Perfect Passion - Fesselnd - Jessica Clare - E-Book

Perfect Passion - Fesselnd E-Book

Jessica Clare

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Beschreibung

Jonathan Lyons ist ein Playboy, Milliardär und Abenteurer. Und er kocht vor Wut: Sein Mentor und Leiter einer von ihm finanzierten Ausgrabung hat vor seinem Tod ein legendäres Artefakt gestohlen. In seinem Nachlass findet sich zwar ein Tagebuch mit verschlüsselten Hinweisen, doch der erste Hinweis führt ausgerechnet zu Jonathans Jugendliebe Violet.

Doch Violet ist Jonathans größte Schwäche. Sie hat ihm nie verziehen, dass er ihr damals das Herz gebrochen hat. Lieber würde sie im Bikini in die Arktis reisen, als ihn auf der Jagd nach dem Artefakt rund um die Welt zu begleiten. Zumindest dachte sie das. Doch als Jonathan sich ihr wieder verführerisch nähert, läuft sie Gefahr, sich erneut in ihn zu verlieben. Und alte Flammen lodern bekanntlich heißer. Aber will er sie wirklich zurück - oder verbirgt er etwas vor ihr?

Unwiderstehliche Romantik: Verlieb dich in die Liebesroman-Reihe »Billionaire Boys Club« der New York Times Bestseller-Autorin Jessica Clare. Der »Billionaire Boys Club« ist ein Geheimbund von sechs Männern, die zwar unglaublich reich sind - aber nicht immer so erfolgreich, wenn es um die große Liebe geht.

Die »Billionaire Boys Club«-Romane in chronologischer Reihenfolge:

Perfect Passion - Stürmisch
Perfect Passion - Verführerisch
Perfect Passion - Sündig
Perfect Passion - Feurig
Perfect Passion - Fesselnd
Perfect Passion - Berauschend

»In dem Meer von Büchern über Milliardäre ist Jessica Clares Serie Perfect Passion ein echtes Juwel.« (freshfiction.com)

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Anmerkung der Autorin

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

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15

16

Epilog

Über die Autorin

Alle Titel der Autorin

Impressum

 

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Über dieses Buch

Jonathan Lyons ist ein Playboy, Milliardär und Abenteurer. Und er kocht vor Wut: Sein Mentor und Leiter einer von ihm finanzierten Ausgrabung hat vor seinem Tod ein legendäres Artefakt gestohlen. In seinem Nachlass findet sich zwar ein Tagebuch mit verschlüsselten Hinweisen, doch der erste Hinweis führt ausgerechnet zu Jonathans Jugendliebe Violet.

Doch Violet ist Jonathans größte Schwäche. Sie hat ihm nie verziehen, dass er ihr damals das Herz gebrochen hat. Lieber würde sie im Bikini in die Arktis reisen, als ihn auf der Jagd nach dem Artefakt rund um die Welt zu begleiten. Zumindest dachte sie das. Doch als Jonathan sich ihr wieder verführerisch nähert, läuft sie Gefahr, sich erneut in ihn zu verlieben. Und alte Flammen lodern bekanntlich heißer. Aber will er sie wirklich zurück – oder verbirgt er etwas vor ihr?

JESSICA CLARE

PERFECTPASSION

FESSELND

Aus dem amerikanischen Englischvon Kerstin Fricke

Anmerkung der Autorin

In diesem Buch habe ich mir einige Freiheiten erlaubt, um meine Geschichte erzählen zu können, insbesondere, was die Tiefe der Themse an einer gewissen Stelle betrifft. Ich hoffe, Sie können es mir verzeihen …

1

Violet DeWitt strich mit den Fingern über den Umschlag, auf dem »Nach meinem Tod von meiner Tochter zu öffnen« stand.

»Und?«, fragte der Rechtsanwalt, der offensichtlich gespannt auf den Inhalt war. »Wollen Sie ihn nicht aufmachen?«

Aber Violet starrte die geschwungene Handschrift ihres Vaters nur an, die altertümlich wirkte, und musterte das wächserne Siegel. Es sah auf einem modernen Umschlag irgendwie falsch aus, hatte aber zu ihrem Vater gepasst.

Vorsichtig legte sie den Brief auf ihren Schoß und lächelte den Mann, der ihr am Schreibtisch gegenübersaß, höflich an. »Nein, das werde ich nicht tun.«

Der Mann runzelte seine breite Stirn und schien enttäuscht zu sein. »Aber es ist der Letzte Wille Ihres Vaters, Miss DeWitt. Wollen Sie diesen denn nicht ehren?«

»Ich kann mir auch so sehr gut vorstellen, was er geschrieben hat, Mr Penning«, erwiderte Violet und lächelte ihn ebenso forsch wie freundlich an, während sie die Hände auf den Umschlag legte. »Gibt es in Bezug auf das Erbe meines Vaters sonst noch etwas, das ich wissen sollte?«

Er musterte sie verwirrt, wandte sich dann aber dem Papierstapel vor sich zu und ging ihn durch. Sie wusste, was sein Blick zu bedeuten hatte. Die meisten Menschen, die vor dem Testamentsvollstrecker saßen, waren vermutlich in Trauer oder wollten wissen, wie viel Geld sie geerbt hatten, aber beides galt für Violet nicht. Sie wollte einfach nur hier weg.

»Ihr Vater war ein großer Mann«, meinte Mr Penning, der ein weiteres Schriftstück hervorholte und es durch seine Gleitsichtbrille betrachtete.

»Ja.«

»Seine Arbeit wurde allseits hoch geschätzt. Ich habe drei seiner Bücher gelesen, und obwohl ich nur ein interessierter Laie bin, war ich überaus fasziniert. Er hat ein unglaublich aufregendes Leben geführt. Wirklich, ein wahrhaft großer Mann.«

»Das habe ich auch schon gehört.«

Mr Penning sah sie überrascht an. »Haben Sie Ihren Vater nicht gekannt, Miss DeWitt? Ich hatte den Eindruck …«

»Doch, ich habe ihn gekannt«, versicherte sie ihm, auch wenn sie gehofft hatte, dass dieses Thema nicht zur Sprache kommen würde. Der Nachlassverwalter wollte bestimmt nichts über die ständige lange Abwesenheit ihres Vaters hören, der ein Workaholic gewesen war, und vermutlich auch nichts darüber, wie er ihre Mutter verlassen oder wie lieblos Dr. DeWitt seine Tochter behandelt hatte. Alle gingen immer davon aus, dass der legendäre Archäologe Dr. Phineas DeWitt seiner Familie gegenüber ebenso liebenswürdig und freundlich gewesen war, wie er in seinen Dokumentarfilmen gewirkt hatte. Aber so war er nicht, dachte Violet. So war er ganz und gar nicht. Trotzdem setzte sie ein geduldiges Lächeln auf und beugte sich vor, als würde sie sich für das Dokument interessieren, das Mr Penning ihr gerade vorlesen wollte. »Sein Nachlass ist doch geregelt, nicht wahr?«

»Oh.« Er rückte seine Brille zurecht und konzentrierte sich wieder auf die Dokumente vor sich. »Ja, ich glaube, dass der Umschlag das Letzte ist, was noch offen war. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Vater vor seinem Tod einige Schulden gemacht hat. Anscheinend hat er aus eigener Tasche ein paar persönliche Expeditionen finanziert und dafür mehrere Hypotheken auf sein Haus aufgenommen, das die Bank drei Wochen vor seinem Tod gepfändet hat.«

Violet gab ein mitfühlendes Murmeln von sich. Das Geld oder das Haus waren ihr völlig egal, und sie hatte auch nicht damit gerechnet, etwas zu erben. Eigentlich wollte sie jetzt nur noch aus diesem Büro raus.

»Glücklicherweise ist dann jedoch eine anonyme dritte Partei auf den Plan getreten und hat die Schulden Ihres Vaters bezahlt.«

»Was für ein Glück«, stimmte ihm Violet zu. Sie hatte so eine Ahnung, wer dieser geheimnisvolle Gönner gewesen war, und sie konnte diesen Idioten nicht leiden. Anonym war der Mann bei Weitem nicht. Jetzt rechnete er vermutlich damit, dass sie ihm dankbar war und sich ihm deswegen an den Hals warf – aber darauf konnte er lange warten.

