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"Hanns Dieter Hüsch, der lyrische Phantast vom Niederrhein, ist ein Parodist, der durch seine groteske Lyrik das Kleinbürgerliche entlarvt. Seine Texte nähern sich phasenweise Elementen des absurden Theaters, aber nicht im Sinne von Beckett oder Ionesco. Hüsch zieht das Widersinnige für Texte und Chansons aus der Wirklichkeit des Alltags, der gerade im niederrheinischen Landstrich eine Fundgrube theatralischer Absurditäten ist." [Quelle: Klaus Hübner in "die horen" 177] "Alles was ich bin / Ist niederrheinisch / All mein Fühlen und Denken / Reden und Singen / Ist niederrheinisch …"
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Seitenzahl: 378
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»Hanns Dieter Hüsch, der lyrische Phantast vom Niederrhein, ist ein Parodist, der durch seine groteske Lyrik das Kleinbürgerliche entlarvt. Seine Texte nähern sich phasenweise Elementen des absurden Theaters, aber nicht im Sinne von Beckett oder Ionesco. Hüsch zieht das Widersinnige für Texte und Chansons aus der Wirklichkeit des Alltags, der gerade im niederrheinischen Landstrich eine Fundgrube theatralischer Absurditäten ist.« (Klaus Hübner in »die horen« 177)
»Alles was ich bin / Ist niederrheinisch / All mein Fühlen und Denken / Reden und Singen / Ist niederrheinisch …«
Hanns Dieter Hüsch (1925–2005) war Schriftsteller, Kabarettist, Liedermacher, Schauspieler, Synchronsprecher und Rundfunkmoderator. Mit über 53 Jahren auf deutschsprachigen Kabarettbühnen und 70 eigenen Programmen gilt er als einer der produktivsten und erfolgreichsten Vertreter des literarischen Kabaretts im Deutschland des 20. Jahrhunderts.
Herausgegeben anlässlich seines 90. Geburtstags am 6. Mai 2015 von Helmut Lotz
Ich sing für die VerrücktenDie poetischen Texte
Denn in jeder Leiche ist ein Kind verstecktDie kabarettistischen Texte
… so dass sich die Landpfleger sehr verwundernDie politischen Texte
Ich habe nichts mehr nachzutragenDie christlichen Texte
Das Gemüt is ausschlaggebend. Alles andere is dumme QuatschDie Niederrhein-Texte
… dass die Erziehung seiner Kinder eine völlig verfahrene warDie Hagenbuch-Texte
Gemacht aus Bauern- und BeamtenschwächeDie autobiografischen Texte
… am allerliebsten ist mir eine gewisse HerzensbildungDie Interviews
Hanns Dieter Hüsch
Das Gemüt isausschlaggebend Alles andere isdumme Quatsch
Die Niederrhein-TexteDas literarische Werk, Band 5
Mit einem Vorwort von Fritz Pleitgen
Edition diá
Vorwort
Das schwarze Schaf vom Niederrhein. Texte und Lieder vom flachen LandAm Niederrhein. Pflaumenkuchen und schlaflose NächteZuhause. Gedanken von Hanns Dieter Hüsch zu Niederrhein-Bildern von Norbert SchinnerTach zusammen. Geschichten von Hanns Dieter Hüsch und Niederrhein-Bilder von Norbert SchinnerÜberall ist NiederrheinMein Traum vom NiederrheinSach ma nix. Unser Niederrhein – eine Reise in Geschichten und BildernEwig und drei Tage. Mein immerwährender Kalender vom NiederrheinEssen kommen!Verstreut erschienene TexteKalender »Unser Niederrhein«
Editorische NotizTextverzeichnisImpressum
Mit Omma und Cousine
Dass ich Sie, verehrte Leserinnen und Leser, mit dem Vorwort zu den niederrheinischen Texten des unvergessenen Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch traktieren darf, hat mich selbst überrascht. Aus zwei Gründen. Erstens habe ich den begnadeten Wortkünstler vom Niederrhein persönlich nicht kennengelernt. Zweitens ist mir ein großer Teil seiner Glanzzeit aufgrund fortgesetzter Auslandstätigkeit entgangen. Gewichtige Defizite für eine Würdigung, wie ich finde.
Dass ich es trotzdem ins Vorprogramm der gesammelten Hüsch-Texte geschafft habe, verdanke ich meiner ethnischen Herkunft. Ich bin in Duisburg geboren; mit exquisiter Wohnlage in Untermeiderich. Auf unser Viertel ging in Myriaden Staubpartikeln der rostbraune Segen des nahegelegenen Thyssen-Stahlwerks nieder. Unaufhörlich und unentrinnbar.
Aber deshalb keine Klage über meine Vaterstadt. Ganz im Gegenteil. Dank Duisburg genieße ich ein Privileg von unschätzbarem Wert. Mit Stolz darf ich sagen: Ich bin ein Niederrheiner. Wie Hüsch. Qua Geburt. Auch wenn ich schon drei Monate später für immer aus dem Niederrhein verschleppt wurde (mein Vater wollte endlich Arbeit haben), gilt für mich das ius sanguninis. Zeit meines Lebens. Konnte Kennedy nicht vorweisen, als er sich in Berlin einbürgerte. Für den Verlag war meine niederrheinische Abstammung jedenfalls das entscheidende Kriterium, mich als Vorwort-Schreiber auf Sie loszulassen.
Der Niederrheiner ist, wie inzwischen weithin anerkannt, der Menschenschlag, den Hanns Dieter Hüsch in den Rang einer Kulturnation geschrieben hat. Wenn Sie mich fragen, wer es aus diesem auserwählten Völkchen zu internationaler Größe geschafft hat, würden mir durchaus einige Namen einfallen. Ich müsste allerdings etwas nachdenken. Joseph Beuys aus Krefeld ist klar, Joseph Goebbels aus Rheydt leider auch. Und sonst?
