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Countdown in Korea E-Book

Matthias Naß

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Beschreibung

Der Countdown in Korea läuft. Mit Hochdruck arbeitet eine der brutalsten Diktaturen der Welt daran, sich als Atommacht zu etablieren und mit ihren Raketen nicht nur Japan und den US-Stützpunkt Guam zu bedrohen, sondern auch das amerikanische Festland. Doch damit steht der Weltfrieden auf dem Spiel. Präsident Trump hat bereits erklärt: „Dazu wird es nicht kommen!“ Was aber kann die Welt tun, um Nordkorea zu stoppen? Warum ist die Bombe für das Regime von Kim Jong Un überhaupt so wichtig? Welche Hintergründe hat der Konflikt? Matthias Naß, internationaler Korrespondent der „Zeit“ und ein genauer Kenner Koreas, schildert in seinem spannenden Buch, was in Nordkorea vor sich geht, welche Chancen für eine friedliche Lösung es gibt und warum der Ausgang des Konflikts für die koreanische Halbinsel und für die ganze Welt von größter Bedeutung ist.

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Matthias Naß

COUNTDOWN IN KOREA

Der gefährlichste Konflikt der Welt und seine Hintergründe

C.H.Beck

ZUM BUCH

Der Countdown in Korea läuft. Mit Hochdruck arbeitet eine der brutalsten Diktaturen der Welt daran, mit ihren Atomwaffen nicht nur Japan und den US-Stützpunkt Guam, sondern auch das amerikanische Festland bedrohen zu können. Damit steht der Weltfrieden auf dem Spiel.

Warum ist die Bombe für das Regime von Kim Jong Un so wichtig? Ist der Diktator verrückt oder nur skrupellos? Welche Hintergründe hat der Konflikt? Matthias Naß, Internationaler Korrespondent der «Zeit», schildert in seinem Buch, was in Nordkorea vor sich geht, welche Chancen für eine friedliche Lösung es gibt und warum der Ausgang des Konflikts für die ganze Welt von größter Bedeutung ist.

ÜBER DEN AUTOR

Matthias Naß ist Internationaler Korrespondent der «Zeit» und war bis 2011 stellvertretender Chefredakteur. Er ist Asienexperte und bereist Korea seit über dreißig Jahren.

Inhalt

Vorwort

Erster Teil: NORDKOREA

I. Der Griff nach der Bombe

1. Was auf dem Spiel steht

2. Aufrüsten, um politisch zu überleben

3. Ruf nach Amerikas Anerkennung

4. Chinas Angst vor dem Chaos

5. Raketen über Japan

6. Spiel mit dem Feuer

7. Die August-Krise

II. Das Regime der Kims

1. Die Macht bleibt in der Familie

2. Auf dem Marsch des Entbehrens

3. Die Barbarei der Lager

4. Aus Mangel an Devisen

5. Küchengärten und rote Kapitalisten

Zweiter Teil: SÜDKOREA

III. Das andere Korea

1. Brücke ohne Wiederkehr

2. Herrschaft der Militärs

3. Aufstand gegen die Diktatur

4. Demokratisierung und Entspannung

5. Die Teilung überwinden

6. Reifeprüfung bestanden

7. Nur kein zweiter Koreakrieg

Anmerkungen

Literatur

Karten

Für Lisa

Vorwort

Im August 2017, als Donald Trump Nordkorea die Vernichtung mit «Feuer und Zorn» androhte, schien die Welt am Rande eines Atomkriegs zu stehen. Das Undenkbare war plötzlich denkbar geworden – so dramatisch eskalierte der rhetorische Schlagabtausch zwischen dem amerikanischen Präsidenten und dem nordkoreanischen Jungdiktator Kim Jong Un. Dominanzgehabe drohte die politische Vernunft auszuschalten. Selbst den Europäern, die bis dahin von dem Konflikt um das Nuklearprogramm Pjöngjangs kaum Notiz genommen hatten, wurde mit einem Mal bewusst, welche Gefahr im Fernen Osten heraufzog.

