Die dunklen Fälle des Harry Dresden - Feenzorn - Jim Butcher - E-Book

Die dunklen Fälle des Harry Dresden - Feenzorn E-Book

Jim Butcher

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Feen – die Schönheit dieses übernatürlichen Volkes wird nur von einem übertroffen: ihrer Grausamkeit … Der vierte dunkle Fall für Harry Dresden.

Mein Name ist Harry Blackstone Copperfield Dresden, und ich bin ein Magier. Doch auch mit meinen außergewöhnlichen Fähigkeiten war ich nicht im Geringsten darauf vorbereitet, was mich am Hof der Sidhe erwartete. Der Sommerritter war tot, und ich sollte den Mörder finden. Aber versuchen Sie mal, klare Antworten von Wesen zu bekommen, die dafür berühmt sind, in Rätseln zu sprechen. Zudem waren auch die jüngsten von ihnen mir im Spinnen von Intrigen Jahrhunderte voraus. Doch ich durfte nicht versagen. Die Sidhe hatten mir sehr klar gemacht, dass es in diesem Fall um weit mehr ging als um mein Leben.

Die dunklen Fälle des Harry Dresden:
1. Sturmnacht
2. Wolfsjagd
3. Grabesruhe
4. Feenzorn
5. Silberlinge
6. Bluthunger
weitere Titel in Vorbereitung

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 534

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Buch

Mein Name ist Harry Blackstone Copperfield Dresden, und ich bin ein Magier. Doch auch mit meinen außergewöhnlichen Fähigkeiten war ich nicht im Geringsten darauf vorbereitet, was mich am Hof der Sidhe erwartete. Der Sommerritter war tot, und ich sollte den Mörder finden. Aber versuchen Sie mal, klare Antworten von Wesen zu bekommen, die dafür berühmt sind, in Rätseln zu sprechen. Zudem waren auch die Jüngsten von ihnen mir im Spinnen von Intrigen Jahrhunderte voraus. Doch ich durfte nicht versagen. Die Sidhe hatten mir sehr klar gemacht, dass es in diesem Fall um weit mehr ging als um mein Leben.

Autor

Jim Butcher ist der Autor der Dresden Files, des Codex Alera und der Cinder-Spires-Serie. Sein Lebenslauf enthält eine lange Liste von Fähigkeiten, die vor ein paar Jahrhunderten nützlich waren – wie zum Beispiel Kampfsport –, und er spielt ziemlich schlecht Gitarre. Als begeisterter Gamer beschäftigt er sich mit Tabletop-Spielen in verschiedenen Systemen, einer Vielzahl von Videospielen auf PC und Konsole und LARPs, wann immer er Zeit dafür findet. Zurzeit lebt Jim in den Bergen außerhalb von Denver, Colorado.

Besuchen Sie uns auch auf www.instagram.com/blanvalet.verlagund www.facebook.com/blanvalet.

Jim Butcher

FEENZORN

DIE DUNKLEN FÄLLE DES HARRY DRESDEN

Roman

Deutsch von Jürgen Langowski

Die Originalausgabe erschien 2000 unter dem Titel »Summer Knight (The Dresden Files 4)« bei Penguin RoC, New York.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright der Originalausgabe © 2002 by Jim ButcherPublished by Arrangement with IMAGINARY EMPIRE LLC

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2023 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Peter Thannisch

Umschlaggestaltung und -motiv: www.buerosued.de

Illustrationen: © www.buerosued.de

HK · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-29104-4V001www.blanvalet.de

Für alle großen Schwestern auf der ganzen Welt, die genug Geduld haben, ihre kleinen Brüder nicht gleich zu erwürgen – und besonders für meine eigenen Schwestern, die mehr Geduld als viele andere aufbringen mussten. Ich verdanke euch beiden sehr viel. Und für Mom – aus Gründen, die so offensichtlich sind, dass ich sie nicht eigens niederschreiben muss. Aber ich denke, ich sollte wenigstens die Zuckerstangen und den quietschenden Schaukelstuhl erwähnen, der mich beim Einschlafen begleitete.

1. Kapitel

An dem Tag, als der Weiße Rat in die Stadt kam, regnete es Kröten.

Ich stieg aus meinem verbeulten alten Volkswagen und blinzelte in der Sommersonne. Der Lake Meadow Park liegt etwas südlich von Chicagos Loop und ein gutes Stück vom Ufer des Michigansees entfernt. Trotz der Hitze, die wir schon seit einiger Zeit ertragen mussten, war der Park für gewöhnlich voller Besucher. An diesem Tag jedoch war er bis auf eine alte Dame mit einem Einkaufswagen, die in ihrem langen Mantel über einen Weg schlurfte, völlig verlassen. Schon jetzt, am Vormittag, waren mir meine leichte Hose und das T-Shirt zu warm.

Nachdem ich mich einen Moment lang blinzelnd umgesehen und zwei Schritte auf die Rasenfläche gemacht hatte, klatschte mir etwas Feuchtes und Matschiges auf den Kopf.

Ich zuckte zusammen und betastete mein Haar. Etwas Kleines fiel herunter und landete vor mir auf dem Boden. Eine Kröte. Nicht sehr groß, wenn man weiß, wie fett Kröten werden können. Diese hätte leicht in meine hohle Hand gepasst. Sie torkelte vor meinen Füßen benommen hin und her, krächzte ungnädig und hüpfte davon.

Ringsherum lagen noch mehr Kröten auf dem Boden. Ziemlich viele sogar. Ihr Quaken nahm an Lautstärke zu, als ich mich weiter in den Park bewegte. Immer mehr Amphibien prasselten herab, als hätte der Allmächtige einen Eimer mit Kröten vom Himmel gekippt. Überall hüpften sie herum. Sie bedeckten den Boden nicht völlig, aber man konnte ihnen kaum noch ausweichen. Alle paar Sekunden landete eine neue mit einem dumpfen Platschen. Ihr Krächzen erinnerte ein wenig an Partygespräche in einem überfüllten Raum.

»Das ist verrückt, was?«, rief jemand aufgeregt. Ein breitschultriger junger Mann näherte sich mir mit zielstrebigen Schritten.

Billy der Werwolf trug eine Trainingshose und ein einfarbiges dunkles T-Shirt. Vor ein oder zwei Jahren hätte diese Aufmachung noch die vierzig oder fünfzig überflüssigen Pfunde verborgen, die er mit sich herumgeschleppt hatte. Jetzt steckten die Muskeln darunter, die er stattdessen bekommen hatte.

Er gab mir lächelnd die Hand. »Hab ich’s dir nicht gesagt, Harry?«

»Billy.« Sein Händedruck zerquetschte mir fast die Finger. Vielleicht war er sich seiner Körperkraft nicht einmal richtig bewusst. »Was macht das Werwolfgeschäft?«

»Es ist ziemlich interessant«, sagte er. »Auf unseren Patrouillen sind uns in der letzten Zeit eine Menge eigenartiger Dinge aufgefallen. Wie etwa dies hier.« Er deutete auf den Park. Wenige Schritte vor uns stürzte gerade wieder eine Kröte ab. »Deshalb haben wir den Magier gerufen.«

Patrouillen? Bei der heiligen Bürgerwehr, Batman geht um. »Waren auch normale Leute hier?«

»Nein, nur ein paar Meteorologen von der Universität. Sie sagten, in Louisiana hätte es Tornados gegeben oder so. Die Stürme hätten die Kröten hierher befördert.«

Ich schnaubte. »Die Behauptung, es sei Magie im Spiel, wäre vermutlich leichter zu schlucken als so was.«

Billy grinste. »Keine Sorge. Es wird nicht lange dauern, bis jemand auftaucht, der es als Schwindel wegerklärt.«

»Hm.« Ich kehrte zum Käfer zurück und öffnete die vordere Haube, um im Kofferraum herumzukramen. Endlich fand ich den Nylonrucksack, aus dem ich zwei kleine Stoffbeutel zog. Einen warf ich Billy zu. »Schnapp dir ein paar Kröten und steck sie da hinein.«

Stirnrunzelnd fing er den Beutel auf. »Warum?«

»Damit ich feststellen kann, ob sie echt sind.«

Billy zog die Augenbrauen hoch. »Meinst du denn, sie sind es nicht?«

Ich sah ihn von der Seite an. »Billy, mach doch einfach, was ich dir sage. Ich hab nicht geschlafen, ich weiß nicht mehr, wann ich die letzte warme Mahlzeit hatte, und ich hab vor Einbruch der Dämmerung noch eine Menge zu tun.«

»Aber warum sollten sie nicht echt sein? Sie sehen jedenfalls echt aus.«

Ich schnaufte gequält und riss mich zusammen, um nicht schon wieder wie so oft in der letzten Zeit zu explodieren. »Sie könnten echt aussehen und sich auch so anfühlen und dennoch künstlich erzeugt worden sein. Erschaffen aus dem Stoff des Niemalslands und belebt durch Magie. Ich hoffe jedenfalls, dass es so ist.«

»Warum?«

»Weil das lediglich bedeuten würde, dass ein Feenwesen Langeweile bekommen und ein bisschen herumgespielt hat. Manchmal tun sie das.«

»Na schön. Aber wenn sie echt sind?«

»Wenn sie echt sind, ist irgendwo etwas völlig aus dem Ruder gelaufen.«

»Schlimm?«

»Sehr Schlimm. Löcher im Gewebe der Realität.«

»Und das wäre schlecht?«

Ich sah ihn an. »Allerdings, Billy. Das wäre übel. Es würde bedeuten, dass etwas Schwerwiegendes passiert ist.«

»Aber wenn …«

Jetzt riss mir tatsächlich der Geduldsfaden. »Ich hab weder Zeit noch Lust, heute Morgen einen Vortrag zu halten. Hör endlich auf damit.«

Beschwichtigend hob er eine Hand. »Schon gut, Mann. Wie du willst.« Dann wanderten wir durch den Park und sammelten Kröten ein. »Jedenfalls ist es schön, dich mal wieder zu sehen. Ich und die Gang haben uns gefragt, ob du vielleicht am Wochenende mal vorbeikommen und mit uns abhängen willst.«

Ich hob eine Kröte auf und betrachtete ihn unsicher. »Wozu?«

»Wir könnten Arcanos spielen, Mann«, grinste er. »Allmählich macht die Kampagne wirklich Spaß.«

Rollenspiele. Ich gab irgendetwas Einsilbiges von mir. Die alte Dame wanderte an uns vorbei, die wackligen Räder ihres Einkaufswagens quietschten.

