Das Böse im Viererpack - Juergen von Rehberg - E-Book

Das Böse im Viererpack E-Book

Juergen von Rehberg

0,0

Beschreibung

Der Autor hat vier von seinen bisher erschienenen Kriminalromanen in einem Band zusammengefasst. Brutale Morde an den verschiedensten Schauplätzen versprechen Spannung pur auf insgesamt 448 Seiten. Commissario Schneiderhahn Der Blinde Spiegel Der Dreieck-Schlitzer Der Pate unter dem Olivenbaum

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 337

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis:

Commissario Schneiderhahn

Der blinde Spiegel

Der Dreieck-Schlitzer

Der Pate unter dem Olivenbaum

Commissario Schneiderhahn

„Wir haben einen Mord, Commissario.“

Commissario Gallo schaute weiter in seine „Gazzetta dello Sport“ und antwortete, ohne den Blick von seiner Zeitung zu wenden:

„Was sagst du dazu, Rossi; Lazio hat schon wieder verloren.“

Ispettore Giuseppe Rossi schaute seinen Chef verständnislos an und sagte:

„Haben Sie nicht gehört, Commissario, es gibt einen Mord.“

„Wo?“, kam die lapidare Antwort des Commissario, der noch immer nicht seinen Blick von den Sportnachrichten abwandte.

„In der Villa d’Este“, antwortete Ispettore Rossi.

„In der Villa d’Este?“, sagte der Commissario mit Erstaunen in seiner Stimme.

Der Ispettore nickte.

„Das ist doch nichts für uns“, sagte Commissario Gallo vorwurfsvoll, „da sollen sich gefälligst die Kollegen in Tivoli darum kümmern.“

„Nein, Commissario“, entgegnete Ispettore Rossi etwas kleinlaut und fügte eiligst hinzu:

„Der Vice Questore will, dass wir das machen.“

„Wir?“, fragte der Commissario, und er verbarg dabei ein kleines Lächeln, als er sah, wie Rossi leicht zusammenzuckte. Er mochte diesen Mann. Er war zwar nicht die hellste Kerze auf der Torte, aber er war fleißig und loyal, zwei Eigenschaften, welche der Commissario sehr schätzte.

„Ich meine natürlich Sie“, beeilte sich Ispettore Rossi das gerade Gesagte zu korrigieren.

„Nein, nein, mein Lieber“, erwiderte der Commissario, „Sie haben völlig recht; schließlich sind wir ja ein Team. Und ein gutes noch dazu; nichtwahr?“

„Ein sehr gutes, Commissario“, bekräftigte Rossi die Worte seines Chefs, und ein wohliges Lächeln zauberte sich auf sein Gesicht.

„Dann werde ich wohl jetzt besser „Il Cantante“ aufsuchen“, sagte Commissario Gallo und faltete die Zeitung zusammen.

In der Questura waren Spitznamen keine Seltenheit. Den Vice Questore Celentano nannten alle nur den „Sänger“, weil sein Name an Adriano Celentano erinnerte, der mit „Azzuro“ im Jahr 1968 einen mega Hit landete.

Und auch Commissario Gallo war ein Fantasiegebilde. Geboren und getauft wurde er als Peter Schneiderhahn in einem kleinen Dorf in der Nähe von Frankfurt.

Als 1972 das berühmte „Carosello storico“ in Frankfurt gastierte, verliebte er sich unsterblich in eine Signorina Bianca Esposito. Sie war Mitglied im „4. Reggimento carabinieri a cavallo“ und eine rechte Augenweide.

Das „Carosello storico“ ist ein Kavallerie-Regiment in Bataillonsstärke der Carabinieri, einer militärischen Polizeitruppe Italiens. Das Regiment hat seinen Sitz in der Caserma Salvo D’Acquisto im Stadtteil Tor di Quinto im Norden von Rom (Municipio XV), nahe der gleichnamigen Pferderennbahn.

Dieses als „Historisches Karussell der Carabinieri“ bezeichnete Formationsreiten ist auch eine Reminiszenz an die mittelalterlichen Ritterturniere, unter anderem an das Duell von Barletta. Im weitesten Sinn kann es auch mit Kunstflug verglichen werden. In Rom wird es vom Regiment in der Regel in der Villa Borghese an der Piazza di Siena vorgeführt. Dort fand es am 3. Mai 1883 anlässlich der Hochzeit von Thomas von Savoyen-Genua und Isabella von Bayern statt, von den Carabinieri wurde es dort erstmals am 9. Juli 1933 in historischen Uniformen dargeboten und erhielt bei dieser Gelegenheit seinen heutigen Namen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Carosello storico immer wieder im Ausland vorgeführt, unter anderem 1972 in Frankfurt am Main. In Rom stand es wiederholt bei Besuchen ausländischer Staatsoberhäupter auf dem Programm, unter anderem 1959 beim Besuch von Charles de Gaulle und bei Besuchen von Elisabeth II.

Peter Schneiderhahn war zu jener Zeit ein frisch gebackener Kriminalkommissar mit glänzenden Aussichten auf eine vielversprechende Karriere.

Er verzichtete jedoch darauf und bewarb sich – im Rahmen eines Austauschprogramms – um seiner Versetzung nach Rom. Der Lockruf der Liebe war nun einmal wesentlich stärker als der Duft von verheißungsvollem Lorbeer.

Nach dem Überwinden einiger Hürden und dem Vorlegen eines Trauscheins, wurde seinem Ansuchen stattgegeben, und so übersiedelte er ein knappes Jahr später nach Italien, genauer gesagt in die „Ewige Stadt“.

Bevor Peter Schneiderhahn mit seiner Liebsten zum Standesamt ging, gab es noch eine heftige Debatte, welchen Namen die Braut nach der Trauung annehmen sollte.

Den Namen des Gatten anzunehmen war für Bianca „impossibile“. Den Namen der Liebsten anzunehmen war ein „No-Go“ für Peter, und so einigte man sich auf den Namen „Esposito-Schneiderhahn“ für die Braut und darauf, dass Peter seinen „Schneiderhahn“ einfach weiterführen würde.

Es war ein großes Glück, dass ein Kollege von Peter, der ein Sohn italienischer Einwanderer der Fünfzigerjahre war, ihn darauf aufmerksam gemacht hatte, dass „Esposito“ im Deutschen so viel wie „Ehemännchen“ bedeutet. Und als solchen sah er sich ganz sicher nicht.

Als dann später die beiden Mädchen Carina und Larissa geboren wurden, bekamen sie den Namen der Mutter, damit ihnen unpassende und zuweilen auch schmerzliche Bemerkungen, bezogen auf die deutsche Herkunft ihres Vaters, erspart bleiben sollten.

Die erste Zeit in der Questura ließ man Peter Schneiderhahn deutlich spüren, dass er ein „Tedesco“ war. Irgendwann besann man sich auf Peters Nachnamen, genauer gesagt auf einen Teil davon.