»Ich denke, das wäre dann alles.« Der Nachlassverwalter warf ihr noch einen letzten erwartungsvollen Blick zu und musterte den Umschlag auf ihrem Schoß. Als sie keine Anstalten machte, diesen zu öffnen, seufzte er und reichte ihr ein Formular, das sie unterschreiben musste. Sie tat es, und er stand auf und gab ihr die Hand.

»Vielen Dank, Mr Penning. Sie können mich jederzeit anrufen, wenn ich Ihnen noch irgendwie helfen kann«, sagte sie in geschäftsmäßigem Ton. Dann schüttelte sie ihm die Hand und verließ die Anwaltskanzlei, wobei sie den ungeöffneten Umschlag fest umklammerte.

Als sie in ihrem Wagen saß, ließ Violet den Motor an, warf den Umschlag auf den Beifahrersitz und hielt dann inne. Sie rieb sich die Stirn, um die Kopfschmerzen, die sich dahinter zusammenbrauten, zu vertreiben. Phineas DeWitt hatte Umschläge schon immer geliebt. Zu ihrem achten Geburtstag hatte sie von ihrem Vater einen Umschlag als Geschenk erhalten. Darin befand sich ein Hinweis, dem sie folgen musste, um zu einer Spur aus weiteren Hinweisen zu gelangen. Damals war sie unglaublich aufgeregt gewesen, und nach einer Reihe von weiteren, ebenfalls in Umschlägen verborgenen Hinweisen, die immer komplexer wurden, war sie bei ihrem eigentlichen Geschenk angelangt.

Es war eine Ausgabe der »Enzyklopädie des Studiums alter Hieroglyphen«, die noch dazu gebraucht war. Die Widmung darin lautete: »Für Phineas. Danke, dass du so ein guter Lehrer gewesen bist.«

Zugegebenermaßen handelte es sich um ein sehr gutes Buch, aber die achtjährige Violet hätte viel lieber eine Barbie bekommen.

Phineas ignorierte ihre nächsten Geburtstage, und erst als Violet sechzehn wurde, erhielt sie einen weiteren Umschlag mit der Post. Trotz ihrer anfänglichen Beklemmung war sie aufgeregt gewesen. Aber am Ende der Schatzsuche stand eine große Enttäuschung: die Kopie einer Doktorarbeit über minoische Fresken von einem der Studenten ihres Vaters. Er hatte eine Nachricht darangeheftet: »Pass genau auf, Violet. So etwas musst auch du schreiben, wenn du für deinen Vater arbeiten willst!«

Wieder hatte sie etwas bekommen, das sie eigentlich gar nicht haben wollte. Aber Phineas DeWitt glaubte an zwei Dinge: Wissen und Abenteuer. Alles andere war töricht.

Damals hatte sie die fotokopierte Doktorarbeit in den Müll geworfen und versucht, die schrecklichen Geburtstagsgeschenke ihres Vaters einfach zu vergessen. Doch zu ihrem achtzehnten Geburtstag fiel sie ein weiteres Mal darauf herein und wurde ebenso enttäuscht. Am Ende der Schnitzeljagd mit diversen Umschlägen erwartete sie ein hässlicher Kupferring, der ihren Finger grün verfärbte und aussah wie etwas, das man in jedem billigen Souvenirshop kaufen konnte. Dabei hatte sie eine Woche lang fieberhaft nach dem Geschenk ihres Vaters gesucht und wider jegliche Vernunft gehofft, er hätte sich daran erinnert, was ihr gefiel, und ihre Ängste, Hoffnungen und Träume bedacht, um ihr etwas zu schenken, das bewies, dass er seine Tochter wirklich und wahrhaftig verstand.

Doch dem war nicht so. Phineas DeWitt machte zwar Geschenke, aber letzten Endes ging es immer nur um ihn. So war es bei den Spielchen ihres Vaters üblich: Ihre anfängliche Aufregung führte jedes Mal unausweichlich dazu, dass sie enttäuscht wurde. Die Umschläge und die Schatzsuche sollten nur die Tatsache verschleiern, dass sich Phineas keine Gedanken darüber machte, was er verschenken wollte, und sich auch keine Mühe gab – ebenso wie er sich in seiner Rolle als Vater keine Gedanken machte und keine Mühe gab.

Und sie wusste, wohin – und zu wem – sie diese letzte Schnitzeljagd führen würde, ohne dass sie den Umschlag dafür aufmachen musste.

Ach, Vater, ich weiß doch, was du vorhattest. Dies ist nur wieder eines deiner kleinen Spiele. Doch dieses Mal habe ich nicht die Absicht mitzuspielen. Nichts, was du geschrieben oder getan hast, kann mich dazu bringen, ein weiteres Mal mit Jonathan Lyons reden zu wollen.

Violet fand nicht, dass sie eine harte, nachtragende Frau war. Eigentlich war sie sogar sehr nett, verdammt noch mal, und verständnisvoll noch dazu. Aber wenn ein Mann einen mit netten Worten umgarnte, schwängerte und dann im Stich ließ – so etwas konnte man nicht so einfach vergeben oder gar vergessen, selbst wenn ihr Vater sich das sehnlichst wünschte.

Einige Dinge konnte man eben nicht auf sich beruhen lassen.

*

»Das ist ihr Klassenzimmer«, sagte Rektorin Esparza zu Jonathan Lyons und deutete auf die Tür vor sich. »Sind Sie sich sicher, dass Miss DeWitt Sie erwartet? Sie hat mir gegenüber nicht erwähnt, dass sie Besuch bekommt, und dies hier ist ein geschlossener Campus.« Die Rektorin klang verstimmt, aber immerhin hatte sie ihn nicht rausgeworfen. Es war schon erstaunlich, womit man alles durchkommen konnte, wenn man nur in einem teuren Anzug und mit einem Bodyguard auftauchte. Natürlich war es dabei auch hilfreich, in den richtigen Kreisen berühmt – oder vielmehr berüchtigt zu sein.

»Sie erwartet mich«, versicherte Jonathan ihr und rückte sein Jackett zurecht. »Vielleicht hat sie einfach vergessen, Sie darüber in Kenntnis zu setzen. Violet ist eine alte Freundin meiner Familie.«

»Oh«, meinte Miss Esparza und strahlte ihn an. »Ich bin ein großer Fan Ihrer Autos, auch wenn ich mir leider keins davon leisten kann!« Sie stieß ein mädchenhaftes Kichern aus, das irgendwie nicht zu ihrem wahren Alter passen wollte.

Er schenkte ihr sein bestes verwegenes Grinsen und verfiel in die Rolle des flirtenden Playboy-Milliardärs. »Soll ich Ihnen einen liefern lassen?«

»Oh, nein.« Miss Esparza kicherte erneut und schob sich eine von Grau durchzogene Haarsträhne zurück in den Dutt. »Das wäre gegen die Regeln dieser Schule. Aber es ist sehr nett von Ihnen, das überhaupt anzubieten.« Sie trat einen Schritt vor und klopfte an die Tür, an der in farbenfrohen Buchstaben »Sozialkunde 5. Klasse« stand.

Jonathan schluckte den Kloß herunter, der ihm die Kehle zuschnürte, und verlagerte sein Gewicht. Es war so armselig, dass er jetzt nervös war. Er hatte sich in Nepal von Klippen abgeseilt, war zwischen Haien getaucht, hatte unzählige Höhleneinstürze überstanden, und einmal war sogar ihr Schiff von somalischen Piraten angegriffen worden. Dabei war ihm jedes Mal das Adrenalin durch die Adern geschossen, nervös war er jedoch nie gewesen.

Aber als er jetzt vor diesem Klassenzimmer stand und auf eine Frau wartete, die er seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte, bekam er schweißnasse Handflächen.

Wie würde Violet jetzt aussehen? Seine Erinnerungen beschränkten sich eher auf einzelne Körperteile. Er wusste noch, dass sie klein war und ihm gerade mal bis zur Schulter reichte, lange dunkle Zöpfe mit pinkfarbenen Strähnen gehabt hatte, sowie ein freches Grinsen, eine schlanke Figur und ein Tattoo über dem Hintern, auf dem die Worte »Carpe Diem« standen. Er erinnerte sich daran, wie ihre Haut gerochen hatte, wie sie immer leise keuchend aufschrie, wenn sie kam, und wie eng ihr Mund seinen Penis umschlossen hatte.

Allein der Gedanke an sie rief eine Menge Erinnerungen und Schuldgefühle in ihm wach, die auf ihn einströmten. Es hatte seitdem keinen Tag gegeben, an dem er diese letzte Nacht nicht bedauert hatte, diese letzte Stunde, die letzte Minute, die sie zusammen verbracht hatten.

