Midnight Liaisons - Zur Liebe verdammt - Jessica Clare - E-Book

Midnight Liaisons - Zur Liebe verdammt E-Book

Jessica Clare

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Beschreibung

Furchtloser Singlemann gesucht, der das Biest in mir erweckt und liebt

Ryder verbirgt ein dunkles Geheimnis vor ihren Kolleginnen bei der Dating Agentur Midnight Liaisons: Jedes Mal, wenn sie sich zu einem Mann hingezogen fühlt, verwandelt sie sich in eine unansehnliche Kreatur. Deswegen ist sie noch nie einem Mann wirklich nahegekommen. Den schrecklichen Fluch kann sie nur brechen, wenn sie mit ihrem Mr. Perfect zusammenkommt und vor ihrem 25. Geburtstag ihre Jungfräulichkeit verliert. Also macht sich Ryder auf die Suche, denn in vier Wochen wird sie 25.

Dann begegnet sie Hugh. Er scheint der Richtige zu sein, doch auch er hat ein dunkles Geheimnis, weswegen er Ryder besser widerstehen sollte.

Die Geschichte von Ryder und Hugh ist die vierte Folge aus der Paranormal-Romance-Reihe Midnight Liaisons von Jessica Sims. E-Books von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.



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Seitenzahl: 434

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Inhalt

CoverÜber die AutorinTitelImpressumKapitel einsKapitel zweiKapitel dreiKapitel vierKapitel fünfKapitel sechsKapitel siebenKapitel achtKapitel neunKapitel zehnKapitel elfKapitel zwölfKapitel dreizehnKapitel vierzehnKapitel fünfzehnKapitel sechzehnKapitel siebzehnKapitel achtzehnKapitel neunzehnKapitel zwanzig

Über die Autorin

Jessica Sims ist das Pseudonym der Bestsellerautorin Jessica Clare. Sie lebt mit ihrem Mann in Texas. Ihre freie Zeit verbringt sie mit Schreiben, Lesen, Schreiben, Videospielen und noch mehr Schreiben. Ihre Serie Perfect Passion erschien auf den Bestseller-Listen der New York Times und der USA Today.

Jessica Clare

schreibt als Jessica Sims

Midnight Liaisons

Zur Liebe verdammt

Aus dem amerikanischen Englisch vonKerstin Fricke

beHEARTBEAT

Digitale deutsche Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment | Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln vermittelt durch Mohrbooks AG Literary Agency

Textredaktion: Julia Feldbaum

Covergestaltung: Birgit Gitschier, Augsburg unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Nik Merkulov; anetta; Roxana Bashyrova; Andrey Prokhorov

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-6274-9

Originalausgabe: Wanted: Wild Thing © 2014 by Jessica Sims

Originalverlag: Pocket Books, a Divison of Simon & Schuster, Inc., New York

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Kapitel eins

Jordan parkte den Wagen vor meinem Haus und sah zu mir herüber. »Ich habe den Abend mit dir sehr genossen, Ryder.«

Ich schenkte meinem Date ein fröhliches Lächeln. »Ich hatte auch viel Spaß. Vielen Dank noch mal für die Einladung.«

Er grinste zurück – auf eine leicht arrogante, selbstbewusste Art, die ich unglaublich anziehend fand. Dann streckte er die Hand aus, um mir eine Strähne meines blonden Haars aus dem Gesicht zu streichen. »Du bist wirklich wahnsinnig sexy, weißt du das?«

Ich wich seiner Berührung aus und musste lachen. »Ich bin vieles, Jordan, aber sexy zu sein gehört ganz bestimmt nicht dazu.« Um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, schlug ich spielerisch mit meiner pinkfarbenen Hello-Kitty-Handtasche nach ihm, die in diesem Fall sowohl als Schutzschild als auch als Beweis dafür fungierte, dass ich alles andere als sexy war.

Ich war süß. Niedlich wie Hundewelpen oder Kätzchen oder wie der rosafarbene Lippenstift mit Glitzerpartikeln, den ich heute Abend aufgelegt hatte. Ich hatte die hellen Haare zu zwei Zöpfen geflochten und trug ein zart pinkfarbenes Kleid in A-Linien-Form mit einem kleinen abgerundeten Kragen. Dazu eine gelbe Strumpfhose und farblich passende pinkfarbene Mary Janes, die sich auch gut im Kleiderschrank von Baby Spice gemacht hätten. Als Jordan mich zum Essen abgeholt hatte, hatte er behauptet, ich würde aussehen wie zu einer besonders bunten Osterfeier verkleidet.

Aber ich mochte ganz einfach leuchtende, helle Dinge.

»Fake it until you make it« – ich lebte jeden einzelnen Tag nach diesem Motto.

Bei meinem Date war ich wie immer wahnsinnig nervös gewesen. Aber so wie ich gekichert und geflirtet und fröhliche Kommentare von mir gegeben hatte, hätte niemand auch nur ahnen können, wie ich mich in Wirklichkeit fühlte. Ich befand mich im Ryder-Modus. Was bedeutete, dass ich die vor Temperament überschäumendste Persönlichkeit zur Schau stellte, die man sich vorstellen konnte. Und wenn ich den Modus abgeschaltet hatte, bekam mich keiner zu sehen. So war es am besten für alle, die etwas mit mir zu tun hatten.

Als Jordan mit einem Finger meinen Arm hinabstrich, erschauderte ich und gratulierte mir gleichzeitig stumm dazu, ein langärmeliges Kleid für den Abend ausgewählt zu haben. Angespannt hielt ich den Atem an und war der festen Überzeugung, dass im nächsten Moment etwas Schreckliches passieren würde. Doch Gott sei Dank geschah nichts. Der nervöse Knoten in meinem Magen lockerte sich ein wenig.

»Ich konnte während unseres ganzen Dates die Augen nicht von dir lassen«, flüsterte Jordan mit verführerischer Stimme und rückte ein Stück näher.

Zum mindestens hundertsten Mal an diesem Abend stieß ich ein albernes Kichern aus und brachte vorsichtshalber wieder ein paar Zentimeter mehr Abstand zwischen uns. Mir war klar, wo das hier hinführen sollte, und der Gedanke jagte mir eine Heidenangst ein. Möglichst unauffällig wischte ich die feuchten Finger am Polster meines Sitzes ab, während mir der Schweiß ausbrach.

Es war nicht so, dass ich Jordan nicht küssen wollte; er war gut aussehend, witzig und aufmerksam. Ich wünschte mir sogar, ihn zu küssen. Um ehrlich zu sein, hätte ich ihn am liebsten am Hemdkragen hinter mir her und geradewegs in mein Bett gezerrt. Aber das würde nicht passieren. Tief in mir drin wusste ich es. Trotzdem hatte ich mich mit ihm verabredet. Weil ich nun mal eine unverbesserliche Optimistin war. Wenn ich aufhörte zu hoffen, blieb mir nichts mehr, an das ich noch glauben konnte.

»Ryder«, sagte er sanft und rutschte wieder ein Stück näher.

Ich presste den Rücken gegen die Autotür, um so viel Platz wie möglich zwischen uns zu bringen. »Ich mag dich wirklich sehr, Jordan. Aber ich glaube nicht, dass wir mehr werden können als gute Freunde.«

Er sah mich überrascht an. »Warum sagst du so was, wenn du mich magst?«

»Es … es ist kompliziert.« Extrem kompliziert, um genau zu sein. Auf eine Art und Weise, die er sich vermutlich nicht mal in seinen wildesten Träumen hätte ausmalen können.

»Ich denke, ich habe dich gern genug, um damit umgehen zu können«, sagte er schmeichelnd und streckte abermals die Hand aus, um meine Haare zu berühren.

Ich schloss die Augen und wartete – doch auch diesmal passierte nichts. Langsam entspannte ich mich wieder. Vielleicht … vielleicht würde es heute tatsächlich anders laufen.

Von neuer Hoffnung bestärkt, zuckte ich beim nächsten Mal nicht zurück, als er so dicht an mich heranrückte, dass ich seinen warmen Atem auf der Haut spüren und seinen Duft wahrnehmen konnte. Er roch frisch. Sauber. Menschlich. Ein freudiger Schauer lief mir den Rücken hinab angesichts der Tatsache, einem attraktiven Mann so nahe zu sein.

Zärtlich strich Jordan mit dem Handrücken über meine Wange.

