Das Buch vom Glücklichsein - Jorge Bucay - E-Book

Das Buch vom Glücklichsein E-Book

Jorge Bucay

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Beschreibung

»Gibt es das Glück? Ich meine ja. Und wenn es so ist, was macht es aus?« Jorge BucayDas Buch vom Glücklichsein‹ schließt die Reihe der Bände ab, in denen Jorge Bucay, ein international anerkannter Psychoanalytiker und Gestalttherapeut, seinen Lesern die Rückbesinnung auf ihre persönlchen Bedürfnisse und Probleme ermöglicht. Nichts scheint so anfällig für Illusionen und Irrtümer zu sein, wie unsere Vorstellung von einem erfüllten Leben. Und doch gibt es einen Weg. Wir müssen entdecken, wer wir wirklich sind. Das Glück ist die Frucht einer ganz persönlichen Suche, einer aufrichtigen Annäherung an das eigene Leben. Es ist so individuell, dass es dafür keine übertragbare Formel gibt. »Meinen Weg kann nur ich gehen. Du musst deinen eigenen Weg finden.« Jorge Bucay

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Seitenzahl: 218

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Jorge Bucay

Das Buch vom Glücklichsein

Wege zu einem erfüllten Leben

Aus dem Spanischen von Lisa Grüneisen

FISCHER E-Books

Inhalt

WidmungKursbuchDie Allegorie von der KutscheEin paar Worte zu BeginnDer AnfangDer GlücksfaktorDie drei bisherigen Wege: Selbstabhängigkeit, Liebe und TrauerMors janua vitaeWir sind dafür geschaffen, das Glück zu suchenWir sind alle gleichGlück und Verstand1 Was ist Glück?Sich auf die Suche nach dem Glück machenNiemals aufgebenKonditionierungen überdenkenDie Idiotenregel2 UmwegeUnglück und ErwartungenVom Irrweg zur KonformitätDer Club der OUD (Opfer Ungerechtfertigter Diskriminierung)Der erste große Irrweg: Glück mit Erfolg gleichsetzenDer zweite große Irrweg: Glück mit Vergnügen gleichsetzenDer dritte große Irrweg: Glauben, dass es mit Liebe getan istDer vierte große Irrweg: Dem Schmerz ausweichenDer fünfte große Irrweg: Überbewerten, was fehltErwartungen von Eltern und KindernGenetik oder LebensphilosophieDer Sinn, die Richtung und das Ziel sind wesentlich3 Sich wieder auf den Weg machenDie SinnsucheDie Wozu-lebe-ich-UmfrageDer Kompass des LebensDie vier GlückstypenDie Suche nach SpaßDas Streben nach MachtDas Streben nach HöheremEine Mission habenKinder als LebensaufgabeMuss ich den einmal eingeschlagenen Weg immer weitergehen? Oder kann ich ihn verlassen?Ich will alles4 Wohlergehen, Psychologie und GlückDas Leben genießenTherapie und ihre GrenzenDie Realität akzeptieren und zu ihr stehen1) Die Psychotherapie, Kunst oder Wissenschaft?2) Die besonderen Anforderungen an einen Therapeuten3) Die therapeutische AusbildungGlück und SpiritualitätDer Weg zum Glück5 Und dann?Die Theorie von den sich überlagernden EbenenEpilogBibliographie

Dieses Buch ist denen gewidmet,

die ich liebe und die mich lieben, ohne Abhängigkeit.

Denen, die keine Angst haben, dass unsere Wege sich trennen,

weil sie wissen, wir begegnen uns wieder.

Denen, die glücklich sein wollen … trotz allem.

KURSBUCH

Mit Sicherheit gibt es einen Weg,

der vielleicht

auf vielerlei Weise

individuell und einzigartig ist.

Vielleicht gibt es einen Weg,

der mit Sicherheit

auf vielerlei Weise

für alle derselbe ist.

Mit Sicherheit gibt es

einen möglichen Weg.

Dieser Weg ist es, den man finden und gehen muss. Vielleicht macht man sich allein auf und ist überrascht, auf dem weiteren Weg all jenen zu begegnen, die in dieselbe Richtung unterwegs sind.

