Chronik der Gemeinde Gülpe - Dieter Zacharias - E-Book

Chronik der Gemeinde Gülpe E-Book

Dieter Zacharias

4,8

Beschreibung

Jahrhundertelang existierte ein kleiner Ort mit knapp über 100 Einwohnern, mitten in Deutschland gelegen, einfach so. Über die Kirchturmspitzensicht hinaus hat niemand bewusst Notiz von Gülpe genommen. Luise Zacharias schreibt dazu in ihrem Buch "Mitten am Rande": "Nach Gülpe führt eine Straße, aber dann ist Schluss. Wer weiter will, muss über die Havel, und da gibt es keine Brücke. In Gülpe sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht". Vor fünf Jahren ist Gülpe als einer der dunkelsten Orte in Deutschland mit dem hellsten Sternenhimmel entdeckt worden. Im Februar 2014 wurde Gülpe quasi zur Hauptstadt im "Sternenpark Westhavelland" erhoben. Das Dorf hat wahrlich keine Geschichte geschrieben, aber Geschichte schreibendes Geschehen ist sehr wohl über Gülpe hinweggefegt. Und genau in diesem Ort haben die Einwohner eine Dorfchronik geführt, die ab dem Jahre 1440 im Original erhalten ist, die, wenn man den Inhalt auf die Waagschale legt, ganz Erstaunliches über das Leben im Herzen des Landes Brandenburg repräsentativ zu berichten weiß. Da ist nichts erfunden, nichts bewusst weggelassen - so war es halt. Als Angestellte im "Rat der Gemeinde" Gülpe hat Luise Zacharias die Chronik wie einen Schatz behütet. In der Zwischenzeit ist die Chronik durch mehrere Hände gegangen und letztendlich bei Dieter Zacharias gelandet. In mühsamer Kleinarbeit hat er viele alte in Sütterlin geschriebene Handschriften in die heute gebräuchliche Schriftform gebracht und die Chronik erweitert. Bei dieser Arbeit haben ihm viele geholfen. Erstmals deutschlandweit in den Blickpunkt getreten ist Gülpe im Jahre 2009 mit der Veröffentlichung des Buches "Mitten am Rande". Hierin beschreibt Luise Zacharias aus ihrer Erinnerung heraus, was im Frühjahr des Jahres 1945 in Gülpe geschah, authentisch und "ohne Wenn und Aber". Sie berichtet von Geschehen, die eine Vielzahl von Facetten beschreiben, die man so komplex und vielschichtig niemals auf diesem Fleckchen Erde am Rande der Welt vermutet. Mit der hiermit vorliegenden Veröffentlichung "Chronik der Gemeinde Gülpe" spannt Dieter Zacharias nunmehr den Bogen über Geschichtsepochen hinweg weiter. Die Chronik zu studieren ist ein Muss für professionelle Geschichtsforscher und ein unbedingt zu empfehlendes Lesen mit echten, teils richtig spannenden "Aha"-Effekten für den geschichtsinteressierten Bürger. Gülpe, 23.02.2017 Dr. Burghard Zacharias

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Vorwort

Die vorliegende Chronik von Dieter Zacharias ist sinngemäß eine neue Chronik des Dorfes Gülpe, die von ihm mit Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit erstellt wurde.

Die Darstellung des Autors, historische Ereignisse anhand von Bild- und Textmaterial anschaulich darzustellen, erweckt zweifellos das besondere Interesse geschichtsinteressierter Leserinnen und Leser.

Angeregt hat den Verfasser seine Mutter, Frau Luise Zacharias. Sie machte ihn auf eine beim Gülper Lehrerehepaares Anneliese und Siegfried Rabe deponierte Schulchronik aufmerksam. In der war so ziemlich alles über die Gülper Geschichte vermerkt.

Nach der Übersetzung aus der Sütterlinschrift kam es viele Jahre später zu einer Begegnung mit einer ehemaligen Bürgerin aus Gülpe, die ihm eine weitere Chronik überließ. Hieraus entwickelte er eine neue Ortschronik.

Mit der nun vorliegende Chronik ist ein großes Stück des Zeitgefühls erhalten geblieben, das als wertvolles Zeitdokument anzusehen ist.

Nichts fördert die Liebe zur Heimat mehr als Bewahrung ihrer wechselvollen Geschichte.

Die Kunde über die Heimat kann helfen die Vergangenheit besser zu erkennen, um bewusst die Gegenwart und Zukunft zu gestalten.

Diese Chronik hat nicht nur Bedeutung für alteingesessene und neue Bürger des Ortes, sie zeigt vielmehr auf, wie die Bewohner des Dorfes mit Fleiß und Hingabe ihr Dorf in bewegten Zeiten verteidigt, aufgebaut und neu gestaltet haben.

Ich hoffe, dass die Ortschronik von Dieter Zacharias viele Leser findet und auch späteren Generationen noch am Beispiel des repräsentativen Einblicks in die Entwicklung eines Fleckchens Erde im Land Brandenburg ein erweitertes Verständnis deutscher Geschichte vermittelt.

Darüber hinaus wünsche ich allen Lesern angeregte Unterhaltung und viel Spaß beim Lesen dieser Chronik sowie dem einen oder anderen zudem Anregungen für die Gestaltung eines interessanten Wochenendes in naturnaher Umgebung.

Dr. phil. Peter Dietze

Einführung

Frage: Was ist eine Chronik?

Sie als interessierter Leser werden es wissen! Sollten Sie nicht so bewandert mit der Literatur sein, so sei Ihnen gesagt: Eine Chronik ist kein Liebesroman, kein Krimi, kein Bilder- oder Liederbuch und trotzdem ist von allem etwas darin enthalten.

