Dark Trust - Ich kann dich nicht lieben - Daniela Felbermayr - E-Book

Dark Trust - Ich kann dich nicht lieben E-Book

Daniela Felbermayr

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Beschreibung

Nach einem tragischen Unfall hat der Milliardär Sam Gilmore sich in seine Villa in den Hamptons zurückgezogen und nur noch Freude an zwei Dingen: Seine Mitmenschen um sich herum zu quälen und sich die Abende mit käuflicher Liebe zu vertreiben. Nachdem er seine gesamte Marketingabteilung aus einer Laune heraus gefeuert hat, steht er unter Zugzwang und stellt aus einer Notlage heraus die quirlige Avery Westwood ein, der er fortan das Leben zur Hölle macht. Knebelverträge, unzumutbare Arbeitszeiten, schier unbewältigbare Aufgaben und ein rauer Umgangston gehören zur Tagesordnung. Und als er erkennt, dass Avery zunächst unbeeindruckt von seinen Schikanen ist, erweckt das erst recht seinen Jagdinstinkt. Avery Westwood kann es kaum glauben. Gerade erst hat sie ihren alten Job verloren, da wird sie angeheuert, um das gesamte Marketing der landesweit operierenden Gilmore Group zu übernehmen. Eine Chance, wie man sie nur einmal im Leben bekommt. Das untrennbar mit dem Job allerdings auch ein Boss verbunden ist, der alles daran setzt, Avery zu brechen, kann sie ziemlich geschickt ausblenden. Doch als sie schließlich die persönliche Aufmerksamkeit ihres neuen Bosses auf sich zieht, ahnt sie nicht, auf welch gefährliches Spiel sie sich einlässt ...

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Copyright © 2019 Daniela Felbermayr

1. Auflage, 2019

Text & Titel: Daniela Felbermayr

Cover: www.rausch-gold.comCatrin Sommer,

unter der Verwendung von Shutterstock

Korrektorat: S.W. Korrekturen e.U.

All rights reserved.

 

 

 

www.danielafelbermayr.com

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Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. Personen und Handlungen aus diesem Roman sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit oder Bezüge zu real existieren Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen und Warenzeichen, die in diesem Buch vorkommen, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Besitzer.

 

Prolog

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Zwanzig

Einundzwanzig

Zweiundzwanzig

Dreiundzwanzig

Vierundzwanzig

Fünfundzwanzig

Epilog

LESEPROBE

Prolog

Eins

Zwei

Drei

MEHR VON DANIELA FELBERMAYR

Prolog

 

„Es war ein so toller Abend, Darling, findest du nicht?“

„Ich finde, wir sollten das viel öfters machen, nicht wahr, Kayleigh?“

„O ja, Daddy, das machen wir.“

„Wenn wir öfters zu Wendys Abendessen gehen und uns dann Nachtisch bei Arbys holen, nachdem wir uns im Kino mit Popcorn und Schokolade vollgestopft haben, werde ich bald aus allen Nähten platzen.“

„Und selbst dann würde ich dich immer noch lieben, meine bezaubernde Ehefrau.“

 

Er lenkte den Wagen vom Highway herunter auf die 76. Es würde noch eine ganze Weile dauern, bis sie auf ihrem Anwesen in den Hamptons angekommen waren, aber seit er beschlossen hatte, beruflich etwas kürzerzutreten und sich mehr seiner Familie zu widmen, war er generell entspannter. Er warf Mariah einen liebevollen Blick zu und sah dann im Rückspiegel Kayleigh an. Er war wirklich ein Glückspilz. Jeden einzigen Cent seines Vermögens hätte er für seine Familie gegeben. Und als Mariah ihm an diesem Morgen erzählt hatte, dass sie ein kleines Geschwisterchen für die vierjährige Kayleigh unter dem Herzen trug, hätte sein Glück nicht größer sein können.

 

Er legte seine Hand auf Mariahs Knie, die ihn verliebt ansah und mit ihren Fingerspitzen seine Finger berührte. Ein Lächeln zierte ihre Lippen. Sie wollte gerade etwas sagen, als das Innere des Wagens plötzlich wie aus dem Nichts mit einem gleißenden Licht erhellt wurde. Er versuchte, dem Wagen, der da völlig unkontrolliert auf sie zugerast kam, auszuweichen, anzuhalten, die Zeit zurückzudrehen, doch es war zu spät. Ein letzter Blick in den Rückspiegel auf Kayleigh, die eingeschlafen war, dann … ein Schrei. Und dann … Stille.

Eins

 

„Und du hast über Jolene White tatsächlich gesagt, dass sie aussieht wie ein Walross?“ Lucy sah ihre beste Freundin neugierig an.

„Natürlich nicht“, sagte Avery. Sie war völlig mit den Nerven am Ende. „Denkst du wirklich, ich würde über meine Arbeitgeber so etwas sagen? Jolene hat mich zum Einkaufen geschickt, weil sie diese Gummiwürmer wollte, die sie immer isst, seit sie schwanger ist. Und im Laden hab ich Daisy Sheperd getroffen, eine gute Freundin von Jolene. Sie fragte mich, wie es ihr geht und ob sie mit der Schwangerschaft gut zurechtkommt. Und ob man schon ein Bäuchlein erkennen kann. Ich sagte, wenn man genau hinguckt, erkennt man es. Daraus wurde – nachdem Daisy es Jennifer Hayworth, Kelly Becking und Lisa Holmes weitererzählt hat –: Ich hätte behauptet, sie sähe aus wie ein Walross und würde wohl Elefantenzwillinge zur Welt bringen.“„Nein, oder?“ Lucys Blick hatte jetzt von neugierig zu entgeistert gewechselt.