Dieses letzte einsame, persönliche, entscheidende Ziel sollte man nicht aus den Augen verlieren. Denn es ist unsere Brücke zu den anderen, der einzige Verbindungspunkt, der uns mit der Welt dessen verbindet, was ist.

Wie auch immer man das letzte Ziel nennen mag: Glück, Selbstverwirklichung, Erfüllung, Erleuchtung, Erkenntnis, innerer Frieden, Erfolg, Vollendung oder einfach das letzte Ziel … Es tut nichts zur Sache. Wir alle wissen, dass es darum geht, gut dort anzukommen.

Manche gehen unterwegs in die Irre und treffen ein wenig später ein, andere finden eine Abkürzung und werden zu kundigen Führern der anderen.

Einige dieser Wegführer haben mich gelehrt, dass es viele Wege gibt, die ans Ziel führen, unendlich viele Ausgangspunkte, Tausende von Optionen und Dutzende von Routen, die in die richtige Richtung führen. Wege, die jeder für sich geht. Doch einige Wege sind stets Teil des ganzen Weges.

Wege, denen man nicht ausweichen kann.

Wege, die man gehen muss, wenn man weiterkommen will.

Wege, auf denen wir lernen, was man unbedingt wissen muss, um das letzte Wegstück in Angriff zu nehmen.

Für mich sind diese unerlässlichen Wege die folgenden vier:

 

Der Weg der Begegnung mit sich selbst. Ich nenne ihn den Weg der Selbstabhängigkeit.

Der Weg der Begegnung mit dem anderen, mit der Liebe und der Sexualität. Ich nenne ihn den Weg der Begegnung.

Der Weg der Verluste und des Schmerzes. Ich nenne ihn den Weg der Tränen.

Und schließlich den Weg der Erfüllung und der Sinnsuche. Ich nenne ihn den Weg des Glücks.

 

Auf meiner eigenen Reise habe ich die Wegweiser studiert, die andere auf ihrer Reise hinterließen, und verwendete einige Zeit darauf, meine eigenen Karten dieser vier Wege zu zeichnen.

Diese Karten wurden mit den Jahren zu einer Art Leitfaden, der mir half, wieder auf den Weg zurückzufinden, wenn ich die Orientierung verlor.

Vielleicht können meine Bücher dem einen oder anderen eine Hilfe sein, der wie ich immer wieder in die Irre geht. Vielleicht sind sie auch jenen Anregung, die in der Lage sind, Abkürzungen zu finden. Aber eine Karte ist immer etwas anderes als die Landschaft selbst; wir müssen die Route immer wieder korrigieren, wenn wir aufgrund unserer eigenen Erfahrungen einen Fehler des Kartographen entdecken. Nur so können wir den Gipfel erreichen.

Hoffentlich begegnen wir uns dort.

Das würde bedeuten, dass du es geschafft hast.

Und es würde bedeuten, dass auch ich es geschafft habe.

Jorge Bucay

DIE ALLEGORIE VON DER KUTSCHE IV

Vor mir fächert sich der Weg auf.

Mindestens fünf verschiedene Richtungen stehen mir offen.

Auf einem Stein an der Kreuzung sitzt ein alter Mann.

 

»In welche Richtung muss ich?«, frage ich ihn.

»Kommt darauf an, wonach du suchst«, antwortet er unbewegt.

»Ich möchte glücklich sein«, sage ich.

»Jeder dieser Wege kann dich zum Glück führen.«

 

Ich bin überrascht.

 

»Dann ist es egal, welchen Weg ich einschlage?«

»Nein.«

»Aber du hast doch gesagt …«

»Nein. Ich habe nicht gesagt, dass jeder Weg zum Ziel führt. Ich sagte, jeder kann zum Ziel führen.«

»Ich verstehe nicht.«

»Der Weg, den du wählst, wird dich zum Ziel bringen. Wenn du den richtigen wählst.«

»Aber welcher ist der richtige Weg?«

 

Der alte Mann schweigt, und ich begreife, dass ich keine Antwort auf meine Frage bekommen werde.

Ich beschließe, anders zu fragen:

 

»Wie wähle ich weise? Was muss ich tun, um keinen Fehler zu machen?«

 

Diesmal bekomme ich eine Antwort:

 

»Nicht fragen. Keine Fragen stellen.«

 

Dort sind also die Wege.

