Cowboy Love - Wenn Träume wahr werden - Jessica Clare - E-Book

Cowboy Love - Wenn Träume wahr werden E-Book

Jessica Clare

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Beschreibung

Willkommen in Painted Barrel, Wyoming – dem malerischen Städtchen, in dem Herzen zueinanderfinden! Henry & Becca: Ein grummeliger Cowboy und eine kesse Frisörin, die ihm gehörig den Kopf wäscht …

Für Henry Watson bedeutet der Umzug aus Alaska nach Wyoming den ersehnten Neubeginn für sich und seine vierjährige Tochter Libby. Doch kaum sind sie angekommen, passiert Libby ein übles Kaugummi-Missgeschick, und Henry steht überfordert vor den verklebten Locken des Mädchens. Da kann nur noch die Schere helfen …
Die hübsche Frisörin Becca Loftis hat die Nase voll. Seit sie vor zwei Jahren von ihrem Verlobten sitzen gelassen wurde, muss sie sich mit den Verkupplungsversuchen ihrer Kundinnen herumschlagen. Bisher war kein passender Kandidat dabei, ganz im Gegenteil. Doch als der hochgewachsene Neuzugang des Ortes in ihrem Salon auftaucht, fragt sie sich, ob das Schicksal nicht doch noch ein Happy End für sie bereithält …

Die Wyoming-Cowboys-Reihe:
Band 1: Cowboy Love – Wo Herzen sich finden
Band 2: Cowboy Love – Bis wir uns wiedersehen
Band 3: Cowboy Love – Solange du mich hältst
Band 4: Cowboy Love – Wenn Träume wahr werden

Alle Bände können unabhängig voneinander gelesen werden.

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Seitenzahl: 439

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Buch

Für Henry Watson bedeutet der Umzug aus Alaska nach Wyoming den ersehnten Neubeginn für sich und seine vierjährige Tochter Libby. Doch kaum sind sie angekommen, passiert Libby ein übles Kaugummi-Missgeschick, und Henry steht überfordert vor den verklebten Locken des Mädchens. Da kann nur noch die Schere helfen …

Die hübsche Frisörin Becca Loftis hat die Nase voll. Seit sie vor zwei Jahren von ihrem Verlobten sitzen gelassen wurde, muss sie sich mit den Verkupplungsversuchen ihrer Kundinnen herumschlagen. Bisher war kein passender Kandidat dabei, ganz im Gegenteil. Doch als der hochgewachsene Neuzugang des Ortes in ihrem Salon auftaucht, fragt sie sich, ob das Schicksal nicht doch noch ein Happy End für sie bereithält …

Die Wyoming-Cowboys-Reihe bei Blanvalet:

Band 1: Cowboy Love – Wo Herzen sich finden

Band 2: Cowboy Love – Bis wir uns wiedersehen

Band 3: Cowboy Love – Solange du mich hältst

Band 4: Cowboy Love – Wenn Träume wahr werden

Alle Bände können unabhängig voneinander gelesen werden.

Autorin

Jessica Clare lebt mit ihrem Mann in Texas. Ihre freie Zeit verbringt die »New York Times«- und »USA Today«-Bestsellerautorin vor allem mit dem Verfassen prickelnder Liebesgeschichten. Wenn sie aber nicht gerade an ihrem Schreibtisch sitzt, macht sie es sich gern mit einem guten Buch bequem oder spielt Videospiele.

Besuchen Sie uns auch auf www.instagram.com/blanvalet.verlag und www.facebook.com/blanvalet.

Jessica Clare

Cowboy Love

Wenn Träume wahr werden

Deutsch von Christiane Meyer

Die Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel »The Cowboy Meets His Match (The Wyoming Cowboys Series Book 4)« bei Berkley, New York.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Copyright der Originalausgabe © Jessica Clare 2020

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2023 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Carina Heer

Umschlaggestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com (ysbrandcosijn, MelissaMN, simona, erainbow) und RNC/romancenovelcovers.com

JS · Herstellung: sam

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN 978-3-641-26949-4V002

www.blanvalet.de

Für Mick und Jen –

wir haben uns gegenseitig unzählige E-Mails geschickt und werden uns auch zukünftig hoffentlich noch zahllose Male mailen. Übrigens summe ich gerade in meinem Kopf die Titelmelodie der Golden Girls vor mich hin.

Kapitel 1

Februar

Manchmal war es nicht so einfach, in einem Ort wie Painted Barrel zu leben. Die Gemeinde war klein, überschaubar und unterstützte einen in allen Lebenslagen, aber es war nicht möglich, etwas vor den Einwohnern des Ortes geheim zu halten. Schlimmer noch: Jeder hier schien davon überzeugt zu sein, ganz genau zu wissen, was das Beste für einen war, auch wenn man selbst das vollkommen anders sah.

Und das bedeutete, dass Becca beinahe täglich wohlmeinende Ratschläge bekam – egal, wie oft sie auch versuchte, dem zu entgehen.

»Sie sollten wirklich wieder rausgehen und sich mit Männern treffen«, sagte Mrs Williams ihr zum siebten Mal in der Zeit, in der sie jetzt schon bei ihr im Salon war. »Ein hübsches Ding wie Sie? Sie wollen doch nicht Ihre besten Jahre vergeuden, oder? Wenn Sie eine Familie gründen wollen, müssen Sie sich ranhalten.«

Wenn das nicht deprimierend war … Becca tat ihr Bestes, um ihr Lächeln nicht zu verlieren, als sie nun die Folien aus Mrs Williams Haaren pflückte. Sie bemühte sich, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr die freundlich gemeinten Worte der Dame sie getroffen hatten. »Ich weiß nicht, ob ich schon bereit bin, eine neue Beziehung einzugehen. Ich werde es schon wissen, wenn ich den Richtigen treffe.«

Ihre Kundin schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Ihre Zeit läuft. Sie möchten auf den Elternabenden in der Schule doch nicht die älteste Mutter sein.« Sie nickte Becca im Spiegel zu, als wäre das so ziemlich das Schlimmste, was passieren könnte. »Das ist schwierig für die Kinder.«

»Ich werde mir das zu Herzen nehmen«, murmelte Becca, während sie die letzte Folie von Mrs Williams Kopf zog. »Dann wollen wir die Haare mal waschen, ja?«

Das Gute am Haarewaschen war, dass man nicht reden und auch nicht zuhören musste, weil ja das Wasser lief. Becca war dankbar und erleichtert, denn sie brauchte ein paar Minuten, um sich zu sammeln. Becca hatte immer geglaubt, dass zwei Jahre ausreichen würden, damit ihr gebrochenes Herz heilte – zwei Jahre, um über den Mann hinwegzukommen, der sie am Abend vor ihrer Hochzeit sitzengelassen hatte. Es hätte genug Zeit sein müssen, um die Bitterkeit zu überwinden, die sie jedes Mal zu verschlingen drohte, wenn sie eine der Rechnungen bezahlte, die von der »Hochzeit, die nie stattgefunden hatte«, noch immer zu begleichen waren.

Aber es wurde nicht besser – es wurde immer nur noch schlimmer. Sie ärgerte sich von Tag zu Tag mehr.

Es war wenig hilfreich, dass auch der Rest von Painted Barrel jenen Tag nicht vergessen hatte und sich noch immer danach erkundigte. Natürlich taten die Leute das. Becca, die vor dem Altar stehen gelassen worden war (na ja, beinahe …), war der größte Skandal, den es in Painted Barrels langweiliger Geschichte je gegeben hatte. Sie war in der Gemeinde schon immer bekannt gewesen. Sie war lieb und nett, tat ihr Bestes, um zu jedem Menschen freundlich zu sein, führte ihren eigenen kleinen Salon und war zehn Jahre lang mit dem ehemaligen Captain des örtlichen Footballteams, dem gut aussehenden blonden Greg Wallace, zusammen gewesen.

Ach, Greg.

