Codex Alera 4 - Jim Butcher - E-Book

Codex Alera 4 E-Book

Jim Butcher

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Beschreibung

Das neue Abenteuer aus einem der beliebtesten heroischen Fantasy-Epen der letzten Jahre!

Die Armee der wolfsähnlichen Canim marschiert in Alera ein und treibt die Menschen immer weiter zurück. Tavi und die erste aleranische Legion versuchen, sie aufzuhalten, aber der junge Kommandeur verfügt über viel zu wenig Soldaten. Endlich trifft Verstärkung ein, doch anstatt ihn für seine Verdienste zu belohnen, wird Tavi des Befehls enthoben. Verzweifelt bemüht er sich dennoch, das Schlimmste für seine Männer zu verhindern. Dabei ahnt er nicht, dass sein Tod längst beschlossene Sache ist.

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Seitenzahl: 844

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Jim Butcher

Der Protektor von Calderon

Codex Alera 4

Aus dem Englischenvon Andreas Helweg

blanvalet

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Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Codex Alera 04. Captain’s Fury« bei Ace Books, the Berkley Publishing Group, Penguin Group (USA) Inc., New York.

Deutsche Erstveröffentlichung Februar 2011 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe 2007 by Jim Butcher

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011 by Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München

Published by Arrangement with Longshot LLC. Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur

Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen. Covergestaltung und -illustration: © Melanie Miklitza, Inkcraft Redaktion: Waltraud Horbas HK · Herstellung: sam Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München

ISBN 978-3-641-05344-4 V002

www.blanvalet.de

Inhaltsverzeichnis
 
Prolog
 
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
 
Danksagung
Für meinen Engel.Für alles.