Ich weiß, die Entscheidung ist wichtig. Ich darf keinen Fehler machen …

 

Der Kutscher schlägt mir vor, den rechten Weg zu nehmen.

Die Pferde scheinen den abschüssigen Weg zur Linken zu bevorzugen.

Die Kutsche rollt langsam geradeaus, auf den Hang zu.

Und ich, der Passagier, glaube, dass es besser wäre, den schmalen, steilen Pfad weiter seitlich zu nehmen.

Wir sind alle eins, und doch stecken wir in Schwierigkeiten.

 

Und dann sehe ich, wie der Kutscher, die Kutsche und die Pferde ganz langsam und erstmals in dieser Deutlichkeit mit mir verschmelzen.

Auch der alte Mann löst sich auf und wird Teil des Ganzen, genau wie die Wege, die ich bis hierher zurückgelegt, und die Menschen, die ich kennengelernt habe.

Ich bin nichts von alldem, aber ich trage alles das in mir.

Ich bin es, der sich, nun vollständig, für einen Weg entscheiden muss.

Ich setze mich dorthin, wo zuvor der alte Mann gesessen hat, und nehme mir ein wenig Zeit. Die Zeit, die ich brauche, um meine Entscheidung zu treffen.

Ohne Eile. Ich will nicht aufs Geratewohl raten, ich will eine Wahl treffen.

Es regnet.

Ich stelle fest, dass ich es nicht mag, wenn es regnet.

Aber es würde mir auch nicht gefallen, wenn es nie regnet.

Es sieht ganz so aus, als wollte ich, dass es nur regnet, wenn mir nach Regen ist.

Trotzdem bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich das wirklich will.

Es ist, als betrachtete ich meinen Ärger von außen. Als hätte er nichts mit mir zu tun.

Und tatsächlich hat der Regen nichts mit mir zu tun.

Aber es ist mein Ärger, ich bin es, der ihn nicht akzeptiert, ich bin es, der ungehalten ist.

Ist es, weil ich nass werde?

Nein.

Ich ärgere mich, weil mich der Regen stört.

Es regnet …

Soll ich mich beeilen?

Nein.

Weiter vorne regnet es auch.

Was macht es schon, wenn ich ein bisschen nass werde? Der Weg ist es, auf den es ankommt.

Es geht nicht darum anzukommen. Es geht um den Weg dorthin.

Eigentlich ist nichts von Bedeutung, außer dem Weg.

EIN PAAR WORTE ZUM BEGINN

Ich wäre gern[1]

Eines Tages, vor langer, langer Zeit, berief Gott eine Versammlung ein.

Von jeder Spezies war ein Vertreter geladen.

Als alle versammelt waren und Gott sich so manche Klage angehört hatte, stellte er eine einzige Frage: »Was möchtest du sein?«

Und alle antworteten ehrlich und mit offenem Herzen.

Die Giraffe sagte, sie wäre gern ein Panda.

Der Elefant wollte eine Mücke sein.

Der Adler eine Schlange.

Der Hase wollte eine Schildkröte sein und die Schildkröte eine Schwalbe.

Der Löwe wäre lieber eine Katze gewesen.

Der Fischotter ein Wasserschwein.

Das Pferd eine Orchidee.

Und der Wal bat darum, eine Drossel sein zu dürfen …

Als die Reihe am Menschen war, der sich zufällig gerade auf dem Weg der Wahrheit befand, sagte er nach kurzer Bedenkzeit:

»Herr, ich wäre gern … glücklich.«

Vivi García

 

Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal ein Buch mit diesem Titel schreibe.

El camino de la felicidad. »Der Weg des Glücks«, das klingt so kitschig … Als gäbe es den einen Weg zum Glück.

 

Ich könnte viele Begründungen ins Feld führen, aber die wichtigste ist, dass in der Serie der bisherigen Bücher jedes einen der Wege im Titel trägt, die zurückzulegen sind: Wege zum Ich, Wege zur Liebe, Wege aus Schmerz und Verlust … Wie hätte dieser letzte Weg heißen sollen, wenn nicht der Weg der Erfüllung, des Glücks?

