Wild Games - Ein verführerisches Spiel - Jessica Clare - E-Book

Wild Games - Ein verführerisches Spiel E-Book

Jessica Clare

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Beschreibung

Kandis Thornton braucht Geld, viel Geld. Sonst verliert ihre spielsüchtige Mutter ihr Haus ... und zieht bei Kandis ein. Daher ist ihr jedes Mittel recht, um die Reality-Show House Guests für sich zu entscheiden. Mit dabei ist Charmeur Brodi Short, der in Hollywood groß rauskommen will und seine Chance wittert. Auch er kennt alle schmutzigen Tricks. Und er hat ein Auge auf Kandis geworfen. Deren Widerstand gerät bald ins Wanken, denn Brodi kann nicht nur Sprüche klopfen ...

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Seitenzahl: 345

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Inhalt

CoverInhaltÜber das BuchÜber die AutorinTitelImpressum123456789101112

Über das Buch

Kandis Thornton braucht Geld, viel Geld. Sonst verliert ihre spielsüchtige Mutter ihr Haus … und zieht bei Kandis ein. Daher ist ihr jedes Mittel recht, um die Reality-Show House Guests für sich zu entscheiden. Mit dabei ist Charmeur Brodi Short, der in Hollywood groß rauskommen will und seine Chance wittert. Auch er kennt alle schmutzigen Tricks. Und er hat ein Auge auf Kandis geworfen. Deren Widerstand gerät bald ins Wanken, denn Brodi kann nicht nur Sprüche klopfen …

Über die Autorin

Jessica Clare lebt mit ihrem Mann in Texas. Ihre freie Zeit verbringt sie mit Schreiben, Lesen, Schreiben, Videospielen und noch mehr Schreiben. Sie veröffentlicht Bücher in den unterschiedlichsten Genres unter drei verschiedenen Namen. Als Jessica Clare schreibt sie erotische Liebesgeschichten. Ihre Serie Perfect Passion erschien auf den Bestseller-Listen der New York Times und der USA Today.

Mehr Information unter: www.jillmyles.com

Aus dem amerikanischen Englisch von Angela Koonen

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Deutsche Erstausgabe

  

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2013 by Jill Myles

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Bedroom Games«

Published in agreement with the author,

c/o Baror International, Inc.,

Armonk, New York, USA

  

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titelillustration: © www.buersosued.de

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de

eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-7325-6113-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

1

»Diesmal wird alles anders.« – Brody Short beim Vorabinterview

Als ich bei der Gepäckausgabe ankam, entdeckte ich sofort den gelangweilt blickenden Mann mit dem Pappschild, auf das der Name Candice Thornton gekritzelt war.

Offensichtlich war er alles andere als begeistert darüber, dass man ihn geschickt hatte, mich abzuholen.

Ich griff mir meine Reisetasche vom Gepäckband und ging zu ihm. »Hi. Sind Sie vom Sender?«

Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf mich. »Sie sind Candice?«

»Ja. Kandis. Sie haben meinen Namen falsch geschrieben, aber er wird gleich ausgesprochen.« Ich lächelte ihn zaghaft an.

Zu meiner Überraschung verdrehte er die Augen. »Regen Sie sich nicht künstlich auf. Sie sind es, okay?«

»Äh, ja.« Was für ein Blödmann.

»Dann kommen Sie. Wir haben einen engen Zeitplan.« Er klemmte sich das Pappschild unter den Arm und schrieb mit flinkem Daumen eine SMS, während er zum Ausgang des Flughafens lief. Er achtete nicht mal darauf, ob ich ihm folgte.

Ich blickte mich noch mal zu den vielen Reisenden um, trabte dann jedoch hinter ihm her. »Könnten Sie sich bitte als Mitarbeiter des Senders ausweisen? Ich will nicht zu einem fremden Mann ins Auto steigen, verstehen Sie?«

Seufzend zückte er einen Dienstausweis. JTV NETWORKS. JIMMY NELSON, Assistent, House Guests, stand darauf. »Können wir jetzt endlich? Wir müssen in den nächsten fünf Minuten vom Flughafen weg sein. Die anderen Kandidaten landen im Halbstundentakt, und Ihr Flieger hatte Verspätung. Wenn wir also nicht bald von hier wegkommen, werden Sie disqualifiziert.«

»Oh.« Ich hängte mir schleunigst meine Tasche um. »Nein, ich will bei der Sendung mitmachen. Also los.« Jetzt hatte ich es so eilig, dass ich ihn sogar überholte.

Er nahm mir die Tasche ab, bevor wir in den schwarzen Wagen einstiegen, der am Bordstein wartete. Mit einem Fahrer – wie schick! Jimmy stieg vorne ein, sodass ich nach hinten musste. Ich glitt auf die Rückbank, zog die Tür zu, und wir fuhren los.

Nach einem Moment hörte Jimmy auf zu schreiben und drehte sich zu mir um. »Also. Mactor?«

Ich runzelte die Stirn. »Wie bitte?«

»Sind Sie eine Mactor?«

»Ich … weiß nicht, was das ist.«

»Wir bekommen für die Sendung drei Arten Leute: Superfans, Mactors und abgebrannte Tussen. Superfans sind die Leute, die praktisch für die Show leben und nonstop belangloses Zeug daraus zitieren. Da Sie mich noch nicht gefragt haben, ob ich Jordache aus dem letzten Jahr persönlich begegnet bin, sind Sie wohl kein Superfan. Bleibt also nur Mactor oder abgebrannte Tusse, die so dringend Geld braucht, dass sie bereit ist, sich im Fernsehen zum Affen zu machen.« Er schaute auf meine Brüste.

Verärgert verschränkte ich die Arme. Ich hatte mir vorgenommen, mich sexy und quirlig zu geben, um in dem Spiel weiterzukommen, aber das war eindeutig schon jetzt nach hinten losgegangen. Wie gut, dass Jimmy nur ein Assistent war. »Und ein Mactor ist?«

»Ein Model/Actor. Von denen bekommen wir eine Menge. Sie wissen schon, die Leute, die alles für ihre 15 Minuten Ruhm tun würden.«

»Ich bin Zumba-Trainerin«, erklärte ich.

Jimmy blickte zum Fahrer und nickte. »Mactor.«

Gut, dass Jimmy nur Assistent war. Wäre er einer der Kandidaten gewesen, hätte ich ihn umbringen müssen, weil er so ein Blödmann war.