Und so wurde aus „Hahn“ der italienische „Gallo“ und mit der Zeit wurde er nur noch „Commissario Gallo“ genannt. Das ging so weit, dass sogar der Vice Questore Celentano ihn so nannte.

Die hohe Auflösungsquote des deutschen Austauschkommissars hatte sicher wesentlich dazu beigetragen, dass aus Schneiderhahn „Gallo“ geworden war und aus Peter „Pietro“.

*****

„Setzen Sie sich, Commissario!“

Der Vice Questore war nur ein paar Jahre älter als der Commissario. Aus dem anfänglichen Dienstverhältnis war im Laufe der Jahre ein freundschaftliches geworden.

Dazu beigetragen hatte wohl auch die Tatsache, dass er mit Biancas Mutter um mehrere Ecken verwandt war. Er hatte sogar die Patenschaft für Larissa, die Zweitgeborene übernommen.

Was er sich jedoch von Pietro ausbedungen hatte, war der Wunsch im Dienst von ihm mit SIE angesprochen zu werden.

„Zuhause alles in Ordnung? Wie geht es den Kindern?“

„Danke gut, Vice Questore“, antwortete Pietro und fügte hinzu:

„Carina hält uns mit ihrer Pubertät auf Trab und Larissa hat schon einen Freund.“

„Ist das nicht ein wenig früh?“, sorgte sich Onkel Matteo um sein Patenkind.

„Das ist heutzutage völlig normal“, antwortete Pietro, „und solange die Schule nicht darunter leidet…“

„Ich weiß nicht…“, gab der Vice Questore seinem Zweifel weiter Nahrung.

„Du könntest uns ja wieder einmal besuchen“, sagte Pietro, „die Kinder würden sich freuen und Bianca und ich natürlich auch.“

Kaum, dass Pietro das gesagt hatte, erschrak er. Er hatte seinen Chef aus Versehen geduzt.

Vice Questore Matteo Celentano erstarrte für einen kurzen Moment, um dann die Situation zu entschärfen.

„Der Fall ist besonders heikel und bedarf äußersten Fingerspitzengefühls. Der Gatte der Toten hat Verbindungen bis in höchste Kreise; auch bis zu uns.“

Pietro fiel ein Stein vom Herzen, dass er aus dieser verzwickten Situation schadlos herausgekommen war.

„Sie können sich ganz auf mich verlassen, Vice Questore“, antwortete Pietro, wobei der eine besondere Betonung auf „Vice Questore“ gelegt hatte.

„Das weiß ich, Commissario“, sagte der Vice Questore, „mir lag nur daran es ganz klar zum Ausdruck zu bringen. Über die Einzelheiten wird Sie Ispettore Rossi in Kenntnis setzen.

Das war’s auch schon. Sie können gehen. Und bitte grüßen Sie Bianca und die Kinder ganz herzlich von mir. Ich hatte sowieso vor in den nächsten Tagen einmal vorbeizuschauen. Ich werde Ihnen zeitgerecht Bescheid geben.“

„Vielen Dank, Vice Questore“, antwortete Pietro. Er stand auf und verließ mit einer leichten Verbeugung das Büro seines Chefs mit dem Gefühl diesen Menschen wohl nie so recht verstehen zu können.

*****

„Also, dann schießen Sie einmal los, Rossi“.

Der Commissario war in seinem Büro zurückgekehrt, wo er von seinem Kollegen bereits erwartet wurde.

„Bei der Toten handelt es sich um Signora Aurora Pirelli.“

„Ist das die Gattin des Autoreifenhändlers?“, fragte Commissario Gallo mit ernster Miene, was den armen Ispettore Rossi erst gar nicht auf den Gedanken kommen ließ, es könne sich um einen Scherz handeln.

„Nein, nein, Commissario“, antwortete Ispettore Rossi mit der gleichen ernsten Miene, „das ist die Gattin des Baulöwen Ernesto Pirelli.“

„Kenne ich nicht“, entgegnete der Commissario lapidar.

„Sie kennen die <Pirelli S.p.A.> nicht?“, fragte der Ispettore ungläubig. „Sie hat Niederlassungen in Rom, Mailand, Turin und sogar in Palermo.“

„Mag ja alles ein, Rossi“, antwortete Commissario Gallo, „aber ich kenne sie trotzdem nicht.“

In diesem Moment schoss dem völlig verwirrten Ispettore Rossi nur ein Gedanke durch den Kopf:

„Stupido Tedesco…“

Der Commissario konnte zwar nicht lesen, was hinter der Stirn von Rossi geschrieben stand, aber der Gesichtsausdruck seines Ispettore erschien ihm irgendwie höchst verdächtig.

„Sagen Sie Assistente Tozzi und Santini Bescheid. Wir fahren in 10 Minuten los.“

„Zu Befehl, Commissario“, kam die prompte Antwort von Ispettore Rossi, der zum Telefon griff, um der Aufforderung seines Chefs unmittelbar Folge zu leisten.

Commissario Gallo hatte mehrmals versucht dem Ispettore klarzumachen, dass man Befehle nur beim Militär kennt; aber irgendwann hatte er es aufgegeben.

Assistente Antonella Tozzi war eine junge Beamtin, deren Klugheit und Engagement der Commissario sehr zu schätzen wusste.

Dass sie außerdem noch schön war, rief gelegentlich die Eifersucht von Signora Gallo, respektive Signora Esposito-Schneiderhahn auf den Plan.

Bei ihrem Gatten rief dies eine gewisse Heiterkeit hervor, hatte er doch keinerlei Interesse an der jungen Kollegin, außer einem beruflichen.

Bianca war nach der Eheschließung noch einige Jahre beim „Carosello storico“ geblieben. Als jedoch die Kinder kamen, verließ sie das Carabinieri-Regiment schweren Herzens, war es doch ihre große Leidenschaft.

Peter erhielt die italienische Staatsbürgerschaft und ging danach ganz in den Dienst der italienischen Polizei über.

Seine Erfolge bei der Verbrechensbekämpfung brachten ihm sehr schnell einen guten Ruf und die Anerkennung – zumindest bei einem Großteil der Kollegen – ein. Und schon bald avancierte er zum „Commissario Capo“.

Peter und Bianca hatten sich ein kleines Häuschen außerhalb Roms gekauft, was nicht zuletzt durch die finanzielle Unterstützung von Peters Schwiegereltern möglich war.

Aus einer anfänglichen Abneigung dem „Tedesco“ gegenüber, was mit dem 2. Weltkrieg zusammenhing, wurde mit der Zeit ein sehr gutes, ja fast liebevolles Verhältnis.

Biancas Mutter mochte Pietro, wie sie ihn von der ersten Stunde an nannte, weil ihr der liebevolle Umgang ihres Schwiegersohns mit ihrer Tochter gefiel und der Respekt, welcher ihr - „Mama Esposito“ - von Pietro entgegengebracht wurde.