Im „www“ findet man bei Wikipedia nachfolgende Definition:

„Eine Chronik (von altgriechisch χρόνιϰα (βιβλία) chrónika (biblía) zu χρόνος chrónos ‚Zeit‘) ist eine geschichtliche Prosadarstellung, die die Ereignisse

a) -in zeitlicher Reihenfolge geordnet darstellt. Chroniken können von knappen, reinen Datenlisten bis hin

b) - zu ausführlichen Schilderungen für einzelne Jahresereignisse reichen.“

Würde ich den ersten Teil „a“ der Definition nehmen, wäre das Buch ein langweiliges dahinplätscherndes Etwas. Keiner würde sich groß dafür interessieren.

Der zweite Aspekt „b“ ist da schon besser. Deshalb habe ich auch diese Variante für Sie gewählt.

Fragt man sich: „Gülpe, was soll das schon für ein Ort sein? Warum sollte ich das Buch lesen?“, ist die Antwort schlicht und einfach: Gülpe ist eben kein x-beliebiger Ort auf der Landkarte in der Mark Brandenburg. Es ist ein Ort, den man nicht einfach mal so abhaken kann!

Die Einwohner aus Gülpe waren über die in der Chronik dokumentierten vergangenen Jahrhunderte hinweg vor allem einfache Bauern, Fischer und Tagelöhner. Trotzdem nahmen sie aktiv am Weltgeschehen teil.

Wie das denn?

Nehmen wir die Befreiungskriege 1813 -1815 gegen Napoleon. Hier ist der Verlauf der Kämpfe von Leipzig bis hinein nach Frankreich von einem aktiv daran teilnehmenden Gülper brieflich dokumentiert worden. Nach dem Krieg wurde er Bürgermeister von Wesel am Rhein. Weitere 26 Kämpfer aus Gülpe und Prietzen werden auf einer Tafel geehrt.

Wer hat gewonnen?

Natürlich – Gülpe!

Nehmen wir das Jahr 1866, den „Preußisch – Österreichischen Krieg“. Hieran nahmen 13 Gülper aktiv teil.

Wer hat gewonnen?

Natürlich - Gülpe!

Verheerende Feuersbrünste haben Gülpe zweimal fast ausgelöscht, und es gab Jahre, wo die Einwohner von Gülpe extremen Klimasituationen widerstehen mussten.

Es gab spektakuläre und Aufsehen erregende Morde. So zum Beispiel der Mord vom 07.10.1730 und der vom Juli 1780. Wer wurde ermordet und warum geschah der Mord? In der Chronik finden Sie die Antwort.

Das Naturschutzgebiet „Untere Havel“, welches bis über die europäischen Grenzen hinaus Bedeutung hat, befindet sich hier. Der See und die angrenzenden Felder bieten abertausenden von Zugvögeln Rastplätze. Wer das atemberaubende Schauspiel, das sich da zwei Mal im Jahr bietet, noch nicht gesehen hat, hat etwas verpasst!

Oder, wie wäre es mit einem der dunkelsten Orte Deutschlands? Mit der Dunkelheit und dem damit zwangsläufig verbundenen superklaren Sternenhimmel hat sich Gülpe in den letzten fünf Jahren national und international einen Namen gemacht. Es wurde der „Sternenpark Westhavelland“ gegründet. Jedes Jahr Ende August/Anfang September kommen hunderte Astronomiebegeisterte aus ganz Deutschland und den umliegenden Ländern zum „Astrotreff“ nach Gülpe.

In den letzten Jahren haben Viele aus anderen Regionen Deutschlands Gülpe kennen und lieben gelernt, so sehr, dass Sie ihren Wohnsitz nach Gülpe verlegt haben!

Lassen wir es an dieser Stelle dabei bewenden. Beim Lesen der folgenden Original-Chroniktexte, beim Stöbern in vergangenen und zum Teil bis heute lebensnahen Welten wünsche ich Ihnen nun viel Freude.

Dieter Zacharias

Frankenthal - März 2017

Danksagung:

Danken möchte ich Anneliese und Siegfried Rabe. Sie haben die „Chronik von 1440 bis 1934“ sowie die „Schulchronik von 1934 bis 1940“ über viele Jahre hinweg sicher aufbewahrt und mir zur Bearbeitung überlassen.

Danken möchte ich Luise Zacharias.

Sie hat viele Stunden damit verbracht, die in Sütterlin handgeschriebenen Texte in eine heute gebräuchliche Schriftart umzuschreiben, was mir das Lesen wesentlich vereinfacht hat.

Danken möchte ich Monika Hirzel.

Sie hat mir ihre zur Silberhochzeit erhaltene Chronik von Gülpe zur Bearbeitung überlassen. Geschrieben wurde die Chronik von ihrer Tante und ihrem Onkel und ihr als Geschenk übergeben. Mein Dank gilt ganz besonders der Firma PC POINT Computer- und Datendienst GmbH; hier speziell dem Geschäftsführer Herrn Dr. Burghard Zacharias. Er hat mir in technischen und gestalterischen Aspekten sowie bezüglich des Zusammenwirkens mit dem Verlag BoD sehr hilfreich zur Seite gestanden.

Danken möchte ich Frau Johanna Leu, Vorsitzende des Kulturfördervereins Mark Brandenburg, für ihr konstruktives Mitdenken bei der Gestaltung der hiermit vorliegenden Fassung der "Chronik der Gemeinde Gülpe".

Hinweis zur Schrift

Mir im Original in unterschiedlichen Frakturschriftarten vorliegende Texte sind von mir einheitlich in der Schrift „Leipzig Fraktur“ in die vorliegende Chronik eingefügt, auch wenn es sich manchmal nur um einzelne Absätze handelte. Gleichermaßen bin ich mit den aus der Sütterlinschrift übertragenen Dokumenten vorgegangen.

Die mir vorliegenden Ursprungstexte beziehen sich stellenweise auf das gleiche Jahr. Um den Unterschied deutlich darzustellen habe ich diese beiden Schriftarten verwandt.