Die ersten Anzeichen dafür, dass sich die Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und Nordkorea zuzuspitzen begann, waren im Herbst 2016 zu registrieren. Auf Konferenzen munkelten Diplomaten und Rüstungsexperten, das Thema sei auf der sicherheitspolitischen Agenda Washingtons ganz nach oben gerückt. Und als nach der amerikanischen Präsidentschaftswahl Barack Obama mit Donald Trump bei einer Begegnung im Oval Office über die größten Herausforderungen des Landes sprach, da stand Nordkorea an erster Stelle — vor dem Kampf gegen den «Islamischen Staat», vor der wachsenden Macht Chinas.

Schon seit Beginn der neunziger Jahre gab es kaum noch einen Zweifel, dass Nordkorea nach der Bombe greifen wollte. Das Regime in Pjöngjang bestritt dies, behauptete vielmehr, die Kerntechnik allein für die Energieversorgung nutzen zu wollen. Doch die Erkenntnisse der westlichen Nachrichtendienste, nicht zuletzt dank immer präziserer Satellitenaufnahmen, ließen keinen Zweifel am militärischen Charakter des nordkoreanischen Atomprogramms. Bereits 1994 dachte die Regierung von Bill Clinton über einen Präventivschlag gegen die Atomanlagen des damaligen Diktators Kim Il Sung nach. Aber zu unkalkulierbar schienen ihr die Folgen zu sein, zu groß die Gefahr für die Zivilbevölkerung in beiden koreanischen Staaten, insbesondere für die Einwohner von Seoul, der Hauptstadt des Südens.

George W. Bush, der Nordkorea gemeinsam mit dem Irak und Iran zur «Achse des Bösen» erklärte, trug mit seinem Krieg im Irak und dem Sturz Saddam Husseins zur beschleunigten nuklearen Aufrüstung Nordkoreas bei. Denn darin war sich das Regime in Pjöngjang sicher: Einen Saddam mit Atomwaffen hätten die Amerikaner niemals angegriffen. Fragt man nach den wirklichen Gründen für das nordkoreanische Atomprogramm, dann findet man sie hier: in der festen Überzeugung, allein Nuklearwaffen garantierten die Unabhängigkeit des Landes und das Überleben des Regimes. Weil die Kim-Dynastie glaubt, sich ohne die Bombe nicht behaupten zu können, ist jede Hoffnung illusorisch, sie ihr auf diplomatischem Wege abzutrotzen.

Die Kim-Familie, die das Land in dritter Generation beherrscht, handelt keineswegs irrational. Im Gegenteil, das Handeln Pjöngjangs lässt sich ziemlich genau erklären. Zynisch, ja, das ist es, aber keineswegs verrückt. Kim Jong Un agiert außerordentlich kaltblütig, ja ruchlos, und ist damit ein getreuer Erbe seines Großvaters Kim Il Sung und seines Vaters Kim Jong Il. Seit siebzig Jahren halten sich die Kims an der Macht. In dieser Zeit brach die Sowjetunion zusammen, wurden die Länder des ehemaligen «Ostblocks» Mitglieder von EU und Nato, erlebte China die Rückkehr des Kapitalismus, diesmal unter der Obhut der Partei. Die Kims regieren immer noch.

Dies konnte ihnen gelingen, weil sie ihr Land rigoros von der Welt isoliert haben. Die Ideologie vom eigenen Weg, vom Vertrauen auf die eigene Kraft war zwar immer nur hohle Phrase; in Wirklichkeit war das Land seit Anfang der sechziger Jahre abhängig von sowjetischer und chinesischer Hilfe. Aber fremde Gedanken sollten nicht nach Nordkorea hineindringen. Mit unglaublicher Brutalität haben die drei Kims ihre totalitäre Herrschaft abgesichert. Viele hunderttausend Nordkoreaner sind in den vergangenen Jahrzehnten in die Lager für politische Häftlinge gesteckt worden, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen dahinvegetierten. Mord, Folter, Hunger, Vergewaltigung sind in diesen Lagern bis heute an der Tagesordnung. Der nordkoreanische Gulag ist eine Schande für die ganze Menschheit. Erst im Jahr 2014 hat der Bericht einer Untersuchungskommission der Vereinten Nationen das Grauen in allen seinen Einzelheiten beschrieben. Kim Jong Un müsse sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantworten, forderte die Kommission; ein Schicksal, das dem Diktator dank des Vetorechts Chinas und Russlands im UN-Sicherheitsrat erspart bleiben dürfte.