Ich spürte ein leichtes Kribbeln, das jedoch sofort wieder verebbte. Unwillkürlich verzog ich die Lippen zu einem glücklichen Lächeln – das Jordan ganz offensichtlich als Ermutigung auffasste. Noch bevor ich wusste, wie mir geschah, presste er seine Lippen auf meine.

Ein schockiertes Beben ergriff meinen Körper, gefolgt von einem erfreuten Flattern in der Magengegend, als er mit der Zunge meine Lippen entlangstrich. Ich wurde geküsst. Von einem echten Mann. Wow! Es war sogar noch besser, als ich erwartet hatte. Ich stieß einen leisen, zufriedenen Laut aus und sank tiefer in das Polster meines Sitzes.

Dann begannen meine Wangen zu kribbeln. Allerdings nicht auf die angenehme Weise, sondern eher so, als würde etwas tief in mir zum Leben erwachen und zu entkommen versuchen. Als würde sich meine Haut von den Knochen lösen wollen.

Ich riss die Augen auf und versetzte Jordan einen unsanften Stoß vor die Brust. »Nein.«

Meine Glückssträhne war soeben versiegt. Jordan war nicht der Richtige für mich.

Er hatte noch immer die Augen geschlossen, suchte mit den Lippen meine, als könnte er meinen Protest ganz einfach wegküssen. Herunterschlucken.

Wäre ich einfach irgendeine Frau gewesen, hätte es vielleicht sogar funktioniert. Aber die war ich nicht. Manch einer hätte vermutlich sogar angezweifelt, dass ich überhaupt menschlich war.

Ein schreckliches Prickeln lief über meine Haut. Als würden sich Tausende kleinster Nadeln gleichzeitig hineinbohren. Meine Zehen krümmten sich schmerzhaft zusammen, und ich spürte, wie sie sich zu Klauen verformten, die von innen gegen meine Schuhe drückten. Ein unterdrücktes Stöhnen drang aus meiner Kehle, während mein ganzer Körper von einem heißen Schmerz erfasst wurde und sich die Haut an meinen Armen und Beinen aufwarf, nur um sich im nächsten Moment wieder zusammenzuziehen. Danach waren meine Knochen an der Reihe. Mir blieben nur wenige Sekunden, bis sie krachend und knackend brechen würden, während meine Transformation langsam, aber unaufhaltsam voranschritt.

Und wenn ich nicht bald etwas unternahm, würde Jordan das alles mit ansehen.

Verzweifelt stemmte ich mich gegen seine Brust und löste meine Lippen von seinen. Genau in dem Augenblick, als die Fänge durch mein Zahnfleisch brachen und ich Blut schmeckte.

Hektisch fummelte ich am Griff der Tür, sodass ich kopfüber auf der Auffahrt landete, als sie sich schwungvoll öffnete.

»Ryder!« Ich hörte, wie Jordan die Fahrertür aufriss und auf die Straße stürzte. »Oh mein Gott. Alles okay?«

Ich sprang auf die Füße und rannte auf die Haustür zu. Hinter meiner Stirn pochte und hämmerte es, während sich die Knochen darunter zu einem harten Vorsprung verformten. Mit klauenbewehrten Fingern angelte ich den Schlüssel aus meiner Handtasche. Meine Beine verkrampften und bogen sich, und es würde nicht mehr lange dauern, bis sich die Ausbeulungen an meinem Rückgrat durch den Stoff meines niedlichen pinkfarbenen Kleids bohrten.

Trotz meiner zitternden Hände schaffte ich es aufzuschließen. Mit einem Satz war ich über die Schwelle und schlug die Tür hinter mir zu, bevor ich mich erleichtert von innen gegen das dicke dunkle Holz sinken ließ.

In Sicherheit.

In der nächsten Sekunde brachen mit einem feuchten, klatschenden Geräusch lederne Schwingen aus meinem Rücken, und ich stöhnte vor Schmerzen auf, als sich mein eben noch locker sitzendes Kleid eng um meine Kehle schloss. Ich angelte nach dem Reißverschluss im Nacken, gab das Vorhaben jedoch schnell wieder auf und schlitzte den Stoff stattdessen mit meinen scharfen, dicken Nägeln an der Vorderseite auf, bis er sich in Fetzen um meine Füße ringelte. Meine Schuhe mussten als Nächstes dran glauben. Durch die Transformation waren sie bereits so zerrissen, dass sie ohnehin nicht mehr zu retten waren.

Mein schrecklich hässliches Gesicht in die Hände gestützt ließ ich mich an der Tür hinabgleiten, bis mein Hintern samt Schwanz den Boden berührte.

Verdammt. Für einen kurzen, wunderschönen Moment hatte ich tatsächlich geglaubt, dass Jordan der Eine für mich war. Aber das war er nicht. Nicht einmal annähernd.

Es überraschte mich nicht, als er einen Moment später an meine Tür klopfte.

»Ryder?«, rief er laut. Es war nicht zu überhören, dass er sich Sorgen machte. »Geht es dir gut? Was ist los?«

»Nein heißt nun mal Nein«, rief ich in der Hoffnung, dass er das unterschwellige Knurren in meiner Stimme nicht hörte. »Ruf mich nie wieder an.«

»Bitte, Ryder, mach die Tür auf, damit wir darüber reden können.«

»Verschwinde!« Und ich meinte es tatsächlich auch so. Jordan war nett, attraktiv – und absolut unbrauchbar für meine Zwecke. Genau wie jeder andere menschliche Mann dort draußen, der mit seinen Berührungen meinen Fluch heraufbeschwor.

Das Monster, das unter meiner Haut schlummerte, hatte ein Problem mit Sexualität. Ich konnte den lieben langen Tag einen harmlosen Flirt nach dem anderen haben oder eine Freundin umarmen. Hände schütteln. Das alles war kein Problem. Aber sobald mich ein Mann mit einer eindeutig sexuellen Intention anfasste, erwachte das schuppige Biest in mir zum Leben.

Ich fuhr mit einem Finger über die spitzen Fänge, zu denen sich meine Eckzähne verlängert hatten. Wenn sie sich durch mein Zahnfleisch bohrten, war das der schmerzhafteste Teil der Transformation; und sie waren das letzte Anzeichen, das verschwand, wenn ich mich wieder in einen Menschen zurückverwandelte.

»Bitte, Ryder«, wiederholte Jordan jetzt mit ruhigerer, sanfterer Stimme. »Können wir darüber reden? Ich mag dich wirklich sehr.«

»Du bist nicht der, für den ich dich gehalten habe«, rief ich. Die Ironie meiner Worte ließ mich beinahe in ein zynisches Lachen ausbrechen. »Verschwinde, bevor ich die Polizei rufe.«

Es folgte eine lange Stille. Dann ließ er die Faust gegen die Tür donnern. »Fick dich, du Miststück!«

Als Nächstes hörte ich, wie er mit schweren Schritten den Weg vom Haus zu seinem Auto zurückstampfte. Einen Moment später startete er seinen Wagen und fuhr mit quietschenden Reifen davon.

Nun denn, vielleicht war es doch nicht so schlimm, dass nicht ausgerechnet Jordan meine eine wahre Liebe war. Wie es aussah, hatte er selbst etwas vor mir verborgen. Seine Arschloch-Seite. Vermutlich keine große Überraschung. Immerhin hatten wir alle unsere Geheimnisse.

Nur dass meines sehr viel Angst einflößender war als die der meisten anderen. Ich war ein Wechselbalg. Zumindest hatte es die alte Wahrsagerin so ausgedrückt.

Die erste Begegnung mit meinem inneren Monster hatte ich kurz nach meiner ersten Menstruation gehabt.

Ich war vierzehn und hatte mit einem Typen aus dem Sommercamp auf einem Steg rumgemacht, als mir plötzlich Schuppen und ein Schwanz wuchsen. Zu meinem Glück schrieb der Kerl die schreckliche Monster-Vision, die ihn heimsuchte, den Nachwirkungen irgendeines schlechten Pilz-Trips zu. Ich dagegen war so außer mir vor Panik, dass ich tat, was wohl jede Vierzehnjährige in meiner Situation für logisch erachtet hätte. Ich stahl Geld aus dem Portemonnaie meiner Mutter und nahm den Bus ans andere Ende der Stadt, wo ich eine Wahrsagerin aufsuchte, um mir ein paar Antworten geben zu lassen.

