Cernunnos - Harry Eilenstein - E-Book

Cernunnos E-Book

Harry Eilenstein

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Beschreibung

Der Hirschgott Cernunnos ist eine der markantesten Gestalten der keltischen Götterwelt. Er drückt zugleich eine archaische Wildheit und eine hohe meditative Konzentration aus und lässt ein volleres Leben ahnen. Die umfassendste Darstellung des Cernunnos findet sich auf dem Kessel von Gundestrup, deren Bilder ihn als einen Schamanen-Priester bei einer Einweihung darstellen. Solche Einweihungen sind in erster Linie rituelle Jenseitsreisen. Die bekannteste dieser Einweihungen zur Zeit des Cernunnos waren die Mysterien von Eleusis, mit denen die Rituale des Hirsch-Schamanen eng verwandt waren. Die Herkunft des Cernunnos lässt sich über die Hirschgötter der Indogermanen und die Symbolik der gehörnten Herdentiere in der Jungsteinzeit bis zu den Höhlenmalereien der Altsteinzeit zurückverfolgen. Diese Tradition lebte bis in die historische Zeit der keltischen Überlieferungen aus Irland und Großbritannien weiter, wo sie u.a. die Sagen um die Druiden Fionn, Amairgen, Taliesin und Merlin gebildet hat, in denen in mythologischer Form immer noch von denselben Ritualen berichtet wird. Hirsche spielen in den keltisch-irischen Sagen eine wichtige Rolle - es wird sogar beschrieben, wie sich Merlin in einen Hirsch verwandelt. Diese Jenseitsreisesymbolik, mit der der Hirsch und der Hirsch-Schamane verbunden waren, endete keineswegs mit dem Beginn des Christentums in den Siedlungsgebieten der Kelten: Die französischen Könige führten in ihrer Krönungszeremonie und Krönungssymbolik die keltische Tradition weiter, so dass bis ins 18. Jahrhundert hinein der geflügelte Hirsch das Zeichen der französischen Könige geblieben ist. Cernunnos war so fest in den Vorstellungen der Kelten verankert, dass die christlichen Missionare ihn nur durch Integration besiegen konnten: St. Hubertus.

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Photo-Astrologie (64 S.)

Handbuch für Zauberlehrlinge (408 S.)

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Meditation (140 S.)

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Schwitzhütten (524 S.)

Hathor und Re:

Band 1: Götter und Mythen im Alten Ägypten (432 S.)

Band 2: Die altägyptische Religion – Ursprünge, Kult und Magie (396 S.)

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Die Entwicklung der indogermanischen Religionen (700 S.)

Wurzeln und Zweige der indogermanischen Religion (224 S.)

Christus (60 S.)

Odin (284 S.)

Der Kessel von Gundestrup (220 S.)

Cernunnos (700 S.)

Kursus der praktischen Kabbala (150 S.)

Eltern der Erde (450 S.)

Blüten des Lebensbaumes:

Band 1: Die Struktur des kabbalistischen Lebensbaumes (370 S.)

Band 2: Der kabbalistische Lebensbaum als Forschungshilfsmittel (580 S.)

Band 3: Der kabbalistische Lebensbaum als spirituelle Landkarte (520 S.)

Über die Freude (100 S.)

Das Geheimnis des Seelenfriedens (252 S.)

Von innerer Fülle zu äußerem Gedeihen (52 S.)

Das Beziehungsmandala (52 S.)

für David, für Christian und für den „Kräutersammler“

Inhaltsverzeichnis

Cernunnos, der keltische Hirschgott

1. Der unbekannte Gott

2. Die Bilder des Cernunnos

3. Die Bilder des Kessels von Gundestrup

4. Die Motive des Kessels von Gundestrup

5. Das Ritual des Kessels von Gundestrup

6. Die Rolle des Cernunnos in dem Kessel-Ritual

7. Keltische Ritual-Kessel

8. Die Seefahrer-Säule

9. Die Kultur der Kelten

10. Die Druiden

11. Cernunnos und andere keltische Gottheiten

12. Cernunnos in den keltischen Mythen

Antike Mythen

Merlin

Taliesin

Amairgen

Amra für Colum Cille

Die Ankunft der Tuatha de Danan in Irland

Die Geburt des Sonnengottes Lugh

Die vier Kostbarkeiten der Tuatha de Danan

Die dreizehn Schätze Britanniens

Wie der Gott Dagda seinen Zauberstab erlangte

Der Zauberspruch auf St. Padarns Stab

Das Mabinogion

Der Traum des Rhonabwy

Táin Bó Cúlaigne

Fionn mac Cumhill

Herne der Jäger

Das Schicksal der Kindes des Lir

Der Krieg der Bäume

Die Geschichte des irischen Königs Cormac mac Art

Das Krönungsritual der irischen Könige

Druidennamen

Zusammenfassung

13. Cernunnos in den Grimm'schen Märchen

Der gehörnte Gott – von vielen Völkern verehrt

14. Die Hörner von Gallehus

15. Kelten und Germanen

16. Die Mythologie der Indogermanen

Herdentiere

verschiedene Symbole

Der Gott der „Richtigkeit“

Die Schlange, der Drache, die Dürre und das Feuer

Weltenbaum und Weltenberg

Der Göttertrank

Der Seelenvogel

Der Wolf und der Hund

Die Wasserunterwelt

Die Göttin

Der Göttervater

17. Die Epen der Indogermanen

18. Mysterien und Einweihungen

Mithras

Prajapati

Kybele und Attis

Samothrake

Dionysos

Orpheus

Sol Invictus und Liber Pater

Die Mysterien von Eleusis

Zusammenfassung

19. Die indogermanischen Schamanenbünde

20. Das Brauen des Lebenselixiers

21. Der Gundestrup-Kessel aus der Sicht des thrakischen Schmiedes

Der Kessel von Gundestrup

Münzen

22. Der Goldene Wanderer

23. Die Entstehung des Schamanismus

24. Der erste Tempel

25. Panthertänzer im Tempel der Throngöttin

26. Die erste Stadt

27. Vater Hirsch

28. Die Entstehung des Königtums

29. Mythen des Hirsches aus aller Welt

30. Cernunnos und die französischen Könige

31. Der Teufel

32. Wunder und Magie

33. Die fünf Gesichter des Cernunnos

34. Die Rituale des Cernunnos

35. Die Gottheiten des Cernunnos-Schamanen

36. Der Stammbaum des Cernunnos

37. Die Biographie des Cernunnos

38. Die Verse des Cernunnos

Auf der Suche nach Cernunnos

39. Cernunnos und der eigene Vater

40. Die Zukunft des gehörnten Gottes

Teil I:

Cernunnos, der keltische Hirschgott

1. Der unbekannte Gott

Cernunnos ist zugleich einer der beliebtesten und der unbekanntesten keltischen Götter. Sein Bild, auf dem er im Schneidersitz mit Hirschgeweih zu sehen ist, hat ausgereicht, um bei vielen Betrachtern dieses Bildes eine Faszination zu wecken. Cernunnos erscheint wild-archaisch und zugleich doch hoch konzentriert. In diesem scheinbaren Widerspruch liegt offenbar ein Potential, das in vielen Menschen etwas anregt, das meistens mehr oder weniger unausgesprochen bleibt … eine Sehnsucht nach mehr als nach dem, was man in seinem eigenen Leben lebt.

Abgesehen von diesem Bild ist nur sehr wenig über Cernunnos überliefert worden. In den schriftlich erhaltenen Mythen der historischen Kelten findet sich nichts über Cernunnos oder einen Hirschgott. Daher bleibt zum näheren Kennenlernen des Cernunnos vorerst nur eine genauere Betrachtung dieses Bildes.

Cernunnos ist zunächst einmal ein Mann mit einem Hirschgeweih. Seine Haltung und sein Gesicht zeigen eine große Konzentration. Da er aber still dasitzt, muß sich seine Konzentration auf sein Inneres beziehen. Man kann wohl davon ausgehen, daß er gerade meditiert oder etwas dem recht ähnliches tut.

Cernunnos ist mit drei Dingen verbunden, die wohl etwas mit seiner inneren Tätigkeit zu tun haben werden, da sie ihm auf dem Bild bei dieser Tätigkeit beigefügt worden sind. Dies sind das Hirschgeweih, die Schlange und der offene keltische Halsring, der „Torque“ genannt wird.

Das Hirschgeweih macht den Eindruck, als ob es aus dem Kopf des Cernunnos herauswachsen würde. Es ist also fest mit ihm verbunden. Man kann daher vermuten, daß dies Geweih auf eine Qualität des Cernunnos hinweist, die ständig mit ihm verbunden ist.

Dieses auffällige Merkmal wird wahrscheinlich auf die wichtigste Eigenschaft des Cernunnos hinweisen.

Der Torque erscheint zweifach: einmal in seiner rechten Hand und einmal um seinen Hals. Der Torque um seinen Hals macht den Eindruck eines Schmuckstückes, das Cernunnos ständig trägt. Er scheint also ähnlich beständig mit Cernunnos verbunden zu sein wie das Hirschgeweih auf seinem Kopf. Allerdings läßt sich ein solcher Halsring leichter entfernen wie ein festgewachsenes Hirschgeweih.

Cernunnos hält mit seiner rechten Hand den zweiten Torque empor, wie um ihn zu zeigen oder zu betonen – als würde er sagen: „Schaut den Torque – darum geht es hier.“ Dazu paßt auch, daß er den Torque in der rechten Hand hält, also in der Hand, mit der man handelt.