»Das ist echt klasse«, versicherte mir Billy. »Wir stürmen Lord Malocchios Festung, aber wir müssen es verkleidet und im Schutz der Nacht tun, damit der Rat der Wahrheit nicht erfährt, wer die Freischärler waren, die ihn erledigt haben. Es gibt Zaubersprüche, Dämonen und Drachen und alles andere. Hast du Lust?«

»Klingt zu sehr nach Arbeit.«

Billy schnaubte verächtlich. »Harry, hör mal, ich weiß ja, dass du wegen dieses Vampirkriegs ziemlich nervös und grantig bist. Trotzdem kannst du nicht dauernd in deinem Keller hocken.«

»Was für ein Vampirkrieg?«

Darauf verdrehte er die Augen. »So was spricht sich rum. Ich weiß, dass der Rote Hof der Vampire den Magiern den Krieg erklärt hat, nachdem du im letzten Herbst Biancas Haus niedergebrannt hast. Ich weiß auch, dass sie seitdem mehrmals versucht haben, dich umzubringen. Außerdem kommt bald der Weiße Rat in die Stadt, um zu beratschlagen, was zu tun ist.«

»Was für ein Weißer Rat?«, knurrte ich.

Er seufzte. »Es ist nicht gut, wenn du zum Einsiedler wirst. Ich meine, sieh dich doch mal an. Wann hast du dich das letzte Mal rasiert oder geduscht? Wann hast du dir die Haare schneiden lassen? Wann bist du das letzte Mal rausgegangen, um deine Wäsche zu waschen?«

Ich kratzte meine Bartstoppeln. »Ich war draußen. Sogar öfter.«

Billy schnappte sich eine weitere Kröte. »Wann denn?«

»Ich war mit dir und den Alphas bei diesem Footballspiel.«

»Ja, das war im Januar, Dresden. Jetzt haben wir Juni.« Er schüttelte den Kopf und sah mich mit gerunzelter Stirn an. »Die Leute machen sich deinetwegen Sorgen. Klar, du hast an irgendeinem Projekt gearbeitet oder so. Aber dieser ungewaschene Mann mit diesem wilden Blick, das bist nicht du.«

Ich bückte mich und hob eine Kröte auf. »Du weißt ja nicht, was du da redest.«

»Das weiß ich besser, als du denkst«, sagte er. »Es hat mit Susan zu tun, stimmt’s? Im letzten Herbst ist etwas mit ihr passiert. Etwas, das du rückgängig machen willst. Vielleicht haben ihr die Vampire etwas angetan. Deshalb hat sie die Stadt verlassen.«

Ich schloss die Augen und musste mich beherrschen, um nicht die Kröte zu zerquetschen, die ich in der Hand hatte. »Lass das Thema.«

Billy blieb stehen und schob trotzig das Kinn vor. »Nein, Harry. Verdammt, du bist wie vom Erdboden verschwunden, du lässt dich kaum noch in deinem Büro blicken, du gehst nicht ans Telefon und reagierst nicht, wenn es an der Tür klingelt. Wir sind deine Freunde und machen uns Sorgen um dich.«

»Es geht mir gut«, wehrte ich ab.

»Du bist ein erbärmlicher Lügner. Wie es heißt, holen die Roten frische Kräfte in die Stadt. Sie haben sogar eine Belohnung ausgesetzt. Wenn dich eines ihrer Groupies erledigt, wird es sofort als voller Vampir aufgenommen.«

»Bei den Toren der Hölle«, murmelte ich. Allmählich bekam ich Kopfschmerzen.

»Es ist kein guter Augenblick, allein hier draußen herumzulaufen. Nicht einmal tagsüber.«

»Ich brauch keinen Babysitter.«

»Harry, ich kenne dich besser als die meisten anderen. Ich weiß, dass du Dinge tun kannst, die anderen Leuten nicht möglich sind. Aber deshalb bist du noch lange nicht Superman. Jeder braucht hin und wieder mal Hilfe.«

»Nicht ich. Nicht jetzt.« Ich stopfte die Kröte in den Sack und hob eine weitere auf. »Dazu habe ich keine Zeit.«

»Oh, da fällt mir was ein.« Billy zog einen zusammengefalteten Zettel aus der Hosentasche. »Du hast um drei einen Termin mit einer Klientin.«

Verdutzt starrte ich ihn an. »Was?«

»Ich war in deinem Büro und hab deinen Anrufbeantworter abgehört. Eine Miss Sommerset wollte dich erreichen, deshalb hab ich sie zurückgerufen und für dich den Termin vereinbart.«

Mein Ärger regte sich wieder. »Was hast du gemacht?«

Er schien jetzt ebenfalls leicht gereizt. »Ich hab auch deine Post durchgesehen. Der Vermieter deines Büros droht dir mit einer Räumungsklage. Wenn du nicht binnen einer Woche zahlst, wirft er dich raus.«

»Was zum Teufel gibt dir das Recht, in meinem Büro rumzuschnüffeln und meine Klienten anzurufen?«

Mit funkelnden Augen baute er sich vor mir auf. Ich musste seine Nase anstarren, um ihm nicht versehentlich in die Augen zu blicken. »Komm von deinem hohen Ross runter. Ich bin dein Freund, verdammt. Du hast dich schon viel zu lange in deinem Apartment verkrochen. Du solltest dankbar sein, dass ich dir helfe, deine Firma zu retten.«

»Du hast verdammt recht damit, dass es meine Firma ist«, fauchte ich. Am Rande meines Gesichtsfeldes fuhr die Frau mit dem Einkaufswagen vorbei, bis die Räder hinter mir quietschten. »Es ist meins und nicht deins.«

»Na schön«, gab er empört zurück. »Dann verkriech dich doch in deiner Höhle, bis sie dich auch dort hinausjagen.« Er spreizte die Finger. »Guter Gott, Mann! Ich muss kein Magier sein, um zu erkennen, wenn es mit jemandem bergab geht. Du bist am Boden zerstört, du brauchst Hilfe.«

Ich tippte mir mit einem Finger gegen die Brust. »Nein, Billy. Ich brauche nicht mehr Hilfe, sondern weniger blutjunge Babysitter, die glauben, sie seien der Lone Ranger mit Reißzähnen, nur weil sie einen einzigen Trick gelernt haben. Ich will nicht zusehen müssen, wie die Vampire auf die Menschen in meiner Umgebung losgehen, nur weil sie mich nicht erwischen können. Ich hab keine Lust, mir ständig Sorgen zu machen, wen es als Nächsten trifft, sobald ich einen Moment nicht aufpasse.« Ich bückte mich, hob eine Kröte auf und entriss Billy seinen Stoffbeutel, als ich wieder hochkam. »Ich kann euch nicht brauchen.«

Natürlich geschah der Anschlag genau in diesem Augenblick.

Im Vergleich zu anderen Mordversuchen war er nicht sonderlich raffiniert geplant. Ein Motor heulte auf, ein schwarzer, offener Geländewagen fuhr etwa fünfzig Meter entfernt über den Bordstein in den Park. Er federte und schleuderte, die Reifen rissen Furchen in das von der Sonne verbrannte Gras. Hinten hielten sich zwei Männer am Überrollbügel fest. Sie waren ganz in Schwarz gekleidet und trugen über den Skimasken sogar dunkle Sonnenbrillen. Bewaffnet waren sie mit handlichen Automatikgewehren, die ich für Uzis hielt.

»Verschwinde!« Ich packte Billy mit der rechten Hand und schob ihn hinter mich. Mit der linken schüttelte ich das Armband herunter, an dem eine Reihe winziger Schilde mit mittelalterlichen Motiven hingen. Dann hob ich die linke Hand, zielte auf den Geländewagen und sammelte meine Willenskraft, um mithilfe des Armbands zwischen dem sich nähernden Truck und mir eine flimmernde Halbkugel aufzubauen.

Das Auto hielt schlingernd an. Die beiden Schützen zögerten keine Sekunde, zielten mit der Disziplin von Actionfilmkomparsen mehr oder weniger auf mich und leerten mit einem dröhnenden Feuerstoß ihre Magazine.

Die Kugeln schlugen vor mir im Schild Funken und flogen heulend und zischend als Querschläger davon. Mein Armband wurde nach ein oder zwei Sekunden ungemütlich heiß, denn der Angriff beanspruchte den Schutzschild bis an die Grenze. Ich versuchte, ihn leicht schräg zu halten, um die Kugeln nach Möglichkeit in die Luft abzulenken. Keine Ahnung, wohin sie dann flogen – ich konnte nur hoffen, dass sie nicht in der Nähe einige Autos oder Passanten durchbohrten.