Wie sich herausstellte, war dies die beste Entscheidung gewesen, die ich hatte treffen können. Vom ersten Augenblick an, als ich der hoch aufgeschossenen, gertenschlanken Wahrsagerin gegenüberstand, war mir klar, dass sie anders war als andere Menschen. Sie schien von einem sanften Leuchten umgeben zu sein, dessen Ursprung mir natürlich zuerst nicht klar war. Aber später erklärte sie mir, woher der subtile Glanz stammte, der von ihr ausging. Sie trug Feenblut in sich.

Sie hatte es von ihrer Urgroßmutter geerbt, die sie auch in den okkulten Künsten unterrichtet und ihr alles beigebracht hatte, was sie über Übernatürliche wusste. Als sie mir erzählte, dass ihre Urgroßmutter einen Satyr geheiratet hatte, musste ich lachen.

Jetzt, zehn Jahre später, arbeitete ich für eine Agentur, die Dates zwischen übernatürlichen Klienten vermittelte, und hatte schon mehr als einem einsamen Satyr zu einer Verabredung verholfen. Manchmal schien sich das Leben beinahe lustig über einen zu machen.

Doch wie auch immer, die Wahrsagerin hielt Antworten für mich bereit. Sie erklärte mir, dass ich ein Wechselbalg sei. Früher, als das Feenvolk sich noch stärker mit den Menschen gemischt hatte, stahlen die Feen manchmal ein menschliches Kind und ließen an seiner Stelle einen Wechselbalg zurück, um ihn von den Eltern aufziehen zu lassen.

Ich hatte schon vorher von Legenden über Feen gehört, war aber immer davon ausgegangen, dass es sich bei den Wechselbälgern um Angst einflößende sagenhafte Gestalten handelte. Immerhin war ich selbst bis zu diesem Zeitpunkt nichts weiter gewesen als ein süßer blonder Teenager, der durchaus menschlich aussah – bis ihn jemand auf die falsche Art berührte.

Auch das erklärte mir die Wahrsagerin. In intimen Momenten ließ ich meinen natürlichen Schutzschild sinken, und der »Verwandlungszauber«, der mich sonst umgab, verblasste. Und wenn ich es nicht schaffte, bis zu meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag meine Jungfräulichkeit zu verlieren, würde der Zauber, der dafür sorgte, dass ich menschlich aussah, endgültig verschwinden, und ich würde für immer ein Monster bleiben.

Mit vierzehn ließen mich die Worte der Wahrsagerin am Boden zerstört zurück. Nicht genug damit, dass meine Mom und mein Dad offensichtlich nicht meine leiblichen Eltern waren. Nein, tief in mir drin war ich in Wirklichkeit ein Ungeheuer, zu dem ich für immer verdammt sein würde, wenn ich die Deadline, die mir der Fluch auferlegte, nicht einhielt.

Die Wahrsagerin tätschelte tröstend meine Hand und erklärte mir weiter, dass es trotz allem Hoffnung für mich gab. Ihrer Urgroßmutter zufolge existierte für jeden Wechselbalg ein einziger perfekter Partner auf dieser Welt. Wenn ich diesen Mann fand, würde ich in der Lage sein, ihn zu berühren, ohne dass das Monster in mir zum Leben erweckt werden würde. Damit wäre ich in der Lage, den Fluch zu brechen. Der Verwandlungszauber, der mich umgab, würde für alle Zeiten bestehen bleiben und mir mein menschliches Aussehen bewahren, sodass ich mich nie wieder in ein schuppiges, klauenbesetztes, knochiges, hässliches Biest verwandeln würde.

Ich konnte nicht mal wirklich erklären, was für eine Art Monster ich überhaupt war. Es sah ganz einfach aus wie eine Mischung aus den grauenhaftesten Ungeheuern, die man sich vorstellen konnte.

Ich musste also nur meinen perfekten Partner finden. Und so wie in dem Märchen mit der Prinzessin, die eine Menge Frösche küssen muss, musste ich eine Menge Männer berühren. Ich flirtete also, was das Zeug hielt. Als wäre ich nichts weiter als eine lebenslustige, fröhliche junge Frau. Und wenn ich den Mut dazu aufbrachte, küsste ich einen Mann. Nur um zu sehen, ob er nicht vielleicht doch der eine Richtige für mich war.

Doch bisher hatte ich dabei noch jedes Mal das Monster in mir heraufbeschworen. Was mich zu einer Flucht-Meisterin gemacht hatte. Inzwischen konnte ich mich aus Verabredungen stehlen, ohne dass mein Gegenüber überhaupt mitbekam, was gerade vor sich ging. Ich hatte bereits Lebensmittelvergiftungen vorgetäuscht, um mich auf der Toilette zu verstecken, bis sich meine Monster-Seite wieder zurückzog. Ich hatte meine Dates sitzen lassen, indem ich durch die Hintertür abgehauen war – eine meiner Lieblingsmethoden –, um mich auf einem dunklen Parkplatz zu verwandeln, wo niemand mich sehen konnte.

Immerhin hielt die Transformation nie lange an. Auch jetzt konnte ich bereits wieder spüren, wie meine Fänge zu pochen begannen. Ein Anzeichen dafür, dass sie sich bald in mein Zahnfleisch zurückziehen würden. Ich streckte eine Hand aus, um zu beobachten, wie die Schuppen auf meiner Haut verschwanden und meine gebogenen, klauenbesetzten Finger ihre normale Form annahmen. Die pinkfarbenen Fingernägel hatten nicht einmal einen Kratzer abbekommen.

Mein heutiges Date war nicht der perfekte Mann für mich gewesen, aber das bedeutete nicht, dass der nicht irgendwo dort draußen herumlief. Ich würde nicht aufhören, nach der Antwort auf mein Problem zu suchen, und ich würde sie finden. Auf keinen Fall würde ich zulassen, dass diese kleine Monster-Seite in mir die Oberhand gewann. Und schon gar nicht würde ich mich zu lange mit dem Gedanken aufhalten, dass mein fünfundzwanzigster Geburtstag nur noch einen Monat entfernt war.

Immerhin arbeitete ich für eine Agentur mit übernatürlichen Kunden. Midnight Liaisons zählte Vampire, Gestaltwandler, Untiere und alle möglichen anderen Wesen, die ab und zu eine andere Gestalt annahmen und auf der Suche nach einem Partner waren, zu seinen Klienten. Wenn es dort draußen den perfekten Mann gab, der in der Lage war, meinen Fluch zu brechen, würde ich ihn über meinen Job finden.

Und bis dahin musste ich einfach weiter einen Frosch nach dem anderen küssen.

Kapitel zwei

Nicht jeder war für die Nachtschicht in einer übernatürlichen Datingagentur geeignet. Man musste Bescheid wissen über den Vollmond, über speziesspezifische Allergien und nächtliche sexuelle Avancen von Vampiren. Und man sollte in der Lage sein, Alarm zu schlagen, während man gleichzeitig um zwei Uhr früh ans Telefon ging. Es war ein seltsamer Job, aber mir machte er großen Spaß. Unsere Klienten waren seltsam, was mir sehr gelegen kam. Seltsame Wesen versprachen Spaß. Seltsame Wesen waren interessant.

Jedoch sah das nicht jeder so.

Ich beäugte den leeren Schreibtisch mir gegenüber und seufzte, während ich mir die dritte Tasse Kaffee zubereitete. »Ich vermisse Marie.«

Sara verzog das Gesicht und schob ihre kleine Hand in die weitaus größere ihres Partners Ramsey, der auf sie wartete. »Lass das bloß nicht Savannah hören«, meinte sie und ging zur Tür. »Damit würdest du ihre Gefühle verletzen, und du weißt doch, wie empfindlich schwangere Frauen sind.«

»Ja, ich weiß. Aber … Marie fehlt mir.«

Marie Bellavance war meine beste Freundin. Wir hatten uns sofort verstanden, als wir Kolleginnen bei Midnight Liaisons geworden waren. Falls eine von uns es seltsam fand, dass zwei Menschen die Nachtschicht in einem Unternehmen übernahmen und für einen exklusiven, geheimen Kundenstamm arbeiteten, der die Tatsache, dass sie Übernatürliche waren, verheimlichte, so erwähnte sie es nicht. Immerhin wurden wir gut dafür bezahlt. Und Marie war einfach großartig gewesen. Sie hatte immer eine bissige Bemerkung auf Lager gehabt, war witzig und ironisch gewesen, und ihr waren stets irgendwelche interessanten Sachen aufgefallen.