Wenn man über die Gefahren spricht, die von der nordkoreanischen Atombombe ausgehen, dann muss man über den Charakter des Regimes sprechen. Es ist die wohl bösartigste Despotie der Gegenwart. Man vergegenwärtige sich nur die völlig gegensätzliche Entwicklung der beiden koreanischen Staaten. Der Süden hat schon in den achtziger Jahren die Militärdiktatur überwunden, er ist zu einer lebendigen Demokratie mit einer blühenden Wirtschaft herangewachsen. Der Norden dagegen verharrt trotz zaghafter Reformversuche in Armut, Isolation und Rückständigkeit. Mit seiner einfältigen «Juche»-Ideologie und dem bizarren Personenkult entmündigt er seine Bürger. Die furchtbare Wahrheit ist: Die Kim-Diktatur hat Millionen Menschen ihr Leben gestohlen.

Mit Marxismus-Leninismus hat dies alles wenig zu tun. Nordkorea ist kein sozialistisches Land. Seine Führerideologie, der vollkommen übersteigerte Nationalismus und ein kaum verhüllter Rassismus lassen den Staat der Kims dem Faschismus näher sein als dem Kommunismus.

Dieses Land ist nun drauf und dran, Interkontinentalraketen mit atomaren Sprengköpfen zu bestücken, mit denen es die Metropolen der Vereinigten Staaten erreichen kann: Los Angeles, Denver, Chicago, vielleicht New York und Washington. Für alle Präsidenten in Washington war der Bau einer solchen Rakete bisher die rote Linie, die nicht überschritten werden durfte. Aber Donald Trump steht vor dem gleichen Dilemma wie seine Vorgänger: Ein Angriff auf Nordkorea hätte katastrophale Zerstörungen auch im Süden der Halbinsel zur Folge. Das ist Kim Jong Uns Kalkül, dass die Furcht vor einem zweiten Koreakrieg, gar vor einem Atomkrieg, jeden Angriff auf sein Land verhindert.

Müssen wir also mit der nordkoreanischen Bombe leben? Müssen wir Nordkorea als neunten Atomstaat (nach den USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China, Israel, Indien und Pakistan) akzeptieren? Gilt auch für Nordkorea die Logik des Kalten Krieges: Abschreckung und Eindämmung? Oder muss jetzt gehandelt werden, da der Bestand Nordkoreas an Nuklearwaffen noch gering ist und atomar bestückte Raketen die USA noch nicht erreichen können?

Darüber wurde während der vergangenen Monate in Washington, Tokio und Seoul heftig debattiert. Als das Manuskript für dieses Buch im September 2017 abgeschlossen wurde, war offen, ob sich die Politik des Containment, also des Einhegens der Diktatur bei gleichzeitiger Akzeptierung ihrer Atomwaffen durchsetzen würde. Oder ob die Überzeugung obsiegen würde, dass die Gefahren, die von Nordkorea ausgehen, von Jahr zu Jahr weiter wachsen würden und ihnen deshalb militärisch begegnet werden müsse.

So klar wie zwischen Ost und West im Kalten Krieg verlaufen in Ostasien die politischen Fronten nicht. Die Interessen der drei Atomstaaten USA, China und Russland sowie Japans stoßen hier aufeinander. Niemand von ihnen will ein nuklear bewaffnetes Nordkorea. Aber China will auch kein vom Süden dominiertes wiedervereinigtes Korea mit amerikanischen Truppen an seiner Grenze. Japan und Südkorea sind zwar Amerikas engste Verbündete in Asien, untereinander aber wahrlich keine Freunde; bis heute sind sie nicht fähig, die Bürden der Vergangenheit abzuwerfen. Südkorea braucht den militärischen Schutz der Vereinigten Staaten, aber jeder Gedanke in Washington, militärisch gegen den Norden vorzugehen, löst bei den Südkoreanern Ängste und Proteste aus.