Und als dann die beiden Bambini auf die Welt kamen, schmolz auch „Papa Esposito“ dahin und die Liebe zu dem „Tedesco“ wurde von Tag zu Tag mehr.

*****

Die Fahrt zur Villa d’Este dauerte nur eine knappe Stunde. Assistente Antonella Tozzi fuhr den Wagen und der Commissario saß neben ihr. Im Rückraum saßen der Ispettore und der Gerichtsmediziner, Dottore Santini.

„Die werden sich freuen, wenn sie mich sehen“, sagte der Dottore spöttelnd im Hinblick darauf, dass der Commissario seinen eigenen Medizinmann mitbrachte.

„Das ist mir egal, Franzi“, entgegnete der Commissario, „der Vice Questore hat mir volle Rückendeckung zugesagt.“

Dottore Francesco Santini hatte sich mit der Verunglimpfung seines Vornamens durch den Commissario schon lange abgefunden, zumal er ihn ja auch „Il Gallo“ nannte.

Sie waren sich im Laufe der Jahre und der vielen gemeinsamen Fälle nahegekommen und so manches Glas Wein zusammen getrunken. Man achtete sich gegenseitig, man duzte sich; aber stets mit dem nötigen Respekt.

Als sie in der Villa d’Este ankamen, gewahrten sie ein riesiges Aufgebot von Carabinieri.

„Was soll denn dieser Riesenauflauf von Uniformierten?“, fragte der Commissario.

„Ich habe es Ihnen gesagt, die Tote ist ein V.I.P.“, konnte sich der Ispettore nicht verkneifen zu sagen.

„Die Tote ist einfach nur eine Leiche und sonst gar nichts“, antwortete der Commissario leicht gereizt.

Commissario Gallo stieg aus dem Wagen und zeigte einem der anwesenden Beamten seinen Dienstausweis mit den Worten:

„Führen Sie mich zu dem leitenden Ermittler.“

Der Beamte salutierte und bat dann den Commissario ihm zu folgen. Er führte die kleine Truppe aus Rom zum „Fontana di Nettuno“, dem Schauplatz des Verbrechens.

„Ich habe sie schon erwartet, Commissario Gallo.“

Ein kleiner, etwas dicklicher Mann streckte Pietro Gallo die Hand entgegen. Er war von der Questura in Rom informiert worden, dass der „Superbulle aus Rom“ die Ermittlungen führen würde.

„Commissario Carlo Bellucci, zu Ihren Diensten.“

Es war unübersehbar, welchen Ruf Pietro Gallo genoss, der weit über die Grenzen Roms hinausging.

„Grazie, Bellucci“, sagte Commissario Gallo, und indem er sein Gegenüber lediglich mit dessen Nachnamen ansprach, machte er ganz klar, wer der Chef im Ring war.

„Wer hat die Tote gefunden?“, fragte der Commissario, und Bellucci antwortete:

„Einer der Bauarbeiter. Soll ich ihn holen?“

„Nein, den befrage ich später. Jetzt soll erst der Dottore einmal einen Blick auf das Opfer werfen“, antwortete der Commissario.

„Das habe ich schon getan“, kam die Stimme eines der Anwesenden.

„Und wer sind Sie, wenn man fragen darf?“, erwiderte der Commissario.

„Dottore Falco, der hiesige Gerichtsmediziner“, antwortete der Gefragte.

„Ich habe meinen eigenen Medizinmann dabei“, sagte der Commissario.

Und bevor noch Dottore Falco etwas einwenden konnte, fuhr der Commissario fort:

„Sie haben doch nichts dagegen, Dottore, oder?“

„Natürlich nicht“, entgegnete der Dottore sichtlich eingeschüchtert.

„Also Franzi, dann leg mal los!“

Dottore Francesco Santini sah kurz zu seinem Kollegen auf, der ihm in diesem Augenblick fast ein wenig leidtat, und dann begann er mit einer ersten Inaugenscheinnahme der Leiche.

„Was kannst du mir sagen, Franzi?“, kam die Frage des Commissario, begleitet von einer gewissen Ungeduld.

„Die Person, die da liegt, ist weiblich und tot.“

Commissario Gallo verdrehte die Augen ob der provozierenden Antwort seines Medizinmannes und harrte der Dinge, die da kommen.

Dottore Santini nestelte an der Wunde herum, die im Bereich des Herzens der Toten erkennbar war.

„Seltsam, äußerst seltsam“, murmelte der Dottore, und der Commissario fragte:

„Mach es doch nicht so spannend, Francesco. Was ist seltsam?“

Der Commissario hatte bewusst „Francesco“ gesagt, um den Dottore gewogen zu machen.

„Die Art der Wunde“, antwortete Dottore Santini, „es sieht nach einer Stichwunde aus, aber es handelt sich nicht nach einer glatten Einstichwunde. Es sieht vielmehr aus, als habe der Täter mit einem Messer in die Brust gestochen und dann in der Wunde umhergerührt.“

„Wie umhergerührt?“, fragte der Commissario, „was meinst du damit?“

„Ich kann es dir nicht sagen“, antwortete der Dottore, „ich habe so etwas noch nie zuvor gesehen.“

„Und was machen wir jetzt?“, fragte der Commissario.

„Wir nehmen die Leiche mit, damit ich sie eingehend untersuchen kann.“

„Bene, dann packt die Dame ein und ab damit nach Rom.“

„Und was mache ich?“, fragte Commissario Bellucci verunsichert.

„Sie führen mich jetzt zu dem Mann, der die Leiche entdeckt hat.“

Der Bauarbeiter, der die Leiche entdeckt hatte, berichtete dem Commissario, dass er heute, also nach dem zurückliegenden Wochenende, mit seinen anderen Kollegen die Baustelle betreten und die Signora gefunden habe.

„Seit wann ist das hier eine Baustelle und was genau wird gemacht?“, fragte der Commissario und der Befragte antwortete:

„Wir arbeiten hier seit zwei Wochen. Es handelt sich um eine Generalsanierung der Brunnen und der gesamten Parkanlage.“

„Dann ist der Park wohl für Besucher gesperrt, nehme ich an?“, fragte der Commissario.

Der Befragte nickte und der Commissario fragte weiter:

„Wie ist die Signora dann hereingekommen, wenn das Gelände für Besucher gesperrt ist?“

„Das weiß ich nicht“, antwortete der Befragte, „da sollten Sie vielleicht die Verwaltung fragen.“

„Sie haben recht, guter Mann“, entgegnete der Commissario, „genau das werde ich machen. Haben Sie vielen Dank und begleiten Sie Commissario Bellucci, damit er Ihre Aussage zu Protokoll nehmen kann.“

Wenig später saß Commissario Gallo mit dem Verwalter der Villa d’Este zusammen.

„Wie ist es möglich, dass Unbefugte die Parkanlage betreten können, obwohl sie für Besucher gesperrt ist? Haben Sie kein Wachpersonal?“

„Ja und nein“, antwortete der Verwalter zögerlich.