Greg war nicht gut darin, Entscheidungen zu treffen. Sie hatte zehn Jahre benötigt, um das zu kapieren, doch sobald ihr das erst einmal bewusst geworden war, hatte das einiges erklärt. Es erklärte, warum Greg nie das College beendet hatte und warum er keinen Job länger als ein oder zwei Jahre behalten konnte. Es erklärte, warum es in ihrer Beziehung so ein Hin und Her gegeben hatte – zuerst hatte er sich auch mit anderen treffen wollen, dann hatte er Becca zurückhaben wollen, hatte sich mit ihr verlobt und die Verlobung einige Zeit später wieder aufgelöst, bevor er das Rückgängigmachen der Verlobung wieder rückgängig gemacht hatte, um schließlich zwei Tage vor der Hochzeit festzustellen, dass er es sich doch anders überlegt hatte und eigentlich verliebt in eine andere Frau war.

Sie hatte sich viel zu lange von ihm zum Narren halten lassen.

Becca schäumte Mrs Williams das Haar ein, während sie in Gedanken noch immer bei Greg war. Warum hatte sie so viel Zeit mit ihm verschwendet? War sie wirklich so dumm?

Aber, nein, sie vermutete, dass nicht so sehr ihre Dummheit, sondern vielmehr ihr weiches Herz, die Angst vor dem Alleinsein und die Tatsache, dass Greg zwar schlecht Entscheidungen treffen, sich dafür jedoch umso überzeugender entschuldigen konnte, für die Situation verantwortlich waren. Greg war jedes Mal, wenn er zu ihr zurückgekommen war und sich entschuldigt hatte, so lieb gewesen, dass sie es nicht übers Herz gebracht hatte, Nein zu sagen. Also hatte sie Ja gesagt … und Ja … und wieder Ja …

Und wohin hatte sie das gebracht? Becca Loftis ging auf die dreißig zu, war noch immer Single, und nun hatte Mrs Williams ihr auch noch eindringlich nahegelegt, sich mit der Familienplanung zu beeilen, weil ihre Gebärmutter mit jedem Tag, der verging, älter wurde.

»Zu heiß«, rief Mrs Williams, zog den Kopf aus dem Waschbecken, als Becca begann, den Schaum aus ihren Haaren zu spülen, und richtete sich auf. »Zu heiß, Becca!«

»Tut mir leid«, sagte Becca schnell, stellte das Wasser kälter und bemühte sich, das schlechte Gewissen zurückzudrängen. Selbst jetzt schaffte Greg es noch, ihr den Tag zu verderben, oder? »Wie geht es Ihren Enkelkindern? Jimmy ist letzte Woche sechs Jahre alt geworden, oder?«, fragte sie über das Rauschen des Wassers hinweg. Sie war erleichtert, als Mrs Williams sich wieder auf dem Stuhl zurücklehnte und zu reden begann.

Genug von Greg. Sie hatte hier Kunden, um die sie sich kümmern musste.

Becca fegte nach ihrem letzten Kunden für diesen Tag gerade unter dem Friseurstuhl auf, als das Glöckchen über der Eingangstür leise bimmelte. Sie blickte hoch und spürte einen kleinen Stich ins Herz, als sie Sage Cooper-Clements in den Salon watscheln sah. Sage sah in ihrer dicken Jacke und mit ihrem riesigen Babybauch aus wie ein pummeliger Pinguin. Die neue Bürgermeisterin von Painted Barrel war unglaublich nett, und früher hatte Becca sie auch für die reizendste, fürsorglichste, liebste und schüchternste Singlefrau des Ortes gehalten.

Bis Greg beschlossen hatte, dass er lieber mit Sage als mit Becca zusammen sein wollte.

Allerdings hatte Sage wiederum beschlossen, einen hochgewachsenen Cowboy zu heiraten und war sofort nach der Hochzeit schwanger geworden.

Inzwischen war Sage die Bürgermeisterin von Painted Barrel und der neue Liebling des kleinen Ortes. Jeder hier liebte sie. Jeder hier berührte ihren Bauch, wenn sie irgendwo auftauchte, und erkundigte sich nach ihrem Ehemann. Sie fragten auch, wie es auf der Ranch der Familie laufe. Sie gaben ihr Ratschläge und vergötterten sie.

Und auch Becca konnte nicht behaupten, sie zu hassen. Nicht wirklich. Es war schließlich nicht Sages Schuld, dass Greg Becca im Stich gelassen hatte, weil er der Meinung gewesen war, in Sage verliebt zu sein.

Es war nur … Es war schwer, nicht auf diese Frau neidisch zu sein, die mit einem Mal alles zu haben schien, was Becca sich schon immer gewünscht hatte. Gut, sie hatte nie davon geträumt, Bürgermeisterin zu werden, doch sie hatte sich immer einen liebenden Ehemann und ein Baby gewünscht. Gott, sie wäre so, so gern an Sages Stelle.

Sie lächelte Sage wehmütig an. »Hey, Sage. Wie kann ich dir behilflich sein?«

Sage strahlte sie an und wackelte schwerfällig näher. Beccas Blick fiel unweigerlich auf die voluminöse Jacke und den riesigen Babybauch darunter. Sage streckte Becca einen Flyer entgegen. »Ich wollte dir nur sagen, dass wir nächstes Jahr eine Art Messe für Kleinunternehmer planen, um lokale Händler zu unterstützen. Alle Geschäfte Painted Barrels und der umliegenden Gemeinden können sich Stände in der Turnhalle mieten. Wir machen ein großes Festival daraus. Es wird Essen und Getränke geben, und jeder kann an den Ständen seine Produkte verkaufen. Ich wollte dich persönlich einladen, weil du deinen Salon an der Main Street hast und im Ort so etwas wie eine Institution bist. Ich weiß, dass es noch eine Weile hin ist, aber ich wollte schon mal rechtzeitig die Werbetrommel rühren.«

Die schwangere Bürgermeisterin lächelte sie strahlend an, und Becca bemühte sich, begeistert zu wirken, als sie den Flyer entgegennahm. Es war, wie Sage erzählt hatte, ein Festival zur Unterstützung kleiner örtlicher Unternehmen. »Ich weiß nicht, ob ich an einem Stand Haarschnitte anbieten kann«, gab sie zu. Als Sage sie enttäuscht anblickte, sprach sie eilig weiter: »Mir fällt bestimmt noch etwas ein! Vielleicht eine kurze Typberatung?«

»Wundervoll! Füll einfach nur das Formular auf der Rückseite aus und reiche es im Rathaus ein, dann sorge ich dafür, dass du einen Stand bekommst, ja?« Sage blickte sich unsicher im Salon um, die Hand auf den Bauch gelegt. Sie sah aus, als würde sie sich unbehaglich fühlen, doch Becca lächelte, auch wenn sich das Lächeln wie festgefroren anfühlte. Sie waren vor der »Hochzeit, die nie stattgefunden hatte«, Freundinnen gewesen, und jetzt war es – auch wenn inzwischen zwei Jahre vergangen waren – ein bisschen schwierig, wieder zueinanderzufinden.

Sie lächelten einander noch einen Moment lang an. Es herrschte Schweigen.

Bitte, sag nichts mehr über Greg, dachte Becca. Bitte, sag nichts mehr …

»Es tut mir echt leid, wie alles gelaufen ist, Becca«, sagte Sage sanft. Sie biss sich auf die Unterlippe und strich mit der Hand über ihren Babybauch, der sich unter dem Pullover wölbte. »Du weißt ja hoffentlich, dass ich keine Ahnung hatte, dass er so etwas vorhatte, oder?«

Becca gelang es irgendwie weiterzulächeln. »Du musst dich nicht entschuldigen, Sage. Es lag nur an ihm, okay? Niemand sollte sich wegen Greg entschuldigen müssen.« Wegen diesem Arsch Greg. »Er ist ein erwachsener Mann.«

»Ja, aber ich fühle mich irgendwie verantwortlich …«

»Das bist du nicht.« Sie unterbrach Sage. Sie wollte nur, dass diese Unterhaltung endlich aufhörte. Begriff Sage denn nicht, dass es das Letzte war, worüber Becca reden wollte? Egal, mit wem? Und zuallerletzt mit der glücklichen, strahlenden Schwangeren, in die Greg verliebt zu sein glaubte? »Bitte, lass uns einfach nie mehr darüber reden, okay?«

»Okay. Also … Ich gehe dann mal«, sagte Sage und wies mit dem Daumen über ihre Schulter zur Tür.