Prolog

Im langsamen Sinkflug näherte sich Amara durch kalten, kräftigen Regen dem Lager der Kronlegion. Cirrus, ihr Windelementar, trug sie auf einem Miniatursturmwind, und obwohl sie wie alle Flieger in Leder gekleidet war, hatte sie inzwischen das Gefühl, den Wind auf der nackten Haut zu spüren, und zitterte vor Kälte.
Drei Gestalten in Rüstung erhoben sich in die Lüfte und flogen ihr auf den eigenen Elementarwinden entgegen. Amara setzte die Geschwindigkeit nochmals herab und schwebte auf der Stelle, um sie zu erwarten. Sie hatte die dritte und letzte Umgrenzung des Lagers erreicht, und einer der Ritter fragte sie mit Handzeichen nach der Parole, während die anderen über ihr Position einnahmen, damit sie jederzeit eingreifen konnten.
Amara kannte die Männer vom Sehen, und ihnen war sie sicherlich ebenfalls nicht unbekannt, doch in diesen unruhigen Zeiten bedeutete das noch lange nicht, dass man der gleichen Seite angehörte. Sie erwiderte das Zeichen, und erst jetzt nahmen die drei Ritter Aeris die Hände von den Waffen und gruppierten sich neben ihr, um sie die letzte Meile bis zum Lager zu geleiten.
Amara landete nicht an dem vorgesehenen Punkt vor der Palisade des Lagers. In den vergangenen drei Tagen hatte sie über dreitausend Meilen zurückgelegt, und allein bei dem Gedanken, zu Fuß durchs Lager zu gehen, hätte sie umkippen können. Sie setzte einfach vor dem Zelt des Kommandanten auf, obwohl das gegen die Vorschriften verstieß und Cirrus’ Wind viel Staub aufwirbeln würde. Ihre Beine zitterten, waren weich vor Müdigkeit, als sie ihr Gewicht plötzlich tragen mussten, aber dann hatte die Anstrengung, Cirrus lenken zu müssen, endlich ein Ende.
»Gräfin«, murmelte ein kleiner, schlanker Mann. Die spärlichen Überreste seines grauen Haars waren kurzgeschoren, wie in der Legion üblich. Er wirkte recht elegant in seiner feinen Tunika, aber Amara wusste, dass Enos als früherer Kursor sein Messer so todbringend führen konnte wie nur wenige in Alera. Die milde Missbilligung in seiner Stimme wirkte sich nicht auf sein Lächeln aus. »Wie verwegen, einfach hier zu landen.«
»Tut mir leid, dass ich dir Extraarbeit mache, Enos«, erwiderte Amara, während sie aus dem Regen unter das Dach eines Pavillons traten.
»Nicht der Rede wert. Ich hole einen unserer Subtribune Logistica, der kann sich ums Saubermachen kümmern. Wir Burschen sind für solche Arbeiten zu wichtig, weißt du.« Er bot ihr ein warmes Handtuch an, und nachdem sie sich damit Gesicht und Hände getrocknet hatte, hielt er ihr einen dampfenden Becher entgegen.
Amara nippte an der kräftigen Brühe und seufzte zufrieden. Nach langen Flügen war sie immer völlig ausgehungert, und in den letzten Tagen war sie vor lauter Fliegen kaum zum Essen gekommen. »Du bist ein Schatz, Enos.«
»Aber nicht doch, Gräfin«, antwortete er. »Das ist das Mindeste, was ich für jemanden tun kann, der den schnellsten Flug von hier in die Hauptstadt um einen ganzen Tag unterboten hat.«
»Der Erste Fürst bezahlt mich ja auch nicht fürs Faulenzen«, sagte Amara und schenkte ihm ein Lächeln. »Wie viel hast du gewonnen?«
»Vierzehn Silberbullen«, sagte Enos selbstgefällig und ohne die geringste Verlegenheit. »Fürst von Aquitanias oberster Bursche kann sich offensichtlich nicht beherrschen, wenn es ums Wetten geht.«
Amara hatte die Brühe leergetrunken, und Enos drückte ihr nun einen Becher Tee in die Hand. Sie nippte daran. Köstlich. Vielleicht würde sie es sogar auf ihren eigenen Füßen bis zu einer warmen Pritsche schaffen, ehe sie zusammenbrach. »Ist er zu sprechen?«
»Der Hauptmann ist in einer Besprechung mit Fürst Aquitania«, antwortete Enos, »hat aber darauf bestanden, ihn sofort zu benachrichtigen, sobald du eintriffst.«
»Aquitania«, murmelte Amara. »Sehr gut. Danke, Enos.«
Enos neigte lächelnd den Kopf, und Amara ging hinüber zum Zelt des Kommandanten. Die Winter hier im Süden waren nicht annähernd so hart wie oben in den nördlicheren Gefilden von Alera, trotzdem war das Wetter um diese Jahreszeit für gewöhnlich kalt, nass und unfreundlich. Das Zelt war doppelwandig, eins war über ein anderes aufgestellt, was für einen gewissen Wärmepuffer sorgte. Amara öffnete eine Klappe nach der anderen und betrat das Zelt von Hauptmann Miles.
Es war geräumig und wurde von drei Elementarlampen erhellt, die an dem mittleren Pfosten hingen. Der Pfosten ragte aus einem großen Tisch mit Sand, der die Landschaft zwischen Legionslager am einen Ende und der Stadt Kalare am anderen nachbildete, wobei kleine Figuren für die Stellungen der verschiedenen Armeen standen. Des Weiteren sah sie einen Schreibtisch, mehrere Feldhocker und einige persönliche Gegenstände von Miles, eine kleine Truhe sowie das Bettzeug auf einer Pritsche.
»Und ich sage dir, das ist die einzige Möglichkeit«, knurrte Miles. Er war ein Mann von mittlerer Größe, aber dabei gebaut wie eine Festungsmauer, stämmig und stark. Seine Rüstung war verbeult und zerkratzt, die Male der Kampfhandlungen, die seit dem Anfang von Kalares Rebellion andauerten. Sein kurzes dunkles Haar war von grauen Strähnen durchsetzt, und während er jetzt vor dem Sandmodell auf und ab ging und es betrachtete, fiel auf, dass er leicht hinkte. »Wenn wir nicht gemeinsam marschieren, dann riskieren wir, einzeln geschlagen zu werden.«
»Nun werd nicht gleich panisch«, erwiderte der zweite Mann im Zelt, der auf einem Feldhocker saß. Er war ein ganzes Stück größer als Miles, langgliedrig, und strahlte solche Zuversicht aus, dass seine Gegenwart im Zelt stärker zu spüren war als Miles’. Er hatte etwas Löwenhaftes an sich, angefangen bei der dunkelgoldenen Mähne, die ihm über die Schultern fiel, über die dunklen Augen bis hin zu der deutlich wahrnehmbaren Körperkraft. Aquitanius Attis, Hoher Fürst von Aquitania, war mit einem roten Seidenhemd und einer dunklen Lederhose bekleidet. Offensichtlich hielt er es nicht für nötig, eine Rüstung zu tragen. »Wenn uns die zwei Jahre hier eins gezeigt haben, dann die Tatsache, dass sich Kalare im Sumpf auch nicht schneller bewegen kann als wir. Die Gefahr, dass er deine Streitmacht einholt, ist vernachlässigbar.«
Miles blickte den anderen Mann an. »Es fällt auf, dass deine eigenen Truppen vor allen Gefahren geschützt sind, wenn wir deinen Plan ausführen.«
»Wenn er aber gelingt«, hielt Aquitania dagegen, »mischen wir Kalares bewegliche Truppen auf, ehe der Sommer richtig begonnen hat, und zwei Wochen später stehen wir vor seiner Stadt.«
»Und wenn nicht, treten meine Männer allein gegen alles an, was Kalare zurückgelassen hat.«
»Wir befinden uns im Krieg«, antwortete Aquitania milde. »Gelegentlich ergibt sich da das eine oder andere Risiko.«
Miles brummte etwas vor sich hin und legte die Hand auf den Schwertknauf.
Aquitania fletschte die Zähne und grinste katzenhaft. »Hauptmann, sollten wir nicht lieber die Gräfin anhören, ehe wir die Sache weiter besprechen?«
Erst jetzt blickte Miles über die Schulter und bemerkte Amara. Seine Wangen waren gerötet, und in seinen Augen funkelte Zorn. Er starrte Amara kurz böse an, schüttelte den Kopf, fand die Kontrolle über seine Miene wieder und nickte ihr knapp zu. »Gräfin, willkommen.«
»Danke, Hauptmann.« Sie nickte Aquitania zu. »Hoheit.«
Aquitania starrte sie forschend an und lächelte höflich. Amara gestattete sich nicht, das Unbehagen zu zeigen, das der Blick dieses Mannes in ihr auslöste. Vermutlich gab es niemanden im ganzen Reich, der Aquitania an Elementarkräften übertraf, abgesehen vom Ersten Fürsten selbst – und Gaius war kein junger Mann mehr. Obwohl sie nie mit eigenen Augen gesehen hatte, wie Aquitania seine Kräfte anwandte, wusste sie, über welche Macht er verfügte. Deshalb war sie nicht gerade entspannt, als sie nun im Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit stand.
»Was gibt es Neues von der Krone?«, fragte Miles.
»Es wurde ein Rat gebildet, der für den Kriegsausschuss die Vorgaben für den Feldzug des Sommers erteilen soll«, erklärte Amara. »Der Erste Fürst bittet um deine Anwesenheit, Hauptmann, und auch um deine, Fürst von Aquitania.«
Miles schnaubte ungehalten. »Zuerst ein Ausschuss, und jetzt ein Rat!«
»Ein Ausschuss für den Ausschuss«, murmelte Aquitania, dessen Ton darauf schließen ließ, dass er zumindest bei diesem Thema voll und ganz mit dem Hauptmann einer Meinung war. »Lächerlich.«
»Wann?«, wollte Miles wissen. »Und wo?«
»In drei Wochen, von gestern an gerechnet, meine Herren – an der Elinarcus.«
»An der Elinarcus, wie?«, meinte Miles. Er schnaubte. »Wird schön sein, diesen jungen Virtuosen zu treffen, der die Erste Aleranische führt. Habe schon viel über ihn gehört.«
Aquitania sagte unverbindlich: »Falls Kalarus sich dazu entschließt, unsere Stellungen persönlich anzugreifen, während wir« – mit »wir«, so vermutete Amara, meinte er sich selbst – »unterwegs sind, könnten unsere Truppen unter Druck geraten.«