Nobelpreisträger finden sich nicht in unseren Reihen, auch keine Oscar-Gewinnerinnen. Das Zeug dazu hätte unsereins schon, aber wir wollen uns nicht aufdrängen. Klingt ziemlich dialektisch, mögen Sie meinen. Stimmt. Dialektik in allen Lebenslagen, das ist ein spezieller Charakterzug der Niederrheiner. In den Texten von Hanns Dieter Hüsch wird sie hemmungslos ausgespielt. Sie als Leserinnen und Leser werden Ihren Spaß haben, und Sie werden – ich wette – bei der Lektüre urplötzlich feststellen, dass Sie im tiefen Grunde Ihres Wesens auch Niederrheiner sind.
Hoch hinaus ist nicht unser Ding. Bei uns geht Weite vor Höhe. »Dat kommt vonne Landschaft«, sagt Hanns Dieter Hüsch, unser Wortführer. »Von dem flachen Gebiet. Da siehste alles un nix. Du kannz am Niederrhein bis ant Ende der Welt gucken.« Grenzenlose Weitsicht in alle Richtungen! Das hat eine Qualität, die macht uns keiner nach.
Für diese Gottesgabe braucht man den richtigen Standort. Das ist die Mitte. Nicht einfach Mitte, sondern extreme Mitte. Wo der Durchschnitt zu Hause ist. Und im Durchschnitt sind wir Niederrheiner spitze. Wie Hans-Hubert Vogts aus Brüggen. Weltmeister, aber unaufdringlich.
Und was ist unsere Stärke? Das Alltägliche. Was Außenstehende als Schwadronieren empfinden, ist beim Niederrheiner Ausdruck, man kann auch sagen Ausbruch des Allmenschlichen. Im Dostojewski’schen Sinne. Jawoll, ich scheue mich nicht, diese Charakterisierung zu gebrauchen. Maestro Hüsch hat das brillant erkannt. Vom Höcksken aufs Stöcksken [1], so lässt er die Niederrheiner die Welt und ihre Menschheit durchschauen. »Niederrhein ist überall.« Das ist seine Kernbotschaft.
Ehe ich einen Proteststurm auslöse, will ich schnell nachtragen, dass wir neben Beuys und Goebbels natürlich noch mit anderen Niederrheinern aufwarten können, die sich einen Namen gemacht haben. Tebartz-van Elst lasse ich mal außen vor, obwohl der sich als Bischof jede Mühe gegeben hat, in aller Munde zu sein, gottlob kaum über die Grenzen unserer vereinten Republik hinaus. Sieht man vom Vatikan ab. Claudia Schiffer, Günter Netzer und Frank Peter Zimmermann sind hingegen rund um den Globus bekannt, allerdings nicht als Niederrheiner.
Von uns am weitesten gebracht hat es Hans Lippershey aus Wesel. Kennen Sie nicht? Er ist der Erfinder des Fernrohrs. Sein Name ziert einen Mondkrater und den Asteroiden 31338. Will ich mal so einfließen lassen. So ganz ohne sind wir also nicht. Aber keiner und keine war so bekannt wie Hanns Dieter Hüsch.
Alle liebten ihn und seine Programme. Das heißt: fast alle. Es gab Rotzlöffel unter den 68ern, die ihm Kitschgemüt mit Brokat vorwarfen. Im Vergleich zu den damals gebräuchlichen Invektiven war das fast eine Liebeserklärung. Aber empfindlich, wie wir Niederrheiner sind, fühlte sich Hanns Dieter Hüsch übel verleumdet. Dabei hatte er doch so viel Sympathie für die Aufsässigkeit der Jungen bekundet!
Aber was halten wir uns mit ein paar Schmähungen auf, wenn es an Huldigungen nicht gefehlt hat. »Der Poet unter den Kabarettisten«, so nannte ihn unser Landes- und späterer Bundesvater Johannes Rau. Für den Kabarettisten Wilfried Schmickler war Hüsch, das schwarze Schaf vom Niederrhein, der sympathische Leithammel seiner Branche.
Jürgen Becker hat keinen Kollegen erlebt, der vom Kabarett so besessen war wie Hanns Dieter Hüsch. Morgens eine Predigt, anschließend eine Matinee und abends das volle Programm. Dabei nie hektisch, stets nachdenklich und manchmal melancholisch. »Du läufst immer weiter und irgendwann fällste vonne Erde.« Typisch Hüsch, meint Becker.
Wenn ich mir schon herausnehme, über Hanns Dieter Hüsch zu schreiben, dann führt kein Weg an meinem Sender, dem WDR, vorbei. In vielen hundert Radio- und Fernsehsendungen hat Hüsch unser Publikum beglückt; als Kabarettist, Moderator und Chansonnier. Hans Jacobshagen hatte als Redakteur mit ihm über Jahrzehnte zu tun. Mit Hochachtung spricht er von ihm als einem rastlosen Künstler, der seine Figuren über die Welt philosophieren ließ und immer da war, wenn politische und künstlerische Unterstützung gebraucht wurde.
Poet und Philosoph, das gefällt uns Niederrheinern. So sehen auch wir unseren Meister der beflügelnden Worte. Nehmen wir allein seine Feststellung »Der Niederrheiner weiß nichts, kann aber alles erklären«. Das ist ein Lehrsatz, der den Geist der praktischen Vernunft atmet. Wer wie wir Niederrheiner so ausgestattet ist, kann Eier auf die Spitze stellen und gordische Knoten durchschlagen. Dafür brauchen wir nicht Amerika zu entdecken oder Asien zu erobern.
Wenn man bedenkt, dass die Top-Philosophen der alten Griechen einräumen mussten, zu wissen, dass sie nichts wissen, dann ist die Niederrhein-Formel von Hüsch ein Quantensprung der Erkenntnis. Mit Pfiff. Der Däne Kierkegaard würde von sokratischer Ironie sprechen. Dass die Welt davon keine Kenntnis genommen hat, ist nicht unsere Schuld. Wie schon gesagt, wir Niederrheiner drängen uns nicht auf.