Becca hielt den Flyer in die Höhe. »Ich sehe mir das hier an und fülle das Formular aus. Versprochen.«

»Super. Toll.« Sage wandte sich zur Tür um und winkte Becca noch einmal zu. »Wir sehen uns die Tage!«

»Bis dann.« Becca blieb stehen, umklammerte den Besenstiel mit einer Hand und hielt den Flyer in der anderen, bis Sage den Salon verlassen hatte und den verschneiten Gehweg der malerischen Main Street entlang davongegangen war. Sobald sie nicht mehr zu sehen war, fegte Becca weiter unter dem Stuhl …

Für ungefähr eine Minute. Ihre Hände zitterten, und sie gab es auf. Sie stellte den Besen zur Seite und ging in ihr kleines Büro im hinteren Bereich des Salons, wo sie alles für die Buchhaltung aufbewahrte und wo sich auch ein winziger Kühlschrank befand, in dem ihr Mittagessen lag. Sie schloss die Tür hinter sich, ließ sich auf den Schreibtischstuhl fallen und holte tief Luft, um sich zu beruhigen.

Sie würde nicht in Tränen ausbrechen.

Sie würde nicht in Tränen ausbrechen.

Greg war es nicht wert, dass sie seinetwegen weinte. Er hatte ihr zehn Jahre ihres Lebens geraubt, hatte sie hingehalten und ihr versprochen, dass sie bald, bald, bald heiraten würden. Und endlich hatte es sogar ein Datum gegeben … ein Datum, bei dem er dann doch nicht mitgemacht hatte. Sie hatte ihm genug Zeit und Energie gewidmet. Jetzt wollte sie nach vorn blicken und weitermachen.

Warum ließ sie nur niemand nach vorn blicken und die leidige Geschichte endlich hinter sich lassen?

Sie tupfte sich sorgfältig die Augenwinkel trocken. Sie war stolz auf sich, weil statt der Tränenflut, die es normalerweise gab, nur ein paar einzelne Tränen über ihre Wangen gekullert waren. Gut. Das hieß, dass sie ihr Make-up nicht vollkommen neu machen musste, sondern dass eine kleine Auffrischung reichen würde. Sie könnte den Tag in guter Stimmung beenden, falls noch Kundschaft vorbeikäme. Wobei die Laufkundschaft sich mit Sicherheit wieder nach Greg erkundigen würde …

Ihre Unterlippe begann zu zittern. Verdammt.

Während Becca schniefte und sich die Augen trocken tupfte, klingelte das Glöckchen über der Eingangstür zum Salon leise. Mist. Sage war vermutlich zurückgekommen, um sich noch einmal zu entschuldigen. Das würde Becca dann doch die Tränen in die Augen treiben und ihren Abend vollends ruinieren. Sie musste der schwangeren Frau, die es offensichtlich nur gut meinte, irgendwie schonend beibringen, dass es ihr wirklich und wahrhaftig gut ging und dass sie ehrlich nicht mehr darüber reden wollte. Sie biss die Zähne zusammen, zwang sich zu einem strahlenden Lächeln, kniff sich noch einmal kurz in die Wangen, um etwas frischer und rosiger auszusehen und von ihren rot geränderten Augen abzulenken, und machte die Bürotür auf, um sich Sage zu stellen.

Aber … es war gar nicht Sage.

Ein Mann stand in der Tür. Riesig und dunkel war er das genaue Gegenteil der Bürgermeisterin. Tatsächlich hatte Becca diesen Mann noch nie zuvor in ihrem Leben gesehen. Das war an sich schon interessant, weil Painted Barrel ein winziges Nest war, das im dünn besiedelten Norden Wyomings lag, wo kaum jemand »einfach so« hinreiste. Die meisten Leute, die in dieser Gegend lebten, waren hier schon geboren worden. Auch Becca war hier aufgewachsen und kannte jeden in dem kleinen Ort. Das war zugleich Fluch und Segen – und in letzter Zeit war es eher Ersteres gewesen.

Dieser Mann war jedoch ein Fremder. Sie starrte ihn an und bemühte sich, nicht zu glotzen. Er trug eine dünne Jacke und darunter ein verwaschenes schwarz-rot kariertes Hemd. Die Jacke schien fast ein bisschen zu schmal für seine breiten Schultern zu sein. Er war riesig – fast zwei Meter. Seine Arme wirkten noch einschüchternder. Sie sahen aus wie Baumstämme. Zusammen mit dem schwarzen Vollbart wirkte er, als hätte jemand den sagenhaften Holzfäller Paul Bunyan zum Leben erweckt. Er trug Jeans und steckte in matschigen Arbeitsstiefeln. Ein dunkler Cowboyhut saß auf seinem Kopf und verdeckte sein etwas zu langes ungekämmtes Haar. Für das Winterwetter war er irgendwie zu dünn angezogen.

Sie fühlte sich wirklich an Paul Bunyan erinnert, jene Märchengestalt, die in den Erzählungen ihrer Kindheit immer wieder aufgetaucht war – wenn Paul Bunyan ein Cowboy gewesen wäre. Doch war Paul Bunyan nicht ein freundlicher Charakter? Dieser Mann funkelte sie jedoch finster an. Er schien die ganze Welt um sich herum abgrundtief zu hassen.

Becca blinzelte verwirrt und scannte den Mann blitzschnell ab. In dieser Gegend gab es nicht viele Fremde. Entweder hatte er sich nur verfahren und brauchte Hilfe, um seinen Weg wiederzufinden, oder er war einer der neuen Rancharbeiter. Nicht auf Sages Ranch, denn die netten Helfer hatte Becca bereits kennengelernt – ehemalige Soldaten, die ein neues Leben beginnen wollten. Die einzigen anderen »Auswärtigen« in der Gegend waren die drei neuen Rancharbeiter auf der Swinging-C-Ranch hoch oben in den Bergen. Die drei waren Dr. Ennis Parsons Neffen. Sie hatte noch keinen der Männer persönlich getroffen, aber es hieß, dass sie aus der Wildnis Alaskas stammten und hierhergekommen waren, um ein Jahr lang auf der Ranch auszuhelfen.

Dieser Mann hier entsprach auf jeden Fall den typischen Klischees der Bewohner Alaskas. Und er sah völlig anders aus als ihre normalen Kunden. Verdammt, genau genommen sah er so aus, als hätte er noch nie einen Beauty-und-Friseur-Salon von innen gesehen. Der Bart war zottelig. Genau wie die Haare unter dem Hut. Sie nahm an, dass seine Hände von der Arbeit rissig und rau und voller Schwielen waren.

Es war ihr ein Rätsel, wieso er überhaupt in der Tür zu ihrem Salon stand. Becca wollte gerade den Mund aufmachen und ihn fragen, ob er sich vielleicht verfahren hätte, als sich hinter seinem muskulösen Bein etwas Pinkfarbenes bewegte.

Becca erblickte ein kleines Mädchen.

Der riesige Cowboy hielt die Hand eines kleinen, zarten Geschöpfs fest. Beccas Herz schmolz dahin, als sie das Gesichtchen sah, das hinter dem Bein des Mannes hervorblickte. Die Kleine steckte den Daumen in den Mund. Das Mädchen in dem pinkfarbenen Parka beobachtete Becca mit großen Augen, hielt sich aber hinter dem Bein ihres Beschützers verborgen.

Ah! Jetzt war klar, dass er nicht seinetwegen, sondern wegen der Kleinen hier war. Er musste ihr Daddy sein. Becca wurde warm ums Herz. Obwohl er ein bisschen beängstigend aussah, war dieser Paul Bunyan ein Vater, und die Kleine hatte keine Angst vor ihm.

»Hallo«, sagte Becca zu den beiden.

Der Mann blickte sie nur stumm und finster an. Er sagte nichts. Nach einer ganzen Weile zog er behutsam an der Hand des kleinen Mädchens, und es machte einen Schritt nach vorn.