Da er zum einen einen Torque emporhebt und zum anderen einen Torque um seinen Hals trägt, scheint Cernunnos also in seiner Meditation etwas mit der durch den Torque ausgedrückten Qualität zu tun, die er selber aber bereits besitzt, da er einen Torque um seinen Hals trägt. Man kann also vermuten, daß der Torque etwas darstellt, über das Cernunnos schon verfügt und das er nun entweder einem anderen Menschen weiterreicht oder auf dies eine andere Art in Bezug auf jemand oder etwas anderes anwendet.

In seiner linken Hand hält Cernunnos eine Schlange. Die Schlange scheint friedlich zu sein – schließlich hat sie weder ihr Maul aufgerissen noch versucht sie sich um Cernunnos herumzuringeln oder ihn auf eine andere Weise anzugreifen. Cernunnos selber hält seine Augen geschlossen, woraus man schließen kann, daß die Schlange für ihn keine Bedrohung darstellt. Cernunnos und die Schlange sind also keine Feinde und kämpfen nicht miteinander.

Da Cernunnos die Schlange aber in seiner Hand hält, muß sie für ihn und seine innere Tätigkeit von Bedeutung sein. Der Verdacht liegt nahe, daß die Schlange ihn bei seiner Tätigkeit unterstützt.

Wenn man diese Betrachtungen zusammenfaßt, ergibt sich ein erstes vages Bild von dem Charakter des Hirschgottes:

Seine wichtigste Eigenschaft wird durch sein Hirschgeweih symbolisiert;

er ist auf eine innere Tätigkeit konzentriert;

der Torque drückt die Qualität aus, auf die sich Cernunnos konzentriert;

seine Tätigkeit bezieht sich nicht auf sich selber, da er den Torque schon besitzt;

die Schlange ist sein Helfer bei dieser Tätigkeit.

Der Torque ist im weitesten Sinne offenbar das Symbol für einen erstrebenswerten Zustand, den Cernunnos bereits erlangt hat. Der Hirschgott bemüht sich durch seine innere Konzentration vermutlich darum, diese Qualität auch einer anderen Person oder Sache zu vermitteln und wird dabei von der Schlange unterstützt.

Der Vorgang, bei dem Cernunnos abgebildet worden ist, ist also im weitesten Sinne eine Form des Helfens.

Dieses Helfen wird vermutlich auch heute noch intuitiv von den meisten Menschen beim Betrachten dieses Bildes erkannt – was seine Beliebtheit plausibler macht.

Cernunnos scheint also ein Gott zu sein, der in irgendeiner Weise mit dem Hirsch verbunden ist und durch eine Art von Meditation einem anderen Menschen zu der durch den Torque dargestellten Qualität verhilft.

2. Die Bilder des Cernunnos

Glücklicherweise existieren noch zehn weitere Abbildungen des Cernunnos, die man mit dem eben betrachteten Bild vergleichen kann.

A Der Kessel von Gundestrup

Das erste Bild stammt von dem Kessel von Gundestrup in Dänemark. Es wurde ca. 400 v.Chr. hergestellt.

Die Funde auf den zehn folgenden Bildern sind zum größten Teil ca. 400 Jahre jünger und stammen aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert.

B Das Relief von Cirenchester

In Cirenchester fand sich eine Reliefskulptur. Dieser Ort liegt 150km nordöstlich von London und 30km vom Ende des Bristolkanals entfernt. Cirenchester war in der keltisch-römischen Zeit eine florierende Handelsstadt.

Auf dem Relief ist das Geweih des Cernunnos nur noch undeutlich zu erkennen. Er hält zwei statt einer Schlange in seinen Händen, was die Wichtigkeit dieses Helfers des Cernunnos betont.

Über den Köpfen der Schlangen bzw. neben dem Kopf des Hirschgottes befinden sich zwei Kreise, in denen sich jeweils eine fünfblättrige Blüte o.ä. befindet. Man könnte aufgrund ihrer Position auf dem Relief vermuten, daß sie wie der Torque das Ziel, also die angestrebte Qualität symbolisieren.

C Die Münze von Petersfield

In Großbritannien wurde noch ein zweites Bild des Cernunnos gefunden, das auf eine Münze geprägt ist. Sie wurde in Petersfield entdeckt, das südlich von London in der Nähe der Küste bei Portsmouth liegt.

Zusätzlich zu dem Cernunnos Kopf mit Geweih lassen sich auf der Münze drei Dinge erkennen:

Links und rechts sind je drei Kreise mit einem Punkt in der Mitte zu sehen, von denen einige zusätzlich von einem größeren Kreis aus Punkten umgeben sind. Sie könnten Darstellungen von Blüten oder der Sonne sein.

Über dem Kopf des Cernunnos befindet sich eine Leiter, die weiter nach oben führt. Sie könnte das Bestreben des Cernunnos und den Weg, den er dabei (innerlich) geht, symbolisieren.

Die Leiter führt zu einem Kreis, das wie ein Rad mit neun Speichen aussieht, die aber auffällig unregelmäßig angeordnet sind und vielleicht eher Strahlen darstellen sollen. Dieser Kreis wird das Ziel des Cernunnos darstellen.

D Die Säule von Notre Dame

Unter den Fundamenten der Kathedrale Notre Dame in Paris fand man eine Säule mit achtzehn Bildern, die aus der keltisch-römischer Zeit stammt. Eins dieser Bilder zeigt den Gott Cernunnos:

Der hier dargestellte Mann ist anhand seines Hirschgeweihs als Cernunnos zu erkennen. An seinen beiden Geweihstangen trägt er jeweils einen Torque. Dieses etwas ungewöhnliche Arrangement scheint darauf hinzudeuten, daß der Torque zu den Gaben des Cernunnos gehört.

Die „Seefahrersäule“, von der diese Abbildung stammt, wurde von den Händlern von Lutetia, wie Paris damals noch genannt wurde, gestiftet, um Schutz vor allen möglichen Gefahren bei ihren Fahrten auf der Seine sowie Wohlstand zu erhalten.

Die Anordnung der beiden Torques wie bei der Auslage auf einem Marktstand paßt recht gut zu den Stiftern dieser Reliefskulptur, die Händler waren ...

E Das Relief von Nantes

Eine weitere Reliefskulptur wurde in Indre in der Nähe von Nantes gefunden. Auch Indre geht auf eine keltisch-römische Siedlung zurück. Ihr Name stammt von „andrum“, was „Höhle“ bedeutet und sich möglicherweise auf ein Höhlen-Heiligtum bezieht.

Auf dieser Umzeichnung des Reliefs erkennt man wieder den im Schneidersitz sitzenden Cernunnos mit dem Hirschgeweih. Er trägt einen Torque um seinem Hals.

In seinen Händen hält er einen Krug. Ein zweiter Krug steht neben ihm. Links und rechts ist je eine Schlange zu sehen, auf der je ein Jüngling steht. Der eine der beiden hält einen Ring oder Kranz in seiner Hand, während der andere etwas annähernd Quadratisches hält. Mit ihrer freien Hand fassen sie an das Geweih des Cernunnos.

Die Gabe des Cernunnos scheint sich hier in zwei Krügen zu befinden. Die beiden Jünglinge sind möglicherweise symbolisch mit den Schlangen verbunden.

F Die Stele von Paris

In Paris wurde noch ein zweites Relief, das den Gott Cernunnos zeigt, in St. Germain gefunden.

Auf diesem Relief ist Cernunnos nicht die zentrale Gestalt, sondern sitzt rechts neben einer dreiköpfigen Hauptfigur. Links befindet sich eine weitere Gestalt, die auf ihrem Kopf Kuh- oder Stierhörner zu tragen scheint. Der Stiergott scheint in beiden Händen so etwas wie einen Sack zu halten, die neben ihm bis zum Boden herunterhängen. Sie könnten den beiden Krügen auf dem vorigen Relief aus Indre entsprechen und würde dann die Gaben des gehörnten Gottes enthalten.

Die Szenerie ist in einem Haus oder Tempel dargestellt, was es sehr wahrscheinlich macht, daß es sich bei den drei Gestalten um Gottheiten handelt – was in der bisherigen Betrachtung des Cernunnos noch gar nicht nachgewiesen war.

Oben im Giebel des Tempels ist noch ein Kopf mit Kuh- oder Stierhörnern zu sehen. Es könnte sich allerdings auch um eine Mondsichel handeln.

Die drei Gestalten sitzen auf einer Bank und scheinen nackt zu sein. Auf allen anderen Darstellungen ist Cernunnos hingegen bekleidet.

Die Form der Darstellung läßt vermuten, daß das Hirschgeweih des Cernunnos und die Rinderhörner der linken Gestalt entweder gleichwertig oder auf irgendeine Weise symmetrisch zueinander sind.

Der Hirschgott und der Stiergott werden dem dreiköpfigen Gott in der Mitte untergeordnet sein.

Auffällig ist auch die Haltung der Arme der drei Gestalten: Der dreiköpfige Gott hat sie in seinen Schoß gelegt; der Hirschgott hat beide Hände übereinander auf sein linkes Knie gelegt, während der Hörnergott seine Arme ausstreckt und mit seinen Händen die beiden „Säcke“ hält. Der Hörnergott ist auf diesem Relief daher der eigentlich aktive Gott, der den Menschen daher vermutlich auch am nächsten gewesen sein wird.

Alle drei Gottheiten haben die Beine von Hirschen, Stieren oder Ziegen und ihre Füße haben, soweit dies erkennbar ist, gespaltene Hufe wie Hirsch und Ziege.

G Die Stele von Reims

In Reims in Nordostfrankreich in der Nähe der belgischen Grenze wurde ein weiteres Relief gefunden, auf dem Cernunnos zu sehen ist.

Auf diesem Relief ist Cernunnos zwischen Apollo (links) und Hermes-Merkur (rechts) zu sehen. Auf dieser Darstellung trägt Hermes an seinem Helm anscheinend zusätzlich zu den üblichen Flügeln auch Hörner.