Miles zuckte mit den Schultern. »Die Berichte der Späher lassen vermuten, dass er tatsächlich geschwächt ist. Wie ich gehört habe, hat er bei dem Absturz schwere Verletzungen davongetragen, was wir dem Grafen von Calderon zu verdanken haben. Dadurch ist er persönlich weitgehend außer Gefecht gesetzt.«
»Vielleicht sollen wir das ja auch nur denken«, wandte Aquitania ein, »außerdem hat er immer noch einen Erben. Dem jungen Brencis mangelt es zwar an Erfahrung, aber er verfügt über beträchtliche Elementartalente.«
»Der Erste Fürst hat uns einen Befehl erteilt, Hoheit«, entgegnete Miles.
Aquitania verdrehte die Augen, seufzte und erhob sich. »Ja, gewiss. Der alte Mann spielt die Musik, und wir anderen tanzen dazu. Hauptmann, unter diesen Umständen sollten wir unser Gespräch lieber später fortsetzen.«
»Das würde mir auch gut passen«, erwiderte Miles.
Aquitania nickte den beiden zu und verließ das Zelt.
Miles schaute ihm hinterher, nahm einen Zinnbecher, der auf dem Sand stand und verdächtig nach Bier roch, und trank einen langen Schluck. »Überheblicher Esel«, murmelte er. Er sah Amara an. »Er hat es schon wieder gemacht.«
»Was denn?«, erkundigte sich Amara.
Miles deutete auf den Tisch mit dem Sandmodell. »Die Verluste allein auf die Truppen abgewälzt, die Gaius treu ergeben sind.«
Amara blinzelte. »Wie?«
»Nicht so, dass ich es vor einem Gericht beweisen könnte. Aquitanias Legionen kämpfen an unserer Seite, aber sie kommen immer ein bisschen zu spät oder zu früh. Wenn der Kampf losgeht, steht die Kronlegion stets in vorderster Reihe.« Er rammte den Zinnbecher in den Sand. Körnchen flogen in alle Richtungen. »Meine Männer fallen, und ich kann nichts daran ändern, bei den verfluchten Krähen.«
»In diesen Dingen ist er sehr klug«, meinte Amara.
»Und ich nicht«, erwiderte Miles. »Wir sollen gegen Kalare kämpfen, damit wir hinterher zu schwach sind, um uns seinen Legionen entgegenzustellen.«
»Deshalb der Streit über eure Strategie?«, mutmaßte Amara.
Miles nickte. »Als ob es nicht schon reicht, einen Feind vor sich zu haben; der nächste marschiert gleich hinter uns.« Er rieb sich das Stoppelhaar. »Und der Ausschuss hat zu viel Einfluss auf unsere Strategie. Ausschüsse gewinnen keine Kriege, Gräfin.«
»Ich weiß«, erwiderte Amara leise. »Aber du kennst die Lage des Ersten Fürsten. Er braucht die Unterstützung des Senats.«
»Er braucht das Geld«, meinte Miles verdrossen. »Als hätte er nicht das Recht, in einer Krise wie dieser allein aufgrund seiner Stellung auf ihre Treue bauen zu dürfen.« Er wandte sich um und riss den leeren Becher wieder vom Sand. »Zwei Jahre. Zwei Jahre schleichen wir bereits durch diesen krähenverfluchten Sumpf und schlagen uns mit Kalares Wahnsinnigen herum. Wir hätten gleich in dem Jahr, in dem er angegriffen hat, nach Kalare ziehen sollen. Jetzt dürfen wir allenfalls darauf hoffen, uns irgendwie durch diese Sümpfe zu schlagen, um dann die Stadt zu belagern, was Jahre dauern kann. Mir sterben drei Männer an Krankheit in der gleichen Zeit, in der einer durch den Feind fällt. Gräfin, schlimme Feldzüge habe ich schon gesehen, aber bei diesem Krieg dreht sich mir der Magen um.«
Amara nippte an ihrem Tee. »Dann nehme ich an, ich soll der Krone mitteilen, dich von deinem Befehl zu befreien?«
Miles starrte sie schockiert an. »Natürlich nicht.«
»Sehr gut.«
»Wem sollte man dieses Kommando anvertrauen, wenn nicht mir?«, fuhr Miles fort.
»Ich dachte lediglich …«
»Was? Denkst du, ich sei damit überfordert?« Miles schnaubte. »Nein. Ich werde mir schon etwas ausdenken.« Er wandte sich wieder dem Sandmodell zu. »Aber es gibt ein wichtiges Problem, um das wir uns kümmern müssen.«
Amara hörte zu und trat neben ihm an den Tisch.
»Kalare und seine Truppen sind nicht schwer zu binden. Wenn er sich zu weit von seinem Stützpunkt entfernt, zermalmen wir sie oder nehmen die Stadt in ihrem Rücken ein. Unsere Streitmacht ist groß genug.« Er deutete mit dem Kopf auf das »Nord«-Ende des Tisches. »Aber mit den Canim sieht das ganz anders aus. Seit wir sie von der Elinarcus vertrieben haben, sind sie Kalare nicht mehr zur Seite gestanden, aber sie stellen sich auch nicht gegen ihn, so dass ihre Anwesenheit ihm die Nordflanke sichert.«
»Während er im Gegenzug den Canim die Südflanke freihält.«
»Genau«, meinte Miles. »Das ist schon schlimm genug. Falls sie sich jedoch erneut Kalare anschließen sollten, wird sich dadurch das Gleichgewicht der Kräfte erheblich verschieben.«
»Das ist einer der Gründe, weshalb ich hier bin«, erklärte Amara. »Gaius hat mich geschickt, weil ich fragen soll, was du brauchst, um Kalare zu besiegen.«
»Eines von zwei Dingen. Entweder wir setzen mehr – zuverlässige – Truppen hier im Süden ein und kämpfen für den entscheidenden Sieg, oder wir entledigen uns der Canim im Norden, damit wir Kalare gleichzeitig von zwei Seiten angreifen können.«
Amara verzog das Gesicht. »Vermutlich wird das die Aufgabe des Rats an der Elinarcus sein.«
Miles nickte grimmig und starrte die Miniaturarmeen auf dem Sand an. »Diese verfluchten Rebellen. Diese krähengezeugten Canim. Wenn dieser neue Hauptmann Rufus Scipio tatsächlich so ein tolldreister Kerl wäre, wie es heißt, hätte er die Hunde längst ins verdammte Meer zurücktreiben müssen. Vermutlich hatte er nur Glück.«
»Möglich«, sagte Amara und bemühte sich, ihre Miene neutral zu halten. Sie wartete schon seit einiger Zeit darauf, dass Miles endlich von allein begriff, um wen es sich bei dem neuen Hauptmann handelte, und sie wollte ihm jetzt keinen Hinweis geben. »Bestimmt wird sich das mit der Zeit herausstellen.«
»Glück«, knurrte Miles.
»Du hast wirklich Glück, Aleraner« sagte Kitai schroff und sehr kühl. »Eine weniger geduldige Frau hätte dir längst das Genick gebrochen. Warum genügt es dir immer noch nicht?«
Tavi sah vom Boden auf, wo er saß und vor Anstrengung schnaufte. »Es ist eben noch nicht gut genug«, gab Tavi zurück. »Ich bin noch immer nicht da, wo ich sein möchte. Und ich habe noch immer keine Manifestation herbeigeführt.«
Kitai verdrehte die Augen, ließ sich von dem Ast im Baum, auf dem sie gehockt hatte, ins Frühlingsgras des kleinen Tals fallen. Das Marat-Mädchen trug eine Lederhose, wie in der Reiterei üblich, und eine von Tavis Tuniken – und trotzdem würde sie niemand mit Augen im Kopf für einen Mann halten. Sie hatte sich das seidenweiche weiße Haar nach Art des Pferdeclans geschoren – fast den ganzen Schädel kahl bis auf einen langen Streifen, der sich über die Mitte des Kopfes zog und der wachsen durfte, um dadurch wie eine Pferdemähne zu wirken. Ihre Haare und die helle Haut bildeten einen scharfen Gegensatz zu ihren leuchtenden grünen Augen – deren Farbe genau der von Tavis entsprach – und das verlieh ihrer überwältigenden Schönheit einen Hauch von barbarischer Wildheit. Tavi konnte nicht genug bekommen von ihrem Anblick.
»Aleraner«, sagte sie und runzelte die Stirn. »Du bringst inzwischen schon mehr zustande, als du je für möglich gehalten hättest. Warum belässt du es nicht dabei?«
»Weil der erste Schritt zu allen fortgeschrittenen Elementar-fertigkeiten darin besteht, die Manifestation eines Elementars zu erzwingen«, antwortete er. »Verinnerlichtes Wirken ist schön und gut, beeindruckend wird es jedoch erst, wenn man eine Erscheinung herbeiführen kann. Feuerstöße. Heilen. Beeinflussung des Wetters. Fliegen, Kitai. Stell dir das nur vor.«
»Wozu fliegen, wenn man auf einem Pferd reiten kann?«, wollte sie wissen, in einem Ton, als würde auf diese Frage jeder Dummkopf kommen. Dann runzelte sie die Stirn, hockte sich auf die Hacken und sah Tavi in die Augen.
Tavi spürte, wie er die Stirn in Falten legte. Diese Geste benutzte sie für gewöhnlich, wenn sie etwas sehr ernst meinte. Er wandte sich ihr zu.
»Du übertreibst es einfach, Chala«, sagte Kitai. Sie berührte seine Wange mit der zierlichen Hand. »Den Krieg der Legion. Deine Arbeit für Gaius. Deine Übungen. Du versäumst zu oft das Essen. Und den Schlaf.«
Tavi lehnte sich einen Moment lang bei ihr an, schloss die Augen und genoss ihre Wärme. Seine Glieder schmerzten, und in letzter Zeit brannten seine Augen häufig. Oft folgten den Übungen heftige Kopfschmerzen auf dem Fuße, und das machte es schwierig, danach zu schlafen oder zu essen. Aber er hatte leider keine andere Wahl, er musste schon einen Teil der Zeit opfern, die ihm für Schlaf und Mahlzeiten blieb. Der Befehl über die Erste Aleranische war eine Verantwortung, der man sich mit voller Aufmerksamkeit widmen musste, und seine Pflichten als Kursor verlangten zudem, zusätzlich zu seiner Arbeit als Hauptmann der Legion so viel wie möglich aus allen verfügbaren Quellen in Erfahrung zu bringen und an den Ersten Fürsten weiterzuleiten. Nur seine neu gewonnene, unerklärliche Unverwüstlichkeit, die er als Folge seines Bundes mit Kitai betrachtete, schenkte ihm ausreichend Kraft, um sich wenigstens das beizubringen, wozu er mit seinen mageren Elementarkräften fähig war. Trotzdem setzte ihm die Erschöpfung langsam zu.