Die Automatikwaffen waren leer. Mit ruckartigen, wenig professionellen Bewegungen luden die Schützen nach.

»Harry!«, rief Billy.

»Nicht jetzt!«

»Aber …«

Ich ließ den Schild fallen und hob die rechte Hand. Der silberne Ring, den ich am Zeigefinger trage, war mit einem Spruch so eingerichtet, dass er bei jeder Bewegung meines Arms ein wenig kinetische Energie speicherte. Ich hatte den Ring seit Monaten nicht benutzt, und entsprechend stark war er geladen. Natürlich konnte ich nicht die volle Energie auf die Schützen loslassen, denn das hätte mindestens einen von ihnen getötet, und dies wäre im Grunde genauso gewesen, als hätte ich mich gleich erschießen lassen. Es würde auf diese Weise nur etwas länger dauern. Der Weiße Rat reagiert sehr ungehalten, wenn jemand das Erste Gesetz der Magie verletzt: Du sollst nicht töten. Einmal war ich aus verfahrenstechnischen Gründen davongekommen, aber das würde sich gewiss nicht wiederholen.

Ich knirschte mit den Zähnen, konzentrierte mich auf einen Punkt seitlich neben den Schützen und setzte die Energie aus dem Ring frei. Unbändige Kräfte, unsichtbar, aber sehr greifbar, rasten durch die Luft und trafen den ersten Schützen seitlich am Oberkörper. Die Automatik prallte gegen seine Brust, der Aufschlag riss ihm die Sonnenbrille vom Kopf und zerfetzte einen Teil seiner Kleidung, während er rückwärts aus dem Truck stürzte und irgendwo auf der anderen Seite landete.

Der zweite Schütze bekam weniger ab, ihn traf es vor allem an der Schulter und am Kopf. Er hielt die Waffe fest, verlor aber seine Sonnenbrille und die Skimaske. Er sah aus wie ein normaler Junge, der kaum alt genug zum Wählen war. Er blinzelte, als es auf einmal hell um ihn wurde, und dann fummelte er weiter herum, um nachzuladen.

»Kinder«, knurrte ich und baute wieder den Schild auf. »Jetzt hetzen sie schon Kinder auf mich. Bei den Toren der Hölle!«

Auf einmal standen mir sämtliche Nackenhaare zu Berge. Als der Bursche mit der Automatik wieder zu feuern begann, sah ich mich rasch um.

Die alte Dame mit dem Einkaufswagen hatte ungefähr fünf Meter hinter mir angehalten. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie keineswegs so alt war, wie es den Anschein hatte. Unter dem Make-up bemerkte ich den flackernden Blick kühler dunkler Augen, und ihre Hände waren jung und glatt. Aus den Tiefen des Einkaufswagens zog sie eine abgesägte Schrotflinte und zielte damit auf mich.

Von vorn prasselten die Kugeln der Automatik gegen meinen Schild, und ich hatte schon Mühe, ihn überhaupt aufrechtzuerhalten. Wenn ich jetzt noch Magie gegen die dritte Angreiferin einsetzte, würde ich die Konzentration und damit auch den Schild verlieren – und ob er nun unerfahren war oder nicht, der Schütze auf dem Truck beharkte die Umgebung ziemlich gründlich und würde früher oder später treffen.

Wenn die verkleidete Meuchelmörderin andererseits eine Gelegenheit bekam, die Schrotflinte aus fünf Schritten Entfernung abzufeuern, würde sich niemand mehr die Mühe machen, mich ins Krankenhaus zu schaffen, denn dann käme ich sofort ins Leichenschauhaus.

Die Kugeln hämmerten gegen meinen Schild, und ich konnte nichts weiter tun, als zuzusehen, wie die Frau auf mich anlegte. Ich steckte in der Klemme und Billy wahrscheinlich auch.

Dann setzte mein Freund sich in Bewegung. Er hatte das T-Shirt bereits ausgezogen und zeigte seine Muskeln – die flachen, harten Muskeln eines Sportlers, nicht die sorgfältig modellierten eines Fitnessstudiobesuchers. Er näherte sich der Frau mit der Schrotflinte und zog unterwegs auch seine Trainingshose aus. Darunter war er nackt.

Gleichzeitig erwachte die Magie, die Billy einsetzte – scharf, präzise, konzentriert. Keine Spur von einem Ritual, kein langsames Aufbauen der Kräfte, um sie schließlich zu entlassen. Seine Konturen verschwammen, und an Stelle des nackten Billy sprang auf einmal Billy, der Werwolf, die Angreiferin an. Ein Biest mit dunklem Fell in der Größe einer Dänischen Dogge schnappte nach der Hand, die den Lauf der Schrotflinte hielt.

Die Frau schrie auf und riss die Hand zurück, auf den Fingern zeichneten sich Blutstropfen ab. Sie schwang die Waffe wie eine Keule, um nach Billy zu schlagen. Er wich aus und bekam einen Hieb auf die Schultern, was ihm ein böses Knurren entlockte. Schneller, als ich es mit bloßem Auge verfolgen konnte, ging er erneut auf die Frau los, und die Schrotflinte fiel zu Boden.

Wieder kreischte die Frau und zog auch die andere Hand zurück.

Sie war kein Mensch.

Ihre Hände dehnten sich ebenso wie die Schultern und das Kinn. Die Fingernägel verwandelten sich in hässliche scharfe Krallen, mit denen sie nach Billy hackte. Sie traf ihn am Kinn und entlockte ihm ein schmerzvolles Kläffen, auf das ein weiteres Knurren folgte. Er rollte sich ab und war sofort wieder auf den Pfoten, umkreiste die falsche Frau und zwang sie, mir den Rücken zuzuwenden.

Der Schütze im Truck hatte abermals sein Magazin geleert. Ich ließ den Schild fallen und hechtete los, um die Schrotflinte an mich zu nehmen. Als ich sie hatte, rief ich: »Billy, auf jetzt!«

Der Wolf schoss seitlich davon, und die Frau drehte sich sofort zu mir um. Ihr Gesicht war vor Wut verzerrt, zwischen den Reißzähnen lief Speichel aus dem Mund.

Ich zielte auf ihren Bauch und drückte ab.

Die Schrotflinte knallte und prallte heftig gegen meine Schulter. Kaliber 10 vielleicht oder Hohlspitzmunition. Die Frau krümmte sich, stieß ein Kreischen aus und fiel auf den Rücken. Allerdings blieb sie nicht lange liegen, gleich darauf war sie wieder auf den Beinen. Ihre zerlumpten Kleider waren völlig blutig, und ihr Gesicht war nicht im Entferntesten menschlich.

Sie rannte an mir vorbei zum Truck und sprang hinten auf. Der Schütze zog seinen Partner wieder herein, und der Fahrer gab Gas. Grasbrocken flogen, ehe die Reifen griffen, dann raste der Wagen zurück auf die Straße und fädelte sich in den fließenden Verkehr ein.

Ich starrte ihm einen Augenblick keuchend hinterher. Endlich ließ ich auch die Flinte sinken, und dabei wurde mir klar, dass ich es irgendwie geschafft hatte, die Kröte festzuhalten, die ich mit der linken Hand aufgehoben hatte. Sie wand und wehrte sich, was mir zu verstehen gab, dass ich sie fast zerquetscht hätte. Also lockerte ich meinen Griff, ohne sie ganz loszulassen.

Dann sah ich mich nach Billy um. Der Wolf eilte zu seiner abgelegten Trainingshose zurück, flimmerte einen Augenblick und verwandelte sich wieder in einen nackten jungen Mann. Er hatte zwei lange Kratzer auf der Wange, Blut rann in dünnen Fäden am Hals hinab. Seine Anspannung war der einzige Hinweis darauf, dass er Schmerzen hatte.

»Alles klar?«, fragte ich ihn.

Er nickte und zog eilig die Hose und das T-Shirt an. »Ja. Was zum Teufel war das?«

»Ein Ghul«, erklärte ich. »Wahrscheinlich vom La-Chaise-Clan. Sie arbeiten mit dem Roten Hof zusammen und können mich nicht sonderlich gut leiden.«

»Warum nicht?«

»Ich habe ihnen einige Male Schwierigkeiten bereitet.«

Billy zog eine Ecke seines T-Shirts hoch und tupfte die Risse im Gesicht ab. »Mit den Krallen hatte ich nicht gerechnet.«

»Sie verstehen sich zu tarnen.«

»Ein Ghul, ja? Ist das ein Untoter?«

Ich schüttelte den Kopf. »Sie sind wie Küchenschaben, sie überleben fast alles. Kannst du gehen?«

»Ja.«

»Gut, dann lass uns hier verschwinden.«

Wir kehrten zum Käfer zurück. Unterwegs hob ich die Beutel mit den Kröten auf und schüttelte die Tiere wieder heraus. Die Kröte, die ich beinahe zerquetscht hätte, setzte ich zu den anderen. Ich wischte mir die Hand im Gras ab.

Billy beobachtete mich neugierig. »Warum lässt du die Kröten wieder frei?«

»Weil sie echt sind.«

»Woher weißt du das?«

»Die letzte hat mir in die Hand gekackt.«

Ich ließ Billy zuerst einsteigen, ging um den Wagen herum und zog unter dem Beifahrersitz den Erste-Hilfe-Kasten hervor. Billy presste sich Mull aufs Gesicht und betrachtete die Kröten im Park. »Das heißt dann wohl, dass etwas Schlimmes im Gang ist?«

»Und ob«, bestätigte ich. »Wirklich übel.« Ich schwieg einen Moment, dann fuhr ich fort: »Du hast mir das Leben gerettet.«

Darauf zuckte er nur mit den Achseln, ohne mich anzusehen.