Unbestritten ist, dass China und Amerika den Nordkoreakonflikt nur gemeinsam lösen können. Im Ziel einer koreanischen Halbinsel ohne Atomwaffen sind sich Washington und Peking einig, nicht aber über den Weg dorthin. Eine partielle Kooperation ist möglich. Doch scheitert ein strategisches Zusammengehen an der geopolitischen Rivalität zwischen der etablierten und der aufsteigenden Supermacht. Zu tief sitzt das gegenseitige Misstrauen.

Ich habe Korea in den vergangenen drei Jahrzehnten immer wieder bereist, das erste Mal 1985, als der südkoreanische Oppositionsführer Kim Dae Jung aus dem amerikanischen Exil nach Seoul zurückkehrte. Etwa fünfzehn Mal habe ich Südkorea besucht, zweimal den Norden. Ich habe erlebt, wie sich die Südkoreaner Ende der achtziger Jahre gegen die Militärdiktatur erhoben und wie sich das Land Schritt für Schritt demokratisierte. Ich bin 1997 nach Nordkorea gereist, als eine schreckliche Hungersnot das Land heimsuchte und die Menschen in ihrer Verzweiflung Gräser und Blätter aßen. Ich habe all diese Reisen für die ZEIT unternommen. An vielen Stellen in diesem Buch greife ich auf meine Reportagen zurück, zitiere noch einmal die Politiker, Studenten, Professoren, Soldaten, Diplomaten, Flüchtlinge, Menschenrechtsaktivisten und humanitären Helfer, die ich damals traf.

Mein Dank gilt daher in erster Linie der ZEIT, ihren Chefredakteuren, die mir meine Reisen ermöglichten, und meinen Kollegen, die meine Texte redigiert und verbessert haben. Detlef Felken vom Verlag C.H.Beck bin ich dankbar, weil er dieses Buchprojekt angestoßen und mit großer Sympathie begleitet hat. Theo Sommer, meinem journalistischen Lehrer bei der ZEIT und erfahrenem Koreakenner, danke ich für die genaue Lektüre des Manuskriptes. Wie auch meinem Freund Hans Janus, der den Text sorgfältig gelesen und mir wertvolle Anregungen gegeben hat. Dank gilt ebenso Bettina Spyrou, die das Manuskript gewissenhaft betreut hat und die mir meine Arbeit im Büro jeden Tag zur Freude macht.

Den größten Dank aber schulde ich meiner Frau Lisa. Sie war, wie immer, meine erste und kritischste Leserin. Mit großer Geduld und mit liebevoller Hilfe hat sie das Entstehen des Manuskriptes begleitet. Ihr ist dieses Buch gewidmet.

Hamburg, im September 2017

Erster Teil

NORDKOREA

I. Der Griff nach der Bombe

1. Was auf dem Spiel steht

Schon am frühen Morgen drückt die tropische Hitze auf die Stadt, doch in den klimatisierten Räumen des Shangri-La Hotels ist davon nichts zu spüren. Jedes Jahr im Juni versammelt sich in Singapur die sicherheitspolitische Community Asiens und des Pazifiks. Von Kanada bis China, von Australien bis Japan kommen alle, die in der Außen- und Verteidigungspolitik Rang und Namen haben, wenn das Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS) zum «Shangri-La Dialogue» einlädt. An der vornehmen Orange Grove Road, dort wo es im grünen Singapur besonders üppig blüht, blockieren Betonsperren den Verkehr; Polizisten in Kampfanzügen und mit Maschinenpistolen bewachen die Hotelzufahrten. Drei Tage lang herrscht höchste Sicherheitsstufe.

Der Gast, auf den alle gewartet haben, betritt am Samstagmorgen kurz vor neun Uhr das Konferenzpodium. Kein Stuhl ist mehr frei im riesigen Ballsaal des Hotels, Hunderte finden nur noch einen Stehplatz an den Wänden und im Foyer, als US-Verteidigungsminister James Mattis mit seiner Rede beginnt. Donald Trumps Mann im Pentagon kommt sofort zur Sache: Von Nordkorea gehe eine Gefahr für den Frieden aus. Zur langen Liste der Verbrechen des Regimes in Pjöngjang – «Mord an Diplomaten, Kidnappen unschuldiger Menschen, Töten von Matrosen und andere kriminelle Aktivitäten» – komme nun die nukleare Aufrüstung hinzu. Mit seinen Atomraketen bedrohe Nordkorea «unsere Verbündeten in der Region, unsere Partner und die ganze Welt».