Sie hatte heiraten wollen. Es war ihr Wunsch gewesen, ihren kleinen Sommerflirt in Griechenland in eine dauerhafte Beziehung zu verwandeln. Daher hatte sie darauf bestanden, dass sie in die Vereinigten Staaten zurückkehren und sesshaft werden mussten. Damals war Jonathan neunzehn gewesen, hatte ein Urlaubssemester vom College genommen und war rundum fasziniert von dem dynamischen Dr. Phineas DeWitt, der täglich kurz vor einer neuen wichtigen archäologischen Entdeckung zu stehen schien. Violet und er hatten an DeWitts letzter Ausgrabung in jenem Sommer teilgenommen, und das war das Aufregendste, was Jonathan jemals erlebt hatte. Als jüngster Sohn eines Geschäftsmannes, der verzweifelt auf ein Wunder wartete, hatte Jonathan Jahr um Jahr mitansehen müssen, wie sein Vater jede Stunde seines Lebens und jeden Dollar aus seiner Brieftasche darin investierte, Lyons Motors zu einem überlebensfähigen Unternehmen zu machen, ohne jemals Erfolg damit zu haben. Jonathan war nicht etwa eifersüchtig auf die Obsession seines Vaters für seine Firma, sondern hatte dies immer achselzuckend hingenommen.

In DeWitt fand er jedoch einen Mentor und Vaterersatz, der sich dafür interessierte, was in Jonathans Kopf vorging. Auf einmal war er wichtig, und das empfand er als berauschend.

Doch Violet hatte sehr bald einen Sinneswandel durchgemacht. Sie wollte auf gar keinen Fall dieses Leben voller archäologischer Ausgrabungen und Abenteuer. Vielmehr stand ihr der Sinn nach einem Zuhause und einer Familie, und zwar in dieser Reihenfolge. Keine Abenteuer mehr, und erst recht kein College, und das alles im zarten Alter von neunzehn. Außerdem hatte sie in ihrer letzten gemeinsamen Nacht vorgeschlagen, dass er ebenfalls alles aufgab und sich mit ihr irgendwo niederließ.

Aber Jonathan hatte ihr nur ins Gesicht gelacht, da er nun mal jung und ein Arschloch gewesen war.

Sie hatte ihm eine Ohrfeige gegeben, war in Tränen ausgebrochen und aus seinem Leben verschwunden.

In jener Nacht hatte er sie verloren, und es hatte nicht lange gedauert, bis er seine Grausamkeit bereute. Griechenland war ohne Violet an seiner Seite einfach nicht dasselbe. Eigentlich war gar nichts mehr so wie vorher. Er vermisste sie mit derselben Intensität, mit der er die archäologische Expedition liebte, und gestand Professor DeWitt, den er als Mentor und Freund ansah, seine Sehnsucht. Er dachte darüber nach, Violet zu folgen, sich bei ihr zu entschuldigen und einen neuen Anfang mit ihr zu wagen.

Aber ihr Vater teilte ihm mit, dass das ein Fehler wäre. Seinen Worten zufolge war Violet gerade mal eine Woche zurück in den Staaten gewesen, da wohnte sie auch schon wieder bei einem Exfreund. Außerdem hatte er Jonathan einen Stapel Ausgrabungsaufzeichnungen in die Hand gedrückt, die ihm helfen sollten, seinen Kummer zu vergessen. Völlig verzweifelt hatte sich Jonathan in die Arbeit gestürzt.

Einige Wochen später hatte DeWitt dem niedergeschlagenen, Trübsal blasenden Jonathan mitgeteilt, dass Violet geheiratet hatte, und ihn aufgefordert, nach vorne zu sehen. Er hatte Jonathan sogar vorgeschlagen, ihn zur Ausgrabung eines neuen Grabes im Tal der Könige zu begleiten.

Natürlich hatte Jonathan das getan. Er hatte sich in die Abenteuer, Archäologie und Extremsportarten gestürzt – in alles, was nötig war, um ihn vergessen zu lassen, dass er seinen Vater enttäuscht und Violet verloren hatte. Als sein Vater starb und sein älterer Bruder erklärte, das angeschlagene Familienunternehmen Lyons Motors nicht übernehmen zu wollen, war Jonathan zum Firmenchef avanciert und hatte beschlossen, es endlich zum Erfolg zu führen. Zehn Jahre später hatte er die Firma durch harte Arbeit, seinen Einfallsreichtum und die Hilfe der Bruderschaft – der Geheimgesellschaft, der er angehörte – in ein mehrere Milliarden Dollar schweres Unternehmen verwandelt. Neben der Arbeit und seinen Ausgrabungen in aller Welt führte Jonathan ein hektisches Jetset-Leben.

Doch es gelang ihm nie wirklich, sich von dem abzulenken, was er verloren hatte. Zehn Jahre später war er noch immer nicht über Violet DeWitt hinweg und dachte oft darüber nach, wie wohl alles gelaufen wäre, wenn er sich tatsächlich mit ihr irgendwo niedergelassen hätte.

Schritte hallten über den Linoleumboden der Schule und rissen ihn in die Gegenwart zurück. Einen endlosen Augenblick später wurde die Tür des Klassenzimmers geöffnet. Jonathan hob den Kopf.

Da war sie und stand neben der schweren Holztür, mit einer leicht säuerlichen Miene, als hätte sie damit gerechnet, ihn zu sehen, aber gehofft, dass es nicht dazu kommen würde.

Seine Handflächen schwitzten noch mehr.

Sie sah anders aus als in seiner Erinnerung. Das war natürlich zu erwarten gewesen, schließlich war er auch nicht mehr der dünne neunzehnjährige Junge mit der pickligen Haut und der glatten Brust. Aber falls das überhaupt möglich war, so schien Violet sogar noch schöner geworden zu sein – und ernster. Ihre wilde, teuflische Aura, die er so geliebt hatte, war ebenso verschwunden wie die hüftlangen geflochtenen Zöpfe. Diese Violet war immer noch sehr klein, aber ihre schlanke Figur hatte weiche Kurven entwickelt, die in dem schlichten schwarzen Rock und der cremefarbenen Bluse mit den Rüschen am Hals und den langen, flatternden Ärmeln gut zur Geltung kamen. Sie trug einfache schwarze Pumps und keinen Schmuck, und das lange Haar, das ihm so gut in Erinnerung geblieben war, hatte sich in einen asymmetrischen schwarzen Bob verwandelt, den sie sich auf einer Seite hinter ihr kleines Ohr geschoben hatte, während ihre Haare auf der anderen Seite ihr Kinn umspielten.

Das war seine wilde Violet? Diese Frau sah genauso aus … aber irgendwie auch wieder nicht. Das Leben als Ehefrau passte zu ihr, so viel war klar. Sie war ebenso wunderschön wie bei ihrer letzten Begegnung, und bei der Vorstellung, dass es einen anderen Mann in ihrem Leben gab, spürte er tief in seinem Inneren einen stechenden Schmerz. Er hätte es sein müssen, der ihr Leben teilte, aber er war ja so ein egoistischer Mistkerl gewesen.

»Jonathan«, sagte sie mit ausdrucksloser, höflicher Stimme. »Was für eine schöne Überraschung.« Man konnte ihr anhören, dass es weder eine Überraschung noch schön war, ihn zu sehen.

»Bitte denken Sie in Zukunft daran, dass Besucher im Büro angemeldet werden müssen, Miss DeWitt«, sagte Rektorin Esparza und warf Jonathan dabei ein freundliches Lächeln zu.

»Aber natürlich. Entschuldigen Sie, dass ich es vergessen habe«, erwiderte Violet ausgesucht höflich. »Wollen wir nicht hineingehen, Jonathan?« Sie deutete hinter sich ins Klassenzimmer.

Er nickte seinem Bodyguard zu, der sich umdrehte und neben der Tür wachsam Position bezog. Nicht, dass Jonathan in der Neptune Middle School mit irgendwelchen Problemen rechnete, aber er hatte schon vor langer Zeit herausgefunden, dass es stets hilfreich war, wichtig auszusehen, und dass man damit oftmals weiter kam als mit Bestechungsgeldern.