„Was heißt das denn?“, fragte der Commissario.

„Wir haben einen pensionierten Carabiniere, der gelegentlich nach dem Rechten schaut.“

„So, so“, sagte der Commissario, „ein pensionierter Kollege schaut nach dem Rechten. Gelegentlich. Auch am Wochenende?“

„Nun ja, er hat Familie. Sie wissen ja, wie das ist. Sonntagsessen mit der gesamten Familie…“

„Ich verstehe, mein Lieber“, antwortete der Commissario, „la famiglia“…

Als das Quartett - wieder im Wagen vereint - nach Rom zurückfuhr, sagte der Commissario:

„Ich glaube, wir werden noch viel Freude an diesem Fall haben.“

*****

„Der Cavaliere erwartet Sie.“

Die Sekretärin führte den Commissario in ein prachtvolles Büro mit einem noch prächtigeren Schreibtisch, hinter dem ein stark übergewichtiger Mann saß, der Mühe hatte sich aus seinem Sessel zu erheben, um den Eintretenden zu begrüßen.

„Der berühmte Commissario Capo Pietro Gallo, der Vice Questore hat Sie mir schon angekündigt.“

„Vielen Dank, dass Sie mich empfangen, Cavaliere“, antwortete der Commissario mit dem zu Gebote stehenden Respekt.

„Bitte, nennen Sie mich einfach nur Signore Pirelli, mein Lieber“, entgegnete der Cavaliere bescheiden.

„Cavaliere“ ist die Anrede für einen Mann, dem vom Präsidenten der Italienischen Republik der Arbeitsverdienstorden „Ordine al Merito del Lavoro“ verliehen wurde.

Diese Auszeichnung ist jenen italienischen Bürgern gewidmet, die in den Bereichen Handel, Landwirtschaft, Industrie, Tourismus, Handwerk, sowie dem Kredit- und Versicherungswesen außerordentliche Verdienste erworben haben.

Ein Träger dieses Ordens ist berechtigt den Titel „Cavaliere del Lavoro“ zu führen und auch damit angesprochen zu werden.

„Ich darf mir zunächst erlauben Ihnen mein tiefst empfundenes Beileid zum Tod Ihrer verehrten Gattin auszusprechen.“

Mit diesen warmen Worten begann der Commissario seine Befragung, die mehr den Charakter eines freundschaftlichen Gesprächs, denn einer Befragung hatte.

„Ich danke Ihnen sehr, Commissario, und ich stehe Ihnen selbstverständlich uneingeschränkt zur Verfügung“, antwortete der Cavaliere, um danach die Frage nach einem Getränkewunsch anzuschließen.

„Kaffee oder Tee? Oder vielleicht ein Wasser?“

„Weder noch, Signore Pirelli“, antwortete der Commissario, und der Cavaliere sagte:

„Ich würde Ihnen ja gern einen Cognac oder Whisky anbieten; aber Sie dürfen ja nicht. Sie sind ja im Dienst.“

„Einen kleinen Cognac könnte ich schon vertragen“, antwortete der Commissario, „aber nur, wenn Sie einen mittrinken, Cavaliere.“

„Das gefällt mir“, antwortete der Cavaliere, „Sie sind ein Mann, so recht nach meinem Geschmack. Wenn Sie einmal genug von der Jagd nach bösen Buben haben, dann kommen Sie zu mir.

Ich würde sie sofort als Chef meiner Sicherheitsabteilung einstellen. Natürlich mit einem Gehalt, von dem Sie als Polizeibeamter nur träumen können.“

Die Überheblichkeit des dicken Mannes erzeugte ein heftiges Würgen bei dem Commissario, er überspielte es jedoch elegant mit der Bemerkung:

„Ich werde vielleicht irgendwann auf Ihr Angebot zurückkommen.“

Im Verlaufe des Gesprächs erfuhr der Commissario wichtige Fakten für seine Untersuchung:

Signora Aurora Pirelli war vor ihrer Verehelichung mit dem Baulöwen Ernesto Pirelli Richterin und hatte es bis in den „Palazzo Piacentini“, dem italienischen Justizministerium geschafft.

Sie war mit dem Cavaliere – anlässlich einer Geburtstagsparty – zusammengetroffen, und es hatte sofort zwischen den beiden gefunkt. Damals hatte Signore Pirelli noch eine herzeigbare Figur, war noch nicht so überheblich und auch kein Cavaliere.

Der Ehe entsprangen fünf Kinder. Drei Mädchen und zwei Jungens.

„Ich denke, das war‘s fürs Erste“, sagte der Commissario und stand auf. Er reichte dem Cavaliere die Hand und fügte hinzu:

„Vielen Dank für Ihre kostbare Zeit und den guten Cognac. Eine Bitte hätte ich noch an Sie.“

„Nur heraus, mein Freund“, sagte der Cavaliere, und Commissario Gallo antwortete:

„Könnten Sie eventuell im Verlauf des morgigen Vormittags kurz in der Questura vorbeischauen, um ein Protokoll zu unterzeichnen? Sie wissen ja, wie das ist mit der Bürokratie.“

„Nur bedingt, Commissario“, antwortete der Cavaliere, „für so etwas habe ich schließlich mein Personal. Aber ich komme natürlich gern. So kann ich wieder einmal eine kleine Unterhaltung mit meinem Freund, dem Vice Questore führen.“

„Beneidenswert, Cavaliere“, sagte der Commissario und ging zur Tür. Bevor er den Raum endgültig verließ, rief ihm der Cavaliere noch nach:

„Vergessen Sie nicht mein Angebot und liebe Grüße an den Vice Questore.“

„Das mache ich, Cavaliere und nochmals vielen Dank.“

Commissario Gallo verließ das Gebäude mit einem Gefühl von Abscheu und Verachtung. Er hatte große Mühe eine aufkommende Wut zu unterdrücken.

Wut darüber, dass die Großen und Mächtigen glauben, sie stünden über dem Gesetz. Und auch darüber, dass viele damit auch durchkommen.

*****

„Wie war dein Tag, amore mio?“

Bianca gab Pietro einen Kuss.

„Sagt dir <Pirelli S.p.A.> etwas?“, fragte Pietro.

„Aber ja“, antwortete Bianca, „das ist ein mächtiger Baulöwe. Wenn nicht sogar der größte von ganz Italien.“

„Das höre ich heute schon zum zweiten Mal“, murmelte Pietro vor sich hin.

„Was sagtest du?“, fragte Bianca.

„Nichts“, antwortete Pietro und setzte nach:

„Was gibt es heute zu essen?“

„Nichts“, antwortete Bianca.

„Nichts?“, wiederholte Pietro.

„Nein, amore mio“, antwortete Bianca, „wir gehen heute aus.“

„Ich habe keine Lust auszugehen, ich bin müde“, sagte Pietro missmutig.