Das Geweih des Cernunnos ist deutlich ausgearbeitet – der Hirschgott ist allgemein nur durch sein Geweih erkennbar.

Cernunnos sitzt in seiner „klassischen Haltung“, dem Schneidersitz. Auffällig ist das Podest, auf dem er sitzt – es hebt ihn deutlich von seinen beiden Begleitern ab. Die Szene spielt in einem Tempel, was die drei Gestalten als Götter bestätigt.

Um seinen Hals trägt Cernunnos einen Torque. Er hält jedoch keinen Torque in seiner Hand, sondern einen gut gefüllten Sack, der entweder bis zum Boden herabhängt, oder aus dem etwas wie Wasser oder Früchte herausrinnt.

Vor dem Podest stehen rechts ein Hirsch und links ein Stier, die sich beide dem „Strom der Fülle“, der aus dem Sack des Cernunnos herausrinnt, zuwenden. Stier und Hirsch erscheinen durch diese Darstellung als ebenbürtig und in symbolischer Hinsicht wahrscheinlich identisch.

Hermes hält eine Art „Päckchen“ in seiner linken Hand, die seine Gabe sein könnte, da er dieses Päckchen gewissermaßen präsentiert.

Neben Apollo steht halbverdeckt hinter Cernunnos ein Schild. Apollo lehnt seine linke Hand auf etwas, das verlorengegangen zu sein scheint. Es könnte eine Pflanze mit Zweigen oder auch ein Stierkopf gewesen sein – man sieht noch links und rechts von seiner Hand etwas Langes, Dünnes herausragen.

Oben im Giebel des Tempels sitzt eine Maus oder eine Ratte.

H Der Grabstein aus Irland

Diese Abbildung findet sich auf einem Grabstein in Irland.

Diese Stele ist spätkeltisch, da sie sich auf einem christlichen Grabstein befindet. Cernunnos sitzt in seinem klassischen Haltung mit untergeschlagenen Beinen. Über ihm ist zusammengerollt seine Schlange zu sehen.

Die Darstellung des Cernunnos auf einem Grabstein läßt vermuten, daß Cernunnos in engem Zusammenhang mit dem Tod und der Jenseitsreise stand.

I Das Relief von Perth

Dieses Relief wurde in Meigle in der Nähe von Perth in Westschottland gefunden. Der Stil zeigt, daß es spätkeltisch ist: Die Flechtmuster, die bei den Haaren und Beinen der zentrale Gestalt zu sehen sind, treten bei frühen und mittleren keltischen Funden noch nicht auf.

Solche Flechtmuster findet sich auch auf dem irischen Grabstein auf dem vorigen Bild bei den Beinen des Cernunnos sowie bei der Schlange.

Das Tier links könnte ein Hund oder Wolf sein; das rechte Tier wird eine Raubkatze sein.

Der Mann in der Mitte könnte Cernunnos sein, aber es ist nicht sicher zu erkennen, ob das Flechtwerk links und rechts von seinem Kopf sein Geweih oder einfach Haare sind.

Die Fischbeine würden Cernunnos als einen Gott im Wasser, also vermutlich in einer Wasserunterwelt kennzeichnen.

Wegen der Unsicherheit in Bezug auf das Flechtmuster neben dem Kopf (Geweih oder Haare), könnte es sich auch um eine andere keltische Gottheit handeln wie z.B. den Meeresgott Mannan mac Lir. Allerdings sind bei diesem Meeresgott Darstellungen mit zwei Fischbeinen unüblich.

J Die Statuette von Etang-sur Arroux

In Etang-sur-Arroux in Zentralfrankreich wurde ein Bronzeplastik des Cernunnos gefunden, die sorgfältig mit vielen Details ausgearbeitet ist.

An seinem Hinterkopf befinden sich zwei weitere Gesichter, die zeigen, daß er ein dreiköpfiger Gott ist. Hier ist also Cernunnos selber der dreiköpfige Gott und nicht einer der Begleiter des dreiköpfigen Gottes wie auf dem Relief von St. Germain. Auf dem Kopf des Gottes befinden sich zwei Löcher, in denen einmal das Geweih gesteckt haben wird.

Er ruht in seinem „klassischen Schneidersitz“. Er hat einen ebenso kunstvoll geschnittenen und gelegten Bart wie die Götter auf dem Kessel von Gundestrup.

Um den Hals trägt er einen Torque und in seinem Schoß hat er einen weiteren Torque als seine Gabe liegen. Ums eine Taille winden sich zwei Widderhornschlangen, deren Köpfe in seinen Händen liegen. Diese Widderhörner finden sich auch an dem Kopf der Schlange, die Cernunnos auf dem Kessel von Gundestrup in seiner Hand hält.

Das „Kissen“ auf dem er sitzt, könnte entweder der „Sack der Fülle“ sein, mit dem er auf den Reliefs von Reims und von St. Germain zu sehen ist, oder der Sockel, der auch auf dem Relief von Reims abgebildet ist.

K Der Torso von Condat-sur Tricou

Diese dreiköpfige Büste des Cernunnos wurde in Condat-sur-Tricou in der Dordogne in Südwestfrankreich gefunden. Sie stammt von ca. 150 n.Chr.

Dieser „Dreierkopf“ ist durch seine drei Gesichter, den Torque um den Hals und die beiden Löcher auf dem Kopf, in dem ursprünglich die beiden Geweihstangen gesteckt haben werden, als Cernunnos erkennbar. Diese Geweihstangen werden entweder die echten eines Hirsches oder aus Metall gefertigte Nachbildungen gewesen sein.

L Zusammenfassung der elf Bilder

Diese elf Bilder unterscheiden sich in einer ganzen Reihe von Details. Insbesondere unterschiedliche Dinge, die an derselben Stelle der Bildkomposition stehen, sind interessant, da sie entweder von den Bildhauern als gleichwertig empfunden worden sind oder eine Bedeutungsverschiebung dieses Aspektes der Mythe des Cernunnos im Laufe der Entwicklung kennzeichnen. Eine solche Weiterentwicklung in der Auffassung des Hirschgottes kann man vor allem zwischen dem Bild auf dem Kessel von Gundestrup und den anderen zehn Bildern erwarten, da das Gundestrup-Bild gut 400 Jahre älter ist.

a) Das Hirschgeweih

Das einzige auf allen Darstellungen vorhandene Element ist das Hirschgeweih des Cernunnos, durch das dieser Gott von anderen Göttern unterscheidbar ist.

b) Hirsch und Stier

Der Hirsch und der Stier tauchen auf zwei der Reliefs in gleichberechtigter oder zumindest symmetrischer Position auf: Auf dem Relief von St. Germain ist rechts von dem dreiköpfigen Gott der Hirschgott Cernunnos und links ein Stiergott zu sehen, während sich auf dem Relief von Reims ein Hirsch und ein Stier gegenüberstehen.

Man darf daher zumindest den begründeten Anfangsverdacht hegen, daß der Hirsch und der Stier in ihrer Symbolik übereinstimmen.

c) Hund/Wolf und Raubkatze

Der Hund/Wolf und die Raubkatze tauchen nur auf dem irischen Grabstein auf. Sie finden sich allerdings auch auf dem Kessel von Gundestrup, vom dem Bild 1 ein Ausschnitt ist.

d) Die beiden Begleiter

Sechs der Darstellungen zeigen Cernunnos alleine, zwei zeigen ihn mit zwei Begleitern, eine zeigt ihn als einen der beiden Begleiter einer dreiköpfigen Gottheit und zwei zeigen ihn selber als dreiköpfige Gottheit. Die Dreiergruppe scheint demnach ein geläufiges Motiv gewesen zu sein. Wenn man die beiden Schlangen auf dem Relief von Cirenchester noch hinzunimmt, sind es immerhin sechs Dreiergruppen.

Condat-sur-Tricou

dreifacher Gott

drei Götter

mehrere

mehrere

Nantes

zwei Begleiter

zwei

Götter

Paris

zwei Begleiter

Begleiter

Reims

zwei Begleiter

Etang-sur-Arroux

dreifacher Gott, zwei Schlangen

zwei

Götter

Cirenchester

Gott, zwei Schlangen

Schlangen

und Schlangen

Irland

Gott, Schlange

eine

Gundestrup

Gott, Schlange

Schlange

Meigle

Gott

allein

allein

Petersfield

Gott

Notre Dame

Gott

Auf den drei Gruppen, bei denen Cernunnos im Zentrum sitzt, finden sich außen einmal zwei Schlangen, einmal zwei Jünglinge, die auf je einer Schlange stehen, und einmal Apollo und Hermes. Daraus läßt sich eine erste Entwicklung ablesen:

Es hat also den Anschein, als ob die Schlange als Helfer des Cernunnos zunächst einmal verdoppelt worden wäre, dann in einem nächsten Schritt zu Jünglingen umgedeutet wurde, bis die Römer diese beiden Jünglinge schließlich als Apollo und als Hermes-Merkur aufgefaßt haben. Das ursprüngliche Motiv mit einer einzelnen Schlange scheint sich aber immer erhalten zuhaben, da es auch noch in der spätkeltischen Zeit auf einem Grabstein auftaucht.

Hermes-Merkur ist der Götterbote und der Jenseitsführer der Griechen und Römer und würde auf einen Zusammenhang zwischen Cernunnos und der Jenseitsreise hinweisen.

Apollo ist der Gott der Ordnung, der Schönheit, der Harmonie und er ist ein Sonnengott. Apollo ist auch einer der Götter, die eine Schlange töten. Er ist aber nicht einfach ein Schlangenfeind, denn er hat auch das Orakel von Delphi gegründet, in dessen Tempel sich eine Erdspalte befindet, in die Apollo die Riesenschlange Phyton verbannt hat. Über dieser Erdspalte sitzt die nach dieser Schlange „Phytia“ genannte Seherin und spricht mit den Göttern und kann so den Menschen ihr Schicksal verkünden.