Alle aus Originaldokumenten übernommenen Texte habe ich der Authentizität wegen im Original belassen, auch wenn diese, an heutigen Rechtschreibregeln gemessen, fehlerbehaftet sind. An einzelnen Stellen habe ich die Interpunktion der besseren Lesbarkeit halber an die aktuell geltende Rechtschreibung angepasst.

Chronik der Gemeinde Gülpe von 1440 bis 2017

Gülpe von der Havelseite gesehen

Inhaltsverzeichnis

Das Dorf Gülpe an der Havel Charakteristik zum Ort und Land

Der Gülper See

2.1 Geschützte Gebiete

2.2 Naturschutzgebiet Gülper See

Sagen aus der Umgebung

Flurnamen der Gemeinde Gülpe

Die Geschichte des Dorfes Gülpe von 1440 bis 1934

Schulchronik der Schule zu Gülpe von 1934 bis 1940

Gülpe April-Mai 1945

Fortführung der Schulchronik vom 15.02.45 bis 11.09.50

Chronik von 1945 bis 2017

Die Provinz Preußen um 1927

Die Brandenburger Hymne

Quellen- und Literatur- und Bildverzeichnis

Impressionen einer wunderbaren Landschaft

1. Das Dorf Gülpe an der Havel

Charakteristik zum Ort und Land

„Prietzen und Gülpe“ Walter Specht /4/ „Aus der alten Heimat“ Elfriede, Hans Keller /5/

Gülpe ist ein kleines Dorf, dessen See bekannter ist als der Ort selber.

Die Lage des Ortes und der Region mit spezifischen Angaben:

Die geographischen Koordinaten, graphisch aus dem Messtischblatt von 188o ermittelt (Grundlage: preußische Polyederprojektion, Besselsche Erddimensionen), sind:

52° 43;7‘nördl. Breite und

2° 13,45‘östl. Länge von Greenwich.

Geographische Höhe der Ortslage etwa: 27 m ÜNN1; das Gebiet relativ eben

Grundwasser und Stauwasser bestimmende Sande und Tieflehme: 28-33 Wasserqualität stark nitrathaltig bis:

202 mg/l

Spezielle Schutzgebiete:

NSG „Gülper See“;

Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung (FIB)

Naturpark Westhavelland (in Planung)

LSG „Westhavelland“;

NSG „Untere Havel Nord“.

Die Gemarkung liegt im Niederungsgebiet der unteren Havel am Rande des „Ländchen Rhinow“. Klimatisch liegt die Region im stark maritim beeinflussten Binnenland mit einer durchschnittlichen Jahrestemperatur von ca. 8,4° C und 530 mm Niederschlagsmenge.

Die Gemarkung Gülpe ist 928,6 ha groß. Sie unterteilt sich in:

- Holzungsfläche

58,5 ha

- Gewässer

52,5 ha

- Umland

34,8 ha

- landwirtschaftliche

 

Nutzfläche

733,4 ha

davon Ackerland

267,7 ha

Grünland

461,1 ha

Gartenland

4,6 ha

- Bau- Verkehrs- und sonstige Flächen

49,4 ha

Die Entwicklung der von 1833-1992:

 

1833

295 Einwohner

 

1858

340 Einwohner

 

1861

330 Einwohner

 

1895

337 Einwohner

 

1913

343 Einwohner

 

1931

297 Einwohner

 

1938

250 Einwohner

 

1949

252 Einwohner

 

1964

279 Einwohner

 

1994

184 Einwohner

Tendenz: fallend

Die Entwicklung der Bevölkerung stellt sich wie folgt dar:

Bevölkerungsstruktur in den Jahren

1964

1992

Einwohner gesamt

279

 184

Kinder und Jugendliche im Alter von 0-15 Jahre

83

 33*

Erwerbsfähige im Alter von15-60/65 Jahre

142

106**

Rentner im Alter ab 60/65 Jahre

54

45

* Alter 0-18 Jahre

**Alter 19-65 Jahre

Die vorangestellten Daten belegen einen drastischen Rückgang der Einwohnerzahl um 95, das entspricht einem Wert von 34%. Infolge der gesellschaftlichen Umwälzungen, insbesondere durch den rigorosen Arbeitsplatzabbau ist ein Anhalten dieses Trends zu erwarten. Umso notwendiger ist es, das Dorf zu einem attraktiven Wohnstandort zu entwickeln und eine technische und soziale Infrastruktur und Wirtschaftsstrukturen zu schaffen.

Den 184 Einwohnern von Gülpe stehen zum gegenwärtigen Zeitpunkt 74 Wohnungen zur Verfügung, davon besitzen etwa

88% ein innen liegendes Bad und WC und etwa

29% der Wohnungen sind mit einem modernen Heizungssystem (Öl) ausgestattet.

Die Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten in Gülpe sind zurzeit sehr begrenzt. Es gibt zwar einen Sportplatz, der aber mangels Vereine und Mannschaften wenig benutzt wird. So dient er hauptsächlich als Treffpunkt der Jugendlichen und mitunter zur Veranstaltung von Dorffesten.

Das gesellschaftliche Leben wird ansonsten im Ort durch den Verein der Freiwilligen Feuerwehr und durch den Angelverein geprägt. Die Erholungsmöglichkeiten sind im Ort zurzeit ebenfalls noch sehr begrenzt, da die entsprechende Infrastruktur fehlt. Lediglich im Gasthaus gibt es einige Fremdenzimmer. Die Erholungsfunktion bietet jedoch für den Ort aufgrund seiner landwirtschaftlich reizvollen Lage gute Entwicklungschancen und sollte unbedingt ausgebaut werden.

Der Gemeinde wurde im September 1992 eine Umfrage zur Beantwortung von verschiedenen Lebensbereichen im Dorf übergeben. Dabei wurden folgende Bewertungsnoten vergeben.

Auf Grund einer sehr geringen Beteiligung der Bevölkerung, repräsentiert das folgende Ergebnis nur etwa 15 % der Haushalte.

