Die dunklen Fälle des Harry Dresden - Eiskalt - Jim Butcher - E-Book

Die dunklen Fälle des Harry Dresden - Eiskalt E-Book

Jim Butcher

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wie tötet man eine Unsterbliche? Der 14. dunkle Fall des Harry Dresden.

Mein Name ist Harry Blackstone Copperfield Dresden, und meine Freunde halten mich für tot. Doch Mab, die Königin von Luft und Dunkelheit und Herrscherin des Winterhofs der Elfen, hatte mich zurück ins Leben gerissen. Offenbar brauchte sie mich als ihren Winterritter und persönlichen Killer. Ich sollte eine Unsterbliche für sie töten, und sie ließ mir kaum eine Wahl. Mab ist nicht zimperlich, schon gar nicht mit Drohungen gegen meine Freunde. Mein Opfer sollte Maeve, Mabs eigene Tochter, sein. War sie wirklich so gefährlich geworden, wie Mab behauptete? Oder war die Königin von Luft und Dunkelheit – eines der mächtigsten Wesen, die ich kenne – verrückt geworden? Ich würde es herausfinden …


Die dunklen Fälle des Harry Dresden: spannend, überraschend, mitreißend. Lassen Sie sich kein Abenteuer des besten Magiers von Chicago entgehen!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 752

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Buch

Mein Name ist Harry Blackstone Copperfield Dresden, und meine Freunde halten mich für tot. Doch Mab, die Königin von Luft und Dunkelheit und Herrscherin des Winterhofs der Elfen, hatte mich zurück ins Leben gerissen. Offenbar brauchte sie mich als ihren Winterritter und persönlichen Killer. Ich sollte eine Unsterbliche für sie töten und sie ließ mir kaum eine Wahl. Mab ist nicht zimperlich, schon gar nicht mit Drohungen gegen meine Freunde. Mein Opfer sollte Maeve, Mabs eigene Tochter, sein. War sie wirklich so gefährlich geworden, wie Mab behauptete? Oder war die Königin von Luft und Dunkelheit – eines der mächtigsten Wesen, die ich kenne – verrückt geworden? Ich würde es herausfinden …

Autor

Jim Butcher ist der Autor der Dresden Files, des Codex Alera und der Cinder-Spires-Serie. Sein Lebenslauf enthält eine lange Liste von Fähigkeiten, die vor ein paar Jahrhunderten nützlich waren – wie zum Beispiel Kampfsport –, und er spielt ziemlich schlecht Gitarre. Als begeisterter Gamer beschäftigt er sich mit Tabletop-Spielen in verschiedenen Systemen, einer Vielzahl von Videospielen auf PC und Konsole und LARPs, wann immer er Zeit dafür findet. Zurzeit lebt Jim in den Bergen außerhalb von Denver, Colorado.

Jim Butcher

EISKALT

DIE DUNKLEN FÄLLE DES HARRY DRESDEN

Roman

Deutsch von Oliver Hoffmann & Katja Giehl

Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel »Cold Days (The Dresden Files 14)« bei Penguin RoC, New York.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright der Originalausgabe © 2012 by Jim Butcher

Published by Arrangement with IMAGINARYEMPIRELLC

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2023 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Peter Thannisch

Umschlaggestaltung und -motiv: www.buerosued.de

Illustrationen: © www.buerosued.de

HK · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-31215-2

www.blanvalet.de

Für Chris Achterhof, den Autor von »Greed« (wenn er das hier gelesen hat, wird er wissen, warum) und meine alten Rollenspiel-Kumpels in der International Fantasy Gaming Society. Ihr seid alle furchtbar albern und habt die Neunziger zu einer sehr viel helleren Zeit gemacht.

1. Kapitel

Mab, die Königin der Luft und Finsternis und amtierende Monarchin des Winterhofes der Sidhe, hatte eigene Vorstellungen von Physiotherapie.

Ich erwachte umgeben von Weichheit.

Ich sollte vermutlich eher sagen, dass ich in einem weichen Bett erwachte. Aber … das vermittelt einfach nicht, wie weich dieses Bett war. Erinnern Sie sich an die alten Zeichentrickfilme, in denen die Leute auf flauschigen Wölkchen schlafen? Diese Leute hätten nur eine Nacht in Mabs Bett verbringen müssen und danach vor Schmerzen geschrien, wenn sie jemals jemand hätte überreden können, sich wieder auf so eine Wolke zu legen.

Das Feuer in meiner Brust hatte nachgelassen. Die schwere Wollfütterung, die meine Gedanken umgab, schien sich langsam zu lockern. Als ich blinzelnd die Augen öffnete, fühlten sie sich klebrig an, aber ich schaffte es, langsam einen Arm zu heben, und wischte mir mit der Hand übers Gesicht. Ich war schon an Stränden mit weniger Sand joggen gewesen, als ich jetzt in meinen Augen fand.

O Mann! Fast tot zu sein, kann ziemlich anstrengend sein.

Ich war in einem Bett.

Einem Bett, das ungefähr so groß war wie meine alte Wohnung.

Die Laken waren rein, weiß und glatt. Das Bett wurde von ebenso weißen Vorhängen verdeckt, die sich sanft in einem kühlen Luftzug blähten. Es war kalt genug, dass mein Atem zu einem kleinen Wölkchen kondensierte, als ich ausatmete, aber unter der Bettdecke fühlte ich mich wohl.

Die Vorhänge um das Bett herum wurden beiseitegeschoben und ein Mädchen erschien.

Sie war bestimmt gerade mal zwanzig, aber sie zählte zu den hübscheren Frauen, die mir in meinem Leben begegnet waren. Hohe Wangenknochen, exotische mandelförmige Augen. Ihre Haut hatte einen mittelolivenfarbenen Ton, ihre Augen waren von einem beinahe unheimlichen blassen Grün-Gold. Sie trug das Haar zu einem einfachen Pferdeschwanz gebunden, dazu hellblaue Ärztekleidung und kein bisschen Make-up.

»Hallo«, sagte sie und lächelte mich an.

»Hi«, sagte ich. Meine Stimme war ein Krächzen, das kaum noch an einen Menschen erinnerte. Ich begann zu husten.

Sie stellte ein abgedecktes Tablett auf einem Tischchen neben dem Bett ab und setzte sich auf die Bettkante. Sie nahm das Tuch vom Tablett und reichte mir eine weiße Porzellantasse. Darin befand sich Hühnernudelsuppe, fast kochend heiß. »Das tust du jeden Tag. Reden, ehe du irgendetwas geschluckt hast. Iss.«

Ich aß. Die Suppe schmeckte köstlich. Plötzlich überkam mich die Erinnerung, wie ich als kleiner Junge krank gewesen war. Ich erinnere mich nicht mehr, wo wir gewesen sind, aber mein Dad hatte mir Hühnersuppe gemacht.

»Dein Name ist … Sarah?«, fragte ich die junge Frau. Sie runzelte die Stirn, aber ich schüttelte den Kopf, ehe sie antworten konnte. »Nein, warte. Sarissa. Dein Name ist Sarissa.«

Sie hob beide Brauen und lächelte. »Das ist das erste Mal. Sieht so aus, als könntest du dich langsam wieder konzentrieren.«

Mein Magen knurrte und brüllender Hunger fuhr mir durch alle Glieder. Das unerwartete Hungergefühl überraschte mich und ich schlang hastig die Suppe hinunter.

Sarissa lachte mich an. Dadurch fühlte sich der Raum heller an. »Verschluck dich nicht. Wir haben keine Eile.«

Ich leerte die Tasse, verschüttete nur ein paar Tropfen auf meinem Kinn und brummte dann: »Ja, klar haben wir keine Eile. Ich bin am Verhungern. Was gibt’s noch?«

»Ehe du weiterisst, lass uns eine weitere Sache probieren.«

»Hm?«, machte ich.

»Kannst du mir deinen Namen sagen?«

»Den weißt du nicht?«

Sarissa lachte wieder. »Weißt du ihn?«

»Harry Dresden«, sagte ich.

Ihre Augen blitzten, dann verschwand sie kurz und tauchte mit einem weiteren Tablett wieder auf, mit Hühnchen, gestampften Kartoffeln und irgendwelchem Gemüse. Das Essen sah so lecker aus, dass ich jeden Augenblick anfangen würde, auf den Boden zu sabbern.

»Was ist dein Beruf?«

»Professioneller Zauberer«, entgegnete ich. »Ich bin Privatdetektiv in Chicago.« Ich runzelte die Stirn. »Oh, und ich bin auch der Ritter des Winters.«

Sie starrte mich einige Sekunden lang an.

»Äh«, sagte ich. »Essen?«

Sie zitterte und wandte sich ab. Dann holte sie tief Luft und reichte mir eine seltsame kleine Gabel. »Wenn du es heute bis drei schaffst, wird es ein richtig guter Tag.«

Die Gabel fühlte sich in meiner Hand fremd und schwer an. Ich erinnerte mich, eine Gabel benutzt zu haben. Ich erinnerte mich an das Gefühl, das sanfte Gewicht, die Genauigkeit, mit der ich Essen vom Teller in meinen Mund befördern konnte. Diese Gabel fühlte sich schwer und plump an. Ich hantierte ein paar Sekunden ungeschickt damit, dann schaffte ich es beim zweiten Versuch, sie in die Stampfkartoffeln zu stecken. Das blöde Ding in den Mund zu bekommen, war eine ganz andere Sache.

Die Kartoffeln waren perfekt. Gerade warm genug, leicht gesalzen, mit einem Hauch Butter.

»Ommmgtt!«, brummte ich durch die Kartoffeln hindurch.