Vermutlich hatte Kitai recht.
»Vielleicht«, räumte Tavi ein. »Aber im Augenblick habe ich keine Wahl. Es braucht Jahre der Übung, um seine Elementarkräfte zu entwickeln, und ich habe leider fünfzehn Jahre zu spät angefangen.«
»Ich denke, du solltest jemandem davon erzählen. Wenn du einen Lehrer hättest, würde es schneller gehen.«
Tavi schüttelte den Kopf. »Nein.«
Kitai fauchte aufgebracht: »Warum nicht?«
»Weil ich sowieso nicht viel zustande bringe«, erwiderte Tavi.
»In größerem Rahmen betrachtet jedenfalls. Ich würde das Wenige, über das ich verfüge, lieber als Überraschung einsetzen, wenn ich irgendwann dazu gezwungen bin.«
Kitai schüttelte den Kopf. »Das ist aber nicht das Risiko wert, dass du dir Schaden zufügst, weil du ohne Anleitung lernst.«
»Ich war an der Akademie, deshalb kenne ich die Theorie«, entgegnete Tavi. Jede ermüdende und demütigende, von Enttäuschungen geprägte Stunde dieses Unterrichts hatte sich zusammen mit den anderen Albträumen seiner Kindheit in sein Gedächtnis gebrannt. »Es geht jetzt schon zwei Jahre so, und bislang ist nichts passiert.«
»Bisher vielleicht nicht«, wandte sie ein. »Ich kenne mich mit Elementarkräften nicht aus, Aleraner, aber ich weiß genug, um zu verstehen, wie gefährlich sie sein können. Anderen geht es ähnlich. Wäre es nicht besser, wenn du deinen möglichen Feinden klarmachst, was für ein mächtiger Elementarwirker du bist?«
»Ja, aber … aber erst einmal sagen wir niemandem etwas davon«, beharrte Tavi stur.
»Warum bloß nicht?«, wollte Kitai wissen.
Er wandte den Blick ab und sah einen Moment lang ins Leere. »Ich bin mir nicht sicher«, antwortete er leise. »Es ist noch nicht so weit. Ich spüre es. Ich weiß es.« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll. Du musst mir einfach vertrauen.«
Kitai zog die Augenbrauen hoch, beugte sich vor, drückte ihm einen sanften Kuss auf die Stirn und lehnte sich bei ihm an. »Du bist verrückt. Und ich bin verrückt, weil ich mich überhaupt mit dir abgebe. Wunderbar.«
Tavi ließ seinen Kopf an ihrem ruhen. »Danke.«
»Natürlich bestehe ich auf dem Recht, meine Meinung zu ändern.«
»Natürlich«, sagte Tavi und lächelte müde. Er holte tief Luft und wappnete sich zum Weitermachen. »Also gut. Einen Versuch noch, um diesen Felselementar hervorzurufen, dann ist Schluss für heute.«
»Nein«, erwiderte Kitai entschlossen. »Genug geübt für heute. Es gibt dringendere Angelegenheiten, um die du dich kümmern musst.«
Tavi blinzelte sie an. »Und zwar?«
Mit einem Schulterzucken ließ Kitai die weiße Tunika von Armen und Schultern gleiten und schmiegte sich mit nackter Haut an Tavis Brust. Sie schlang die Arme um seinen Hals und hob ihm den Mund zu einem leidenschaftlichen Kuss entgegen.
Leise versuchte Tavi zu protestieren, doch ihr Duft nach Wildblumen und Wiesenklee und aromatischer Seife stieg ihm in die Nase und überwältigte seine Sinne, und das Feuer des Verlangens, das in diesem Kuss lag, sowie die Zielstrebigkeit ihrer Hände machten ihn wehrlos. Plötzlich fiel ihm kein einziger vernünftiger Grund mehr ein, weshalb er das Marat-Mädchen zurückweisen sollte, und er erinnerte sich nur noch vage daran, was er eigentlich vorhatte. Seine Hände streichelten über ihre Hüfte, über den weichen hellen Rücken und folgten den Strängen der Muskeln unter der heißen Haut, während er den Kuss mit wachsendem Verlangen erwiderte.
Kitai gab ein kehliges Schnurren von sich und riss Tavi die Tunika vom Leib. Sie warf sich auf ihn, doch er drehte sich zur Seite und wirbelte sie herum ins üppige Gras. Mit einem lustvollen Lachen wölbte sie sich ihm entgegen, als er sie erneut küsste. Ihre Hände strichen über seinen Rücken, ihre Nägel kratzten über seine Haut, und die Gefühle übermannten ihn mit solcher Macht, dass er die Reitersoldatin nicht bemerkte, die sich ihnen näherte, bis sie in ihren Stiefeln auf Armeslänge vor seiner Nase stand.
Tavi jaulte auf und spürte, wie er von den Haarspitzen bis hinab zu den Zehennägeln errötete. Er suchte nach seiner Tunika, setzte sich auf und war überzeugt, aus reiner Verlegenheit sterben zu müssen.
Kitai, der ihre Nacktheit nichts auszumachen schien, blieb noch einen Moment träge im Gras liegen und seufzte bedauernd, ehe sie sich ebenfalls aufsetzte. »Hallo, Enna.«
»Guten Tag, Kitai«, erwiderte die Reiterin. Enna trug Stiefel und Hose nach aleranischer Art, so wie auch Kitai, doch darüber einen Lederharnisch, der einer Legionslorica nachempfunden war. Wie Kitai hatte sie das Haar kurzgeschoren bis auf die lange Mähne, die ihr in den Rücken wallte, doch zusätzlich hatte sie es in grellem Blau gefärbt. Die Marat, eine Veteranin des Pferdeclans, hielt beiläufig einen Reiterspeer in der Hand und grinste die beiden von oben herab an. »Meinetwegen braucht ihr nicht aufzuhören. Ist schon Zeit, dass ich mal mehr von diesem Aleraner zu sehen bekomme, für den du dich entschieden hast.«
Kitai erwiderte das Grinsen. »Pass nur auf, dass es beim Anschauen bleibt.«
Enna legte den Kopf schief und musterte Tavi mit einer Freimütigkeit, die das Unmögliche vollbrachte: Er wurde noch verlegener. »Ist er immer so rosa?«, fragte Enna. »Oder macht er das nur, um dich zu erheitern?«
»Verfluchte Krähen«, murmelte Tavi und schob seine Arme in die Tunika.
Kitai lachte schallend. »Er erheitert mich immer, Kusine.«
Enna runzelte die Stirn. »Aber er ist kein Pferd.«
»Niemand ist vollkommen«, erwiderte Kitai.
Tavi räusperte sich und ermahnte sich, dass er der Hauptmann war. »Zenturio«, sagte er mit der festen, ruhigen Stimme, mit der er Legionsangelegenheiten besprach. »Gibt es etwas zu berichten?«
Ennas Belustigung und Neugier funkelten weiter in ihren Augen, dennoch nahm sie Haltung an und salutierte, indem sie die Faust aufs Herz schlug. »Hauptmann. Ritter Cyril lässt Grüße übermitteln; er nahm an, du würdest gern wissen, dass Ehren zurückgekehrt ist.«
Tavi sah sie scharf an und holte tief Luft. Sein Herz machte gleichzeitig vor Erleichterung und vor Sorge einen Sprung. Ehren war lebend von einem gefährlichen Auftrag heimgekehrt, der ihn durch von Canim besetztes aleranisches Gebiet geführt hatte, und Tavi war froh darüber. Wenn Ehren die Reise jedoch vorzeitig abgebrochen hatte, so musste er etwas entdeckt haben, worüber er Tavi unverzüglich informieren musste. Tavi hatte mehrere dunkle Ahnungen, was wichtig genug sein könnte, dass sein Freund, der wie er auch Kursor der Krone war, ein derartiges Vorgehen wählte. Und selbst die harmloseste dieser Befürchtungen war noch immer schlimm genug.
»Kitai«, sagte Tavi leise und blickte sie an.
Das Marat-Mädchen war bereits ein paar Schritte zur Seite getreten, zog sich die Tunika über den wohlgeformten Oberkörper und band die Pferde los.
»Enna«, sagte Tavi, »reite voraus. Gib Tribun Maximus Bescheid, er soll seine vier Alae in Marschbereitschaft versetzen, und Tribun Crassus muss auch seine Ritter bereithalten.«
Enna nickte. »Ja, Hauptmann. Was soll ich dem Ersten Speer ausrichten?«
»Die Schlachtkrähen sollen sich bereithalten«, antwortete Tavi. »Darüber hinaus erst einmal nichts. Valiar Marcus weiß besser als ich, was zu tun ist.«
Inzwischen war Kitai mit den Pferden zurückgekehrt, und Tavi schwang sich auf seinen langbeinigen stämmigen Schwarzen, den er Acteon nannte. Der Hengst war ein Geschenk von Kitais Tante Hashat. Nun ja, nicht wirklich ein Geschenk, denn beim Pferdeclan betrachtete man seine Totemtiere nicht als Eigentum. Soweit Tavi verstanden hatte, wurde er der Fürsorge des Pferdes anvertraut, wann immer Geschwindigkeit gefragt war, und das Pferd wurde ihm anvertraut, was alle anderen Belange betraf. Bislang hatte diese Vereinbarung sich bezahlt gemacht.
Tavi wendete Acteon, während Kitai ihr ebenfalls aus barbarischer Zucht stammendes Tier bestieg, eine scheckige Graue, die über weitaus mehr Ausdauer verfügte als jedes aleranische Pferd, das Tavi je gesehen hatte. Enna lief hinüber zu ihrem Stichelhaarigen, welcher mit dieser Winzigkeit gezäumt war, die bei den Marat als Sattel galt, und versetzte ihn sofort in Galopp. Es hatte keinen Zweck, mit ihr Schritt halten zu wollen – kein Reiter in ganz Carna konnte es an Geschwindigkeit mit den Angehörigen des Pferdeclans der Marat aufnehmen.
Zu Kitai brauchte er kein Wort zu sagen. Die beiden waren schon so oft ausgeritten, sie waren aneinander gewöhnt, brachten ihre Pferde gleichzeitig in Gang und donnerten zurück in Richtung der Festungsanlagen, in denen die Erste Aleranische an der Elinarcus ihre Stellung bezogen hatte.
 