Violets Absätze klackerten über den Boden, als sie zu ihrem übergroßen Schreibtisch im vorderen Teil des Raumes zurückkehrte und sich setzte. Ihm entging nicht, dass sie ihm keinen Platz anbot, und er musterte die wackligen Schülerschreibtische, die ihr gegenüber in mehreren Reihen aufgestellt waren. Ihr Klassenzimmer war bunt und fröhlich, mit Bildern von exotischen Orten und Karten aus der ganzen Welt an den Wänden, neben denen diverse Schaubilder und Flaggen hingen. Die Schule war ansonsten jedoch alt und dunkel, die Holzböden waren durch jahrelanges Betreten verzogen, und er war sich ziemlich sicher, dass die Deckenplatten, an denen sich ein Wasserschaden abzeichnete, bald herunterfallen würden. »Schön hier. Wo sind deine Schüler?«

»Es ist 15:30 Uhr«, erwiderte sie mit dieser viel zu glatten und kontrollierten Stimme. »Der Unterricht ist vorbei. Nur die Schüler, die nachsitzen müssen, sind noch da.«

Er drehte sich zu ihr um und schenkte ihr sein bestes flirtendes Lächeln, das ihr Herz in der Vergangenheit jedes Mal hatte schmelzen lassen. »Dann bin ich wohl nicht brav gewesen.«

Violet legte die Hände auf ihren Schreibtisch. »Mr Lyons, ich glaube, wir wissen beide, warum Sie hier sind.«

»Jonathan.«

»Mr Lyons«, wiederholte sie, und selbst ihr Blick schien ihm zu sagen, dass er es nicht wagen sollte, ihr zu widersprechen. Sie starrte ihn noch einen Moment lang an, griff dann in eine Schreibtischschublade und zog einen Umschlag heraus, den sie ihm reichte.

Er trat näher, nahm ihr den vertrauten Umschlag ab und bemerkte, dass das Siegel auf der Rückseite noch immer intakt war. »Du hast ihn nicht aufgemacht?«

»Ich kenne die kleinen Spielchen meines Vaters gut genug, daher muss ich ihn nicht aufmachen, um zu wissen, dass ich nicht mitspielen will. Das ist nur wieder einer seiner Tricks, mit denen er etwas Bestimmtes erreichen will, und ich möchte gar nicht wissen, was es ist.«

Jonathan verstand nicht, warum sie sich so eisig zeigte. Violet war ihm gegenüber ausgesprochen kalt, dabei hatte er ihr überhaupt nichts getan. »Bist du wegen damals noch immer sauer auf mich?«

Sie kniff die Augen zusammen.

Das war dann wohl ein Ja. »Hör mal, Violet, ich war ein dummer Junge, und du warst auch noch fast ein Kind. Wir waren jung. Wir haben dumme Sachen gemacht und blöde Fehler begangen. Können wir das Ganze nicht einfach vergessen und zusammenarbeiten?«

»Wir sollen zusammenarbeiten? Woran denn?«

Er zog seinen eigenen Umschlag aus der Innentasche seines Fioravanti-Jacketts und hielt ihn ihr hin.

Sie starrte ihn einfach nur an und zog eine Augenbraue hoch.

Na gut, dann musste er es eben auf die harte Tour machen. Er riss den Umschlag auf, zog das Dokument heraus und las es ihr vor. Die erste Zeile bestand aus der Adresse der Mittelschule, in der sie sich aufhielten. Danach stand: »Meine Tochter Violet hat den Schlüssel.« Er sah sie an, um ihre Reaktion auf diese rätselhafte Aussage mitzubekommen.

Violet verdrehte die Augen.

»Und? Was denkst du?«

»Ich bin der Ansicht, dass mein Vater seinen Beruf verfehlt hat und lieber Schauspieler hätte werden sollen«, meinte Violet. »Wenn es hier einen Schlüssel gibt, dann befindet er sich vermutlich in meinem Umschlag. Du kannst ihn haben.« Sie schob ihm den Umschlag über die Tischplatte zu, nahm einen Stapel Papier, der in einer Ecke auf ihrem Schreibtisch lag, und zog ihn vor sich. Dann holte sie einen roten Stift hervor und begann, Noten zu verteilen, als wäre Jonathan überhaupt nicht anwesend.

Er starrte sie für eine kleine Ewigkeit an. War sie denn überhaupt nicht neugierig? Wollte sie denn nicht wissen, worum es ging? »Interessiert es dich gar nicht, was dein Vater versteckt hat?«

»Nein.« Sie blickte nicht auf, sondern arbeitete einfach weiter.

»Wärst du überrascht zu erfahren, dass nach seinem Tod nicht nur all seine Tagebücher verschwunden sind, sondern auch das Gerücht umgeht, er habe von seiner letzten Ausgrabungsstätte etwas sehr Wertvolles gestohlen?«

»Es würde mich nicht überraschen«, antwortete Violet, die noch immer vor sich auf die Tests starrte. Sie schrieb etwas in Rot auf ein Blatt, blätterte um und ging zum nächsten über. »Wenn er damit für Drama und Spannung sorgen könnte, hätte mein Vater es getan.«

»Das war meine Ausgrabung«, erklärte Jonathan. »Er hat mich bestohlen.«

Sie ignorierte ihn.

»Ist dir das denn völlig egal?«

Jetzt sah Violet doch auf und musterte ihn kalt. »Sollte es mich denn interessieren? Mir wurde mitgeteilt, dass eine anonyme dritte Partei nach dem Tod meines Vaters all seine Schulden bezahlt hat und dass ich mir deswegen keine Sorgen machen müsse. Außerdem hat man mir gesagt, dass ich dankbar sein soll.« Sie verzog bei den letzten Worten die Lippen, als hätte sie auf eine Zitrone gebissen. »Das gehört für mich auch zu den Schulden, die getilgt wurden.«

Dann wusste sie also, dass er sich um alles gekümmert hatte, und war nicht erfreut darüber. Doch er ließ sich nicht von seinem Ziel abbringen. »Ich will diese Tagebücher haben. Weitaus wichtiger ist allerdings, dass ich die Stele zurückbekomme, die er mir gestohlen hat. Sie ist unersetzlich.«

Wieder schaute sie auf ihren Test und schob den Umschlag mit einer Hand etwas näher zu Jonathan.

»Verdammt, Violet. Rede mit mir.«

»Das tue ich doch«, entgegnete sie mit dieser ruhigen Stimme.

»Ich möchte bei dieser Sache mit dir zusammenarbeiten. Ich brauche diese Tagebücher und das, was er gestohlen hat.«

»Wie ich bereits sagte, du kannst meinen Umschlag gern haben.«

Zornig griff er nach dem Umschlag und riss ihn auf. Darin befand sich allerdings nichts außer einem Symbol, das er noch nie in seinem Leben gesehen hatte. »Ich weiß nicht, was das bedeutet.«

»Das ist nun wirklich nicht mein Problem.« Sie bedachte ihn mit einem kaum merklichen Lächeln und deutete dann auf die Tür, als wollte sie andeuten, dass er jetzt gehen könne.

Es war offensichtlich, dass sie mit ihm fertig war, ebenso wie Jonathan mit Sicherheit wusste, dass er Violets Hilfe brauchen würde, um in dieser Sache weiterzukommen. Violet hatte Zugang zu Informationen über den verstorbenen Dr. DeWitt, wie es ihm unmöglich war. Er brauchte ihre Erinnerungen und ihr Insiderwissen.

»Ich zahle dir eine Million Dollar, wenn du mich in dieser Sache unterstützt.«

Sie hob den Kopf und starrte ihn mit vor Überraschung weit aufgerissenen Augen an. »Ist das dein Ernst?«

»Ich bin jetzt Milliardär, falls du das noch nicht gehört hast. Ich habe Lyons Motors übernommen.«

»Schön für dich.« Ihre Miene blieb ausdruckslos.

»Du bekommst eine Million Dollar, wenn du zustimmst, für mich zu arbeiten, bis wir herausgefunden haben, was das alles zu bedeuten hat.« Er schwenkte den Brief in der Luft.

Violet pochte mit ihrem Stift auf die Tests, als würde sie nachdenken. Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein.«

»Du bist Lehrerin und kannst das Geld bestimmt gut gebrauchen.«

»Ja, ich bin Lehrerin«, stimmte sie ihm zu. »Und wir sind mitten im Schuljahr. Ich kann jetzt nicht weg. Das würde den ganzen Schulbezirk vor große Probleme stellen.«

»Es ist ein Abenteuer«, versuchte er, sie zu locken, weil er sich daran erinnerte, wie ihre Augen bei dem Gedanken an so etwas früher immer gestrahlt hatten. Seine Violet hatte Abenteuer genauso sehr geliebt wie er.