Mir verschafft die Hüsch-These »nichts zu wissen, aber alles erklären zu können« auf alle Fälle die finale Legitimation, Sie, verehrte Leserinnen und Leser, mit dem Vorwort zu Hüsch traktieren zu dürfen. Sollten Sie ihn am Ende der Lektüre sehen wie ich, würde es mich freuen. Wenn Sie zur gegenteiligen Ansicht kommen, hat das auch seine Richtigkeit. Das ist das Universale an Hanns Dieter Hüsch.
Fritz Pleitgen, 2015
Fritz Pleitgen (* 1938) war ARD-Korrespondent in Moskau, Leiter der ARD-Studios in der DDR, in Washington und New York, von 1995 bis 2007 Intendant des WDR und von 2007 bis 2010 Chef von »Ruhr.2010 Kulturhauptstadt Europas«.
[1] Für Nichtniederrheiner: vom Hölzchen aufs Stöckchen kommen; vom Hundertsten ins Tausendste kommen
Also ich hab mir gedacht
Dass wir dieses Buch mal ganz von vorne anfangen
Ich mach mir ja immer zuerst mal so Gedanken
Wie man son Buch anfangen könnt
Du musst hab ich mir gesacht das Wesentliche musste herauskriegen
Dat is ja nich so einfach das Wesentliche
Da versteht ja jeder wieder wat andres drunter
Un dann sind ja auch die Geschmäcker verschieden
Das Temperament is verschieden
Die Kücheneinrichtungen sind verschieden
Die Interessen sind verschieden
Der eine bosselt tagelang an seinem Segelboot erum
De sammelt alte Jazzplatten
Un de interessiert sich wieder für Keramik
Un da sach ich mir dann
Du musst das alles überhöhen
Alles objektiv überhöhen
Damit de subjektive Kram in den Hintergrund tritt
Dat is an sich gar nix Neues
Dat wird ja überall gemacht
Das Wesentliche überhöhen
Jaa ich würd sagen dann wolln wer mal Stücksken für Stücksken
Mal gucken wie weit wer kommen
Aber dat will ich Ihnen gleich sagen
Wenn Se mal lachen müssen dann lachen Se ruhig
Un wenn Se nich lachen müssen dann lassen Se et sein
Man kann auch nich verlangen dat alle gleichzeitig lachen
Dat hab ich noch nie erlebt
Un Patentlösungen
Die schlagen Se sich ma gleich aussem Kopp
Da fühl ich mich viel zu jung zu
Patentlösungen
Sehn Se mal das ganze Leben is doch gewissermaßen auf Fragen aufgebaut
Bis zuletzt
Un am Niederrhein
Also wenn man da so lebt
Oder gelebt hat
Die können einen ja dod un dusselig fragen
Un immer dieselben Fragen
Noch nach Jahren immer dieselben Fragen
Wie zum Beispiel
Hat der eigentlich sein Abitur
So
Ich wusst gar nich dat de sein Abitur hatte
Oder
Hat der nich früher immer am Rhein gestanden un de Schiffe gezählt
Oder wenn die Fragen sagen wer mal erzieherisch gemeint sein sollen
Dann setzen die dort in der Regel noch ein suggestives Sag mal
An den Anfang der Frage
Sag mal war der nich manchmal hier oben nich so ganz dicht
Ich wollt doch sagen
Der war doch manchmal hier oben nich so ganz richtig
Obwohl
Fragen zeigt ja auch eigentlich dass die Menschen in Gedanken sind
Aber am Niederrhein is man in Gedanken immer woanders
Un die stellen auch die Fragen nur weil ihnen in dem Moment nix
Anderes einfällt
Die Fragen sind also alles gestellte Fragen mehr oder weniger
Man sacht ja auch darum
Fragen stellen
Aber die können auch ganz gezielt fragen
Mit sonem materiellen Unterton
Sach mal wo is eigentlich die schöne Brosch von dein Mutter hingekommen
Dat war doch son alte sonne Gemme mit Gold drumerum
Un die Fragen die sind auch all wieder gestisch bedingt
Die lehnen sich dann meist beim Fragen so zurück
Die Arme so verschränkt
Dat heißt ja eigentlich
Dat se nix von sich hergeben wollen
Dat sind ja all Bauern gewesen früher
Un dann gucken die so un sagen dann
Oder oft sagen se auch nix
Aber wenn se dann wat sagen dann sagen se meistens
Kumma wie der geht
Kumma wie der dasitzt
Wie de wieder angezogen is
Der sieht ja verboten aus
Tach zusammen
Is denn auch bei Ihnen
Lieber Leser
Das Befinden zu Hause
Ich meine
Alles in Ordnung
Man hat ja immer Sorgen wenn man nich zu Haus is
Irgendwat is ja immer
Sehn Se mal de Wilhelm Steinschen 1928
De ging abends aus dem Haus
Kirchenchor
Am andern Morgen war et abgebrannt
Dat ganze Anwesen
Übrigens de Sohn von Hein Hupperts
Der macht ja auch sowat wie ich
De macht auch diese wie sagt man
Ich meine in so einem Theaterkeller
Spielt de auch Harmonium
Hat der sich selbst beigebracht
Abendkursus
Un trägt auch so Stücke vor na wie sagt man
Also als Schauspieler natürlich
Der Vater war ja Beamter bei de Kreisbahn lange Zeit
Un de Sohn wird Künstler
Ich meine das war ja vorauszusehn
Die Großeltern hatte ja in Winterswick einen großen Hof
Ich bin da öfter gewesen
Wir ham ja früher auch Theater gespielt
Vom Kegelclub aus
Wer war all dabei
Hermann Nepix un Fritz Klumpen un Minchen Mombour
De Bruder war ja bei de Straßenbahn
Un von da aus sind wir ja auch oft nach Duisburg in de Tonhalle gegangen
Die Theater sind ja später all zusammengebrochen
Da wurden ja die ganzen Musikstücke gespielt un geprobt
Also erst geprobt un dann gespielt
All die ganzen Sachen
Beethoven un Schumacher un Bruch un Brahms
Die ganze Corona
Ja da waren wer immer so ande 30 bis 40 Mann hoch