»Du hast also für drei Uhr einen Termin gemacht?«, fuhr ich fort. »Wie war noch gleich der Name? Sommerset?«

Jetzt sah er mich an und verkniff sich ein Lächeln, auch wenn er das Funkeln nicht aus den Augen verbannen konnte. »Ja.«

Ich kratzte mich am Bart und nickte. »Ich war in der letzten Zeit etwas abgelenkt. Vielleicht sollte ich vorher noch aufräumen.«

»Das ist sicher eine gute Idee«, stimmte er zu.

Ich seufzte. »Manchmal kann ich ziemlich eklig sein.«

Billy lachte. »Manchmal schon. Du bist eben ein Mensch wie jeder andere.«

Der Motor des Käfers hustete und spuckte, ließ sich aber zum Leben erwecken.

Genau in diesem Augenblick prallte etwas mit einem lauten Knall auf die Motorhaube. Dann noch einmal. Ein weiterer schwerer Schlag aufs Dach folgte.

Mir wurde schwindlig, und die Übelkeit überkam mich so heftig und unvermittelt, dass ich mich am Lenkrad festhalten musste. Wie aus weiter Ferne hörte ich Billy fragen, was mir fehlte. Anscheinend eine ganze Menge. Draußen in der Luft regte und rührte sich eine mächtige Kraft – hektische Bewegungen der magischen Energie, die gewöhnlich sanft und still dahinströmte. Jetzt aber war die Atmosphäre in Aufruhr, chaotisch und gefährlich.

Mühsam verdrängte ich die Eindrücke und öffnete die Augen. Erneut regnete es Kröten. Es war nicht nur hin und wieder ein platschender Aufprall, sondern ein so dichter, schwerer Krötenregen, dass der Himmel sich verdunkelte. Das war kein zum Spielen aufgelegter Gott mit einem Eimer. Die Kröten prasselten wie Hagelkörner herunter und zerplatzten auf dem Gehweg und dem Kofferraumdeckel. Eine prallte sogar fest genug auf, um ein Spinnennetz von Rissen auf die Windschutzscheibe zu malen.

Ich legte den ersten Gang ein und jagte den Wagen die Straße hinunter. Nach ein paar hundert Metern hatten wir den außerweltlichen Regen hinter uns gelassen.

Wir atmeten beide zu schnell. Billys Frage war erschöpfend beantwortet. Der Krötenregen bedeutete, dass etwas Ernstes und Magisches im Gang war. Am Abend wollte der Weiße Rat in die Stadt kommen und über den Krieg diskutieren. Ich hatte einen Termin mit einer Klientin, und die Vampire machten anscheinend Ernst und griffen mich viel offener an, als sie es jemals zuvor gewagt hatten.

Ich schaltete die Scheibenwischer ein. Das Amphibienblut hinterließ rote Streifen auf dem gesprungenen Glas.

»Guter Gott«, keuchte Billy.

»Das kannst du laut sagen«, stimmte ich zu.

2. Kapitel

Ich setzte Billy an seiner Wohnung in der Nähe der Universität ab. Der Ghul würde kaum Anzeige erstatten, trotzdem wischte ich die Schrotflinte sauber. Billy wickelte sie in ein Handtuch, das ich vom Rücksitz des Käfers holte, und nahm sie mit, nachdem er mir versprochen hatte, die Waffe wegzuwerfen. Seine Freundin Georgia, ein drahtiges Mädchen, das einen Kopf größer war als er, wartete, bekleidet mit dunklen Shorts und einem roten Bikinioberteil, auf dem Balkon ihrer Wohnung. Dabei stellte sie ansehnlich viel beeindruckend gebräunte Haut zur Schau. Ein Jahr zuvor hätte ich nie erwartet, dass sie so bald schon so selbstbewusst und attraktiv sein würde. Meine Güte, die Kinder werden ja so schnell erwachsen!

Kaum dass Billy ausgestiegen war, blickte Georgia abrupt und mit bebenden Nasenflügeln von ihrem Buch auf, ging hinein und empfing ihn mit einem Erste-Hilfe-Kasten an der Tür. Sie warf einen Blick zum Wagen, machte ein besorgtes Gesicht und nickte mir zu. Ich winkte und gab mir Mühe, möglichst freundlich dreinzuschauen. Georgias Reaktion bewies mir, dass es mir nicht besonders gut gelang. Die beiden gingen hinein, und ich fuhr los, ehe jemand herauskommen und mit mir plaudern konnte.

Kurz danach fuhr ich jedoch wieder rechts ran, schaltete den Motor ab und betrachtete mich im Rückspiegel des Käfers.

Es traf mich wie ein Schock. Ich weiß, das klingt jetzt dumm, aber zu Hause habe ich keine Spiegel. Viel zu viele Wesen können Spiegel als Fenster oder sogar Türen benutzen, und dieses Risiko will ich gar nicht erst eingehen. So hatte ich seit Wochen nicht mehr in den Spiegel geschaut.

Ich sah aus wie ein Zugunglück.

Noch mehr als sonst, meine ich.

Unter den Augen hatten sich graue und dunkelblaue Ringe gebildet. Tiefe Ringe. Die Falten, soweit sie nicht durch einen mehrere Monate alten ungepflegten Bart verdeckt waren, zeichneten sich so scharf ab wie die Kanten einer Visitenkarte. Meine Haare waren inzwischen lang und zottelig – nicht etwa sexy wie bei einem jungen Rockstar, sondern eher wie bei einem Köter, der dringend mal wieder zum Hundesalon muss. Der Wildwuchs war nicht einmal symmetrisch, denn auf einer Seite war ein größeres Stück abgebrannt, als mir jemand in einer Pizzaschachtel einen kleinen Brandsatz untergeschoben hatte. Das war zu einer Zeit gewesen, als ich mir den Pizzaservice noch hatte leisten können. Meine Haut war bleich, irgendwie teigig. Ich sah aus wie der aufgewärmte Tod, nachdem jemand ihn gezwungen hatte, am Boston-Marathon teilzunehmen. Müde. Ausgebrannt. Ausgelaugt.

Ich lehnte mich zurück.

Ich hasse es, wenn ich mich irre, aber es schien mir doch, als hätten Billy und die Werwölfe (bei den Sternen und Steinen, das klang wie eine miese Rockband) nicht ganz unrecht. Wann hatte ich mir das letzte Mal die Haare schneiden lassen oder mich rasiert? Letzte Woche hatte ich immerhin geduscht. Oder etwa nicht?

Mit zitternden Händen wischte ich mir übers Gesicht. In der letzten Zeit waren die Tage und Nächte einfach irgendwie verstrichen. Ich hatte die meiste Zeit im Labor unter meiner Wohnung verbracht und rund um die Uhr geforscht. Das Labor. Überall feuchter Stein und keine Fenster. Tagesrhythmus, pah! Der Wechsel von Tag und Nacht hatte mich nicht mehr interessiert. Ich hatte über viel zu viele Dinge nachdenken müssen, um auf solch triviale Einzelzeiten zu achten.

Etwa neun Monate zuvor war meine Freundin durch mein Verschulden beinahe getötet worden. Vielleicht sogar Schlimmeres. Susan Rodriguez hatte damals als Reporterin für das Käseblatt Arcane gearbeitet. Sie zählte zu den wenigen Menschen, die bereit waren zu akzeptieren, dass das Übernatürliche Realität war. Sie hatte sich auf jedes Detail und jede Story gestürzt, denn sie wollte möglichst viele Beweise ausgraben, um das Bewusstsein der Öffentlichkeit wachzurütteln. Aus diesem Grund war sie mir zu einer Vampirparty gefolgt. Dort hatten die Monster sie erwischt.

Billy hatte recht mit seiner Einschätzung, dass die Vampire des Roten Hofs sie verändert hatten. Eine genauere Beschreibung wäre vielleicht, dass die Vampire sie infiziert hatten. Äußerlich war sie immer noch ein Mensch, aber sie litt an dem makabren Durst der Vampire. Wenn sie ihn jemals stillte, würde sie sich völlig in einen Vampir verwandeln. Ein Teil von ihr würde sterben, und sie würde mit Leib und Seele zu den Monstern gehören.

Deshalb die Forschung. Ich suchte nach einem Weg, ihr zu helfen. Ich wollte einen Impfstoff herstellen oder sonst wie ihren Körper reinigen. Irgendetwas musste es doch geben.

Ich hatte Susan einen Heiratsantrag gemacht. Sie hatte ihn abgewiesen und die Stadt verlassen. Nach wie vor erschien jedoch ihre Kolumne im Arcane. Anscheinend schickte sie die Beiträge per Post in die Redaktion, daher wusste ich wenigstens, dass sie noch lebte. Sie hatte mich gebeten, sie nicht zu suchen, und ich hatte es nicht getan. Das würde ich auch nicht tun, solange ich nicht einen Weg gefunden hatte, sie aus dem Schlamassel zu befreien, den ich ihr eingebrockt hatte. Es ging gar nicht anders, ich musste eine Lösung finden.

Ich ließ den Kopf hängen und schnitt eine Grimasse, bei der sich alle Gesichtsmuskeln verkrampften und wehtaten. Die Brust wurde mir eng, und in meinem Innern brannte eine nutzlose, ohnmächtige Flamme. Ich bin ein Magier, ich hätte fähig sein sollen, Susan zu beschützen. Ich hätte sie retten müssen, ich hätte ihr helfen müssen. Ich hätte klüger, schneller und besser sein müssen.