Doch dieses Mal sah sie ihn nur mit stählernem Blick an. »Nein, Jonathan.«

»Warum nicht?« Er ballte die Faust, sodass der Brief zerknitterte, und war gefährlich kurz davor, die Fassung zu verlieren und einfach aus dem Klassenzimmer zu stürmen.

»Zufälligerweise ist mir der kleine Plan meines Vaters, mit dem er uns beide wieder zusammenbringen will, schlichtweg egal.«

Er schnappte nach Luft. Dann glaubte sie also, ihr Vater hätte vorgehabt, sie auf diese Weise zu ihm zurückzubringen? Kein Wunder, dass sie ihn für den schlimmsten Abschaum hielt, der hier aufkreuzte, um einer verheirateten Frau Avancen zu machen. »Hör mal, Violet, es ist zwar sehr schön, dich zu sehen …«

»Das beruht leider nicht auf Gegenseitigkeit …«

»… aber ich bin nicht hier, um deine Ehe in Gefahr zu bringen«, fuhr er fort, während sich sein Herz schmerzhaft zusammenzog. Er war sich nicht sicher, was er sich von ihr erhofft hatte. Vielleicht ein kleines bisschen Zuneigung? Wehmut aufgrund gemeinsamer Erinnerungen? Ein Wiederaufleben von dem, was einst zwischen ihnen gewesen war? Dabei war doch offensichtlich, dass das, was immer sie damals miteinander gehabt hatten, der Vergangenheit angehörte und dass Violet nichts mit ihm zu tun haben wollte. Außerdem war sie ohnehin verheiratet, und es war sinnlos, einer glücklich verheirateten Frau den Hof zu machen. »Ich hatte nur gehofft, dass mir eine alte Freundin bei einer sehr wichtigen Sache weiterhelfen kann, verstehst du?«

Sie sah ihn mit schief gelegtem Kopf an, runzelte leicht die Stirn und schob sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. Erinnerungen wirbelten plötzlich durch seinen Kopf. Er erinnerte sich noch gut an diese nachdenkliche Miene, und schon waren all das Verlangen und die Sehnsucht wieder da.

Nach zehn Jahren war er noch immer bis über beide Ohren in Violet DeWitt verliebt, auch wenn sie jetzt die Eisprinzessin spielte. Kein Wunder, dass sie ihn wieder loswerden wollte.

»Was hast du gerade gesagt?«

Er fummelte an seinem Revers herum und war froh, dass sein Jackett zugeknöpft war, sodass sie seine Erregung, die er aufgrund ihrer kleinen Geste empfand, nicht sehen konnte. »Ich habe gesagt, dass ich nicht hier bin, um dein Leben durcheinanderzubringen, okay?«

Sie stand auf, glättete ihren Rock und kam um ihren Schreibtisch herum auf seine Seite. Dann streckte sie eine Hand aus. »Gib mir den Brief.«

Endlich ein Erfolg. Fast schon übereifrig reichte ihr Jonathan beide Umschläge.

Violet überflog das Geschriebene und sah Jonathan dann verwirrt an.

»Was ist?«, wollte er wissen.

»Wie kommst du auf die Idee, ich wäre verheiratet?«

Jetzt war er ebenso durcheinander wie sie. »Wie bitte?«

»Ich bin nicht verheiratet. Wieso in aller Welt glaubst du, ich wäre es?«

In Jonathans Ohren rauschte das Blut. Er beobachtete fasziniert, wie sie sich eine Haarsträhne hinter das andere Ohr schob. Dadurch standen ihre Ohren ein wenig ab – was sie hasste, wie er aus Erfahrung wusste –, aber seiner Meinung nach sah sie hinreißend aus. Das war seine Violet.

Er hatte sie vor so langer Zeit aufgegeben, weil sie nur wenige Tage, nachdem sie aus seinem Bett verschwunden war, einen anderen geheiratet hatte, und es seitdem jeden Tag bereut.

»Du …« Er hustete und ärgerte sich darüber, dass seine Stimme auf einmal so heiser klang. Dabei spürte er, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg – und auch in einen anderen Körperteil strömte. Er räusperte sich und versuchte es noch einmal. »Hast du die Hochzeit abgeblasen?«

Wieder sah sie ihn auf diese seltsame Weise an. »Welche Hochzeit?«

»Dein Vater hat damals nach deiner Abreise gesagt … dass du einen anderen geheiratet hättest. Nur wenige Tage später.«

Sie sah ihn fragend an, als könnte sie es nicht fassen. »Und du hast ihm geglaubt? Jonathan, deine Familie hat damals all seine Ausgrabungen finanziert. Er hätte dir erzählt, dass Kühe zum Mond fliegen können, wenn das bedeutet hätte, dass er dich an seiner Seite behalten kann.«

Ach, verdammt noch mal! Er hatte ja gewusst, dass Phineas ein gerissener alter Hund gewesen war, aber trotzdem konnte er es nicht fassen, dass er sich in einer derart wichtigen Sache hatte verschaukeln lassen. »Dann bist du … nicht verheiratet?«

»Ich wüsste nicht, was dich das angeht …« Sie kreischte auf, als er ihre Hand nahm. Sie war so weich, wie er sie in Erinnerung hatte, und sie knabberte noch immer an den Fingernägeln, die ganz kurz waren. Anscheinend hatte sie diese Angewohnheit noch immer nicht abgelegt. Sie trug nicht einen einzigen Ring am Finger.

Man hatte ihn belogen.

Eigentlich hätte er stinksauer sein müssen, voller Zorn, Hass und Verachtung, weil er zehn Jahre vergeudet hatte, indem er sich von ihr fernhielt.

Aber Jonathan empfand nichts von alldem. Er sah nur Violet – seine Violet –, die so dicht vor ihm stand, dass er die Hand ausstrecken und sie zum ersten Mal seit so langer Zeit berühren konnte, wonach er sich mit jeder Faser seines Wesens sehnte. Violet, deren Hand er hielt – auch wenn sie versuchte, sie ihm zu entziehen.

Seine Violet war hier, vor ihm, und sie hatte nie geheiratet. Er wollte verdammt sein, wenn er sich diese Gelegenheit erneut entgehen ließ.

Jonathan legte die Hände auf ihre Schultern, drehte sie zu sich um, senkte den Kopf und presste die Lippen fest auf ihre. Er küsste sie mit all der grimmigen Leidenschaft von zehn langen, einsamen Jahren. Sie erwiderte den Kuss nicht, aber das war schon in Ordnung. In ihm waren genug Begierde und Liebe für sie beide. Irgendwann würde sie schon einknicken. Er musste ihr nur zeigen, wie sehr sie ihm gefehlt hatte. Denn jetzt wollte er sie nie wieder gehen lassen. Er …

Violet rammte ein Knie zwischen seine Beine und traf seine empfindlichste Stelle.

*

Selbst nachdem Violet die Schule verlassen und eingekauft hatte, im Fitnessstudio gewesen war, nach Hause gekommen war und ihre kleine Wohnung aufgeräumt hatte, war sie noch wütend. Tatsächlich war sie sogar stinksauer.

Wie konnte es Jonathan Lyons wagen, einfach wieder in ihrem Leben aufzutauchen, nur weil ihr Vater gestorben war? Wie konnte er es wagen, einfach davon auszugehen, dass sie alles – ihr Leben und ihren Job – hinwarf, um ihm bei dieser sinnlosen Suche zu helfen, die ihr Vater ihnen wie eine Art archäologische Version von Willy Wonka auferlegt hatte?

Wie konnte Jonathan es wagen, sie einfach in den Arm zu nehmen und zu küssen, nur weil sie nicht verheiratet war?

Die Tatsache, dass sie keinen Ehering trug, hieß noch lange nicht, dass sie nicht längst vergeben war. Es bedeutete auch nicht, dass sie ihn nicht mit aller Inbrunst hasste. Schäumend räumte Violet ihre Einkäufe in den Kühlschrank und fluchte, als der Milchkarton umkippte und sich die Milch über ihren frisch gewaschenen Spinat ergoss. Verdammt noch mal! Lauthals fluchend griff Violet nach den Küchentüchern und wischte den Kühlschrank aus, um dann beim darauffolgenden Händewaschen zu merken, dass sie noch immer zitterte.