Letzten Monat war sie entlassen worden, weil sie sich mit Vampiren getroffen hatte, aber es gab einen guten Grund dafür, dass sie mit den Mitgliedern der Fangzahnfraktion hatte ausgehen wollen. Glücklicherweise waren ihre Probleme von Josh Russell gelöst worden, einem großen, attraktiven Werpuma. Er hatte sie von dieser seltsamen Krankheit, unter der sie gelitten hatte, befreit, indem er sie in einen netten, gesunden Werpuma verwandelt hatte. Nun arbeitete Marie für Beau Russell, den Anführer der Übernatürlichen Alliance.

Savannah Russell, Beaus Cousine, hatte Maries Platz in der Nachtschicht übernommen. Sie war süß und nett und somit völlig anders als meine witzige, unverblümte Marie. Ich deutete auf den Schreibtisch, an dem früher Marie gesessen hatte. »Wo wir gerade dabei sind: Geht es Savannah gut?«

»Sie leidet wieder unter Übelkeit«, antwortete Sara. »Als sie vorhin anrief, meinte sie, dass sie später kommen würde.«

Ich nickte und schaufelte noch einen Löffel Zucker in meinen Kaffee. »Ich halte die Stellung.«

»Bist du sicher? Ich kann auch noch eine Weile bleiben, wenn es zu viel zu tun gibt.«

Ich machte eine Handbewegung, als wollte ich sie verscheuchen, und griff nach meiner Kaffeetasse. »Ich komme schon klar. Ihr beiden Turteltäubchen könnt euch ruhig amüsieren. Aber macht nichts, was ich nicht auch tun würde«, fügte ich mit einem übertriebenen Augenzwinkern hinzu.

Sie kicherte, und ihr Partner – ein großer, bulliger Werbär – lief rot an. Wie niedlich. Sara winkte mir noch einmal zu, dann waren die beiden verschwunden.

Ich war allein.

Allein sein war langweilig, und die Nacht kam einem dann immer besonders lang vor, insbesondere, wenn niemand anrief. Außerdem war weder Vollmond noch Freitagnacht, und es gab auch keinen anderen Grund, aus dem in der Agentur viel los sein würde – was wiederum bedeutete, dass ich mich mit meinen Gedanken im Kreis drehte.

Ich konnte es nicht ausstehen, mit meinen Gedanken allein zu sein, und beschloss, Marie eine Nachricht zu schreiben.

Wie sieht’s aus, Chica?Sammeln Sie Rabatte auf der Website!

Es dauerte einen Augenblick, bis ihre Antwort eintrudelte. Komme gerade von der Arbeit. Beau und die Wolfsrudel treffen sich immer noch ständig. Was für ein Chaos! Aber Josh führt mich heute Abend zum Essen aus, als Entschädigung.

Vielleicht macht er ja noch mehr, neckte ich sie.

Das will ich hoffen! Sie setzte ein Smiley dahinter und fügte hinzu: Muss los. Bis später.

Ich seufzte, versuchte, nicht allzu eifersüchtig auf meine Freundin zu sein, und sah mich im leeren Büro um. Dann warf ich die Kaffeemaschine ein weiteres Mal an. Wenn ich niemand hatte, mit dem ich reden konnte, würde ich sehr viel Koffein benötigen. Doch ich stand auf Koffein, denn es machte mich kribbelig und wach. Kribbelig war gut, da ich mich so nicht entspannen konnte, was wiederum die Gefahr verringerte, dass ich die Kontrolle über meine Monster-Seite verlor, falls mich ein Klient auf die falsche Weise berührte. War ich jedoch bis obenhin vollgepumpt mit Koffein, fiel es mir schwerer, mich zu entspannen – und erregt zu sein.

Daher war Kaffee mein Freund. Ich hatte auch Koffeintabletten, Red Bull sowie weitere Energydrinks und noch alles andere, was mich wach halten konnte, dabei, aber Kaffee war noch immer das Beste.

Während die Maschine vor sich hin gurgelte, nippte ich an dem süßen Gebräu, das ich zuvor gekocht hatte, und ging zurück an meinen Schreibtisch, um die anstehenden Aufgaben zu erledigen. Ganz oben auf meiner Liste stand, dass ich mir neue Aktivitäten für unsere Singles auszudenken hatte. Letzte Woche zur Weinprobe waren nur Vampire erschienen, was natürlich ein Reinfall war, da niemand mit ihnen ausgehen wollte.

Normalerweise waren die Dinge hier äußerst kompliziert. Ich hatte noch immer unangenehme Erinnerungen an die Zeit, als ich einen netten Werwolf mit einer nervösen Werluchsdame verkuppeln wollte. Dabei war das doch die erste Regel einer übernatürlichen Datingagentur: Lass Hunde nicht mit Katzen ausgehen.

Seufzend dachte ich an Josh und Marie. Ich wollte auch einen großen, breitschultrigen Werpuma als Freund. Tatsächlich hätte ich sogar alles genommen, was mit »Wer« begann. Auch einen Menschen. Es war nichts falsch daran, mit einem normalen Mann auszugehen. Dummerweise kam ich dank meines Monster-Wesens jedoch nie über das erste Date hinaus.

Ich runzelte die Stirn. Es war sinnlos, noch länger darüber nachzudenken; davon bekam ich bloß schlechte Laune. Ich drehte fröhliche Musik auf und tänzelte kurz darauf singend durch das Büro, wobei meine blonden Zöpfe wild herumschwangen, während ich zwischen meinem Schreibtisch und dem Kopierer im Hinterzimmer hin und her tanzte, um Flyer für die nächste Veranstaltung zu erstellen und auszudrucken.

Die Glocke über der Tür läutete, und ich rief: »Bin gleich da!«

Das war vermutlich Savannah. Trotz ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft litt die Arme noch immer unter Morgenübelkeit, Nachmittagsübelkeit, Abendübelkeit und Übelkeit durch jeden Geruch, der ihr in die Nase stieg.

Als ich ins Hauptbüro zurückkehrte, blieb ich jedoch wie angewurzelt stehen. Zwei Männer warteten dort auf mich. Einer der beiden war ein bestimmt zwei Meter zehn großer Muskelprotz mit seltsamer Frisur und mindestens ebenso komischer Kleidung, der aussah, als wäre er einem Historienfilm entsprungen.

Und der andere … Nun ja, er sah aus wie Ryan Gosling im Freizeitanzug, aber die Wahrscheinlichkeit, dass ein Filmstar hier aufkreuzte, ging gegen null, was nur bedeuten konnte, dass es sich bei ihm um einen Feenprinzen handelte.

Sie nutzten hin und wieder unsere Dienste; und ich vermutete, dass sie einfach keine Lust hatten, sich selbst um eine Verabredung zu bemühen. Aber sie waren merkwürdige Kunden. Sie kopierten gern das Aussehen berühmter Schauspieler und waren im Umgang mit Menschen nicht gerade einfach. Wir hatten immer das Gefühl, wir sollten uns eigentlich vor ihnen verbeugen und ihnen aus Dankbarkeit die Füße küssen, weil wir ihnen zu Diensten sein durften.

Normalerweise überließ ich den anderen den Umgang mit den Feen, da ich ihre Haltung nicht ausstehen konnte, aber an diesem Abend musste ich wohl oder übel das Begrüßungskomitee stellen.

»Guten Abend«, sagte ich betont fröhlich, schenkte den beiden Männern ein strahlendes Lächeln und stellte das Radio leiser. »Willkommen bei Midnight Liaisons.«

Der kleinere Blonde – der Prinz – musterte mich, wobei sich nach und nach ein erfreutes Lächeln auf seine Züge stahl. »Na, Sie sind aber niedlich!«

Arg! »Vielen Dank! Wie kann ich den Herren denn helfen? Möchten Sie ein Profil in unserer Datenbank anlegen lassen? Einer von Ihnen entstammt eindeutig dem Feenreich, und der andere …« Ich starrte den Muskelprotz an. Meistens konnte man es mit bloßem Auge nicht erkennen, und es gab in der Allianz mehr als genug Männer, die groß und unheimlich aussahen. Aber der Mann hier vor mir …

»Ich bin hier, um jemand zu treffen«, erklärte der Prinz.