Du hättest ihr sagen müssen, dass du sie liebst, bevor es zu spät war, dachte ich.

Ich war so verdammt müde.

Es dauerte lange, bis ich mich wieder unter Kontrolle hatte. Ich weiß nicht, wie lange, aber die Schatten waren ein ganzes Stück gewandert, und ich briet im Auto, obwohl ich die Scheiben heruntergekurbelt hatte.

Da fiel mir ein, wie dumm es war, dass ich auf der Straße im Wagen hockte und nur darauf wartete, dass mich noch weitere Vampirkiller am helllichten Tag fanden. Ich war müde und hungrig, hatte jedoch kein Geld, um etwas essen zu gehen, und nach dem Stand der Sonne blieb nicht mehr genug Zeit, in die Wohnung zu fahren und eine Suppe zu löffeln. Nicht wenn ich den Termin mit Miss Sommerset einhalten wollte.

Ich brauchte diesen Auftrag. Billy hatte völlig recht. Wenn ich nicht bald wieder meinen Lebensunterhalt verdiente, würde ich das Büro und die Wohnung verlieren. In einem Pappkarton in einer Gasse konnte ich nicht viel Forschung betreiben.

Also war es an der Zeit, mich in Bewegung zu setzen. Auch wenn es nichts nützte, kämmte ich mir mit gespreizten Fingern durchs Haar, ehe ich ins Büro fuhr. Unterwegs verriet mir eine Uhr, dass ich schon ein paar Minuten zu spät dran war. Dies und meine äußere Erscheinung würden die Klientin sicherlich völlig für mich einnehmen. Na wunderbar!

Mein Büro befindet sich in der Innenstadt. Eigentlich ist es kein besonders vornehmes Gebäude, aber an diesem Tag sah ich so aus, als hätte ich nicht einmal dort etwas zu suchen. Der ältere Wachmann am Eingang funkelte mich böse an. Ein Glück, dass er mich von früher kannte. Ein neuer Wächter hätte mich wahrscheinlich ohne Zögern hochkantig hinausgeworfen. Ich nickte ihm zu, lächelte und tat so, als wäre ich in einer wichtigen Mission unterwegs. Na ja.

Auf dem Weg zum Treppenhaus kam ich am Aufzug vorbei. Ein Schild besagte, dass er gerade repariert wurde. Er war nicht mehr der Alte, seit sich ein Riesenskorpion den Weg in die Kabine gebahnt und irgendjemand den Aufzug mit einem heftigen Windstoß unter das Dach geschleudert hatte, um das große Biest zu zermatschen. Danach war die Kabine wieder bis ganz nach unten gestürzt, was dem Gebäude insgesamt nicht gutgetan und allen Mietern eine Mieterhöhnung beschert hatte.

Das hatte ich jedenfalls gehört. Nun sehen Sie mich nicht so an. Vielleicht war ja jemand anders dran schuld. Na schön, vermutlich war es nicht der Zahnarzt im vierten und auch nicht der Psychiater im sechsten Stock. Wahrscheinlich ebenso wenig wie der Versicherungsmakler im siebten Stock oder der Steuerberater im neunten. Vielleicht nicht einmal die Anwälte ganz oben. Vielleicht. Aber es ist nicht immer meine Schuld, wenn irgendwo eine Katastrophe passiert.

Außerdem kann sowieso niemand etwas beweisen.

Ich öffnete die Tür des Treppenhauses und eilte zu meinem Büro im fünften Stock. Dann lief ich den Flur entlang, vorbei an der stillen Geschäftigkeit der Unternehmensberater, die den größten Teil der Etage für sich beanspruchten, bis ich meine Bürotür erreichte.

Auf der Milchglasscheibe stand: HARRYDRESDEN – MAGIER.

Ich streckte die Hand aus, um die Tür zu öffnen, doch als meine Finger noch ein paar Zentimeter vom Griff entfernt waren, sprang mit einem leisen, unschönen Knacken ein Funke über.

Ich hielt inne. Auch wenn die Klimaanlage heulte und auf vollen Touren lief, so kalt und trocken hätte es drinnen nicht sein dürfen. Nennen Sie mich paranoid, aber nichts macht einen Mann vorsichtiger als ein Mordversuch am helllichten Tag.

Ich konzentrierte mich wieder auf mein Armband und bereitete mich darauf vor, jederzeit einen Schutzschild aufzubauen, falls ich ihn brauchte.

Dann stieß ich mit der anderen Hand die Tür auf.

Ich konnte mich nicht erinnern, mein Büro so unordentlich hinterlassen zu haben, wie ich es vorfand. Der Tisch neben der Tür, wo ich Broschüren mit Titeln wie »Magie für Anfänger« und »Ich bin Magier – fragen Sie mich« auslege, stand schief an der Wand, die Heftchen waren achtlos auf der Tischfläche und dem Boden verteilt. Irgendwo stank es vage nach längst verbranntem Kaffee. Anscheinend hatte ich vergessen, die Wärmeplatte auszuschalten. Huch! Auf meinem Schreibtisch wucherte ein ähnlicher Bewuchs von losen Papieren, und in meinen Aktenschränken standen mehrere Schubladen offen, und die Akten waren auf den Schränken gestapelt oder schräg ins Fach gestellt, sodass sie aus den Schubladen ragten. Mein Deckenventilator drehte sich träge und klickte bei jeder Umdrehung.

Anscheinend hatte aber irgendjemand versucht, etwas aufzuräumen. Meine Post war ordentlich zu drei Stapeln aufgetürmt, und beide Metallpapierkörbe waren verdächtig leer. Billy und seine Freunde hatten sich eingeschaltet.

Inmitten der Trümmer meines Büros stand eine Frau, gesegnet mit einer Schönheit, die Männer dazu bringt, Freunde zu ermorden und Kriege zu beginnen.

Sie stand mit verschränkten Armen und zur Tür gewandt vor meinem Schreibtisch, ein Bein vorgestellt und die Hüften etwas schräg. Ihre Haare waren weiß. Nicht etwa hellblond oder platinblond, sondern weiß wie Schnee oder feinster Marmor und hochgesteckt wie eine eingefangene Wolke, damit die Linien ihres schlanken Halses besser zur Geltung kamen.

Ich weiß nicht, wie ihre Haut es schaffte, unter diesem Haar bleich zu wirken, aber so war es. Ihre Lippen hatten die Farbe von Maulbeeren, was in diesem glatten, schönen Gesicht beinahe erschreckend wirkte. Die verhangenen Augen waren dunkelgrün und schimmerten beinahe blau, als die Frau den Kopf schief legte und mich musterte. Sie war weder alt noch jung. Einfach nur hinreißend.

Ich hielt den Unterkiefer fest und drängte mein Gehirn, die Arbeit wiederaufzunehmen, während ich ihre Garderobe begutachtete. Sie trug ein makellos geschnittenes anthrazitfarbenes Kostüm. Der Rock ließ gerade genug Bein frei, dass ich Mühe hatte, nicht ständig hinzusehen, und die Absätze der dunklen Pumps waren gerade hoch genug, um den Anblick noch interessanter zu machen. Unter der Jacke trug sie ein weißes Shirt mit V-Ausschnitt, den ich gern einmal betrachtet hätte, wenn sie tief Luft holte. In Silber gefasste Opale blitzten an den Ohren und am Hals und erzeugten einen Farbenreigen, den ich bei Opalen nie erwartet hätte – viel zu viel Rot, Violett und Dunkelblau. Ihre lackierten Nägel schillerten auf ähnliche Weise.

Ich roch einen Hauch ihres Parfüms. Irgendwie wild und voll, schwer und süß wie Orchideen. Mein Herzschlag beschleunigte sich, und der mit Testosteron getränkte Teil meines Gehirns wünschte, ich hätte noch Zeit gehabt zu baden. Oder zum Rasieren. Oder ich hätte wenigstens keine Trainingshose angezogen.

Die Frau lächelte ironisch und zog eine helle Augenbraue hoch, ohne ein Wort zu sagen. Ich glotzte sie nur an.

Eins war sicher: Eine Frau wie diese musste Geld haben. Viel Geld. Geld, das ich benutzen konnte, um die Miete zu bezahlen, Lebensmittel zu kaufen und vielleicht sogar so verschwenderisch zu werden, eine Schubkarre zu mieten und mein Büro aufzuräumen. So zögerte ich höchstens einen Wimpernschlag lang und fragte mich, ob es für einen voll zugelassenen Magier des Weißen Rates unanständig war, sich für Bargeld zu interessieren. Die Entscheidung fiel blitzschnell.

Zum Teufel mit phänomenalen kosmischen Kräften. Ich muss meine Miete bezahlen.

»Äh, Miss Sommerset, nehme ich an«, brachte ich schließlich heraus. Meine Gewandtheit war kaum zu überbieten. Wenn ich gut aufpasste, fand ich vielleicht sogar eine Möglichkeit, über irgendetwas zu stolpern und das Bild abzurunden. »Ich bin Harry Dresden.«

»Sie haben sich verspätet«, erwiderte sie. Meine Besucherin hatte eine Stimme, die zu ihrem Äußeren passte – voll, melodisch und kultiviert. Ihren Akzent konnte ich allerdings nicht genau einordnen. Vielleicht europäisch, auf jeden Fall interessant. »Ihr Assistent hat mich informiert, wann ich hier sein sollte. Ich mag es nicht, wenn man mich warten lässt, also bin ich einfach eingetreten.« Sie warf einen Blick auf meinen Schreibtisch, dann sah sie wieder mich an. »Ich wünschte beinahe, ich hätte es nicht getan.«

»Tja, ich selbst habe vorhin erst erfahren, dass Sie, äh …« Entsetzt ließ ich den Blick durchs Büro wandern und schloss hinter mir die Tür. »Mir ist natürlich klar, dass es hier recht unprofessionell aussieht.«

»Das kann man wohl sagen.«

Eilig räumte ich einen der Stühle ab, die vor meinem Schreibtisch für die Klienten bereitstehen. »Bitte, setzen Sie sich. Möchten Sie eine Tasse Kaffee oder so?«

»Das wäre vielleicht nicht sehr gesund. Warum sollte ich so ein Risiko eingehen?« Sie setzte sich sehr aufrecht auf die Stuhlkante und folgte mir mit Blicken, als ich um den Tisch herumging. Wie ein kühles, spürbares Gewicht lastete ihr Blick auf mir, bis ich mich mit gerunzelter Stirn setzte.