„Doch. Aber ich bin selbst schuld. Ich meine, ich habe sechs Monate für Jolene gearbeitet. Ich hätte wissen müssen, dass diese Societypüppchen gern stille Post spielen und Dinge oft verdrehen. Es war ja nicht das erste Mal, dass eine den anderen etwas weitererzählte und bei der vierten Empfängerin etwas völlig anderes herauskam. Ich hätte einfach meine Klappe halten können und sagen sollen, man erkennt nichts. Das ist echt so widerlich, Lucy. Ich habe mehr als einmal mitbekommen, wie die fünf gemütlich beim Kaffeekränzchen gesessen haben. Und kaum hat eine von ihnen den Raum verlassen, haben die anderen sich wie eine Furie auf sie gestürzt und sind so lange über sie hergezogen, bis sie den Raum wieder betreten hat. Danach waren sie beste Freundinnen, so lange, bis die nächste rausgegangen ist.“ Sie nahm einen großen Löffel Schokoladeneis und schob ihn sich in den Mund. An Tagen wie diesen half eben nur noch Schokolade. In allen möglichen Variationen.

 

Avery Westwood war vierunddreißig und hatte an der Columbia einen Abschluss in Betriebswirtschaft und Wirtschaftswissenschaften gemacht. Sie war Marketingspezialistin und hatte schon zahlreiche Kampagnen quer durch New York kreiert, die von großem Erfolg gekrönt waren. Sie hatte ihre eigene kleine, aber feine Werbeagentur, den Löwenanteil verdiente sie aber über die Aufträge, die Clive McGinney ihr verschaffte. Clive McGinney war ein Urgestein in New Yorks Wirtschaftssociety, hatte Connections zu den ganz Großen und brachte gute Werbeleute schon mal mit Auftraggebern in Verbindung. Bereits vor Jahren hatte sie bei der Agentur von Clive McGinney angeheuert. Durch seine Verbindungen hatte sie unter anderem Imagekampagnen für Schauspieler, Models und Sportler gelauncht, die von großem Erfolg gekrönt waren. Bislang waren Averys Jobs auch alle mehr oder weniger unproblematisch verlaufen. Meist, so hatte sie festgestellt, waren gerade die Kunden, die am einflussreichsten waren, am umgänglichsten. Und die, die im Vergleich zu den anderen eher „kleine Fische“ waren, waren mitunter so anstrengend, dass Avery schon oft kurz davorgestanden hatte, alles hinzuschmeißen. Doch der Auftrag, den sie bei Jolene White angenommen hatte, sollte alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen. Jolene White war eine vierzigjährige vulgäre Person gewesen, die sich – Gott allein wusste, wie – einen reichen Industriellen geangelt hatte. Hatte sie zunächst noch in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in der Bronx gelebt, die sie mit ihren vier Kindern bewohnte, war sie von einem Tag auf den nächsten mit Kind und Kegel bei Steve White, einem Produzenten von Wandfarbe, eingezogen. Was Steve, der eigentlich ein ganz normaler, netter Kerl gewesen war, an einer Frau wie Jolene fand, konnte niemand erklären. Man munkelte, dass sie beide vielleicht dieselben perversen Vorlieben im Bett hatten. In jedem Fall packte Jolene die Entwicklung einer Beziehung, die vielleicht ein, zwei Jahre einnahm, in ein, zwei Monate. Sie war zu Steve gezogen, hatte ihn geheiratet und war – um das Ganze noch zusätzlich abzusichern – von ihm schwanger geworden. Avery hatte man angeheuert, weil die Frau eines Industriellen natürlich auch zur Geschäftsfrau erhoben werden sollte. So hatte Jolene es sich in den Kopf gesetzt, ins Immobiliengeschäft einzusteigen. Steve hatte ihr etwas Startkapital zur Verfügung gestellt, mit dem sie ein paar Wohnungen und eine alte Farm in einem Vorort von Boston gekauft hatte. Was ihr fehlte, waren Kunden. Dass sie keine Kunden hatte, lag wiederum daran, dass sie menschlich absolut abstoßend war. Sie war beleidigend, vulgär, hochnäsig und … dumm. Avery sollte ihr Image aufpolieren und aus dem Elefanten im Porzellanladen eine eloquente Geschäftsfrau machen, die nicht nur kleine Appartements an Studenten vermietete, sondern irgendwann auch mit Villen und großen Anwesen handeln sollte. Außerdem war es ihr Auftrag, der neu gegründeten Firma von Jolene einen guten Ruf zu verpassen. Alles Dinge, die für Avery kein Problem darstellten. Sie hatte landesweite Kampagnen entwickelt, welche, die es bis nach Europa und Asien geschafft hatten. Einer One-Man-Show etwas Drive zu geben, um einen Sprung nach vorn zu machen, war eine ihrer leichtesten Übungen. Eigentlich.

 

Die Zusammenarbeit mit Jolene hatte sich denkbar schwierig gestaltet. Sie war launisch, schwer von Begriff und fühlte sich oftmals persönlich beleidigt. Außerdem ging sie davon aus, dass Personen, die sie eingestellt hatte, ihre Leibeigenen waren. In Avery hatte sie vielmehr eine persönliche Assistentin als eine Geschäftspartnerin gesehen. Dass Avery Jolenes Kinder von der Schule abholen, ihre Klamotten in die Reinigung bringen oder aber ihr irgendwelche Snacks holen musste, auf die sie jetzt und im Moment Appetit hatte, war keine Seltenheit. Jolene stellte Averys Kompetenz permanent infrage. Alles, was Avery ihr vorschlug, war Blödsinn und Mist und hatte keinen Sinn, nur, damit Jolene einen Tag später mit derselben Idee aufwarten und sie als ihre eigene verkaufen konnte. Einmal fragte sie Avery sogar, wie sie es geschafft hatte, einen Uniabschluss zu erhalten, weil man ihr eigentlich nicht ansah, dass sie jemals auch nur eine Universität betreten hatte. Avery schluckte den Ärger, den Jolene in ihr auslöste, hinunter und sagte sich, dass das nur die Hormone waren, die aus ihr sprachen. Die Schwangerschaftslaunen. Ihre Schwangerschaftslaunen sowie die vielen falschen Freundinnen, die in der Stadtvilla am Central Park, die die Whites nun bewohnten, ein und aus gingen, machten die Zusammenarbeit mit ihr nicht gerade einfacher. Und letztlich waren es auch diese Freundinnen gewesen, die aus einer Mücke einen Elefanten … nein, ein übergroßes, überdimensionales, fettes Mammut gemacht hatten, das schließlich ausschlaggebend dafür gewesen war, dass Avery nun ohne Job dastand.