»Ach ja?« Ich rief den Terminkalender auf, in dem jedoch nichts verzeichnet war. »Haben Sie einen Termin mit einer meiner Kolleginnen ausgemacht?«

»Nein, ich bin deinetwegen hier.«

Mir standen die Nackenhaare zu Berge, doch ich ließ mir nichts anmerken. »Wie bitte?«

Er trat näher an mich heran, lächelte weiterhin erfreut und marschierte einmal um mich herum. »Perfekt. Einfach perfekt.«

»Vielen Dank«, erwiderte ich. »Aber ich erkenne Sie leider nicht als einen meiner Klienten wieder.«

Er schürzte die Lippen. »Als ob ich die Dienste dieser niedlichen kleinen Agentur nötig hätte.«

»Warum sind Sie dann hier?« Ich starrte den Muskelprotz hinter ihm an, aber der Mann gab keinen Ton von sich. Je länger ich ihn musterte, desto unheimlicher wirkte er auf mich. Ich beschloss, ihn keines Blickes mehr zu würdigen.

»Weil ich dich sehen möchte, meine Teure.« Der Tonfall des Prinzen wurde süßlich und beschwichtigend. »Ich wollte sehen, wie es meinem kleinen Schatz geht, und es sieht fast so aus, als wäre er pflückreif.«

»Pflückreif?« Wer ist dieser Kerl? »Entschuldigen Sie mal!«

»Jetzt komm schon, kleiner Wechselbalg. Tu nicht so überrascht.« Er streckte eine Hand aus und streichelte mir über den Arm.

Sofort erschienen Schuppen auf meiner Haut, und ich zuckte zurück und riss entsetzt die Augen auf. »Woher … woher wissen Sie das?« Ich hatte nie jemandem davon erzählt. Marie wusste, dass ich mich in etwas Ekliges verwandelte (sie hatte mich einmal dabei erwischt), aber sie hatte nie nachgefragt, und ich hatte ihr auch nie mehr anvertraut.

Doch dieser Mann erkannte auf den ersten Blick, was ich war.

Er schenkte mir ein hinreißendes Lächeln. »Na, was denkst du denn, wie du hierhergekommen bist? Ins Erdenreich, meine ich.«

Ins Erdenreich? Hä?

Mit einem Mal wurde die Tür aufgerissen, und Savannah stürzte herein. »Tut mir wirklich leid, Ryder«, sagte sie und bekam rote Wangen. »Ich bin mal wieder zu spät, aber jetzt bin ich ja da.«

»Kein Problem«, erwiderte ich und bedeutete meinen beiden Klienten zu warten, während ich zu Savannahs Schreibtisch ging. Ich war eine Meisterin der Täuschung, daher rückte ich ihr den Stuhl zurecht und tat so, als wäre alles in bester Ordnung. »Setz dich. Ich habe noch zu tun, aber sobald ich fertig bin, gehen wir die Datingberichte der heutigen Nacht zusammen durch, okay?«

Sie bedachte mich mit einem dankbaren Blick und ließ sich auf ihren Stuhl fallen. »Okay.« Es war erst zwanzig Uhr, und sie sah schon jetzt sehr erschöpft aus. Eine schwere Schwangerschaft und ein neuer Job waren hart genug, aber sie beschwerte sich nie.

»Sara hat dir die Post hingelegt. Siehst du sie schon mal durch?« Ich nahm das mit einem Gummiband umwickelte Bündel von der Schreibtischecke und reichte es ihr. »Und trink ein Glas Wasser.«

»Geht klar«, murmelte sie und nahm mir die Post ab.

»So«, meinte ich fröhlich und drehte mich wieder zu dem Feenprinzen und seinem unheimlichen Begleiter um. »Wie wäre es, wenn wir unsere Unterhaltung in einem Konferenzraum fortsetzen?«

»Selbstverständlich«, erwiderte der Prinz auf seine aalglatte Art.

Ich scheuchte sie in einen der angrenzenden Räume, schloss die Tür und legte eine CD mit klassischer Musik ein. Der Muskelprotz starrte stur geradeaus, aber der Prinz bedachte mich mit einem irritierten Blick.

»Stimmungsvolle Musik?«

»So können wir die Privatsphäre unserer Klienten besser gewährleisten«, erklärte ich. »Einige Spezies besitzen ein sehr gutes Hörvermögen.«

»Verstehe.«

»Wer sind Sie?«, fragte ich, als er sich an den runden Tisch setzte. Der Bodyguard – inzwischen hatte ich ihn als solchen eingestuft – ließ sich neben ihn auf einen Stuhl fallen. Ich setzte mich den beiden gegenüber, da ich ihnen nicht traute. Dieser Mann wusste, wer und was ich war. Da sollte er doch auch noch mehr Antworten für mich bereithaben.

»Ja, diese Frage war wohl zu erwarten.« Er lehnte sich träge auf seinem Stuhl zurück und sah aus, als wäre er auf die langweiligste Party der Welt eingeladen worden und würde sie nur mit seiner Anwesenheit beehren, weil er dazu gezwungen war. »Mein Name ist Finian.« Er studierte seine langen Finger und perfekten Fingernägel. »Kein Nachname. Das ist eine menschliche Marotte, und ich bin ganz bestimmt kein Mensch.« Er lächelte mich an, und seine Augen schillerten ganz kurz in allen Farben des Regenbogens und erinnerten an Seifenblasen.

Ich war wider Erwarten fasziniert und konnte den Blick nicht abwenden. »Wer ist Ihr Freund?«

Finians Blick zuckte zur Seite. »Er ist unwichtig.«

Mr Unwichtig sagte nichts, was zu erwarten gewesen war.

»Woher wissen Sie, was ich bin?«, wollte ich wissen. »Woran haben Sie es erkannt?«

Ich bewegte mich seit Jahren unter Gestaltwandlern und war hin und wieder auch Feen begegnet, und bisher hatte noch niemand mein Geheimnis herausgefunden. Daher war ich davon ausgegangen, dass ich durch und durch menschlich roch.

»Na, weil du die Meine bist.«

Ich erstarrte. »Wie bitte?«

»Ja. Ich war bei deiner Geburt dabei. Ich sah, wie du gezeugt und geboren wurdest, und brachte dich zum Aufwachsen hierher.«

Er hat gesehen, wie ich gezeugt wurde. Mir fiel leicht die Kinnlade herunter. »Wie ich gezeugt wurde?«

»Ja. Dein Vater wurde zur Zucht freigegeben, und wir brachten deine Mutter zu ihm – ein süßes kleines Fohlen, muss ich zugeben –, und voilà, es wurde magisch: Du wurdest gezeugt.«

Er schien richtiggehend stolz auf die ganze Sache zu sein. »Und wo sind meine Eltern jetzt?«

»Sie sind nicht deine Eltern, mein reizender Wechselbalg. Eltern ziehen ein Kind groß. Sie waren nur die Gefäße, in denen du geschaffen wurdest.« Er sah mich zärtlich an. »Und sie haben ein hervorragendes Exemplar geschaffen, würde ich behaupten.«

Ich zog meine rosafarbene Strickjacke enger zusammen, da mir mit einem Mal kalt wurde. »Sie reden über mich, als wäre ich eine Art Schauhund.«

Finians Lächeln wurde noch breiter. »Damit hast du den Nagel auf den Kopf getroffen, meine Liebe. Du bist gewissermaßen ein Schauhund der Anderswelt.«

»Der Anderswelt?«, wiederholte ich.