Bianca sah ihren Gatten lange an, bevor sie sagte:

„Bist du auch zu müde unseren Hochzeitstag zu feiern?“

Pietro wurde blass. Es schnürte ihm den Hals zu, als er sagen wollte, dass er darauf vergessen hatte. Stattdessen gestikulierte er hilflos mit seinen Händen herum.

„Aber wir können uns auch eine Pizza kommen lassen und uns einen Film anschauen“, sagte Bianca mit einem Lächeln.

Pietro, der sich wieder gefangen hatte, nahm seine Gattin in den Arm und küsste sie.

„Ich habe dich gar nicht verdient und es ist unverzeihlich, dass ich unseren Hochzeitstag vergessen habe. Kannst du mir verzeihen, mein Engel?“

„Aber ja, amore mio“, sagte Bianca, „ich liebe dich doch. Und es macht mir nichts aus, wenn wir zuhause bleiben.“

„Auf keinen Fall“, erwiderte Pietro, „gib mir ein paar Minuten. Ich springe nur kurz unter die Dusche und dann gehen wir fein speisen. Und zieh bitte das rote Kleid an.“

„Mach ich, amore mio“, sagte Bianca, „ich freue mich.“

Als sie eine knappe Stunde später in ihr Lieblingsrestaurant kamen, führte sie Luigi, der Oberkellner, an einen Tisch, auf dem ein Strauß roter Rosen stand und Kerzen angezündet waren.

„Der Champagner kommt gleich, Commissario“, sagte Luigi mit einem breiten Grinsen und legte die Speisekarten vor.

„Ich denke, du hast unseren Hochzeitstag vergessen“, sagte Bianca ganz erstaunt.

„Habe ich auch, mein Engel“, antwortete Pietro, „ich habe nur vor dem Duschen noch schnell bei Luigi einen Tisch bestellt. Und die Blumen natürlich.“

„Du bist und bleibst ein „uomo pazzo“, sagte Bianca und streichelte zärtlich Pietros Hand.

Als der Champagner serviert wurde, und sich die beiden Liebenden zugeprostet hatten, griff Pietro in die Innentasche seine Sakkos und entnahm ihr eine kleine Schatulle.

„Herzlichen Glückwunsch zum Hochzeitstag!“

Mit diesen Worten öffnete Pietro die Schatulle und hielt sie Bianca hin. Der Inhalt war ein Saphir, umkränzt mit kleinen Diamanten.

„Ich dachte, du hast unseren Hochzeitstag vergessen?“, fragte Bianca, die jetzt völlig verwirrt war.

„Ja und nein“, antwortete Pietro, „sonst hätte ich ja den Ring nicht besorgt. Ich war nur heute etwas durcheinander. Als ich am Morgen aus dem Haus ging, habe ich noch daran gedacht. Aber die Ereignisse des Tages haben mich etwas aus der Bahn geworfen und so habe ich dann darauf vergessen. Es tut mir leid, mein Engel.“

Bianca hatte den Ring aus der Schatulle genommen und ihn an den Finger gesteckt.

„Er ist wunderschön. Ich danke dir sehr!“

Bianca stand auf, ging um den Tisch herum und küsste Pietro.

Von den umliegenden Tischen ertönte Applaus und Pietro dachte einmal mehr: „Diese Italiener“

*****

Es war später Vormittag, als der Cavaliere zur Tür hereinkam. Er ging auf den Commissario zu und schüttelte ihm die Hand.

„Was und wo muss ich unterschreiben?“, fragte er wohlgelaunt.

„Darf ich Ihnen zuvor noch ein paar Fragen stellen, verehrter Cavaliere?“, sagte der Commissario mit einem verbindlichen Lächeln.

„Fragen Sie, fragen Sie, mein Lieber“, antwortete der Cavaliere, „ich habe keine Geheimnisse.“

Und zu Assistente Antonella Tozzi gewandt, welche anwesend war, sagte er:

„Und diese reizende Signorina schreibt alles auf, nehme ich an.“

„So ist es, Cavaliere“, sagte der Commissario, „es ist faszinierend, wie Sie die Situation exakt einzuschätzen vermögen; mein Kompliment, Cavaliere!“

Der Cavaliere fühlte sich geschmeichelt, und sowohl der Commissario, wie auch seine Kollegin Antonella machten sich ihre eigenen Gedanken darüber, wie ein so schlichtes Gemüt ein beachtliches Imperium aufbauen konnte.

„Haben Sie nicht bemerkt, dass Ihre Gattin am Sonntagabend nicht nach Hause gekommen ist?“, begann der Commissario mit seiner Befragung.

„Nein“, antwortete der Cavaliere. „Wir haben getrennte Schlafzimmer, weil ich fürchterlich schnarche. Das hängt mit meinem leichten Übergewicht zusammen.“

Antonella verdrehte die Augen beim Anblick des wohlbeleibten Herrn und seiner maßlosen Untertreibung bezüglich seines Gewichtes.

„Das finde ich äußerst rücksichtsvoll von Ihnen, Cavaliere“, sagte der Commissario und fuhr fort:

„Wir haben bei Ihrer Gattin keinerlei Schmuck gefunden. Können Sie mir sagen, ob sie welchen getragen hat?“

„Mit Sicherheit nicht“, antwortete der Cavaliere, „Aurora hat eine Schmuckallergie. Sie besitzt zwar Schmuck; aber sie trägt ihn nie.“

Der Commissario wollte seine Befragung schon fortsetzen, als der Cavaliere noch hinzufügte:

„Den einzigen Schmuck, den sie trägt, das ist ein goldenes Herz mit einem kleinen Rubin an einem Lederband. Aber das trägt sie ständig.“

„Das haben wir nicht gefunden. Wir haben lediglich ihren Personalausweis gefunden“, antwortete der Commissario.

„Und sonst nichts?“, fragte der Cavaliere.

„Nein, nichts“, antwortete der Commissario, „kein Geld und auch kein Handy.“

„War das goldene Herz mit dem Rubin ein Geschenk von Ihnen an Ihre Frau?“, fragte der Commissario weiter.

„Nein“, antwortete der Cavaliere, „das war ein Geschenk ihrer Mutter.“

„Können Sie uns den Namen und die Adresse der Dame geben?“, fragte der Commissario.

„Die Eltern von Aurora sind schon lange tot“, antwortete der Cavaliere, dessen Gemütsverfassung gerade im Begriff war sich vehement zu ändern.

Es schien, als würde ihm in diesem Augenblick die Tragweite des Geschehens erst bewusst.

„Soll ich Ihnen ein Glas Wasser bringen?“

Es war Antonella, welche die Wesensveränderung bemerkt hatte.

„Das wäre äußerst freundlich, Signorina“, antwortete der Cavaliere, und der Commissario empfand fast ein wenig Mitleid mit dem Mann.

*****

Nachdem der Cavaliere gegangen war, setzte sich der Commissario mit seinen beiden Mitarbeitern zusammen.