Während der Fahrt schaute ich aus dem Fenster. Der Flughafen von Charlotte war anders, als ich erwartet hatte. Und überhaupt war ich überrascht, dass ich nach Charlotte hatte fliegen müssen, aber mir war ein entsprechendes Ticket zugeschickt worden. Ich hatte angenommen, die vorherigen Sendungen wären in Los Angeles gedreht worden. »Wieso sind wir in North Carolina?« Ich konnte meine Neugier nicht mehr zügeln.

»Es gibt ein neues Konzept«, sagte Jimmy. »Bei dieser Staffel geht es um die Location. Die Produzenten wollen sehen, ob ein anderer Drehort den Absturz der Einschaltquoten aufhalten kann.«

»Oh.« Von einem Absturz der Einschaltquoten hatte ich nichts gewusst. House Guests lief jeden Sommer zuverlässig wie eine Uhr. Jeder sah sich das an. Ich hätte ihn gern mehr gefragt, aber er war schon wieder auf sein Handy konzentriert, und die Fahrt wäre allemal friedlicher, wenn er den Mund hielt.

Daher schaute ich aus dem Fenster und ließ die Bäume längs des Highways an mir vorbeisausen.

»Wir sind da.« Jimmy riss mich aus dem Schlaf.

Ich richtete mich auf und wischte mir über den Mund, für den Fall, dass ich gesabbert hatte. Während der endlosen Fahrt über den Highway hatte ich mich gegen das Seitenfenster gelehnt und war wohl eingenickt. Als Jimmy ausstieg und mir die Tür öffnete, unterdrückte ich ein Gähnen, griff nach meiner Tasche und murmelte: »Danke.«

»Folgen Sie mir, Candy.«

»Kandis«, korrigierte ich. »Es schreibt sich K-a-n-d-i-s.«

»Meinetwegen. Kommen Sie einfach mit.«

Das tat ich, und schon nach ein paar Schritten wurde ich immer langsamer, weil ich die Umgebung in mich aufnahm.

Wir standen auf einem frisch asphaltierten Parkplatz inmitten einer grünen Hügellandschaft. Hohe Bäume schirmten uns von der Straße ab. Am Rand des Parkplatzes standen mobile Toiletten aufgereiht, gegenüber entdeckte ich eine Reihe weißer Zelte. Überall waren Leute zu sehen, die meisten mit Headset und einem Klemmbrett oder iPad ausgerüstet, vor allem bei den Zelten, wo ein reges Hin und Her herrschte. In einiger Entfernung waren eine Tribüne und eine Tonbühne aufgebaut. Dort sollten sicherlich die ausgeschiedenen Kandidaten interviewt werden.

Auf einer grasbewachsenen Anhöhe im Zentrum des ganzen Treibens stand ein Haus, genauer gesagt ein scheußliches graues Ungetüm, das aussah, als stünde es bereits seit guten hundert Jahren leer. Aber das konnte gar nicht sein, da hier House Guests gedreht wurde. Also hatte man es eigens so präpariert.

Oder etwa nicht?

»Das ist das Haus?«, fragte ich Jimmy und betrachtete es entsetzt.

»Hmhm«, antwortete er gelangweilt.

»Das sieht nicht gerade attraktiv aus.« Ging es bei House Guests nicht um Leute, die sich nur unterbrochen von ein paar Wettkämpfen den ganzen Sommer im Bikini am Pool rekelten und flirteten? Das Haus schien mir nicht dazu zu passen.

»Wie gesagt, wir haben diesen Sommer ein neues Konzept.«

Was für eines soll das sein?, wunderte ich mich. Gothic-Fieber? Ich starrte auf den schäbigen viktorianischen Kasten. Er war riesig, hatte drei Stockwerke und einen achteckigen Turm. Sämtliche Fensterläden waren geschlossen. Es gab eine große Veranda auf dem Vordach, aber da standen lauter Kameras und Filmausrüstung. Die war eindeutig nicht zum Entspannen vorgesehen. Natürlich würden überall im Haus Kameras angebracht sein, das gehörte zum Konzept der Sendung.

Jimmy ging zu einem Tisch und nahm sich ein Klemmbrett, während ich argwöhnisch hinter ihm hertrottete. »Nur kurz zur Information: Sie betreten das Haus heute Abend. Zuvor werden wir Ihr Gepäck durchsuchen, um sicherzustellen, dass Sie nichts reinschmuggeln.«

»Reinschmuggeln?«

»Handys, Essen, Drogen«, erklärte er gelangweilt. Unterwegs hatte er sich einen Kaugummi in den Mund gesteckt und kaute geräuschvoll. »Wenn Sie sauber sind, gehen Sie danach zur ärztlichen Untersuchung.« Er deutete auf eines der Zelte weiter hinten auf der weiten Rasenfläche. »Wenn die Ärzte Sie für gesund erklären, schicken wir Sie zum Vorabinterview. Anschließend stecken wir Sie bis zum Abend allein in eine Kabine. Sie kommen erst raus, wenn es losgeht. Bis dahin bin ich für Sie verantwortlich.« Er hielt mir einen breitkrempigen Strohhut und eine Augenbinde mit dem Logo der Sendung hin. »Sie müssen die Augenbinde tragen, bis ich Ihnen sage, dass Sie sie abnehmen dürfen.«

»Damit ich die anderen Kandidaten noch nicht sehe?«

»Nein, damit wir Blinde Kuh spielen können.« Er klang sarkastisch.

Ich riss ihm die Binde aus der Hand. »Sie sind nicht sehr nett.«

»Leute wie Sie habe ich ständig um mich, Püppchen. Und ich werde nicht fürs Nettsein bezahlt.«

Was für ein blöder Wichser.

»Hier ist Ihre Verzichtserklärung. Die müssen Sie ausfüllen. Danach geht’s zur ärztlichen Untersuchung. Irgendwelche Fragen?«

»Eigentlich nicht.« Ich nahm das Klemmbrett entgegen. Der Packen Papier, der unter dem Bügel klemmte, war so dick, dass ich mich erst mal hinsetzte, um den Vertragstext genau zu lesen.

Ich wusste, wie House Guests ablief. Bisher hatte ich jede Staffel gesehen. Zwölf Kandidaten zogen zu Beginn des Sommers in ein Haus ein, um bei spielerischen Wettkämpfen gegeneinander anzutreten. Sie stimmten selbst ab, wer ausscheiden musste, und so reduzierte sich die Gruppe, bis nur noch zwei Kandidaten übrig blieben. Dann entschied die Jury, die aus den fünf zuletzt ausgeschiedenen Kandidaten bestand, wer die Million gewann.

Die Million, die ich dringend brauchte.

