter Vertrag geht.

»Dieter ist ein Freund von Yannicks Eltern«, sagt Josi und zeigt mir in einem neuen Tab einen alten Artikel auf einem Nachrichtenportal. Dass die zwei sich so lange kennen, hätte ich nach der kühlen Stimmung zwischen den beiden heute Vormittag nicht vermutet. Hat das Geschäft die Freundschaft zerstört?

All diese Fragen, die sich mir stellen, schreibe ich in mein grünes Notizbuch. Ich werde den Dingen im Haus auf den Grund gehen. Die Videos, die ab diesem Zeitpunkt veröffentlicht wurden, sind massentauglicher. Jedes zweite Video ist eine Challenge, die mich das Gesicht verziehen lässt. Die eine oder andere ist interessant und es steht ein guter und größerer Zweck dahinter. Etwa, wenn dadurch Spendengelder für die Erforschung von Krankheiten gesammelt werden wie bei der Ice Bucket Challenge vor einigen Jahren. Doch andere Herausforderungen, die sich YouTuber untereinander stellten, sehen weder aus, als ob die Beteiligten Spaß gehabt haben, noch, als ob sie selbst den Sinn dahinter sehen. Fremdscham ist das erste Wort, das mir beim Betrachten dieser Filme in den Sinn kommt. Fremde Personen mit sinnlosen Belangen ansprechen. Ungewöhnliche bis widerliche Dinge essen – es scheint nichts zu geben, was es nicht gibt. Das Parkourthema tritt immer weiter in den Hintergrund. Die Kleidung von Yannick ändert sich. Was mit dem Älterwerden nicht unbedingt verwunderlich ist. Ich weiß gar nicht, wie oft ich meinen Kleidungsstil bereits geändert habe. Doch bei ihm sieht es zumindest zu Beginn wie eine Verkleidung aus. Wenn ich an unsere Begegnung heute denke, dann ist er aus dieser Phase eindeutig herausgewachsen. Ein schlichtes Shirt und Jeans trägt er schon lange nicht mehr.

Wir springen zwischen den Videos und zwei Kanälen hin und her und Josi erklärt mir einige interessante Hintergrundinformationen. Auf HeYannick finden sich die aufwendigen Produktionen: waghalsige Läufe, Kurzfilme und Sketche. Auf dem anderen Kanal, HeYou, sind Vlogs und diese Challenges zu Hause.

Neben den Videos mit den alten Mitgliedern werden an der Seite Thumbnails zu weiteren Filmen angezeigt, die von den Ausgestiegenen hochgeladen wurden. Sie tragen Titel wie: »Wie Yannick Pohlmann mein Leben ruiniert hat.« Oder »Yannick ist ein Lügner.« Oder »Er hat mich verraten.«

»Was sind das für Videos?«, frage ich Josi und sie seufzt.

»Das sind ehemalige Freunde und Wegbegleiter, die sich von Yannick betrogen fühlen.«

»Und was sagt er dazu?«

Sie überlegt kurz. »Nichts«, sagt Josi und zuckt wieder mit den Schultern.

»Wie? Nichts?«, frage ich und sehe sie an.

»Er bezieht nirgends Stellung dazu. In keinem Interview, in keinem Video. Er spricht es einfach nie an.« Mein Notizbuch füllt sich praktisch von selbst. Vielleicht ist das Ganze doch interessanter, als ich zu Beginn angenommen habe. Ich notiere mir gleich, dass ich die ehemaligen Mitglieder seiner Gruppe anschreiben und um ein Interview bitten werde.

Schließlich bleiben wir an einem Video hängen, in dem Yannick seine zehn Millionen Abonnenten feiert und das Team in ihr aktuelles Haus einzieht.

Ihn und Dolby habe ich bereits kennengelernt. Auch Johannes erkenne ich wieder, der sich seit den älteren Videos kaum verändert hat. Er ist gewachsen und definitiv aus der Pubertät heraus, die ihm offenbar gutgetan hat. Im Gegensatz zu den anderen trägt er ein Shirt mit dem Logo des Kanals und keine Markenkleidung, soweit man es auf den ersten Blick erkennen kann. Zu meinem Glück stellen sich alle noch einmal vor.