Die zweite Gabel war leichter und die dritte noch leichter als die davor, und ehe ich michs versah, war der Teller leer. Ich fühlte mich erschöpft und pappsatt, obwohl es gar nicht so viel Essen gewesen war. Sarissa bedachte mich mit einem zufriedenen Lächeln.

»Ich habe es über mein ganzes Gesicht verteilt, oder?«, fragte ich.

»Das bedeutet, es hat dir geschmeckt.« Sie hob eine Serviette zu meinem Gesicht und wischte es ab. »Es ist schön, endlich deinen Namen zu wissen.«

Leichte, leise Schritte näherten sich.

Sarissa stand sofort auf, drehte sich um und kniete anmutig mit gebeugtem Kopf nieder.

»Also?«, fragte eine weiche Frauenstimme.

Mein ganzer Leib zitterte beim Klang dieser Stimme wie eine Gitarrensaite.

»Er ist bei klarem Verstand, Majestät, und er hat sich an seinen und meinen Namen erinnert. Er hat auch eigenständig gegessen.«

»Vorzüglich. Du darfst gehen.«

»Danke, Majestät.« Sarissa erhob sich, warf mir aber noch einen Blick zu und sagte: »Ich freue mich, dass es Euch besser geht, Herr Ritter.«

Ich versuchte, mir etwas Charmantes und Spritziges auszudenken, und sagte: »Ruf mich an.«

Sie schnaufte überrascht, was sich ein bisschen anhörte wie der Beginn eines Lachens, aber dann warf sie einen angsterfüllten Blick über die Schulter und zog sich zurück. Der Klang ihrer Schuhe auf dem harten Boden verhallte in der Ferne außerhalb der Bettvorhänge.

Ein Schatten glitt über die Vorhänge am Fußende des Bettes. Ich wusste, wem er gehörte.

»Du hast deinen Tiefpunkt hinter dir«, sagte sie in einem deutlich zufriedenen Tonfall. »Du wächst, statt zu schwinden, mein Ritter.«

Plötzlich fiel es mir schwer, klar genug zu denken, um sprechen zu können.

Sie öffnete die Vorhänge um mein Bett herum nicht, sondern glitt hindurch und atmete langsam aus, sah auf mich herab, und ihre Augen wechselten den Grünton.

Mab, die Königin der Luft und Finsternis, ist zu furchterregend, um sie als schön bezeichnen zu können. Obwohl jede Zelle meines Körpers jäh in gedankenlosem Begehren aufwallte, wollte ich ihr nicht einen Zentimeter näher kommen. Sie war ein gutes Stück über eins achtzig groß. Bleiche Haut, weiche Lippen in der Farbe gefrorener Himbeeren, langes silberweißes Haar, dessen schillernde Strähnen glänzten. Sie trug ein Seidenkleid in tiefem, gefrorenem Grün, das ihre starken weißen Schultern freiließ.

Würde sie noch näher rücken, würde sie mit mir im Bett liegen.

»Du siehst einzigartig aus«, krächzte ich.

In ihren mandelförmigen Augen glomm etwas auf. »Ich bin einzigartig, mein Ritter«, flüsterte sie und streckte eine Hand aus. Ihre Nägel veränderten die Farbe, waren dunkelblau, dann grün und schimmerten wie geheimnisvolle Opale. Damit berührte sie meine nackte Schulter.

Plötzlich fühlte ich mich wie ein Fünfzehnjähriger, der kurz davor war, zum ersten Mal ein Mädchen zu küssen: aufgeregt, mit wilden Erwartungen und flatternder Angst.

Ihre Nägel, selbst die vordersten Spitzen, waren eisig. Sie fuhr damit über meine Brust hinab und sie kamen über meinem Herzen zu ruhen.

»Äh«, sagte ich in die für mich unerträgliche Stille hinein. »Wie geht’s dir so?«

Sie legte den Kopf schief und blickte mich an.

»Sarissa scheint nett zu sein«, bemerkte ich.

»Ein Wechselbalg, der mich mal um einen Gefallen gebeten hat«, sagte Mab. »Sie ist schon bei mir seit der Zeit, als Lloyd Slate noch mein Ritter war.«

Ich leckte mir über die Lippen. »Äh, wo sind wir hier?«

»Arctis Tor«, sagte sie. »Meine Festung. In der Suite des Ritters. Du wirst hier alle Annehmlichkeiten vorfinden.«

»Das ist nett. Da doch meine Wohnung vollständig abgebrannt ist. Muss ich Kaution zahlen?«

Ein Lächeln sickerte langsam auf Mabs Lippen und sie lehnte sich noch näher zu mir. »Es ist gut, dass du jetzt heilst«, wisperte sie. »Dein Geist ist weit gewandert, während du geschlafen hast.«

»Ein Freigeist«, sagte ich. »So bin ich.«

»Nicht mehr«, murmelte Mab. »Du zitterst.«

»Ja.« Ich konnte nur noch ihre Augen wahrnehmen, so dicht lehnte sie vor mir.

»Hast du Angst vor mir?«

»Ich bin schließlich nicht verrückt«, entgegnete ich.

»Denkst du, ich werde dir wehtun?«, hauchte sie und ihre Lippen waren nur eine Haaresbreite von meinen entfernt.

Mein Herz raste so, dass es wehtat. »Ich denke … du bist, was du bist.«

»Du hast keinen Grund, dich zu fürchten«, flüsterte sie, wobei ihr Atem auf meinen Lippen kitzelte. »Du gehörst mir. Wenn es dir nicht gut geht, kannst du meinen Willen nicht ausführen.«

Ich versuchte, mich zu entspannen. »Das … stimmt.«

Ich hatte nicht gesehen, wie sie das dicke, weiche Kissen neben mir angehoben hatte, während sie mir in die Augen gestarrt hatte. So war ich nicht darauf vorbereitet, als sie schnell wie eine Schlange zuschlug und das Kissen auf mein Gesicht drückte.

Eine Sekunde lang konnte ich mich nicht bewegen, und sie drückte fester zu, drückte mir die Luft ab, verschloss mir Mund und Nase. Dann übernahm die Furcht die Kontrolle. Ich strampelte, aber meine Arme und Beine fühlten sich an wie mit Blei überzogen. Ich versuchte, Mab wegzustoßen, aber sie war zu schwer, und meine Arme waren einfach zu schwach. Ihre Hände und Unterarme waren wie gefrorener Stahl, schmal, aber unnachgiebig.

Ich sah Rot, dann Schwarz. Die Sinne schwanden mir.

Mab war eisig. Unnachgiebig. Erbarmungslos.

Sie war Mab.

Wenn ich sie nicht aufhielt, würde sie mich töten. Mab kann zwar keine Sterblichen töten, aber für sie gehörte ich nicht länger dazu. Ich war ihr Diener, ein Mitglied ihres Hofes, und wenn es nach ihr ging, hatte sie jederzeit das Recht, mir das Leben zu nehmen, wenn sie es für angezeigt hielt.

Diese Einsicht rüttelte mich wach. Ich schloss meine Hände um einen ihre Arme und drehte mich, spannte meinen Körper an. Vor Anstrengung hoben sich meine Hüften vom Bett, doch ich versuchte nicht, sie wegzudrücken. Ihrer allgewaltigen Kraft konnte ich keinen Widerstand leisten, das wusste ich. Aber ich schaffte es, ihre Stärke ein wenig zu einer Seite hin zu lenken, sodass das Kissen verrutschte. Das reichte, um einen kühlen, wohltuenden Atemzug nehmen zu können.

Mabs Oberkörper lag über meinem, und ich spürte die leere Intensität ihres Blicks auf mir, während ich japste. Mir war schwindlig von dem jähen, gesegneten Ansturm von Sauerstoff.

Mab bewegte sich langsam und anmutig. Es lag etwas Schlangenartiges darin, wie sie an meinem Körper hochkroch und ihre Brust auf meine legte. Sie war ein kaltes, flüchtiges Gewicht, unbeschreiblich feminin und weich, und ihr seidiges Haar glitt über meine Wangen, meine Lippen und meinen Hals.

Ein tiefer, hungriger Laut kam aus Mabs Kehle, als sie sich zu mir herunterbeugte, bis ihre Lippen fast mein Ohr berührten.

»Ich kann Schwäche nicht gebrauchen, Magier.« Sie erschauerte in einer fremdartigen Ekstase. »Ruh dich aus. Heile. Schlafe. Vielleicht bringe ich dich morgen um.«

»Ein Zitat aus ›Die Braut des Prinzen‹?«, krächzte ich. »Von dir?«

»Was ist das?«, fragte sie.

Dann war sie weg. Einfach weg.

Das war der erste Tag meiner Physiotherapie.

Ich könnte die nächsten Wochen detailreich beschreiben, aber so schlimm sie auch waren, sie ähneln in meinem Kopf einer Videomontage zu dem Lied »Walk« von den Foo Fighters.

Normalerweise wachte ich morgens auf und Sarissa wartete schon auf mich. Sie wahrte stets einen höflichen, professionellen Abstand zu mir. Sie half mir, die Bedürfnisse meines geschwächten Körpers zu erfüllen, was mich einiges an Würde kostete, aber sie sprach niemals über sich. Irgendwann im Laufe des Tages versuchte Mab dann, mich auf immer neue und kreative Weisen umzubringen.

In dem Video in meinem Kopf gibt es eine Aufnahme, in der ich wieder selbst esse, bis unerwartet das riesengroße Bett in Flammen aufgeht. Ich lasse mich ungeschickt hinausfallen und krieche außer Reichweite, ehe ich gebraten werde.

Am nächsten Tag hilft mir Sarissa, zum Bad und zurück zu gehen. Gerade als ich mich wieder im Bett zurücklehne, fällt vom Himmel des Bettes eine Giftschlange, eine gottverdammte Indische Kobra, direkt auf meine Schultern. Ich schreie wie ein kleines Mädchen und werfe die Schlange auf den Boden.