 

Trotzdem will ich dir gleich zu Anfang sagen, dass ich keinesfalls glaube, es gäbe nur einen einzigen Weg zum Glück.

Sollte es ihn geben, dann kenne ich ihn nicht.

Und würde ich ihn kennen, glaube ich nicht, dass er sich in einem Buch schildern ließe.

 

Die letzten zehn Jahre habe ich hauptsächlich damit verbracht, Vorträge über seelische Gesundheit und Psychologie im Alltag zu halten; ich habe zwar über das Glück gesprochen, aber nie darüber geschrieben. Wie so viele habe ich ziemlich viel Zeit damit verbracht, über das Glück nachzudenken, aber in meinen Vorträgen, Büchern und Fernsehsendungen beschäftigte ich mich mit anderen Dingen, die ich in diesem Moment für seriöser hielt und die deshalb scheinbar größere Aufmerksamkeit verdienten.

 

Warum habe ich das Glück vernachlässigt? Wahrscheinlich hielt ich es für ein oberflächliches Thema, das eher in Hochglanzmagazine gehört, die dazu Fotos von schönen Menschen in traumhaften Landschaften abdrucken.

 

Natürlich wollte ich persönlich immer glücklich sein, aber ich erinnere mich, dass ich im Nachhinein mit einem Interview haderte, in dem ich diesen Wunsch äußerte. Wie für die meisten war dieses »Ich möchte glücklich sein« für mich eine leere Worthülse.

 

Von meinem Standpunkt als Wissenschaftler gesehen, hieß über das Glück zu sprechen zwangsläufig, vor Kitsch triefende Gemeinplätze zu bedienen.

 

Das war sicherlich der Grund dafür, dass ich jahrelang der Überzeugung war, mit diesem Thema sollten sich Ratgeberbücher befassen, aber keine ausgebildeten Therapeuten und schon gar keine Schriftsteller, nicht mal Amateurschriftsteller wie ich.

 

Dabei ist das Glück ein ungemein wichtiges Thema, mit dem man sich genauso auseinandersetzen sollte wie mit den Tücken der Kommunikation, der Einstellung zu Liebe und Tod oder der religiösen Identität (Themen, die alle ihren Platz in meinen Büchern haben).

Der Anfang

Der Psychologe Viktor Frankl, der die Konzentrationslager der Nazis überlebte, schreibt in seinem Buch Der Mensch auf der Suche nach Sinn, dass seine Wärter sämtliche Lebensbereiche der Gefangenen kontrollierten: Sie bestimmten, ob ein Gefangener überlebte, an Unterernährung starb, gefoltert oder ins Gas geschickt wurde. Und doch gab es etwas, das sich der Kontrolle der Nazis entzog, nämlich die Art und Weise, wie die Gefangenen auf all das reagierten.

Frankl zufolge hing es in großem Maße von dieser Reaktion ab, ob ein Gefangener überlebte oder nicht.

 

Die Menschen gleichen sich in all ihrer Verschiedenheit; das heißt, sie alle haben Stärken und Schwächen, doch diese sind ungleichmäßig verteilt. Was dem einen leichtfällt, ist für den anderen schwierig und umgekehrt. Der eine spielt besser Klavier und lernt schneller, andere sind darin noch schlechter als ich, aber wir alle können mit ein wenig Anleitung und Disziplin besser spielen lernen, als wir es heute tun.

Ich wage zu behaupten, dass es mit dem Glück genauso ist:

 

Wir alle können uns darin üben, glücklicher zu sein.

 

Ich kann nicht zwingend eine Relation zwischen den Lebensumständen eines Menschen und seinem Glücksstatus herstellen. Wenn die äußeren Umstände per se für das Glück verantwortlich wären, wäre es ganz einfach. Es würde ausreichen, die Lebensumstände einer Person zu kennen, um zu wissen, ob sie glücklich ist.

Das Glück eines Menschen ließe sich mit zwei einfachen Gleichungen messen:

 

Der Person passieren gute Dinge → Sie ist glücklich

Der Person passieren schlechte Dinge → Sie ist unglücklich

 

Da zumindest die schlechten Dinge recht willkürlich verteilt sind, könnte man zu dem Schluss kommen, dass glücklich zu sein schlicht und einfach eine Frage des Zufalls ist. Doch das ist eine falsche, naive oder, schlimmer noch, böswillig verbreitete Schlussfolgerung, um sich der eigenen Verantwortung zu entziehen.