»Des Feenreichs.«

Ich schüttelte den Kopf und versuchte, einen Sinn in seine Worte zu bringen. »Ich kann Ihnen nicht folgen. Wenn ich eine Fee bin, wieso haben Sie mich dann hierhergebracht?«

»Du bist keine Fee.« Diese Vorstellung schien ihn zu beleidigen. »Du bist ein Wechselbalg. Und deine Art hat im Feenreich eine sehr hohe Sterblichkeitsrate, wie ich dir leider mitteilen muss. Sehr viele Kreaturen jagen deinesgleichen. Ihr seid in eurer natürlichen Form sehr auffällig und wunderschön, könnt euch jedoch kaum verteidigen. Daher wurdest du zu deinem Schutz in diese Welt gebracht.« Finian deutete generös auf mich. »Gern geschehen.«

Ich starrte ihn noch immer an und wurde einfach nicht schlau aus dem, was er mir erzählte. Ich war der … Hund dieses Mannes? Ich stammte aus dem Feenreich? Meine Eltern waren … Zuchthunde? Oder Pferde? Oder etwas in der Art? »Ich verstehe das alles nicht.«

»Tja, deine Art wird ja auch nicht ihrer Intelligenz wegen gezüchtet.« Finian sah mich herablassend an. »Welchen Teil begreifst du denn nicht?«

Ich breitete die Arme aus und wusste gar nicht, wo ich anfangen sollte. »Ich bin mir nicht einmal sicher, dass ich wirklich Ihr Wechselbalg bin. Meine andere Gestalt ist nämlich ganz und gar nicht schön, sondern eher das Gegenteil davon.«

Er legte den Kopf schief. »Schönheit liegt im Auge des Betrachters, meine Kleine. Und mein Wechselbalg hat ein Mal auf dem Oberschenkel – in Form einer Sonne mit einem keltischen Knoten in der Mitte.«

Ich erstarrte und riss die Augen auf. Auf der Innenseite meines Oberschenkels prangte tatsächlich dieses Mal. Bisher hatte noch niemand herausfinden können, warum ich als Baby direkt nach der Geburt damit gezeichnet worden war, und meine Adoptiveltern hatten mir angeboten, es entfernen zu lassen, als ich volljährig geworden war. Doch ich hatte es behalten, weil mir diese Einzigartigkeit gefiel.

Allerdings hatte ich nie jemandem davon erzählt.

»Soll ich dich zwingen, es mir zu zeigen?«, fragte Finian. »Mein Freund kann dich festhalten, während ich mich vergewissere, dass du die bist, die ich suche.«

Nun starrte ich den Riesen neben ihm mit großen Augen an. »Nein, danke. Ich kenne das Mal.«

»Das dachte ich mir. Du wirst in einem Monat fünfundzwanzig, nicht wahr?«

»Wenn Sie mein Muttermal kennen, dann sollten Sie auch wissen, wann ich Geburtstag habe«, entgegnete ich und hatte nicht vor, noch mehr Details preiszugeben. Am liebsten wäre ich vor dieser bizarren Unterhaltung geflohen, aber ich brauchte Informationen – und dieser Mann schien sie zu besitzen.

»Jetzt werde nicht kratzbürstig, Kleine. Das steht dir nicht.«

In mir brodelte es, aber ich lächelte ihn dennoch an. Es gefiel mir überhaupt nicht, dass er mich nun »Kleine« nannte, wo er mich zuvor als Hund bezeichnet hatte. »Mir ist nicht klar, warum Sie nach so langer Zeit hier auftauchen.«

»Das lässt sich ganz leicht erklären: Wechselbälger brauchen Zeit zum Reifen«, antwortete Finian und legte die Fingerkuppen aneinander. »Mit fünfundzwanzig bist du reif für die Züchtung, was bedeutet, dass ich dich gefahrlos mit zurück ins Feenreich nehmen kann. Dort warten schon ein paar Hengste auf mich.«

Ich riss entsetzt die Augen auf. »Sie wollen mich für die Zucht?«

»Aber natürlich, meine Liebe.« Er musterte mich angetan. »Wechselbälger bringen heutzutage auf den Goblinmärkten eine Menge ein, und meine Familie hatte im letzten Jahrtausend einige finanzielle Schwierigkeiten zu erleiden. Deine Nachkommen werden dafür sorgen, dass diese Probleme aus der Welt geschafft werden.«

Ich schluckte schwer, und mir wurde übel. Das konnte alles nicht wahr sein. Das konnte nicht sein. Wie war es möglich, dass mich dieser Mann besaß und behandeln konnte wie eine Zuchtstute? Es musste doch irgendeinen Ausweg aus dieser Sache geben.

»Was ist, wenn ich Nein sage? Wenn ich Sie nicht begleiten will?«

»Mach die Sache nicht kompliziert«, erwiderte Finian herablassend. »Der gute Hugh hier hat jede Menge Freunde, die nur zu gern dafür sorgen würden, dass du mich begleitest. Und ich würde dir nur ungern ein Halsband anlegen.«

Ich erschauderte.

»Außerdem«, fuhr Finian fort, »wird es dir nach deinem fünfundzwanzigsten Geburtstag nicht mehr möglich sein, deine bestialische Seite in Schach zu halten. Dann übernimmt dein Paarungswahn, und du wirst mich anflehen, dich von hier wegzubringen.«

Ich legte eine Hand an die Kehle. Das klang ja schrecklich. »Was ist, wenn ich Sie bezahle? Kann ich mich irgendwie freikaufen?«

Seine Miene wurde mitleidig. »Ach, Kleines. Feen handeln nicht mit menschlicher Währung. Du kannst meinen Worten Glauben schenken, wenn ich dir sage, dass du dir das, was wir wollen, nicht leisten kannst. Die Dinge sind nun mal, wie sie sind. Und selbst wenn du dich freikaufen könntest, wärst du noch immer nicht in der Lage, die Bestie in dir im Zaum zu halten. Das lässt sich nur durch die Zucht bewerkstelligen.«

Mir war speiübel. »Aber … aber ich habe noch einen Monat. Ich bin noch nicht fünfundzwanzig.«

»Ja. Das ist eine schwierige Zeit, und aus diesem Grund sind wir heute auch hier. Da deine fruchtbare Zeit naht, wirst du anfangen, nur so mit Pheromonen um dich zu werfen. Dann ist es nicht mehr möglich, deine Identität zu verschleiern.«

»Ist das so wie die Läufigkeit bei den Gestaltwandlern?« Himmel, das wurde ja immer schlimmer.

»Nein. Im Augenblick stinkst du nach Mensch.« Er lächelte höflich, zog eine winzige Blüte aus seinem Revers und hielt sie sich unter die Nase, als müsste er meinen Geruch übertünchen. »Aber dieser Duft wird sich im Laufe der nächsten Wochen rasch verändern, und dann merkt jede Fee sofort, was du bist. Aus diesem Grund brauchst du Schutz, damit du mir nicht vor der Nase weggestohlen wirst.« Er streckte eine Hand aus und tätschelte den muskulösen Arm seines Begleiters. »Zu diesem Zweck habe ich Hugh mitgebracht.«

Ich starrte Hugh entgeistert an und nahm zum ersten Mal überhaupt sein Gesicht wahr.

Er sah wirklich unheimlich aus.

Mit der Härte, die er ausstrahlte, und aufgrund seiner Größe und Statur erinnerte er mich an Saras Partner. Aber während Ramsey attraktive Gesichtszüge und gütige Augen besaß, vor allem, wenn er Sara ansah, schien dieser Mann rein gar nichts Weiches an sich zu haben. Sein Körper war massig, muskelbepackt bis an den Hals, sodass er aussah wie ein Bodybuilder. Sein recht langes Haar war schlampig geflochten, damit es ihm nicht ins Gesicht fiel, und die blond-braune Farbe wirkte wie gestreift. Er trug eine schlichte braune Tunika mit einem Gürtel um die Taille, und seine Arme waren so breit wie meine Oberschenkel und voller Muskeln und hervortretender Adern. Auf seinen Unterarmen zeichnete sich dunkelblondes Haar ab, das ebenfalls aussah, als wäre es in Streifen gelegt. Er wirkte auf mich wie eine Kreuzung aus ThunderCats und Braveheart.

Das Schlimmste an ihm waren jedoch seine Augen, die völlig kalt und leer wirkten, als er mich betrachtete. Darin lag nicht der geringste Hauch von Sanftheit.

Dieser Mann gefiel mir nicht. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Hugh«, sagte ich nervös. »Aber ich bin mir nicht sicher, ob dieser Schutz wirklich nötig ist.«

Und wer würde mich vor Hugh beschützen?

Finian lächelte mich an. »Das ist nicht deine Entscheidung, Kleine. Ich habe sie getroffen, und ich gedenke, meine Investition im Auge zu behalten. Hugh ist der beste Söldner, den man für Geld bekommen kann, und aus diesem Grund wird er bis zum Liefertag dein Schatten sein.«

Mein Blick wanderte von Finian zurück zu Hugh. »Das ist doch überhaupt nicht nötig. Ich werde einfach ganz vorsichtig sein.«

»Sie gehört ganz dir, Hugh«, sagte Finian und stand auf. »Ich erwarte, sie zum Zeitpunkt der Lieferung unversehrt und in perfektem Zustand zu erhalten. Hast du mich verstanden?«

»Verstanden«, erwiderte Hugh mit tiefer, rauer Stimme, woraufhin ich unwillkürlich erneut die Augen aufriss.