Am nächsten Tag kämpfe ich mich gerade mit Sarissas Hilfe in neue Kleidung, als ein Schwarm von Feuerameisen daraus hervorbricht und meine Haut attackiert, und ich muss mir wortwörtlich die Kleider vom Leib reißen.

So geht es weiter. Sarissa und ich am hüfthohen Barren, ich versuche, mich zu erinnern, wie man das Gleichgewicht hält, und werde unterbrochen von einer wahren Flutwelle von rotäugigen Ratten, die uns zwingt, auf die Barren zu klettern, ehe sie uns die Füße abnagen.

Sarissa, die mich auf der Drückbank beobachtet, bis Mab eine große, altertümliche Feuerwehraxt auf meinen Schädel niedersausen lässt, als ich gerade beim dritten Durchgang bin. Ich muss den Schlag mit der Stange des Gewichts abwehren.

Ich schlurfe erschöpft unter die heiße Dusche, nur damit die Tür hinter mir zuschlägt, und die Kabine beginnt, sich mit Wasser zu füllen. Dann fallen Piranhas ins Wasser und so weiter und so fort.

Siebenundsiebzig Tage. Siebenundsiebzig Mordversuche. Benutzen Sie Ihre Fantasie. Mab tat es jedenfalls. Es gab sogar ein tickendes Krokodil.

Ich war gerade aus dem kleinen Sportstudio zurück, wo ich auf dem Laufband etwa zweieinhalb Höhenkilometer und wer weiß wie viele Kilometer Distanz zurückgelegt hatte. Ich war verschwitzt, erschöpft und wollte nur noch eine Dusche und dann in mein Bett.

Ich öffnete die Tür zu meinem Zimmer und in dem Augenblick schoss Mab auf mich mit einer verdammten Schrotflinte!

Ich hatte keine Zeit, überhaupt darüber nachzudenken, ehe sie den Abzug betätigte. Ich konnte nur reagieren, warf mich nach hinten, stieß mit aller Kraft meinen Willen hinaus in die Luft vor mich und formte ihn zu einer Barriere aus reiner Energie.

Die Flinte dröhnte in dem kleinen Raum ohrenbetäubend laut. Die Schrotkörner prallten von der Barriere ab. Ich sank zu Boden, hielt die Barriere aber aufrecht, und Mab kam näher.

Ihre Augen glitzerten in allen Farben eines Opals, wild berauscht und völlig unvereinbar mit ihrem ruhigen Gesichtsausdruck. Sie leerte das ganze Magazin, während sie auf mein Gesicht zielte.

In dem Augenblick, als die Flinte nur noch »klick« statt »bumm« machte, warf ich mich mit einer schnellen Rolle zur Seite, gerade rechtzeitig, um dem Sprung eines silbergrauen Malks zu entgehen, einer katzenartigen Kreatur von der Größe eines Luchses, mit gefährlichen Krallen und Bärenkräften. Der Malk landete dort, wo mein Kopf gewesen war, und seine Krallen rissen Splitter aus dem Steinboden.

Ich trat zu und traf ihn mit meinem Absatz. Er flog quer durch den Flur, knallte gegen die Steinwand und ließ ein protestierendes Jaulen vernehmen.

Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf Mab. Sie ließ gerade das leere Magazin zu Boden fallen und holte ein neues hervor.

Bevor sie es in die Waffe rammen konnte, peitschte meine Hand durch die Luft, und ich rief: »Forzare!«

Eine unsichtbare Kraft riss Magazin und Schrotflinte aus Mabs Händen. Ich vollführte eine ziehende Bewegung und die Schrotflinte flog durch den leeren Raum zwischen uns. Ich erwischte sie am Lauf (verdammt, war das heiß!), gerade als sich der Malk wieder auf mich stürzte. Ich schwang die leere Schrotflinte mit beiden Händen und rammte sie dem Malk gegen den Kopf, hart genug, dass er bewusstlos liegen blieb.

Mab ließ ein erfreutes, silberhelles Lachen erklingen und klatschte in die Hände wie ein kleines Mädchen, das gerade erfahren hat, dass es ein Pony bekommen wird. »Ja!«, sagte sie. »Zauberhaft. Gewalttätig, rabiat und ganz zauberhaft!«

Ich behielt die Schrotflinte in der Hand, bis der Malk wieder zu sich kam und griesgrämig davonschlich. Erst als er hinter der Ecke verschwunden war, drehte ich mich wieder zu Mab um.

»Das wird allmählich langweilig«, sagte ich. »Hast du nichts Besseres zu tun?«

»Natürlich habe ich das.« Das Entzücken verschwand von ihrem Gesicht und wich der üblichen eiskalten Ruhe. Es war eine unheimliche Veränderung. »Eine angemessene Aufmachung erwartet dich in deinen Gemächern, und ich erwarte von dir, dass du dich für den Abend umziehst.« Sie drehte sich um und ging in die Richtung, in die der Malk verschwunden war. Ihr Kleid raschelte hinter ihr über den Steinboden. »Heute Abend, mein Magier, wird es … spaßig.«

2. Kapitel

In meinem Zimmer wartete neue Kleidung auf mich: ein Frack in Mattsilber und Perlgrau. In einem von zwei Papierumschlägen befand sich ein Paar edelsteinbesetzter Manschettenknöpfe, deren Steine zu blau und zu leuchtend waren, um Saphire zu sein.

Der zweite enthielt das Amulett meiner Mutter.

Es ist ein schnörkelloses silbernes Pentagramm, ein abgenutzter fünfzackiger Stern, von einem Kreis eingeschlossen, der an einer einfachen silbernen Kette hängt. In der Mitte des Drudenfußes befindet sich ein kleiner roter Stein, zurechtgeschnitten, damit er hineinpasst. Ich hatte ihn mal mit Heißkleber befestigt. Anscheinend hatte Mab das Amulett zu einem echten Juwelier geschickt, der den Stein mit etwas Haltbarerem befestigt hatte.

Ich berührte ihn vorsichtig und spürte sofort die Energie darin, geistige Aufzeichnungen meiner verstorbenen Mutter.

Ich zog die Kette über den Kopf und empfand ein tiefes Gefühl der Erleichterung, als der Drudenfuß auf meiner Brust lag. Ich hatte geglaubt, das Amulett verloren zu haben, als mein von Kugeln durchlöcherter Leib in den Wassern des Michigansees versunken war.

Eine Weile lang stand ich einfach nur mit meiner Hand auf dem Amulett da und spürte das kühle Metall unter meiner Handfläche.

Dann zog ich den Frack an und begutachtete mich in einem Spiegel, der so groß war wie ein Billardtisch.

»Just a gigolo«, sang ich schräg und versuchte, mich zu amüsieren. »Everywhere I go, people know the part I’m playing.«

Der Kerl, der mir aus dem Spiegel entgegensah, wirkte ungehobelt und hart. Meine Wangenknochen standen schroff hervor. Ich hatte stark abgenommen, während ich in einer Art Koma gelegen hatte, und meine Reha hatte mir nur schlanke Muskeln verpasst, sonst nichts. Die Adern waren unter der Haut zu sehen. Mein brünettes Haar hing mir inzwischen bis unters Kinn, sauber, aber zottelig. Magie kann einem furchtbare Dinge antun, wenn der Anwender in den Besitz einer Haarsträhne gelangt, also hatte ich beschlossen, mir das Haar nicht schneiden zu lassen.

Vom Vollbart hatte ich mich allerdings verabschiedet. Bärte wachsen so schnell und werden so schnell wieder abrasiert, dass der Zeitraum, da man sie trägt, einfach nicht lange genug ist, dass jemand sie gegen einen verwenden kann. Außerdem sind Bartstoppeln einfach zu klein, als dass sie einen guten Fokus abgeben würden.

Ein längliches, schmales Gesicht, dunkle Augen, eine senkrechte Narbe unter dem linken. Meine Haut war absolut teigig und blass. Ich hatte die Sonne seit Monaten nicht mehr gesehen. Seit vielen Monaten.

Während ich mein Spiegelbild musterte, wurde das Lied immer leiser. Ich hatte einfach nicht genug Mut dafür. Ich schloss die Augen.

»Was zur Hölle tust du da, Dresden?«, flüsterte ich. »Du wirst hier gefangen gehalten wie ein verdammtes Haustier. Als besitzt sie dich.«

»Tut sie das nicht?«, brummte die Stimme eines Malks.

Hatte ich das nicht erwähnt? Die Viecher können sprechen. Sie haben keine besonders gute Aussprache, und der unmenschliche Klang ihrer Stimme beschert mir jedes Mal eine Gänsehaut, aber sie sprechen.

Ich wirbelte herum und hatte die Hand schon zu einer Verteidigungsgeste erhoben, aber ich hätte mir die Mühe sparen können.

Ein Malk, den ich noch nie gesehen hatte, saß auf dem Boden meines Zimmers, direkt hinter der Schwelle. Sein zu langer Schwanz ringelte sich um seine Vorderpfoten und wieder zurück hinter seinen Rücken. Er war ein riesengroßes Exemplar der Spezies, etwa vierzig Kilo schwer und so groß wie ein junger Puma. Sein Fell war bis auf einen weißen Fleck auf seiner Brust pechschwarz.