 

Denn früher oder später kommen wir nicht umhin zu akzeptieren, dass wir selbst für unser Glück verantwortlich sind. Es ist die vielleicht größte Lebensaufgabe überhaupt, denn das Streben nach Glück ist nicht nur eine Menschheitssehnsucht, sondern ein Grundbedürfnis des Menschen.

Alle Menschen wollen glücklich sein. Wir tun viel dafür und haben ein Recht darauf, unser Ziel zu erreichen.

Mehr noch: Wir haben die Pflicht, uns auf diese Suche zu machen.

Der Glücksfaktor

Ein Priester sagte immer zu seinen Gläubigen, unglücklich zu sein, sei so viel leichter, als glücklich zu sein.

Wenn ich mich unglücklich fühle, erklärte er, dann gehe ich den einfachen Weg und lasse zu, dass die Umstände mich von Gott entfernen. Glück hingegen ist etwas, wofür wir uns anstrengen müssen, nicht einfach nur ein Gefühl, das daraus resultiert, dass uns etwas Gutes widerfährt.

Ich maße mir kein Urteil über seine theologische Denkweise an, aber ich stimme mit ihm darin überein, dass es vor allem von uns selbst und weniger von den äußeren Umständen abhängt, ob wir glücklich sind oder nicht.

Ich möchte dir zeigen, dass in großem Maße jeder selbst für sein Glück verantwortlich ist.

Glück ist ein Faktor, der von Person zu Person variieren kann und in den unterschiedlichen Lebensphasen eines Menschen einem Wandel unterliegt. Ich nenne ihn mal den Glücksfaktor.

 

Auch auf die Gefahr hin, dass ich zu sehr vereinfache, definiere ich Glück im Wesentlichen als die Summe dreier grundlegender Faktoren:

 

I. Ein gewisses Bewusstsein für die Zusammenhänge zwischen uns und unserer Umwelt.

Ich kann nicht glücklich sein, wenn ich nicht weiß, welchen Anteil ich selbst an dem habe, was mir widerfährt.

 

II. Die Entwicklung einer inneren Einstellung, die uns davon abhält, den Mut zu verlieren.

Ich kann nicht glücklich sein, wenn ich bei der ersten Schwierigkeit aufgebe.

 

III. Die Anstrengung auf sich nehmen, die es braucht, um zur Weisheit zu gelangen.

Ich kann nicht glücklich sein, wenn ich mich in Ignoranz flüchte und nicht einmal erkennen will, dass ich nichts weiß.

 

Es sollte klar sein, dass sich dieses Buch mehr mit dem Glück als Lebenshaltung als mit der Analyse des zugrundeliegenden Gefühls beschäftigt.

Es erscheint mir wichtig, dies gleich zu Anfang zu betonen, denn ich höre so oft, dass Menschen vom Glück reden, als handele es sich um ein Synonym für Fröhlichsein. Aber ich bin überzeugt, dass dem nicht so ist.

 

Ziel dieses letzten Kursbuchs ist es, gemeinsam die einzelnen Aspekte und ihre unterschiedlichen Kombinationen zu betrachten, aus denen sich die drei Elemente unseres G-Faktors zusammensetzen, und der Frage auf den Grund zu gehen, was wir tun können, um diesen Glücksfaktor zu entwickeln.

DIE DREI BISHERIGEN WEGE: SELBSTABHÄNGIGKEIT, LIEBE UND TRAUER

Die Kunst zu sterben und die Kunst zu leben sind eins.

Epikur

Im Buddhismus geht es oft darum, wie wir uns unseren Feinden gegenüber verhalten. Denn Hass kann das größte Hindernis auf dem Weg zum Glück sein.

Tatsächlich spielt die Einstellung gegenüber Feinden und Gegnern für einen spirituellen Menschen eine tragende Rolle in seinem Leben.