»Ich weiß, dass bisher keine Befehle ergangen sind«, donnerte Valiar Marcus und starrte den Stallmeister nieder. »Aber selbst, wenn sie nie erteilt werden, ist es eine gute Übung für meine Männer. Also wirst du jetzt sofort die Tiere für die Schlachtkrähen vorbereiten lassen, oder ich zeige deinem faulen Hintern mal, wie sich eine Peitsche anfühlt.«
Der Stallmeister von Aleras erster berittener Infanterie-Kohorte salutierte mürrisch, eilte davon und bellte den Stallburschen, die für die zusätzlichen Tiere zuständig waren, Befehle zu. Marcus warf dem Mann einen finsteren Blick hinterher. Man musste dem Kerl buchstäblich jedes Mal einen Tritt versetzen, um ihn zum Arbeiten zu bringen, und langsam wurde er zu alt, um so viel Kraft auf solche Narren zu verwenden. Gute Leute, so schien es, blieben weiterhin schwierig zu finden, mochte das Reich auch um sein Überleben kämpfen – seine Einheit stand der größten Bedrohung der letzten vier Jahrhunderte gegenüber.
Marcus ging durchs Lager der Ersten Aleranischen, dessen Zelte sich in schnurgeraden Reihen innerhalb der schützenden Mauern erstreckten. Die Stadt breitete sich an beiden Seiten der Elinarcus aus, der riesigen Brücke, die sich über den gewaltigen Tiber spannte. Er blieb bei einigen der ranghöheren Zenturionen stehen und informierte sie darüber, dass bei den Offizieren etwas im Schwange war. Manchmal folgte dann der Befehl, die Legionares in Alarmbereitschaft zu versetzen und warten zu lassen, manchmal auch nicht; dennoch war es besser, die Zenturionen wirkten vorbereitet, egal wie plötzlich oder dringend Maßnahmen ergriffen werden mussten.
Er ging weiter durch die Stadt. In den vergangenen zwei Jahren, seit die Erste Aleranische hier ihren Stützpunkt errichtet hatte, war sie enorm gewachsen. Die Südhälfte hatte man vom Pflasterstein an neu errichtet und zu einer Festung ausgebaut, die zwei heftigen Angriffen der Canim-Krieger und wahren Fluten von Canim-Plünderern widerstanden hatte, ehe der Hauptmann das Heft an sich gerissen und den Krieg zu den Canim gebracht hatte, und zwar mit solcher Wucht, dass sie sich seitdem lieber von der Elinarcus fernhielten. In den Straßen drängten sich die Flüchtlinge aus den besetzten Gebieten des Südens, und auf den Marktplätzen stiegen die Preise für Lebensmittel ins Unermessliche – es gab einfach nicht genug in der Umgebung, und der Bedarf trieb die Preise noch zusätzlich in die Höhe.
Marcus marschierte durch das Gedränge, ohne den Schritt zu verlangsamen. Niemand stellte sich ihm in den Weg. Obwohl er kein großer Mann war und auch nicht eindrucksvoller aussah als jeder andere Legionare, schien die Menschenmenge seine Zielstrebigkeit und Entschlossenheit zu spüren. Man wich ihm einfach aus.
Marcus erreichte das Kommandogebäude in genau dem Augenblick, als auf dem Pflasterstein rhythmischer Hufschlag ertönte. Ein halbes Dutzend Angehöriger des Ersten Aleranischen Marat-Auxiliars ritt die Straße entlang und machte den Weg frei für den Hauptmann und die Botschafterin der Marat, die von ihrem frühen Tagesausritt heimkehrten. Sechs weitere Reiter bildeten die Nachhut. Seit diese tödlichen Canim-Meuchelmörder, die unter dem Namen Jäger bekannt waren, ihr Glück bei dem Hauptmann und seiner Frau versucht hatten, ließ man den jungen Mann nicht mehr ohne Wache ausreiten.
Marcus runzelte die Stirn. Der Singulare des Hauptmanns, sein persönlicher Leibwächter, der sich sonst kaum ein paar Schritte von ihm entfernte, war noch immer nicht ins Lager zurückgekehrt. Es gab weder eine Erklärung für den Grund der Abwesenheit des Mannes noch Angaben über seinen Aufenthaltsort. Marcus hatte allerdings keine Möglichkeit, den Hauptmann diesbezüglich zu befragen. Als Erster Speer und oberster Zenturio der Legion verfügte er im Vergleich zu allen anderen Fußsoldaten über den besten Zugang zu den Offiziersrängen, doch selbst seine verhältnismäßig große Befehlsgewalt hatte Grenzen, die er nicht zu überschreiten wagte.
Denn dann würde manch einer gefährliche Fragen stellen.
Marcus schüttelte den unangenehmen Gedanken ab, der ihn stets schaudern ließ, wann immer er ihm den nötigen Platz einräumte.
»Marcus«, sagte der Hauptmann. Die beiden salutierten knapp. »Was hast du gehört?«
»Bin gerade erst hier angekommen, Hauptmann«, erwiderte Marcus.
Der Hauptmann nickte. »Ich habe Befehle entsandt, das Auxiliar zum Aufbruch vorzubereiten, und auch die Schlachtkrähen.«
»So gut wie erledigt, Hauptmann«, erwiderte Marcus.
»Guter Mann!« Der Hauptmann schenkte Marcus ein breites Grinsen, in dem man erschreckend genau den Jungen entdecken konnte, der noch in dem Mann steckte. In den vergangenen zwei Jahren hatte selbst Marcus gelegentlich vergessen, wie jung der Hauptmann noch war. Mit seinem Auftreten, seinem Mut und seiner Klugheit hatte er die inzwischen erfahrenere Legion durch einen brutalen Stellungskrieg gegen einen gnadenlosen Feind geführt, und er hatte an vorderster Front gekämpft und der Gefahr Seite an Seite mit seinen Männern ins Auge geblickt. Das erklärte seine allgemeine Beliebtheit. Der junge Hauptmann füllte den Mantel des Anführers mit solcher Natürlichkeit und solchem Können aus, als wäre er dazu geboren worden.
Was Marcus nicht überraschte, denn tatsächlich war er dafür geboren worden.
Ihm drehte sich der Magen um.
Es war leichter, ihn sich als Hauptmann vorzustellen. Was immer der junge Mann sonst noch sein mochte, jetzt im Augenblick war er der Hauptmann – und ein Befehlshaber, der Marcus’ Treue verdient hatte. Der seinen Respekt verdient hatte.
Der deine Ehrlichkeit verdient hat, flüsterte eine gehässige Stimme in seinem Herzen.
»Komm«, sagte der Hauptmann und richtete Blick und Gedanken auf das Kommandogebäude. »Wenn Ehren so früh wieder zurück ist, dann hat er uns bestimmt etwas mitzuteilen, das keinen Aufschub duldet. Hören wir uns die Neuigkeiten an.«
Valiar Marcus, dessen wahrer Name nicht Valiar Marcus lautete, folgte Hauptmann Rufus Scipio, dessen wahrer Name nicht Rufus Scipio lautete, in das aus Stein errichtete Kommandogebäude, und plötzlich überfiel ihn der untrügliche Verdacht, dass die Tage, in denen er vorgeben konnte, ein anderer zu sein, gezählt waren.
 