 

„Ach, sei froh, die Alte hatte doch sowieso einen an der Klatsche, oder?“ Lucy nahm sich kein Blatt vor den Mund.

„Dennoch war ich auf den Job angewiesen. Ich meine, ich kenne Jolene und ihresgleichen. Wenn die es drauf anlegen, bekomme ich keinen Fuß mehr in die Tür in unserer Branche.“„Das tun die doch nicht. Die sind längst wieder damit beschäftigt, sich gegenseitig niederzumachen und sich ein neues Opfer zu suchen“, wiegelte Lucy ab.

„Da wär ich mir nicht so sicher“, sagte Avery. „Jolene ist boshaft. Du hättest sie hören müssen, wie sie mich angebrüllt hat. Sie hat mich noch nicht mal zu Wort kommen lassen und mich als dämliche, eifersüchtige Lügnerin bezeichnet, die auf ihr Leben neidisch ist. Als ob ich vier Kinder von vier Kerlen, einen übergewichtigen Ehemann und eine fünfte Schwangerschaft als erstrebenswert erachte.“ Sie verdrehte die Augen und Wut keimte in ihr auf. Sie hatte sich die vergangenen sechs Monate den Hintern für Jolene aufgerissen. Hatte nicht nur Tätigkeiten ausgeführt, die zu ihrem Job gehörten, sondern sie hatte Jolenes Kinder zur Schule gefahren, für sie Einkäufe und Besorgungen gemacht und ihr sogar in ihrer Freizeit Einladungen für ihre Babyparty gestaltet, obwohl sie selbst im sechsten Monat immer noch steif und fest behauptete, gar nicht schwanger zu sein. „Das ist jetzt aber auch boshaft.“ Lucy grinste und nahm einen Löffel Vanilleeis.

„Ist doch wahr“, ärgerte sich Avery. „Wenn sie es drauf anlegt, kann ich die Jobs vergessen, die ich durch Clive bekomme.“

„Clive weiß aber, dass du gut bist in dem, was du tust. Es gab noch nie Beschwerden über dich, ganz im Gegenteil.“„Trotzdem. Jolene hat haufenweise Kontakte. Wenn sie es drauf anlegt, erzählt sie rum, ich hätte hinter ihrem Rücken schlecht über sie geredet. Das wäre der Todesstoß für meine Reputation. Und Clive würde mich gar nicht mehr vermitteln können.“„Ach, mach dir keine Sorgen. Wie ich schon sagte, die ist bestimmt längst damit beschäftigt, irgendjemand anderem die Hölle heißzumachen, willst du wetten?“

„Dein Wort in Gottes Ohr“, sagte Avery und stocherte zerknirscht in ihrem Eis herum.

 

Avery sollte recht behalten. Zwei Wochen lang hatte sie nichts von Clive McGinney gehört. Nachdem Jolene sie gefeuert hatte, hatte der sie zwar noch einmal zu sich ins Büro gebeten, ihr aber deutlich zu verstehen gegeben, dass sie in nächster Zeit nicht damit zu rechnen hatte, Jobs vermittelt zu bekommen. Jolene hatte natürlich ganze Arbeit geleistet. Nicht nur sie hatte sich bei Clive massiv über Avery beschwert, auch ihr Mann, Steve, hatte ihm einen Besuch im Büro abgestattet und sich lang und breit darüber ausgelassen, dass seine Mitarbeiterin seine Frau schlecht behandelt hatte und er doch wenigstens davon ausging, dass Clive dafür sorgte, dass „diese inkompetente, neidische Person“ so schnell nicht wieder auf Kunden losgelassen wurde.

„Mir sind da die Hände gebunden, Avery“, hatte Clive gesagt und Avery hatte bemerkt, wie er mit sich selbst gerungen hatte. „Aber wenn die Runde macht, dass die Leute, die ich vermittle, schlecht über unsere Kunden reden, dann wars das für meine Agentur.“

„Aber ich habe nicht …“, begann Avery, brach dann aber ab. Sie hatte in den vergangenen Tagen, seit sie gekündigt worden war, mehrfach versucht, Clive klarzumachen, dass sie Jolene White niemals als Walross bezeichnet hatte, das Elefantenbabys gebären würde. Doch es hatte keinen Zweck. Vermutlich würde sie so oder so warten müssen, bis Gras über die Sache gewachsen war. Sie würde hoffen müssen, dass die paar Kunden, mit denen sie über ihre eigene Agentur an Projekten arbeitete, nicht auch spitzkriegten, dass sie in der New Yorker Upper Class gerade die Persona non grata war, und hoffen, dass Clive sie in ein paar Monaten doch wieder anheuerte. Große, finanzielle Sprünge würde sie so zwar keine machen können, aber sie hatte noch einige Ersparnisse, die sie strecken konnte.

 