Deshalb, sagt Mattis, habe Präsident Trump die Politik der «strategischen Geduld» seines Vorgängers Barack Obama aufgegeben. Washington strebe eine enge Zusammenarbeit mit China an, um eine «Entnuklearisierung» der koreanischen Halbinsel zu erreichen. «Unser Ziel ist nicht der Regimewechsel, wir wollen die asiatisch-pazifische Region nicht destabilisieren. Wir werden jedoch den diplomatischen und wirtschaftlichen Druck weiter erhöhen, bis Pjöngjang sein Nuklear- und Raketenprogramm aufgibt.»[1]

Nordkorea steht auf der Sorgenliste der Vereinigten Staaten ganz oben. Daran hat sich nichts geändert, seit Donald Trump ins Weiße Haus eingezogen ist. Im Gegenteil, der Konflikt hat sich weiter verschärft, im Sommer 2017 spitzte er sich dramatisch zu. Die Konfrontation, die nun für jedermann sichtbar wurde, hatte sich seit langem abgezeichnet.

Neunzig Minuten dauerte das Gespräch, zu dem Barack Obama am 10. November 2016 seinen Nachfolger empfing. Zwei Tage zuvor war Donald Trump zum neuen amerikanischen Präsidenten gewählt worden. Jetzt saßen die beiden Männer allein im Oval Office, und Obama weihte Trump in die wichtigsten Staatsgeheimnisse ein, um einen reibungslosen Übergang der Regierungsgeschäfte zu gewährleisten. Trump sollte vom ersten Tage an handlungs- und entscheidungsfähig sein. Unter den drei dringendsten Sicherheitsproblemen, so viel drang später über die Unterhaltung nach außen, nannte Obama an erster Stelle die Bedrohung Amerikas durch das nordkoreanische Atomprogramm.

In Singapur hat auch Mark Fitzpatrick die Rede von James Mattis verfolgt. Fitzpatrick leitet das Washingtoner Büro des International Institute for Strategic Studies, er gehört zu den führenden Atomwaffen-Experten des IISS. Die Reihenfolge in der Rede von Mattis sei aufschlussreich gewesen, sagt er: «Er hat mit Nordkorea angefangen, China kam an zweiter, der Terrorismus an dritter Stelle.» Warum die Fokussierung auf Nordkorea? «Die Tatsache, dass die Nordkoreaner rasante Fortschritte bei der Entwicklung einer Interkontinentalrakete machen, mit der sie die Vereinigten Staaten erreichen können, verändert aus Sicht Washingtons das ganze Spiel», sagt Fitzpatrick. «Kein amerikanischer Präsident kann dies dulden. Das ist eine rote Linie.» Pjöngjangs Interkontinentalraketen (Intercontinental Ballistic Missiles – ICBM) könnten schon in zwei Jahren einsatzbereit sein. Fitzpatrick ahnt in diesem Moment nicht: Genau einen Monat später werden die Nordkoreaner ihre erste ICBM testen.

Was die Nordkoreaner nicht begreifen oder in ihrem Bemühen um internationale Aufmerksamkeit kaltblütig ignorieren: Die Bedrohung durch die Vereinigten Staaten, gegen die sie sich zu schützen vorgeben, führen sie mit ihrem Handeln erst herbei. Mark Fitzpatrick: «Indem sie solche weitreichenden Atomraketen entwickeln, malen sie sich selber eine Zielscheibe auf den Rücken. Bis jetzt haben die USA nie über einen Präventivschlag gegen Nordkorea gesprochen, jetzt ist davon ziemlich oft die Rede.»[2]

Mark Fitzpatrick ist nicht der einzige, der so argumentiert. Drei Monate vor dem Shangri-La Dialogue, im März 2017, treffe ich in Washington Robert L. Gallucci. Mit 71 Jahren eigentlich schon im Rentenalter, unterrichtet Gallucci an der Georgetown Universität Internationale Politik. Gallucci gehört zur kleinen Zunft der Nuklearstrategen. Ein ganzes Berufsleben lang hat er sich als Diplomat und Wissenschaftler mit Fragen der atomaren Rüstung und Abschreckung befasst. Das State Department schickte ihn als Sonderbeauftragten auf schwierige Missionen. Als 1994 zum ersten Mal der Atomstreit mit Nordkorea eskalierte, war er der Chefunterhändler der USA. Zwei Jahre später ging er als Dekan an die School of Foreign Service der Georgetown Universität.