»Sind Sie denn kein Mensch, der auch mal ein Risiko eingeht?«

»Ich sichere mich gern ab«, entgegnete sie. »Sie zum Beispiel, Mister Dresden – ich bin heute hergekommen, um zu entscheiden, ob ich mich auf Ihre Fähigkeiten verlassen und eine Menge davon abhängig machen kann.« Sie hielt kurz inne, dann fuhr sie fort: »Bisher haben Sie keinen sehr überzeugenden Eindruck auf mich gemacht.«

Ich stützte die Ellbogen auf den Tisch und legte die Finger zu einem Spitzdach zusammen. »Ja, mir ist schon klar, dass ich vermutlich aussehe wie ein …«

»… wie ein verzweifelter Mann?«, unterbrach sie mich. »Wie jemand, der offensichtlich stark mit anderen Dingen beschäftigt ist.« Nickend warf sie einen Blick zu den gestapelten Briefen. »Wie ein Mann, der kurz davorsteht, seinen Firmensitz zu verlieren, wenn er nicht bald seine Schulden begleicht. Ich denke, Sie brauchen dringend einen Auftrag.« Sie erhob sich. »Wenn Ihnen allerdings die Fähigkeit fehlt, sich um so alltägliche Dinge zu kümmern, werden Sie mir kaum von Nutzen sein.«

»Warten Sie.« Auch ich stand auf. »Bitte lassen Sie mich wenigstens hören, was Sie zu sagen haben. Wenn ich dann glaube, dass ich Ihnen helfen kann …«

Sie hob das Kinn und unterbrach mich abermals. »Das ist gar nicht die Frage«, erwiderte sie. »Die Frage ist, ob ich den Eindruck habe, dass Sie mir helfen können. Bisher haben Sie mir nichts gezeigt, was meine Hoffnung bestätigt.« Sie hielt inne und setzte sich wieder. »Trotzdem …«

Auch ich setzte mich wieder. »Trotzdem?«

»Ich habe über Leute mit Ihren Fähigkeiten einige Dinge gehört, Mister Dresden. Etwa darüber, jemandem in die Augen zu sehen.«

Ich legte den Kopf schief. »Das würde ich nicht unbedingt eine Fähigkeit nennen. Es passiert einfach.«

»Sie sind doch in der Lage, in Menschen hineinzusehen? Sie nennen das, glaube ich, den Seelenblick.«

Während ich vorsichtig nickte, zählte ich eins und eins zusammen. »Ja.«

»Können Sie nicht auf diese Weise deren wahre Natur erkennen und die Wahrheit über den Menschen herausfinden, den Sie vor sich haben?«

»Und sie können umgekehrt auch in mich hineinschauen, ja.«

Kühl und reizend lächelte sie. »Dann wollen wir einander betrachten. Sie und ich. Denn dann werde ich wissen, ob Sie mir von Nutzen sein können. Das wird mich bestimmt nichts kosten.«

»Da wäre ich nicht so sicher. So etwas vergisst man nicht.« Genau wie eine Blinddarmnarbe oder eine Glatze. Wenn man jemandem in die Seele blickt, wird man es nie wieder los. Mir gefiel die Richtung nicht, in die sich das Gespräch entwickelte. »Ich halte das für keine gute Idee.«

»Warum denn nicht?«, drängte sie. »Es dauert doch nicht lange, nicht wahr, Mister Dresden?«

»Das ist nicht der springende Punkt.«

Sie presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. »Ich verstehe. Wenn Sie mich dann entschuldigen wollen …«

Diesmal unterbrach ich sie. »Miss Sommerset, ich glaube, Ihnen ist bei Ihrer Einschätzung ein Fehler unterlaufen.«

Ihre Augen blitzten, und einen Moment lang flackerte Zorn darin auf, kühl und in weiter Ferne. »Ach?«

Ich nickte, öffnete die Schreibtischschublade und nahm einen Block heraus. »Ja. Ich habe in der letzten Zeit einiges durchgemacht.«

»Sie glauben gar nicht, wie wenig mich das interessiert.«

Ich holte einen Stift hervor, nahm die Kappe ab und legte ihn neben den Block. »Trotzdem sind Sie hergekommen. Reich, wundervoll, viel zu schön, um wahr zu sein …«

»Und?«, wollte sie wissen.

»Zu schön, um wahr zu sein«, wiederholte ich. Damit zog ich den .44er Revolver aus der Schublade, richtete ihn auf sie und spannte den Schlagbolzen. »Sie können mich meinetwegen für verrückt halten, aber in der letzten Zeit muss ich immer wieder denken, dass etwas, das zu gut ist, um wahr zu sein, vermutlich tatsächlich nicht in Ordnung ist. Legen Sie bitte die Hände auf den Schreibtisch.«

Sie zog die Augenbrauen hoch und riss die wundervollen Augen weit auf. Dann gehorchte sie und legte die Hände auf den Schreibtisch. »Was soll das?«

»Ich überprüfe eine Theorie.« Während ich die Augen und die Waffe auf sie gerichtet hielt, öffnete ich eine weitere Schublade. »In letzter Zeit hatte ich einige unangenehme Besucher. Deshalb dachte ich darüber nach, mit welchen Schwierigkeiten ich rechnen könnte. Ich glaube, ich habe Sie jetzt richtig eingeordnet.«

»Ich weiß nicht, was Sie damit meinen, aber ich bin sicher …«

»Sparen Sie sich die Worte.« Ich kramte in der Schublade herum und fand endlich, was ich brauchte. Gleich darauf holte ich einen einfachen alten Nagel aus der Schublade und legte ihn auf den Tisch.

»Was ist das?«, flüsterte sie.

»Ein Lackmustest«, erklärte ich ihr und stieß den Nagel sachte mit einem Finger an, bis er über den Schreibtisch zu ihren perfekt manikürten Händen rollte.

Sie regte sich erst einen Sekundenbruchteil, bevor der Nagel sie berührte – aber dann sprang sie abrupt auf, warf den Stuhl um und wich zwei Schritte von meinem Schreibtisch zurück. Der Nagel rollte über die Kante und fiel klingelnd zu Boden.

»Eisen«, sagte ich. »Kaltes Eisen. Feen mögen es nicht.«

Ihre Miene veränderte sich schlagartig. Gerade noch war sie voller Überheblichkeit und hoheitsvoller Herablassung gewesen, völlig selbstbeherrscht. All das war auf einmal verschwunden. Jetzt war ihr Gesicht kalt und hübsch, aber bar jeglicher Emotion und auch bar jeglicher Menschlichkeit.

»Das Abkommen mit meiner Patentante bleibt noch mehrere Monate in Kraft«, sagte ich. »Für ein Jahr und einen Tag muss sie mich in Ruhe lassen. So lautete die Abmachung. Wenn sie zu Tricks greift, werde ich ziemlich ungehalten.«

Die Frau beobachtete mich noch eine kleine Weile mit diesem leeren, stummen Ausdruck. Es war beunruhigend, ein so schönes Gesicht zu sehen, das auf einmal so fremdartig wirkte, als hätte hinter diesen Zügen die ganze Zeit etwas gelauert, das mit mir nicht viel zu tun hatte und dem es herzlich gleichgültig war, ob ich es überhaupt verstand. Dieser Anblick schnürte mir die Kehle zu, und ich musste mich zusammenreißen, damit die Waffe in meiner Hand nicht zitterte. Dann aber tat meine Besucherin etwas, das ich sogar noch fremdartiger und erschreckender fand.

Sie lächelte. Ein zögerndes Lächeln, grausam wie ein Messer mit Zacken. Als sie wieder sprach, klang ihre Stimme genauso schön wie zuvor, doch sie war leer, gefühllos, gespenstisch. »Ja. Nicht zu abgelenkt, um zu denken. Genau das brauche ich.«

Mir lief es eiskalt über den Rücken. »Ich will keinen Ärger haben. Gehen Sie einfach wieder, und dann tun wir so, als wäre nichts passiert.«

»Aber es ist etwas passiert.« Ihre Stimme ließ die Raumtemperatur um ein paar Grad fallen. »Sie haben durch diesen Schleier geblickt. Damit haben Sie Ihren Wert bewiesen. Wie haben Sie das gemacht?«

»Eine statische Entladung am Türgriff«, erklärte ich. »Die Tür hätte verschlossen sein müssen, und Sie hätten eigentlich nicht hereinkommen können. Außerdem sind Sie meinen Fragen ausgewichen, statt sie zu beantworten.«

Immer noch lächelnd, nickte sie. »Fahren Sie fort.«

»Sie haben keine Handtasche. Es gibt nicht viele Frauen, die in einem dreitausend Dollar teuren Kostüm, aber ohne Handtasche herumlaufen.«

»Hm«, machte sie. »Sie sind hervorragend geeignet, Mister Dresden.«

»Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen. Mit Feen will ich nichts zu tun haben.«

»Ich mag es nicht, wenn man mich so nennt.«

»Sie werden es überleben. Verlassen Sie mein Büro.«

»Sie sollten wissen, dass die von meiner Art, ob groß oder klein, gezwungen sind, die Wahrheit zu sagen.«

»Das hat Ihrer Fähigkeit, die Menschen zu täuschen, keinen Abbruch getan.«

Ihre Augen funkelten, und ihre Pupillen veränderten sich. Sie waren nicht mehr rund wie bei sterblichen Menschen, sondern geschlitzt wie die einer Katze. Ohne zu blinzeln, starrte sie mich mit ihren Katzenaugen an. »Dennoch habe ich die Absicht, ein Risiko einzugehen, und ich setze auf Sie.«

»Äh. Was?«

»Ich benötige Ihre Dienste. Etwas Wertvolles wurde gestohlen, und ich möchte, dass Sie es zurückholen.«

»Damit ich das richtig verstehe, ich soll für Sie etwas wiederbeschaffen, das Ihnen gestohlen wurde?«

»Nicht mir, den rechtmäßigen Besitzern. Sie sollen es ausfindig machen, den Dieb fangen und damit mich entlasten.«

»Tun Sie das doch selbst«, erwiderte ich.