Als er das sagte, erhaschte ich einen Blick auf zwei lange, spitze Zähne. Hugh hatte … Fangzähne.

Das war überhaupt nicht gut.

Kapitel drei

»Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist«, setzte ich an und versuchte, Hughs Mund nicht länger anzustarren. Hatte ich gerade wirklich Fangzähne gesehen?

»Wie dumm von mir, dass ich dir kein Mitspracherecht eingeräumt habe.« Finian stand auf, rückte seine Jacke zurecht und strich den Stoff glatt, als wollte er zu einem Spaziergang aufbrechen. »Ich werde hin und wieder mal vorbeischauen. Allerdings nicht sehr häufig, damit niemand Verdacht schöpft. Ich möchte ja nicht, dass mir jemand meinen Schatz klaut, bevor sich meine Investition bezahlt gemacht hat.«

»Gott bewahre«, murmelte ich, während meine Gedanken rasten. Vielleicht konnte ich mit Hugh reden, sobald Finian verschwunden war. Ihn auszahlen. Irgendetwas unternehmen. Und dann … Ja, was dann? Fliehen? Aber wie? In einem Monat würde ich für immer in ein Monster verwandelt werden, wenn ich nicht vorher meinen Märchenprinzen fand.

Dummerweise hatte der Prinz, der am meisten darüber wusste, vor, mich zur Zucht zu verwenden.

Das alles sah nicht gut aus für mich.

Ich stand auf, und Hugh erhob sich ebenfalls. Doch ich tat so, als würde ich es nicht bemerken, ging zur Tür und öffnete sie. Die Art, wie Finian auf seine Rolex sah, gab mir zu verstehen, dass er mit mir fertig war. »Wann werden Sie das nächste Mal herkommen?«, erkundigte ich mich.

Er tätschelte meine Wange, und ich spürte erneut dieses grässliche Kribbeln unter der Haut, was er garantiert bezweckt hatte – ich sollte daran erinnert werden, was ich war. »Ich komme wieder, wenn mir danach ist, Kleine. Keine Sorge. Hugh bleibt in deiner Nähe und sorgt für deine Sicherheit.«

Damit drehte sich Finian um und durchquerte das Büro, wobei er Savannah auf dem Weg zur Tür höflich anlächelte.

Ich hätte ihm am liebsten hinterhergeschrien, dass er gefälligst bleiben und meine Fragen beantworten sollte, aber Feen taten immer, was sie wollten und wann sie es wollten. Finian hatte seine Bombe gelegt und verschwand jetzt wieder.

Als die Tür hinter ihm zufiel, seufzte ich schwer und drehte mich um.

Und wäre beinahe gegen Hughs Brust geprallt.

Ich taumelte nach hinten. »Oh, Entschuldigung.«

Er wollte nach meinem Arm greifen, um mich zu stützen, zögerte dann jedoch und ließ die Hand wieder sinken, als wäre ihm gerade eingefallen, was ich war.

»Ich gehe beiseite, dann können Sie ebenfalls gehen«, sagte ich und deutete auf die Eingangstür.

»Ich werde hierbleiben. Das wissen Sie doch.« Seine Stimme klang kalt und voller brutaler Effizienz.

Wie peinlich. Ich strahlte ihn an, um mir meine Reaktion nicht anmerken zu lassen, und ging zurück an meinen Schreibtisch.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte Savannah leicht besorgt.

»Alles bestens«, antwortete ich und setzte mich. Mein Lächeln fühlte sich an wie festgetackert. »Ich hatte nur vergessen, dass ich für Mr Hugh noch ein Profil anlegen muss. Nicht wahr?«

»Nein«, erwiderte er direkt. Aber er setzte sich dennoch mir gegenüber auf einen Stuhl.

Ich kniff die Augen zusammen. Begriff er nicht, dass wir zu einigen Notlügen greifen mussten, damit mein Geheimnis bewahrt blieb? »Wenn Sie hier bei mir in der Agentur bleiben wollen, dann müssen wir ein Profil für Sie anlegen«, sagte ich mit leiser, säuselnder Stimme.

»Tun Sie, was Sie nicht lassen können.« Er stand auf und starrte den Stuhl mit finsterer Miene an. Die Sitzgelegenheit war zu klein für ihn, und die hölzernen Armlehnen verhinderten, dass er sich bequem hinsetzen konnte. Das wäre witzig gewesen, wenn er nicht ausgesehen hätte, als wollte er den Stuhl lieber zertrümmern, als noch einen Augenblick länger darin zu sitzen. Er drehte sich um und nahm eine sehr soldatenhafte Haltung ein, indem er sich mit leicht gespreizten Beinen und vor der Brust verschränkten Armen hinstellte.

Mir entging nicht, dass gewaltige Klauen aus seinen Fingern ragten. Woher zum Teufel stammte dieser Kerl? Lebte man im Feenreich noch im finsteren Mittelalter? Falls ja, dann hatten sie ihn aber gut gefüttert, da Hugh so unglaublich breit und muskulös war, dass er aussah, als könnte er mit bloßen Händen einen Kleinwagen zerquetschen.

Savannah schien jedoch nicht alarmiert zu sein, sondern sah bloß verwirrt aus. Sie beäugte erst ihn und dann mich.

Es war offensichtlich, dass ich meinen Charme spielen lassen musste, um Hugh zur Kooperation zu bewegen. Das ging in Ordnung. So was konnte ich gut. »Hugh, Schätzchen, wie wäre es, wenn Sie sich hinsetzen und ich uns erst einmal eine Tasse Kaffee koche?«

Er ließ den Blick durch den Raum schweifen, bevor er mich ansah. »Ich stehe lieber.«

»Aber das ist unhöflich. Sie machen mich ganz nervös.« Ich zwinkerte Savannah verschwörerisch zu, um ihr zu verstehen zu geben, dass manche Kunden einfach eine Macke hatten. »Wenn Ihnen der Stuhl nicht zusagt, kann ich einen anderen aus dem Hinterzimmer holen.«

Ich ging zurück in den Lagerraum, in dem wir einen Tritthocker aufbewahrten, der als Sitzgelegenheit und Leiter dienen konnte. Schon nach wenigen Schritten wurde mir bewusst, dass Hugh mir weiterhin folgte. Ich seufzte und knirschte mit den Zähnen. Würde das jetzt den ganzen kommenden Monat so bleiben?

Mit dem Stuhl in der Hand drehte ich mich wieder zu ihm um und gab mir Mühe, weiterhin eine freundliche Miene aufzusetzen. »Da Sie schon mal hier sind, können Sie den Stuhl auch tragen«, meinte ich und drückte ihn Hugh in die Hand.

Er blickte auf die hölzerne Trittleiter hinab. »Was haben Sie damit vor?«

»Sie sollen sich da draufsetzen, da die anderen Stühle unbequem für Sie sind.«

Er schnaubte. »Das ist unnötig. Ich bleibe stehen.«

»Mir wäre es lieber, wenn Sie sich hinsetzen.«

»Ein Soldat steht bei der Arbeit.«

»Das mag sein, aber Sie sind jetzt kein Soldat«, fauchte ich. Ich muss nett sein. Die Ryder, die jeder kennt, ist freundlich und umgänglich. Ich lächelte ihn an. »Tun Sie es mir zuliebe, ja?«

Ohne auf seine Antwort zu warten, rauschte ich an ihm vorbei.

Im Hauptbüro konnte ich schon aufgrund von Savannahs neugierigem Blick erkennen, dass sich mein riesiger »Schatten« direkt hinter mir befand. Ich schob die beiden Stühle vor meinem Schreibtisch zur Seite und bedeutete ihm, dass er seine Last abstellen sollte. Er tat es, setzte sich jedoch nicht.

Na gut, es war immerhin ein Anfang, wenngleich kein besonders guter. Ich ging zur Kaffeemaschine, schaufelte Kaffeepulver hinein, füllte das Wasser auf und schaltete sie ein. »Möchtest du auch einen Kaffee, Savannah?«

Keine Antwort.