An diesem Montagmorgen hatte Avery nichts zu tun. Es war wirklich schwierig, nur von den paar kleinen Aufträgen zu leben, die sie über ihre Agentur laufen hatte. Bislang hatte sie es so gehandhabt, dass sie die großen Fische über Clive abwickelte. Über ihre private Agentur konnte sie den Kunden kleinere, maßgeschneidertere und viel preisgünstigere Kampagnen anbieten und somit auch einen Markt abdecken, der für Clive gar nicht sichtbar war. Andererseits reichte das, was sie darüber einnahm, noch nicht einmal wirklich zum Leben. Sie war sich sicher, dass Jolene White ihr auch hier einen Strick gedreht hatte, denn in den letzten Tagen waren ihr gleich sieben Kunden abgesprungen. Sogar die nette Dame, für deren Hundefriseursalon sie eine Zeitungskampagne und einen Imageartikel erstellen sollte, hatte ihr in einer kurzen E-Mail mitgeteilt, dass sie an ihren Diensten nicht mehr interessiert war. Am Vorabend hatte sie bereits Stellenanzeigen gewälzt. Wenn sich ihre finanzielle Lage nicht bald entspannte, würde sie irgendwo kellnern gehen müssen … so bitter, wie das für sie dann auch war. Es war ein schreckliches Gefühl, der Situation so ausgeliefert zu sein und praktisch nicht zu wissen, wann beziehungsweise ob überhaupt jemals Entspannung eintrat. Als ihr Handy klingelte, glaubte sie zuerst, ein weiterer Kunde würde ihr abspringen. Sie bekam es tatsächlich schon fast mit der Angst zu tun, jedes Mal, wenn das Telefon sich meldete, und ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus, praktisch als Vorläufer für die bevorstehende Hiobsbotschaft. Als es dieses Mal jedoch einen Anruf von Clive vermeldete, begann ihr Herz einen Takt schneller zu schlagen.

„Clive, so eine Überraschung“, sagte sie, als sie das Gespräch annahm.

„Hey, Avery, wie geht es dir?“

Avery seufzte. „Es ist … schwierig“, gab sie ehrlich zu. „Ich weiß nicht, wie lange ich mich noch über Wasser halten kann, wenn ich nicht bald wieder einen richtigen Job ergattere.“ Erst jetzt fiel ihr ein, dass Clive auch gut und gerne angerufen haben könnte, um ihr mitzuteilen, dass er die Zusammenarbeit mit ihr generell auflösen wollte. Das mulmige Gefühl kehrte in ihre Magengegend zurück.

„Dann habe ich gute Neuigkeiten für dich“, sagte der Agent, „es ist gerade eine Stelle frei geworden. Es ist ein großartiger, lukrativer Job. Wenn auch etwas knifflig.“

Avery klemmte sich ihr Handy zwischen Wange und Schulter ein und ging zu dem Arbeitsbereich am Fenster, von dem aus sie ihren gesamten Papierkram erledigte. Sie fischte sich einen Notizblock und einen Bleistift heran, um sich Notizen machen zu können. Egal, was Clive ihr jetzt anbot, sie würde zuschlagen. „Schieß los“, sagte sie. Ihr war klar, dass sie jeden Job annehmen würde. Selbst dann, wenn man sie als persönlichen Arschabwischer für Kim Jong Un einstellen wollen würde.

„Also … ich brauche einen Art Director für einen sehr besonderen Kunden“, sagte Clive. „Es handelt sich bei dem Mann um Sam Gilmore.“ Er machte eine Pause, vermutlich um abzuchecken, ob Avery wusste, wer das war.

„Sam Gilmore? Ist das nicht dieser Kerl mit der Software?“ Natürlich war Sam Gilmore Avery ein Begriff. Er war ein Softwaremagnat und hatte sein Vermögen mit einem Verschlüsselungssystem für Daten gemacht, soweit Avery wusste.

„Sam Gilmore ist ein Milliardär. Er hat sein Vermögen in den Neunzigerjahren mit Software gemacht. Hat ein Programm entwickelt, das sensible Daten auf eine Art und Weise verschlüsselt, sodass sie von keinem Hacker der Welt oder von keinem Schadprogramm, das es gibt, entschlüsselt werden können. Du kannst dir vorstellen, dass die größten Konzerne der Welt bei Gilmore auf der Matte stehen.“

„Ich weiß, der Name sagt mir etwas“, sagte Avery. Ihr Herz raste. Clive wollte ihr tatsächlich einen Job bei Sam Gilmore anbieten? Wenn das wirklich der Wahrheit entsprach, dann waren ihre finanziellen Sorgen auf einen Schlag Geschichte. Und nicht nur das. Für ein Unternehmen wie die Gilmore Group arbeiten zu können, war grandios. Vielleicht würde sie eine Dauerstelle angeboten bekommen oder … Sie hörte auf, ihre Gedanken zu überschlagen, und hörte Clive weiterhin zu.

„Jedenfalls … Sam Gilmore ist einundvierzig. Er ist … beziehungsweise er WAR extrem sportlich, Hobbypilot, Skydiver und Sporttaucher, Rennfahrer. Vor zwei Jahren kam es auf der Rückfahrt von einem Restaurant nach Hause zu einem schweren Unfall. Ein Betrunkener hat damals den Wagen von Sam Gilmore mit voller Wucht frontal gerammt. Der Unfalllenker war auf der Stelle tot. Und …“, Clive machte eine Pause, „Sams Ehefrau und seine Tochter ebenfalls.“

„O nein“, sagte Avery leise. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, wie viel Leid der Mann hatte ertragen müssen, erinnerte sich aber daran, dass der Unfall vor zwei Jahren durch die Medien gegangen war. Für einige Tage berichteten Zeitungen und Fernsehsender von nichts anderem, doch langsam, aber sicher hatten sich auch die hartnäckigsten Medien wieder dem Alltag – und den weniger dramatischen Dingen, wie etwa, dass Kim Kardashians Po mittlerweile noch enormere Ausmaße angenommen hatte – gewidmet.

„Sam selbst kam – vermutlich aufgrund seiner sehr guten körperlichen Konstitution – mit dem Leben davon. Er lag mehrere Wochen im Koma, hatte zahlreiche Knochenbrüche und ist einem totalen Organversagen nur knapp entronnen. Er war fast ein halbes Jahr völlig außer Gefecht und hat sich langsam und mühselig wieder zurück ins Leben gekämpft.“

„Das kann ich mir vorstellen“, sagte Avery. Was er in seiner Situation jedoch mit einem Art Director anfangen sollte, erschloss sich ihr noch nicht.