Sonntags schon mal ganz bestimmt
Da ham wer auch gesungen
Aber feste
Bei der Gelegenheit sin wer noch auf dem Rückweg
In Meiderich vorbei bei Tante Auguste
Die war da Hebamme
War ja alles nich so modern wie heute
Vom medizinischen Standpunkt aus
Aber
Wir sind doch öfter mit zwei Mark auf de Kirmes gegangen
Zwei Mark ja das muss man sich ma vorstellen
Un dann haben wer davon noch 50 Pfennig mit nach Haus gebracht
Einmal Karussell Berg un Tal
Ein Rollmopsbrötchen
Un dann nach Haus
Un wer haben auch unseren Spaß gehabt
Die Jugend hat ja heut gar kein Spaß mehr hab ich den Eindruck
Et kann ja keiner mehr einteilen
Wie gewonnen so zerronnen
Meine Großeltern die hatten ja auch ein Tanzzelt
Das war so auf einem Stoppelfeld aufgebaut
Im Sommer
Un da is ja auch schon diese Musik gemacht worden
Nich so wie heute
Aber die Leute haben auch getanzt un geschwitzt
Heut is doch nur noch diese Hopserei
Die meinen ja all
Man könnt ma so durchs Leben hopsen
Hops ich heut nich
Hops ich morgen
Jaa waach mans
Du kömms ok noch ant krusen Bömken
Du kommst auch noch an den krausen Baum
So lernen sich ja auch die meisten kennen
Ma durchs Leben gehopst
Kann ja nich gutgehn
Ich mein man soll sich ja dafür interessieren
Das schon aber
Die meisten Menschen kommen ja gar nich dazu
Eigentlich schad
Sehn Se mal
De Gerd Vonderschen der wollte sein Leben lang Maler werden
War en ganz einfacher Mann in Ruhrort auf de Fabrik
Un öh der hat da die Tore angestrichen un überhaupt
Dat ganze Werk gestrichen immer wieder gestrichen
Sein ganzes Leben lang gestrichen
Un öh nebenher dann gemalt un modelliert
So Frauengestalten un Tiere
Der war ja mindestens 1,90 groß
Die hatten ja im Grunde auch nur zwei Zimmer
Un abends wurd kein Licht angemacht
Da wurd nach Bett gegangen wie schon gesacht
Von wegen bis in de Nacht aufsitzen
Un kühle Bierchen
Owes gont so fleuten un singen
Un morgens könne se de Box nich finden
Abends gehen sie flöten und singen
Und morgens können sie die Hose nicht finden
Ich hab noch mehr so Sprüch auf Lager
Mit de Gaffel is mehr Ehr
Mit de Fingersch kriech ma mehr
Mit der Gabel ist mehr Ehr
Mit den Fingern kriegt man mehr
Tach Herr Dingeskirchen
Kennen Se den
Ich weiß gar nicht wie der richtig heißt
Ich kenn den schon seit vier Jahren
Aber ich sach immer Herr Dingeskirchen
Ich weiß auch nich genau wat de macht
Ich hab immer den Eindruck der muss mal bessere Zeiten gesehn haben
Die meisten sagen ja dat wär ne verkrachte Existenz
Aber da muss man nix drum geben
Da muss man nix drum geben sach ich immer
Et is ja überall wat
Da könnse hingehn wo Se wollen
Überall
Jetzt haben die Mechmanns endlich en Kind gekriegt
Hüftluxation
Jaa nun sind Sie dran
Un da sagen die immer Gott is in de Natur
Ich weiß ja auch nich wie die Menschen dat all verkraften
Ich geh ja kaum noch vor de Tür
Gott ja schon mal um et Haus erum
Aber sonst
Also nach Bangkok kriegten mich kein zehn Pferde
Niche mal nach Italien
Niche mal nach Spanien
Niche mal nach Tunesien
Sie werden dat ja für übertrieben halten
Aber wenn ich de Kirchturm nich mehr seh
Werd ich gleich krank
Ich war mal in Detmold in Ferien
Teutoburger Wald Hermannsdenkmal un so
Nach zwei Tagen lag ich schon im Bett
Die hatten da son komisch Omelett mit Schinken gemacht
Seit der Zeit ess ich kein Omelett mehr
Sonntags geh ich ja schon gar nich vor de Tür
Warum auch
De Fritz Grotepass geht sonntags auch nich mehr vor de Tür
Nie mehr geht de sonntags vor de Tür
Jaa aber ich hab ja de Musik ne
Un da bin ich ja en Glückskind
Da kann ich stundenlang inne Küch sitzen un Musik hören
Reicht mir reicht mir
Ich will mir ja auch dat Haus mit Efeu zuwachsen lassen
Bis alles ganz zu is später mal
Un dann kann ich ja Musik hören
Oder auch Musik machen
Je nachdem
Ich hab mal gelesen
Erkenne die Lage
Ich weiß gar nich wie de Schriftsteller heißt
Aber de hat dat geschrieben
Erkenne die Lage
Aber so ungefähr möcht ich dat auch machen
Die Lage erkennen
Die Lage erkennen un dann öh zufrieden sein
Un Tach zusammen sagen
Fenster auf
Un auf un ab gegangen
Un Musik un dann schön ruhig bleiben
Un nachdenken
Im Voraus nachdenken
Nich hinterher im Voraus
Da bin ich jetzt dran am Arbeiten
Ich wandre immer in Gedanken
Durch mein Niemandsland
Dort liegen alte Hände große Spaten
Späte Grüße im weißen Niemandssand
Dort wachsen blaue Gräser Krüppelbäume
In meinem Niemandssumpf
Dort springen krause Träume in der Frühe übers Moor
Dort sitzt der Mond am späten Nachmittag
Schon auf des Milchmanns Rumpf
Dort jagt die Trommel kalt die Bauern aus dem Bett
Und schlägt der Küster wild die Glocken
Singen Knaben sehr lateinisch im Quartett
Ich wandre immer in Gedanken
So durch meine Niemandsstadt
Wo in den Fenstern schon das Moos wächst
Kein Mensch Mitleid hat
Wo auf dem Friedhof sich die Weiden biegen
Und die Astern stinken
Wo manchmal noch drei Kopftuchtanten
Aus der Apotheke winken
Wo gelbes Licht sich eitel Heimat schimpft