Eine Sache, die ich über Malks gelernt habe, ist, ihnen niemals Schwäche zu zeigen. Niemals. »Das sind meine Gemächer«, sagte ich. »Raus!«

Der Malk neigte den Kopf. »Das kann ich nicht, Ritter. Ich stehe unter dem Befehl der Königin.«

»Raus hier, oder ich helfe dir!«

Die Schwanzspitze des Malks zuckte. »Wärst du nicht ein Lakai meiner Königin, und wäre ich nicht verpflichtet, dir gegenüber Höflichkeit zu zeigen, würde ich den Versuch gerne sehen, Sterblicher.«

Ich sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an.

Das war für einen Malk ein sehr ungewöhnliches Verhalten. Außer einem war jeder Malk, den ich je getroffen habe, eine blutgierige kleine Tötungsmaschine gewesen, hauptsächlich daran interessiert, was er als Nächstes zerfetzen und verschlingen konnte. Ihnen liegt nichts an Geplauder. Sie sind auch nicht gerade tapfer, besonders nicht, wenn sie allein sind. Ein Malk würde einen vielleicht in einer dunklen Gasse anspringen, aber man würde ihn nie kommen sehen.

Dieser hier … wirkte, als mache es ihm Spaß, mich zu reizen.

Vorsichtig streckte ich meine Sinne aus und plötzlich spürte ich das fast geräuschlose Pulsieren der Aura des Malks. Wow! Das Vieh war mächtig. Richtig, richtig mächtig. Normalerweise ist die Aura eines Magiers nicht spürbar, bis man nahe genug bei ihm steht, um sie berühren zu können. Aber seine Aura konnte ich von der anderen Seite des Raumes spüren. Was auch immer dieses Ding war, es sah höchstens aus wie eines der anderen pelzigen, hyperaktiven, blutgierigen Viecher. Ich nahm mich etwas zurück.

»Wer bist du?«

Der Malk neigte den Kopf vor mir. »Ein treuer Diener der Königin der Luft und Finsternis. Meist nennt man mich Sith.«

»Hehe«, sagte ich. »Wo ist denn dein rotes Laserschwert?«

Siths goldene Augen verengten sich. »Als deine Art begann, Wissen auf Stein und in Ton zu ritzen, war mein Name bereits uralt. Wenn er fällt, solltest du vorsichtig sein.«

»Ich versuche nur, die Unterhaltung mit ein bisschen Humor aufzulockern, Sithy. Du solltest heiterer sein.«

Siths Schwanz zuckte erneut. »Es würde mich heiterer stimmen, dein Rückgrat in kleine Untersetzer zu zerschneiden. Darf ich?«

»Da muss ich ablehnen«, sagte ich. Dann blinzelte ich. »Warte. Du bist … Cait Sith. Der Cait Sith?«

Wieder neigte der Malk den Kopf. »Der bin ich.«

Herrjemine! Cait Sith ist eine große Nummer in den Mythen der Feen. Der ist nicht nur irgendein Malk. Es ist der verdammte Monarch der Malks, ihr Ahnherr, ihr Optimus Prime. Vor einigen Jahren habe ich mich mit einem ähnlich alten Feenwesen angelegt. Es ist nicht schön ausgegangen.

Als Cait Sith vorgeschlagen hatte, mein Rückgrat in Untersetzer zu zerschneiden, hatte er nicht gescherzt. Wenn er auch nur im Geringsten dem uralten Furchtfresser ähnelte, konnte er das durchaus tun.

»Ich verstehe«, sagte ich. »Ähm … was tust du hier?«

»Ich bin dein Bursche.«

»Du meinst, du bist Alfred und ich bin Batman?«

»Nein«, sagte Sith mit einem leisen Knurren. »Dein Bursche. Deine Ordonnanz.«

»Ordonnanz …« Ich runzelte die Stirn. »Warte. Du arbeitest für mich?«

»Ich bevorzuge die Umschreibung: Ich verwalte deine Inkompetenz«, erwiderte Sith. »Ich werde deine Fragen beantworten. Ich werde dein Berater sein, solange du hier bist. Ich werde dafür sorgen, dass deine Bedürfnisse gestillt werden.«

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Du arbeitest also für mich?«

Siths Schwanz zuckte abermals. »Ich diene meiner Königin.«

Aha. Ausflucht. Da war etwas, das er nicht sagen wollte. »Du musst meine Fragen beantworten, richtig?«

»Ja.«

»Hat Mab dir befohlen, meinen Befehlen zu gehorchen?«

Der Schwanz zuckte, zuckte, zuckte. Sith starrte mich an und schwieg.

Schweigen kann man ja durchaus als Zustimmung interpretieren, aber ich konnte einfach nicht widerstehen. »Hol mir eine Cola!«

Sith blickte mich an. Dann verschwand er.

Ich blinzelte und sah mich um, aber er war weg. Dann, vielleicht anderthalb Sekunden später, hörte ich das Zischen einer Getränkedose, die geöffnet wurde. Ich drehte mich um, und Cait Sith saß auf einer der Kommoden. Neben ihm stand eine offene Dose Cola.

»Wow«, sagte ich. »Wie hast … du hast noch nicht mal Daumen.«

Sith starrte mich an.

Ich ging zur Kommode und nahm die Dose. Siths Blick folgte mir die ganze Zeit, sein Gesichtsausdruck rätselhaft und ganz eindeutig nicht freundlich.

Ich trank und zog eine Grimasse. »Warm?«

»Du hast nichts Gegenteiliges befohlen«, sagte er. »Ich werde jeden deiner Befehle genau so befolgen, Herr Ritter, wie du ihn formulierst, es sei denn, er widerspricht den Befehlen meiner Königin.«

Übersetzung: Ich will nicht hier sein. Ich mag dich nicht. Gib mir weiterhin Befehle und ich mache dir das Leben zur Hölle.

Ich nickte dem Malk zu. »Verstanden.« Ich nahm noch einen Schluck. Warm oder nicht, es war Cola. »Also, warum der Frack? Zu welchem Anlass?«

»Heute findet die Feier einer Geburt statt.«

»Geburtstagsparty, ja?«, fragte ich. »Wessen denn?«

Sith schwieg einige Sekunden lang. Dann erhob er sich und sprang zu Boden, landete geräuschlos und glitt an mir vorbei zur Tür. »So dumm kannst du nicht sein. Folge mir!«

Mein Haar war noch immer ziemlich unordentlich. Ich klatschte Wasser darauf und kämmte es nach hinten, ordentlicher würde es nicht werden. Dann folgte ich Sith und meine schicken Lacklederschuhe glänzten und klackten auf dem Steinboden.

»Wer wird bei dieser Party mit dabei sein?«, fragte ich, als ich ihn eingeholt hatte. Ich hatte meine Räumlichkeiten seit einer Weile nicht mehr verlassen. Mein ganzes Leben hatte aus Essen, Schlafen und Heilen bestanden. Außerdem hatte ich keine Lust gehabt, mir die Sehenswürdigkeiten von Arctis Tor anzuschauen.

Als ich das letzte Mal hier gewesen war, hatte ich die Feen ziemlich sauer gemacht. Jede einzelne von ihnen. Ich hatte keine Lust gehabt, in einer dunklen Gasse auf irgendeinen feindseligen Buhmann zu treffen, der auf Rache sann.

Die Tür, die von meinen Gemächern nach draußen führte, öffnete sich von selbst, und ich folgte Sith hindurch.

»Die Hautevolee der Winter-Sidhe«, sagte Sith. »Wichtige Persönlichkeiten der Wildelfen. Möglicherweise wird sogar eine Delegation des Sommers anwesend sein.«

Als wir in die Hauptstadt des Winters hinaustraten, waren die Korridore nicht mehr aus etwas, das mehr oder weniger wie einfacher gegossener Zement aussah, sondern aus kristallinem Eis, das jede Schattierung von Gletscherblau und Grün in sich vereinte, und die Farben verschmolzen ineinander, waren miteinander verwoben. Lichtfunken in Violett, Scharlachrot und kaltem Eisblau tanzten durch die dunklen Tiefen des Eises wie träge Glühwürmchen.

Meine Augen wollten den Lichtern folgen, aber das ließ ich nicht zu. Ich kann nicht genau sagen, warum, aber meine Instinkte sagten mir, dass das gefährlich gewesen wäre, und ich hörte auf sie.

»Ziemlich große Feier, hm?«, fragte ich. »Glaubst du, es wird ein Problem mit den Paparazzi geben?«

»Man darf darauf hoffen«, entgegnete Sith. »Eindringlinge bei einer solchen Störung zu ertappen, wäre sehr befriedigend.«

Die Luft war arktisch kalt. Ich spürte, wie sehr die Kälte biss, aber ihre Zähne konnten meine Haut nicht wirklich durchdringen. Es war nicht gerade gemütlich, aber es störte mich nicht. Ich zitterte nicht. Ich bibberte nicht. Ich rechnete es den Kräften an, die Mab mir verliehen hatte.

Sith führte mich durch einen sehr viel dunkleren Gang und wir durchquerten abwechselnd Flecken von tiefer Dunkelheit und kaltem, düsterem Licht. Unsere Schatten streckten sich und tanzten. Nach einigen Sekunden merkte ich, dass Cait Siths Schatten größer als meiner war. Etwa sieben oder acht Mal so groß. Ich schluckte.