»In dieser Angelegenheit kann ich nicht ungehindert tätig werden. Deshalb habe ich Sie als meinen Gesandten ausgewählt. Als meinen Agenten.«

Ich lachte sie aus.

Auf einmal kam ein neuer Ausdruck in die bleichen, makellosen Gesichtszüge: Zorn. Ein so kalter, schrecklicher Zorn blitzte in ihren Augen, dass mir das Lachen im Hals stecken blieb.

»Ich glaube nicht«, sagte ich. »Mit eurem Volk schließe ich keine Abkommen mehr.«

»Liebes Kind«, ihre Stimme gewann an Schärfe, »der Handel ist längst geschlossen. Du hast dein Leben, dein Glück und deine Zukunft im Austausch gegen Macht verpfändet.«

»Ja, meiner Patentante. Und selbst das ist strittig.«

»Nicht mehr«, erwiderte sie. »Auch in der Welt der Sterblichen kann eine Schuld in andere Hände übergehen. Werden hier nicht auch Hypotheken verkauft?«

»Was wollen Sie damit sagen?«

Sie zeigte mir ihre spitzen weißen Zähne, aber es war kein Lächeln. »Deine Hypothek, sterbliches Kind, wurde verkauft. Ich habe sie erworben. Du bist mein, und deshalb wirst du mir in dieser Angelegenheit helfen.«

Ich legte die Waffe auf den Schreibtisch und zog die oberste Schublade auf, aus der ich meinen Brieföffner nahm, ein ganz normales, billiges Ding mit schwerer, flacher Klinge und einem Plastikgriff. »Sie irren sich.« Sogar in meinen eigenen Ohren klang es wie ein verzweifelter Versuch, die Wahrheit zu verleugnen. »So etwas würde meine Patentante nie tun. Sie versuchen nur, mich reinzulegen.«

Lächelnd und mit strahlenden Augen sah sie mir zu. »Dann will ich dir beweisen, dass es wahr ist.«

Meine linke Hand klatschte flach auf den Schreibtisch. Erschrocken beobachtete ich, wie ich mit der rechten den Brieföffner hob, als wäre ich der Mörder in einem blutrünstigen Film. Panisch versuchte ich, innezuhalten und den Brieföffner wegzulegen, doch meine Arme bewegten sich wie von selbst, als gehörten sie jemand anders.

»Warten Sie!«, rief ich.

Kühl und distanziert, aber nicht ohne Neugierde beobachtete sie mich.

Ich ließ den Brieföffner auf meine eigene Hand niedersausen. Der Stahl drang zwischen Daumen und Zeigefinger glatt durch die Haut und nagelte mich auf meinem billigen Schreibtisch fest. Ein rasender Schmerz schoss meinen Arm herauf, das Blut rann aus der Wunde. Sosehr ich auch versuchte, meine Panik niederzuringen, ich war nicht in der Verfassung, die Kontrolle über mich zurückzugewinnen.

Ein Wimmern kam über meine Lippen. Gequält versuchte ich, den Stahl herauszuziehen, ihn aus meiner Hand zu reißen, aber mein Arm zuckte nur zur Seite und drehte den Brieföffner gegen den Uhrzeigersinn herum.

Vor Schmerzen verlor ich fast das Bewusstsein, ich hatte nicht einmal mehr genug Kraft, um zu schreien.

Die Frau, das Feenwesen, beugte sich vor und schob meine Finger vom Brieföffner weg. Mit einer raschen, entschlossenen Bewegung zog sie ihn heraus und legte ihn flach auf den Schreibtisch. Mein Blut glänzte auf der Klinge. »Magier, du weißt es so gut wie ich. Wärst du nicht an mich gebunden, hätte ich nicht solche Macht über dich.«

In diesem Augenblick tat mir vor allem die Hand weh, doch irgendwie dämmerte mir auch, dass sie die Wahrheit sagte. Eine Fee erscheint nicht einfach so und spielt mit einem herum. Man muss sie hereinlassen. Meine Patentante Lea hatte ich Jahre zuvor, als ich viel jünger und dümmer gewesen war, in mein Leben gelassen. Im letzten Jahr hatte ich ihr gekündigt und die Aussetzung ihres Anspruchs erzwungen. Das hätte mich für ein Jahr und einen Tag schützen müssen.

Jetzt hatte sie allerdings jemand anders die Zügel überlassen. Jemandem, der an die zweite Abmachung nicht gebunden war.

Ich schaute zu der Fremden auf, voller Schmerzen und aufflammendem Zorn. »Wer bist du?«

Die Frau fuhr mit einem schimmernden Fingernagel durch das Blut auf meinem Schreibtisch, hob ihn an die Lippen und kostete genießerisch mit der Zunge. Ein kleines, sinnliches Lächeln umspielte ihre Lippen, das so unmenschlich war wie alles andere an ihr.

»Ich habe viele Namen«, sagte sie, »aber du kannst mich Mab nennen. Die Königin der Lüfte und der Finsternis, die Herrscherin des Winterhofs der Sidhe.«

3. Kapitel

Ich hatte das Gefühl, ins Bodenlose zu stürzen.

Eine Feenkönigin. In meinem Büro stand eine leibhaftige Feenkönigin. Direkt vor mir. Und ich redete mit ihr.

Sie hatte mich am Wickel.

O Mann, und ich hatte vorher gedacht, ich hätte bereits Probleme.

Ich starrte die böse, schöne Fee an, die vor meinem Schreibtisch stand. Mab lächelte erfreut.

»Ja«, murmelte sie, »klug genug, um sich zu fürchten. Um es wenigstens zum Teil zu verstehen. Wie fühlt es sich an zu wissen, was du weißt, mein Kind?«

Ich sprach mit bebender Stimme und viel leiser, als es mir lieb war. »Ungefähr wie Tokio, als Godzilla den Strand raufkam.«

Mab legte den Kopf schief und beäugte mich, immer noch mit diesem Lächeln auf den Lippen. Vielleicht verstand sie die Anspielung nicht. Vielleicht gefiel es ihr auch nicht, mit einer dreißig Stockwerke hohen Eidechse verglichen zu werden. Oder ihr gefiel gerade das. Woher sollte ich das wissen? Ich habe schon genug Mühe damit, menschliche Frauen zu verstehen.

Mabs Blick erwiderte ich nicht, auch wenn ich mir wegen des Seelenblicks inzwischen keine Sorgen mehr machte. Damit er möglich ist, müssen beide Seiten eine Seele haben. Aber wenn man den Kontakt zu lange hält, können dennoch viele Dinge geschehen, denn durch die Verbindung werden alle möglichen Gefühle und Gedanken übertragen. Deshalb starrte ich Mabs Kinn an und sagte nichts, zumal ich rasende Schmerzen in der Hand hatte.

Ich hasse es, mich zu fürchten. Ich hasse es mehr als alles andere auf der Welt. Ich hasse es, wenn ich hilflos bin, doch ich fühlte mich, als hätte mir Mab die Faust in den Magen gerammt und mein Taschengeld verlangt.

Eine Feenkönigin in meinem Büro, das war eine üble Neuigkeit. Eine niederschmetternd üble Neuigkeit. Abgesehen davon, einen ergrauten alten Gott zu beschwören oder den Weißen Rat zu verärgern, konnte mir kaum jemand begegnen, der über so große Macht verfügte wie Mab. Natürlich hätte ich versuchen können, sie mit einem magischen Kinnhaken auszuschalten, aber ein Schlag von mir hätte kaum mehr bewirkt, als ihr die Frisur zu ruinieren. Außerdem hatte sie mich am Wickel, denn sie verfügte über eine magische Verbindung zu mir. Auf diesem Weg konnte sie praktisch alles, was sie wollte, an meiner Verteidigung vorbeischicken, und ich konnte nichts dagegen tun.

Über Tyrannen rege ich mich maßlos auf, und ich bin bekannt dafür, Dummheiten zu machen, wenn ich wütend bin.