Folgen wir der Denkweise des Dalai Lama, so ist offensichtlich, dass man sich in Geduld und Toleranz üben muss, um zu vollkommener Liebe und Annahme zu finden.

Wenn wir lernen würden, unseren Feinden gegenüber geduldig und langmütig zu sein, wäre alles viel einfacher, und Mitgefühl und Liebe kämen von ganz alleine.

 

Es gibt keine stärkere Kraft als die Geduld.

Es gibt kein größeres Unglück als den Hass.

 

Es war einmal ein griechischer Philosoph, der trug einem Schüler, der als besonders streitlustig und arrogant galt, auf, drei Jahre lang jedem Geld zu geben, der ihn beleidigte.

Nachdem diese Zeit vorbei und die Prüfung bestanden war, sagte der Lehrer zu ihm:

»Nun kannst du nach Athen gehen und lernen, was Weisheit ist.«

Dort angekommen sah der Schüler einen Mann vor den Toren der Stadt sitzen, der jeden beschimpfte, der vorbeikam.

Als er auch den Schüler beschimpfte, lachte dieser und verbeugte sich zum Dank bei jedem Schimpfwort.

»Warum lachst du, wenn ich dich beschimpfe?«, fragte der Mann, der ein weiser Mann war.

»Weil ich drei Jahre lang für das bezahlt habe, was du mir gerade umsonst gibst«, antwortete der Schüler.

»Geh in die Stadt«, sagte der Weise daraufhin. »Sie gehört dir …«

 

Wichtiger noch als seine Leidensfähigkeit und sein Durchhaltevermögen, die es dem Schüler ermöglichten, diese schwierige Zeit gut zu meistern, war seine Fähigkeit, eine andere Sichtweise einzunehmen.

 

Die Fähigkeit, eine andere Perspektive einzunehmen, ist eines der wirkungsvollsten Instrumente, die uns zur Verfügung stehen.

 

Die Wege, die wir bisher gegangen sind, dienen vielleicht einzig und allein dazu, die Perspektive zu verändern, mit der wir aufgewachsen sind.

Dass wir diese Wege gegangen sind, hat uns beigebracht …

 

… dass wir nur von uns selbst abhängig sind.

… dass wir die anderen brauchen, um unseren Weg zu gehen, nicht aber einen bestimmten Menschen.

… dass wir den Schmerz des Verlusts und des Verlassenwerdens ertragen und überwinden können.

Kurzum:

… dass wir, und nur wir, für unser Leben verantwortlich sind.

 

Wenn ich zum Beispiel die Freude der Begegnung erfahre, lerne ich gleichzeitig auch, dass der Zustand leidenschaftlicher Verliebtheit vorübergeht und die Zeit die Beziehung und damit auch uns verändert.

Desmond Morris beschreibt in seinem Buch Der Mensch mit dem wir leben die Veränderungen, die der Mensch in seinem Bedürfnis nach Nähe durchläuft. Ihm zufolge gibt es vier verschiedene Phasen:

 

Phase I: Komm ein bisschen näher

Phase II: Halt mich ganz fest

Phase III: Nicht ganz so fest, bitte

Phase IV: Lass mich endlich los!

 

Dieses Modell ist nicht nur witzig, sondern entspricht auch meiner eigenen Überzeugung, dass erdrückende Nähe nichts mit wahrer Liebe zu tun hat. Aber das lernt man nur, wenn man unabhängig wird und auch die Möglichkeit von Tränen zulässt.

 

Als ich zum ersten Mal über all das nachdachte, kam es mir vor, als gäbe es durchaus noch etwas Schlimmeres als den Hass, von dem der Dalai Lama spricht: Das Beharren auf bestimmten Strukturen und Vorstellungen und die Intoleranz anderen gegenüber.

Aber dann stellte ich fest, dass meine Liste nichts anderes war als eine Aufzählung unterschiedlicher Erscheinungsformen von Hass.

Da ich aus meiner beruflichen Erfahrung weiß, dass Liebe und Hass sich nicht ausschließen müssen, sondern oft eine ambivalente Beziehung miteinander eingehen, arbeite ich als Therapeut und Dozent mit den Werten Begegnung, Bindung und Abneigung, die ich für die drei Säulen seelischer Gesundheit halte.