     Durchschnittliches Ergebnis

Leben allgemein

2,6

Wohnort

2,0

Wohnumgebung

2,1

Wohnung

1,9

Verdienstmöglichkeiten

3,5

Einkaufsmöglichkeiten

3,7

Öffentlicher Personennahverkehr

5,0

Schulversorgung

3,4

Krankenversorgung

1,7

Sportmöglichkeiten

4,8

Dorfleben

4,1

Nachbarschaftsbeziehungen

2,1

Kulturelles Angebot

4,9

Sauberkeit der Luft

2,6

Lärmbelästigung

2,7

Ortsbild / Straßenbild

4,0

1 ÜNN Abk. Über den Meeresspiegel

Die Provinz Brandenburg - westliche Hälfte

Meßtischblatt: Gülpe und Gülper See

2. Der Gülper See

Der Gülper See (von den Wenden als Pretzinar2 genannt) wird zum ersten Mal in einer noch erhaltenen Urkunde aus dem 14. Jahrhundert erwähnt.

Lage

Der See liegt ca. 5 km westlich von der Stadt Rhinow. Beschrieben wird der See von Karl Friedrich von Klöden in „Die Quitzows und ihre Zeit“. Er schreibt:

„Westlich von Rhinow und der Mühlenburg liegt ein ziemlich großer See von fast einer Meile Länge und fast 1/3 Meile Breite. Er ergießt sich unmittelbar in die Havel und heißt jetzt Gülpsee. Die Mühlenburg, nicht weit von der Mündung des Rhins in den Gülpsee ist ein festes Schloss auf dem Berg mit doppelten Gräben umgeben welche der Rhin speist und den von der Hagen 1445 vom Kurfürst Friedrich II belehnt wurde. Es sei vermerkt, dass man „Mollenburg“ weit früher den Hof bei Alt-Rhinow wegen der dicht danebenliegenden Wassermühle nannte. Am südlichen Ufer des Sees liegt Prietzen, wahrscheinlich dasselbe, welches in dem Stiftungsbrief des Havelbergers Bischofs vom Jahre 946 Pricipini, in dem Bestätigungsbrief aber Prizipin genannt wird.

Die hohe Jagd im Ländchen Rhinow stand früher dem Fiskus zu. Erst 1772 brachten die von der Hagen, durch Erbpacht, sie in ihren Besitz.“

1333 August der 11.

Der Gülper See wird vom Markgraf Ludwig dem Bayern der Gattin des gestrengen Ritters Berthold von Wiltberg im Falle ihres Überlebens zum Leibgedinge verliehen. Nach dem Tode der Frau Jüte fiel der See an die Landesherren zurück. Der See wurde von ihnen zur Fischerei verpachtet.

Das Jahr 1409

Der See gehört Arnold Friesack aus Brandenburg. Er hatte diesen von seinem Vater geerbt. Später übernahmen die Söhne Sigismund und Johannes den See für mehr als 15 Jahre.

Gars von Putlitz nahm den See 1409 illegal in seinen Besitz. Dagegen klagten die Söhne beim Herzog Swantibor. Die Klage war erfolglos.

Das Jahr 1435

Der See wird vom Markgraf Johann dem Bürger Hans Kurde zu Havelberg auf 3 Jahre für 12 Mark Stendal. Währung und gute 12 Rhein. Gulden (zahlbar 2mal jährlich zu Martini3 und Walpurgis4) übergeben. Gleichzeitig mit der Übergabe des Sees wurde den Kaufleuten und Fischkäufern freies Geleit versprochen.

Das Jahr 1437

Der See zu Pryetzen wird für 9 Jahre an den Bürger Klaus Kzelecke aus Havelberg, zum Preis von 30 Mark Stendal. Pfennig jährlich, verpachtet. Zur Fischerei gehört auch die Gerechtigkeit in der Havel und etlichen zum See gehörigen Landen.

Das Jahr 1472

Eine vom Kurfürsten ausgestellte Urkunde belegt eine 6-jährige Verpachtung des Sees an den Bürger Arnd Fogeler Bürger zu Havelberg. Der Pachtzins war dieses Mal nicht in Geld zu erbringen. Die Hälfte der gefangenen Fische oder deren Wert waren dem kurfürstlichen Vogt zu Tangermünde abzuliefern.

Dieses Pachtverhältnis mit den Havelberger Bürgern bestand bis in die neuere Zeit und wurde erst Mitte des 19. Jahrhunderts durch Ablösung aufgehoben. Nunmehr ging der See in den Besitz einiger Havelberger Bürger, der so genannten Seeherren, über.

Das Jahr 1884

Der See erzielte bei einer freiwilligen Subhastation5 einen sagenhaften Gesamtpreis von 65.000 Mark.

Der derzeitige Besitzer ist der Fischer Schröder. Sein Wohnsitz ist der Gahlberg bei Strodehne direkt am Ausgang des Sees, dem Rhin.

Der See ist auch heute noch sehr reich an Fischen, besonders an Hechten, Schleien Alants, Plötzen und Aalen. Außerdem wird er von ungeheuren Scharen wilder Enten, Lietzen, und anderen Wasservögel bevölkert. Das treffliche Moor, das hauptsächlich an der Strodehner Seite wächst, die zahllosen Binsen, die sich immer weiter ausbreiten und zur Fabrikation von Flaschenhülsen verwendet werden, gewähren jahraus, jahrein einen ziemlich bedeutenden Ertrag.

2.1 Geschützte Gebiete

Die Gemarkung Gülpe ist Bestandteil des Landschaftsschutzgebietes (LSG) „Westhavelland“, welches insgesamt 108.900 ha umfasst. Der Ort Gülpe wurde am 14.06.1993 aus dem LSG entlassen.