„Ich brauche Hintergrundinformationen“, sagte der Commissario, „Rossi, Sie fragen den Dottore, ob es schon erste Erkenntnisse gibt, und du, Antonella, suchst mir alles über das Leben von Signora Pirelli heraus. Und zwar von Geburt an bis heute.“

„Sie sollen zu Dottore Santini kommen“, sagte Ispettore Rossi, „er hat etwas Seltsames entdeckt.“

„Warum sagen Sie mir das erst jetzt?“, fuhr der Commissario seinen Mitarbeiter schroff an.

„Ich weiß es selbst erst seit ein paar Minuten“, antwortete der Ispettore gekränkt, „und außerdem waren Sie ja bis vor wenigen Minuten noch mit dem Verdächtigen befasst.“

„Signore Pirelli ist kein Verdächtiger, Rossi“, erwiderte der Commissario, „er ist ein armer, gebrochener Mann, der erst seit Kurzem begriffen hat, dass er seine Frau verloren hat.“

Rossi bekam einen roten Kopf. So sehr er sich auch bemühte, er konnte es dem Commissario einfach nicht recht machen.

„Ich hasse diesen Tedesco.“

Mit diesem Gedanken holte sich Rossi wieder seinen Seelenfrieden zurück, der ihm kurzfristig abhandengekommen war.

*****

„Was hast du für mich, Franzi?“

Commissario Gallo hätte den Gerichtsmediziner fast nicht hinter den dicken Rauchschwaden seiner Zigarre entdeckt.

„Eine skurrile Entdeckung, mein Lieber“, antwortete der Dottore.

„Mach es doch nicht so spannend, Franzi“, sagte der Commissario, „und sag schon, was du gefunden hast.“

„Die Tat eines Irren“, antwortete der Dottore.

„Was meinst du damit?“, fragte der Commissario.

„Komm etwas näher, dann zeige ich es dir“, antwortete der Dottore.

Er zog das Leintuch zurück und präsentierte dem Commissario eine sehr schlanke, fast androgyne Leiche. Dann deutete er auf den linken Brustbereich.

„Siehst du das?“, fragte er den Commissario.

„Das sieht ja furchtbar aus“, sagte der Commissario erschreckt.

„Es sieht nicht nur so aus, es ist auch so“, sagte Dottore Santini, „das ist das Werk eines Verrückten.“

„Man könnte meinen, der Täter wollte seinem Opfer das Herz herausschneiden“, fuhr der Dottore fort.

„Was glaubst du“, fragte der Commissario, „hat der Täter medizinische Kenntnisse?“

„Ich denke, eher nicht“, antwortete Dottore Santini, „sonst hätte er gewusst, dass er zuvor den Brustkorb zersägen muss, um an das Herz zu kommen. Vorausgesetzt natürlich, es ging ihm wirklich darum.“

„Bedeutet das, dass das Herz noch im Körper der Toten ist?“, fragte der Commissario.

„Ja, Gott sei Dank“, antwortete der Dottore, „ein solcher Schock wäre für die Hinterbliebenen kaum zu ertragen gewesen.“

„Kannst du mir noch etwas über den Todeszeitpunkt sagen?“, fragte der Commissario.

„Sonntag, am frühen Abend“, antwortete der Dottore.

„Und was kannst du mir über den Tathergang sagen, Franzi?“, fragte der Commissario.

„Ein Stich mit einer spitzen Waffe – ich vermute ein Messer – direkt ins Herz. Und danach der Versuch das Herz herauszuschneiden, was ja misslungen ist.“

„War das Opfer sofort tot?“, fragte der Commissario weiter.

„Ja“, antwortete der Dottore, „aber jetzt kommt es. Signora Pirelli starb nicht an dem Stich in ihr Herz, sondern durch 4-Hydroxybutansäure, kurz GHB oder besser bekannt als K. O.-Tropfen.“

„Was?“

Im Gesicht des Commissario machten sich Überraschung und Entsetzen gleichermaßen breit.

„Das musst du mir jetzt genauer erklären“, sagte der Commissario.

„Als der vermeintlich letale Stich ins Herz durchgeführt wurde, hatte dieses bereits aufgehört zu schlagen“, sagte der Dottore.

„Das verstehe ich nicht, Franzi“, erwiderte der Commissario, „wieso hat der Täter dann noch zugestochen?“

„Er konnte vermutlich nicht wissen, dass er Signora Pirelli eine Überdosis 4-Hydroxybutansäure verabreicht hatte.“

Der Commissario sah seinen Freund lange verständnislos an und sagte dann:

„Ich habe zum ersten Mal in meinem Berufsleben keine Ahnung, wie ich an diesen Fall herangehen soll bzw. wie ich den Täter ermitteln soll.“

„Ja, mein Lieber“, sagte Dottore Santini, „jetzt bist du dran; meine Arbeit ist getan. Wie wäre es mit einem Bier nach Feierabend als kleine Belohnung für meine fabelhafte Arbeit?“

„Normalerweise recht gern, Franzi“, antwortete der Commissario, „aber heute geht es nicht. Il Cantante kommt zu Besuch.“

„Der Vice Questore persönlich“, sagte Dottore Santini lächelnd, „dann wünsche ich dir einen schönen Abend, Commissario Capo Gallo.“

„Danke, Dottore Santini“, antwortete der Commissario und lächelte zurück.

*****

„Komm her und gib deinem Patenonkel einen Kuss!“

Vice Questore Celentano, vulgo Onkel Matteo hielt seinem Patenkind Larissa auffordernd seine rechte Wange hin, und Larissa kam der Aufforderung auch brav nach.

„Es ist schön, dass du uns wieder einmal besuchst, Matteo“, sagte Bianca, „die Kinder haben schon ein paar Mal nach dir gefragt.“

Pietro schaute Bianca auf eine Weise an, als wolle er sie nach ihrem Geisteszustand befragen. Die Kinder waren froh, wenn ihnen die Anwesenheit von Onkel Matteo erspart blieb. Mit seiner etwas schrulligen Art kamen sie einfach nicht zurecht.

Im Grunde genommen mochten sie ihn ebenso wenig wie auch ihr Vater. Alle Versuche der Mutter, ihnen den Verwandten schmackhaft zu machen, verliefen ins Leere.

Bianca schickte einen zürnenden Blick zu Pietro, der diesem mit einer Bemerkung - zu dem Gast hingerichtet - auswich:

„Darf ich dir ein Glas Wein einschenken, lieber Matteo? Was möchtest du: Weiß oder rot?“

„Ich trinke nur Rotwein, Pietro; das solltest du doch allmählich wissen.“

„Entschuldige, Matteo; natürlich weiß ich das“, versuchte sich Pietro herauszuwinden, „aber man kann ja auch seinen Geschmack einmal ändern, findest du nicht auch?“

„Nein“, kam die barsche Antwort von Matteo, „ich bin ein Mann mit Prinzipien, und die wechselt man nicht wie seine Unterwäsche.“

„Es ist kein Wunder und zugleich ein Segen, dass dieser Mensch ehe- und kinderlos geblieben ist“, dachte sich Pietro und sah zu Bianca hin, die ihn anlächelte, so als würde sie seine Gedanken nicht nur lesen, sondern auch billigen.