»Hallo, Kandis«, sagte jemand hinter dem Venezianischen Spiegel. »Du wirst jetzt zum ersten Mal für die Sendung interviewt, stell dich also bitte kurz vor. Wir sind nicht live, du brauchst nicht nervös zu sein. Entspann dich, und erzähl uns, was wir deiner Meinung nach über dich wissen sollten.«

Ich blickte mein Spiegelbild an. Zu mir selbst zu sprechen war ein komisches Gefühl. Wenigstens sahen meine Haare und mein Make-up gut aus, trotz des überstandenen Stresstests. Nach der ganzen Prozedur war ich müde, aber auch aufgedreht. Ich hatte ärztliche Untersuchungen durchlaufen, mehr Papierkram ausgefüllt, als man für einen Hauskredit brauchte, Soundchecks, eine psychologische Beurteilung und schließlich die Maske hinter mich gebracht. Ich hatte mir das Kleid angezogen, das ich eigens für das Vorstellungsvideo eingepackt hatte. Die Maskenbildner hatten mich stark geschminkt, meine langen braunen Haare zu duftigen Locken frisiert und mir sogar die Brauen gezupft. Dann hatte man mir ein enges gelbes ärmelloses Etuikleid gegeben, da mein eigenes fürs Fernsehen angeblich zu aufdringlich war. Mein Kandidatenfoto war schon aufgenommen worden, und jetzt saß ich beim Vorabinterview, zurechtgemacht und bereit für den Auftritt.

Damit war ich dem Haus und der Million einen Schritt näher gekommen.

Folglich lächelte ich in die Kamera. »Ich heiße Kandis Thornton. Ich bin dreiundzwanzig Jahre alt und Zumba-Trainerin. Viele Leute wissen nicht, was Zumba ist. Das ist ein Tanz-Workout, das sehr viel Spaß macht. Da ich am Tag sechs bis sieben Kurse unterrichte, bin ich wirklich fit. Deshalb werde ich den anderen wahrscheinlich erzählen, ich sei Studentin, damit sie nicht sofort eine ernstzunehmende Gegnerin in mir sehen.« Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. »Ich habe vor, sehr viel zu lügen. Manche Leute kommen hierher, weil sie berühmt sein oder von allen gemocht werden wollen. Darauf verzichte ich. Ich will das Geld.«

Ich wartete auf eine Reaktion, aber von der anderen Seite des Spiegels kam nur Schweigen. Unsicher rieb ich mir den Arm und überlegte, was ich noch sagen könnte. »Es wirkt ein bisschen gierig, wenn man sagt, dass es einem nur um die Million geht, aber es ist wahr. Meine Mutter …« Ich seufzte schwer. Wie viel sollte ich hier verraten? Schließlich würde das alles ausgestrahlt werden. »Meine Mutter ist spielsüchtig, und vor ein paar Wochen habe ich entdeckt, dass sie eine zweite Hypothek auf das Haus aufgenommen hat. Nicht nur das, sie ist auch mit den Zahlungen im Rückstand. Wenn wir also nicht irgendwie Geld auftreiben, wird sie das Haus verlieren. Und da sie nur mich hat, hieße das, sie zieht bei mir ein.« Ich lächelte verspannt. »Ich liebe meine Mom, aber ich bin nicht bereit, mir eine Wohnung mit ihr zu teilen. Und als Zumba-Trainerin verdient man nicht allzu viel Geld, ich könnte sie also nicht mit durchschleppen.«

Ich hatte meiner Mutter Geld gegeben, und sie hatte es verspielt, aber das erwähnte ich nicht. Und diesmal? Diesmal wollte ich ihren Kredit ablösen, damit sie, wenn sie ihr Gehalt verspielte, wenigstens ein Dach über dem Kopf hatte.

Ich wollte mir durch die Haare fahren, blieb aber mit den Fingern in den sprayverklebten Locken hängen, was fürchterlich ziepte. Wenn ich nervös war, fummelte ich gern an meinen Haaren herum, und im Augenblick war ich mächtig nervös.

Gefilmt zu werden und zu wissen, dass meine Bekenntnisse für ein Millionenpublikum gesendet würden, störte mich komischerweise überhaupt nicht. Aber der Gedanke, dass meine Mutter vielleicht gerade im Casino saß und ihre Ersparnisse verschleuderte, schnürte mir den Atem ab und machte mir Magenschmerzen.

»Darum bin ich also hier. Ich weiß, bei der Show kommt es darauf an, zu intrigieren und anderen in den Rücken zu fallen, um ins Finale zu kommen, und genau das habe ich vor. Wenn ich flirten muss, dann flirte ich. Wenn ich lügen muss, dann lüge ich. Ich werde alles tun, um ins Finale zu gelangen. Und ich sage es gleich: In Wirklichkeit bin ich nicht so. Das tue ich nur, um meiner Mom aus der Klemme zu helfen und uns beide weiterzubringen. Und ich entschuldige mich im Voraus.«

»Was für ein Mensch bist du, Kandis? Beschreibe dich.«

Ein wenig erschrocken setzte ich mich auf, als die Stimme durch den Spiegel kam. Da hörte also doch jemand zu. »Nun ja«, begann ich nachdenklich. »Ich habe keine Übung im Flirten. Daran muss ich noch arbeiten. Sei darauf gefasst, mich bei vielen ungeschickten, plumpen Flirtversuchen zu erleben«, sagte ich mit einem schiefen Lächeln in die Kamera. »Ich bin sehr ehrgeizig. Eigentlich zu ehrgeizig. Das ist wahrscheinlich mein größter Fehler. Ich würde gern sagen, ich bin lässig, aber das wäre gelogen. Ich würde auch gern sagen, ich bin ein guter Mensch, aber meistens stelle ich fest, dass die Leute das nur von sich behaupten, um sich selbst davon zu überzeugen. Allerdings bin ich ehrlich … also noch mal: Ich werde bei dem Wettbewerb viel lügen. Sei darauf gefasst.«

»Was tust du in deiner Freizeit?«

Darauf grinste ich. »Ich tanze wahnsinnig gern.« Zur Illustration wackelte ich auf meinem Stuhl mit den Hüften und schwenkte die Arme über dem Kopf. Dann nahm ich sie verlegen herunter. »Tanzen ist mein Ding. Deshalb bin ich Zumba-Trainerin geworden. Den ganzen Tag tanzen und sich fit halten? Ja, bitte. Es hilft mir außerdem, nicht aus dem Leim zu gehen, denn ich stopfe mich auch gern mit Essen voll.«

Die Stimme aus dem Spiegel klang plötzlich hohl. »Hast du vor irgendetwas Angst?«