Es ist vorgesehen, dieses Gebiet in einen Naturpark „Westhavelland“ zu überführen. Dieser erstreckt sich beiderseits der Havel von Pritzerbe bei Brandenburg bis Havelberg. Innerhalb dieses Gebietes wurde das Gebiet der unteren Havel von Hohennauen bis Havelberg mit dem Gülper See als „Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung“ (FIB) unter Schutz gestellt. Dieses gehört zu einem System von Feuchtgebieten, das den Watt- und Wasservögeln auf ihrem Kontinent überspannenden Wanderungen gute Rastbedingungen sichern soll. Das FIB „Untere Havel“ umfasst 588 ha naturnaher Niederung beiderseits der Havel. Zahlreiche Gräben, Fließgewässer und Altarme der Havel, der 6oo ha große und sehr flache Gülper See mit seinem dicken Schutzgürtel am West- und Nordufer, sowie den völlig offenen Süd- und Ostufer, ausgedehnte beherbergenFeuchtwiesen, unterbrochen von kargen Sandrücken und Ufergehölzen, prägen diese Landschaft. Hochwässer der Havel und ihrer Nebenflüsse Rhin, Dosse und Jäglitz sowie der Rückstau der nahen Elbe führen immer wieder zu ausgeprägten großflächigen Überflutungen. Sie prägen die Entwicklung dieses bemerkenswerten Naturraumes.

Das FIB6 “Untere Havel“ umfasst nur noch die Reste einer ehemals ausgedehnten Überschwemmungslandschaft.

Ihr besonderer Reiz hat sich trotz intensiver Umgestaltung bis heute erhalten.

Die abwechslungsreiche Landschaft bietet auch heute noch vielen, teilweise stark bestandsgefährdeten oder vom Aussterben bedrohten Pflanzen- und Tierarten geeigneten Lebensraum.

Die Reste des ursprünglichen Überschwemmungsgrünlandes und der ausgedehnten Verlandezonen beherbergen selten gewordene Pflanzengemeinschaften mit vielen gefährdeten Arten.

Im bemerkenswerten Kontrast dazu stehen die Pflanzengemeinschaften der Halbtrockenrasen in den reliefreichen Abschnitten des Feuchtgebietes.

Der Gülper See ist mit den Überschwemmungsflächen ein international wichtiger Rastplatz für Saat-, Bleß- und Graugänse sowie für Kraniche, Sing- und Zwergschwäne.

Im Überschwemmungsgrünland rasten während des Frühjahrszuges zahlreiche Limikolen (u.a. hunderte farbenprächtige Kampfläufer) und Entenarten.

Auf den Feuchtwiesen nisten Stock-, Knäk-, und Löffelenten gemeinsam mit Kiebitz, Rotschenkel, Uferschnepfe, Kampfläufer, Bekassine und Großem Brachvogel. Diese früher weit verbreitete Artengemeinschaft wurde bei uns durch intensive Grünlandnutzung fast ausgerottet.

Am Gülper See brüten u.a. die vom Aussterben bedrohten Großen Dommeln und Trauerseeschwalben (bis zu 80 Brutpaare). Weitere hervorzuhebende Brutvogelarten sind die Graugans (150 Brutpaare); Flußseeschwalbe, Rohrweihe, Drosselrohrsänger, Bart- und Beutelmeise.

Insgesamt nisten im FIB „Untere Havel“ über 80 Brutvogelarten.

Rund 50 weitere Vogelarten wurden als Durchzügler oder Überwinterer registriert.

Unter den Säugetierarten sind besonders Elbebiber und Fischotter (vom Aussterben bedroht) zu nennen.

2.2 Naturschutzgebiet Gülper See

von Albrecht Brommauer /11/

Im Heimatkalender von 1971wurden die Gebiete unseres Kreises zusammengestellt. Hier soll nun zur Ergänzung auf eines dieser Gebiete eingegangen werden. Es handelt sich hierbei um den Gülper See, das bedeutendste Naturschutzgebiet im Kreis Rathenow (heute Westhavelland).

Im nördlichen Teil unseres Kreises, etwa 18 km von Rathenow entfernt, liegt das Naturschutzgebiet Gülper See. Eingebettet zwischen Grünlandflächen im Norden und Ackerflächen im Süden, ist er mit 600 ha eines der größten Seen im Kreis Rathenow. Man erreicht ihn über die Landstraße F 102 von Rhinow über eine Klinkerstraße nach Prietzen oder über Elslake, Spatz, Wolsier, Gülpe und Prietzen.

Der See ist sehr flach, und hat nur 0,50 bis 1,50 m Wassertiefe. Der Untergrund besteht aus abgelagertem Faulschlamm mit bindigen und sandigen Bodenarten. Die nördliche Begrenzung bildet ein breiter Schilfgürtel aus Sauergrasbestand. Dazwischen liegen einige Sumpflöcher und eine breite Verlandungszone mit Erlen und Weidenbüschen. Der südliche Teil des Sees ist eine lagunenartige Uferzone, die in Koppelfläche übergeht. Im Osten des Sees schließt sich der Küdden an, eine verlandende Wasserfläche mit einem umfangreichen Schilfbestand und mit Gebüsch bewachsen. Im Westen führt der Abfluss des Rhins in die Havel. Durch diese Verbindung mit der Havel hat der See einen sehr unterschiedlichen Wasserstand in den einzelnen Jahreszeiten.

Durch die natürlichen Bedingungen ist der Gülper See einer der geschlossensten Wasservogelgebiete im Kreis Rathenow. Durch die flache Uferzone im Süden und den breiten Schilfgürtel im Norden mit den eingestreuten Gebüschen bietet er Lebensraum für die verschiedensten Vogelarten.

Ein reichhaltiger und vielfältiger Artenbestand brachte es darum mit sich, dass er 1963 zum Naturschutzgebiet erklärt wurde. Anschließend sollen hier einige der interessantesten Beobachtungen und Eindrücke aufgezeigt werden.