Okay. Er war offenbar nicht der Gesprächigste. Auf einer Ranch arbeiteten die unterschiedlichsten Menschen, und Becca war nicht überrascht, dass er eher ein schweigsamer Typ war. Allerdings entbehrte es nicht einer gewissen Ironie, wenn er tatsächlich mit Doc Parson verwandt war, denn der Tierarzt war so ziemlich der offenste, kommunikativste Mensch, den sie je kennengelernt hatte. Sie betrachtete die Kleine, die nun vor ihrem Vater stand und konzentriert am Daumen nuckelte. Ihre Bäckchen waren dick und rosig, und unter dem süßen pinkfarbenen Parka lugten rosa und weiß gestreifte Leggings hervor. Die Kleine hatte die Kapuze abgenommen, und die weichen goldenen Locken waren auf ihrem Köpfchen zu einem hohen, festen Knoten zusammengebunden worden.

»Womit kann ich euch behilflich sein?«, fragte Becca und ging in die Knie, um mit dem Mädchen auf Augenhöhe zu sein.

Das Mädchen starrte Becca nur schüchtern an.

»Kaugummi.«

Becca hob erstaunt den Blick. Der riesengroße schweigsame Kerl hatte tatsächlich gesprochen. »Kaugummi?«, wiederholte sie.

Er nickte und schob das Mädchen noch einen Schritt weiter nach vorn.

Die Kleine nahm den Daumen aus dem Mund und begann zu sprechen: »Ich hatte Grampas Kaugummi im Mund und bin eingeschlafen, und als ich wieder aufgewacht bin, war das Kaugummi weg.«

Oh. Und sie befanden sich hier beim Friseur. Das war kein gutes Zeichen. Aber Becca lächelte weiter und streckte die Hand aus. »Ich wette, ich weiß, wo das Kaugummi geblieben ist. Sollen wir mal nachschauen?«

Das zarte, putzige Wesen legte sein Händchen in Beccas Hand und sah sie triumphierend an. »Das Kaugummi ist in meinen Haaren! Und Daddy sagte, dass du es rausmachen kannst.«

Huch. Das hatte er gesagt? Becca warf dem Mann einen unsicheren Blick zu. »Tja, wir schauen mal, was wir da machen können, ja?« Sie führte das kleine Mädchen zum Friseurstuhl und half ihm aus der Jacke. Dann hob sie die Kleine auf den Stuhl. »Wie heißt du, Schätzchen?«

»Libby.« Sie sah aufgeregt zu, wie Becca nun ein leuchtend pinkfarbenes Cape hervorholte und es ihr umlegte.

»Wie alt bist du, Libby?«

»Drei.«

»Vier«, korrigierte der Mann sie grimmig.

»Vier«, stimmte Libby zu und schlenkerte unter dem Umhang mit den Beinen.

»Ich verstehe«, sagte Becca, als der Mann sich neben Libby auf den anderen Stuhl sinken ließ. Er streckte die langen Beine aus. »Vier ist ein tolles Alter. Das bedeutet nämlich, dass du schon ein großes Mädchen bist.« Sie griff nach dem Zopfband, um es aus dem Knoten zu lösen, doch das Kaugummi klebte auch im Haarband fest. Du lieber Himmel. Sie sah sich die Haare genau an, wie sie es bei Kindern immer tat – allerdings in der Regel, um nach Läusen zu suchen, bei Kindern wusste man ja nie. Das hier würde … interessant werden. Spannend. Sie nahm einige Strähnen in die Hand und versuchte zu ergründen, wie es so weit hatte kommen können. Das Kaugummi schien überall zu sein. Lange Kaugummifäden zogen sich durch die zarten Locken, und alles war mit dem Zopfband verschlungen. Und dazwischen befand sich eine hellbraune Substanz, von der sie nicht sagen konnte, was es war. Sie schnüffelte daran. »Ist das … Erdnussbutter?«

Sie sah zu dem riesigen Kerl, doch er hatte die Kiefer aufeinandergepresst und schwieg eisern. Nach einer gefühlten Ewigkeit zuckte er mit den Achseln.

»Daddy hat versucht, mir zu helfen«, sagte Libby fröhlich. »Aber ich habe ihm zwei Tage lang nichts von dem Kaugummi erzählt, und er sagte, das war nicht so gut.«

Zwei Tage? Tja, das erklärte den ranzigen Knoten auf Libbys kleinem Kopf. »Ich verstehe.«

»Es war spät«, brummte er missmutig. »Ein krankes Rind.«

»Ich habe nichts gesagt«, entgegnete Becca freundlich. Sie ging zum Tresen und schnappte sich eine große Flasche mit Haaröl. »Manchmal ist es nicht so leicht, von der Arbeit wegzukommen. Glauben Sie mir, ich weiß das.« Sie lächelte ihm schief zu. »Notfälle passieren – sogar in einem Friseursalon.« Und sie wies auf seine kleine Tochter.

Er starrte sie nur an.

Gut. Okay. Das war jetzt unangenehm. Sie wandte sich wieder Libby zu. »Daddy lag mit der Erdnussbutter schon mal gar nicht so verkehrt«, sagte sie zu dem kleinen Mädchen. »Wir geben noch etwas mehr Öl in deine Haare und probieren mal, ob wir noch etwas von dem Kaugummi lösen können, ja?«

»Gut«, entgegnete Libby.

»Du kannst mir ja inzwischen von dir erzählen«, fuhr Becca fort und gab reichlich Öl ins Haar. Fieberhaft überlegte sie, wie sie die Haare der Kleinen retten konnte. »Du bist also ein großes Mädchen von vier Jahren. Hast du noch Brüder oder Schwestern?«

»Ich habe zwei Onkel! Sie sind genauso groß und haarig wie Daddy.«

»Zwei Onkel«, wiederholte Becca grinsend. Es war also definitiv einer von Doc Parsons Neffen. Es hieß, dass die drei gemeinsam aus Alaska hierhergekommen waren. »Was ist mit deiner Mommy?«

»Ich habe keine Mommy«, sagte Libby und ließ die Beine wieder baumeln. »Dafür habe ich meinen Daddy und Onkel Caleb und Onkel Jack und Grampa Ennis.«

»Verstehe.« Verstohlen sah sie zum Vater des kleinen Mädchens hinüber, doch der Mann erwiderte ihren Blick nicht. Er schaute seine Tochter an, als Becca versuchte, die Haarsträhnen zu befreien. Ihr Herz zog sich ein bisschen zusammen. Ein alleinstehender Vater mit einer kleinen Tochter? Kein Wunder, dass ihm das Kaugummi im Haar der Kleinen nicht aufgefallen war, bis die Katastrophe perfekt gewesen war. Sie konnte sich vorstellen, dass es schwer war, ein Kind allein aufzuziehen. Und das alles ohne eine Partnerin an der Seite …

Libby plapperte weiter und weiter, während Becca an dem Knoten auf ihrem Kopf zupfte und zog. Einige Minuten verstrichen, aber Libby war nicht so unruhig und ungeduldig wie so manches andere Kind, das bei Becca auf dem Friseurstuhl Platz nahm. Das war gut. Die Kleine gab sich damit zufrieden, zu reden und zu reden, erkundigte sich nach den Haarprodukten auf Beccas Tresen und fragte sie, ob sie Cartoons und Blumen und alle möglichen anderen Dinge unter der Sonne mögen würde.

»Ist das hier das Geschäft deines Daddys?«, fragte Libby, während Beccas ölige Hände eine weitere Strähne aus dem Wust lösten.

»Nein, das Geschäft gehört mir. Ich habe es selbst eröffnet.«

»Dann kannst du den ganzen Tag mit den Haaren anderer Leute spielen?«

Sie lachte. »Ja, das stimmt. Und ich spiele gerne mit Haaren. Vor allem mit den Haaren von kleinen Mädchen.«

»Hast du auch ein kleines Mädchen?«

Ihr Herz zog sich zusammen. »Nein.«

»Einen kleinen Jungen vielleicht?«

»Ich habe keine Familie«, entgegnete Becca möglichst locker. »Keine Kinder und keinen Mann.«

»Daddy hat auch keine Frau.«

»Libby«, knurrte der Mann.