Ich sage immer, die große Herausforderung auf dem Weg zu mir selbst besteht darin, dass ich zwei Dinge lerne: Wie man etwas anfängt und wie man aus einer Sache wieder herauskommt.

Ein interessantes Thema

 

Der Tod ist das einzige Phänomen, das nicht von der Gesellschaft verdorben wurde. Der Mensch hat alles beschmutzt, nur der Tod ist immer noch unberührt und unverdorben. Der Mensch kann den Tod nicht begreifen, er kann keine Wissenschaft aus ihm machen. Es ist so aussichtslos, dass er nicht weiß, was er mit dem Tod machen soll. Deshalb ist der Tod das einzig wahrhaft Reine in der Welt.

Osho

 

Es ist ja nicht so, dass der Tod uns einfach nur beschäftigt, nein, er interessiert uns insofern, als er sich als schöpferische Erweiterung des Lebens darstellt.

Der Tod versetzt uns in einen interessanten, erweiterten Zustand dem Leben gegenüber und gibt diesem eine neue, andere Bedeutung.

Wenn wir einen Verlust erfahren, empfinden wir unser Leben stärker, intensiver.

Verluste und die Liebe sind wichtige Marksteine unseres Lebens, die uns dem anderen gegenüber verorten.

 

Sowohl die Liebe als auch der Verlust benötigen einen anderen, um sein zu können.

 

Wenn wir uns aus der Abhängigkeit lösen, wenn wir von Liebe umgeben sind und uns dem Gedanken an den Tod stellen, findet eine Transformation statt. Es ist eine tiefgreifende Veränderung, die Geburt eines neuen Seins. Man wird nie wieder derselbe sein; das Wissen um die Selbstabhängigkeit, das Bewusstsein der Endlichkeit von allem, was uns umgibt, und die Unermesslichkeit der Liebe bringen uns in Grenzsituationen. Es sind Extremerfahrungen, die sich völlig jeder äußeren und inneren Kontrolle entziehen.

 

Wir neigen dazu, von anderen abhängig zu sein anstatt zu lieben.

Und wenn wir nicht lieben, können wir den Schmerz des Todes nicht in seiner ursprünglichen Form erfahren, sondern betrauern lediglich unsere Hilflosigkeit angesichts des Verlusts.

 

Gurdjieff sagt:

Um wirklich zu leben, muss der Mensch wiedergeboren werden.

Um wiedergeboren zu werden, muss der Mensch sterben.

Und um zu sterben, muss der Mensch innerlich erwachen.

 

Ein erfülltes Leben ist eine Abfolge wiederholten inneren Erwachens, zu dem wir auf den in dieser Buchreihe beschriebenen Wegen gelangen.

Um Liebe zu erfahren, braucht es die Freiheit der Selbstabhängigkeit.

Es braucht die Liebe, um den Schmerz eines Verlusts zu erfahren.

Es braucht den Schmerz des Todes, um den Tod zu überwinden.

Es braucht viele Tode, um den Weg des Glücks zu finden.

 

Dieses Schema möchte veranschaulichen, welchen Einfluss der Schmerz auf unser Leben hat.

Was die kognitive Entwicklung des Einzelnen angeht, kommt dem Tod eine wesentlich größere Bedeutung zu als der Liebe; der Tod lehrt den Menschen mehr über das Leben als die Liebe. Verluste sind mit Sicherheit nichts, was man sich wünscht, aber mit ebensolcher Sicherheit werden wir ihnen auf unserem Weg begegnen.

Man muss deshalb nicht den Tod herbeiwünschen, um zur Erkenntnis zu gelangen. Es genügt, zu erwachen.

In Ergänzung zu Gurdjieff möchte ich den amerikanischen Schriftsteller und Journalisten Ambrose Bierce zitieren:

 

Wenn du willst, dass deine Träume wahr werden, wach auf!

 

Für Hegel hat die gesamte Geschichte der Menschheit eine dialektische Dynamik. Die Realität ist zutiefst widersprüchlich und kann vom menschlichen Verstand nur in Teilen und in einer Abfolge von Phasen erfasst werden – Phasen des Erwachens, wie ich sie nennen würde. Die Realität existiert nicht als Ganzes, noch wird sie in ihrer Gesamtheit gesehen. Vielmehr wird sie im Laufe der Zeit. Im Wesentlichen sind Erkenntnis und Realität eins, eine Bewegung auf einen Endpunkt hin, das Absolute, das nicht nur das Ende ist, sondern das Ganze, das Sein, das sich im Entstehen vervollkommnet.