»Vergiss es«, gab ich aufgebracht zurück. »Das kommt nicht infrage. Mach schon und bring mich um. Und schließ bitte wieder ab, wenn du gehst.«

Meine Antwort störte Mab nicht im Mindesten. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »So viel Zorn, so viel Feuer. Ja. Ich habe gesehen, wie du im letzten Herbst deine Patentante Leanan sidhe in Schach gehalten hast. Nur wenige Sterbliche haben jemals so etwas vollbracht. Das war kühn, geradezu dreist. Ich bewundere deine Kraft, Magier. Genau diese Art von Entschlossenheit brauche ich.«

Ich tastete auf dem Schreibtisch umher, bis ich den Spender mit den Papierhandtüchern gefunden hatte, und bedeckte meine Wunde mit den dünnen Blättern. »Mir ist völlig egal, was du brauchst. Ich werde nicht dein Gesandter oder sonst etwas sein!«

»Es sollte dir aber nicht egal sein«, entgegnete Mab. »Ich habe deine Schuld erworben, um dir ein Angebot zu machen. Du hast die Gelegenheit, dich von allen deinen Verpflichtungen zu befreien.«

»Das kannst du dir sparen. Ich bin nicht interessiert.«

»Fressen oder gefressen werden, das meine ich durchaus wörtlich. Möchtest du denn nicht frei sein?«

Unsicher betrachtete ich sie, während mir Visionen von mir selbst durch den Kopf schossen, wie man mich mit einem Apfel im Mund auf dem Esstisch tranchierte. »Was meinst du mit ›frei‹?«

»Frei«, wiederholte sie und ließ das Wort förmlich auf den Lippen zerschmelzen. »Frei vom Einfluss der Sidhe, frei von allen Banden und den Verpflichtungen gegenüber der Leanan sidhe und mir.«

»Damit wäre dann alles erledigt? Wir gehen getrennter Wege?«

»Genau.«

Finster musterte ich meine schmerzende Hand. »Ich wusste gar nicht, dass dir der Wert der Freiheit so bewusst ist.«

»Du solltest nicht vorschnell urteilen. Ich liebe die Freiheit. Jeder, der sie nicht hat, will sie erlangen.«

Ich holte tief Luft und wartete, bis sich mein rasendes Herz wieder beruhigt hatte. Weder Furcht noch Zorn durfte mein Denken trüben. Mein Bauch schrie mir zu, ich solle den Revolver schnappen und drauflosballern, aber ich musste nachdenken.

Mab meinte ihr Angebot offensichtlich ernst. Das konnte ich auf eine so animalische, ursprüngliche Weise spüren, dass kein Raum für irgendeinen Zweifel blieb. Sie würde mich von der Leine lassen, wenn ich auf ihre Wünsche einging. Andererseits war der Preis möglicherweise zu hoch. Diesen Punkt hatte sie bisher nicht angesprochen, und die Feen achten sehr darauf, dass man sich mit jedem weiteren Handel nur noch tiefer verstrickt, statt sich zu befreien. Genau wie bei Kreditkartenfirmen und Darlehen für Studenten. Ich musste mich also auf das unangenehme Kleingedruckte gefasst machen.

Mab beobachtete mich unverwandt, sie war wie Sylvester, und ich war Tweetie. Der Gedanke heiterte mich etwas auf, denn gewöhnlich legt der kleine Vogel den Kater am Ende herein.

»Na gut«, sagte ich, »ich höre.«

»Drei Aufgaben«, flüsterte sie und hielt drei Finger hoch, damit ich es auch verstand. »Hin und wieder werde ich dich um etwas bitten. Wenn du die drei Bitten erfüllt hast, hast du deine Verpflichtungen mir gegenüber erfüllt.«

Schweigen breitete sich im Raum aus. Ich blinzelte unsicher. »Was … das ist alles?«

Mab nickte.

»Beliebige Aufgaben? Beliebige Bitten?«

Mab nickte.

»So einfach ist es? Wenn du es so sagst, könntest du mich dreimal bitten, dir das Salz zu reichen, und damit wär es erledigt.«

Ihre blaugrünen Gletscheraugen ruhten unverwandt auf mir. »Nimmst du mein Angebot an?«

Ich rieb mir langsam über den Mund und überlegte fieberhaft. Es war im Grunde ein einfacher Handel. Mab hielt mir da ein hübsches großes Päckchen Süßigkeiten wie ein Weihnachtsgeschenk vor die Nase.

Daher wäre es idiotisch gewesen, nicht nach Fallgruben und Hintertürchen Ausschau zu halten.

»Ich entscheide, welche Bitten ich erfülle und welche nicht?«

»Ganz recht.«

»Wenn ich eine Bitte verweigere, gibt es keine Vergeltung oder Bestrafung von deiner Seite?«

Sie legte den Kopf schief, schloss wie in Zeitlupe die Augen und öffnete sie wieder. »Einverstanden. Du bist derjenige, der entscheidet, welche Bitten du erfüllen willst.«

Es gab eine Landmine, die ich endlich doch noch gefunden hatte. »Außerdem wird meine Hypothek nicht weiterverkauft, und du darfst auch keine Lakaien herbeipfeifen, die mich als deine Stellvertreter strafen und belästigen. Dies bleibt ausschließlich zwischen dir und mir.«

Sie lachte, und es klang fröhlich, klar und lieblich wie Glockengeläut, obschon es sich anfühlte, als hätte mir jemand die Glocken an die Zähne gehalten. »Im Gegensatz zu deiner Patentante, die du mehr als einmal hereingelegt hast. Aber meinetwegen.«

Ich dachte angestrengt nach. Hatte ich noch irgendein Schlupfloch übersehen? Konnte sie mich auf irgendeine andere Weise unter Druck setzen?

»Nun, Magier?«, fragte Mab. »Haben wir eine Abmachung?«

Einen Moment lang wünschte ich, weniger Schmerzen zu haben und nicht so müde zu sein. Die Ereignisse des Tages und die am Abend bevorstehende Sitzung des Rates lenkten mich ab, und ich war, was Verhandlungen mit Feen anging, nicht gerade in Höchstform. Eines aber wusste ich genau: Wenn ich aus dem Bund mit Mab nicht bald rauskam, war ich tot oder noch Schlimmeres. Also besser handeln und sich irren als nicht handeln und wie beiläufig zerquetscht werden.

»Na gut«, sagte ich, »wir haben eine Abmachung.«

Als ich es aussprach, lief mir ein kleiner Schauder über den Nacken und die Wirbelsäule, und meine verletzte Hand zuckte schmerzhaft.

Mab schloss die Augen, verzog die dunklen Lippen zu einem katzenhaften Lächeln und nickte. »Gut, ja.«

Erinnern Sie sich an den Kojoten im Zeichentrickfilm, der mit Höchstgeschwindigkeit über die Klippe rennt und zu spät erkennt, was er getan hat? Er blickt nicht nach unten, sondern tastet mit einer Pfote umher, und bevor er stürzt, schneidet er eine entsetzte Grimasse.

Ungefähr so muss ich ausgesehen haben. Jedenfalls weiß ich, wie es sich anfühlte. Das nützte aber alles nichts. Vielleicht konnte ich ewig weiterschweben, wenn ich ständig unter mir nach festem Boden tastete. Daher wandte ich den Blick von Mab ab und kümmerte mich, so gut es ging, um meine verletzte Hand. Sie pochte immer noch, und wenn ich die Wunde desinfizierte, würde es erst richtig wehtun. Nähen war vermutlich nicht nötig. Ein kleiner Segen, immerhin.

Ein brauner Umschlag landete auf meinem Tisch.

»Was ist das?«, fragte ich.

»Meine erste Bitte«, erwiderte sie. »Da drin stehen die Einzelheiten über den Tod eines Mannes. Du sollst mich entlasten, indem du die Identität des Mörders aufdeckst und zurückholst, was dem Toten gestohlen wurde.«

Ich öffnete den Umschlag. Drinnen steckte das Foto einer Leiche. Ein alter Mann lag am Fuß einer Treppe, sein Kopf war unnatürlich abgeknickt. Er hatte krauses weißes Haar und trug eine Tweedjacke. Zu dem Bild gehörte ein Artikel aus der Tribune mit der Headline: KÜNSTLERSTIRBTBEIMITTERNÄCHTLICHEMUNFALL.

»Ronald Reuel«, sagte ich, nachdem ich den Artikel überflogen hatte. »Ich hab von ihm gehört. Ich glaube, er hatte in Bucktown ein Atelier.«

Mab nickte. »Man hat ihn als Visionär der amerikanischen Kunst gefeiert. Allerdings glaube ich, dass dieser Begriff viel zu oft benutzt wird.«

»Ein Schöpfer fantastischer Welten, heißt es hier. Jetzt, da er tot ist, werden sie wohl alle möglichen netten Dinge über ihn sagen.« Ich las den Rest des Artikels. »Die Polizei meint, es war ein Unfall.«

»Das war es nicht«, entgegnete Mab.

Ich schaute zu ihr auf. »Woher weißt du das?«

Sie lächelte.

»Warum ist dir das überhaupt wichtig?«, fragte ich. »Hinter dir sind doch sicher nicht die Cops her.«

»Es gibt andere Kräfte außer den Gesetzeshütern der Sterblichen, die für Gerechtigkeit sorgen. Es soll reichen, wenn du weißt, dass ich in diesem Fall auch für Gerechtigkeit sorgen möchte.«

»Ähm«, machte ich mit gerunzelter Stirn. »Du sagtest, ihm sei etwas gestohlen worden. Was denn?«

»Das wirst du beizeiten erfahren.«

Ich schob das Foto in den Umschlag zurück und ließ ihn auf dem Schreibtisch liegen. »Ich werde darüber nachdenken.«

»Du wirst meine Bitte akzeptieren, Magier Dresden«, versicherte Mab mir.

Finster starrte ich sie an und schob das Kinn vor. »Ich sagte, ich werde darüber nachdenken.«