Becca lachte leise. »Ist schon gut.« Hitze stieg ihr in die Wangen. Sie warf wieder einen Blick zu dem Mann. Er war groß und stark, und unter dem verrückten Vollbart sah er vermutlich ganz gut aus. Wobei – sie hatte in den letzten Jahren auf keinen anderen Mann außer Greg geachtet, also funktionierte ihr Männer-Radar möglicherweise nicht mehr so gut. Egal. Dieser Mann hier redete offenbar nicht gern. Doch möglicherweise war er auch nur schüchtern. Er hatte jedenfalls eine sehr süße Tochter.

Vielleicht … vielleicht war das hier ein Schritt in die richtige Richtung. Vielleicht sollte sie den Stier bei den Hörnern packen und sich ein Date sichern. Dann würde jeder im Ort erkennen, dass sie über Greg hinweg war und dass sie auch nicht wieder zusammenkommen würden, und die Leute würden endlich aufhören, sie wie eine alte Jungfer zu behandeln. Sie könnte jedem beweisen, dass sie nach vorn blickte und ihr Leben weiterlebte.

Sie brauchte nur ein einziges Date. Sie musste mit dem Mann nicht einmal auf einer Wellenlänge sein. Sie mussten nur zusammen Abend essen, um zu zeigen, dass sie ihr Leben in die Hand nahm. Dann würden alle die »Hochzeit, die nie stattgefunden hatte« ein für alle Mal vergessen.

Sie setzte ihre Idee jedoch nicht sofort in die Tat um. Sie brauchte noch Zeit, um darüber nachzudenken, und die Arbeit mit Libbys Haaren war die perfekte Ablenkung. Das Kaugummi war so verklebt, dass sie erst jetzt, nach einer guten halben Stunde, an das Zopfband kam, um es aus dem Haarknoten zu lösen. Sie war ziemlich zuversichtlich, dass sie es schaffen könnte, die Haare zu retten, aber es würde einige Zeit benötigen.

Außer dem Mann war es lieber, dass sie ihr das Haar abschnitt, um die Sache abzukürzen.

Becca schürzte die Lippen und wischte sich die Hände an einem Handtuch ab. »Kann ich kurz mit Ihnen reden, Mr …«

Er verriet ihr seinen Namen nicht, erhob sich nur schweigend und folgte ihr ans andere Ende des Salons, wo sich die Eingangstür befand. Draußen wurde es allmählich dunkel. Durch die Fenster drang die kühle Abendluft in den Salon. Es war längst Zeit, Feierabend zu machen. Sie wischte sich weiter die Hände im Handtuch ab, und in ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken.

Der Mann sah sie an und wartete.

Okay, sie würde die Unterhaltung allein tragen müssen. »Ich glaube, ich kann den Großteil des Kaugummis aus Libbys Haaren lösen. Allerdings wird es einige Zeit lang dauern.«

Er knurrte zustimmend.

»Also, ein paar Stunden. Ich muss langsam vorgehen, weil ihre Haare sehr fein sind und weil ich sie nicht versehentlich ausreißen möchte. Die andere Möglichkeit wäre, ihr den Kopf zu rasieren, doch ich weiß nicht, wie Sie dazu stehen.«

Der große Cowboy sah zuerst zu seiner Tochter und dann wieder zu Becca. Er rieb sich über den Bart. »Das würde ihr nicht gefallen.«

»Tja … Ich habe Zeit, wenn Sie Zeit haben.« Strahlend lächelte sie ihn an.

Er hielt inne. »Würde es … Unannehmlichkeiten bereiten?« Offensichtlich fiel es ihm schwer, die Worte über die Lippen zu bringen.

»Nein. Wie ich schon zu Libby sagte, werde ich zu Hause nicht erwartet. So habe ich meinen Abend zwar nicht geplant, aber das ist schon in Ordnung.«

Der riesige Kerl knurrte wieder. »Okay.«

Sie schwiegen, und Becca atmete einmal tief durch. Das hier war ihr Moment. Das hier war die Chance, die sie ergreifen musste. Sie spielte mit einer ihrer Haarlocken und hoffte, dass er sie attraktiv finden würde. »Stimmt es, was Libby gesagt hat? Dass Sie nicht verheiratet sind?«

Der Mann verengte die dunklen Augen zu schmalen Schlitzen. Er musterte sie eindringlich. Sah sie prüfend an. Betrachtete sie von Kopf bis Fuß, als würde er sie abchecken wollen.

Becca errötete. Sie griff an. Es ging nicht um diesen Mann im Speziellen. Es hätte auch jeder andere Mann sein können. Sie wollte einfach nur die Meinung der Bewohner Painted Barrels über sie ändern. Sie musste das Thema wechseln. Punkt. »Ich weiß, dass es vielleicht ein bisschen plump klingt … Und ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus. Aber … Hätten Sie Lust, einmal mit mir auszugehen?«

Er starrte sie an. Musterte sie noch einmal vom Kopf bis zu den Zehenspitzen. Es entstand eine quälend lange, unangenehme Pause. Dann sagte er genau ein Wort.

»Nein.«

Kapitel 2

Hank schwieg, während die hübsche Frau sich Libbys verklebten Haaren widmete. Er wusste, dass es eine Katastrophe war. Er wusste, dass er seine Tochter enttäuscht hatte – auf eine Art, über die er so nie nachgedacht hatte. Als er noch ein Junge gewesen war, hatte man ihm, wenn er Kaugummi im Haar gehabt hatte, einfach den ganzen Klumpen herausgeschnitten und ihm anschließend den Kopf rasiert. Doch ein Blick in Libbys verweintes Gesichtchen hatte gereicht, um sicher zu sein: Das konnte er seiner kleinen Tochter auf keinen Fall antun. Es war seine Aufgabe, sie zu beschützen und sich um sie zu kümmern, und wenn das bedeutete, den ganzen Abend lang in einem Friseursalon zu hocken, dann würde er das eben tun.

Allerdings hätte er niemals damit gerechnet, dass die Besitzerin des Salons ihn fragen würde, ob er Lust hätte, mit ihr auszugehen.

Das war ihm suspekt. Frauen baten ihn für gewöhnlich nicht um eine Verabredung. Nicht, dass er sonderlich viele Frauen kannte. In der weiten Wildnis Alaskas gab es nicht viele Frauen, und diejenigen, die dort lebten, waren so hart und rau wie die Männer. Seit er und seine Brüder nach Wyoming gekommen waren, waren ihm die Blicke, die die Menschen ihnen hier zuwarfen, nicht entgangen. Er wusste, dass er nicht hierher passte. Er machte den Leuten Angst. Und sein Schweigen machte alles nur noch schlimmer.

Dass eine hübsche Frau wie die Besitzerin des Salons ihn um ein Date bat, musste also ein Scherz sein.

Sie war allerdings nett. Aus den Augenwinkeln beobachtete er sie, wie sie geduldig Strähne um Strähne vom Kaugummi befreite. Geschickt löste sie mit ihren öligen Fingern den Kaugummi, die Erdnussbutter und Fusseln aus den Locken seiner kleinen Tochter. Sie erzählte fröhlich von Puppen und Pferden und lenkte Libby ab. Die Kleine lachte und grinste.

Libby war ein glückliches Kind, aber er hatte sie in der Gegenwart einer anderen Person noch nie so gelöst und ungehemmt erlebt. Das machte ihn ein bisschen eifersüchtig.

Doch die Frau hatte schon einen Großteil von Libbys Haaren vom Kaugummi befreit, also würde er den Mund halten und es für sein kleines Mädchen aushalten.

Hank warf der Friseurin unter seinen Wimpern hervor einen verstohlenen Blick zu. Sie war zierlich, vielleicht gut einen Meter fünfzig groß. Sie hatte lange braune Locken, die ihr über den Rücken fielen. Große Augen. Eine gute Figur – wundervoll geformt mit tollen Hüften und Brüsten.

Nicht, dass er Frauen immer so genau in Augenschein nahm, aber sie hatte ihn um ein Date gebeten. Und er war auch nur ein Mensch. Sie trug keinen Ring am Finger. Sie redete gern, und sie war hübsch. Warum war sie nicht verheiratet?

Und was noch wichtiger war: Warum bat sie ihn um ein Date? Er war groß und hässlich und bekam den Mund nicht auf. Er war nicht reich, und er hatte eine kleine Tochter. Er war nicht gerade der Hauptgewinn.