Die Gemeinsamkeit von Hermes und Apollo ist somit die Verbindung zum Jenseits. Man kann also vermuten, daß die Schlange dem Cernunnos hilft, eine Verbindung zum Jenseits herzustellen. Dies würde auch gut zu der meditativen Konzentration des Cernunnos passen.

e) Torque, Blüte, Rad, Krug und Sack

Von dem Gegenstand, der auf den Cernunnos-Reliefs das Ziel oder die angestrebte Qualität darstellt, gibt es verschiedene Varianten. In der Tabelle sind die Torques, die Cernunnos um den Hals, aber nicht in seiner Hand hält, in Klammern (x) gesetzt, da sie eher eine seiner Eigenschaften als das Ziel kennzeichnen.

Fundort

Torque

Blüte

Rad

Krug

Sack

Gundestrup

x (x)

Etang-sur-Arroux

x (x)

Condat-sur-Tricou

(x)

Cirenchester

x

Petersfield

x

Notre Dame

x

Indre

(x)

x

St. Germain

x

Reims

(x)

x

Irland

Meigle

Diese Symbole für das Ziel des Cernunnos lassen sich in zwei Gruppen einteilen: zum einen Torque, Blüte und Rad, die nicht das Ziel selber, sondern Symbole für eine Qualität sind, und zum anderen Krug und Sack, die man wohl als die Gefäße für die Gaben des Cernunnos ansehen darf, wobei Krug und Sack darauf schließen lassen, daß diese Gaben wohl materieller Natur gewesen sein werden wie z.B. reiche Ernten o.ä.

Man kann daher vermuten, daß es entweder eine Umdeutung der von Cernunnos angestrebten Qualität von einer inneren zu einer äußeren Qualität gegeben hat oder daß der „Zuständigkeitsbereich“ des Hirschgottes von inneren auf äußere Werte ausgedehnt wurde.

Der ursprüngliche Bereich des Cernunnos war vermutlich das Jenseits und der neuere Bereich auch die Landwirtschaft oder zumindest der materielle Wohlstand. Eine solche Ausdehnung der Zuständigkeit ist in den verschiedensten Religionen sehr häufig anzutreffen. Dies liegt vor allem daran, daß das Getreide und die Menschen als Analogie aufgefaßt wurden:

Mensch

Getreide

Zeugung

Aussaat

Geburt

Keimen

Leben

Wachstum

Tod

Ernte

Aufenthalt im Jenseits

Lagern

Wiedergeburt

Aussaat und Keimen

Dieses Gleichnis liegt den Getreidegöttern in fast allen Religionen zugrunde. Eine Erinnerung an dieses Gleichnis findet sich in Mitteleuropa z.B. in dem Motiv des Schnitters, also des Todes als Skelett (Toter) mit einer Sense (Ernte).

Man kann vermuten, daß der Torque, die Blüte und das Rad letztlich Varianten desselben Symboles sind, die das „Runde“ und Vollkommene darstellen.

f) Die Gestalt im Giebel

Auf dem Relief von St. Germain findet sich im Giebel das Gesicht eines Mannes, der auf seinem Kopf Rinderhörner oder eine Mondsichel trägt. Er scheint hinter dem Giebel wie hinter einem Fenster zu hocken und dabei seine Hände auf das „Fenstersims“ zu legen.

Auf dem Giebel des Reliefs von Reims findet sich hingegen eine Maus oder eine Ratte.

Man sollte davon ausgehen können, daß oben auf dem Giebel das zu sehen ist, was die gesamte Szene „krönt“, d.h. das Ziel, um das es bei der gesamten Szene geht. Den gehörnten Mann könnte man zunächst einmal als eine Wiederholung des Cernunnos ansehen. Die Maus bzw. Ratte ist für die Menschen damals vor allem ein Räuber gewesen, der sich in die Vorratskammern schlich. Der Nager könnte somit ein Hinweis auf gut gefüllte Vorratsspeicher sein.

g) Die Leiter

Die Leiter auf dem Kopf des Cernunnos auf der Münze von Petersfield ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß man, um zu dem Ziel zu gelangen, in die Höhe hinaufsteigen muß. Das ursprüngliche Ziel befindet sich daher möglicherweise im Himmel. Dies würde dazu passen, daß Cernunnos anscheinend mit der Jenseitsreise zu tun hatte.

h) Der dreiköpfige Gott

Der dreiköpfige Gott auf dem Relief von St. Germain zeigt, daß Cernunnos nicht als die oberste Gottheit aufgefaßt wurde, sondern als Begleiter, Helfer oder Aspekt dieses dreiköpfigen Gottes. Die beiden Reliefs von Etang-sur-Arroux und von Condat-sur-Tricou zeigt hingegen Cernunnos als den dreiköpfigen Gott selber. Er war also vermutlich einer der drei Aspekte einer Dreiheit, die auch selber als Cernunnos aufgefaßt werden konnte.

i) Die Sitzhaltung

Der Schneidersitz oder manchmal halbe Lotussitz des Cernunnos könnte einfach die damals übliche Sitzhaltung gewesen sein, wenn man auf der Erde saß, aber es wäre auch denkbar, daß sie die bevorzugte Sitzhaltung bei der Jenseitsreise bzw. Meditation gewesen ist.

Es gibt eine Reihe von Darstellungen von Kelten, die auf diese weise sitzen, bei denen sich allerdings auch nicht entscheiden läßt, ob sie einfach dasitzen oder ob sie „nach innen gegangen“ sind.

Roquepertuse, Frankreich

Entremont, Frankreich

irisch

M Ergebnis des Vergleichs der elf Cernunnos-Bilder

Der Hirschgott scheint ursprünglich mit dem Jenseits verbunden gewesen zu sein. Zu dieser Zeit wurde das, was er durch seine Meditation im Innen anstrebte, durch den Torque, die Blüte und das Rad symbolisiert. Dieses Gute wurde offenbar oben gesucht, da eine Leiter dorthin führt – das Jenseits scheint sich also im Himmel befunden zu haben.

Später wurde Cernunnos auch als Gott des Getreides und der Fülle angesehen. In dieser Funktion sind der Krug und der Sack sein Symbol.

Aus der Schlange als hilfreichem Begleiter wurden zunächst zwei Schlangen, die sich dann in Jünglinge und schließlich unter römischen Einfluß in Apollo und Hermes verwandelten.

Cernunnos ist Teil einer Götter-Dreiheit oder er hat selber drei Aspekte, aufgrund derer als dreigesichtig dargestellt wurde.

3. Die Bilder des Kessels von Gundestrup

Das bekannte Bild des Cernunnos ist Teil einer Gruppe von 14 Bildern, die zusammen den Kessel von Gundestrup bilden. Es ist anzunehmen, daß sich alle 14 Bilder auf die Funktion des Kessels beziehen. Die Betrachtung dieser Bilder sollte es daher ermöglichen, die Funktion des Cernunnos innerhalb einer umfassenderer Vorstellungswelt zu erkennen.

Der Kessel bestand aus acht in etwa quadratischen Außenplatten, fünf rechteckigen Innenplatten sowie einer zentralen, runden Bodenplatte. Eine der Außenplatten ist verlorengegangen; die übrigen sind erhalten geblieben.

Das folgende Mandala gibt einen Überblick über diese Bildplatten. Leider läßt sich die genaue Anordnung der Bildplatten nicht mehr feststellen. Die Anordnung in der folgenden Graphik ist daher zwar ein wenig willkürlich, aber sie vermittelt trotzdem zumindest einen zutreffenden Gesamteindruck der Bilderwelt des Kessels.

Diese 13 Bilder sind keine fortlaufende Bildergeschichte, sondern eher ein dreigeteiltes Arrangement von „optischen Eindrücken“:

In der Mitte findet sich das zentrale Thema des Kessels,

auf den fünf inneren Bildplatten finden sich Vorgänge dargestellt

und auf den ursprünglich acht äußeren Bildplatten finden sich einzelne Gottheiten dargestellt.

Somit bildet die Mitte das Hauptthema, der äußere Kreis zeigt die acht Gottheiten, die den schützenden und fördernden Rahmen für das Geschehen bilden, während die fünf inneren Bildplatten die Dynamik des gesamten Vorganges darstellen.

Da diese Bilder keine fortlaufende Geschichte (wie in einem Comic) sind, ist es sinnvoll, sie zunächst einmal einzeln zu betrachten, bevor man sie in eine sinnvolle Reihenfolge bringt, die einen Gesamtablauf von Ereignissen darstellt.

A Die einzelnen Bilder

a) Mittelplatte

Das zentrale Motiv ist der tote Stier, neben dem oben ein toter Mann liegt. Ursprünglich hatte der Stier auch Hörner, die in die Öffnungen auf seinem Kopf eingesetzt wurden. Dies ist die einzige dreidimensionale Ausarbeitung an dem gesamten Kessel, was noch einmal die Wichtigkeit des Stieres betont. Auf dieselbe Weise wurden auch die Hirschgeweihstangen in die Löcher des Kopfes des Cernunnos bei den Statuen von Condat-sur-Tricou und Etang-sur-Arroux gesteckt.

Unten rechts unten den Hinterläufen des Stieres liegt noch ein toter Hund, der aber nicht in das Silber getrieben, sondern nur eingraviert ist. Vermutlich ist dieser Hund erst nachträglich hinzugefügt worden.

Oben links sieht man einen lebendigen Hund und unten eine Raubkatze. Zwischen diesen fünf Gestalten befinden sich Ranken mit Blättern.