»Ich ekle mich vor Insekten«, erzählte ich sofort. »Schlangen machen mir nichts aus. Höhenangst habe ich nicht, Flugangst auch nicht. Öffentlich aufzutreten macht mich nicht nervös. Aber bei Insekten kriege ich eine Scheißangst.«

Sofort nahm die Stimme des Interviewers einen tadelnden Ton an. »Zur Erinnerung, Kandis, du wirst den ganzen Sommer über gefilmt werden. Bitte denk daran, keine Kraftausdrücke zu benutzen, das ist schlecht für den Sender, und wir müssen sie mit einem Pfeifton übertönen, was den Fluss der Unterhaltung stört.«

»Entschuldigung«, sagte ich kleinlaut. »Ich rede immer, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Ich werde mich bemühen.«

Mit gefalteten Händen saß ich in der Einzelkabine und hörte mir Vivaldis Vier Jahreszeiten an. Die Augenbinde juckte, aber ich sollte nicht daran herumzupfen, hatte man mir gesagt, weil ich sonst nervös erscheinen würde. Offenbar wurden wir schon vor der Sendung immer wieder mal gefilmt und mussten so ruhig wie möglich sein. Also saß ich auf dem harten Stuhl unter den heißen Lampen, hörte klassische Musik und gab mir Mühe, still zu sitzen.

Leider kehrten meine Gedanken bei dem langen Alleinsein zu meiner Mutter zurück.

Zu meiner Mutter, die in Casinos ein Vermögen verspielte, das sie nicht hatte, die ihre Kreditkarten bis zum Anschlag mit Lebensmitteleinkäufen und den übrigen Rechnungen belastete, damit sie ihr Gehalt beim Roulette ausgeben konnte, die sich bei der Arbeit krankmeldete, um spielen zu gehen, die überzeugt war, kurz vor dem »großen Durchbruch« zu stehen und nur am Ball bleiben zu müssen.

Und die geweint hatte wie ein Baby, als sie sich von mir schon wieder hundert Dollar hatte leihen müssen, um ihren Kühlschrank zu füllen. Natürlich war ich weich geworden und hatte ihr das Geld gegeben …

Und sie war sofort zum Casino gefahren.

Ich war ratlos. Ich hatte ein paar Verwandte – Cousins, Tanten, Onkel – überredet, sich einzuschalten, aber die hatten ihr nur Vorwürfe gemacht, und sie hatte fluchtartig das Haus verlassen. Ich hatte ihr behutsam nahegelegt, in eine Suchtklinik zu gehen oder sich Medikamente verschreiben zu lassen. Ich hatte Ratgeber zum Umgang mit Suchtkranken gelesen. Unterdessen verbrauchte meine Mutter meine Ersparnisse, weil ich nicht so herzlos war, sie im Stich zu lassen. Inzwischen kaufte ich sogar Lebensmittel für sie ein, weil ich ihr schlichtweg nicht traute, das Geld, das ich ihr gab, tatsächlich dafür auszugeben. Wenn es nach ihr ginge, würde sie sich nur Instant-Nudelsuppen kaufen und den Rest des Geldes behalten, um ihn in den nächsten Spielautomaten zu stecken.

Das stresste mich. Finanziell wurde es für mich allmählich eng, und mit meinem Freund hatte ich Schluss gemacht, nachdem er wütend geworden war, weil ich mehr Zeit dafür aufwandte, meiner Mutter zu helfen, als mit ihm zusammen zu sein. Außerdem war es wirklich schwer gewesen, in Stimmung zu kommen, wenn ich krank vor Sorge war, und das hatte ihm auch nicht gefallen.

Als ich die Werbung für das House-Guests-Casting sah, erschien mir das wie der Lottogewinn, auf den meine Mutter immer hoffte. Ich setzte mich an meinen Laptop und nahm ein Video von mir auf, in dem ich gelobte, für den Sieg zu lügen, zu intrigieren und zu betrügen.

Im Grunde rechnete ich nicht mit einem Anruf des Senders. Und dennoch saß ich nun Wochen später zappelig in der Kabine und wartete darauf, hinaustreten zu dürfen und die anderen elf Gäste kennenzulernen, mit denen ich den Sommer über zusammenwohnen würde.

Als hätte jemand meine Gedanken gelesen, schaltete sich eine Stimme in meine beruhigenden Streicherklänge. »Liebe Bewohner, bitte nehmt eure Augenbinden und Kopfhörer ab. Wenn es in eurer Kabine klingelt, dürft ihr herauskommen und das Haus betreten. Dort stehen Stühle bereit, die mit eurem Namen gekennzeichnet sind. Begebt euch bitte zu eurem Stuhl und setzt euch.«

Nachdem ich Kopfhörer und Augenbinde abgenommen hatte, stand ich auf und musste an mich halten, um nicht auf den Absätzen zu wippen. Ich trug High Heels, was ich sonst nie tat, weil man sich damit die Füße verdarb und ich mit denen mein Geld verdiente. Auf den Absätzen wippen wäre also nicht ganz ungefährlich gewesen. Also stand ich still und wartete.

Kurz darauf klingelte es, und ich öffnete die Kabinentür.

Die Kabinen standen unter dem Vordach des schaurigen Hauses, ich brauchte also nicht weit zu laufen. Mitarbeiter standen bereit, um mich zur Tür zu begleiten. Daraus schloss ich, dass ich noch nicht gefilmt wurde. Aber sobald ich den Fuß über die Schwelle setzte, würde alles, was ich tat, von einer Kamera festgehalten werden.

Als ich an der großen Flügeltür ankam, streckte ein Assistent den Arm zur Seite und bat mich, zu warten. Nach einem Augenblick legte er den Kopf schräg und lauschte auf die Stimme in seinem Headset. Dann nickte er und gab die Tür frei.

Ich holte tief Luft. Das war meine Chance, meine Mutter zu retten – und meine geistige Gesundheit. Dafür brauchte ich mich nur an die Spitze zu kämpfen und die Jury von mir zu überzeugen.

Ich drückte auf die Klinke und trat ein.

Ich blieb mit dem Absatz an einem der Kabel am Boden hängen und stolperte ins Haus. Fast wäre ich lang hingeschlagen, konnte mich aber noch abfangen und prallte gegen einen der Teilnehmer, die bereits ins Haus eingezogen waren.

Ein unvergesslicher Auftritt? Ja. Ein eleganter? Nicht ganz.

»Hast du dir wehgetan?« Ein Mann kam an meine Seite, während ich schwankend um mein Gleichgewicht rang. Er griff stützend um meine Taille.