Und man die Kinder gegen Außenseiter impft
Halleluja uja uja
Weiß mir ein Blümlein blöde
Das wächst in meinem Herzen
Das blüht in meinem Kopfe
Macht Freude mir und Schmerzen
Ist voller Spott und spröde
Ich wandre nicht durch Birkenhaine und Zitronengrün
Kein Mensch sieht mich auf Stoppelfeldern und beim Spatenstich
Ich wandre durch meine Niemandsstadt
Vielmehr sie wandert stets durch mich
Mit ihren Tropfsteinkellern ihren Zwiebelmusterküchen
Mit ihren kleinkarierten Bettbezügen
Mit ihren Fliegenschränken und Familiensprüchen
Mit ihrem Sonntagsausflug ihren Turnerriegen
Mit ihren konfessionsbewussten Kaffeekränzchen
Mit ihren Oster- Pfingst- und Erntedankfesttänzchen
Mit ihren Schwänen die nach Zwieback schrein
Mit ihrem Heimat- Tier- Natur- und Schutzverein
Mit ihren eingemachten Bohnen aus dem Fass
Mit ihrem Fleiß die andern zu besiegen
Mit ihrem hausgemachten Hass
Mit ihren Augen die durch Wände fliegen
Halleluja uja uja
Weiß mir ein Blümlein grau
Das zuckt in meinem Herzen
Das klopft in meinem Kopfe
Macht Freude mir und Schmerzen
Und ist mal dumm mal schlau
Es fließt durch mich der Niemandsfluss
Er treibt mich fort da wird kein Halt sein
Er lehrt mich rechnen minus plus und möchte will und kann und muss
Am Ende wird ein unheimlicher Wald sein
Ein Wald von Sprüchen Zahlen Augen Ohren viele Hände
Und es wird höllisch kalt sein
Es fließt durch mich ein sinnloses Gelände
Ich werde alt sein
Und alles Wandern hat ein Ende
Halleluja uja uja
Weiß mir ein Blümlein blass
Das schläft in meinem Herzen
Das stirbt in meinem Kopfe
Bracht Freude mir und Schmerzen
Und lebte nur zum Spaß
Halle lu hu ja
Ick bön de Kerl
de gern Poet wär
aber ich komm höchstens dazu
mir son Butterblum int Knopfloch
zu stecken
damit ich wenigstens
son poetisch Gefühl hab
un vielleicht de verlorene Sohn
von Walt Whitman sein könnt
Aber wehe
wenn Se in sonne Verfassung
in ne Interzitty-Zuch geraten
wo all die sortierte Brüder rumlaufen
die so Köfferkes haben
mit son Stahlbeschlach drumerum
un immer so fein genoppte Jacken anhaben
da trau ich mich stundenlang
nich in de Speisesaal
da sitz ich lieber in mein Eck
un ess mir en Stück Schokolad
oder les mein Lieblingsdichter Jessenin
der sich glaub ich erschossen hat
un de eine Schweizer
Robert Walser mit Namen
de verrückt geworden is
oder ich guck et Fenster raus
damit ich all die Gespräche nicht hör
aber ich hör se doch all:
Schröder geht jetzt für 11 000
nach Augsburg
dafür kommt Lindemann nach Bremerhaven
in die ein Zweichstell
die jetzt angekurbelt werden muss
weil Steigerwald ja als Einkaufsleiter
zu Klettmann & Söhne gegangen is
für 9000 brutto
dat heißt
da muss en länger zurückliegende Absprach
mit Schuster von Süßwaren-Süd
mit im Spiel gewesen sein
sonst wär Schröder ja damals schon gleich
allerdings nur für 8000
nach Augsburg gegangen
wann können Se denn die Schrauben liefern
dat muss demnächst dann nochmal detailliert
wenn Kremer zurück is aus Wien
besprochen un auf Vordermann gebracht werden
für 12 000 zuzüglich Provision
Empfehlung zu Hause
Ich weiß gar nich
wat dat is
Empfehlung zu Hause
aber dat sagen die immer
wenn se sich verabschieden
Empfehlung zu Hause
Aber auch da
glaub ich
gibbet manchmal Leut
die nich mehr ein noch aus wissen
un dafür dann wertvolle Platten sammeln
un kostbare Bilder un alte Uhren
un all sowat
oder sich wie de Jessenin aussem Staub machen
oder wie de Robert Walser nach Herisau
in en Heim gehen
weil se en Schraubenschlüssel
schließlich für en Butterblum halten
halten müssen
un umgekehrt
Früher hab ich immer gemeint
ich müsst denen all bös sein
Aber ob et nun all de angelesene Kram is
oder de ganze Wirtschaftsklüngel
wir haben doch all de Ewigkeit im Nacken
un Hass is nich mein Brot
Jaaa
ick bön de Kerl
de gern Poet wär
oder auch nur Literat
dann säß ich immer int Kaffeehaus
wie früher de Jacob van Hoddis
un de Alfred Lichtenstein
de eine wurd ja deportiert
un de andre is ja schon im Ersten Weltkrieg gefallen
Ma gucken wer jetz in Mannheim
wieder aussteigt un wieder einsteigt
vielleicht wird dann de Speisewagen
en bissken leerer
un ich kann rasch
en Bier trinken gehn
Ich erzähl Ihnen mal alles der Reihe nach also
Obwohl doch alles durcheinandergeht
Meistenteils
Wie Kraut un Rüben
Kraut un Rüben: Rübenkraut
Ich ess ja am liebsten alles durcheinander
Auch Spinat is ja Eisen drin
Spinat
De knatsch ich mir mit Kartoffeln un Soß
Einfach durchenander
Möhren mach ich ja weniger
Am liebsten ess ich ja Suppen
Hülsenfrüchte
Da is ja auch alles durchenander drin
Auch Gemüsesuppen
Da lass ich jeden Rehrücken für stehn
Da kann de noch so gespickt sein
Et kommt ja doch alles in einen Magen
Auch das Geistige
Kommt auch alles am Schluss durchenander in einen Magen
Dicke Bohnen ess ich ja für mein Leben gern
Un Schnibbelbohnen
Wat ich ja nich mach sind so Milcherzeugnisse
Da können Se mich mit jagen
Aber sonst
Wat mach ich sonst nich?