„Es ist nun so“, fuhr Clive fort, „dass Sam seit dem Unfall nicht mehr derselbe Mensch ist, der er einmal gewesen war. Er ist … ziemlich schwierig. Unnahbar und gemein. Der Unfall hat ihn verändert, und das kann man ihm nicht übel nehmen. Seine Mitarbeiter haben jedenfalls sehr unter ihm zu leiden. Er hat die gesamte Marketingabteilung seines Konzerns gefeuert, und da kommst du ins Spiel.“

Avery schwante Böses. „Er hat … die gesamte Marketingabteilung gefeuert? Einfach so?“, fragte sie.

„Mehr oder weniger aus einer Laune heraus, ja“, sagte Clive. „Sam Gilmore möchte sein Konzernmarketing auf völlig neue Beine stellen. Während der beiden Jahre, in dem er abwesend war, sind die Dinge nicht so gelaufen, wie er es sich vorgestellt hat. Er ist nun auf der Suche nach einem Art Director, der das gesamte Marketing evaluiert und neu aufstellt.“

„Sam Gilmore führt einen Weltkonzern. Ihm ist doch klar, dass das unmöglich von einer Person zu bewältigen ist“, sagte Avery. In der Stellenbeschreibung, die Clive ihr gerade vorbetete, hörte es sich nahezu nach Kindergeburtstag an, eine Marketingstrategie für einen Konzern wie die Gilmore Group zu entwerfen und zu launchen. Clive seufzte.

„Dass er ziemlich schwierig ist, hatte ich bereits erwähnt?“, fragte er. „Er ist …“, begann Clive und suchte nach dem richtigen Wort, „… im Moment auf Menschen nicht sehr gut zu sprechen. Um es kurz zu machen – er ist ein Arschloch, und mit ihm darüber zu diskutieren, ob es einer einzelnen Person in sechs Monaten gelingt, sein Marketing neu aufzustellen, ist schier unmöglich. Sam ist ein guter Kunde, ich verdiene so einiges an ihm übers Jahr. Ich möchte ihn nicht vergrämen. Erst recht nicht in Zeiten wie diesen.“

„Okay.“

„Und ich meine das auch so, wie ich es sage, Avery. Du bist nicht die Erste, die ich für den Job in Betracht ziehe, aber in den letzten fünf Monaten hat Sam Gilmore zwölf Werbefachleute verschlissen. Ganz große Namen, keine Anfänger. Er ist … rüde, ungehobelt und gemein. Er ist ein richtiges Ekel. Und es gibt eine Menge Auflagen, die du einhalten musst, wenn du dich auf die Sache einlässt. Er ist aber der Einzige, der es mit dir versuchen will nach dem, was du dir mit Jolene White geleistet hast. Ich musste ihm im Vorfeld natürlich von dem Vorfall berichten. Es ist ihm egal.“

Avery seufzte. Clive stellte es immer noch so dar, als habe sie Jolene tatsächlich beleidigt. Auch nach einigen Wochen hatte sich nichts daran geändert, dass sie niemals ein schlechtes Wort über ihre ehemalige Chefin verloren hatte. Sie schluckte ihren Ärger darüber runter. „Na ja, nach allem, was er durchgemacht hat, kann man ihm kaum verübeln, dass er dem Leben etwas skeptisch gegenübersteht und nicht gerade ein Sonnenschein in Person ist“, sagte Avery.

„Traust du dir zu, mit ihm zu arbeiten? Es wenigstens zu versuchen?“, fragte Clive. Er wirkte fast wie ein Bittsteller. Kein Wunder, wenn es ihm in den letzten fünf Monaten nicht gelungen war, Sam Gilmore einen passenden Werbemenschen zu präsentieren.

„Selbstverständlich.“ Avery antwortete wie aus der Pistole geschossen. Sie hatte gar keine andere Wahl, als diesen Job anzunehmen, egal, wie daneben sich ihr Kunde benahm.

„Es wird … ein heftiges Stück Arbeit werden“, sagte Clive, und Avery hatte den Eindruck, als würde er versuchen, ihr den Job auszureden. „Und die Chance, dass du den ersten Tag nicht überstehst, weil Gilmore dich gleich wieder feuert, ist ziemlich groß.“

„Ich mach es, Clive, egal, wie schwer es wird.“

„Gut. Wenn du es schaffst, zu seiner vollsten Zufriedenheit zu arbeiten, hast du das große Los gezogen. Der Job ist nämlich mit einer exzellenten Bezahlung dotiert“, fuhr Clive fort. „Allerdings wirst du auf dem Anwesen von Mr. Gilmore wohnen. Er möchte nicht, dass irgendwelche Informationen sein Haus verlassen, was die neue Kampagne betrifft. Und er will auch nicht, dass du zu sehr ins Fahrwasser der Mitarbeiter gerätst, mit denen Sam gerade am Kämpfen ist. Du wirst auch eine Verschwiegenheitsvereinbarung unterzeichnen müssen.“

„Das ist nichts Ungewöhnliches“, sagte Avery.

„Diese Verschwiegenheitserklärung schon. Wenn du dagegen verstößt, wirst du zu einer Zahlung von einhundertundfünfzigtausend Dollar verpflichtet. Allein das schreckt viele potenzielle Personen ab, die ich mir für den Job vorstellen könnte.“

„Einhundertfünfzig Riesen. Wow.“ Avery schüttelte den Kopf. Dieser Gilmore musste wirklich nicht mehr alle Tassen im Schrank haben. Kein Dienstgeber verlangte von seinen Angestellten, eine Verschwiegenheitserklärung in diesem Ausmaß zu unterzeichnen. Vermutlich eine reine Schikane, um einen Großteil der Bewerber abzuschrecken. Die Spreu vom Weizen zu trennen. Und den Rest, der sich der Sache gewachsen fühlte, einzuschüchtern und Macht zu demonstrieren. Ihr war es jedoch nur recht. Wenn Sam Gilmore es verlangte, würde sie sogar ihre Seele dem Teufel als Pfand anbieten, so sehr war sie auf diesen Job angewiesen.

„Ich frage dich nun ein letztes Mal, Avery, bist du dir sicher, dass du diesen Job annehmen möchtest?“

„Ja, natürlich. Herrgott noch mal.“ Sie verzichtete darauf, Clive mitzuteilen, dass sie gar keine andere Wahl hatte und knapp davor gewesen war, sich als Servierdame in einem Stripclub zu bewerben.