Sie zitterte, weil sie auch jetzt, Stunden später, noch so wütend war.

Dabei wollte sie mit all dem gar nichts zu tun haben. Ihr Leben war schön und geordnet. Gut, es war nicht aufregend, aber sicher und ohne Überraschungen. Violet mochte keine Überraschungen, da diese letzten Endes immer mit einer Enttäuschung endeten.

Sie ging unter die Dusche, zog ihren Flanellschlafanzug an, las im Bett noch in ihrem Mysteryroman und legte sich dann schlafen. Zumindest versuchte sie zu schlafen, aber ihr ganzer Körper war angespannt, und so lag sie nur da und starrte frustriert an die Decke.

Jonathan Lyons hatte sie geküsst.

Er war in ihr Leben stolziert, als hätte er sie nicht vor zehn Jahren im Stich gelassen, als sie ihn am dringendsten gebraucht hätte. Selbst nach all diesen Jahren war er noch ein Egoist. Manche Menschen änderten sich eben nie. Sie musste daran denken, wie er das Gesicht verzogen hatte, als sie ihm ihr Knie in den Schritt gerammt hatte. Das war nicht einmal besonders befriedigend gewesen. Aber sie war so unglaublich wütend gewesen, und er hatte so schockiert und überrascht ausgesehen.

Und unglaublich verletzt.

Als könnte er nicht glauben, dass seine Violet ihm jemals Schaden zufügen könnte.

Und das hatte sie noch wütender gemacht. Als wäre sie die Unvernünftige von ihnen. Violet wand sich verärgert, schlug schließlich die Bettdecke zurück und stürmte durch das Schlafzimmer ins Wohnzimmer. Ihre unordentliche Wohnung war klein, aber sie brauchte auch nicht viel. Sie brauchte nur einen Schreibtisch und ein Bett. Ihre Regale waren voller Bücher, und sie trat zu dem Abschnitt, in dem sie ihre Fotoalben aufbewahrte. Den Großteil des Platzes nahmen die Alben ihrer Mutter ein, aber ganz am Ende stand ein weiteres winziges Album. Sie zog es heraus und pustete den Staub herunter.

Das Cover war mit einem griechischen Muster verziert, und sie hatte »Akrotiri 2004« daraufgeschrieben. Mit dem Album in der Hand ging sie zurück ins Schlafzimmer, kuschelte sich wieder ins Bett und schlug das Album auf.

Dies war ihre erste und einzige Reise als Assistentin ihres Vaters gewesen. Ihre Mutter hatte ihr davon abgeraten, aber Violet war so aufgeregt gewesen und hatte sich so darauf gefreut, den Sommer mit ihrem intelligenten, berühmten Vater zu verbringen, dass sie es gar nicht erwarten konnte. Die Leute witzelten immer, dass ihr Vater so etwas wie der Jacques Cousteau für die Archäologie war, und sie hätte dem sogar zugestimmt, wenn Jacques seine Familie ebenfalls zwei Jahrzehnte lang vernachlässigt und seine Frau in den Alkoholismus getrieben hätte.

Violet sah sich die Fotos an und dachte an diesen Sommer zurück. Da war ein Foto von ihr und ihrem Vater in der Nähe der Ausgrabungsstätte, auf dem sie lächelnd auf eine Wand deuteten. Ihre Haut war gebräunt, und sie trug das Haar zu zwei langen Zöpfen geflochten, in denen bunte Strähnen schimmerten. Außerdem hatte sie eine schreckliche Sonnenbrille auf der Nase und ein Tanktop an. Hinter ihr stand Jonathan Lyons und hatte ihr eine Hand an die Taille gelegt.

Himmel, sie war so in ihn verliebt gewesen. So unglaublich dumm, aber auch so verliebt. Schon kurz nach ihrer Ankunft in Santorin – wo sie endlich etwas Zeit mit ihrem Vater verbringen wollte – hatte sie feststellen müssen, dass er auch eine ganze Gruppe seiner Studenten zu dieser Sommerexpedition eingeladen hatte. Anfangs hatte sie das verletzt, da sie in den Augen ihres Vaters offenbar nichts Besonderes war, aber ihr Schmerz hatte sich schon bald in Aufregung verwandelt, als sie Jonathan Lyons kennenlernte. Lyons Motors war eine bekannte – oder auch berüchtigte – Firma, da sie eine Autoserie herausgebracht hatte, die bald darauf zum Gespött der Leute geworden war, und er interessierte sich nicht im Geringsten für das Familienunternehmen. In Violets Augen war der dünne, etwas verschrobene und durch und durch enthusiastische Jonathan einfach nur süß.

Er hatte etwas Überschwängliches und Ernstes an sich, in das sie sich bald verliebte. Während jede Aktion ihres Vaters wohlüberlegt und durchdacht zu sein schien, lebte Jonathan im Augenblick, und das bewunderte sie. Seine Begeisterung für die Ausgrabung war nicht zu übersehen. Er war morgens der Erste bei der Arbeit und ging abends als Letzter. Wenn es irgendetwas herauszufinden galt, stürzte sich Jonathan mit fieberhaftem Eifer hinein.

Er war zu einhundert Prozent Intensität, die im attraktiven Körper eines neunzehnjährigen Collegestudenten steckte.

Sie fand ihn einfach unwiderstehlich.

Am Ende der ersten Woche verbrachten sie schon sehr viel Zeit miteinander. In der zweiten Woche hatte er sie geküsst, und sie hatte ihn auf ihr Bett geworfen, woraufhin sie sich liebten wie wilde Karnickel. Nach einem Monat war sie bis über beide Ohren in ihn verknallt.

Und am Ende des zweiten Monats erwartete sie ein Kind von ihm.

Dabei waren sie nicht einmal unvorsichtig gewesen. Sie hatten jedes Mal ein Kondom benutzt, aber selbst diese waren nicht unfehlbar, und in ihrem jugendlichen Übermut war er manches Mal in sie eingedrungen und hatte das Kondom erst später übergestreift, weil es sich ohne für sie beide einfach viel besser anfühlte. Jonathan ging den Sex mit derselben Intensität an wie alles andere in seinem Leben, und er war dabei gierig und unersättlich.

Als sie sein Foto jetzt ansah, musste sie sich eingestehen, dass er sie im Grunde genommen für alle anderen Männer verdorben hatte. Kein sexuelles Erlebnis war jemals auch nur ansatzweise an das herangekommen, was sie mit ihm erlebt hatte.

Was wiederum blöd war.

Mit neunzehn war sie nicht einmal entsetzt gewesen, dass sie plötzlich schwanger war. Sie liebte Jonathan, verband im Geiste schon ihre Nachnamen und dachte sich Namen für das Kind aus. Wenn es ein Junge war, wollte sie es Theseus DeWitt-Lyons nennen, und ein Mädchen hätte den Namen Ariadne DeWitt-Lyons bekommen – Namen aus den Mythen um das Labyrinth auf Kreta. Sie hatte davon geträumt, Jonathan zu heiraten und mit ihm in die Staaten zurückzukehren, um ihren Collegeabschluss zu machen und eine Familie zu gründen. Es war offensichtlich, dass ihr Vater sie nicht als Tochter, sondern nur als weitere Studentin bei dieser Ausgrabung ansah, und sie sehnte sich nach einer Familie – einer richtigen Familie. Sie hatte nie eine funktionierende Familie kennengelernt und träumte von einem glücklichen Zuhause. Anstatt sich archäologische Funde auszumalen, hatten in Violets Kopf nur Kinderzimmer und das erste eigene Heim Platz. Ein Mann, eine Frau und ein Kind, das von beiden Eltern vergöttert und verwöhnt wurde.

Das war ihr neuer Traum, und sie konnte es kaum erwarten, ihn zusammen mit Jonathan Realität werden zu lassen.

Aber sie wollte nicht, dass Jonathan sie nur wegen des Babys heiratete. Er sollte sie zur Frau nehmen, weil er sie liebte und weil er sie heiraten wollte. Das war schließlich ein wesentlicher Bestandteil ihres Traums. Sie hatte am eigenen Leib erfahren, wie es war, wenn Paare nur wegen eines Babys anstatt aus Liebe heirateten. Seine Familie war reich, und sie wollte, dass es seine Idee war, dass sie heirateten, und nicht ihre, damit es nicht so aussah, als wäre sie nur hinter seinem Geld her. In Wirklichkeit war es Violet nämlich völlig egal, dass die Lyons-Familie dieses Autoimperium hatte. In ihrem perfekten Leben gab es ein kleines, gemütliches Haus irgendwo, Familienessen mit den Kindern und dem Ehemann und einen Kuss für den Gatten, wenn er von der Arbeit nach Hause kam. Einige Frauen träumten von einer Karriere, aber Violet wünschte sich nichts mehr als eine kleine, liebevolle Familie. Das war alles, was sie sich nach ihrer Kindheit ersehnte – die von den Depressionen und Alkoholexzessen ihrer Mutter sowie der langen Abwesenheit ihres Vaters geprägt gewesen war. Sie wollte von nichts als Liebe umgeben sein.