Ja also Kartoffelsalat mit Gurkensalat durchenander
Is auch wat Feines
Oder Endivienschlaat mit Kartoffelbrei
Un Speckkrüttsches durchenander
Lecker
Hamse schon Hunger?
Schmierwurst ess ich auch gern
Ich kann au noch um zwei Uhr nachts Kaffee trinken
Macht mir nix aus
Pomm fritz ess ich nich so gern
Bratwurst geht noch so eben
Mit Senf dran is dann schon besser
Fisch ess ich wahnsinnig gern
Also da könnt ich mich für umbringen für Fisch
Egal ob Schellfisch oder wie die Knaben all heißen
Is ganz egal da krich ich mich nich mehr ein
Ich hab zum Beispiel gar kein Verhältnis zu so ausgefallenen Sachen
Also so Banane auf Indisch geht nich an mich
Ganz komisch
Genauso wie ich ja auch
Keine Hemden mit halbem Arm mach
Oder im Sommer
Hosen mit kurzem Bein
Hab ich kein Verhältnis zu
Aber Linsensuppe wie gesacht können Se mir jeden Tach vorsetzen
Aber nich dass Sie nun meinen ich hätt was gegen die
Die nun keine Linsensuppe mögen
Dafür mögen die ja dann wieder wat anderes
Das spielt sich ja alles schon im Mutterleib ab
Da könnse ma fragen gehn
Reibefannekuchen ess ich auch gern
Mit Apfelmus
Un auch Speck oder Wurstfannekuchen
Un Erbsen
Die müssen aber ganz dick un sämig sein
Nich so fein un süß wie die von Sonnen alias Bassermann
Die feinen Süßen
Dat sind für mich gar keine Erbsen
Dat sind für mich gar keine Erbsen
Dat sind für mich gar keine Erbsen
Da kann ich auch gleich Milchreis essen
Oder Nudelauflauf mit Milch
Hab ich mal vor Jahren bei nem Professor essen müssen
Vielleicht hatten die auch nix andres
Ich weiß et nich
Aber Nudelauflauf mit Milch
Eine Katastrophe
De ganze Tach war hin
Wie hießen die doch?
Da war ich mit mein Frau einjeladen un de Schwiegersohn von dem Professor
Mit dem war ich zusammen zur Schule gegangen
De war auch dabei un dessen Frau
Wie hießen die doch?
Oh wie heißt doch de eine Roman von Thomas Mann de berühmte
De is auch verfilmt worden später
Na jetzt komm ich nich drauf
Aber Nudelauflauf mit Milch
Nie mehr!
Die Bauern früher bei uns
Die taten ja auch in de Milchsupp Kartoffeln rein
Hab ich ein paarmal gesehn
Da werd ich immer ganz weiß um de Nas herum
Das soll man ja nicht das soll man ja erst später
Gern ess ich ja auch nachmittags so Kaffee un Kuchen
Is vielleicht nich so männlich
Aber ein Stück un lecker Kaffee getrunken
Un vielleicht noch ab un zu en Schnäpsken
Kann doch nix schaden is doch nich schlimm
Stört Sie dat wenn ich so schaukel
Müssen Se sagen wenn Sie dat stört
Dat hab ich von früher
Dat hat schon in de Kinderverwahrschul angefangen
Bei Tante Lotte
Die war ja auch in de Reichsfrauenschaft tätig damals
Die hatte ja en Verhältnis mit nem SA-Sturmführer in de Lessingstraß
Da hat dat schon angefangen
Aber ich kannet auch lassen
Ich kann ja eigentlich sagen wer mal in den besseren Kreisen
Gar nich verkehren
Denn ich schmatz immer so beim Essen
Furchbar
Mein Tochter sacht immer Vati schling doch nich so
Mir fällt das gar nich auf ich merk das gar nich
Un wennet mir schmeckt schon gar nich
Ich hab ja zu den besseren Leuten auch gar keinen Drang
Die ganze Vorstellerei immer
Et is ja schön wenn man die Formen all beherrscht
Un wenn man se nich beherrscht soll man ja nich gleich schimpfen
Dat war ja nur die eigene Unsicherheit an anderen ausgelassen
Aber ich weiß et nich ich weiß et nich
Also ich sachet hier mal ganz öffentlich un nur einmal
Das Gemüt is ausschlaggebend
Alles andere is dumme Quatsch
Un dann sehn Se mal
Ich hab ja schon mit drei Monaten gedacht
Na schön dann lasste mal die Löwen herein
Kurz danach habe ich ja schon de Milchflasch gegen die Wand geworfen
Tatsache
Et war ja sicher gut gemeint
Aber man kriegt ja immer zu viel oder zu wenig
Ich muss auch nich jeden Tach Fleisch haben muss ich gar nich
Ich ess auch gern mal en Spiegelei zwischendurch
Aber Hemden mit halbem Arm kann ich auf den Tod nich ausstehn
Für andere mach das ja praktisch sein
Nix dagegen
Un bei jedem is ja die Temperatur wieder anders
Wenn ich im Zuch sitze
Da kommt dann auch manchmal ein Herr herein
Zieht sich gleich die Jack aus
Reißt sich et Hemd auf
Reißt au noch et Fenster runter un sacht
Mensch ist dat wieder warm heut
Ja wat soll man dazu sagen
Is mir schon x-mal passiert
Da muss ich mich mit abfinden
Für mich is ja nur interessant ob nun die Temperatur das Temperament bestimmt
Oder das Temperament die Temperatur
Wie sehen Sie das?