Sie hatte sich bestimmt über ihn lustig gemacht.

Hank sah auf die Uhr. Die Minuten verstrichen. Sein Handy hatte ein paarmal gepiepst und angezeigt, dass er Nachrichten bekommen hatte, doch er hatte nicht weiter darauf geachtet. Es kam ihm unhöflich vor, sich mit seinem Handy zu beschäftigen, während diese Fremde sein Kind unterhielt und versuchte, Libbys Haare zu retten. Sein Blick fiel auf einen ordentlichen Stapel Visitenkarten, der zwischen Kämmen und Fläschchen auf dem Tresen lag.

Becca Loftis, Friseurin

Sie sah auch wie eine Becca aus. Nicht, dass er sonderlich viele Beccas kannte.

Nicht, dass es ihn interessierte. Trotzdem streckte er den Arm aus und nahm sich eine der Visitenkarten – nur für den Fall, dass Libby wieder einen Kaugummi-Unfall hätte.

Die Frau … Becca … bemerkte das alles nicht. Sie war zu beschäftigt damit, sich auf Libbys Haare zu konzentrieren. Seine Tochter plapperte unterdessen weiter und erzählte von einem Babyhai. Becca fuhr vorsichtig mit einem Kamm durch Libbys Haare. Er lehnte sich mit ihren Jacken auf dem Schoß zurück und beobachtete Becca bei der Arbeit. Es war tausendmal besser, als Ställe auszumisten oder Onkel Ennis zuzuhören, der wieder eine von seinen Geschichten erzählte. Es war irgendwie schön, eine Weile hier zu sitzen und Libbys Lachen zu lauschen, während sie redete.

Und im nächsten Moment nickte er ein.

Eine Weile später schreckte er wieder hoch, als ein Föhn eingeschaltet wurde. Hank fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, setzte sich auf und warf einen Blick auf die Uhr. Verdammt. Es war fast zehn Uhr abends. Hatte er so lange geschlafen? Hatte die Frau – Becca – so lange an Libbys Haaren gearbeitet? Er sah zu seiner Tochter. Ihr Gesichtchen im Spiegel strahlte, als Becca die hellen Locken der Kleinen vorsichtig aufrollte und kunstvoll auf dem Kopf feststeckte. Dann nahm sie eine pinkfarbene Dose und sprühte einen rosafarbenen Glitter auf den Kopf des Kindes. Er wollte »Stopp!« rufen, aber Libbys glücklicher Gesichtsausdruck hielt ihn davon ab.

Sein kleines wildes Mädchen, das wusste, wie man einen Haken mit einem Köder versah und einen Fisch von seinen Schuppen befreite, das gern im Matsch spielte und das in Lachen ausbrach, wenn ein Pferd kackte, und das immer gesagt hatte, es wolle einmal ein Cowboy werden wie Daddy, betrachtete vollkommen verzückt die albernen pink glitzernden Locken. Vor Staunen und Stolz stand Libby der Mund offen. Glücklich blickte sie ihren Daddy an. »Daddy, ich bin eine Prinzessin!«

Sein Herz zog sich zusammen, als ihm klar wurde, dass er mit der Situation vollkommen überfordert war. Er kannte sich mit dem Angeln aus und mit der Arbeit auf einer Ranch. Er wusste, wie man Fallen stellte und wie man einen Monat lang nur mit dem Nötigsten ausgestattet in der Wildnis überlebte. Über Prinzessinnen wusste er dagegen nichts. Und auch nicht über pinkfarbene Haare.

Allerdings war offensichtlich, dass so etwas für Libby auch wichtig war, und ihm wurde einmal mehr bewusst, dass er keinen blassen Schimmer hatte, wie er das leisten sollte. Onkel Ennis lachte immer und meinte, dass die Kleine ihn noch ins Grab bringen würde, doch er hatte die Bedenken immer beiseitegeschoben. Jetzt überkam ihn jedoch die Befürchtung, dass der alte Mann recht haben könnte.

»Du bist eine wunderschöne Prinzessin«, brummte er und streckte die Hand aus. »Aber es ist schon längst Zeit für dich, ins Bett zu gehen.«

Libby sprang vom Stuhl, als Becca ihr den Umhang abnahm, und hüpfte zu ihrem Daddy. »Daddy, kann ich morgen wiederkommen und mit Miss Becca Prinzessin spielen?«

Seine Kehle war wie zugeschnürt. Prinzessin spielen? »Kleines, ich glaube nicht, dass …«

»Vielleicht nicht morgen, doch wenn du das nächste Mal in der Stadt bist, mache ich dir gern die Haare, Miss Libby«, sagte die Friseurin lächelnd. »Solange du mir versprichst, dich in Zukunft von Kaugummi fernzuhalten!«

Hank presste die Kiefer aufeinander. Er konnte nicht Unmengen von Geld für einen Friseur ausgeben – egal, wie süß seine Tochter auch sein mochte. Wie teuer mochte so eine Haarbehandlung wohl sein? Er selbst rasierte sich im Sommer das Haar einfach ab, wenn es zu heiß wurde. Über die Lockenpracht von kleinen Mädchen wusste er nichts. Er musste Nein sagen. Er hielt Libbys Jacke in der Hand. »Libby, sie hat zu tun.«

»Ist schon gut«, entgegnete Becca. Ihr Lächeln wirkte müde, aber zufrieden. »Es dauert ja nicht lange, und sie ist so süß, und mir macht es wirklich nichts aus. Solange Sie meinen anderen Kunden nichts verraten, geht das aufs Haus.« Und sie zwinkerte seiner Tochter zu, als wäre es ihr kleines gemeinsames Geheimnis.

Libby kicherte fröhlich und schlüpfte in ihren Parka.

Gut. Tja, das beantwortete ihm zumindest eine Frage. Er zog seine Kreditkarte hervor und wollte sie der Frau reichen.

Abwehrend hob Becca die Hand. »Das habe ich gern gemacht.«

Hielt sie ihn für mittellos? Er biss die Zähne zusammen und wollte ihr die Karte noch einmal reichen. »Wir haben stundenlang hier gesessen. Ich kann für den Aufwand bezahlen.«

Sie schüttelte den Kopf, ignorierte seine mürrische Miene und ging zur Eingangstür, um sie aufzuhalten. »Ich hatte heute Abend sowieso nichts vor und habe jemanden Nettes kennengelernt. Ich würde sagen, dass wir quitt sind.«

Jemanden Nettes? Etwa ihn? Es war seltsam, so etwas zu einem Mann zu sagen, den man gerade um ein Date gebeten hatte. Doch dann kicherte Libby, und Becca betrachtete seine kleine Tochter, und er fühlte sich wie der letzte Trottel.

Nicht ihn. Sie hatte seine Kleine gemeint. Natürlich.

Sein Gesicht brannte. »Sind Sie sich sicher, dass ich nichts zahlen soll?«

»Ich bin mir sicher.« Sie strahlte ihn an. »Einen schönen Abend wünsche ich Ihnen.«

Und das war es. Er nahm Libbys Hand und führte seine Tochter nach draußen zum Wagen. Die Kleine war schon eingeschlafen, bevor er sie auch nur in ihrem Kindersitz angeschnallt hatte. Sie nuckelte im Schlaf am Daumen – eine Angewohnheit, die sie eigentlich ablegen musste, aber er konnte sie nicht davon abbringen. Und sie sah so verdammt süß dabei aus, dass sein Herz sich zusammenzog.

Seine Kleine war das Beste, was ihm in seinem Leben widerfahren war. Er hoffte, dass er es nicht vermasselte. Er dachte daran, wie sie aufgeblüht war, als sie sich im Salon mit der Frau unterhalten hatte. Wie sie sich darüber gefreut hatte, dass ihr Haar so schön mit dem pinkfarbenen Glitter eingesprüht worden war. Er hatte sich immer eingeredet, so ein guter Vater zu sein, dass es keine Rolle spielte, dass sie keine Mutter hatte.

Jetzt fürchtete er, dass es sehr wohl eine Rolle spielte.