»Das letzte Mal, als ich auf einer Party übernatürlicher Wesen war, hat man mich vergiftet«, erklärte ich, »und dann hat alles, was da war, versucht, mich umzubringen. Also hab ich das ganze Gebäude niedergebrannt.«

»Eine angemessene Art, mit seinen Feinden umzugehen«, meinte Sith. »Vermutlich wirst du bald herausfinden, dass Arctis Tor weniger entzündlich ist.«

»Ich habe noch nie einen Ort gefunden, den ich mit genügend Motivation nicht abfackeln, in die Luft jagen oder einstürzen lassen konnte«, entgegnete ich. »Glaubst du, auf dieser Party will mich jemand umbringen?«

»Ja. Ich.«

»Weil ich dich nerve?«

»Weil es mir gefallen würde.« Sith sah einen Augenblick lang zu mir auf. Sein Schatten von der Größe einer Plakatwand wiederholte seine Bewegung. »Außerdem nervst du mich.«

»Das ist eines meiner Talente. Nervige Fragen zu stellen, ist ein weiteres. Gibt es auf dieser Party irgendjemanden außer dir, dem ich nicht den Rücken zukehren sollte?«

»Du gehörst nun zum Winter, Zauberer.« Sein goldener Blick lag nicht länger auf mir. »Du solltest niemandem den Rücken zukehren.«

3. Kapitel

Cait Sith führte mich durch Gänge, die ich bei meinem vorherigen Besuch in Mabs Machtzentrum nicht gesehen hatte. Verdammt, damals hatte ich gedacht, es bestünde nur aus einer Mauer um einen Schlosshof und einem gemauerten Turm. Den Komplex unter dem Eis des Hofes hatte ich noch nie gesehen. Er war riesengroß. Wir gingen zehn Minuten lang, meist in dieselbe Richtung, bis Cait Sith sagte: »Diese Tür.«

Die Tür war aus Eis, genau wie die Wände, aber daran hing ein dicker Ring aus einem Metall, das vermutlich Silber war. Ich griff danach und zog und die Tür öffnete sich problemlos.

Dahinter lag ein kleiner Vorraum. Es war ein Wartezimmer mit einigen Stühlen.

»Was nun?«

»Tritt ein«, sagte Cait Sith. »Warte auf Befehle. Befolge die Befehle.«

»Das kann ich beides nicht besonders gut«, merkte ich an.

Siths Augen glühten. »Ausgezeichnet. Mir wurde befohlen, dich loszuwerden, wenn du Mabs Befehle nicht befolgst oder ihre Autorität untergräbst.«

»Warum gehst du nicht den ältesten Traumdieb fragen, wie leicht das ist, du Pelzhandschuh? Hau ab!«

Diesmal verschwand Sith auf andere Weise: Er verschmolz mit den Schatten. Seine goldenen Augen blieben noch ein paar Sekunden, dann war er weg.

»Immer von den Großen stehlen«, brummte ich. »Lewis Carrolls Erben sollten Lizenzgebühren von dem Kerl eintreiben.«

Außer natürlich, es war genau andersrum.

Ich betrat das Zimmerchen und schloss die Tür hinter mir. Es gab einen Tisch mit wahrscheinlich selbstgemachten Leckereien darauf. Ich fasste sie nicht an. Nicht weil ich mich um meine zierliche Figur sorgte, sondern weil ich im Herzen eines niederträchtigen Feenreichs stand. Leichtfertig Süßspeisen zu essen, schien nicht gerade eine brillante Idee zu sein.

Neben den Süßigkeiten lag ein altes Buch: »Kinder- und Hausmärchen«. Ich beugte mich hinunter und schlug es auf. Der Text war auf Deutsch und das Buch war wirklich alt. Die Seiten waren aus Papier von feinster Qualität, dünn, brüchig und mit Goldschnitt. Auf der Vorderseite standen unter dem Titel die Namen Jacob und Wilhelm Grimm und die Jahreszahl 1812.

Das Buch war signiert und mit einer persönlichen Widmung versehen: Für Mab.

Ich konnte den Text nicht lesen, also begnügte ich mich mit den Bildern. Es war besser, als diese blöden Promimagazine zu lesen, die in jedem anderen Wartezimmer herumliegen, und vermutlich war es sogar näher an der Realität.

Während ich mir das Buch ansah, öffnete sich lautlos die Tür, und ein Traum von einer Frau betrat den Raum. Sie trug ein Samtkleid, das so blau und purpurn war wie die Dämmerung, vorn tief ausgeschnitten. Die dazu passenden Opernhandschuhe reichten hinauf bis zu ihren Oberarmen, und ein Kranz veilchenblauer Immergrünblüten, die ebenfalls wunderbar zu dem Kleid passten, schmückte ihr Haar.

Sie warf einen Blick in den Flur hinter sich, als die Tür sich schloss, dann drehte sie sich zu mir um und lächelte. »Du liebe Güte«, sagte sie. »Du hast dich ordentlich zurechtgemacht, Harry.«

Ich brauchte ein paar Augenblicke, ehe ich sagen konnte: »Sarissa. Wow, du … siehst kaum aus wie du.«

Sie hob eine Braue, aber ich sah ihre Mundwinkel nach oben zucken. »Ach je, das war ja fast ein Kompliment.«

»Ich bin außer Übung«, sagte ich. Ich wies auf einen Stuhl. »Setz dich doch.«

Sie schenkte mir ein tugendhaftes Lächeln und nahm Platz. Ihre Bewegungen waren von einer vollkommenen, fließenden Anmut. Ich bot ihr die Hand, um ihr behilflich zu sein, aber die brauchte sie natürlich nicht. Trotzdem drückte sie unmerklich meine Finger.

Als sie saß, setzte ich mich zu ihr. »Hättest du gern etwas Süßes?«

Irgendwie lag ein sanfter Verweis in ihrem Lächeln. »Ich glaube, das wäre unklug, oder?«

»Herrjemine!«, sagte ich. »Ich wollte nur … ähm … Es ist üblich, Konversation zu machen, wenn man … ähm … Ich weiß nicht, was ich …« Ich nahm die kostbare Ausgabe von Grimms Märchen in die Hand und hielt sie hoch. »Buch.«

Sarissa bedeckte den Mund mit einer Hand, aber ihre Augen blitzten. »Oh … äh, ja. Ich habe es ein paarmal gesehen. Ich habe Gerüchte gehört, nach denen Ihre Majestät selbst hart dafür gearbeitet hat, dass die Märchen erschienen.«

»Das ergibt Sinn.«

»Wieso?«, fragte sie.

»Oh, der Einfluss der Sidhe hat stark abgenommen, als die Industrialisierung Fahrt aufnahm. Indem sie dafür gesorgt hat, dass die Märchen auch weiterhin den Kindern Sterblicher erzählt werden, hat sie auch sichergestellt, dass sie und ihr Volk niemals vergessen werden.«

»Ist das wichtig?«, fragte Sarissa.

»Wenn es nicht wichtig wäre, warum sollte sie es tun? Ich bin ziemlich sicher, dass es für Wesen, die mit einem Fuß in der Welt der Sterblichen und mit dem anderen in dieser Welt hier drüben stehen, ziemlich schlecht ist, in Vergessenheit zu geraten. Würde mich nicht wundern, wenn sie sich auch für Disney starkgemacht hätte. Er hat mehr als jeder andere dafür gesorgt, dass diese Geschichten den Sprung in die heutige Zeit geschafft haben. Verdammt, er hat sogar ein paar Märchenländer in der Welt der Sterblichen gebaut!«

»So habe ich das noch nie betrachtet.« Sie faltete ihre Hände im Schoß und lächelte mich an. Es war ein völlig ruhiger, schöner Gesichtsausdruck, aber plötzlich hatte ich die Eingebung, dass sie ihre Unruhe dahinter verbarg.

Das hätte ich vor ein paar Monaten vielleicht noch nicht bemerkt, aber sie hatte bei einigen von Mabs Therapiestunden zugesehen, und ich hatte gesehen, wie sie auf Angst und plötzlichen Stress reagierte.

Ich spürte bei ihr die gleiche beherrschte Spannung wie damals, als eine kleine Lawine von Giftspinnen – großen Spinnen – aus dem Handtuchschrank im Kraftraum geströmt war. Sie hatte eine Caprihose und keine Schuhe getragen, und ich hatte die Spinnen vorsichtig und sanft von ihr heruntergezupft, um die Tierchen nicht zu provozieren, uns zu töten, und sie hatte stillhalten müssen, während Dutzende der Dinger über ihre nackten Füße gekrabbelt waren.

Dieser Test hatte dazu gedient, die eigene Reaktion auf plötzliche Angst in den Griff zu bekommen. Sarissa hatte es geschafft, hatte sich geweigert, ihrer Angst die Kontrolle zu überlassen. Ausdruckslos und fast ruhig hatte sie gewartet und sie hatte ungefähr so ausgesehen wie jetzt.

Meine Füße begannen zu kribbeln.

Sie erwarteten Spinnen.

»Also«, sagte ich, »womit verdiene ich die Freude deiner Gesellschaft? Soll ich noch ein paar letzte Yogaübungen absolvieren?«

»Du bist für Yoga so geeignet wie eine Ente fürs Fliegen im Vakuum. Heute Nacht werde ich dich auf Befehl der Königin geleiten. Ich soll dir die Benimmregeln für eine Versammlung des Hofes erklären und dafür sorgen, dass du dich nicht allzu sehr langweilst.«

Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und sah sie nachdenklich an. »Du meine Güte, den ganzen Abend mit jemand so Hübschem wie dir herumzulaufen, klingt nach wahrer Folter!«

Sie lächelte und senkte den Blick.

»Darf ich dich etwas fragen?«

»Natürlich.«

»Ich habe das nicht rhetorisch gemeint«, stellte ich klar. »Ich meine es ernst. Ich würde dich gerne etwas fragen, aber wenn du es lieber für dich behalten willst, dann ist das in Ordnung.«

Ihr Blick huschte kurz zu meinem Gesicht. »Warum sollte ich nicht antworten wollen?«

»Weil wir schon seit elf Wochen jeden Tag zusammenarbeiten und ich immer noch nicht deinen Nachnamen weiß. Ich weiß auch nicht, was du in der echten Welt tust. Ich kenne deine Lieblingsfarbe und dein Lieblingseis nicht. Ich weiß nicht, ob du Familie hast. Du bist sehr gut darin, über Dinge zu reden, die nicht wichtig sind, und es so wirken zu lassen, als wäre das die einzige Unterhaltung, die zu diesem Zeitpunkt sinnvoll wäre.«

Sie achtete sehr darauf, sich nicht zu bewegen, und sie erwiderte auch nichts auf meine Worte.