»Bewohner! Nicht sprechen, bevor ihr dazu aufgefordert werdet. Bitte begebt euch auf eure Plätze.«

Ich warf dem Mann ein dankbares Lächeln zu. Er war eine Handbreit größer als ich, ungefähr in meinem Alter und hatte ein schmales Gesicht und dunkle, gefühlvolle Augen. Gar nicht mal übel, der Typ. »Am besten, du tust, was sie sagen.«

»Werde ich … sobald ich sicher bin, dass du ohne meine Hilfe stehen kannst.« Er rührte sich nicht vom Fleck.

»Diese verflixten Schuhe«, murmelte ich, hob einen Fuß an und stützte mich auf meinen neuen Freund. Wie ich vermutet hatte, war der Absatz halb abgebrochen, er hing nur noch an einem Faden. Ich überlegte, den Schuh auszuziehen, doch er wurde ganz stylish mit etlichen Riemchen über dem Spann geschlossen, und es würde ein Weilchen dauern, die Schnallen aufzuhaken. Da man uns schon ungeduldig aufgefordert hatte, Platz zu nehmen, griff ich zur erstbesten Lösung und riss den Absatz ab, warf ihn beiseite und brach auch den anderen ab. »Wenigstens kann ich jetzt normal gehen.«

Kichernd ließ er mich los. »Also gut, gehen wir.«

Auf eigentümlich gebogenen Sohlen stakste ich zu den Stühlen, fand meinen in der vordersten Reihe und warf mich hinein. Ein paar Kandidaten saßen bereits still da. Der, den ich gerade kennengelernt hatte – der süße Typ –, zwinkerte mir von seinem Platz in der hintersten Reihe zu. Es waren drei Reihen und zwölf Stühle, also je vier nebeneinander. In der vordersten saß noch niemand außer mir.

Während die übrigen Kandidaten hereinkamen und Platz nahmen, rieb ich mir meinen inzwischen schmerzenden Knöchel. Diese blöden Schuhe. Das hat man davon, wenn man im Fernsehen sexy auftreten will. Jetzt stand ich da wie ein Tollpatsch. Ich öffnete die Riemchen, legte ein Bein hoch und gab mich beschäftigt, um meine Verlegenheit zu überspielen. Manche Leute werden rot, wenn sie nervös sind, ich dagegen zappelig.

Ich schnallte die Riemchen an beiden Schuhen auf und zog sie aus, dann hielt ich sie höflich in der Hand, bis mir jemand erlauben würde, zu einem Papierkorb zu gehen. Ich schlug die Beine übereinander und wippte mit dem Fuß, wobei ich einen kurzen Blick hinter mich warf. Die beiden hinteren Reihen waren voll besetzt, ich dagegen saß noch immer allein da. Drei Plätze waren noch leer. Ich spähte auf die Namensschilder neben mir.

Nur Anfangsbuchstaben: L.B. am anderen Ende, K.S. in der Mitte und B.S. neben mir.

Wo blieben die drei?

Die Lampen flackerten, und zum ersten Mal nahm ich den Raum in Augenschein. Er war … interessant. Von außen hatte das Haus sehr finster gewirkt, drinnen war es dagegen sehr hell – zweifellos, weil wir gefilmt wurden. Unter der Decke hatte man Scheinwerfer angebracht. Der Boden bestand aus Holzdielen, die Tapete hatte ein Muster in gedecktem Violett. Bilderrahmen in verschiedensten dunklen Farben hingen da, aber statt eines Gemäldes fassten sie Spiegel ein, hinter denen sich garantiert eine Kamera befand. Die Fenster waren mit altmodischen Gardinen verhängt, da wir von der Außenwelt isoliert sein sollten. Es gab einen großen Kamin mit einem breiten Sims, eine Standuhr und mehrere viktorianische Sofas mit zierlichen Holzfüßen. Am anderen Ende des großen Raumes konnte ich, wenn ich den Hals reckte, einen langen Esstisch mit antiken Stühlen sehen. Ein Paradies für Gothic-Fans.

An der Wand gegenüber unseren Stuhlreihen hing ein immenser Bildschirm, der im Moment noch ausgeschaltet war. Von dort würde die Moderatorin zu uns sprechen. Noch einmal schaute ich neugierig auf die leeren Plätze neben mir und wechselte einen achselzuckenden Blick mit meinem neuen Freund. Er wusste also auch nicht, was los war. Na wenigstens war ich damit nicht allein.

Das House-Guests-Logo erschien auf dem Bildschirm und dann eine blonde Frau mit einer voluminösen Frisur, die uns anstrahlte.

»Hallo, Kandidaten! Ich bin Becky Bradley und werde während dieser Staffel von House Guests eure Hausmutter sein! Herzlich willkommen bei der Show!«

Wir klatschten höflich. Jemand hinter mir pfiff.

Becky lächelte unbeeindruckt weiter. »In ein paar Minuten werden wir die Türen abschließen, und die diesjährige Staffel von House Guests beginnt. Eure erste Woche im Haus habt ihr noch frei. Gleich jedoch werdet ihr im Kampf um die Macht gegeneinander antreten. Wer die Macht erringt, bekommt ein Zimmer für sich und darf zwei Mitspieler nominieren, von denen einer am Ende der Woche ausziehen muss. Einer nach dem anderen werdet ihr rausgewählt, bis nur noch zwei von euch übrig sind. Diese beiden werden am Ende des Sommers gegeneinander antreten, um eine Million Dollar zu gewinnen. Seid ihr aufgeregt?«

Alle jubelten, einschließlich mir. Bei der Vorstellung, am Ende des Sommers um eine Million reicher zu sein, war es schwer, ruhig zu bleiben.

»Aber bevor es losgeht, muss ich euch warnen. Bei jeder Staffel gibt es viele überraschende Wendungen.« Becky lächelte kokett. »Diesmal ist es nicht anders.«

Das war mir bekannt. Jeder House-Guests-Zuschauer wusste, dass die Spielleitung eine Vorliebe für spontane Regeländerungen hatte. Das war ein Muss, damit die Sendung spannend blieb.

»Wir beginnen diesmal mit drei Überraschungen, und die erste kommt jetzt durch diese Tür. Viel Glück, Bewohner!«

Auf dem Bildschirm erschien wieder das Logo der Sendung. Ich schaute zu den drei leeren Stühlen. Ganz offensichtlich würden jetzt die noch fehlenden Kandidaten erscheinen.

Und tatsächlich sprangen die Türflügel auf, und drei Personen kamen herein, jeder mit einem gelben Umschlag in der Hand.