Als ich über die Schulter schaute, sah ich noch, wie sie blass wurde. Sie presste eine Hand vor den Mund und rannte erneut ins Badezimmer. »Ich werte das als Nein«, meinte ich und wandte mich an Hugh. »Mögen Sie Kaffee?«

Er sah mich nur mit seinen Katzenaugen an. »Was ich mag, ist unwichtig.«

»Naaa gut.« Es fiel mir immer schwerer, das Lächeln aufrechtzuerhalten. »Ich mag jedenfalls Kaffee.« Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und versuchte, mich zu konzentrieren. Wenn Hugh die ganze Zeit in meiner Nähe bleiben wollte, musste ich mir einen triftigen Grund dafür ausdenken. Ich zermarterte mir das Gehirn nach einer guten Ausrede …

Vielleicht konnte ich behaupten, Hugh wäre ein Gestaltwandler. Das konnte funktionieren, schließlich besaß er ja Fangzähne und, ähm, Streifen. Er konnte also durchaus als exotischer Tiger-Gestaltwandler durchgehen, der sich in Gegenwart von Menschen nicht wohlfühlte, sodass ich ihn unter meine Fittiche nehmen musste. Dummerweise bestand die Welt jedoch zu neunundneunzig Komma neun Prozent aus Menschen, sodass er ihnen längst begegnet sein musste.

Hmm … Vielleicht fiel es ihm schwer, eine Frau zu finden, und ich musste ihm dabei helfen?

Ich schnappte mir mein glitzerndes Lineal und tippte damit auf meine Handfläche. Es musste doch eine gute Erklärung für seine Anwesenheit geben. Ich konnte schließlich nicht allen sagen: Ach ja, ich bin anscheinend eine Zuchtstute, und sobald ich das richtige Alter erreicht habe, werde ich ein Vermögen wert sein, daher beschützt er mich.

Denn ich hatte nicht vor, mich in dieses Schicksal zu ergeben. Ich würde einen anderen Weg finden. Ich würde meiner wahren Liebe begegnen, und dieser Mann würde mich von meinem Fluch befreien, sodass uns letzten Endes ein Happy End erwartete.

Die Kaffeemaschine stieß Dampf aus, was bedeutete, dass ich mir gleich eine Tasse holen konnte. Bevor ich auch nur blinzeln konnte, hatte Hugh die Maschine auch schon attackiert.

Klauen blitzten auf, und ich hörte ein Knurren, gefolgt vom einem grellen Funken und splitterndem Glas.

Das Licht flackerte.

Es wurde totenstill.

Ich stand auf und starrte die Überreste der Kaffeekanne an, die von Hughs Klauen sauber in der Mitte durchtrennt worden war. Er stand vor den zerbrochenen Teilen, atmete schwer, bleckte die Fangzähne und sah angriffsbereit aus.

Während ich zu ihm hinüberstarrte, stob ein weiterer Funken von der Kaffeemaschine auf, und Hugh hob eine riesige, klauenbewehrte Hand.

»Nicht!«, kreischte ich und stürzte vor. »Fassen Sie nichts an. Sie kriegen sonst noch einen Stromschlag. Bleiben Sie einfach da stehen.« Ich stürzte ins Hinterzimmer und schaltete die Sicherungen aus, sodass wir im Büro keinen Strom mehr hatten. Danach rannte ich wieder nach nebenan …

Und blieb wie erstarrt stehen. Hughs Augen glühten in einem schaurigen Grün, das heller war als alles, was ich jemals gesehen hatte. Echt unheimlich. Doch ich musste das ignorieren. Ich hastete an ihm vorbei und zog den Stecker der jetzt völlig zerstörten Kaffeemaschine aus der Steckdose, ging dann zurück ins Hinterzimmer und schaltete die Sicherung wieder ein, wobei ich hoffte, dass wir Savannah nicht zu Tode erschreckt hatten.

Als ich ins Büro zurückkehrte, kam sie gerade aus dem Badezimmer, presste sich ein Papiertuch an die Lippen und hatte die Augen weit aufgerissen. »Ist alles in Ordnung?«

»Alles bestens«, versicherte ich ihr. »Hugh ist ein bisschen nervös, und die Kaffeemaschine hat ihn erschreckt.« Ich ging zum Wandschrank, nahm den Besen und ein Kehrblech heraus und reichte beides Hugh. »Und da er sie kaputt gemacht hat, wird er die Scherben auch wegfegen.«

Hugh bleckte die Zähne. Großer Gott, sie waren wirklich riesig und erinnerten beinahe an Hauer.

Aber ich ließ mich nicht einschüchtern. Er würde mir nichts tun; er sollte mich beschützen. Laut seinem Boss war ich lebendig mehr wert als tot. Daher schenkte ich ihm ein Lächeln und drückte ihm den Besen und das Kehrblech in die Hand.

Da er mich wütend anstarrte, tätschelte ich seinen Arm. »Bitte beseitigen Sie das von Ihnen angerichtete Chaos, während ich mich um meine Kollegin Savannah kümmere.«

Ich ging an ihm vorbei. »Geht es dir gut, Savannah?«

Sie blinzelte langsam und lehnte sich an den Rahmen der Badezimmertür. Ihr Blick wanderte von Hugh zu mir. »Was ist passiert?«

»Es war nur ein Unfall«, behauptete ich fröhlich. Ich trat zu Savannahs Schreibtischstuhl und drehte ihn um. »Komm und setz dich. Du siehst gar nicht gut aus.«

Sie ließ sich auf den Stuhl fallen, griff nach einer Flasche Wasser und nippte daran.

»Soll ich dir ein paar Cracker, Toast oder etwas anderes bringen?«

»Ich habe vorhin eine Kleinigkeit gegessen«, flüsterte sie und trank noch einen Schluck Wasser. »Es hat nichts genützt.«

Ich strich ihr einige der verschwitzten braunen Haarsträhnen aus der Stirn. »Wie wäre es mit einem schönen heißen Tee?«

»Der könnte helfen. Vielleicht mit einem Schuss Zitrone. Dummerweise ist unsere Kaffeemaschine hinüber.« Sie sah über meine Schulter und runzelte die Stirn.

Ich drehte mich um und stellte fest, dass Hugh noch immer dastand und den Besen und das Kehrblech sowie das Chaos zu seinen Füßen mit finsterer Miene betrachtete.

Zu seinen nackten Füßen, wie mir erst jetzt auffiel. An denen ebenfalls Klauen prangten. Ach herrje.

Savannah sah mich an, griff nach einem Stift und einem Notizblock, schrieb etwas auf und schob den Block zu mir herüber.

Was ist er?

Savannah war ein Werpuma und somit Teil der Russell-Familie, die die Allianz anführte. Sie kannte alle möglichen Wertiere und noch viele andere übernatürliche Wesen wie Harpyien, Satyrn und Sirenen. Es bestand kein Zweifel daran, dass Hugh ebenfalls übernatürlich war – das konnte man auf den ersten Blick erkennen –, aber die Frage war dennoch, was genau er eigentlich war.

Ich wusste es auch nicht, aber ich hatte vor, der Sache auf den Grund zu gehen.

Daher schrieb ich rasch »Kunde?« auf den Zettel und verstand ihre Frage absichtlich falsch. »Da unsere Kaffeemaschine hinüber ist, hole ich dir eben einen Tee aus dem Café. Wieso begleiten Sie mich nicht, Hugh? Sie können hier auch weiter aufräumen, wenn wir wieder zurück sind.«

»Oh nein, du musst nicht gehen«, protestierte Savannah. Ihr war deutlich anzusehen, dass sie nicht mit Hugh allein sein wollte. »Das ist nicht nötig.« Sie schluckte schwer, setzte jedoch eine tapfere Miene auf.

»Unsinn«, widersprach ich ihr. »Es dauert nicht lange. Ignorier das Chaos einfach, und wenn dir wieder übel wird, kannst du einfach den Anrufbeantworter einschalten.« Ich ging zu meinem Schreibtisch, um meine Hello-Kitty-Handtasche zu holen. »Kommen Sie, Hugh?«

Ich hielt die Tür auf und warf ihm einen vielsagenden Blick zu. Nach einem Augenblick ging er hinaus.

Das wäre geschafft. Ich folgte dem Kerl. »Das ist mein Wagen«, meinte ich und deutete auf den himmelblauen Kombi, den ich mit Katzenohren und Schnurrhaaren verziert hatte.

Hugh starrte erst mich und dann den Wagen an, um mich danach erneut zu beäugen.