Ich war ja auch mal in Las Vegas vor Jahren
Da war et auch so heiß all die Lampen da
Aber Erbsensuppe schmeckt ja am besten im Winter
Wenn et so richtig klirrt vor Kälte
Un wenn man draußen so drei Stunden rumgelaufen is
Un dann in ne warme Baracke kommt
Un dann Erbsensuppe mit Schwarzbrot un Butter
Schad is ja nur
Dass man das meiste Essen nich bei sich behalten kann
De Egon Klostermann de konnt auch zuletz nix mehr bei sich behalten
Ich bin ja auch noch in de Kirch
Da gibbet immer Leut die sagen dann
Wie
Sie sind noch in de Kirch
Hätten wir grade von Ihnen nich angenommen
Ich sach ja nix mehr dazu
Ich sach immer et muss auch en paar Dinge im Leben geben
Wo man nix mehr zu sacht
Am Schluss sacht man sowieso nix mehr
Da isst man nur noch
Ich könnt jetzt zum Beispiel könnt ich jetzt
Ein schönes Stück Holländer Käse Vollfett oder auch
Son Kamembert der außen schon anfängt braun zu werden
Könnt ich jetzt so essen auf de Faust
Ohne mit de Wimpern zu zucken
Ich mein et brennt mir nich auf den Nägeln
Ich will ja auch immer mal in de Arktis gehen oder in de Antarktis
Wahrscheinlich nur um dann wieder int Warme zu kommen
Das ist ja mit den Jahreszeiten genauso
Als Kind fallen einem die Jahreszeiten ja gar nich so besonders auf
Aber später will ma eigentlich nur noch Frühling oder Sommer haben
Obwohl de Herbst is ja auch schön
Auch de Winter kann schön sein
Kann muss nich aber kann
Ja un danach geht et ja wieder von vorne los
Die Reihenfolge is ja nun mal festgelegt
Aber so Pullover mit Reißverschluss
Un im Sommer
Die geblümten Hemden mit halbem Arm
Da kann ich de Krätz bei kriegen
Ich mein das gar nich persönlich
Obwohl is mir aufgefallen je mehr man sacht
Dat et nich persönlich gemeint is
Umso mehr meint man et persönlich
Ich sach ja immer
Sage mir was du denkst
Un ich denke mir was du sagst
Am liebsten sin mir ja die Leut die mit sich selbst sprechen
Da kann ich stundenlang zuhören
Wenn einer so am Tisch sitzt
Die rechte Hand um sein Bier un dann dauernd zu sich selbst sacht
Hubert dat kannze mit mir nich machen
Et kommt ja immer darauf an
Dat wir uns gegenseitig ernst nehmen
Wenn ich Sie beispielsweise nich ernst nehmen würd
Dann könnten Sie mich ja auch nich ernst nehmen
Besser is ja noch wenn Sie sich nich so ernst nehmen
Dann brauch ich mich auch nich so ernst nehmen
Am allerbesten is ja wenn wir uns alle zusammen
Nich so ernst nehmen
Aber dat is ja dann wieder
Dass wir das Nicht-so-ernst-Nehmen
Ernst nehmen
Un dat dann wieder nich ernst nehmen
Un dann immer so weiter
Bis
Ja bis dann weiß ich auch nich
Aber Sie wissen wat ich mein
Dat kann man nich jeden Tach
Um Gottes willen
Aber dat müsste de Orgelpunkt sein sach ich immer
De Orgelpunkt
In de Musik sagen die ja Basso continuo
Also wo alles stimmt weil alles nich stimmt
Un doch wieder stimmt
Verstehn Se
Un wenn Se et nich verstehn is auch nich schlimm
Dat is ja grad dat Schöne
Dat is die niederrheinische Dialektik
Inne Klavierstund hab ich ja nur die Namen all behalten
Also Basso continuo un staccato rubato un sostenuto
Wie hieß dat eine Stück da hab ich wochenlang dran gesessen
Didone abbandonata Die verlassene Dido von Clementi
Hab ich lang dran rumgeübt
Mein Klavierlehrer hat sich ja zu Tode geraucht
Un als wer kein Dach mehr überm Kopp hatten
Da hab ich die erste Nacht unter seinem Flügel also in dem Musikzimmer
Auf em Fußboden geschlafen
1944
Unter dem Flügel
Aber ich komm vom Thema ab
Obwohl et ja nur ein Thema gibt
De Bruder war Zahnarzt von dem Klavierlehrer
De machte einem die Zähn für en Bier un en gehacktes Brötchen
Ess ich ja auch gern gehacktes Brötchen
Un Bratfischbrötchen
Am liebsten auf de Kirmes
Da haben meine Tanten immer gesacht
Wer mach dat all schon angepackt haben! Ba!
Die waren ja auch alle immer besorcht
Kann man ja verstehn
Damals hab ich et zwar nich verstanden
Aber heut versteh ich dat
Is et nich eigentlich so
Dat man immer erst viel später dahinterkommt
Aber dat geht ja wohl nicht anders
Un wenn et anders ging
Da würd ma sicher wieder wat andres verkehrt machen
Fehler müssen sein sonst lohnt es sich nich
Als dann dat uneheliche Kind
Von Beckers Lisbeth
Ant Tageslicht kam
Hat sich die ganze Stadt
Vorbildlich verhalten
Alle haben et zwar gewusst un getuschelt
Aber nix gesacht
Weil doch de Vader kurz davor
Auf de Brück von Rheinhausen
So furchbar verunglückt war
Aber als dann de kleine Jung
Von Bruckschens Hans
Beim Spielen mit en alt Brandbomb
Ne Splitter tatsächlich in de Lung floch
Un nach sechs Wochen starb
Hat sich die Moder
Int Nähzimmer von Tante Maria
Einfach erhängt
Und ich hab se gefunden
Als Erster
Da hab ich all die da oben
An die wir doch glauben sollen
Verflucht
Wenn ich so manchmal et Fenster rausguck
oder überhaupt wenn ich guck
dann muss ich mich immer wat fragen
is egal wat
Also wenn ich so guck ne
auch auf de Straß oder egal wo ich grad bin
muss ich mich meist hinterher oder auch sofort
irgendwat fragen
Dat kommt vom Gucken bestimmt
Ich mein wenn man richtig guckt
manchmal stiert man ja auch nur
ich mein wenn man guckt un wat sieht
also mit offenen Augen sagt man ja auch
dann muss man sich doch ständig fragen
wie dat alles kommt und ob dat alles gutgeht?