Mir fiel die Kinnlade herunter.

Ich hatte nicht erwartet, dass es Prominente sein würden. Oder vielmehr diese Prominenten.

Der Erste, der durch die Tür kam, war ein heißer Rocker, dem die dunklen Haare über ein Auge fielen. Arme und Hals waren tätowiert, und er hatte allerhand Piercings. Ich erkannte ihn sofort. Es war Liam Brogan von Finding Threnody, meiner Lieblingsband. Sie hatten sich erst letzten Monat getrennt. Oh mein Gott. Ich fächelte mir Luft zu. Liam Brogan hier? Er war absolut heiß. Er hatte auch an den World Races teilgenommen, die bis vor ein paar Wochen im Fernsehen gelaufen waren, und war dort mit einer niedlichen blonden Südstaatlerin namens Katy ins Bett gegangen.

Leider, leider hielt die ihn gerade an der Hand und zog mit ins Haus ein. Demnach waren sie noch zusammen. Das war okay, wirklich. Liam war heiß, aber er und die Blonde waren ein süßes Pärchen.

Katy lächelte nervös, trat dichter an Liam heran und schwenkte ihren gelben Umschlag mit der Nummer 2. Dann trat sie zur Seite, und die dritte Person hatte ihren Auftritt.

Alle stöhnten.

Es war Brodie Short. Ihn kannte ich ebenfalls von den World Races. Ja, er sah gut aus, war groß und blond und sonnengebräunt. Wirklich attraktiv. Doch bei den World Races hatte er bereits in der ersten Episode seine Schwester übel hängen lassen und sie gegen eine andere Kandidatin eingetauscht, Tesla Spooner (ebenfalls Mitglied von Finding Threnody), um mit ihr rummachen zu können. Darüber hinaus hatte er seine Konkurrenten getäuscht, wo es nur ging, um sich einen Vorteil zu verschaffen.

Kurz gesagt, mit Katy und Liam wurde uns ein prominentes Liebespaar vorgesetzt und mit Brodie ein Schurke. Die Zuschauer liebten Katy und Liam, Brodie dagegen war verhasst.

Ich wollte ihn auch nicht dabeihaben. Ich selbst wollte diesen Sommer die große Lügnerin und Betrügerin sein, um die anderen auszustechen. Da konnte ich keinen Konkurrenten gebrauchen. Daher zog ich die Brauen zusammen, als die drei ihre Plätze einnahmen. Der blonde, attraktive Brodie setzte sich neben mich und zeigte mir lächelnd seine weißen Zähne.

Ich quittierte das mit einem finsteren Blick und steinerner Miene.

Sobald Liam saß, wandte er sich den anderen zu und ließ Katys Hand los, um seinen Umschlag hochzuheben. »Was in denen steckt, sollen wir euch der Reihe nach vorlesen. Ich habe die Eins.« Mit einem leisen Lächeln nahm er Jubel und Applaus entgegen, dann brach er das Siegel und las vor. »Damit es diesen Sommer noch lustiger wird, haben wir einige Kandidaten aufgenommen, die ihr vielleicht aus einer anderen Spielshow kennt. Brodie, Liam und Katy werden mit euch um die Million spielen.«

Wir klatschten höflich, aber insgeheim schätzte ich die Konkurrenz ab, genau wie die anderen sicher auch. Ich warf einen Blick in die hintere Reihe, und mein Freund lächelte mich an, wirkte aber schon nicht mehr ganz so zuversichtlich. Mir war klar, was er dachte. Brodie war ein hinterlistiger Typ, und Katy und Liam hatten bereits eine Million gewonnen. Die brauchten nicht noch eine.

»Okay, dann lese ich jetzt meinen vor«, sagte Katy mit einem sanften, fast schüchtern klingenden Südstaatenakzent. Sie riss den Umschlag auf, überflog kurz den Text und las vor: »Liebe Bewohner, als Erstes werdet ihr bei einem Wettkampf darüber entscheiden, wer wo schlafen wird. Denn diesmal haben wir unsere Gäste im schaurigsten Spukhaus Amerikas untergebracht.«

Alle stöhnten.

Ich ließ den Fuß kreisen und dachte nach. Spukhaus? Echt jetzt? Ich glaubte nicht an Geister. Andererseits wirkte das Haus ziemlich unheimlich. Das war also das neue Konzept, von dem Jimmy gesprochen hatte?

Katy las weiter. »Dieses Anwesen, eine ehemalige Plantage, heißt The Magnolias. Das Haus wurde 1796 erbaut, und seine Geschichte ist mehr als tragisch. Jede Familie, der es gehört hat, ist auf schreckliche Weise ums Leben gekommen. Ein Brand 1803, der Ausbruch der Masern 1840, Verluste im Bürgerkrieg. Nach dem Bürgerkrieg wechselte noch einmal der Besitzer, und von da an gab es grausige Gerüchte über rachsüchtige Geister und Spukerscheinungen.« Katy blickte von ihrer Karte auf und schaute Liam entsetzt an. Dann las sie weiter. »Wer den Kampf um die Macht gewinnt, wohnt im Zimmer der Macht, das ihr sehr luxuriös finden werdet. Außerdem gibt es noch das Spiegelzimmer und das Königinnenzimmer. Beide Räume haben ihren eigenen Charme. Wer Pech hat, muss ins Galgenzimmer im Dachgeschoss ziehen. Dort haben sich im vergangenen Jahrhundert nicht weniger als drei Menschen erhängt, und Gerüchten zufolge gehen dort noch ihre Geister um. Und da wir zurzeit noch mehr Kandidaten als Schlafzimmer haben, werden diese Woche zwei Paare ins Galgenzimmer ziehen. Das Pärchen mit dem schlechtesten Los muss hier unten auf den Sofas nächtigen.«

»Ich schlafe lieber auf dem Sofa als auf dem Dachboden«, murmelte jemand hinter mir.

Katy drehte ihre Karte um. »Mehr steht hier nicht.« Sie zog die Nase kraus. »Dann wohnen wir wohl in einem Spukhaus.«

Ja, ganz toll.