An diesem Freitagmorgen regnet es in der amerikanischen Hauptstadt. Gallucci, der sich inzwischen einen grauen Bart hat wachsen lassen, kommt in Freizeitklamotten in die Universität, nach unserem Gespräch ist er zum Tennisspielen verabredet. Seit einem Vierteljahrhundert führt er Gespräche mit den Nordkoreanern. Wie wenige im Westen ist er mit ihrem Denken vertraut – und staunt doch immer wieder. Gallucci erzählt von einem sogenannten Track-two-Gespräch, an dem er im August 2016 in Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur teilgenommen hat. Track-two heißt: keine offiziellen Verhandlungen, man trifft sich informell. Am Tisch sitzen hochkarätige Akademiker und frühere Diplomaten, die genau wissen, wie die eigene Regierung denkt, und die den politisch Verantwortlichen in der Regel auch von den Ergebnissen ihrer Gespräche berichten.

In Kuala Lumpur habe er sein Gegenüber gefragt, ob er wirklich der Ansicht sei, eine Interkontinentalrakete in den Händen Nordkoreas sei ein «game changer», mit ihr beginne gleichsam ein neues strategisches Spiel? Absolut!, habe dieser erwidert. Ob er tatsächlich glaube, Amerika werde dadurch verwundbarer, habe er weiter gefragt. Natürlich!, habe der Nordkoreaner geantwortet. Darauf hat Gallucci ihm einen Kurzvortrag über den Kalten Krieg gehalten. Die Vereinigten Staaten hätten es damals mit der Sowjetunion zu tun gehabt. Die habe über fast 30.000 Atombomben verfügt, die sie von Land und von U-Booten aus mit Raketen Richtung Amerika hätte abfeuern oder aus Langstreckenbombern hätte abwerfen können. «Wir haben damit fünfzig Jahre lang gelebt», habe er dem Nordkoreaner erklärt, «wir haben gelernt, auf die Abschreckung zu vertrauen.» Und nun glaube Nordkorea, wenn es eines Tages über eine Interkontinentalrakete mit einem Nuklearsprengkopf verfüge, dann werde das die Vereinigten Staaten in Angst und Schrecken versetzen? Aber, habe Gallucci hinzugefügt, das Spiel würde tatsächlich neuen Regeln folgen. «Etwas wird sich dramatisch ändern. Und das ist eure Verwundbarkeit. Nicht unsere!» [3]

Gallucci ist einer jener früheren amerikanischen Unterhändler, die bis heute den Dialog mit den Nordkoreanern suchen. Sie haben ihre Büros in den führenden Denkfabriken Washingtons, werden zu Anhörungen im US-Kongress eingeladen, schreiben Aufsätze für außenpolitische Fachblätter und reisen zu Konferenzen rund um die Welt. Ihre Expertise ist gefragt, umso mehr, je stärker die Spannungen zwischen Washington und Pjöngjang wachsen. Sie alle sind der Meinung, mit Nordkorea müsse gesprochen werden, das Regime Kim Jong Uns agiere keineswegs irrational. Deshalb teilen sie die Kritik an der «strategischen Geduld», mit der Barack Obama das Problem Nordkorea auf die lange Bank geschoben habe.

Das gilt auch für Joel S. Wit. Mitte der neunziger Jahre arbeitete er eng mit Robert Gallucci zusammen bei dem Versuch, die erste große nordkoreanische Nuklearkrise zu lösen. Auch er gehört zu den außen- und sicherheitspolitischen Vordenkern, die in Amerika zwischen Regierungsamt und Forschungstätigkeit an Universitäten oder Denkfabriken hin und her wechseln. Ihr Reichtum an Wissen und praktischer Erfahrung macht sie zu gefragten Gesprächspartnern und gibt ihrem Urteil Gewicht. Die School of Advanced International Studies der Johns Hopkins Universität an Washingtons Massachusetts Avenue zählt zu den vornehmsten Adressen der außenpolitischen Forschung in den USA. Hier, am Institut für Koreastudien, arbeitet Joel S. Wit als Senior Fellow. Mit seinen Kollegen betreut er die Website 38north[4], deren Analysen längst unverzichtbar geworden sind für jeden, der sich mit Nordkorea beschäftigt.