»Mab hat auch gegen dich etwas in der Hand, nicht wahr?«, fragte ich. »Genau wie gegen mich.«

Es gab einen weiteren Augenblick der Stille. Dann sagte sie kaum vernehmlich: »Mab hat gegen jeden etwas in der Hand. Die Frage ist nur, ob derjenige das weiß oder nicht.«

»Ich verstehe, dass du Angst vor mir hast«, sagte ich. »Ich weiß, du hast Lloyd Slate in Aktion gesehen, als er der Ritter des Winters war, und ich weiß genau, was für ein supertoller Kerl er war. Ich vermute, du nimmst an, ich wäre wie er.«

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Ich wollte dir keine Vorhaltungen machen«, versicherte ich ihr, so sanft ich konnte. »Ich versuche nicht, dich dazu zu bringen, mir etwas zu erzählen, was du nicht sagen möchtest. Du musst mich auch nicht davon überzeugen, dass ich dir nichts antun soll. Ich bin nicht Lloyd Slate, okay?«

»Er war auch nicht so«, flüsterte Sarissa. »Anfangs nicht.«

Ein kleiner Eisklumpen schien durch meine Eingeweide zu kullern.

Das ist das Tragische am Zustand der Menschheit. Wenn Menschen Macht erlangen, wollen sie unbedingt vermeiden, davon korrumpiert zu werden. Menschen haben meist gute, manche sogar edle Gründe dafür, zu tun, was sie tun. Sie wollen Macht nicht missbrauchen und keine bösartigen Monster werden. Gute, anständige Menschen wollen den richtigen Weg beschreiten und Macht erlangen, ohne dass sie von ihren Idealen abkommen oder sich verändern.

Trotzdem passiert es immer wieder und ständig.

Die Geschichte ist voll davon, denn Menschen können nicht gut mit Macht umgehen. In dem Moment, in dem man annimmt, man könne das besser als andere, hat man schon den ersten Schritt auf die Dunkle Seite getan.

»Ich sage dir, wie es ist, Sarissa«, flüsterte ich. »Ich bin der Ritter des Winters. Ich habe Mabs Gunst und ihren Segen. Ich kann tun, was immer mir verdammt noch mal gefällt, und ich müsste mich vor dir dafür nicht rechtfertigen.«

Das Mädchen erschauerte.

»Wenn ich das wollte, wenn ich dich … wenn ich dir wehtun wollte, könnte ich es. Jetzt. Du könntest mich nicht aufhalten und niemand würde etwas dagegen unternehmen. Ich habe fast ein Jahr im Liegen verbracht, und jetzt, da ich mich wieder bewegen kann, verlangen meine verschiedenen … ähm … Instinkte nach Aufmerksamkeit. Tatsächlich hat Mab dich höchstwahrscheinlich hergeschickt, um zu sehen, was ich mit dir anstellen werde.«

Die freundliche Maske verschwand von Sarissas Gesicht, stattdessen erschien darauf eine vorsichtige Neutralität. »Ja, natürlich. Ich weiß, welche Rolle sie für mich vorgesehen hat, Herr Ritter. Ich soll dir …«, sie verzog den Mund, »dienen.«

»Hm, also, das wird eindeutig nicht passieren.«

Ihre Augen weiteten sich leicht. Sie hielt ganz still. »Bitte?«

»Ich bin nicht Lloyd Slate«, sagte ich. »Ich bin keins von Mabs Monstern, und ich sterbe eher, als zuzulassen, dass sie mich zu einem macht. Du warst nett zu mir und hast mir durch eine schwere Zeit geholfen. Das werde ich nicht vergessen. Mein Wort darauf.«

»Ich verstehe nicht«, sagte sie.

»Es ist ganz einfach. Ich werde dir nichts tun. Und ich werde dich nicht zwingen, etwas zu tun, was du nicht willst. Niemals.«

Ich konnte ihren Gesichtsausdruck nicht deuten, als ich das sagte. War das Unbehagen oder Misstrauen oder Skepsis? Was auch immer in ihrem Kopf ihr Gesicht so aussehen ließ, ich konnte es nicht übersetzen.

»Du glaubst mir nicht, oder?«

»Ich habe ein gutes Drittel meines Lebens in Arctis Tor verbracht.« Sie wandte ihr Gesicht ab. »Ich glaube niemandem.«

In diesem Augenblick dachte ich, noch niemals jemand so Schönes so einsam gesehen zu haben. Sie hatte ein Drittel ihres Lebens im Winter verbracht und konnte dennoch so barmherzig, freundlich und fürsorglich sein? Sie hatte wahrscheinlich Dinge gesehen, wie es wenige Sterbliche jemals mussten. Schreckliche und grausame Dinge.

Aber hier saß sie nun und sah einem Schicksal ins Auge, vor dem sie sich wahrscheinlich seit ihrer Kindheit gefürchtet hatte. Man hatte sie einem Monster überlassen, das sie verschlingen würde. Sie trat dem Unheil ruhig entgegen. Sie hatte sich unter Kontrolle und schaffte es immer noch, mir gegenüber herzlich zu sein. Das zeigte mir, dass sie viel Kraft hatte, und Kraft fand ich bei einer Frau schon immer attraktiv.

Ich hätte dieses Mädchen wirklich mögen können.

Natürlich hatte Mab sie genau deshalb ausgesucht, um mich in Versuchung zu führen, um mich dazu zu bringen, den rechten Pfad zu verlassen, indem ich sie mir »nahm«. Wenn ich dieser Verlockung nicht widerstand, würde ich nach und nach auch anderen Verlockungen nachgeben. Mab war Mab. Sie wollte keinen Ritter mit Gewissen.

Also plante sie, mein Gewissen Stück für Stück zu beseitigen. Wenn ich erst einmal meine Macht über das Mädchen missbraucht hätte, würde Mab meine Schuld und meinen Selbsthass nutzen, um mich zum nächsten und zum übernächsten Schritt zu treiben.

Mab war ein eiskaltes Miststück.

Ich wandte den Blick von Sarissa ab.

»Ich verstehe«, entgegnete ich. »Oder zumindest verstehe ich es teilweise. Mein erster Lehrer war auch nicht gerade Peter Lustig.«

Sie nickte, aber es war eine unverbindliche Geste, eine Bestätigung, dass ich gesprochen hatte, keine Bestätigung des Gesagten.

»Schön«, sagte ich. »Unangenehmes Schweigen ist unangenehm. Warum erklärst du mir nicht, was ich für heute Abend wissen muss?«

Sie nahm sich zusammen und fiel wieder in ihr höfliches Benehmen zurück. »Wir werden als Vorletzte eintreten, gleich vor der Königin. Sie wird dich dem Hof vorstellen und dann wird es Essen und Unterhaltung geben. Nach dem Festmahl wird von dir erwartet, dass du dich unter die Leute mischst, damit sie dich kennenlernen können.«

»Das ist das Protokoll? Thanksgiving bei den Schwiegereltern?«

Etwas Ähnliches wie ein echtes Lächeln brachte etwas Licht in ihre Augen. »Nicht ganz«, sagte sie. »Es gibt zwei Gesetze, die jeder unter Androhung der Todesstrafe befolgen muss.«

»Nur zwei? Mann, wovon leben die Anwälte der Winterfeen bloß?«

»Erstens«, sagte Sarissa und ignorierte meinen dummen Spruch, »darf kein Blut auf dem Boden des Hofes vergossen werden, wenn die Königin es nicht ausdrücklich befiehlt.«

»Kein Mord ohne ihre vorherige Zustimmung. Verstanden. Zweitens?«

»Niemand darf die Königin ansprechen, wenn sie es nicht ausdrücklich befiehlt.«

»Ernsthaft?« Ich schnaubte. »Ich halte nicht gern den Mund. Ehrlich gesagt bin ich sogar ziemlich sicher, dass ich das gar nicht kann. Es ist eine physische Unmöglichkeit. Wahrscheinlich ein Trauma aus einer Prägungsphase. Hast du je Spiderman-Comics gelesen, als du …«

»Harry.« Sarissas Stimme klang plötzlich angespannt, sie legte eine Hand auf meinen Arm und ihre schmalen Finger waren wie schwere Drähte. »Niemand spricht zur Königin«, flüsterte sie nachdrücklich. »Niemand. Nicht einmal Lady Maeve wagt es, gegen dieses Gesetz zu verstoßen.« Sie erschauerte. »Ich habe gesehen, was sonst passiert. Wir alle haben es gesehen.«

Ich schürzte die Lippen und betrachtete einen Augenblick lang nachdenklich ihre Hand. Dann nickte ich. »Gut«, sagte ich, »ich habe verstanden.«

Sarissa atmete langsam aus und nickte.

Just in diesem Moment öffnete sich eine Tür, die ich zuvor nicht gesehen hatte. Sie befand sich in der Mitte einer Wand, die einfach nur wie eine normale Wand ausgesehen hatte.

Cait Sith erschien in der Tür. Er ignorierte mich demonstrativ und richtete die goldenen Augen auf Sarissa. »Es ist Zeit.«

»Wir sind so weit«, sagte Sarissa.

Ich erhob mich und bot Sarissa eine Hand zum Aufstehen. Sie ergriff sie und hakte sich dann bei mir unter. Ihre Finger drückten kurz meinen Oberarm, dann drehten wir uns um und folgten Cait Sith einen weiteren Flur entlang.