Man kann daher davon ausgehen, daß das Thema des Kessels mit Leben und Tod zu tun hatte und daß bei der Verwendung des Kessels ein toter Stier eine wesentliche Rolle spielte. Dieser Stier könnte durchaus derselbe sein, der auch auf den Reliefs von Reims und von St. Germain zusammen mit Cernunnos zu sehen ist. Wenn Hirsch und Stier eine gemeinsame Symbolik haben sollten, dann wären die Vorgänge im Zusammenhang mit dem auf dem Kesselboden dargestellten Stier auch von großer Bedeutung für Cernunnos.

b) Erste Außenplatte: „Gott mit drei Männern“

Der Mann, dessen Größe ihn wohl als einen Gott kennzeichnen soll, trägt wie Cernunnos einen Torque. Links von ihm steht ein lebendiger Mann; rechts von ihm liegt ein toter Mann in ähnlicher Haltung wie auf der Mittelplatte. Unter dem toten Mann reitet ein weiterer Mann auf einem Pferd.

Auch diese Szenerie stellt den Übergang zwischen Leben und Tod dar. Der Gott ist statisch dargestellt und stellt somit nicht die Dynamik der Szene, sondern eher das Ziel des Prozesses dar, auf den dieses Bild hinweist. Die einzig aktive Person auf diesem Bild ist der Reiter. Man kann daher vermuten, daß es einen Zusammenhang zwischen ihm und Cernunnos gibt – beide sind aktiv mit dem Übergang zwischen Diesseits und Jenseits beschäftigt.

c) Zweite Außenplatte: “ Gott mit zwei Hippokampen”

Auch dieser Mann hat seine Arme erhoben, trägt einen Torque um seinen Hals und hat einen Bart, der allerdings anders als bei dem vorigen Mann geschnitten ist.

Die Hippokampe in seinen Händen haben den Vorderleib eines Pferdes, den Hinterleib einer Schlange und dazu je zwei Flügel. Der Hippokamp hat im Mittelmeerraum auch oft einen Fischschwanz.

Unter dem Gott befindet sich ein “Doppelwolf”, der links und rechts je einen Mann niederwirft. Die Wölfe deuten wohl wieder auf den Tod hin. Falls die Hippokampe Entsprechungen zu dem Pferd des Reiters auf dem vorigen Bild sein sollten, würde dies auf einen Weg in die Erde (Schlangen leben auf der Erde) oder in das Wasser (Fischschwanz) hinweisen.

d) Dritte Außenplatte: “Gott mit zwei Hirschen”

Dieser Gott trägt wieder einen deutlich anderen Bart als die beiden vorigen Götter. Sein Torque ist vermutlich unter diesem vollen Bart verborgen.

In seinen Händen hält er zwei Hirsche, die tot zu sein scheinen. Man kann vermuten, daß es sich hier um eine Parallele zu dem toten Stier auf der Mittelplatte handelt, was wiederum die symbolische Gleichwertigkeit von Hirsch und Stier bestätigen würde.

Die paarweise Darstellung der Hirsche erinnert an die paarweise Darstellung der Schlangen links und rechts von Cernunnos auf dem Relief von Cirenchester.

Um die Hirsche herum finden sich wieder einige Ranken mit Blättern.

e) Vierte Außenplatte: “Gott mit zwei Männern”

Alle vier Götter unterscheiden sich deutlich durch ihre Frisur und ihre Barttracht. Der Torque fehlt bei diesem Mann, aber vielleicht hat der Schmied, der diese Platte hergestellt hat, den Torque als selbstverständlich vorausgesetzt und wollte ihn nicht mit dem beiden „Bartzöpfen“ kombinieren, was technisch recht schwierig geworden wäre. Alle vier Götter heben ihre arme empor, was ein Hinweis auf den Himmel als Ziel oder ihren Aufenthaltsort sein könnte.

Der Mann hält zwei sehr lebendig wirkende Männer an ihren Armen, die wiederum mit ihrer freien Hand je einen Eber emporhalten. Über der rechten Schulter des Gottes befindet sich ein Wolf und über seiner linken Schulter ein Flügelpferd. Vermutlich sind Pferd, Flügelpferd und Hippokamp gleichwertige Bilder für das Reittier, das den Reiter auf der ersten Außenplatte auf seinem Weg zwischen Diesseits und Jenseits trägt.

Die beiden Eber oder Keiler, die von den beiden Männern hochgehalten werden, sind offenbar etwas, was diese beiden Männer sehr hoch achten und schätzen.

f) Fünfte Außenplatte: “Göttin mit zwei Männern”

Die Göttin trägt ein spezielles Haarband, über das zwei lange Haarsträhnen bis auf ihre Schultern herabfallen. Das Haar auf ihrem Kopf ist vollkommen glatt. Sie hält ihre Arme und Hände im Gegensatz zu den vier bereits beschriebenen Göttern in einer möglicherweise bewahrenden oder einladenden Geste vor ihrer Brust. Um den Hals trägt sie wie die Götter einen Torque.

Über ihren Schultern sind ein bärtiger Mann und ein bartloser Mann oder eine Frau abgebildet. Beide haben ihre Arme erhoben wie die vier Götter. Vermutlich tragen beide einen Torque, wobei er dann bei dem Mann unter seinem Bart verborgen wäre. Beide kleine Gestalten haben ihre Augen geschlossen. Da auch sie wie die Götter ihre Arme erhoben haben, könnten die geschlossenen Augen sie als die Ahnen im Jenseits kennzeichnen, die dem Jenseitsreisenden durch ihre Meditation unterstützen, aber „kleiner“ als die Götter sind.

Der obere Rand der Bildplatte hat einen “gezackten” Rand. Eine Betonung der Oberkante ist zunächst einmal am wahrscheinlichsten ein Hinweis auf den Himmel und somit vermutlich auch auf das Himmelsjenseits. Dies würde gut zu den erhobenen Armen der Götter passen, die auch ein Hinweis auf den Himmel sein könnten. Wenn dies zutrifft, müßte die Göttin besonders eng mit dem Himmel verbunden sein.

Dies würde auch zu der Leiter auf dem Kopf des Cernunnos auf der in Petersfield gefundenen Münze passen.

Die Zacken könnten Wasserwellen darstellen und somit den Himmel als ein Meer bezeichnen, was in den Mythen vieler Völker ein geläufiges Bild ist. Dies Motiv würde auch zu den Hippokampen passen, deren Flügel ihnen ermöglicht, zum Himmel emporzufliegen und deren Schlangen- bzw. Fischschwanz ihnen ermöglicht, sich auch in den Himmelswassern zu bewegen.

Um die Gestalten herum finden sich Ranken mit Blättern.

Diese Göttin könnte eine Muttergöttin oder Göttermutter sein. Zumindest scheint sie eng mit dem Jenseits in den Himmelswassern verbunden zu sein und eine schützende Funktion zu haben.

g) Sechste Außenplatte: “Göttin des Lebens und des Todes”

Die Göttin hat dieselbe Frisur und dasselbe Haarband wie auf der vorigen Bildplatte und trägt auch hier wieder einen Torque. Der obere Bildrand ist ebenfalls “gezackt” und sie ist wieder von Ranken mit Blättern umgeben. Dies läßt vermuten, daß es sich um dieselbe Göttin wie auf der vorigen Bildplatte handelt. Sie hat ihre Arme wie der ägyptische Totengott Osiris vor ihrer Brust gekreuzt. Bei Osiris ist diese Armhaltung dadurch entstanden, daß man auch den Toten bei der Bestattung die Arme über der Brust kreuzte. Möglicherweise liegt auch der Armhaltung der Göttin auf dieser Bildplatte derselbe weitverbreitete Brauch zugrunde.

Über der rechten Schulter der Göttin wird ein Mann von einer Raubkatze getötet und über ihrer linken Schulter liegt ein Mann tot am Boden.

Allgemein kann man Bilder „von links nach rechts lesen“, da links die Vergangenheit und die Ursache liegen und rechts die Zukunft und die Wirkung. Die Ursache für diese „Zeitrichtung“ ist, daß die Menschen auf der Nordhalbkugel seit einigen Hunderttausend Jahren jeden Tag Sonne und Mond von links nach rechts über den Himmel wandern sehen. Dieser Zusammenhang zwischen links/Vergangenheit und rechts/Zukunft ist auch aus der Psychologie bekannt.

Daher sollte man die linke Szene als die Ursache für die rechte Szene ansehen können, also den Angriff der Raubkatze als Ursache für den Tod des Mannes. Auch auf der Bildplatte „Gott mit drei Männern“ findet sich links ein lebender und rechts ein toter Mann sowie der Reiter. Bei diesen beiden Bildplatten und möglicherweise auch bei dem gesamten Kessel sollte es also im weitesten Sinne um das Sterben gehen.

Die Vermutung liegt nahe, die beiden bisher betrachteten Göttinnen-Bildplatten als die Darstellung der Göttin in Diesseits und Jenseits aufzufassen: Auf der vorigen Darstellung erscheint sie als “Göttin der Geburt” und auf dieser Darstellung als “Göttin des Todes”. Dabei bleibt natürlich zunächst die Frage offen, ob sie eine Göttin ist, die den Tod verursacht, oder ob sie eine Göttin ist, die den Toten im Jenseits hilft.

h) Siebte Außenplatte: “Göttin mit Vögeln”

Die Göttin trägt wieder einen Torque und ein Haarband sowie die beiden langen Haarsträhnen – die gezackte Linie fehlt jedoch oder ist unter dem silbernen Kesselrand verborgen. Das Haarband weist auf dieser Darstellung ein anderes Muster auf.