An einem Septembermorgen führte uns der Weg zum See. Auf einem Sandweg zwischen Prietzen und Gülpe fuhren wir zu einer günstigen Beobachtungsstelle. Von hier aus hat man einen weiten Überblick über den gesamten See. Das Wetter war diesig und wolkig. Vorsichtig blickten wir zum Ufer hinüber. Es sah so aus, als ob ein Kind scheinbar ruhig am See stand und auf das Wasser schaute. Genaueres konnte man ohne Glas nicht erkennen, denn wir standen etwa 150m vom Ufer entfernt. Nachdem wir das Fernglas aus der Tasche genommen und nochmals hingesehen hatten, erkannte man jetzt den Seeadler, der sich erhob und mit breitem Schwingenschlag über den See flog. Auffallend waren die Größe, die brettartigen Schwingen und der weiße gerundete Stoß, dass typische Kennzeichen des Altvogels. Noch lange konnte man ihn mit dem Glas beobachten, bis er am Nordufer hinter den hohen Eichen verschwand. Danach suchten wir uns einen ruhigen Beobachtungsplatz zwischen Koppelzaun und Kiefernschonung. Langsam riss der Himmel auf, die Wolken wurden vom Wind vertrieben. Ein strahlend blauer Himmel mit hellem Sonnenschein zeigte uns die ganze Pracht des Sees. Jetzt konnte man Tausende Bleßrallen und Stockenten auf dem Wasser erkennen. Bei genauerem Hinsehen waren außerdem Tafel - und Reiherenten mit ihrem bunten Gefieder zu sehen. Dazwischen schwammen einige Haubentaucher. Auch Hunderte von Graugänsen waren zu erkennen, und das laute Gag-gag an- und abfliegender Gruppen war weithin zu hören. Mitten im See standen die Reusenpfähle der Fischer. Hier saßen einige Kormorane. Der Kormoran ist ein gänsegroßer, schwarz gefärbter Tauchvogel mit langem gebogenem Hals. In ihrer Kreuzstellung mit ausgebreiteten Flügeln waren sie deutlich auszumachen. Eben kamen noch einige angeflogen und schwammen zur Mitte des Sees. Hin und wieder tauchten sie und griffen sich einen Fisch.

Als dann im späten Herbst die Tage kürzer wurden und die warme Jahreszeit vorbei war, kamen neue Gäste zum See. Da sammelten sich nordische Wasservögel, die hier überwintern oder teilweise weiterziehen werden. Dazu gehören Saat-und Bleßgänse, die in keilförmiger Flugordnung über die Flächen zogen und sich hier zusammenfanden. Reiher-, Tafel- und Spießenten, Gänsesänger, Sing- und konnte man auch den Seeadler am See erkennen. Erst als im März die Tage wärmer wurden, zogen die Wintergäste in ihre nordeuropäischen Brutgebiete zurück.

Vogelwelt am Gülper See

Zwergschwäne schwammen auf dem See. Dazwischen sah man Stockenten und Bleßrallen (Bleßhühner), die den See weithin bevölkerten. Auf den Ackerflächen in der Gemarkung Gülpe trafen sich Kraniche und bereiteten sich auf ihre große Reise ins Winterquartier vor. Hin und wieder war ihr lauter trompetenartiger Ruf zu hören, wenn andere Kraniche zukamen und wenn sie gemeinsam fortflogen. Auch in den Wintermonaten, wenn Schnee und Kälte das Wetter kennzeichneten und Stille und Einsamkeit die Landschaft ringsum prägten, war der See mit Leben erfüllt. Hier überwinterten Tausende von Wasservögeln: Man hörte tauchende planschende Enten an– und abfliegende Saatgänse, und hin und wieder

Nach den Wintermonaten begann wieder ein neues Leben am See. Gras und Schilf färbte sich allmählich grün, Gebüsch und Bäume bekamen Knospen und neue Blätter. Vielerlei Singvögel erfüllten das Gebiet um den See mit ihrem Gesang und Gezwitscher.

Die einheimischen Brutvögel kehrten aus ihren Winterquartieren zurück, wie Rohrammer, Rohrweihe, Milane, Rohrsänger, Kiebitz, Uferschnepfe und andere Watvögel. Im Schilfgürtel am Nordufer und am Küdden begann die Brutzeit von Enten, Bleßrallen, Möwen, Rohrsänger, Haubentaucher und Rohrweihen. In hohen Bäumen horsteten die Milane. Auf der anderen Havelseite hatten sich Reiher und Kormorane ihre Horste im hohen Wald gebaut. Am Südufer suchten Regenpfeifer, Kampfläufer, Wasserläufer und andere Watvögel im Schlick nach Nahrung. Die Rohrweihe strich im Schaukelflug über Schilf und Seerosen und griff sich ihre Beute. Aus der Höhe stürzte ein Fischadler in das Wasser und holte sich einen Fisch.

Dazwischen schwamm unbekümmert und gravitätisch der Höckerschwan mit seinem schneeweißen Gefieder durch die stillen Fluten. Am Himmel schwebte der rote Milan (Gabelweihe) und zog seine Kreise. Dazu hörte man hin und wieder das Krächzen der Lachmöwen, die den See bevölkerten.

Langsam zog der Sommer ins Land. Auch der einsame und stille Landstrich am Gülper See änderte sein Gesicht. Auf dem See führten alle Vögel Junge. In der

Schilfzone am Nordufer erschwerten Mücken das ruhige Beobachten der Tierwelt am See. Jetzt, wenn man die verschiedenen Vogelarten mit ihren Jungen sieht, konnte man die ganze Reichhaltigkeit der Tierwelt erkennen. Die Stockenten, Bleßrallen und Haubentaucher schwammen mit ihren Jungen über den See. Graugänse bevölkerten zu Tausenden das Südufer mit seinen Koppelflächen. Überall sah man Leben und Treiben am Wasser. Selbst am Abend hörte man noch lange den Gesang und das Rufen der Sänger am See. Man kann am See die interessantesten Beobachtungen machen. Zum Studium unserer Vogelwelt wurde darum in der Prietzener Mühle eine Beobachtungsstation des Zoologischen Instituts der Pädagogischen Hochschule Potsdam eingerichtet, wo junge Zoologen, Naturwissenschaftler und Naturfreunde wertvolle Aufgaben erfüllen.