Hank fuhr die verschneite Passstraße hinauf und die schmale dunkle Straße entlang, die zur Swinging-C-Ranch führte. Die Landschaft war malerisch, jedoch ganz anders als zu Hause. Zu Hause hatte er neben einem Bach gewohnt, der aus den Bergen hinabfloss. Im Sommer blühten auf den Wiesen die Blumen, und Elche stapften durch die Landschaft, und im Winter gab es nichts als Schnee. Hier … na ja, gut, hier gab es auch viel Schnee, doch statt der plätschernden Bäche waren hier vor allem ruhige Seen, und das Einzige, was hier durch die Landschaft stapfte, waren Rinder. Unmengen davon.

Er vermisste Alaska.

Er vermisste es schrecklich. Er war nur hergekommen, weil Onkel Ennis Hilfe auf der Ranch gebraucht hatte. Onkel Ennis hatte Hank und seinen Brüdern ein Gehalt geboten, mit dem sie Vorräte für ein ganzes Jahr und neue Schneemobile für sie alle drei kaufen könnten. Vielleicht sogar ein Kleinflugzeug, wenn sie einen entsprechenden Schein dafür machten. Das wäre jedenfalls praktisch, um damit nach Anchorage fliegen zu können, falls mal etwas fehlte.

Ja, er vermisste Alaska.

Und der heutige Tag hatte dafür gesorgt, dass er sich fühlte wie ein Versager.

Er hatte sich selbst immer für einen guten Dad gehalten. Er achtete darauf, dass Libby drei Mahlzeiten pro Tag bekam. Sie wusste, wie sie sich waschen und anziehen musste. Sie putzte sich allein die Zähne und wählte ihre Kleidung selbstständig aus. Er hatte ihr sogar das Alphabet-Lied beigebracht. Aber die Begegnung mit der Frau im Friseursalon hatte ihn verunsichert. Wie sollte er seiner Tochter alles geben, was sie wollte und brauchte, wenn er nicht einmal wusste, dass es all diesen Mist überhaupt gab? Prinzessinnenhaar? Es reichte offenbar nicht, ihr die Haare zu kämmen. Es musste unbedingt eine Prinzessinnenfrisur sein.

Vielleicht hätte er sich doch mit der Frau verabreden sollen – auch wenn sie ihn nur aufziehen wollte. Vielleicht hätte er sie bei der Gelegenheit über Kinder ausfragen sollen. Sie schien gut mit Libby umgehen zu können.

Er dachte noch immer über die Frau – Becca – nach, als er nun seine Tochter ins Haus und nach oben in ihr Zimmer trug, wo er ihr Jacke und Schuhe auszog und sie ansonsten bekleidet ins Bett steckte. Er strich ihr die Locken aus dem Gesicht und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Als er ihren Lieblingsteddy nahm, um ihn ihr zu geben, griff sie, ohne die Augen zu öffnen, danach, rollte sich auf die Seite und schlief wieder ein. Das war sein Kind. Sie hatte einen sehr gesunden, tiefen Schlaf. Er betrachtete sie noch eine Weile, konnte sich aber nicht von ihr lösen, denn er hatte das Gefühl, wenn er sich jetzt umdrehen und gehen würde, wäre sie im nächsten Moment achtzehn und würde ihn verlassen. Dazu war er noch lange nicht bereit.

Überhaupt nicht.

Irgendwann verließ Hank ihr Zimmer doch und ging nach unten. Die Swinging-C-Ranch bestand aus einem großen Ranchhaus und einigen kleinen Hütten, die für die Ranchhelfer gedacht waren. Seine Brüder wohnten in zwei der kleinen Hütten. Hank hingegen lebte mit Libby im Haupthaus, weil es hier eine Badewanne statt einer Dusche gab, die er für Libby dringend benötigte. Er ging in die Küche, um etwas zu essen. Onkel Ennis saß in der Küche am Tisch und löste ein Kreuzworträtsel. Er hatte eine Tasse Kaffee neben sich stehen, obwohl es schon spät war.

Tja, verdammt. Onkel Ennis war sehr mitteilsam, und das bedeutete, dass Hank nicht darum herumkommen würde, sich mit ihm zu unterhalten.

Das war genau das, was er jetzt brauchte.

»Ziemlich spät«, war jedoch alles, was sein Onkel sagte, als Hank in die Küche kam, den Gefrierschrank aufmachte und nach etwas zu essen suchte.

Wenn er in seiner Hütte in Foxtail gewesen wäre, hätte er die Pfanne heiß gemacht und sich ein paar Pancakes gebacken, weil Pfannkuchen die Vorräte schonten und weil er dafür sorgen musste, dass ihre Vorräte möglichst lange hielten. Doch er war müde und mit den Gedanken woanders, und das Letzte, was er jetzt wollte, war, mehr Zeit als unbedingt nötig in der Küche zu verbringen. Also schnappte er sich ein Fertiggericht, stellte es in die Mikrowelle und schaltete sie ein. Mit vor der Brust verschränkten Armen sah er finster zu, wie sich das Essen auf dem Teller drehte, während die Mikrowelle es viel zu langsam erhitzte.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte Ennis.

Hank knurrte nur leise.

»Geht es Libby auch gut? Ich habe bemerkt, dass sie mit dir unterwegs war.«

Er presste die Kiefer aufeinander. »Es geht ihr gut. Sie hatte nur Kaugummi im Haar.«

»Hast du es mit Erdnussbutter versucht?«

Hank wies mit der Hand auf das Glas mit Erdnussbutter, das noch immer auf der Anrichte stand. Er wusste, dass der Mann es nur gut meinte, aber sein neugieriger Onkel tat so, als wüsste Hank nicht, was man als guter Vater tun musste. »Ich habe sie zu der Haartante gebracht.«

Das war das Falscheste, was er hätte sagen können. Onkel Ennis’ Miene hellte sich auf. »Du hast Becca getroffen? Sie ist eine nette junge Frau, findest du nicht?« Er schüttelte den Kopf und beugte sich wieder über sein Kreuzworträtsel. »Und so hübsch. Ihr Verlobter sollte sich schämen.«

Hank dachte an die zierliche Frau im Salon. Wie sie ihn um ein Date gebeten hatte. Jetzt war er neugierig geworden … und das hieß, dass er sich noch länger mit Onkel Ennis unterhalten musste. Verflucht. Es war nicht so, dass er Ennis nicht mochte … Aber der Mann konnte einem, gelinde gesagt, ein Ohr abkauen, und manchmal ging es Hank auf die Nerven, weil der alte Herr sich in alles einmischte.

Die Mikrowelle piepte.

Hank nahm sein Essen heraus und stellte es auf den Tisch. Schweigend holte er sich eine Gabel und begann zu essen. Er würde nicht fragen. Er würde nicht fragen. Er wusste, dass es eine Falle war, Ennis’ Art, ihn in eine Unterhaltung zu verstricken, die er eigentlich überhaupt nicht führen wollte.

Er nahm einen Bissen von seinem Essen.

Wartete.

Er nahm noch einen Bissen.

Verdammt. »Verlobter?«, fragte er, als Ennis gerade etwas in das Kreuzworträtsel eintrug.

»Hm.« Er blickte nicht hoch. »Sie wurde praktisch vor dem Altar stehen gelassen. Der Mann hat sie wegen der Bürgermeisterin verlassen. Tja, damals war sie noch nicht Bürgermeisterin. Jetzt ist sie Bürgermeisterin. Wie auch immer … Das war ganz schön heftig für die arme Becca. Alle hatten Mitleid mit ihr.« Er schüttelte den Kopf. »So ein liebes Mädchen. Sie hat etwas Besseres verdient.«

Hank knurrte wieder. Nahm noch einen Bissen. Das Essen schmeckte schrecklich. Er schob noch eine Gabel voll in den Mund und stellte das Essen zur Seite. »Sie hat mich um ein Date gebeten.«

Ennis lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und blickte ihn vollkommen überrascht an. »Das hat sie?«

Verdammt. Er wusste, dass er es nicht hätte erzählen dürfen. Hank zuckte die Achseln.