Der linke Arm liegt vor ihrer Brust und ihr rechter Arm ist erhoben. Man könnte diese Haltung so deuten, daß hier die Göttin des Todes, die auf der vorigen Bildplatte dargestellt war, ihren rechten Arm erhoben hat, auf dessen Hand sie nun einen Vogel hält. In ihrem linken Arm hält sie einen toten Mann. Mann kann vermuten, daß der Tote und der Vogel zusammengehören. Auch der tote Hund unter ihrem rechten Arm wird zu dieser Szenerie gehören.

Der Vogel scheint auf dieser Bildplatte die wesentliche Qualität darstellen, da er oben links und rechts neben der Göttin abgebildet ist, und sie ihn zudem auf ihrer Hand emporhält. Der Verdacht liegt nahe, daß der solcherart hervorgehobene Vogel auch mit dem Torque, der Blüte und dem Rad des Cernunnos zusammenhängt.

Man kann davon ausgehen, daß es sich bei dem Mann, der auf der vorigen Bildplatte von einer Raubkatze getötet wurde, dem toten Mann im Arm der Göttin und bei dem toten Mann auf der zentralen Bildplatte neben dem Stier um ein- und denselben Mann handelt. Vermutlich steht der Tod dieses Mannes im Zentrum der Aufmerksamkeit des Vorganges, bei dem dieser Kessel benutzt wurde.

Der Vogel findet sich weltweit als Symbol der Seele: als Vogel, als Mensch mit Flügeln (Engel), als Vogel mit Menschenkopf, als Mensch in einem Federkleid usw. Die Erklärung dafür ist recht einfach: Die Menschen, die klinisch tot waren und dann aber doch wieder zum Leben erweckt wurden, berichten übereinstimmend, daß sie erlebt haben, wie sie über ihrem eigenen Körper geschwebt haben und alles von oben her sehen und hören konnten.

Solche Nahtod-Erlebnisse werden in der Steinzeit deutlich häufiger als heute gewesen sein, da das Leben damals recht gefährlich war. Was sagte nun ein Neandertaler zu seinem Bruder, wenn er ihm von diesem Erlebnis erzählen wollte?: „Ich war wie ein Vogel.“

Daher wird der Vogel in der rechten Hand der Göttin der Seelenvogel des toten Mannes auf ihrem linken Arm sein. Die beiden Vögel am oberen Bildrand charakterisieren sie daher als eine Göttin im Jenseits. Sie hat in Bezug auf die Ankunft des Seelenvogels des Toten im Jenseits offenbar eine zentrale Funktion.

Der Reiter, die meditierende Priesterin und auch der voller Konzentration nach innen gewandte Cernunnos scheinen dabei eher eine Helfer- und Vermittlerfunktion zu haben.

Somit würden sich aus den drei Bildplatten, auf denen die Göttin abgebildet ist, drei Aspekte der Göttin ergeben, die wohl zugleich auch mit der Dynamik der Funktion dieses Kessels für ihre früheren Benutzer zu tun haben: Leben, Tod und Ankunft im Jenseits.

Die sitzende Frau auf der rechten Schulter der Göttin trägt einen Torque um ihren Hals, weshalb sie entweder ebenfalls eine Göttin oder eine „Frau mit göttlicher Qualität“ sein sollte. Über ihr befindet sich eine Raubkatze – vermutlich dieselbe, die auf der vorigen Bildplatte den Mann getötet hat. Auch diese Frau bzw. Göttin trägt ein Haarband und die beiden langen Haarsträhnen. Sie hält die linke Hand vor ihren Bauch, während ihr rechter Arm herabhängt. Sie hat ihre Augen geschlossen und scheint nach innen gekehrt zu sein und wie Cernunnos zu meditieren.

Über der linken Schulter der Göttin befindet sich eine Frau mit denselben langen Haarsträhnen, die der Göttin möglicherweise mit ihren Fingern das Haar kämmt. Sie scheint keinen Torque zu tragen, aber dies ist nicht sicher, da es sich hier um eine Profildarstellung handelt und die Künstler den Torque dabei möglicherweise fortgelassen haben, weil er aus dieser Perspektive deutlich schwieriger darzustellen gewesen wäre.

Wenn diese beiden Frauen dieselbe Frau bei verschiedenen Tätigkeiten sein sollten, wovon man aufgrund ihres Aussehens und ihres gemeinsamen Auftretens neben der Göttin wohl ausgehen kann, sollten sie eher Frauen als Göttinnen sein, da sonst die Geste des Kämmens recht merkwürdig wäre. Man kann daher vermuten, daß es sich bei den Frauen um meditationskundige Priesterinnen, also Seherinnen handelt, da dies das In-sich-gekehrt-sein der linken Frau und das Dienen der rechten Frau zusammenfassen würde.

Auf diesem Bild finden sich weder der gezackte obere Rand noch die Ranken mit den Blättern. Möglicherweise ist aber auch hier der gezackte Rand unter dem silbernen Kesselrand verborgen.

i) Achte Außenplatte: nicht erhalten

Bei vier Platten mit Göttern und drei Platten mit Göttinnen liegt es nahe zu vermuten, daß die achte Außenplatte eine Göttin abgebildet haben wird – aber das läßt sich leider nicht mehr feststellen. Da sich bei der Göttin die Folge “Leben – Tod – Ankunft im Jenseits” fand, könnte auf dieser vierten Platten möglicherweise die Göttin in Zusammenhang mit dem speziellen Zweck dieses Kessel abgebildet gewesen sein.

j) Erste Innenplatte: “Cernunnos”

Die zentrale Gestalt auf dieser Bildplatte ist der keltische Hirschgott Cernunnos. Er trägt um seinen Hals einen Torque und hält in seiner rechten Hand einen weiteren Halsring. Mit seiner linken Hand hält er eine Schlange an ihrem Nacken. Zu ihm hin blicken ein Hirsch, eine Gazelle o.ä. sowie ein Wolf/Hund.

Über dem Wolf/Hund ist eine Raubkatze abgebildet. Rechts unten sind zwei Raubkatzen zu sehen, die miteinander zu kämpfen scheinen. Rechts oben befindet sich eine zweite Gazelle und links neben ihr ein Delphin, auf dem ein nackter Mann reitet. Zwischen den Figuren befinden sich Ranken mit Blättern.

Hirsch, Wolf/Hund und Gazelle scheinen Cernunnos bei seiner Meditation zuzusehen, was vermuten läßt, daß sie sozusagen zu den “Rahmenbedingungen” seiner inneren Jenseitsreise zählen.

Der Wolf/Hund wird vermutlich derselbe sein wie auf der Mittelplatte und auf der zweiten, vierten und siebten Außenplatte. Während der Wolf/Hund auf der Mittelplatte, auf der vierten und siebten Außenplatte sowie auf der Cernunnos-Bildplatte wie ein hilfreicher Begleiter wirkt, scheint er auf der zweiten Außenplatte eher den Tod herbeizuführen. Dies könnte mit der allgemeinen Tendenz zusammenhängen, alles, was mit dem Tod zusammenhängt, nach und nach ebenfalls zu fürchten und schließlich zu einer Ursache für den Tod umzudeuten. So könnte aus dem Hund als dem Begleiter des Menschen der „Höllenhund“ als Bedrohung des Toten auf seiner Reise ins Jenseits geworden sein.

Der Mann auf dem Delphin könnte dem Reiter auf dem Pferd entsprechen, da auf einer Reise in ein Wasserjenseits ein Delphin geeigneter als ein Pferd zu sein scheint – auch wenn das Pferd sich schon halb in einen Fisch verwandelt hat wie bei den Hippokampen.

Die Raubkatze ist auf einer der Göttinnen-Platten das Tier, das den Tod brachte, und auch auf der Mittelplatte befindet sich eine Raubkatze neben dem toten Stier. Die Raubkatze wird daher den Tod selber repräsentieren.

Die beiden Gazellen könnten die Verwandten des Hirsches in den südlicheren Ländern gewesen sein, die die Kelten damals gut kannten.

Diese Bildtafel scheint also den Gott Cernunnos darzustellen, wie er in Meditation einen Toten ins Jenseits begleitet. Entweder sitzt Cernunnos in seiner inneren Vision selber auf dem Delphin oder der Delphinreiter ist der tote Mann, der von Cernunnos begleitet wird.

k) Zweite Innenplatte: “Göttin mit Elefanten”

Hier findet sich die Göttin mit der Arm- und Handhaltung wie auf der ersten der Göttinnen-Außenplatten wieder, die die Göttin als Spenderin des Lebens darstellte. Auch die Haartracht und das Stirnband stimmen mit ihr überein. Sie trägt auch hier wieder einen Torque. Auch auf dieser Bildplatte finden sich Ranken mit Blättern.

Rechts und links neben ihr steht je ein Elefant. Unter ihr befindet sich eine Raubkatze und rechts und links je ein Greif. Der Greif ist eine Parallelbildung zu dem Flügelpferd: Die Flügel und der Kopf des Seelenvogels an dem Körper der Raubkatze zeigen, daß sie in Zusammenhang mit dem Seelenvogel steht. Verbindungen mit dem Seelenvogel sind in der Mythologie sehr häufig:

Die beiden Kreise mit den sechs geometrischen Blättern sehen wie Blüten oder Räder aus. Sie erinnern an das Rad über dem Kopf des Cernunnos auf der Münze. Die von Cernunnos angestrebte Qualität befindet sich offenbar bei der Göttin.

l) Dritte Innenplatte: “Zeremonie”

Dies ist die komplexeste Abbildung auf dem Kessel von Gundestrup. Sie teilt sich in zwei Teile: links der große Mann, der einen kleinen Mann in ein „Faß“ steckt, und rechts insgesamt vierzehn Männer, die mit dieser Handlung in Zusammenhang stehen.