Der dialektische Prozess wird von Hegel als eine Abfolge von Phasen – oder dialektischen Momenten – beschrieben, die als These, Antithese und Synthese bezeichnet werden. Die These stellt eine Behauptung auf; deren Negation, die Antithese, steht im Kontrast oder Konflikt zu dieser. Der dialektische Ansatz wirft einen Blick auf das Ganze und führt dann zu einem dritten Moment, der Vermittlung zwischen dem Widersprüchlichen und dem Versuch, den Widerspruch aufzulösen. Dieser mündet in eine neue Position, die den ursprünglichen Ausgangspunkt zusammenfasst und zugleich überwindet. Damit kann der dialektische Prozess von neuem beginnen.

Der Prozess endet im tiefen Begreifen der Realität und des eigenen Selbst als einem vollkommenen, absoluten, konfliktfreien Wissen. Am Kulminationspunkt, der Synthese (dem Glück?), sind die Widersprüche überwunden, und all jene Momente, die es uns ermöglicht haben, zu dieser neuen Ebene zu gelangen, erscheinen uns nun als notwendig.

Wenn wir zurückschauen, wird uns bewusst, dass all jene Momente, von denen wir gewünscht hätten, es hätte sie nie gegeben, uns zu der vollkommenen Zufriedenheit geführt haben, die wir nun erleben.

 

These: Begegnung mit sich und anderen. Liebe.

Antithese: Tod, Trennung, Verlust.

Synthese: Glück, Vollkommenheit, Vollendung des Individuums.

 

Schwierigkeiten erweisen sich letztendlich als positive Lebensetappen, denn erst durch sie gelangen wir zum Glück.

 

Oft glauben wir, Konflikte und Enttäuschungen bedeuteten den Verlust des Glücks. Doch das stimmt nur, wenn man Glück mit dem kindlichen Lustprinzip verwechselt, nach dem jeder Wunsch im Leben in Erfüllung gehen muss.

Verluste führen immer zu einer Identitätskrise, sind aber nicht gleichbedeutend mit dem Verlust des Glücks.

 

Das Wort Krise – ich sage es immer wieder – wird zu Unrecht ausschließlich negativ gesehen. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass eine Krise vor allem Veränderung bedeutet, und unsere Gesellschaft fürchtet die Veränderung. Sie bewegt sich lieber in der Komfortzone des Beständigen.

Dem »anderen« wird mit Angst und Ablehnung begegnet.

Aber vorwärtszugehen bedeutet immer, Dinge zurückzulassen und sich mit Neuem auseinanderzusetzen.

 

Die einzige Angst, die du vor Veränderungen haben solltest, ist die Angst, dass es dir nicht gelingt, dich mit ihnen zu verändern. Dass du glaubst, an tote Dinge gefesselt zu sein, Vergangenem nachzuhängen, gleich zu bleiben.

 

In der westlichen Welt glaubt man, dass das Leben kurz ist. Es heißt immer, dass wir mit dem Tag unserer Geburt dem Tod täglich ein Stück näher kommen, und das schafft lähmende Angst und Beklemmung.

Jede Annehmlichkeit, jeder Luxus, jeder Reichtum verlieren ihren Sinn, weil wir nichts davon ins Jenseits mitnehmen können. Im Westen geht man dem Tod einsam entgegen.

Die östliche Welt ist da viel entspannter. Zum einen wird dem Tod nicht so viel Bedeutung beigemessen; er ist lediglich eine Veränderung der Daseinsform. Und weil der Tod nicht das Ende darstellt, sondern einen Wandel, kann man die inneren Reichtümer entspannt genießen, denn sie bleiben über das Leben hinaus erhalten. Der Tod kann sie dir nicht nehmen.

 

Eine Sufi-Weisheit besagt:

Nur was du bei einem Schiffbruch nicht verlieren kannst, nennst du wirklich dein eigen.