„Ich will das nur geklärt haben. Sam Gilmore hat schon ganz andere Kaliber an den Rande des Wahnsinns getrieben. Er ist … wirklich extrem schwierig. Unter uns würde ich ihn als richtiges Arschloch bezeichnen.“

„Das sagtest du schon.“

„Also … kann ich dich einplanen.“

„Ja, das kannst du. Danke, Clive.“

„Gut. Meine Sekretärin wird dir den Arbeitsvertrag und die Verschwiegenheitserklärung per Mail zukommen lassen. Ich brauche sie bis heute Abend um fünf Uhr unterschrieben zurück. Dienstbeginn ist morgen früh, neun Uhr. Pack einiges an Zeug ein, Gilmore möchte dich die ganze Woche über auf dem Anwesen haben.“

„Klingt perfekt“, sagte Avery. Sie legte auf und hatte das Gefühl, dass Fortuna ihr nun endlich wieder hold war.

 

 

Zwei

 

Avery war bester Dinge, als sie am nächsten Tag im Zug nach Southampton saß. Sie hatte einen Koffer dabei, in den sie so ziemlich alles gepackt hatte, was sie auch mitnehmen würde, würde sie eine mehrmonatige Reise nach Übersee antreten. Nachdem Clive ihr den Job zugesagt hatte, hatte er ihr den Arbeitsvertrag gemailt, und der hatte es tatsächlich in sich gehabt. In ihrer ganzen Zeit als Art Directorin hatte sie noch nie so viel verdient wie bei dem Job bei Sam Gilmore – wenn es überhaupt zu einer Zusammenarbeit mit ihm kam. Allerdings war er auch – wie Clive bereits erwähnt hatte – mit einigen heftigen Auflagen verbunden. So musste Avery die ganze Zeit über, in der sie für Sam arbeitete, auf dessen Anwesen leben. Es wurde ihr ein separater Wohn- und Arbeitsbereich im „Westflügel“ zugeteilt, und sie musste Sam Gilmore von sieben Uhr morgens bis fünf Uhr abends durchgehend zur Verfügung stehen. Er hatte einen Plan erstellt, der genau festlegte, wann sie welche Arbeiten erledigt haben sollte. So sollte sie zunächst das komplette Marketing des Konzerns seit seinem Bestehen evaluieren und auf neue Beine stellen. Sam Gilmore würde ihr alle notwendigen Informationen und Unterlagen zur Verfügung stellen. Jeden Freitag gab es ein Meeting, bei dem sie ihre Fortschritte offenlegen sollte. Sie hatte von Montag bis Samstag zu arbeiten und erhielt einen satten Bonus dafür, dass sie ihr Wochenende seinetwegen abkürzte. In den sechs Monaten, die ihr Vertrag zunächst lief, verzichtete sie darauf, einen Urlaubstag zu nehmen. Es war ihr gestattet, Sonntag auf Montag nicht auf dem Anwesen zu nächtigen. Ihr Dienst begann jedoch am Montag um sieben Uhr früh – sollte sie auch nur eine Minute zu spät erscheinen, würde der Vertrag mit sofortiger Wirkung und unwiderruflich aufgelöst sein.

 

Als sie mit Lucy über die Vertragsbedingungen gesprochen hatte, hatte die ihren Mund vor lauter Entsetzen gar nicht mehr zubekommen. Und ja, die Auflagen, die Sam Gilmore an seine Angestellten stellte, waren wirklich ein starkes Stück. Doch Avery hatte gar keine andere Wahl, als den Job anzunehmen. Zunächst wurde er mit fünfzehntausend Dollar im Monat vergütet. Fünfzehntausend Dollar. Geld, das ihr ohnehin marodes Bankkonto gut gebrauchen konnte. Und dann … wenn sie jemals wieder einen Fuß als Kreative auf den Boden bekommen wollte, dann durfte sie jetzt sowieso nicht wählerisch sein. Dieser Job war ihre einzige Chance, und sie war sich sicher, diese Chance zu nutzen. Natürlich war auch ihr bewusst, dass der Job nur darauf ausgelegt war, sie ins offene Messer laufen zu lassen. Kampagnen für Firmen, die viel kleiner waren als Sam Gilmores Softwarekonzern, brauchten oft deutlich länger als sechs Monate, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Das komplette Marketing eines weltweit agierenden Konzerns neu aufzubauen, würde in weniger als zwei Jahren nicht möglich sein. Doch für den Moment zählte nur, dass Avery einen Job hatte. Selbst wenn sie es nur einen oder zwei Monate durchhielt, konnte sie sich ein ordentliches finanzielles Polster anlegen, das ihr im Augenblick mehr als nur recht kam. Wie sich alles Weitere gestaltete, würde sich in den kommenden Wochen zeigen.

 

Es war kurz vor zehn Uhr morgens, als sie aus dem Taxi stieg, das sie zu einem großen, parkähnlichen Anwesen gebracht hatte. Das Anwesen hätte gut und gerne ein hochherrschaftlicher Landsitz sein können. Oder eines dieser Anwesen, auf denen Hochzeiten abgehalten wurden. Dass hier nur ein Mann leben sollte, ganz allein, schien Avery fast etwas befremdlich. Doch all das, was sie bisher über Sam Gilmore gehört hatte, passte genau zu dem verschrobenen, jähzornigen Kerl, den sie hier erwartete.