Wehrhöferin Isana aus dem Calderon-Tal verzog das Gesicht, als der Wagen durch ein Schlagloch in der Straße rumpelte und sie eine Zahl in der langen Reihe verschmierte, die sie auf ihrem Schoßpult niederschrieb. Sie nahm sich einen Moment Zeit, um durchzuatmen und sich zu beruhigen, und erinnerte sich daran, dass ihre Gereiztheit eine Folge der langen Wochen Arbeit und Reise war und nichts mit der Ungeschicklichkeit von Wagenbauern, Lenkern, Zugtieren oder den Baumeistern zu tun hatte, die einst die Straße angelegt hatten.
Sie griff nach einem frischen Blatt Papier, doch die Holzkiste war leer. »Myra«, rief sie der Tochter des Fahrers zu. »Hast du noch Papier?«
»Ja, Herrin«, antwortete das Mädchen. Der Wagen ächzte, als sich jemand oben auf dem Bock bewegte, dann wurde der Vorhang nach hinten aufgezogen, und ein dürres gekraustes Ding von einem Mädchen erschien und hielt ihr einen frischen Bogen entgegen.
»Ach, du bist ein Schatz, Kind«, sagte Isana und nahm das Papier.
»Immer doch, Herrin«, erwiderte Myra strahlend. »Hast du gewusst, dass wir jetzt im Flüchtlingsgebiet sind? Die Wache hat mir und Papa den Ort gezeigt, wo es eine Scharmütze mit den Canim gleich neben der Straße gegeben hat.«
»Scharmützel, Liebes«, berichtigte Isana sie. »Ich weiß, es hat Kämpfe auf beiden Seiten des Flusses gegeben.«
Myra nickte. Ihre dunklen Augen funkelten, und ihr junges Gesicht war ernst. »Diese Karawane ist sehr wichtig, nicht wahr, Herrin?«
Isana begann, die verwischte Seite neu zu schreiben. Der Eifer, den sie bei dem Mädchen spürte, wurde von einem Gefühl langsam wachsender Sorge ausgehöhlt, eine Emotion, die Isana so deutlich wahrnahm wie ihre eigene erschöpfte Ungeduld. Das hatte sie der fortwährenden Anwesenheit ihres Wasserelementars Bächlein zu verdanken. »Ja, das stimmt«, sagte sie fest und ruhig, um das Mädchen zu ermutigen. »Deshalb werden wir auch so gut bewacht. Die Vorräte und der Nachschub, den wir den Flüchtlingen bringen, sollen ihnen durch den nächsten Winter helfen.«
»Und ohne uns würden sie verhungern«, stellte Myra fest. »Wir helfen ihnen.«
»Richtig«, sagte Isana.
»Und die Karawane ist nur wegen dir hier!«, fügte das Mädchen hinzu.
Das war eine bemerkenswerte Vereinfachung, aber leider hatte es nur wenig Sinn, der Tochter des Wagenlenkers die Angelegenheit erklären zu wollen. »Der Nachschub und das Geld stammen von vielen wichtigen und großzügigen Cives«, erwiderte sie. »Von den Anführerinnen der Dianischen Liga. Ich habe nur die Durchführung übernommen.«
Myra runzelte die Stirn. »Aber Papa sagt, ohne dich hätten die alten Weiber gar nichts gemacht!«
Zum Teil entsprach das durchaus der Wahrheit, obwohl sie Fürstin Placida nicht gern als altes Weib bezeichnete. Allerdings war es Isana gelungen, die Berühmtheit, die sie als Fürstin Aquitanias Vorzeigeobjekt in der Dianischen Liga erlangt hatte, in etwas weitaus Nützlicheres umzumünzen als in die alleinige Befriedigung der Machtgelüste ihrer Patrona. Fürstin Aquitania war nicht begeistert davon, wie Isana ihren persönlichen Einfluss ausnutzte, und hatte versucht, Isanas Hilfevorhaben zu unterlaufen, doch ein offenes Vorgehen hätte viele Mitglieder der Liga gegen sie aufgebracht – was der Fürstin durchaus bewusst war. Und so hatte Isana bei ihren letzten Begegnungen mit der Fürstin stets eine gewisse Gereiztheit gespürt, die allein schon beinahe Grund genug gewesen wäre, die endlosen Stunden Arbeit auf sich zu nehmen, um für Unterstützung zu werben und die Kolonne aufzustellen. Obwohl … wenn sie ehrlich mit sich war, so bedeutete der kleine Sieg nichts im Vergleich mit dem Elend und Leid, das durch die Karawane gelindert werden konnte.
Isana half. Sie tat etwas Gutes, auf das sie stolz sein konnte – etwas, auf das Septimus stolz gewesen wäre.
Sie musste sich ein Lächeln verkneifen und gleichzeitig die Tränen unterdrücken. »Alle wollen den Flüchtlingen helfen, Kind. Sie brauchen nur jemanden, der ihnen zeigt, wie.«
Myra kaute auf einem Fingernagel und blickte sie unverwandt an. »Papa sagt, du bist wichtig.«
Isana lächelte die Kleine an. »Jeder ist wichtig.«
»Myra«, rief der Fahrer von vorn. »Komm jetzt, stör die Wehrhöferin nicht bei der Arbeit.«
»Bin schon da, Papa«, antwortete das Mädchen. Sie schenkte Isana noch ein Lächeln und krabbelte dann wieder nach vorn zum Bock.
Isana machte sich erneut an die Arbeit am Bestandsverzeichnis und schaute nicht mehr davon auf, bis die Karawane für die Mittagsrast anhielt. Während die Fahrer und Maultiertreiber ihre Mahlzeit zu sich nahmen, arbeitete sie weiter. Schließlich war sie ja nicht den ganzen Morgen auf den Beinen gewesen oder hatte sich um die Ladung gekümmert.
Einer der berittenen Karawanenwächter rief jemanden an, und Isana zuckte zusammen. Die Karawane beförderte zwar nicht viel Geld, aber doch eine beträchtliche Menge Waren von Wert. Als Beute für Räuber war die Ladung zu groß, doch bestand immerhin die Möglichkeit, dass sich die Canim Nachschub und Vorräte für ihre zweifellos hungrigen Soldaten holen würden.
Es entstand jedoch kein Aufruhr, und Isana entspannte sich und führte ihre Bestandslisten weiter, bis der trabende Hufschlag eines Pferdes bei ihrem Wagen hielt.
Isana blickte auf, runzelte leicht die Stirn und widmete sich der Verbindung mit Bächlein – und sprang plötzlich von ihrem Platz auf, verschüttete Tinte auf dem Papier und scherte sich nicht darum. Ihr Herz klopfte wie das eines jungen Mädchens und nicht wie das einer Frau ihres Alters, ihres Ranges und ihrer Stellung, und sie erwischte sich dabei, dass sie sich das Haar zurechtzupfte und das Kleid glatt strich. Dann starrte sie angewidert auf ihre tintenverschmierten Finger. Vermutlich hatte sie die Flecken überall verteilt, möglicherweise sogar auf ihrem Gesicht. Die Röte stieg ihr ins Gesicht.
Vor dem Wagen sprang jemand auf den Boden, und das Pferd trippelte. Es klopfte an der Seitenwand.
Isana kam sich ein wenig lächerlich vor, teilte die Vorhänge mit einer Hand und stieg aus dem Wagen in die Mittagssonne. Es war einer der ersten Frühlingstage im Amaranth-Tal.
Ein Mann von durchschnittlicher Größe erwartete sie. Das dunkle Haar hatte er entsprechend den Vorschriften der Legion kurzgeschoren, und seine schlichte Rüstung zeigte starke Gebrauchsspuren. Die eine Hälfte seines kräftig geschnittenen Gesichtes war schön anzusehen, die andere von entsetzlichen Brandwunden verunstaltet, die sich um das Legionsbrandzeichen für Feigheit auf der Wange zogen. Er trug ein schlichtes Schwert an der Seite und den scharlachroten kurzen Umhang eines Singulare der Legion.
Isanas Herz schlug nochmals schneller, und sie lächelte ihn an. »Araris.«
Sein Mund verzog sich zu einem kurzen Lächeln, was selten bei ihm vorkam, und seine Augen leuchteten. Die Wärme seiner Emotionen überflutete Isana, und sie fühlte sich, als würde sie über dem Boden schweben. Seine Freude und seine Aufregung über ihre Begegnung konnte sie spüren, seine Zuneigung und ein gewisses, schwach beherrschtes Verlangen nach ihr, das ihr abermals die Röte ins Gesicht trieb.
»Isana«, sagte er leise. Sie reichte ihm die Hand. Er ergriff sie, beugte sich vor und berührte mit den Lippen kurz den Rücken ihrer Finger. Sie spürte seinen warmen Atem, der sich zärtlich bis zu ihrem Unterarm ausbreitete und alle Fasern ihres Körpers tanzen ließ.
Er richtete sich auf, seine Augen funkelten, und seine Finger schlossen sich sanft um ihre. »Du …« Fältchen bildeten sich in seinen Augenwinkeln. »… siehst tintig aus.«
Isana legte den Kopf in den Nacken und lachte.
»Und wunderschön«, sagte er. »Ich habe dich vermisst.«
»Ich dich auch«, antwortete sie und legte ihre Hand auf seine. »Warum bist du hier? Wir sollten in zwei Tagen an der Elinarcus eintreffen.«
Das Lächeln verschwand. »Ich habe Nachrichten. Können wir hier sprechen?«
Isana blickte sich um. Die Fuhrleute und ihre Mannschaften saßen zusammen bei einem einfachen Mittagsmahl am Wagen des Kochs. In ihrer Nähe hielt sich niemand auf. »Ich glaube schon.«
Araris nickte. »Ich wurde geschickt, um dich zu warnen und um dich daran zu erinnern, dass du, obwohl du eine Blutsverwandte von Tavi bist, nie zuvor Rufus Scipio begegnet bist. Du darfst auf gar keinen Fall seinen wahren Namen verraten.«
»Natürlich.« Isana seufzte. »Noch bin ich nicht vergreist. Was sonst?«
Araris sah sie einen Moment lang unverwandt an. Dann sagte er: »In seiner Kindheit hast du zu Recht die Entscheidungen für ihn getroffen.« Er beugte sich vor, packte ihre Hand fester und verlieh seinen Worten so einen sanften Nachdruck. »Seine Kindheit ist aber lange vorüber.«
Isana spürte, wie sie die Schultern anspannte. »Was meinst du damit?«
»Ich meine«, sagte er, weiterhin sanft, »dass er ein Recht hat, es zu erfahren, Isana. Er hat ein Recht auf die Wahrheit. Er hat das Recht, seine eigenen Entscheidungen zu treffen.«
Isana hob das Kinn, eine Gewohnheit seit zwei Jahrzehnten, wenn Sorge und Vorsicht sich blitzartig in Wut verwandelten. »Ach? Und wer bist du, dass du die Entscheidung darüber treffen darfst?«
Araris zuckte nicht mit der Wimper. »Sein Singulare, Isana. Sein Leibwächter und Protektor. Ich wache über sein Wohlergehen und beschütze sein Leben und seine Freiheit, indem ich mein eigenes Leben einsetze, wenn es sein muss. Meiner Meinung nach könnte sich seine Unwissenheit als lebensgefährlich für ihn erweisen.«
Isana biss sich auf die Unterlippe und senkte den Blick, da sie Araris nicht in die ruhigen, unbeirrten Augen blicken konnte, in denen sie weiterhin Liebe sah, Sorge, Respekt und absolute Ehrlichkeit.
Er legte ihr die Fingerspitzen unter das Kinn und hob ihren Kopf. »Isana«, sagte er. »Er ist dein Sohn. Es ist deine Aufgabe, es ihm zu erklären. Er sollte es aus deinem Munde hören.« Araris schüttelte den Kopf. »Aber wenn du es nicht kannst – oder willst -, werde ich es tun.«
Isana zuckte bei diesen Worten zusammen, oder vielleicht auch wegen seines ruhigen Tons. »Ist es wirklich so weit gekommen?«
»Ja.«
Die schlichte Antwort ließ keinen Raum für Zweifel. Erneut biss sich Isana auf die Unterlippe. »Er … Wird er es denn verstehen? Warum ich es tun musste? Ihn belügen …« Sie schüttelte den Kopf. »Er ist so schnell erwachsen geworden, Araris.«
»Er wird es verstehen«, antwortete er rasch. »Oder auch nicht. So oder so: Er hat ein Anrecht darauf, es zu erfahren.«