Vor dem großen Mann ist ein Wolf/Hund zu sehen, der vermutlich wieder auf den Weg ins Jenseits hinweist.

In der Mitte unten tragen sechs Männer mit den typischen keltischen Schilden auf ihren Speeren einen Baum mit Blättern, dessen Wurzeln fast den Kessel berühren. In den meisten Mythen führt der Weg in das Himmelsjenseits einen riesigen Baum in der Mitte der Welt hinauf. Diese Verbindung der beiden Welten kann auch ein Berg, eine Pyramide, eine Säule, ein Obelisk, ein Seil, ein Hirsestampfer, der Rauch des Opferfeuers und vieles andere sein, aber alle diese Dinge haben eins gemeinsam: Sie sind senkrecht.

Da der Weltenbaum Diesseits und Jenseits verbindet, kann man vermuten, daß sich der Startpunkt für die Reise ins Jenseits eben in diesem „Faß“ befindet und daß der kleine Mann, der in diesen Kessel gesteckt wird, gerade diese Reise antritt. Der große Mann ist demnach der “Zeremonienmeister”.

Der Baum wirkt von seiner Darstellungsweise her sehr wie der Ursprung der Ranken, die sich auf einigen, aber nicht allen der anderen Bildplatten befinden.

Rechts auf der Bildplatte befinden sich drei Männer, die je eine Carnyx blasen. Die Tierköpfe, in denen diese Instrumente enden, scheinen hier die Köpfe von Pferden zu sein – in anderen Darstellungen finden sich auch die Köpfe von Schlangen oder Drachen. Vermutlich wird mit diesen Instrumenten die mythologische Qualität des entsprechenden Tieres herbeigerufen worden sein – hier also die Fähigkeit des Pferdes, seinen Reiter ins Jenseits und zurück zu tragen.

Die Schlange über den drei Carnyx-Bläsern wird dieselbe sein, die auch Cernunnos bei seiner Meditation hilft.

Schließlich befinden sich über dem Baum vier Reiter, die von der Kesselszene fortreiten. Man kann vermuten, daß sich das Blasen der Carnyxe mit ihren Pferdeköpfen auf diese vier Reiter bezieht. Die Reiter haben Zeichen auf ihren Helmen: ein Eber, ein Vogel, Hörner und ein Bogen, der an den “Doppelwolf” auf einer der vier Götter-Außenplatten erinnert. Bis auf den Vogel sind sie auch von archäologischen Funden als Stammeszeichen bekannt. Auch der Krieger zwischen den sechs Baumträgern und den drei Carnyx-Bläsern trägt einen Eber auf seinem Helm.

Möglicherweise handelt es sich bei den vier Reitern um eine Prozession, die symbolisch die Jenseitsreise darstellt – sie steht auch auf der Platte parallel zu dem liegenden Baum. Die Verbindungslinie zwischen dem ersten und zweiten sowie zwischen dem dritten und vierten Reiter ist auffällig – als ob der vordere jeweils den hinteren ziehen würde: der “Vogel-Reiter” den “Eber-Reiter” und der Hörner-Reiter” den “Bogen-Reiter”.

Insgesamt scheinen die Reiter der Schlange zu folgen. Man kann daher vermuten, daß diese Schlange den Weg ins Jenseits kennt, den Cernunnos in seiner Meditation und die vier Reiter in ihrer Prozession gehen. Dieses Wissen wird die Schlange (aus mythologischer Sicht) dadurch erhalten haben, daß sie auf der Erde, in Felsspalten und Höhlen lebt und somit der Unterwelt unter der Erde sehr nahe war.

Diese Bildplatte zeigt, daß es ein „Faß“ gab, in der der Tote auf der Mittelplatte seine Reise ins Jenseits begann, daß dabei oder vorher die Carnyx erklang und daß der Tote von einem Wolf/Hund begleitet wird, der auch schon auf der Mittelplatte tot neben ihm lag. Auf die Anwesenheit des meditierenden Cernunnos wird indirekt durch die Schlange hingewiesen. Die vier Reiter mit den Stammesabzeichen zeigen, daß in diesem Zusammenhang wohl auch eine „offizielle Prozession“ gegeben hat. Der gesamte Vorgang wurde von einem „Zeremonienmeister“ geleitet.

Auf dieser Bildplatte wird etwas sehr Wesentliches sichtbar: Das „in das Faß stecken“ wirkt keineswegs wie eine Bestattung, sondern eher wie ein Vorgang mit einem Lebenden. Einen Toten würde man legen und man könnte auch Trauernde erwarten sowie eine insgesamt „pietätvollere“ Grundstimmung.

Daraus ergibt sich, daß der Tote vermutlich gar nicht tot ist, sondern nur symbolisch gestorben ist. Auf dem Kessel würde dann zwar die Jenseitsreiseszenerie dargestellt, aber eben nicht für einen Toten, sondern für einen Lebenden, der in das Jenseits und zurück reist. Es handelt sich bei den Szenen auf dem Kessel daher eher um die Darstellung eines rituell herbeigeführten Nahtod-Erlebnis.

Der Tote ist folglich eine Person, die gerade eingeweiht wird. Der Vorgang, bei dem der Kessel benutzt wurde, ist demnach eine Einweihung in Form eines Jenseitsreiserituals.

m) Vierte Innenplatte: “Gott mit Rad”

Der Gott in der Mitte der Platte hat wie alle Götter auf dem Kessel von Gundestrup seine Arme erhoben. Möglicherweise trägt auch er einen Torque, der von seinem Bart verdeckt wird. Seine Haartracht gleicht keiner der bisher beschriebenen Götter. Er wird von zwei Raubkatzen, drei Greifen und einer Schlange begleitet.

Die Raubkatzen scheinen in Bezug auf diesen Gott von großer Wichtigkeit zu sein. Auf den anderen Bildplatten erscheint die Raubkatze als der Todesbringer, weshalb man davon ausgehen kann, daß auch dieser Gott in enger Verbindung steht mit dem Tod und dem Jenseits steht.

Das interessanteste Motiv auf dieser Bildplatte ist der Mann links neben dem Gott. Er trägt keinen Torque und scheint mit seinen Händen ein halbes oder nur halb sichtbares Rad zu drehen. Er hat zwar die Haltung, die auf den anderen Bildplatten den Tod darstellt, aber er hier ist eindeutig aktiv. Er befindet sich daher vermutlich handelnd im Jenseits. Der Hörnerhelm auf seinem Kopf läßt vermuten, daß er mit der Qualität des Stieres verbunden ist, der auf der Mittelplatte tot daliegt. Diese Hörner könnten auch eine Entsprechung zu dem Geweih des Cernunnos sein, da den Cernunnos-Reliefs zufolge Stier und Hirsch eine sehr ähnliche Bedeutung zu haben scheinen.

Der symbolisch tote Mann, der neben dem Stier auf der Mittelplatte lag und der in das „Faß“ gesteckt wurde, ist nun offenbar im Jenseits bei einem Gott angelangt. Sein symbolischer Tod wurde auf einer der Götter-Außenplatten als Gefressenwerden durch eine Raubkatze dargestellt.

Das Rad oder die Blüte erschien auf der Cernunnos-Münze und auf einer der äußeren Bildplatten als das Ziel des gesamten Vorganges. Da der Vorgang eine Reise in das Jenseits ist, sollte dieses Symbol die Qualität dessen darstellen, der erfolgreich ins Jenseits (und zurück) gereist ist. Da sich das Rad in der Hand des Gottes befindet, besitzen offenbar die Götter diese Qualität.

Daraus ergibt sich wieder eine weitere Schlußfolgerung: Cernunnos hält auf seiner Bildplatte den Torque wie das Zeichen für das empor, um das es in seiner Meditation geht. Da auf dieser Platte ein Gott ein Rad als dieses Symbol hält, scheinen das Rad und der Torque und vermutlich auch das geometrische Zeichen auf dem Relief von Cirenchester, das eine Blüte sein könnte, alle Symbole für die „Verbundenheit mit den Göttern“ zu sein. Vermutlich kann man sogar sagen, daß es sich bei diesen Symbolen um einen Hinweis auf die „göttliche Qualität“ dessen, mit dem sie verbunden sind, handelt, da es sonst wenig Sinn gäbe, daß die Götter selber einen Torque tragen.

Bei genauer Betrachtung des Bildes findet sich noch ein interessantes Detail: Die Schlange hat an ihrem Kopf die Hörner eines Widders. Dadurch wird ihr enger Zusammenhang mit dem ebenfalls gehörnten Cernunnos noch einmal betont.

Auch auf dieser Bildtafel befinden sich Ranken mit Blättern.

n) Fünfte Innenplatte: “Stieropfer”

Dieses Bild ist am leichtesten zu deuten: Die drei Stiere werden von drei Männern mit Schwertern getötet, wobei jeweils ein Wolf und eine Raubkatze anwesend ist. Diese Bildplatte zeigt die Szenerie, die der Mittelplatte, auf der der Stier bereits tot ist, vorausgeht.

Die Raubkatzen werden den Tod der drei Stiere darstellen. Die Wölfe deuten wieder auf die Reise ins Jenseits hin. Diese Wolfssymbolik ist offenbar wichtig gewesen, da sie auf mehreren Bildplatten auftritt.

Dieses Bild ist vermutlich eine dreifache Darstellung der Opferung eines Stieres, da sich auf der Mittelplatte nur ein Stier befindet. Daraus kann man schließen, daß die Zahl „3“, die sich auch bei den dreigesichtigen Cernunnos-Statuen findet, wohl mit dem Jenseits zu tun haben wird.

Auch auf dieser Bildplatte befinden sich die Ranken mit Blättern.