Was war sie damals doch nur für eine Idiotin gewesen!

Verärgert blätterte Violet weiter. Da war noch ein Foto von ihr und Jonathan am Strand von Santorin. Er presste seine Wange an ihre. An diesen Abend konnte sie sich noch gut erinnern. In jener Nacht hatte sich alles verändert. Sie hatten das Wochenende freigehabt und beschlossen, es zusammen zu verbringen. Nach einem romantischen Abendessen lagen sie in einem Hotel in Fira im Bett, und Violet gestand ihm, was sie sich erhoffte und dass sie nur zu gern eine Familie gründen würde.

»Das ist keine schlechte Idee … für die Zukunft«, hatte Jonathan abwesend erwidert und mit ihrem langen Haar herumgespielt.

Das waren nicht die Worte, die die neunzehnjährige schwangere Violet hören wollte. Sie hatte sich im Bett zu ihm umgedreht. »Was hast du vor, wenn die Ausgrabung beendet ist? Was wird dann aus uns?«

»Wie meinst du das?«, fragte er.

Sie ärgerte sich, dass sie ihm die Worte aus der Nase ziehen musste. »Wie sehen deine Pläne aus, wenn wir hier fertig sind?«

Er zuckte mit den Achseln. »Ich gehe wieder aufs College. Mache das nächste Semester mit und warte auf Dr. DeWitts nächste Einladung.«

Das wollte sie nun ganz und gar nicht hören. »Und was ist mit mir?«

Er hatte sie auf diese Weise angelächelt, bei der ihr Herz immer zu zerspringen drohte. »Vielleicht arbeiten wir ja in ein paar Jahren an derselben Universität.«

In ein paar Jahren? In ein paar Jahren? Mit neunzehn kamen ihr ein paar Jahre wie eine Ewigkeit vor. »Aber … ich möchte, dass wir zusammen sind.«

»Das möchte ich auch.« Er sah sie traurig an.

Nein, er begriff einfach nicht, worauf sie hinauswollte. Sie umklammerte seinen Arm. »Ich möchte, dass wir zusammenbleiben, wenn wir in die Staaten zurückkehren. Ich möchte, dass wir eine Familie gründen. Wir beide.« Sie betonte die letzten beiden Worte und hoffte, dass er begriff, was sie von ihm wollte, und begeistert zustimmte.

Mit dir eine Familie gründen, Violet? Nichts lieber als das! Lass uns sofort damit anfangen!

Ich hätte sehr gern Kinder mit dir, Violet.

Ich möchte dich nie wieder verlassen, Violet.

Stattdessen runzelte er jedoch die Stirn und sah sie an, als ob sie den Verstand verloren hätte. »Eine Familie gründen? Jetzt?«

»Ja, jetzt!«

Er lachte. Er lachte und spulte eine Million Gründe ab, die dagegen sprachen. Er musste nach Dartmouth zurück. Er hatte Dr. DeWitt gesagt, dass er auch bei der nächsten Ausgrabung wieder dabei sein wollte, wohin auch immer es ging. Dann gab es noch seine Familie, die erwartete, dass er bei seinem älteren Bruder, dem Erben des Imperiums, in die Lehre ging. Es würde Jahre dauern, bis sich Jonathan zur Ruhe setzen und auch nur an die Gründung einer Familie denken konnte – jetzt war er noch viel zu jung, um so etwas auch nur in Betracht zu ziehen.

Jedes seiner Worte brach Violet ein weiteres Mal das Herz. Sie fühlte sich verraten, gab ihm eine Ohrfeige und lief weg. Sie stürmte aus ihrem Hotelzimmer, ließ ihn in Fira zurück und fuhr wieder zur Ausgrabungsstätte. Dort weinte sie sich in dieser Nacht in den Schlaf, da sie sich nach einem Zuhause sehnte, ihr Märchenprinz jedoch andere Pläne hatte.

Am nächsten Tag versuchte er mehrmals, sie anzurufen oder sie zu sehen, aber sie ging ihm immer aus dem Weg. Stattdessen ließ sie ihren ganzen Herzschmerz in einen Brief einfließen. Sie hatte nicht vorgehabt, ihm von dem Baby zu erzählen und es als Druckmittel zu verwenden, um ihn zur Heirat zu überreden, aber jetzt blieb ihr keine andere Wahl. Noch heute erinnerte sie sich an den letzten Absatz des Briefes und wie er auf dem Papier ausgesehen hatte.

Wenn du mich liebst, dann komm bitte mit mir nach Hause, Jonathan. Ich möchte, dass wir unser Baby zusammen aufziehen. Falls es dir auch nur irgendetwas bedeutet, dass du Vater wirst, dann komm bitte mit. Bitte. Bitte. Ich liebe dich so sehr.

Sie hatte ihn mehr oder weniger angefleht, sie nicht zu verlassen, aber er hatte nicht einmal darauf geantwortet. Violet hatte auf einmal einen bitteren Geschmack im Mund, als sie das Foto ansah, und so knallte sie das Album zu und schleuderte es quer durch den Raum.

Märchen waren doch purer Blödsinn. Ihr Märchenprinz hatte ihren Brief einfach ignoriert. Sie war nach Hause geflogen, hatte zwei Wochen lang geweint und das Baby einen Monat später verloren. Woraufhin sie noch mehr geweint hatte.

Danach hatte sie sich zusammengerissen, war aufs College zurückgekehrt und hatte sich geschworen, ihr Glück nie wieder von den Plänen eines anderen Menschen abhängig zu machen.

Vor ihrem inneren Auge sah sie erneut Jonathans Gesicht, auf dem sich an diesem Nachmittag seine Freude abgezeichnet hatte. Du hast die Hochzeit abgeblasen? Du bist nicht verheiratet?

Violet hieb wütend eine Faust in das Kissen, ließ sich dann ins Bett fallen und war fest entschlossen, irgendwann im Laufe der Nacht einzuschlafen. Jonathan war förmlich schockiert gewesen, dass sie nicht verheiratet war. Dann hatte der heilige Dr. DeWitt seinen Protegé also angelogen? Das war ja unfassbar! Ihr Vater hätte das Totenhemd ihrer Mutter verkauft, wenn er dadurch eine weitere Ausgrabung hätte finanzieren können. Violet hatte das ihr ganzes Leben lang gewusst. Aber wieso war Jonathan das nie klar gewesen?

Kurz überlegte sie, ob er ihren Brief überhaupt jemals erhalten hatte.

Letzten Endes war es aber egal. Das Baby war ihr letzter Trumpf gewesen, und selbst den hatte sie einen Monat später verloren. Jonathan wäre so oder so nicht bei ihr geblieben. Nicht, wenn er andere Pläne hatte.

Dann war es vermutlich sogar gut, dass es so ausgegangen war. Hätte Jonathan sie damals nicht abgewiesen, wäre sie jetzt vielleicht in einer unglücklichen Ehe mit diesem Mistkerl gefangen und er wäre wegen eines Babys, das er gar nicht wollte, gezwungen gewesen, sie zu heiraten. So hatte sie zumindest erkennen können, wie egoistisch er wirklich war.

Ja, das Leben verläuft immer so, wie es soll, sagte sie sich und kuschelte sich unter ihre Bettdecke.

Aber in dieser Nacht fiel es ihr dennoch schwer einzuschlafen.

2

Am nächsten Morgen wachte Violet schon fünf Minuten vor dem Weckerklingeln mit aufgequollenen Augen und schlechter Laune auf. Sie starrte ihr Handy an, das auf ihrem Nachttisch lag und vibrierte, weil sie eine SMS bekommen hatte, und nahm es in die Hand.

Mitarbeiterbesprechung um 7 in der Cafeteria. Anwesenheitspflicht!