Katy stupste ihren Bruder an. »Brodie, was steht auf deiner Karte?«

Sichtlich gut gelaunt riss er seinen Umschlag auf. »Der Wettkampf um die Macht wird sofort ausgetragen. Sobald diese Karte verlesen wurde, werdet ihr euch alle in den Garten hinter dem Haus begeben, und das Spiel beginnt. Der Sieger wird nicht nur für eine Woche die Macht haben und das beste Zimmer bekommen, sondern er darf sich auch seinen Partner aussuchen. Ja, so ist es, in dieser Staffel bildet ihr Paare.« Er las den dramatischen Satz langsam vor, und ein Grinsen breitete sich in seinem Gesicht aus. »Der Kandidat, der die Macht hat, wird sich seinen Partner aussuchen, die anderen Paare führt der Zufall zusammen.« Brodie wandte sich mir zu und zwinkerte. »Vielleicht bin ich der Glückliche, der dich bekommt, hm?«

Igitt. Ich versetzte ihm mit einem meiner absatzlosen Schuhe einen Schlag gegen den Arm. »Damit wäre nur einer von uns glücklich.«

Brodie wackelte mit den Brauen, als wäre er überzeugt, dass ich seinem Charme noch verfallen würde, und riss seine Karte durch. »Mehr steht nicht drauf. Wollen wir in den Garten gehen?«

»Ja, los!« rief eine Frau hinter mir, und alle jubelten.

House Guests hatte offiziell begonnen.

2

»Ob die anderen Gäste erfreut waren, mich zu sehen? Das ist, als würde man einen Rockstar nach einer wüsten Party fragen, ob er sich über seinen Kater freut.« – Brodie Short am ersten Tag von House Guests

Der Garten von The Magnolias erinnerte mehr an einen Gefängnisfilm als an eine Spielshow. Er war hübsch, natürlich, ein paar Bäume am Rand sorgten für Atmosphäre, und in einer Ecke gab es sogar einen Pool. Vermutlich sollten wir trotz des Spukhaus-Mottos Bikinis tragen. Am anderen Ende des Gartens jedoch ragte eine sechs Meter hohe Mauer mit Stacheldraht und Kameras auf. Du lieber Himmel. Ich krümmte die nackten Zehen, als wir auf den Rasen traten, und stellte fest, dass es sich nicht um echtes, sondern um künstliches Gras handelte.

Der größte Teil des Gartens war abgesperrt und in Spielgelände umgewandelt worden. An einer Seite hatte man ein Stoppschild aufgestellt, an dem eine Karte baumelte, und auf der Rückseite stand: Lies mich zuerst. Als ich hinter den anderen herlief, bemerkte ich, dass Brodie zu dem Schild gesprintet war, und ich versuchte, nicht die Augen zu rollen. Streber. Stattdessen sah ich mich auf dem Spielgelände um.

Auf einer großen rötlichen Matte war für jeden Kandidaten eine Spielstation aufgebaut. Dort war jeweils ein großer Vampirkopf mit aufgerissenem Mund montiert, der aussah, als wartete er darauf, gefüttert zu werden. Außerdem gab es jeweils ein Podest, das in der Mitte eines kleinen Beckens voller Blut aufragte.

Süß. Das Horrorthema wurde wirklich voll ausgeschöpft.

Brodie räusperte sich demonstrativ und las vor. »Kandidaten! Macht euch auf eine Herausforderung gefasst. Eure erste Aufgabe als Hausgast wird es sein, einen sehr hungrigen Vampir zu füttern. Und womit ernährt man ihn? Natürlich mit Blut. Jeder begibt sich zu einer Station und wartet auf das Startsignal. Sobald das erklingt, holt ihr euch euren Hula-Hoop aus dem Blutbecken. Die Hula-Reifen sind so konstruiert, dass sie sich mit Blut füllen, wenn ihr sie eintaucht. Ihr müsst euren Reifen eintauchen und dann Hula tanzen. Dabei wird das Blut in den Rachen des Vampirs gespritzt. Unter dem Hals jedes Vampirs hängt ein Beutel. Wer seinen Beutel als Erster gefüllt hat, gewinnt die Macht für die kommende Woche und das Recht, seinen Partner zu wählen. Hat jeder die Regeln verstanden?«

Eine Frau meldete sich wie in der Schule. »Äh, ist das echtes Blut?« Ihre Stimme klang schrill und weinerlich.

Brodie warf ihr einen verschmitzten Blick zu, der wohl ein Flirtversuch sein sollte. »Das werden wir gleich herausfinden, oder?«

Ich widerstand dem Drang, ein lautes Würgegeräusch von mir zu geben. Wir waren erst seit fünf Minuten im Haus, und der Kerl hatte schon mich und nun dieses Mädel angebaggert. Ziemlich aufdringlich.

»Meinst du, die wollen wirklich so viel echtes Blut in einer Fernsehshow haben?«, brummte jemand.

»Gehen wir doch schon mal zu den Stationen«, sagte Liam. Er nahm Katy bei der Hand, und sie bückten sich unter dem Absperrseil durch und betraten das Spielgelände. Wir Übrigen folgten ihnen.

Ich wählte die Station neben Katy und Liam und trat mit meinen nackten Füßen auf das Podest. Ich blickte in mein Blutbecken. Die rote Flüssigkeit war wohl eher gefärbter Maissirup. Irgendwo da drin lag ein Hula-Hoop-Reifen.

Jetzt hieß es auf das Startsignal warten. Ich stemmte die Hände in die Seiten meines engen Kleides und schätzte meine Mitspieler ab. Die sechs Männer waren Brodie und Liam, der nette Typ, der mich beim Stolpern abgefangen hatte, ein älterer Mann mit grauen Haaren und zwei weitere in meinem Alter. Die Frauengruppe bestand aus einer älteren mit wild abstehenden grauen Haaren, einer Soccer Mom mit einem jungenhaften Kurzhaarschnitt, einer umwerfenden Latina und einer groß gewachsenen jungen Frau mit langen, glatten roten Haaren, die ich von irgendwoher kannte. Auch ein Promi? Jedenfalls schien ich unter den Frauen die sportlichste zu sein. Ein paar der Männer allerdings waren echte Muskelpakete. Wenn Männer und Frauen getrennt antreten mussten, wäre ich den anderen Frauen körperlich überlegen.

Aus strategischen Gründen beschloss ich, das erst mal nicht zu zeigen. Ich würde mich zurückhalten, beim Wettkampf einen mittleren Platz belegen, Leute unter die Lupe nehmen, abwarten, wie sich die Sache entwickelte, und dann meinen entscheidenden Zug machen.

Das Startsignal ertönte.

Ich legte los. Ich stieg von dem Podest und tauchte die Hände in das Blut, um nach dem Reifen zu tasten. Wie vermutet, war es dickflüssig und klebrig, und einige waren hörbar angewidert. Ich fand meinen Reifen und legte ihn mir um die Taille. Als ich daran entlangstrich, erspürte ich in regelmäßigen Abständen Löcher, aus denen es jetzt schon tropfte. Sobald ich den Reifen um mich drehte, würde das Blut aus den Löchern spritzen und hoffentlich im Vampirrachen landen.