Das Naturschutzgebiet Gülper See hat auf der einen Seite eine große Bedeutung zur Erhaltung eines artreichen Vogelleben in unserer Heimat, und auf der anderen Seite spielt es eine große Rolle für die Forschung über den Winterzug nordischer Wasservögel. Darum soll hier nochmals darauf hingewiesen werden, dass die Erhaltung und der Schutz dieses Gebietes im Sinne des Landeskulturgesetzes und der Naturschutzverordnung unbedingt gewährleistet werden muss. Eine Beunruhigung und Störung im oder am See ist zu vermeiden, um den Bestand und die Vielseitigkeit der Wasservogelwelt am Gülper See nicht zu gefährden.

Graben am Gülper See

2 PretzinarDurchfluss

3 Martini11. 11.(Zinstag)

4 WalpurgisSchutzheilige. gegen Hexen)

WalpurgisnachtNacht zum 01. Mai

5 SubhastationZwangsversteigerung

6 FIBAbk. Feuchtgebiete von Intenat. Bedeutung

3. „Sagen von Prietzen und Umgebung“

„Blätter für Heimatkunde“ 1906 von W. Lahn /4/

Hier eine kleine Auswahl der Sagen aus der Umgebung von Gülpe:

- „Die Kapelle auf dem Kienberg“

Zwischen Prietzen, Spaatz und Wolsier liegt der Kienberg. In alten Zeiten stand auf demselben eine Kapelle, welche von den Bewohnern der drei Orte besucht wurde. Der Priester wohnte in Spaatz; ein Fußsteig führte zur Kapelle, und der Acker über welchen er ging, hat heute noch den Namen „die Pfaffenstiege“. Der Meßner wohnte in Priccipini (jetzt Prietzen). Die Kapelle wurde zerstört, die Glocken kamen in die Kirche zu Prietzen, wo sie noch zu finden sind.

- „Der Meineidige“

Die Bauern von Gülpe und die von Rehberg kamen einst um einen großen Wiesenfleck in Streit und Prozeß. Den Gülpern gehörte die Wiese seit ewigen Zeiten, die Rehberger aber behaupteten, sie kämen ihnen zu, und stellten einen Zeugen, der dies durch einen Eid bekräftigte. So erhielten die Rehberger auf unrechtmäßige Weise die Wiese, denn der Zeuge hatte einen Meineid geleistet; dafür konnte er nun auch nach seinem Tode keine Ruhe finden, mußte umgehen und rief in finsteren und stürmischen Nächten auf der von Gülpe entgegengesetzten Seite der Havel immer: Hol über! Einmal wieder, als es recht windig war und regnete, hörte der Nachtwächter von Gülpe den Ruf, und da er ein beherzter Mann war, so fuhr er über das Wasser, um zu sehen, was es mit dem Ruf für eine Bewandtnis habe. Je näher er indes dem jenseitigen Ufer kam, desto schwächer wurde der Ruf und hörte zuletzt ganz auf. Als aber der Nachtwächter rief, daß er bereit sei zum Überfahren, fiel etwas wie ein mächtig großer Stein in seinen Kahn, so daß derselbe beinahe unterging. Je näher der Nachtwächter dem diesseitigen Ufer kam, desto schwerer ging der Kahn, so daß er kaum ihn von der Stelle bringen konnte. In der Angst fielen große Schweißtropfen von ihm ab. Sowie der Kahn aber Grund faßte, hob er sich und die Last war verschwunden. Diese Last war weiter nichs als der Meineidige mit seiner schweren Sünde. – Einmal ließ sich wieder ein Mann aus Gülpe verleiten, auf den Ruf hinüberzufahren. Es war gerade um Mitternacht, und er fand wirklich einen großen Mann am Ufer stehen. Als derselbe in den Kahn gestiegen war, ging dieser wieder so tief, daß das Wasser beinah über Bord lief, und der Fährmann merkte nicht, daß er den Meineidigen überholte; er zitterte deshalb an allen Gliedern und war froh, als er wieder herüber war. Als der Kahn stand, sprach der böse Geist zu dem Fuhrmann: „Geld kann ich dir nicht geben, aber achte darauf was ich dir sagen werde: es wird eine Pest in das Land kommen und in diesem Dorfe so wüten, daß die Lebenden zuletzt die Toten nicht mehr werden begraben können. Du aber wirst nicht sterben.“ Hiermit war die Gestalt verschwunden; wie sie aber prophezeit hatte, so geschah es. Eines Tages kamen zwei Reisende in das Dorf, sie kehrten im Wirtshaus ein und ließen sich einen Trunk Bier geben. Damals trank man das Bier aus großen irdenen oder zinnernen Krügen; an ein Auswaschen war nicht zu denken, sondern jeder Gast hängte nach dem Gebrauch seinen Krug wieder fort. Daher kam’s, daß am nächsten Sonntag, als die Bauern nach dem Wirtshause gingen, einer von ihnen aus dem Kruge trank, aus dem die Fremden getrunken hatten.

Bald darauf wurde er krank, konnte nur mit großer Mühe nach Hause kommen und starb noch an demselben Abend an der Pest. In kurzer Zeit war das Dorf fast ganz von der Krankheit entvölkert, so daß die wenigen Überlebenden nicht imstande waren, die Ernte des Jahres von dem Felde zu schaffen. Unter den von der Krankheit Verschonten befand sich wirklich der, welcher den Meineidigen übergeholt hatte. Seitdem wollen zwar mehrere den Ruf: Hol über! Gehört haben, aber der Meineidige hat sich nicht wieder sehen lassen, und jetzt wird er wohl schon längst Ruhe gefunden haben.