Sarissa lehnte sich ein wenig näher und flüsterte: »Du weißt, was das hier ist, oder?«

»Ja«, knurrte ich leise. »Mein erster Tag im Gefängnishof.«

4. Kapitel

Sith führte uns noch einen weiteren Flur entlang, der dunkler war als die anderen, bis ich den Malk im Dämmer nicht einmal mehr sehen konnte. Stattdessen bildete sich eine dünne phosphoreszierende Schicht in Form seiner Pfotenabdrücke auf dem Boden, die genug Licht für uns spendete.

Ich spürte, wie Sarissa neben mir immer angespannter wurde, aber sie sagte nichts. Kluges Mädchen. Wenn hier irgendetwas plötzlich aufsprang und uns fressen wollte, würden wir es zuerst hören.

Das Geräusch unserer Schritte auf dem Boden veränderte sich, und ich merkte, dass wir einen großen, offenen Raum betreten hatten. Die leuchtenden Pfotenabdrücke vor uns verschwanden.

Ich blieb stehen und zog Sarissa näher zu mir. Wieder blieb sie völlig still und rang nur kurz nach Luft.

Leise Augenblicke vergingen.

»Sith«, flüsterte ich, »es ist mir egal, wie groß dein Schatten ist. Du bist ein verdammt schlechter Fremdenführer.«

Meine Stimme hallte hohl wider, während ich wartete, aber anscheinend wusste Sith nichts zu antworten. Nach einigen Augenblicken griff ich nach meinem Amulett und zog es unter dem Anzug hervor.

Ich hielt es hoch und konzentrierte mich, schickte ein Fünkchen meines Willens in das Pentagramm. Einen Atemzug später begann es, blauweiß zu leuchten. Ich hielt es hoch und sah mich um.

Wir befanden uns in einer weiteren Eishöhle, die voll war mit riesigen, bizarren … Strukturen. Ein anderer Begriff dafür fällt mir nicht ein, nur dass niemand Skulpturen von der Größe eines Gebäudes herstellt, nicht mal aus Eis. Ich sah mich langsam um. Die Strukturen hatten etwas Seltsames an sich, aber auch etwas beinahe …

Auch Sarissa sah sich um. Sie wirkte konzentriert, aber nicht ängstlich. »Sind das … riesengroße Möbel?«

… Alltägliches.

Die Strukturen waren tatsächlich Skulpturen im Maßstab von ungefähr eins zu acht. Skulpturen eines Sofas, zweier bequemer Sessel, eines gemauerten Kamins, von Bücherregalen … Mab hatte meine alte Kellerwohnung in Eis nachgebildet, bis hin zu den Teppichen, die auf dem Boden ins Eis geschnitzt waren.

Ich hatte etwa eine Sekunde Zeit, das Ganze auf mich wirken zu lassen, bis die Höhle in Geräuschen, Farben und Bewegungen explodierte. Eine Welle aus purem Lärm brandete gegen mich, während plötzlich eine Armee aller finsteren Gestalten, die jemals in einem Märchen vorgekommen sind, am Rande meines Lichtkreises sichtbar wurden. Ihre Schreie kamen von überallher.

Für einen sterblichen Magier ist das der Super-GAU. Wir können unglaubliche Dinge vollbringen, aber wir brauchen dafür Zeit. Manchmal bekommen wir die, indem wir uns im Vorfeld gut vorbereiten und Werkzeuge schaffen, die uns helfen, unsere Begabungen schneller und präziser zu bündeln. Manchmal bekommen wir Zeit, indem wir uns aussuchen, wann und wo wir unsere Kämpfe führen. Manchmal schaffen wir es, indem wir einen Zauber aus einigen oder einigen Hundert Kilometern Entfernung schleudern. Aber ich hatte keinen dieser Vorteile.

Während meiner Rekonvaleszenz bei Mab war ich zu beschäftigt mit Erholung oder Schlafen gewesen, um neue Werkzeuge zu erschaffen, und mein Amulett war alles, was ich hatte.

Das Gute war, dass Mab mir magisch gesehen ein gutes Training verpasst hatte. Ich war gezwungen gewesen, meine Begabung ohne Werkzeuge oder Krücken einzusetzen, oder ich wäre gestorben. Ich war jetzt besser darin, pure Magie zu handhaben, als je zuvor.

Das würde nur leider nicht reichen, um das zu überleben, was da auf mich zukam.

Ich trat ohne nachzudenken zwischen Sarissa und so viele Monster wie möglich und bündelte meinen Willen in meiner rechten Hand. Blasses blauweißes Feuer verschluckte plötzlich meine Finger, als ich den Drudenstern losließ. Ich hob die Hand, entschlossen, jemanden mit mir in den Tod zu nehmen.

Sarissas Hand schoss vor und ergriff mein Handgelenk. Sie riss meinen Arm herunter, ehe ich den Zauber loslassen konnte, und in dem riesigen Gebrüll von Lärm hörte ich zweierlei.

Zuerst Sarissa, die rief: »Kein Blutvergießen!«

Dann brüllten alle anderen in der Höhle: »ÜBERRASCHUNG!«

Die Armee aller Dinge, die je finster und hässlich gewesen waren, blieb etwa sechs Meter vor Sarissa und mir stehen, und Wände, Boden und Decken begannen zu leuchten. Musik begann zu spielen, ein ganzes gottverdammtes Symphonieorchester, live, irgendwo auf der anderen Seite der gigantischen Nachbildung meines alten, gebrauchten Sofas. Hoch oben an der Decke der Höhle drängten sich Tausende Streifen unheimlichen Lichts, die sich wie eine Flotte von Synchronschwimmern arrangierten. Sie bildeten die Worte »HAPPYBIRTHDAY, DRESDEN«.

Ich stand sekundenlang da, während mein Herz raste, und blinzelte verwirrt in die Runde. »Oh … äh …«

Sarissa musterte einen Augenblick lang die Decke und sah dann zu mir auf. »Das wusste ich nicht.«

»Ist heute Halloween?«

»Kurz davor, glaube ich.«

Es wurde noch bizarrer.

Sie begannen zu singen.

Sie sangen »Happy Birthday«.

Ich sagte schon, dass die Stimme eines Malks mir Gänsehaut verursacht. Doch das ist noch gar nichts im Vergleich zum rauen Kichern einer Sumpfhexe oder der abgefahrenen, seltsam pfeifenden Stimme eines Mantikors. Goblins können eine Melodie nicht einmal halten, wenn man ihnen den Weg mit Hütchen absteckt, und die riesigen Fledermauskreaturen, Mabs Luftwaffe, kreischten in Tonhöhen, die ich kaum noch wahrnehmen konnte. Trolle, riesige, hässliche Schläger, die über drei Meter hoch aufragten, klangen wie Nebelhörner mit Kehlkopfentzündung.

Über diese Dissonanz verteilt erhoben sich Stimmen, die das andere Extrem des Spektrums abdeckten. Sie hielten die Melodie mit so vollkommener, rasiermesserscharfer Klarheit, dass ich mir daran die Pulsadern aufschneiden wollte. Die Leute assoziieren Schönheit immer mit den Guten, aber das ist falsch. Am Winterhof gibt es Kreaturen von quälender Schönheit, hypnotisierender Schönheit, entwaffnender Schönheit, makelloser Schönheit, unerträglicher Schönheit und blutdurstiger Schönheit. Selbst in der Welt der Sterblichen sind viele Raubtiere schön, und man kann ihre Schönheit noch bewundern, während sie einen reißen und fressen.

Wie alle anderen Geschöpfe sangen auch die Sidhe für mich, und ich spürte das Gewicht ihrer Aufmerksamkeit auf mir wie die Welle, die einem Haiangriff vorausgeht.

Solche Musik hört man sich nicht an. Man überlebt sie.

Die Stimmen verstummten abrupt, die Menge teilte sich, und eine Frau trat aus ihren Reihen hervor. Um des dramaturgischen Effekts willen blieb sie einen Augenblick lang stehen und ließ sich von allen bewundern.

Sie hatte ihren Haarschnitt wieder verändert. Jetzt war es eine Art extrabreiter Irokesenschnitt, langes Haar bis auf die kahl rasierten Seiten ihres Kopfes. Die Ohren waren spitz, ihr Haar war immer noch in allen eisigen Schattierungen von Blau, Grün und dunklem Violett gefärbt und hing über die eine Gesichtshälfte. Das verlieh ihr etwas von Veronica Lake und gab ihren großen Augen einen extra Hauch von fröhlich-sündigem Mysterium. Für eine Frau war sie eher groß, vielleicht eins siebzig, und ihre Gestalt war diese vollkommene Mischung aus schmal und kurvig, wie sie manche glücklichen Mädchen vielleicht ein Jahr lang hatten. Mädchen in diesem Alter gerieten dann meist in Schwierigkeiten mit Männern, die alt genug waren, um es eigentlich besser zu wissen.

Sie war splitternackt. Nackt und genauso frisch, lebhaft und scheinbar unverdorben, wie sie das erste Mal ausgesehen hatte, als ich sie gut zehn Jahre zuvor getroffen hatte.

Nur war sie damals weniger nackt gewesen.

»Da ist ja das Geburtstagskind!«, trällerte Maeve und warf beide Arme hoch. Sie ging langsam und mit leicht übertrieben schwingenden Bewegungen auf mich zu. Genau genommen war sie nicht völlig nackt. Sie hatte silberne Piercings in den Brustwarzen, unter der Unterlippe, im Nabel und vermutlich auch noch anderswo. Ich erlaubte mir nicht, so genau hinzusehen. Ihre makellose blasse Haut war mit Edelsteinen besetzt. Ich wusste nicht, wie sie befestigt waren, aber sie hafteten an ihr und schickten bei jeder ihrer Bewegungen kleine farbige Lichtstrahlen durch die Höhle.