4. Die Motive des Kessels von Gundestrup

Nach dieser Fülle von Bildern liegt es nahe, die einzelnen Motive auf dem Kessel noch einmal genauer zu betrachten, um die „Teilnehmer“ des auf dem Kessel dargestellten Rituales besser erfassen zu können.

Einen ersten Überblick erhält man, wenn man die Häufigkeit der Motive untersucht. Auf den 13 Bildplatten finden sich insgesamt 127 einzelne Motive wie Mann, Schlange, Hirsch, Rad usw. Die größte Gruppe bilden die Tiere und die zweitgrößte die Götter und Menschen. Die Tiere (42%) machen zusammen mit den Menschen und Gottheiten (36%) drei Viertel der Bildmotive aus. Die restlichen 22% verteilen sich auf Pflanzen (7%) und von Menschen hergestellte Produkte (15%).

Von den Einzelmotiven sind die Männer, die Großkatzen und die Torques, von denen vermutlich noch einige weitere unter den Bärten der Götter verborgen sind, am häufigsten. Daher kann man annehmen, daß 1. der Kessel von Männern verwendet wurde, daß es 2. dabei um den von den Großkatzen verursachten Tod und auch um ihre Kraft ging, und daß 3. das Ziel durch den Torque symbolisiert wurde.

Diese sehr schlichte, zahlenmäßige Betrachtung würde gut zu der bisherigen Auffassung passen, daß der Kessel im Zusammenhang mit einer Zeremonie benutzt wurde, die den Tod eines Mannes (Raubkatze) symbolisierte und die letztlich zu der angestrebten “Gottähnlichkeit” (Torque) des betreffenden Mannes führte.

Natürlich ist eine rein mengenmäßige Übersicht nicht besonders tiefgehend, aber sie zeigt immerhin, welche Motive besonders häufig und von daher wohl auch besonders wichtig gewesen sind. Der Umkehrschluß ist allerdings nicht zulässig, da z.B. der Kessel gar nicht dargestellt wird, aber der Kessel der Gegenstand ist, auf dem alle diese Motive dargestellt wurden – und er somit sehr wichtig sein muß.

Die folgende Tabelle liest sich von links nach rechts und zeigt die immer detaillierte Unterscheidung der Symbole auf dem Kessel von Gundestrup: Von den 127 Motiven sind z.B. 46 Menschen, von denen wiederum 38 männlich sind und unter denen wiederum 8 Götter darstellen.

gesamt: 127

Menschen: 46

männlich: 38

Mann: 30

Gott: 8

weiblich:8

Göttin: 6

Frau: 2

Tiere: 55

einheimische

Fleischfresser:9

Wolf: 6

Landsäugetiere: 24

Hund: 3

Pflanzenfresser: 15

Pferd: 5

Stier: 4

Hirsch: 3

Wildschweine: 3

Meeressäuger: 1

Delphin: 1

Vögel: 3

Reptilien:3

Schlange: 3

nicht-einheimische Tiere: 15

Fleischfresser: 11

Großkatze: 11

Pflanzenfresser: 4

Antilope: 2

Elefanten: 2

Fabeltiere: 9

Greif: 5

Hippokamp: 2

Flügelpferd: 1

Doppelwolf: 1

Pflanzen:8

Ranken mit Blättern: 7

Stamm mit Blättern: 1

menschliche

Torque: 11

Produkte: 18

Luren: 3

sechsteilige Blüte/Rad: 2

Kessel: 1

Rad: 1

Durch den Vergleich der verschiedenen Orte auf den Bildplatten, an denen ein Motiv auftritt, kann die Bedeutung dieses Motives für die Kelten, die den Kessel von Gundestrup benutzten, deutlicher herausgefunden werden.

Diese Methode wird u.a. auch bei der Deutung von Träumen benutzt, in der z.B. die Bedeutung eines Messers, wenn man es in sechs verschiedenen Träumen derselben Person betrachtet, wesentlich deutlicher wird, als wenn man für das Verständnis der Symbolik des Messers innerhalb der Psyche der betreffenden Person nur einen einzigen Messer-Traum zur Verfügung hätte.

Dieses Bildervergleichs-Verfahren ist auch für das Verständnis der Mythen eines Volkes recht nützlich, da die Mythen die kollektive innere Bilderwelt eines Volkes sind – so wie die Träume die individuelle innere Bilderwelt eines einzelnen Menschen deutlich werden lassen.

A Gott

Die deutlich als Gott zu erkennenden Gestalten erheben stets ihre Arme. Als Geste weisen die erhoben Arme zum Himmel, wo man daher das Jenseits vermuten kann, zu dem die rituelle Reise, die mit dem Kessel von Gundestrup verbunden ist, führt.

Die Götter auf dem Kessel von Gundestrup treten zusammen mit toten und lebenden Menschen sowie mit Reitern auf und haben daher vermutlich mit dem Tod und dem Reiter zu tun, der sich vermutlich wie der meditierende Cernunnos auf dem Weg ins Jenseits befindet.

Neben den Göttern finden sich Wölfe, “Doppelwolf”, Flügelpferde, Hippokampe und Hirsche. Die Wölfe und Pferde scheinen die Begleiter auf dem Jenseitsweg zu sein. Der Hirsch ist speziell das Tier des Cernunnos und scheint die Symbolik des geopferten Stieres zu teilen.

Die fünf Götter auf dem Kessel von Gundestrup

Gott der Jenseitsreise

Gott der Krieger und der Eber

Hirsch-Gott

Rad-Gott

Gott der Hippokampe

B Hörnerhelm

Der Hörnerhelm findet sich zweimal abgebildet: Einmal bei dem Mann, der das (halbverborgene) Rad dreht und einmal bei den vier Reitern in der Kessel-Szene. Der Mann bei dem Rad trägt diesen Helm vermutlich, weil er auf seiner Jenseitsreise die Qualität des Stieres erlangt hat, die wohl weitgehend der Hirschqualität des Cernunnos entsprechen wird. Möglicherweise hat die zweite Szene mit dem Ritt ins Jenseits zu tun, aber dies ist nicht deutlich zu erkennen.

Es gibt noch einen dritten Hörnerhelm, der nicht sofort auffällt: Falls Cernunnos kein Gott mit (festgewachsenem) Hirschgeweih, sondern ein „Mensch mit göttlicher Qualität“ sein sollte, dann trägt er in gewisser Weise einen Helm mit dem Geweih eines Hirsches, also im weiteren Sinne ebenfalls einen Hörnerhelm.

Die Hörner bzw. das Geweih auf dem Kopf eines Menschen hat vermutlich dieselbe allgemeine Bedeutung wie das Tragen eines Torques. Es ist allerdings anzunehmen, daß sich Hörner und Torque in ihrer Bedeutung dennoch unterscheiden, da sie doch sehr verschieden sind.

C Cernunnos

Der Hirschgott ist mit dem Hirsch, dem Torque und der Schlange eng verbunden. Vermutlich reist er in seiner Meditation ins Jenseits. Da der „Tote“ anfangs noch keine Hörner trägt, sondern erst, als er im Jenseits bei dem Gott ankam, wird Cernunnos jemand sein, der diese Reise bereits hinter sich hat. Seine Meditation, die im Zusammenhang mit dem „Kessel-Ritual“ wichtig gewesen zu sein scheint, wird daher wohl eine Begleitung des „Toten“ auf seinem Weg ins Jenseits gewesen sein: Der erfahrende Jenseitsreisende Cernunnos begleitet den „Toten“, der ein Jenseitsreise-Neuling ist.

Eine solche Person erscheint in den frühen Religionen auf der ganzen Welt und wird in der Regel Schamane genannt.

Es sieht also so aus, als ob der einen Geweihhelm tragende Schamane um 400 v.Chr. in den nächsten Jahrhunderten von einer Person im Jenseitsreiseritual zu einem Urbild geworden wäre, sodaß er dann um 100 n.Chr. bereits als eine Gottheit erschien.

D Männer

Männer treten auf den Bildern des Kessels von Gundestrup in vier verschiedenen Situationen auf:

1. Sie sterben oder sind tot: Ein Mann wird in das „Faß“ gesteckt, zwei Männer liegen tot auf der Erde, ein Mann wird von einer Raubkatze getötet, zwei Männer werden von dem “Doppelwolf” getötet, und neben einem der Götter auf der Außenplatte befindet sich ein lebender Mann, ein toter Mann und ein Reiter, und schließlich liegt noch ein toter Mann auf der zentralen Bildplatte.

2. Sie führen das Ritual durch: Drei Männer töten drei Stiere; ein Mann steckt den „Toten“ in eine Art Faß; Cernunnos begleitet innerlich den „Toten“ auf seiner Jenseitsreise; eine Seherin-Priesterin begleitet innerlich das Ritual.

3. Sie stehen im Zusammenhang mit dem Weg ins Jenseits oder mit den Göttern im Jenseits: Ein Mann reitet nackt auf einem Delphin, ein Mann erscheint als „Kind“ auf den Armen der Göttin und einmal wird zwei Männern von einem Gott geholfen, der sie an ihren Armen hält.

4. Sie nehmen als Begleitung an einer Zeremonie teil: Sie reiten und tragen Abzeichen auf ihren Helmen, sie halten Schild und Speer und tragen den Weltenbaum, und sie blasen die Carnyx.

Daraus ergibt sich, daß die Männer eine Zeremonie durchführen, bei der es um den rituellen Tod eines Mannes geht, der dabei ins Jenseits reist.

E Göttin

Die Göttin tritt als Mutter auch im Jenseits auf: im Zusammenhang mit dem Tod, mit dem Seelenvogel (Wiedergeburt), mit dem Hund und vor allem mit der Großkatze und dem Greif.