Stöhnend ließ sich Violet wieder aufs Kissen fallen. Wer in aller Welt ordnete denn eine spontane Mitarbeiterbesprechung um sieben Uhr morgens an? Das würde ja ein hundsmiserabler Tag werden, da sie gerade mal zwei Stunden geschlafen hatte. Arg! Sie stand notgedrungen auf, duschte schnell und machte sich bereit für die Arbeit.

Vierzig Minuten später fuhr sie auf den Parkplatz der Schule – mit einem riesigen Kaffeebecher in der Hand und höllischen Kopfschmerzen. Der Parkplatz war bereits fast voll, was bedeutete, dass alle Angestellten an dieser frühmorgendlichen Besprechung teilnehmen mussten. Na, großartig. Sie hastete in die Schule und bemerkte auf dem Weg in die Cafeteria, dass ein Lyons-Cabrio vor dem Notausgang parkte.

Das konnte doch nur Zufall sein, oder? Sehr viele reiche Menschen fuhren einen Lyons. Seit ein paar Jahren waren die auffälligen Roadster als Statussymbol verbreitet, weil sie in einem Hollywoodfilm zu sehen gewesen waren. Von diesem Zeitpunkt an war Lyons Motors von einem Witz zu einer erfolgreichen und ernst zu nehmenden Automobilfirma aufgestiegen. Nicht, dass sie die Firma genauer im Auge behalten hätte, aber es waren immer mehr Lyons’ auf den Straßen zu sehen. Das bedeutete doch nicht etwa, dass dieser Mistkerl auch bei der Besprechung dabei sein würde, oder?

Violet kniff die Augen zusammen, umklammerte ihren Kaffeebecher und betrat die Cafeteria.

Trotz der frühen Stunde waren die Tische schon ausgeklappt, und die Lehrer besetzten zahlreiche Plätze. Im vorderen Teil des Raumes stand Esparzas tragbares kleines Podium, und hinter ihr stand eine Reihe aus Stühlen.

Auf einem der Stühle saß Jonathan.

Violet drückte unwillkürlich so fest zu, dass ihr Kaffee aus dem Pappbecher spritzte und ihre Hand, ihren weißen Ärmel und den Boden bekleckerte.

Mit lautem Zischen ließ sie den Becher fallen und wedelte mit der Hand, um die heiße Flüssigkeit loszuwerden, während ihre Freundin Kirsten losrannte, um ein paar Papiertücher zu holen. »Hast du dich verbrannt?«

»Alles bestens«, erwiderte Violet, hockte sich hin und versuchte, das Schlimmste wegzuwischen. »Was ist denn los? Warum diese Besprechung?«

»Es geht um die Finanzierung«, murmelte Kirsten und half Violet, den Kaffee aufzutupfen. »Du weißt ja, dass der Schulbezirk seit einiger Zeit rote Zahlen schreibt.«

Oh nein. Wäre der schicke Wagen draußen nicht gewesen, dann hätte Violet vermutet, dass es um Entlassungen ginge oder darum, einige Angebote abzuschaffen. Aber die Tatsache, dass Jonathan – Krösus höchstpersönlich – da vorne saß und einen seiner besten Anzüge trug, ließ nichts Gutes vermuten.

Sie hatte ein ganz schlechtes Gefühl.

Als sie sich auf einen der hintersten Plätze setzte, bemerkte sie, dass Jonathan in ihre Richtung sah. Verdammt. Seine blauen Augen waren genau auf sie gerichtet. Vermutlich hatte er beobachtet, wie sie ihren Kaffee verschüttet hatte. Dabei wollte sie in seiner Gegenwart doch cool und unbeeindruckt wirken. Dafür war es jetzt wohl zu spät. Das ließ sich nicht mehr ändern. Er wollte sie also aus der Ferne anstarren? Violet beugte sich zu dem Sportlehrer hinüber, der neben ihr saß. »Weißt du, worum es hier geht?«

Coach Trammel schüttelte den Kopf. Er sah gut aus, hatte aber längst einen Freund, und Violet war schon seit Jahren mit ihm befreundet. »Keine Ahnung. Weißt du was?«

»Nein, gar nichts«, erwiderte sie und achtete darauf, ihn anzulächeln. Als sie erneut zu Jonathan hinübersah, zeichnete sich Wut auf seinem Gesicht ab, während er sie besitzergreifend anstarrte. Gut. Ich werde dir zeigen, wie sich das anfühlt, Johnny-Boy. Du hast deine Ansprüche vor zehn Jahren aufgegeben.

»Sind alle da?«, erkundigte sich Esparza über das Mikrofon und strahlte die versammelten Lehrer dann an. »Es wird nicht lange dauern, aber ich wollte Sie alle hier haben, wenn ich die gute Nachricht verkünde.«

Oh nein. Oh nein!

Esparza klatschte in die Hände und tanzte auf ihrem kleinen Podium fast schon vor Aufregung. »Wie Sie alle wissen, hatte der Neptune-Schulbezirk in den letzten Jahren einige Probleme mit der Finanzierung. Sie haben alle mitbekommen, dass die Reparatur der Turnhalle nicht gerade billig wird, und wir haben schon befürchtet, dass wir einige Förderprogramme streichen müssen, um alle Lehrkräfte behalten zu können, und noch ein oder zwei weitere Jahre mit veralteten Lehrbüchern arbeiten müssen.« Ihr Lächeln wurde noch breiter. »Aber ich kann Ihnen voller Freude mitteilen, dass Mr Jonathan Lyons von Lyons Motors sich für den Neptune-Schulbezirk interessiert und uns das äußerst großzügige Angebot gemacht hat, uns wieder in die schwarzen Zahlen zu bringen und sogar iPads für bedürftige Schüler zu kaufen.«

Im Publikum keuchten einige erstaunt auf, und andere Lehrer klatschten vor Begeisterung. Neptune gehörte zu den ärmsten Schulbezirken der Gegend, in der viele Familien mit geringem Einkommen wohnten, und es war kein Geheimnis, dass es schon seit einiger Zeit Geldprobleme gab. Das hatte Violet sogar an ihrem Gehaltsscheck erkennen können. Sie hatte in den drei Jahren, die sie jetzt hier arbeitete, noch nicht ein Mal eine Lohnerhöhung bekommen. Aber so lagen die Dinge hier nun mal.

»Wir werden uns in den nächsten Tagen mit der Schulbehörde zusammensetzen, um festzulegen, wie die Gelder am besten verwendet werden können, aber ich wollte, dass Sie als Erste davon erfahren!« Esparza klatschte so aufgeregt in die Hände, dass sie einen Augenblick lang so aussah wie ein eifriger Seehund, der auf einen Fisch wartet. »Überdies werden wir beantragen, dass die Schule in ›Jonathan Lyons Middle School‹ umbenannt wird.«

Violet hätte sich beinahe übergeben. Das Letzte, was sie wollte, war, dass Jonathans Name hier überall stand, wo sie für den Rest ihres Lebens jeden Tag arbeiten würde. Himmel, musste sie etwa den Schulbezirk wechseln, um vor der Erinnerung an ihn zu entkommen?

Sie schaute zu Jonathan hinüber.

Er starrte sie noch immer an. Violet kniff die Augen zusammen, während alle im Publikum anfingen, zu reden und erneut begeistert zu klatschen. Irgendetwas war doch hier im Busch. Wieso entwickelte Jonathan auf einmal ein derartiges Interesse an ihrer Schule?

An ihrer Schule, und das ausgerechnet einen Tag, nachdem sie ihm gesagt hatte, dass sie ihn auf gar keinen Fall begleiten würde.

Oh nein, oh nein, oh nein!

Die Besprechung war zu Ende. Violet stand ebenso wie alle anderen auf und versuchte, in der Menge unterzutauchen.

»Miss DeWitt«, rief Rektorin Esparza durch das knackende Mikrofon. »Könnten Sie bitte noch kurz hierbleiben? Ich möchte gern etwas mit Ihnen besprechen.«

Vor Zorn hätte Violet beinahe losgeschnaubt. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, worum es dabei ging.

*

Jonathan sah, wie Violet fast schon wutentbrannt auf Rektorin Esparza zustürmte. Sie stellte sich neben die Rektorin, verschränkte die Arme vor den Brüsten, und auf einem ihrer weißen Ärmel bemerkte er einen Kaffeefleck. Aber ihre Brüste quollen auf wundervolle Weise über ihren Armen hervor, und er musste sich beherrschen, um sie nicht wie ein Schuljunge anzustarren.