Ich war immerhin Zumba-Trainerin, da wäre dies ein Kinderspiel. Ich könnte den Kampf um die Macht gewinnen, bekäme ein tolles Zimmer und würde eine Vorentscheidung treffen, wer am Ende der Woche auszog.

Und damit hätte ich vom ersten Tag an eine leuchtende Zielscheibe auf dem Rücken. Das lag nicht in meinem Interesse. Darum tat ich, als fummelte ich an meinem Reifen herum, setzte ihn langsam in Bewegung und ließ ihn gemächlich um die Taille kreisen. Klebrige Blutstropfen liefen an meinem Kleid hinunter. Das war der Trick dabei: Drehte man den Reifen langsam, tropfte das Blut senkrecht nach unten. Drehte man ihn schnell, spritzte das Blut in hohem Bogen, wie Liam neben mir eindrucksvoll demonstrierte, indem er dem Reifen mit seinen tätowierten Armen einen kraftvollen Schwung gab, um ihn gleich darauf wieder ins Becken fallen zu lassen.

Gut, dachte ich. Sollte er gewinnen. Ich wollte es ganz sicher nicht.

Minuten vergingen, und ich stellte mich weiter ungeschickt an. Mein Kleid und meine Beine waren schon ziemlich besudelt, und meine Haare klebten auch schon davon. Aber ich war nicht die Einzige, die litt – Katys Podest befand sich näher bei Liam als meines, und sie sah aus, als hätte sie im Blut gebadet. Noch hatte niemand gewonnen. Ich bückte mich und spähte nach dem Beutel in meinem nun blutbespritzten Vampirrachen. Er war nicht mal halb voll. Mensch, das war ein langer Wettkampf. Jemand sollte sich beeilen, damit wir alle duschen konnten.

Grimmig hob ich meinen Reifen wieder auf und mühte mich weiter ab, ohne auf das klebrige Zeug an meinen Händen zu achten. Ich spähte die Reihe entlang, um zu sehen, wie sich die anderen schlugen. Die Frau mit den wilden Haaren? Gab sich keine Mühe. Die Männer strengten sich mehr an als die Frauen. Liam führte, und Brodie und zwei andere lagen dichtauf. Ich blickte auf meinen Reifen und ließ ihn etwas schneller kreisen, damit niemand merkte, dass ich sie beobachtete.

Fünf Minuten später ertönte wieder das Signal. Ich wischte mir das rote Zeug aus dem Gesicht (inzwischen hatte ich es bestimmt schon an der Nase und den Ohren) und sah zu meinem Vampirbeutel. Nach wie vor halb voll. Liams Podest war nun von unten beleuchtet. Mit einem Jubelschrei ließ er seinen Reifen fallen und stieß die Faust in die Luft. Er hatte gewonnen.

Ich klatschte und ließ dabei den Reifen fallen, ehe ich vom Podest stieg. Katy warf sich in Liams Arme. Lachend wirbelte er sie im Kreis herum, und sie gaben sich einen klebrigen Freudenkuss.

Ja, ich konnte mir denken, wen Liam sich als Partnerin aussuchen würde.

»Herzlichen Glückwunsch, Liam«, tönte Becky Bradleys Stimme aus einem der Lautsprecher. »Du hast diesen Sommer beim ersten Kampf um die Macht gesiegt!«

Wir applaudierten und warteten auf neue Anweisungen, wobei wir einander misstrauisch beäugten.

»Da du nun diese Woche die Macht hast, darfst du deine Partnerin wählen.«

»Ich nehme Katy«, rief er und ließ sie herunter. Strahlend drückte sie ihn an ihre Seite, und ihre weißen Zähne leuchteten im rot verschmierten Gesicht.

»Damit hat nun wirklich keiner gerechnet«, rief Brodie. Ich lachte wider Willen, worauf er mir sofort zuzwinkerte. Mein bisschen Wohlwollen löste sich in Luft auf. Igitt. Er war so arrogant.

»Nachdem das erste Paar feststeht, werden wir jetzt die übrigen Paare bilden. Liam, bitte geh mit Katy zum hinteren Ende des Spielgeländes. Dort findet ihr eine kleine Truhe und darin die Kette des Machthabers sowie den Schlüssel für das Zimmer der Macht. Das dürft ihr für eine Woche beziehen.«

Katy klatschte in die Hände. Liam löste sich von ihr und lief zu der Truhe, nahm den Schlüssel und die Kette heraus und hängte sie sich um den Hals.

»In der Truhe befinden sich außerdem fünf weitere Schlüssel und dazugehörige Schlösser. Die Männer suchen sich ein Schloss, die Frauen einen Schlüssel aus. Bei wem der Schlüssel ins Schloss passt, der ist bis auf Weiteres euer Partner. Ihr werdet mit eurem Partner zusammen ein Zimmer beziehen, mit ihm gemeinsam kämpfen und gemeinsam die Preise entgegennehmen. Wenn euer Partner nominiert wird, seid ihr ebenfalls nominiert. Liam, bitte nimm die Truhe, und lass reihum jeden etwas herausnehmen.«

Liam hob den Kasten auf den Arm, klappte den Deckel auf und ging zum ersten Podest – meinem. Ohne groß hinzusehen, zog ich einen Schlüssel heraus und sah zu, wie Liam die Runde machte.

Als alle Schlüssel und Schlösser verteilt waren, ließ Becky sich erneut vernehmen. »Nun sucht euren Partner. Oh, und ihr werdet bemerken, dass auf jedem Schloss ein Zimmername steht. Dort werdet ihr heute mit eurem Partner übernachten. Wenn auf dem Schloss kein Zimmername steht, schlaft ihr auf den Sofas. Viel Spaß, liebe Bewohner. Wir sprechen uns bald wieder.«

»Bis dann, Becky«, riefen wir im Chor.

Für einen Moment wurde es auf dem Spielgelände still, denn wir starrten einander an.

»Tja, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht«, sagte Brodie und hielt mit einer roten Hand sein Schloss hoch. »Die gute ist, dass eine mich zum Partner bekommt.«

Wie kann das die gute Nachricht sein, wollte ich erwidern, aber ich verkniff es mir. Er war jedenfalls der Letzte, mit dem ich in einem Team sein wollte.

»Und die schlechte Nachricht?«, rief jemand.

»Ich bekomme kein Zimmer, sondern die Sofas«, gab Brodie mit einer Grimasse bekannt.

Tja, ein Unglück kommt selten allein.