„Wie geht es dir gesundheitlich, Matteo?“, übernahm nun Bianca das Reden. „Gehst du noch regelmäßig auf den Golfplatz?“

„Schon lange nicht mehr“, antwortete Matteo, „früher traf man dort auf distinguierte Herren, aber heute ist das nur noch ein Tummelplatz für gelangweilte, blasierte Hausfrauen.“

„Man müsste diesen Mann zum <Misanthropen des Jahres küren>, drang es in Pietros Gedanken, und er hätte es nur zu gern ausgesprochen, was natürlich schlichtweg „impossibile“ war…

Nach dem Essen – es gab übrigens Spaghetti alle Vongole und hinterher Tiramisu – befragte Matteo Pietro nach dem Stand der Dinge im Fall „Signora Aurora Pirelli“.

„Da stehen wir noch ganz am Anfang unserer Ermittlungen“, antwortete Pietro wahrheitsgemäß.

„Du denkst daran, was ich dir gesagt habe, Pietro“, mahnte Matteo, „Fingerspitzengefühl, viel Fingerspitzengefühl und äußerste Diskretion, mein Lieber.“

„Was meinst du mit <äußerster Diskretion>?“, fragte Pietro.

„Nun, die Medien“, antwortete Matteo, „der Name Pirelli in Verbindung mit einem Verbrechen – ein gefundenes Fressen für die Medien. Das versteht du doch, oder?“

„Schon“, antwortete Pietro, „aber um eine Pressekonferenz werden wir wohl kaum herumkommen.“

„Natürlich nicht, Pietro“, antwortete Matteo, „aber es ist wichtig zu beachten, was man da für die Öffentlichkeit preisgibt.“

„Wäre es da nicht sinnvoll, du würdest die Pressekonferenz abhalten?“, versuchte Pietro seinen Chef zu ködern.

„Nein, nein, mein Lieber“, antwortete Matteo, „das machst du schön selber. Ich werde zwar anwesend sein, schon aus repräsentativen Gründen; aber reden wirst nur du.“

Als sich Matteo Stunden später verabschiedete, machte sich eine Erleichterung bei der Familie Schneiderhahn bzw. Esposito-Schneiderhahn oder nur Esposito bemerkbar. Man konnte davon ausgehen, dass der nächste Besuch wieder länger auf sich warten lassen würde, und man war recht froh darüber

*****

„Was hast du herausgefunden, Antonella?“, fragte der Commissario die junge Kollegin. Im Gegensatz zu Ispettore Rossi, den der Commissario mit SIE ansprach, duzte er die Assistente Antonella Tozzi.

„Die Signora ist seit fünfunddreißig Jahren mit ihrem Gatten verheiratet. Der Ehe entsprangen drei Mädchen und zwei Jungen, alle schon aus dem Haus mit eigener Familie.

In ihrer Zeit als Richterin war sie gefürchtet. Man nannte sie >Giudice spietato>. Einige, von ihr Verurteilte, haben ihr Rache geschworen, und es gab auch immer wieder Drohbriefe.“

„<Richterin gnadenlos>, was für ein Name“, wiederholte der Commissario, „da haben wir ja dutzendweise Verdächtige.“

„Wobei einer heraussticht“, sagte Antonella.

„Und wer ist das?“, fragte der Commissario.

„Luca Zamperoni“, antwortete Antonella, „verurteilt wegen Mordes und vor wenigen Tagen aus der Haft entlassen. Und er hat mehrmals gedroht die Richterin zu ermorden.“

„Haben wir eine Adresse?“, fragte der Commissario.

„Ja, er wohnt in Tivoli“, antwortete Antonella triumphierend.

Commissario Gallo sah in das erwartungsvolle Gesicht seiner Kollegin. Dann sagte er:

„Sollte das wirklich so einfach sein? Was meinst du, Antonella?“

„Wir haben ein Motiv, und wenn jetzt noch ein nicht vorhandenes Alibi dazukommt – Bingo!“

„Na gut, Antonella“, antwortete der Commissario, „dann fahr mit Rossi nach Tivoli und bring mir den Knaben her.“

„Ich habe den Verbindungsnachweis von Signora Pirellis Handy besorgt, Commissario“, sagte Ispettore Rossi mit einem leicht stolzen Unterton in der Stimme. „Er liegt auf Ihrem Schreibtisch.“

„Danke Rossi, gute Arbeit.“

Commissario Gallo hatte ihn gelobt, und es klang wie Musik in Rossis Ohren.

„Seid vorsichtig, wenn ihr Zamperoni holt; er könnte bewaffnet sein.“

„Machen wir Chef“, sagte Ispettore Rossi und verließ mit Antonella das Zimmer.

Der Commissario sah die Liste mit den Verbindungsnachweisen an, und ihm fiel auf, dass mehrere Anrufe von einem Telefon mit unterdrückter Nummer geführt worden waren.

Ihm fiel außerdem auf, dass weitere Anrufe gelistet waren, welche einer bestimmten Nummer zugewiesen waren. Er nahm den Hörer und wählte diese Nummer. Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine männliche Stimme:

„Avvocato Mancini.“

„Hier spricht Commissario Gallo. Kennen Sie eine Signora Aurora Pirelli?“

„Ja.“

„Ist die Signora eine Klientin von Ihnen?“

„Das kann ich Ihnen am Telefon nicht beantworten.“

„Gut, dann möchte ich Sie bitten noch heute in die Questura zu kommen.“

„Um was geht es, Commissario?“

„Das kann ich Ihnen am Telefon nicht sagen; aber wir sehen uns ja in Bälde.“

Damit war das Gespräch beendet und der Commissario konnte sich einer gewissen Freude nicht verschließen, vor allem, was seinen letzten Satz betraf.

*****

Luca Zamperoni ließ sich problemlos von den Kriminalbeamten zur Befragung abholen. Er fragte auch nicht nach dem Grund; er stieg einfach in das Auto.

Jetzt saß er im Verhörraum und starrte auf den Spiegel, hinter welchem sich der Vice Questore, Commissario Gallo, der Ispettore und Antonella befanden.

„Machen Sie ihm ordentlich Druck, Commissario“, sagte der Vice Questore, und Pietro Gallo bekam auf einmal heftige Zweifel, ob sie den richtigen Fisch an der Angel hatten.

Er schaute durch das Glas auf einen alten Mann, der in sich zusammengesunken reglos auf einem Stuhl saß und in seine Richtung starrte.

„Dann wollen wir jetzt die Nuss knacken“, drängte sich Ispettore Rossi in Pietros Gedanken, und er bestätigte einmal mehr die feste Überzeugung seines Chefs, dass aus ihm wohl niemals ein guter Kriminologe werden würde.