Sie huschte durch die Totenstille zu mir herüber. Ihre grünlichen Augen waren von Juwelen und einer Art Henna-Tätowierung in Form einer Augenmaske umgeben und glühten vor Sex-Appeal.

»Jetzt sieh dich nur an«, sagte sie, während sie um mich herumging und mich langsam und gründlich begutachtete. »Die Gerüchte über deinen Tod waren eine starke Übertreibung.«

»Hallo, Maeve«, sagte ich. »Weißt du, was, ich hätte fast dasselbe Outfit getragen. Mensch, wäre das unangenehm für uns beide gewesen!«

Die Winterfürstin, Mabs Nachfolgerin und Stellvertreterin, hatte ihre Umkreisung beendet und stand nun direkt vor mir. Sie schien vor purer, animalischer Anziehungskraft bersten zu wollen. »Es ist dein Geburtstag. Also kam ich so, wie ich geboren wurde.« Sie holte tief Luft, wohl um des dramatischen Effekts willen. »Ich hoffe, es gefällt dir.«

Ja, verdammt, es gefiel mir! Dabei hatte sie keine Magie auf mich angewendet, darauf hatte ich bereits geachtet, als ich sie erblickte. Es lag auch nicht daran, dass ich mich veränderte. Was immer Mab mit mir angestellt hatte, es hatte mein gebrochenes Rückgrat geheilt, mir die Geschwindigkeit eines Vampirs verliehen und Reflexe, die mit dem Angriff eines wütenden Malk fertigwurden. Es hatte mich sicher nicht auf fundamentaler Ebene verändert.

Maeve sah mir in die Augen und lächelte ganz langsam. Genau wie bei Mab spürte ich, wie mein Körper auf ihre Anwesenheit reagierte, auf ihre Nähe, auf ihr … alles. Dieses Lächeln beinhaltete etwas, das sie mir in einem einzigen aufblitzenden Augenblick übermittelte. Maeve, wie sie sich in Ekstase unter mir räkelte, wie sie zu mir aufsah und sich dieses herrliche Gesicht in reinem Gefühl verlor. Mit diesem Bild kamen Hunderte und Tausende weitere, jedes davon ein einziger eingefangener Moment, Augenblicke, wie sie aus berauschenden Träumen zurückbleiben, eingefroren und übereinandergelegt, und jedes Bild wiederum ein Versprechen und eine Voraussage, jedes von ihnen zielte direkt auf die niedrigsten, urtümlichsten Teile meines Hirns.

Die Augenblicke waren nicht auf das Visuelle beschränkt. Jede Schicht dieses Aufblitzens hatte ihre eigene sinnliche Erinnerung, jede davon nur bruchstückhaft, aber intensiv – fühlen, schmecken, riechen, hören und sehen –, Dutzende und Aberdutzende von Träumen und Fantasien, die in diesen einen Moment dunkler Erleuchtung gepresst waren.

Ich hatte schon Sex gehabt, der sich nicht so gut angefühlt hatte wie Maeves Lächeln.

Du hörst mich. Maeves Gedanken kamen mit den Bildern. Du hörst mich, weil wir jetzt eins sind, genau wie du und Mab. Ich habe dich gefühlt, weißt du, als du dich mit uns vereint hast. Ich will mehr empfinden. Du bist auch mein Ritter. Lass mich dich willkommen heißen. Komm zu mir. Komm mit mir. Wandle im Sternenlicht und lass mich dir geheime Freuden zeigen.

Ich brauchte ein paar Sekunden, um mich zu erinnern, dass ich noch immer in der eisigen Halle stand, noch immer meine Kleidung trug und noch immer etwa eine Armlänge von Maeve entfernt war. Als ich sprach, tat ich es durch zusammengebissene Zähne. »Tut mir leid. Ich hab heute Abend schon ’ne Verabredung.«

Sie warf den Kopf in den Nacken und lachte. Als sie mich wieder ansah, blitzten ihre Augen wild, dann richtete sie den Blick auf Sarissa. »Sie ist bezaubernd. Ich würde sie gern … näher kennenlernen.«

Denk an die Möglichkeiten, mein Ritter. Eine weitere Diashow aus Sinneseindrücken begann in meinem Kopf, und jedes Bild war etwas, von dem ich wusste, dass ich es nicht verlockend finden sollte. Diesmal war Sarissa an dem beteiligt, was ich sah und spürte. Ich kann dir Vergnügen bereiten, von dem du nie zu träumen gewagt hast. Bring deine zauberhafte Begleitung mit. Ich werde sie dir schenken und noch viele, viele weitere.

Wieder füllte sich mein Kopf mit verrückten Möglichkeiten von Freuden, schwindelerregend, prickelnd, und eine Sekunde lang kam mir in den Sinn, ich könnte ja einfach mal nachsehen, was sich hinter dem ersten Türchen verbarg. Ich wusste, es wäre dumm. Ich müsste ein Idiot sein, und trotzdem …

In der Halle war es bis auf meinen eigenen angestrengten Atem still geworden. Plötzlich bemerkte ich die Anspannung in der Luft. Jedes Wesen dort wartete ab, und mir wurde plötzlich klar, dass das schon der zweite Mordversuch an diesem Abend war. Maeve versuchte, mich zu vernichten.

»Hast du das auch Lloyd angeboten?«, fragte ich.

Maeve legte den Kopf schräg und fixierte mich. Ihr Lächeln war plötzlich wie eingefroren.

»Hat dir das die Sprache verschlagen?«, fragte ich etwas lauter und verächtlicher. »Oder hast du die Frage nicht verstanden?«

Das gefrorene Lächeln wurde arktisch. »Was hast du gerade gesagt?«

»Ich habe Nein gesagt, du tückische, ränkeschmiedende, widerwärtige Schlampe!« Ich spie die Worte mit all der Verachtung aus, die ich aufbringen konnte. »Ich habe gesehen, wie du Lloyd Slate behandelt hast. Ich habe gesehen, wie du die Wechselbälger deines Hofes behandelst. Ich weiß, was ich von dir erwarten darf, du unverschämte, verzogene, selbstsüchtige, kleingeistige, grausame, dumme kleine Bienenkönigin.«

Maeves Miene veränderte sich, aber nicht absichtlich, wie mir schien. Sie wirkte … fassungslos.

Sarissa sah mich erschrocken an. Dann schaute sie sich um, als suche sie ein Kaninchenloch, einen Bunker oder eventuell auch ein gepanzertes Gefährt, in dem sie sich verkriechen konnte.

»Deine letzte Dienerin hast du losgeschickt, um meine Freunde an ihrem Hochzeitstag zu töten, Maeve.« Meine Stimme war so laut, dass man sie in der ganzen Höhle hörte. »Hast du gedacht, ich hätte das vergessen? Glaubst du, ich bin zu dumm, um zu kapieren, dass du diese kleine Überraschungsparty organisiert hast, weil du hoffst, ich würde hier am Hof des Winters Blut vergießen? Du hast versucht, mich zu ermorden, Maeve, und du glaubst allen Ernstes, ein bisschen übernatürliches Pornokino lässt mich das vergessen? Keine Ahnung, ob du verrückt oder einfach nur völlig bescheuert bist.«

Maeve starrte mich mit offenem Mund an.

»Also dreh dich um und schieb deinen nackten kleinen Arsch weg von mir«, fügte ich noch laut hinzu, »ehe ich das für dich tue.«

Einen langen Augenblick herrschte Totenstille.

Dann verzog sich Maeves Gesicht vor Zorn, die verführerische Schönheit verschwand, stattdessen strahlte sie jetzt animalische Raserei aus. Ihre Augen leuchteten, und die Temperatur in der Höhle nahm rapide und schmerzhaft ab, so stark, dass sich Eiskristalle bildeten. Auf dem Eis. Das gottverdammte Eis gefror.

Maeve funkelte mich mit nacktem Hass in ihren zu großen Augen an, dann aber lächelte sie kurz. »Es scheint, wir hätten immer noch ein Leben, das wir feiern sollten«, fauchte sie. »Musik!«

Von irgendwoher begann die Symphonie wieder zu spielen. Der lautlose Stiefelkreis von Bösewichtern aus Gutenachtgeschichten zerstreute sich mit fließender Anmut. Einige Sekunden später hätte man fast meinen können, wir wären auf einer wilden, extrem noblen Kostümparty.

Maeve drehte sich im Kreis, warf höhnisch das Haar über die Schultern und verschwand in der Menge.

Ich wandte mich zu Sarissa, die mich mit großen Augen ansah. »Du hast sie abblitzen lassen.«

»Mhm.«

»Das tut niemand. Nicht hier.«

»Mir doch schnuppe.«

»Du verstehst nicht. Diese Beleidigung ist … ist …« Sarissa schüttelte den Kopf und sagte dann in meisterhafter Untertreibung: »Sie wird sich an dir rächen wollen.«

»Und wenn schon«, sagte ich. »Ich bin der Ritter des Winters.«

Sie atmete tief ein. »Nun, die erste Runde hast du gewonnen.«

»Ich habe sie nur überlebt.«

»Hier ist überleben gleichbedeutend mit gewinnen.«

»Na, dann war das doch ein guter Anfang.« Ich schaute mich um und sagte: »Los, komm.«

»Wohin gehen wir?«

»Irgendwohin, wo wir nicht in der Mitte des Saals stehen. Irgendwohin, wo ich meinen Rücken an eine Wand drücken kann. Irgendwohin, wo es hoffentlich ein paar leckere Häppchen gibt. Ich bin am Verhungern.«