1

»Mein Hintern tut weh«, sagte Antillar Maximus, Tribun Auxiliarus der Ersten Aleranischen Legion.
»Mein Hintern tut weh, Hauptmann«, berichtigte Tavi ihn.
»Himmel nochmal!«
Tavi schnaubte. Er lag auf dem Bauch und spähte unablässig durch das gelbbraune Wintergras des Hügels ins Tal vor ihnen hinab. »Stell dir nur vor, du wärst hierher marschiert und nicht geritten.«
»Nein danke, Hauptmann«, erwiderte Max. »Ich bin vollauf damit beschäftigt, mir vorzustellen, ich wäre noch einige Semester an der Akademie geblieben und hätte mein Erdwirken an reichen, wunderschönen Mädchen aus der Civitas geübt, Hauptmann, anstatt herumzureiten und mich darauf vorzubereiten, in den Kampf gegen große, gruselige Ungeheuer zu ziehen.«
Die beiden lagen geduckt da, und Max sprach im Flüsterton, hörte jedoch nicht auf zu reden. Solange sie nicht gerade aufstanden und sich der feindlichen Streitmacht, die unten durch das Tal zog, mit ihren Schemen zeigten, befanden sie sich weit genug oben, um nicht bemerkt zu werden.
Wahrscheinlich.
»Ich würde sagen, viertausend«, murmelte Tavi einen Moment später. »Und du?«
»Viertausendzweihundert«, gab Max prompt zurück. Auch wenn er jammerte, war der große Antillaner ein ebenso gut ausgebildeter Beobachter wie Tavi. Eigentlich vertraute Tavi sogar der Schätzung seines Freundes mehr als seiner eigenen.
Er runzelte die Stirn und dachte nach. »Nehmen wir an, eine Kohorte als Wache fürs Lager …«
»… und eine weitere, die während des Marsches nach vorn und hinten kundschaftet«, führte Max den Gedanken weiter.
»Verfluchte Krähen«, seufzte Tavi. »Eine ganze Legion.«
Max gab einen Laut grimmiger Zustimmung von sich. »So sieht es aus.«
Tavi spürte, wie ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief.
Im Tal unten marschierte eine Armee Canim durch das trockene Gras. Die wolfsköpfigen Krieger bewegten sich zielstrebig, und etwa dreitausend Mann hatten sich in lockerer hufeisenförmiger Anordnung um einen Kern schwer gepanzerter Soldaten gruppiert, die in geordneten Reihen dahinzogen. Dreitausend Plünderer, die eine neue Stellung einnehmen, hätten Tavi nicht zu einem Angriff veranlasst. Bei den Plünderern handelte es sich um zwangsweise einberufene Canim mit wenig militärischer Disziplin, und eine Gefahr stellten sie vor allem durch ihre enorme Größe und Stärke dar. Der durchschnittliche Cane war zwischen sieben und acht Fuß groß, und zwar in seiner gewöhnlichen Haltung, halb geduckt. Aufgerichtet musste man noch einen Fuß hinzuzählen, und die Schnelligkeit und Kraft, die in diesen schlanken Körpern steckte, war erschreckend.
Noch immer hielten die Canim große Teile der Gebiete um die Städte Ceres und Kalare besetzt, und daher konnten sie es sich leisten, auf dreitausend Mann ihres Abschaums zu verzichten. Der disziplinierte Kern der Truppen dagegen, die Mitglieder der elitären Canim-Kriegerkaste, hätte Tavi sofort aus den Mauern gelockt.
Tausend dieser harten, disziplinierten und überaus gefährlichen Soldaten bildeten ein Zehntel der gesamten schweren Infanterie der Canim. Bei den Zusammenstößen mit den Canim hatte die Erste Aleranische verhältnismäßig wenige dieser Krieger töten können. Die größten Verluste hatten die Plünderer hinnehmen müssen. Nasaug, der Anführer, setzte seine besten Truppen nun in verheerenden, gut geplanten Angriffen ein, und den Großteil der aleranischen Verluste hatten die Angehörigen der Kriegerkaste verursacht.
Ehrens Bericht, demzufolge nun tausend Krieger auf dem Marsch waren, gab ihnen die Gelegenheit, Nasaugs Armee ernsthaften Schaden zuzufügen. Tausend waren nicht zu viele, um unbesiegbar zu sein, aber der Feind würde den Verlust dennoch deutlich spüren. Als Tavi gehört hatte, durch welches Gebiet sie zogen, hatte er sofort seine beweglichsten und gefährlichsten Einheiten ausgeschickt.
Die Canim-Krieger marschierten auf eine tödliche Falle zu.
Dieses Tal hatte bemerkenswert steile Wände, und das Netz kleiner Bäche, das es durchzog, brachte genug Wasser, damit hier hohes Gras wachsen konnte – obwohl es noch nicht das üppige grüne Meer war, das es in einigen Wochen sein würde. Im Augenblick stellte es eine zehn Meilen lange und eine Meile breite Mulde dar, die mit Zunder und tausend von Nasaugs besten Männern gefüllt war.
Die Ritter Ignus der Ersten Aleranischen hatten bereits ihre Stellungen eingenommen, eskortiert von den weitaus zahlreicheren Ritter Aeris. Auf Tavis Signal hin würden die Ritter Ignus das Tal in Brand setzen, während die Ritter Aeris mit ihren Elementaren Winde entfachten, die wie aus dem Nichts einen Feuersturm über den Feind hinwegblasen konnten. Die Schlachtkrähen standen am vorderen Ende des Tales bereit, um den einzigen Ausgang nach vorn zu versperren, während sich Max’ Reiterei am hinteren Ende postiert hatte und alle Canim niedermachen würde, die ihr Heil im Rückzug suchten.
Und deshalb war diese zweite Legion, die neben den Canim marschierte, ein Problem.
Es handelte sich um Aleraner.
Mehr als viertausend Aleraner in voller Legionsausstattung, die neben dem gefährlichsten Feind in der Geschichte des Reiches marschierten, unter Bannern, die zu keiner der großen Städte von Alera gehörten. Schlimmer noch, sie bewegten sich in anständiger Marschordnung. Vor zwei Jahren hätte Tavi nicht begriffen, wie schwierig diese scheinbar schlichten Manöver tatsächlich waren. Die Durchführung solch einheitlicher Bewegungen erforderte große Disziplin, und es deutete auf eine beunruhigende Tüchtigkeit derjenigen hin, die diese Truppe ausbildeten.
»Machst du mir eine Linse, bitte«, bat Tavi leise.
Der große Antillaner erhob sich ein bisschen, beugte sich über Tavi und hielt die Hände mit gespreizten Fingern vor das Gesicht seines Freundes. Die Luft zwischen den Handflächen verschwamm, und plötzlich schien die Streitmacht unten um hunderte Schritt näher gerückt zu sein, als Max’ Elementare die Luft krümmten und so Tavi einen vergrößerten Blick boten.
»Das sind keine kalarischen Banner«, murmelte Tavi kurz darauf.
Max knurrte skeptisch. »Vielleicht möchte Kalare diese Truppen nicht öffentlich mit sich in Verbindung bringen.«
»Er hat schon seine Nachbarn ohne Vorwarnung überfallen, hat Familienangehörige der anderen Hohen Fürsten entführt und Dutzende Cives von seinen Wahnsinnigen ermorden lassen«, hielt Tavi dagegen. »Glaubst du wirklich, da spielt es für ihn noch eine Rolle, ob irgendwer eine Verbindung zwischen den Canim und ihm herstellt?«
»Wenn du es so ausdrückst«, meinte Max. »Nein.«
Tavi schnaubte leise. »Schau dir mal ihre Ausrüstung an.«
Max bewegte die Hände und hielt sie vor sein eigenes Gesicht. Einen Moment später meldete er: »Sie ist alt. Ich finde, die Sachen sehen gut aus, aber Panzer dieser Machart werden bei uns seit Jahren nicht mehr benutzt. Außerdem fehlen viele Stücke. Beinschienen passen nicht zusammen, die Speere haben eine ungewöhnliche Länge und so weiter«, flüsterte Max. »Und solche Banner habe ich auch noch nie gesehen. Braun und grün? Wessen Farben sollen denn Braun und Grün sein? Banner sollen doch gut sichtbar sein. Das ist schließlich ihr Sinn.«
»Genau«, antwortete Tavi und beobachtete den Fortschritt der feindlichen Kolonne.
»Sie haben fast den Punkt erreicht«, sagte Max und senkte die Hände. »Sobald die Vordersten am alten Bachbett sind, können sie sich nicht mehr rechtzeitig zurückziehen.«
»Ich sehe es«, meinte Tavi.
Max schwieg eine Minute. Tavi beobachtete die disziplinierte und doch nur teilweise ausgerüstete Legion, die weiterhin neben den weitaus größeren Canim marschierte.
»Hauptmann«, meldete Max, »jetzt haben sie den Punkt erreicht. Es ist Zeit für das Signal an Crassus, Hauptmann.«
»Das ergibt doch keinen Sinn, Max«, sagte Tavi. »Es muss eine Legion von Freiwilligen aus den besetzten Gebieten sein. Wer sonst würde für die Eindringlinge kämpfen?«
»Wer weiß das schon? Vielleicht hat Nasaug sie gezwungen. Hat ihre Familien als Geiseln genommen oder so.«
»Nein«, beharrte Tavi. »Nasaug ist dafür zu schlau. Man nimmt einem Mann nicht Heim und Familie und verlangt Dienst und Gehorsam und gibt ihm eine Waffe in die Hand und viertausend Freunde, die genauso wütend und gut bewaffnet sind.«
»Hauptmann«, meinte Max, »jede weitere Verzögerung führt dazu, dass größere Teile der Canim-Vorhut die Schlachtkrähen vorn im Tal unter Druck setzen können.«
»Warum?«, fragte Tavi, an niemanden im Besonderen gerichtet. »Warum sind die da unten?«
Max’ Stimme wurde ein wenig schrill. »Hauptmann, die Frage ist momentan nicht zu beantworten. Soll ich den Angriffsbefehl erteilen?«
Tavi starrte ins Tal hinab. Gegen die Canim zu kämpfen war eine Sache. Das machte er bereits seit einer Weile. Er respektierte sie durchaus und bedauerte, dass es notwendig war, sie zu töten, aber sie ließen ihm keine andere Wahl. Es herrschte Krieg. Wenn die Aleraner nicht die Canim töteten, würden die Canim eben die Aleraner töten, so einfach war das.
Nur war diese Legion mit der zusammengestückelten Ausrüstung da unten nicht von den Canim aufgestellt worden. Es waren Aleraner. Es waren Menschen, und Tavi hatte geschworen, Menschen zu beschützen.
Und trotzdem waren sie auch Feinde. In den vergangenen zwei Jahren hatte er eins gelernt: Gleichgültig wie erfahren die Armee oder wie begabt der Kommandant war, das Wesen des Kriegs hatte eine unveränderliche Konstante: den Tod.