Wie Gallucci ist Wit ein liberaler Kopf. Und wie dieser geht er scharf mit der Nordkoreapolitik Obamas ins Gericht. Ein «totaler Fehlschlag» sei diese gewesen. Obama und seine Regierung seien zu dem Schluss gekommen, mit der Führung in Pjöngjang sei – anders als mit den Iranern – nicht zu verhandeln. Wegen mangelnder Erfolgsaussichten hätten sie das Gespräch erst gar nicht gesucht und stattdessen lieber nach den «niedrig hängenden Früchten» in Teheran gegriffen. Aber die Annahme, mit den Nordkoreanern könne man nicht sprechen, sei falsch. «Es ist ein Mythos, dass sie irrational handeln. Das stimmt einfach nicht.»

Die Verhandlungen der Regierung Clinton, glaubt Wit, hätten dies gezeigt. Das Rahmenabkommen (Agreed Framework), auf das sich beide Seiten 1994 verständigten, habe verhindert, dass die Nordkoreaner bis zum Jahr 2000 «Hunderte von Atomwaffen» produzierten. «2002, als das Abkommen platzte, hatten sie nuklearwaffenfähiges Material für weniger als fünf Bomben. Und erst damals begannen sie mit der Anreicherung von Uran.» Nein, zu glauben, man könne mit ihnen nicht verhandeln, sei und bleibe ein Irrtum.[5]

Es gibt andere Experten, die diese Sicht ganz und gar nicht teilen. Die vielmehr der Ansicht sind, Nordkorea habe in den Verhandlungen damals gelogen und betrogen, es sei trotz amerikanischer Bereitschaft zur Hilfe beim Bau ziviler Kernkraftwerke nie bereit gewesen, das eigene Waffenprogramm aufzugeben. Und vieles spricht dafür, dass diese Kritik stimmt. Trotzdem haben Gallucci und Wit in einem entscheidenden Punkt recht: Die Regierung Obama hat das Problem Nordkorea liegen lassen. Sie hat, als sich die Atom- und Raketentests häuften, allein auf Sanktionen gesetzt, wohl wissend, dass China, Nordkoreas mit Abstand wichtigster Handelspartner, den Druck nicht so weit steigern würde, dass es das nordkoreanische Regime damit in ernsthafte Bedrängnis brächte.

Sanktionen allein, das steht für Joel S. Wit fest, werden Nordkorea nie einlenken lassen. Es müsse auch die Bereitschaft zum Dialog geben. Präsident und Außenminister müssten dies zu ihrer Sache machen, so wie John Kerry und Barack Obama es im Falle Iran getan hätten. Man könne die Verantwortung auch nicht den Chinesen zuschieben. Nordkorea wolle von Amerika anerkannt werden, wolle folglich auch mit den Amerikanern verhandeln. «Alle Straßen führen nach Washington», resümiert Joel S. Wit.

Nur finden die Politiker dort seit Jahren keinen Weg aus der Nordkoreakrise. Die ganze Vergeblichkeit der bisherigen Anstrengungen spiegelt sich in einem Bericht, den der Council on Foreign Relations im Herbst 2016 vorlegt.[6] Der Council ist der traditionsreichste amerikanische Thinktank. Von Zeit zu Zeit lädt er Experten ein, zu einem wichtigen außen- und sicherheitspolitischen Thema Empfehlungen an die US-Regierung zu formulieren. Die Nordkoreakenner, die der Council diesmal zusammengerufen hat, fordern von Washington einen grundlegenden Kurswechsel. Der seit Jahrzehnten wiederkehrende Zyklus von Provokation und Nachgeben müsse endlich ein Ende haben.