Ennis lächelte. Es war kein normales Lächeln. Es wirkte bedächtig und sicher und viel zu zufrieden. »Tja. Und wann geht ihr beide aus?«

»Gar nicht. Ich habe Nein gesagt.«

Verwirrt sah Onkel Ennis seinen Neffen an. Er machte den Mund auf, um zu protestieren. Ihm war der warnende Ausdruck auf Hanks Gesicht, der ihm riet, es gut sein zu lassen, offenbar entgangen. Doch mit einem Mal richtete sein Blick sich auf die Tür hinter Hank. Einen Augenblick später fiel die Fliegengittertür ins Schloss, und Hanks jüngerer Bruder Jack schlenderte herein. Er ging zum Kühlschrank, machte ihn auf und starrte hinein, ohne die beiden zu begrüßen.

»Hank ist von einer hübschen jungen Frau gefragt worden, ob er mit ihr ausgehen will«, verkündete Onkel Ennis.

Hank biss die Zähne zusammen. Er hätte den Mund halten sollten, verflucht noch mal. Jetzt würde Onkel Ennis jedem, der ihm in die Arme lief, alles über Hanks Angelegenheiten erzählen, die niemanden etwas angingen.

Natürlich wirbelte auch Jack herum und sah seinen Bruder mit aufgerissenen Augen an. Er starrte zuerst Hank und dann Onkel Ennis an. »Ein Date?«

»Klingt so.«

»War sie blind?«, wollte Jack wissen.

Wütend funkelte Hank ihn an. So hässlich war er nun auch wieder nicht. »Hau ab, Jack.«

»Du hast das Beste noch gar nicht gehört«, sagte Onkel Ennis und tippte mit dem Bleistift auf das Kreuzworträtsel. »Er hat abgelehnt. Sie ist richtig hübsch. Ich kenne sie, seit sie ein Baby war.«

Jack kam an den Tisch und legte die Hand auf Hanks Stirn, als wollte er seine Temperatur fühlen.

Hank schlug seine Hand weg. »Hör auf damit.«

»Ich habe mich nur gefragt, warum du Nein gesagt hast, wenn sie so hübsch ist.« Er riss die Augen noch ein Stückchen weiter auf. »Sie war gar nicht hübsch, sondern hässlich, stimmt’s? Darum wollte sie mit dir ausgehen.«

»Sie war nicht hässlich«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Sie war sogar sehr hübsch. Sie war … zierlich. Nett.« Er versuchte, sich an die Züge der Frau zu erinnern. Er erinnerte sich an ihre Haare, an ihr Lächeln … und an die Art, wie ihre Brüste sich bei ihren Bewegungen hoben und senkten. Nicht, dass er über so etwas hätte nachdenken sollen. Es kam ihm nicht richtig vor, solche Gedanken zu haben.

»Doch du wolltest nicht mit ihr ausgehen«, sagte Jack, schnappte sich einen Stuhl, drehte ihn um und setzte sich rittlings darauf. Eindringlich blickte er seinen Bruder an. »Hast du einen Caleb abgezogen?«

Caleb war ihr Bruder. Er war still und höflich … meistens jedenfalls. In der Gegenwart von Frauen wurde er rot und sagte gar nichts mehr. Und wenn er doch mal etwas sagte, war es missverständlich und kam vollkommen falsch rüber. Jack zog den armen Caleb noch immer gern mit seiner letzten Erfahrung mit einer Dame auf, in die er sich verknallt hatte. Tina Tattersall arbeitete in einer Bar in Anchorage hinter dem Tresen und hatte eine hübsche, tief ausgeschnittene Bluse getragen, als sie einmal nach einem Lebensmitteleinkauf bei ihr eingekehrt waren. Nachdem Caleb sechs Monate lang von Tina Tattersall geträumt hatte, hatte er all seinen Mut zusammengenommen und war zu ihr gegangen. Aber statt »Hi, Tina!« zu sagen, hatte er »Hi, Titten!« hervorgestoßen. Dann hatte er sich wortlos umgedreht und die Bar verlassen.

Er hatte sie nie wieder betreten. Einen »Caleb abziehen« war seitdem unter seinen Brüdern eine stehende Wendung.

»Becca ist nicht hässlich«, erklärte Onkel Ennis. »Sie ist ein sehr nettes Mädchen. Reizend. Und sie hat sich mit keinem Mann mehr getroffen, seit Greg sie kurz vor der Hochzeit sitzen gelassen hat.« Ennis klopfte auf den Tisch. »Ich glaube, du solltest mit ihr ausgehen.«

»Nein«, wiederholte Hank ganz ruhig. »Ich bin nicht interessiert.«

»Wenn sie so hübsch ist, sollte ich mich vielleicht mal bei ihr vorstellen«, sagte Jack und kratzte seinen zottigen Bart. »Sie kann schließlich nicht allzu wählerisch sein, wenn sie dich um ein Rendezvous gebeten hat. Und ich habe nichts dagegen, die Bekanntschaft einer Frau zu machen, wenn ich schon mal hier bin.«

Das reichte Hank an Unterhaltung für einen Abend. Er erhob sich, funkelte Jack finster an, warf Onkel Ennis – der wie ein Idiot grinste – auch noch einmal einen bösen Blick zu und ging in sein Zimmer. Am Treppenabsatz angekommen, schob er die Tür zu Libbys Zimmer ein Stückchen auf und sah nach ihr. Sein kleines Mädchen schlief mit dem Daumen im Mund, hielt den Teddybär umschlungen und hatte die Decke weggeschoben. Auf Zehenspitzen betrat er das Zimmer, deckte die Kleine wieder zu, strich ihr noch mal übers Haar … und bemerkte zu spät, dass er nun den ganzen Glitter an der Hand hatte.

Pinkfarbenen Glitter.

Verflucht noch mal.

Leise verließ Hank das Zimmer und ging ins Bad, um den Glitzer von den Händen zu waschen. Der Mist klebte überall. Und irgendwie war ihm das Zeug in den letzten dreißig Sekunden sogar in den Bart geraten. Wie zum Teufel war das denn passiert? Stirnrunzelnd betrachtete er sein Spiegelbild, versuchte, seinen Bart zu reinigen, und starrte sich im Spiegel an. Er sah einen finsteren Blick, buschige dunkle Augenbrauen und einen langen Bart. Nichts, das eine hübsche, nette Frau wie Becca dazu bewegen würde, ihn augenblicklich um ein Date zu bitten.

Es musste ein Scherz sein. Es musste einfach ein Scherz sein.

Er dachte an die erste und letzte Frau, in die er sich verliebt hatte. Na ja, »verliebt« war vielleicht der falsche Ausdruck. Doch er war jedes Mal, wenn er in die Stadt gekommen war, ganz hingerissen von Adria Young gewesen. Er hatte sich alle Mühe gegeben, um ihr wenigstens mal Hallo zu sagen. Sie hatte ihn immer angelächelt und mit ihm geflirtet, wenn er in die Bar gekommen war …

Eines Abends trank er viel zu viel. Adria war echt nett zu ihm. Ehe er wusste, wie ihm geschah, landeten sie zusammen im Bett. Es war sein erstes Mal mit einer Frau – mit sechsundzwanzig Jahren war er damit spät dran, was ihm zu schaffen gemacht hatte, aber im entlegenen Alaska waren geeignete Frauen eben Mangelware. Er schwärmte für Adria. Sie war seiner Meinung nach ziemlich erstaunlich. Vielleicht ein bisschen zu durchtrieben für seinen Geschmack, doch nach ein paar Bieren spielte das keine Rolle mehr. Sie kuschelte sich zu ihm ins Bett, und am nächsten Morgen bat sie ihn um Geld für Zigaretten. Er reichte ihr sein Portemonnaie, sie lächelte ihn freundlich an – und erleichterte ihn um ein paar hundert Dollar.

Und weil er ein Idiot war, der zum ersten Mal gevögelt hatte, unternahm er nichts dagegen.

Ungefähr eine Woche lang trafen die beiden sich fast täglich, bis ihm auffiel, dass sie offenbar regelmäßig Geld aus seiner Brieftasche nahm, sobald er ihr den Rücken zuwandte. Einer der Betrunkenen in der Bar erzählte ihm, dass sie die Nummer im vergangenen Jahr auch mit ihm durchgezogen hatte – sie hatte sich ein Opfer ausgesucht und den Mann dann systematisch ausgenommen. In dem Moment begriff Hank, dass sie ihn zum Narren gehalten hatte.