„Sie begleiten mich“, sagte der Commissario zu Rossi, „und Sie halten Ihren Mund. Reden werde nur ich und Sie hören einfach nur zu, capito?“

Der Ispettore schluckte und nickte zustimmend. Innerlich brodelte es in ihm. Warum musste der Commissario vor dem Vice Questore so mit ihm umgehen, fragte er sich, und sein Hass auf den „Tedesco“ wurde wieder ein klein wenig mehr.

„Sie sind Luca Zamperoni?“, begann der Commissario seine Befragung, „und Sie wohnen in Tivoli?“

„Ja, Euer Ehren“, antwortete Zamperoni.

„Wir sind hier nicht bei Gericht“, sagte der Commissario, „einfach nur Commissario oder einfach nur JA oder NEIN.“

„Jawohl, Commissario“, antwortete Zamperoni.

Pietro Gallo fragte sich, wie dieser Mann, der vor ihm saß, überhaupt fähig war einen Menschen zu töten. Und dass er Signora Pirelli auf eine so perfide und grausame Art getötet haben sollte, widerstrebte ihm heftig zu glauben.

„Sie waren wegen eines Tötungsdeliktes im Gefängnis, Signore Zamperoni“, fuhr der Commissario fort, „und Sie wurden vorzeitig aus der Haft entlassen.“

„Jawohl, Commissario, das ist richtig“, antwortete Zamperoni.

Der Commissario dachte für einen kurzen Moment daran die Befragung abzubrechen, jedoch eingedenk dessen, dass der Vice Questore seine Nase an der Scheibe hinter ihm platt drückte, veranlasste den Commissario weiterzumachen.

Commissario Gallo war fest davon überzeugt, dass dieses Häufchen Elend, in Form eines verurteilten Mörders, keinesfalls der Täter sein konnte.

Er ging sogar so weit, dass Pietro sich fragte, ob Luca Zamperoni überhaupt jemals einen Mord begangen hatte.

„Kennen Sie eine Signora Aurora Pirelli?“, fragte der Commissario weiter.

„Nein, wer ist das?“, fragte Zamperoni zurück.

„Wo waren Sie am vergangenen Sonntag zwischen 15:00 und 20:00 Uhr?“

„Bei meiner Schwester Monica und ihrer Familie. Sie hatte mich zum Essen eingeladen. Dann habe ich noch mit meinen vier Neffen und Nichten gespielt.“

Commissario Gallo drehte seinen Kopf in Richtung Spiegel und schickte einen zürnenden Blick dorthin. Dass diese Antwort der Wahrheit entsprach, daran hegte der Commissario nicht den geringsten Zweifel.

Er stand auf und verließ den Raum. Er ging zu Antonella und sagte:

„Von dir hätte ich das nicht erwartet. Der Mann ist sofort auf freien Fuß zu setzen. Und du und Rossi, ihr werdet ihn persönlich nach Hause zurückfahren.“

„Und wenn das gelogen ist oder wenn ihm die Familie seiner Schwester ein falsches Alibi gibt, was dann?“, versuchte der Ispettore sein Glück.

„Sie sind ein Ochse, Rossi“, schnaubte der Commissario, „glauben Sie ernsthaft, dass sechs Personen lügen, wobei vier davon noch Kinder sind?“

„Sachte, sachte, Commissario“, versuchte der Vice Questore die Wogen zu glätten, „vielleicht sollte man doch noch vorher das Alibi überprüfen.“

„Schauen Sie sich den Mann doch einmal an“, sagte der Commissario, „und wenn Sie in ihm dennoch den Mörder von Signora Pirelli sehen, dann ordnen Sie Haft an.“

„Das ist allein Ihre Sache, Commissario“, antwortete der Vice Questore, zuckte mit den Schultern und entfernte sich ohne ein weiteres Wort zu sagen.

*****

Nachdem der Ispettore und Antonella von ihrer „Taxifahrt“ zurück waren, ließ Commissario Gallo Antonella zu sich rufen.

„Schließ die Tür und setz dich“, sagte der Commissario und warf Antonella eine Mappe zu.

„Du hast doch diese Akte gelesen, nehme ich an.“

„Nein, habe ich nicht“, kam die trotzige Antwort von Antonella, die sich seit der Befragung von Luca Zamperoni durch den Commissario falsch und ungerecht behandelt fühlte.

„Und wieso nicht, wenn ich fragen darf?“

Der Ton des Commissario war um eine Spur rauer geworden.

„Weil der Ispettore die Akte an sich genommen hat und sich daraufgesetzt hat wie eine Glucke, die ein Ei ausbrüten will.“

Commissario Gallo musste ein Lachen unterdrücken. Er mochte die junge Frau, in der er ein großes berufliches Potenzial sah, und die er fördern wollte.

„Warum hast du dir das gefallen lassen? Du bist doch sonst auch nicht gerade schüchtern.“

„Der Ispettore steht im Rang über mir, und ich bin daher weisungsgebunden“, antwortete Antonella.

„Quatsch! Der einzige, dem du unterstellt bist, das bin ich“, entgegnete der Commissario, und nach einer kurzen Pause fügte er noch hinzu: „Und dem lieben Gott.“

„Was hätte das geändert, wenn ich die Akte gelesen hätte?“, fragte Antonella.

„Alles, mein Kind“, antwortete der Commissario, „dann hättest du gewusst, dass Zamperoni vorzeitig aus der Haft entlassen wurde, weil er krank ist.“

Die Bezeichnung „mein Kind“ berührte Antonella. So hatte sie der Commissario bisher noch nie genannt. Sie schwärmte schon geraume Zeit für den älteren Herrn, und vielleicht war es sogar Liebe, die sie für ihn empfand.

Aber jetzt wurde ihr bewusst, dass der Commissario väterliche Gefühle für sie hegte, und der Gedanke gefiel ihr. Er gefiel ihr sogar sehr. Vielleicht auch deshalb, weil sie von ihrer Mutter allein erzogen wurde und sie nie erfahren hatte, wer ihr Vater ist.

„Was hat Zamperoni denn?“, fragte Antonella.

„Amyotrophe Lateralsklerose, besser als <ALS> bekannt“, antwortete der Commissario.

„Das kenne ich nicht“, antwortete Antonella, „was ist das?“

„ALS ist eine heimtückische Krankheit, für die es keine Heilung gibt“, antwortete der Commissario.

„Eine Folge der Muskelatrophie ist die allgemeine Kraftlosigkeit der betroffenen Regionen. Zamperoni hätte gar nicht die Kraft gehabt jemanden zu ermorden.“

„Und warum hat der Ispettore das nicht gesehen?“, fragte Antonella.

„Weil er ein <stronzo di merda> ist“, antwortete der Commissario, „der raubt mir noch den letzten Nerv.“

„Aber, aber, Commissario“, sagte Antonella, die über den Kraftausdruck ihres Chefs verwundert war.

„Ich habe einen gewissen Avvocato Mancini einbestellt“, überging der Commissario die Bemerkung von Antonella,