Über viertausend Aleraner würden sterben, und zwar auf entsetzlichste Weise, dabei hätten sie überhaupt nicht hier sein sollen. Tavi konnte es sich nicht leisten, ein so verlockendes Ziel wie die verwundbare Kolonne der Canim-Krieger vorbeiziehen zu lassen, selbst wenn er dafür die fremde Legion vernichten musste.
Ihm war klar, was seine Pflicht war.
Viertausend Aleraner. Er war im Begriff, viertausend Aleraner zu töten.
»Verfluchte Krähen«, flüsterte er.
Tavi kämpfte gegen den plötzlichen Drang an, sich zu übergeben, als er die Hand hob und das Zeichen gab, das dann entlang der Signalkette weitergereicht werden würde und den Befehl zum Angriff erteilte.
Aber bevor er den Arm weit genug gehoben hatte, spürte Tavi ein eigenartiges, schwaches Gefühl von Schock und Überraschung, ohne die Herkunft zu begreifen. Einen Moment lang wunderte er sich, ehe er begriff, dass es nicht seine eigenen Gefühle gewesen waren. Er hatte sie zwar schwach empfunden, doch sie stammten aus einer anderen Quelle in der Nähe, und Tavi drehte voller Panik den Kopf.
Der feindliche Kundschafter trug lockere, einfache Kleidung, die mit Flecken aus Erde und Pflanzensäften überzogen war. Er war ein kantiger Kerl, nicht groß, doch hatte er grotesk breite Schultern und einen Nacken, der tatsächlich dicker war als sein Kopf. Im Gegensatz zu seiner schmutzigen Erscheinung trug er die gewohnten Stiefel eines Legionare, und obwohl sein alter Schwertgurt aus Leder glänzte, weil er so abgewetzt war, steckte ein echter Gladius in der Scheide. An dem kurzen, kräftigen Jagdbogen in seinen Händen hingegen wirkte nichts alt oder schäbig. Er war nur wenige Schritte entfernt von der Kante aus dem hohen Gras und Buschwerk getreten.
Tavi brachte die Beine unter sich, riss sein Messer aus dem Gürtel und schleuderte die schwere Klinge dem Fremden noch aus der gleichen Bewegung entgegen. Er hatte keine Zeit, das Messer erst richtig zu fassen, die beste Haltung einzunehmen oder auch nur anständig zu zielen. Das Messer trudelte durch die Luft, und Tavi sah sofort, dass es, selbst wenn es den Oberarm mit der Spitze und nicht mit der flachen Seite getroffen hätte, höchstens einen Kratzer hervorgerufen hätte.
Doch das war auch nicht der Sinn des Wurfes. Der Kundschafter ließ unwillkürlich den Pfeil fliegen, den er aufgelegt hatte, und wich gleichzeitig dem Messer aus. Der Pfeil ging weit daneben.
Tavi sprang seinem Messer hinterher, senkte den Kopf und rammte dem Kundschafter die gepanzerte Schulter in den Bauch. Die Wucht verzerrte seine Schulter und seinen Hals, und der Kundschafter gab einen ekligen Laut von sich, als er zu Boden ging. Tavi warf sich auf ihn, packte ihn mit beiden Händen an der schlichten Tunika und ließ seine behelmte Stirn in das Gesicht des Gegners krachen. Durch den Stahl spürte Tavi den Hieb, und er hörte, wie die Nase des Kundschafters mit einem Knacken brach.
Der Mann reagierte, indem er eine eisenstarke Hand hob und damit Tavis Hals umklammerte. Tavi spürte die elementargestützte Kraft des Gegners und wusste, wenn ihm nicht sofort etwas einfiele, würde der Erdwirker ihm das Genick brechen.
Tavi riss sein gepanzertes Knie heftig zwischen die Beine des Kundschafters hoch, und für einen kurzen Moment lockerte sich der tödliche Griff. Tavi schlug dem Mann erneut den Helm ins Gesicht, und nun sackte er schlaff zu Boden.
Der gesamte Kampf hatte nur ungefähr drei oder vier Sekunden gedauert.
Tavi ließ von dem Mann ab; seine Kehle brannte wie Feuer. Es fiel ihm schwer zu atmen, und einen Moment lang befürchtete er schon, der Kundschafter habe ihm den Kehlkopf zerquetscht, doch einige Sekunden später konnte er wieder Luft holen.
Max hatte sein Schwert gezogen und war schon auf dem Weg, doch Tavi war schneller gewesen. Der große Antillaner war ganz blass. »Verfluchte Krähen«, zischte er. »Hauptmann?«
»Mir geht es gut«, würgte Tavi hervor. »Haben die was bemerkt? Oder etwas gehört?«
Max erhob sich ein wenig, blickte sich um und duckte sich wieder. »Da hätten sie inzwischen Alarm geschlagen.« Er blickte Tavi in die Augen. »Hauptmann. Du musst sofort das Signal zum Angriff geben.«
Tavi starrte den bewusstlosen jungen Mann an, der schlaff im Gras lag. Er griff sich an den Rand seines Helms, und seine Finger wurden blutig.
»Ich weiß«, sagte Max leise und hart. »Ich weiß, du magst das Töten nicht. Ich weiß, sie gehören zu unserem Volk. Ich weiß, wie schrecklich es ist. Aber so ist nun einmal der Krieg, Hauptmann. Du musst den Befehl zum Angriff geben.«
»Gib Crassus das Signal«, sagte Tavi leise.
Max atmete erleichtert auf und wollte sich erheben.
»Sie sollen nicht angreifen. Sie sollen sich zum Sammelpunkt zurückziehen, dort treffen wir uns.«
Max starrte Tavi mit großen Augen an.
Tavi fuhr fort, während er die blutige Hand am trockenen Gras abwischte. »Auch die Schlachtkrähen sollen ihre Stellung verlassen und sich zurückziehen.«
Max schwieg einen Moment lang. »Hauptmann«, sagte er. »Eine solche Gelegenheit bekommen wir nie wieder.«
Tavi kniff die Augen zusammen und sah seinen Freund an. »Wir verschwinden hier, Tribun. Du hast deine Befehle.«
»Ja, Hauptmann«, sagte Max sofort und sehr leise. Dann schritt er durch das Gras davon zu einer Stelle, von der aus er Handzeichen geben würde, die entlang der Reihe von Reitern weitergegeben wurden.
Einen Moment später kehrte er zurück und schaute zu, wie die feindlichen Truppen unten das Gebiet verließen, in dem der Hinterhalt hätte stattfinden sollen. »Verfluchte Krähen, Calderon. Warum?«
»Warum wir nicht viertausend Angehörige unseres eigenen Volkes verbrennen?«, fragte Tavi. Er deutete auf den bewusstlosen Kundschafter. »Schau ihn dir an, Max. Was siehst du?«
Max betrachtete den Mann einen Moment lang, ehe er die Stirn runzelte, sich vorbeugte und die Tunika des Mannes ein wenig zur Seite zog. »Die Muskeln wirken schief und unförmig. Er wurde lange vor ein Rad oder einen Pflug gespannt, damit die sich so entwickeln«, erwiderte er. »Und hier sind Narben von Peitschenhieben.« Seine rechte Wange zuckte, allerdings war Tavi sicher, dass es Max selbst nicht auffiel. »Sie ziehen sich über die Schultern. Und über den Bauch. Narben von einem Ring um den Hals. Er ist ein Sklave.«
»Er war ein Sklave«, entgegnete Tavi. »Jetzt trägt er keinen Ring mehr.« Er deutete auf die Armee unten. »Wir wollten wissen, was einen Aleraner dazu bringt, an der Seite der Cane zu kämpfen, Max.«
Max verzog das Gesicht. »Sie befreien die Sklaven.«
Tavi nickte langsam.
»Wie viele?«, fragte Max. »Wie viele haben sie wohl?«
»Können nicht so viele sein«, meinte Tavi. »Sie haben nicht genug Ausrüstung, wenn man von diesem Mann hier ausgeht. Falls sie tatsächlich eine große Anzahl ausheben würden, hätten Ehrens Spione davon gehört. Was durchaus Sinn ergibt.«
»Inwiefern?«, wollte Max wissen.
Tavi deutete mit dem Kopf auf die Sklavenlegion unten. »Diese Männer wissen, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hat, wenn sie verlieren, Max. Manchen Sklaven geht es sehr übel, doch den meisten nicht. Meiner Schätzung nach dürften die Sklaven, die zum Kampfbereit sind, deutlich in der Minderzahl sein gegenüber jenen, die sich eher ducken und abwarten, bis die Schlacht vorüber ist.«
»Aber die da unten werden kämpfen, als wären die Krähen hinter ihnen her«, meinte Max grimmig.
»Eben«, gab Tavi zurück.
Max schwieg kurz, ehe er sagte: »Umso mehr ein Grund, den Angriff zu befehlen. Ich weiß, warum du es nicht getan hast. Bei den großen Elementaren, natürlich stimme ich grundsätzlich mit dir überein. Aber jetzt werden eine Menge von unseren Männern sterben müssen, wenn wir sie aufhalten wollen. Das hättest du ohne Verluste erledigen können. Der Preis ist zu hoch.«
»Der Preis ist nicht so hoch, wie eine Legion aus Märtyrern zu erschaffen«, hielt Tavi dagegen. »Wenn ich recht habe, dann haben bislang viertausend Sklaven zu den Waffen gegriffen. Wenn wir sie ausgelöscht hätten, Max, wäre jedem Sklaven in den besetzten Gebieten klar gewesen, dass sich Alera keinen Deut um ihr Leben schert. Nasaug hätte dann nicht viertausend Soldaten, die zum Kampf bereit sind, sondern vierzigtausend verängstigte, wütende Freiwillige. Denk mal zurück in der Geschichte, Max. Die Canim waren so klug.« Tavi schüttelte den Kopf. »Männer kämpfen am besten, wenn es um ihr Leben geht – und erst an zweiter Stelle für ihre Freiheit.«
Max holte langsam Luft und runzelte nachdenklich die Stirn. »Eine Falle«, sagte er leise. »Sie haben uns die Krieger als Köder geboten.«
»Es könnte eine Falle gewesen sein«, meinte Tavi und nickte. »Aber Nasaug plant sein Vorgehen nicht nur in eine Richtung, wenn er verschiedene Möglichkeiten hat. Ich denke, er hat noch etwas damit vor.«
»Und zwar?«, fragte Max.
»Es ist eine Botschaft.« Tavi erhob sich und deutete mit dem Kopf auf den Kundschafter am Boden. »Komm. Wir sollten lieber verschwinden, ehe seine Freunde sein Fehlen bemerken und sich auf die Suche nach ihm machen.« Tavi bückte sich und wälzte den schlaffen Mann auf die Seite.
»Was machst du da?«
»Ich sorge dafür, dass er nicht in seinem eigenen Blut erstickt«, erklärte Tavi. »Los.«
Sie schlichen geduckt zum Versteck in einem großen Busch Immergrün zurück. »Tavi?«, fragte Max.
»Ja?«