 

Sie zog ihren übergroßen Koffer die Zufahrt hoch und hievte ihn die Treppen hinauf, bis sie vor einem großen Eingangsportal stand. Sie hatte keine Idee, wer oder was sie hier erwartete, und zum ersten Mal, seit Clive sie am Vortag angerufen hatte, war ihr mulmig zumute. Vielleicht hatte sie sich mit dem Job doch etwas übernommen? Was, wenn Sam Gilmore wirklich so ein Arschloch war, wie Clive es dargestellt hatte? Und wenn der Typ gestandenen Kreativdirektoren aus dem ganzen Land das Fürchten gelehrt hatte, warum sollte es dann bei ihr anders sein? Okay, sie war gut in dem, was sie tat. Aber ein Unternehmen wie das von Sam Gilmore war in der Größenordnung das erste, das sie betreute. Das Anwesen wirkte irgendwie Furcht einflößend, wie es sich vor ihr erhob, und etwas in ihr sagte ihr, dass es möglicherweise ein Fehler gewesen war, den Job anzunehmen. Doch was für eine Wahl hatte sie schon gehabt. Ihr war bewusst, dass es das mit ihrer Karriere gewesen war, wenn sie diesen Auftrag jetzt in den Sand setzte. Dass sie es verdammt schwer hatte, nur von ihrer kleinen Agentur mit einer Handvoll Minikunden zu leben, hatte sie in den letzten Wochen ja deutlich zu spüren bekommen. Also atmete sie einmal tief durch, straffte ihrer Schultern und drückte den Klingelknopf.

 

Es dauerte nicht lange, bis die Tür geöffnet wurde. Ein Butler in schwarzem Frack stand vor ihr und sah sie aus freundlichen Augen an. „Miss Westwood?“, fragte er.

„Richtig, Avery Westwood“, sagte Avery und streckte dem Mann ihre Hand entgegen, der sie ergriff. Ein Stein fiel ihr vom Herzen. Der Butler schien schon einmal nett zu sein. Dumm nur, dass er nicht ihr zukünftiger Boss sein würde.

„Schön, dass Sie bei uns sind. Mr. Gilmore erwartet Sie bereits. Bitte kommen Sie herein.“

Avery betrat das Haus und fand sich in einer riesig großen, hellen Eingangshalle wieder. In diese Eingangshalle hätte man ihr Appartement vermutlich dreimal installieren können. Der Boden war mit Kacheln aus weißem und schwarzem Marmor ausgelegt, in der Mitte befand sich ein Brunnen und hinter dem Brunnen führte eine breite Treppe in den oberen Stock. Links von Avery führte ein breiter Gang vermutlich in den Ostflügel, rechts von ihr erblickte sie ein geräumiges Wohnzimmer mit Wintergarten. Sie musste sich zusammennehmen, um nicht ins Schwärmen zu geraten, und die Aussicht, in den kommenden Wochen hier leben und arbeiten zu dürfen, fühlte sich gut an. Das mulmige Gefühl, das sie vorhin gehabt hatte, hatte sich vollkommen verflüchtigt.

„Beeindruckend“, sagte sie, als sie ihren Blick das erste Mal über den Eingangsbereich hatte schweifen lassen.

„Ja, das ist es in der Tat“, sagte der Butler. „Sobald Sie Ihr erstes Gespräch mit Mr. Gilmore beendet haben, ist es meine Aufgabe, Ihnen das Haus sowie das gesamte Anwesen zu zeigen. Ihr Gepäck bringe ich sofort in Ihren Ankleideraum. Aber zunächst sollten wir Mr. Gilmore aufsuchen, wir wollen ihn nicht warten lassen.“

Der Butler ging voraus und Avery folgte ihm. Hatte der Mann soeben tatsächlich etwas von einem Ankleideraum gesagt? Sie wagte gar nicht, noch einmal nachzufragen. Jetzt war sie erst einmal auf Sam Gilmore gespannt. Natürlich hatte sie es sich am Vorabend nicht nehmen lassen, ihn zu googeln. Clive hatte nicht übertrieben. Sam Gilmore war ein Bild von einem Mann und ein Selfmade-Milliardär. Er war in ganz einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Sein Vater war Buchhalter gewesen und seine Mutter Krankenschwester. Schon in frühester Kindheit hatte er sich für Computer interessiert, sie zerlegt, wieder zusammengebaut und wollte ganz genau wissen, was es damit auf sich hatte. Mit zwölf schrieb er sein erstes Programm, und mit sechzehn entwickelte er dann den Vorläufer der Software, mit der er den Durchbruch geschafft hatte. Mit vierundzwanzig hatte er seine Highschool-Liebe Mariah Davis geheiratet, vor sechs Jahren hatten sie eine Tochter, Kayleigh, bekommen. Sam und Mariah führten eine Vorzeige-Ehe, obwohl es genügend Frauen gab, die um seine Gunst buhlten. Sam Gilmore war ein Mann völlig ohne Skandale. Er brachte seine Tochter in den Kindergarten, unterhielt sich mit anderen Vätern und Müttern und vermittelte nicht den Eindruck, dass er zu den reichsten Menschen des Landes gehörte. Selbstverständlich hatte Avery auch über den Unfall gelesen. Ein Mann namens Kyle Potter, stadtbekannter Trunkenbold und Junkie, hatte an jenem Abend in einer Kneipe die Zeche geprellt und war – mit fast vier Promille – genau die Straße entlanggerast, die Sam genommen hatte, um mit seiner Familie nach einem Abend im Kino zurück nach Hause zu fahren. Wie schwer Sams Verletzungen tatsächlich gewesen waren, darüber schwieg sich selbst die Presse aus. Immer wieder hatten Reporter versucht, herauszubekommen, wie es um seine Gesundheit stand, doch das Krankenhauspersonal und Sams eigene Mitarbeiter sowie seine Familie hatten ihn so weit abgeschirmt, dass seither keinerlei Infos mehr an die Öffentlichkeit gedrungen waren. Avery selbst hatte natürlich ebenfalls eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen müssen. Und sich dazu verpflichtet, eine Strafe von einhundertfünfzigtausend Dollar zu leisten, sollte sie auch nur ein Wort über Sams aktuellen Zustand oder etwas anderes, was mit Sam persönlich oder mit der Firma zu tun hatte, an die Öffentlichkeit dringen lassen.