Insbesondere müssten die Vereinigten Staaten den Druck auf China erhöhen, ohne dessen Hilfe Nordkorea nie zu einer Bedrohung für Amerika hätte werden können. Die USA, Südkorea und Japan sollten ihre militärische Zusammenarbeit intensivieren und eine gemeinsame Abschreckungsstrategie entwickeln. Dem Wunsch der Nordkoreaner nach Sicherheitsgarantien könne man durch Gespräche über einen Friedensvertrag zwar durchaus entsprechen, aber Vorbedingung für Verhandlungen müsse eine «vollständige, verifizierbare und irreversible Entnuklearisierung» sein. Auf dem Wege dahin könne man sich auch ein vorübergehendes Einfrieren der nordkoreanischen Bestände an spaltbarem Material vorstellen. Ziel müsse aber ein vollständiger Verzicht auf Atomwaffen bleiben, daran dürfe nicht gerüttelt werden.

Immer wieder geht der Bericht auf die skandalösen Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea ein. Die Botschaft: Es sei die Inhumanität des Regimes in Pjöngjang, die es so bedrohlich mache. Die USA wollten zwar nicht den Zusammenbruch des Regimes herbeiführen, aber gemeinsam mit ihren Alliierten, mit den Vereinten Nationen und mit Nichtregierungsorganisationen müssten sie Nordkorea stärker unter Druck setzen, die Rechte seiner Bürger zu achten. Es gelte, sich «auf den Tag vorzubereiten, an dem die schlimmsten Übeltäter zur Verantwortung gezogen werden».

Auch ein militärisches Eingreifen schließt der Bericht des Council nicht aus. In der Sprache der Experten: «Gegenwärtig ist es nicht die Politik der US-Regierung, den Kollaps des nordkoreanischen Regimes herbeizuführen. Wenn Nordkorea aber seine nuklearen Fähigkeiten weiter ausbaut, wenn es sich Verhandlungen verweigert, dann muss die US-Regierung gemeinsam mit ihren Alliierten die Gesamtstrategie dem Regime gegenüber neu bewerten. Und sie muss nachdrückliche militärische und politische Aktionen in Erwägung ziehen, einschließlich solcher, welche die Existenz des Regimes und sein Atom- und Raketenarsenal direkt bedrohen.»

Der Council on Foreign Relations veröffentlichte seinen Bericht wenige Wochen bevor Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde. Trump hatte Nordkoreas Führer Kim Jong Un im Wahlkampf zwar einen «Verrückten» genannt, zugleich aber angekündigt, er würde sich mit Kim jederzeit «auf einen Hamburger» treffen. Nach der Wahl war davon allerdings schon bald keine Rede mehr. Dabei hatte es im November 2016 von nordkoreanischer Seite Signale gegeben, man wolle mit der neuen Administration den Dialog suchen. Es werde deshalb in der Übergangszeit zwischen Obama und Trump keine weiteren Atom- und Raketentests geben. Ob ernst gemeint oder nicht – einige Wochen lang blieb es tatsächlich ruhig an den Abschussrampen, von denen aus bis dahin allein im Jahr 2016 nicht weniger als 24 Raketen unterschiedlicher Reichweite abgefeuert worden waren.

Mit der Ruhe war es jedoch rasch wieder vorbei. In seiner Neujahrsansprache, traditionell von Nordkoreas Führern für programmatische Ankündigungen genutzt, verkündete Kim Jong Un, die Vorbereitungen für den Test einer Interkontinentalrakete befänden sich in der «Endphase». Woraufhin Donald Trump lakonisch twitterte: «It won’t happen!» – dazu werde es nicht kommen. Wie er die Nordkoreaner an der weiteren Entwicklung ihres Raketenarsenals hindern wollte, schrieb Trump nicht.

Aber schon wenige Wochen, nachdem er sein Amt angetreten hatte, ließ der neue US-Präsident eine umfassende policy review zu Nordkorea in Auftrag geben. Bei dieser Überprüfung der amerikanischen Nordkoreapolitik, an der sich unter Führung des Nationalen Sicherheitsrates alle zuständigen Ministerien und die Geheimdienste beteiligten, wurden die Handlungsmöglichkeiten Punkt für Punkt durchgegangen: Direkte Gespräche mit Pjöngjang? Verschärfte Sanktionen mit oder ohne Dialogangebot? Die erneute Stationierung taktischer Nuklearwaffen in Südkorea, die Anfang der neunziger Jahre abgezogen worden waren? Militärschläge?