- „Der Pilatsch“

Beim Dorfe Molkenberg teilt sich die Havel in zwei Arme, die sich erst beim Galenberge wieder mit einander vereinigen. Es entsteht so eine Insel, die eine Meile lang und an Stellen über eine Viertelmeile breit ist. Der Boden ist an den meisten Stellen der Insel niedrig, nur in der Mitte derselben erhebt sich eine Anhöhe, welche vor 70 Jahren noch mit mächtigen Eichen bewachsen war und jetzt ergiebigen Acker bildet. Diese Anhöhe führt den Namen Pilatsch (oder Pilatusberg), und im Mittelalter soll hier ein gefürchteter Raubritter, Pilatus genannt, gehaust und die Gegend unsicher gemacht haben. Besonders überfiel er die auf der Havel friedlich dahinfahrenden Schiffe, beraubte sie und warf die Schiffer in den tiefen Keller seiner Burg, wo sie oft elendig umkamen, wenn sie nicht ein anständiges Lösegeld zu zahlen vermochten.

Wann und durch wen das Raubschloß zerstört wurde, weiß niemand; man sagt nur, das Ende des Raubritters und der Burg sei ein schreckliches gewesen, ja jener selbst habe nach dem Tode keine Ruhe gefunden. Zwischen den Eichen des Berges sah man ihn sitzen als einen Greis mit schneeweißen Haaren, angetan mit einem weiten schwarzen Kleide. Düster sah er nieder auf ein großes schwarzes Buch, das vor ihm aufgeschlagen war, und neben ihm stand ein großes Gefäß voll Geld, um einen Menschen zu locken, der ihm die ersehnte Ruhe bringen möchte.

Niemand aber nahte zur Erlösung, denn der Ort wurde von allen scheu gemieden, und wenn der Alte nach langem vergeblichen Harren sah, daß keiner sich ihm nahte, ließ er seine Augen über die Gegend schweifen, stand auf, schlug seufzend sein großes Buch zu und wankte zitternd in sein großes Schatzgewölbe; in den Eichen aber rauschte es unheimlich, und die Wellen der Havel schlugen schäumend gegen die westliche Seite des Berges.

Einst fuhr ein Bauer in seinem leichten Kahn über die Havel; ihm war ein Knäblein geboren, das in einigen Tagen die heilige Taufe empfangen sollte; zu diesem Feste wollte der Vater noch Fische fangen. Der Bauer kam bei seiner Arbeit bis in die Nähe des Pilatsch, denn bei hohem Wasserstande ist die ganze Insel vom Wasser überschwemmt und nur der Berg ragt als trockener Punkt hervor aus der weiten Wasserfläche.

Als der emsige Fischer einmal von seiner Arbeit aufsah, gewahrte er am Ufer eine weibliche Gestalt, sie war von einem schwarzen Trauergewande umhüllt, war groß und stattlich und schien von hoher Herkunft. Sie winkte dem Bauern näher zu kommen, und er folgte dem Winke teils aus Neugierde teils aus Furcht.

Der Bauer war überrascht von der Schönheit der Jungfrau, und eine Träne in ihren Augen flößte ihm Mitleid ein. Ehrfurchtsvoll grüßte er und fragte nach ihrem Begehr. Mit Klagender Stimme erzählte sie dem Bauern, daß sie eine Unglückliche aus der Burg sei und durch ihn erlöst werden könne. Sie wisse, daß er ein Knäblein wolle taufen lassen; wenn er nun mit dem Kinde sogleich nach der Taufe zur Burgruine komme und daselbst dreimal von ihr küssen lasse, dann sei sie erlöst und er solle für seinen Dienst einen großen Schatz erhalten.

Das Versprechen erweckte zwar die Habsucht des Bauern, doch war er noch zweifelhaft, ob er auch dem Wesen trotz aller Freundlichkeit trauen dürfe und machte die Ausrede, daß er doch erst seine Frau sprechen müsse; denke dieselbe aber wie er, so werde er am nächsten Sonntage gleich nach der Taufe mit dem Kind hier sein. Das Versprechen schien die Jungfrau zu befriedigen, sie lächelte unter Tränen und verschwand.

Das Fischen wollte dem Bauern nicht mehr behagen; immer nur dachte er an die Jungfrau und die versprochenen Schätze und sinnend und sorgend fuhr er schon vor dem Abend nach Hause, um mit seiner Frau über die Angelegenheit zu reden. Die Aussicht auf die Schätze blendete auch die Bäuerin; indessen hatte sie das Bedenken, daß das Wesen in der Burgruine doch mit dem Kinde etwas Böses im Sinne haben könnte. Endlich kam sie auf den Gedanken, daß wohl niemand besser als der Pfarrer Rat geben könnte, und daß also ihr Mann zu diesem gehen und ihm die Sache vorstellen sollte. Der Bauer machte sich also nach Prietzen auf und trug seinem Seelsorger vor, was er auf dem Herzen hatte. Dieser aber wußte in der Angelegenheit auch keine Auskunft und fragte endlich den Bauern, ob die Gestalt auch keine Pferdefüsse gehabt habe. Dies konnte der Bauer nun nicht sagen, denn er war von der Schönheit der Jungfrau so bezaubert gewesen, daß er nur in ihr Gesicht, nicht aber auf die Füße gesehen hatte, die ohnehin durch das Kleid verdeckt waren. Des Pfarrers Rat endlich ging dahin, der Bauer solle getrost mit dem Kind hinüber fahren zur Burg, sich aber genau die Füße der Jungfrau ansehen, ehe er derselben das Kind zum Küssen reiche, und scheine es ihm da nicht alles so ganz richtig, so könne er ja immer noch zurücktreten.