 

Der Butler hielt vor einer doppelflügeligen, weißen Tür und klopfte an. Er öffnete sie, meldete Avery an und bedeutete ihr, einzutreten. Sie atmete einmal tief durch und straffte ihre Schultern. Sie hatte keine Idee, was sie jetzt erwarten würde. Als sie eintrat, fand sie sich in einem großen, opulenten Büro wieder, das im Kolonialstil eingerichtet war. Bodentiefe Fenster waren in der rechten Seite des Raumes eingelassen, während die linke zahlreiche Bücherregale beherbergte. Im hinteren Bereich gab es ein Erkerfenster und davor stand ein großer, nussholzfarbener Schreibtisch mit einer Bankierslampe darauf und einem Mac, der so fehl am Platze wirkte, wie er nur sein konnte. Der Raum erinnerte sie ein ganz kleines bisschen an das Oval Office im Weißen Haus. Der Mann, der hinter dem Tisch gesessen hatte, erhob sich, als Avery eintrat, und als sie Sam Gilmore das erste Mal erblickte, spürte sie ein Kribbeln in ihrem Bauch. Natürlich hatte sie es sich nicht nehmen lassen, ihn zu googeln, nachdem Clive ihr von dem Job erzählt hatte. Er zeigte sich als erfolgreicher, sportlicher Businessmensch, top gestylt und immer mit einem Lächeln auf den Lippen. Er war hünenhaft groß, bestimmt über eins neunzig. Seine Augen waren blitzend grün und so hell und leuchtend, dass sie ihr sogar jetzt auffielen, wo er sich am anderen Ende eines ziemlich großen Raumes befand. Sein Haar war dunkelbraun und kurz, und der Friseur, der sie ihm geschnitten hatte, musste bestimmt ein Vermögen dafür verlangt haben. Er trug Jeans und einen dunkelblauen Pullover, darunter hatte er ein hellblaues Hemd angezogen. Es war wirklich unglaublich, was für eine Wirkung Sam auf Avery hatte. Ihr wurde kurz schwarz vor Augen, und sie bemerkte, dass sie vergessen hatte, zu atmen. Wie idiotisch verhielt sie sich eigentlich gerade? Sam Gilmore war ein Bild von einem Mann, und er sah genauso großartig aus wie auf den Fotos, die sie von ihm im Internet gesehen hatte. Mit einem kleinen, aber feinen Unterschied: Auf den Bildern, die sie von ihm gesehen hatte, hatte er immer ein breites Lächeln auf den Lippen. Er kam unglaublich nett und sympathisch rüber, wirkte herzlich und offen. Der Mann, der ihr jetzt gegenüberstand, sah wie der böse Zwilling von dem Typen aus dem Internet aus. Abschätzig sah er Avery von oben bis unten an. Eine tiefe Falte hatte sich zwischen seinen Augen gebildet.

„Sie sind zu spät“, sagte er schroff. „Ich hasse es, wenn meine Mitarbeiter zu spät sind. Betrachten Sie dies als Ihre erste Abmahnung. Kommt das noch einmal vor, sind Sie gefeuert.“

Avery fühlte sich wie ein kleines Mädchen, das etwas ausgefressen hatte. Sie spürte, wie Schamesröte ihr ins Gesicht stieg. Es war neun Uhr vereinbart gewesen. Ihr Blick fiel auf die Uhr, die an der Wand hinter Sams Schreibtisch hing. Zwei Minuten vor neun.

„Es tut mir leid, Mr. Gilmore, aber wir hatten neun Uhr vereinbart. Und … es ist jetzt gerade mal zwei Minuten vor neun.“

Sam, der mittlerweile wieder Platz genommen hatte, sah sie fast feindselig an.

„Ich mag es überhaupt nicht, wenn mein Personal mir widerspricht, Miss Westwood“, sagte er, wobei er ihren Namen extra betonte. „Und für die Zukunft können Sie sich merken, dass ich von meinem Personal erwarte, dass es fünfzehn Minuten vor dem vereinbarten Zeitpunkt eintrifft. Es hat etwas mit Charakter zu tun, ob man pünktlich ist oder nicht. Oder in Ihrem Fall, dass Sie wohl keinen Charakter besitzen.“

Avery versuchte, ihre Emotionen unter Kontrolle zu halten. Dieser Typ war doch nicht ganz dicht. Und wie abfällig er sich über seine Mitarbeiter unterhielt. „Das Personal.“ Seine Mitarbeiter waren also so minder, dass er sie als Neutrum ansprach. Clive hatte recht gehabt. Er war ein Arschloch, das war Avery bereits nach wenigen Augenblicken in Sams Gegenwart bewusst.

„Wollen Sie dort Wurzeln schlagen oder setzen Sie sich nun endlich, nachdem Sie meinen Zeitplan ohnehin schon durcheinandergebracht haben?“, herrschte er sie an. Avery hätte am liebsten kehrt gemacht und den Job geschmissen. Doch sie wusste, wenn sie jetzt den Schwanz einzog, dann war es das mit ihrer Karriere als Art Directorin. Dann konnte sie sich wirklich einen Job als Kellnerin in einem drittklassigen Stripschuppen oder so suchen. Sie atmete einmal tief durch und ging auf den Schreibtisch zu, der ihr mit einem Mal genauso Respekt einflößend vorkam wie ihr neuer Boss.

„Es tut mir sehr leid, dass ich mich verspätet habe, Mr. Gilmore“, sagte Avery nun in geschäftsmäßigem Ton. „Es wird selbstverständlich nicht mehr vorkommen.“

„Das will ich auch hoffen“, murmelte Sam und sah sie wieder von oben bis unten an. Es war Avery fast unangenehm, wie er sie taxierte.

„Clive sagte mir, Sie seien eine der Besten in Ihrem Job“, fuhr er dann fort. „Darauf bilden Sie sich aber bitte nichts ein. Ich habe besondere Ansprüche an mein Personal. Und nur, weil Sie glauben, etwas draufzuhaben, heißt das noch lange nicht, dass ich das genauso sehe. Sie haben den Arbeitsvertrag gelesen, den Ihnen Clive hat zukommen lassen?

---ENDE DER LESEPROBE---