Ich mein
allein schon dat et ganz große Menschen gibt
un dann wieder ganz kleine
Wie leben die
Also ganz kleine sagen wer mal so von 1,40 un 1,50
un dann wieder welche von 2 Meter oder 2 Meter 10
wo sich die andern immer gleich rumdrehn
un sagen: Kumma der da!
Ich hab neulich noch zu unserem Erich gesacht
man zeigt nicht immer mit de Finger auf de Leut
dat tut man nich dat gehört sich nich
dat gehört sich doch nich is doch nich vornehm
Ich sach dumme Jung sei froh dat du nich so aussiehst
da kannze deinem Schöpfer dankbar sein
Da guckt de Schnobbelsjung mich an also
Ja ich sach deinem Schöpfer guck nach vorn
Schlimm is dat wenn die Leut immer so stehn bleiben
un auf andere Menschen zeigen
bloß weil de
sagen wer mal
verwachsen is oder so ähnlich
Dat find ich ja sowat von ungerecht un ich sach immer
dass die ganze Menschheit sich da noch nich empört hat
un einfach mal laut sagt: Scheiß-Natur
Da müsst doch auch e mal ne Revolution gemacht werden
aber da sprechen die immer von normal un anormal
un gesund un ungesund un Menschenverstand
un Empfinden heißet da immer
Also ich weiß et nicht
Ich bin für Durchenander!
Je mehr Durchenander desto weniger zeigt man mit de Finger
auf de Leut
Et kann doch jeder nix dafür wie er aussieht
Et können doch nich alle akkurat und propper aussehn
Is doch alles Zufall
Un die zum Beispiel mongoloid sind
ich sach immer et müsst genau umgekehrt sein
die also
et müsste andersrum gedacht werden
die müssten all
also die wenigen die nich so sind wie die meisten
dat müssten die meisten sein
dann solln Se aber mal sehn wat dann los is
die müssten also
so Behinderte auf allen Gebieten
die müssten auf allen Gebieten da sein
Et gibt ja auch Pflanzen un Blumen die nich so schön
wachsen un blühen
wie die meisten Pflanzen und Blumen
Nee ich sach immer
die Menschheit denkt falsch
weil se falsch fühlt oder falsch guckt
da kommt dat ganze Elend her
Et darf sich keiner wat auf irgendwat einbilden
da kommt dat ganze Elend her
Wir haben ja bei uns im Gesangverein
auch die komischsten Leut
wenn wer so zusammen sind
Aber da sacht keiner wat
Da sind auch zwei da weiß man nicht so genau
un einer de hat en Pückelschen
un einer de is sons en bissken zurückgeblieben wie man so sacht
Aber da sacht keiner wat
Un grade die haben die schönsten Stimmen un können singen
un ich weiß auch warum
weil die ganz anders gucken
et is ja auch so dass wenn einer blind is sacht man ja
dass de viel besser hört als unsereiner
Nee also
ich bin für Durchenander
Deswegen muss man ja nich gleich Anarchist sein
aber et is mir auch egal un et muss einem auch egal sein
oder sagen wer mal egal werden
wat die Leut so über einen denken
et muss einem egal sein
et muss einem regelrecht egal sein
ers dann regt man sich auch nich mehr so auf
Dat kann man lernen
o jaa
dat man sich nich mehr so aufregt
Ich ertapp mich manchmal selbst immer noch dabei
dat ich manchmal irgendwo hinguck
wo ich eigentlich gar nich hingucken dürfte
ich mein nicht bei Frauen un so
da soll man ja hingucken
da kann man ja auch wieder nix zu also
nee ich mein so Menschen im Gipskorsett oder so amputiert
bis Gott weiß wohin auf som Rollbrett
Un dann ertapp ich mich dabei
un dann frag ich mich
wat guckst du eigentlich so
Aber weggucken will man dann auch wieder nich
dat wär ja dann zu spät
Nee ich muss dat auch noch lernen wegzugucken
um besser hinzugucken
sagen wer mal tiefer zu gucken
Wie war ich da jetzt drauf gekommen
Ach so ja
weil ich immer guck un dann mich wat fragen muss
Nich immer
Aber meistens oder meistenteils
also manchmal oder öfter
jedenfalls so dann und wann
Tante Annas Sorgen
Die bleiben nie verborgen
Weil es nämlich Sorgen sind
Bei jedem Sorgenkind:
Wenn e ma genuch zu essen hat essen hat essen hat
Un dann in sonn fremde Stadt ne ne ne ne ne
Da könnt ja mal en Erdbeben sein Erdbeben sein Erdbeben sein
Un dann wär de Jung allein
Ich weiß noch wie e so war
Un wie e noch so froh war
Wenn er zu Haus konnt sein
Zu Haus am Niederrhein
Un jetzt reist e überall herum all herum all herum
Nu ja er is ja auch nich dumm ne ne ne ne ne
Schwester Elsbeth hat ihn auch gesehn auch gesehn auch gesehn
Int Fernsehn um halb zehn
Ja Übermut tut selten gut
Wenn e sich ma nich erkälten tut
Un warm angezogen is
Weil die Welt ja so verlogen is
Wat ham we doch so oft gedacht oft gedacht oft gedacht
Wenne sein Fisematenten macht ne ne ne ne ne
De kömp nochmal na Bedburg-Hau Bedburg-Hau Bedburg-Hau
Un zwar in de Verrücktenbau ne ne ne ne ne
Ich weiß ja nich wat de verdient
Mit sein Spirenzkes op de Bühn
Is ja auch egal bevor ich sterb
Möcht ich ihn noch einmal sehn
Wenn wir auch nich einverstanden sind standen sind standen sind
Er war doch unser Sorgenkind ne ne ne ne ne
Wenn e ma genuch zu essen hat
Un immer früh nach Bett geht
Un immer auf de Straß schön aufpasst
Un sich de Haar schön schneiden lässt
Un nich mehr so viel rauchen tut
Un immer nett un propper is
Un immer schön gesund bleibt
Un uns nich ganz vergisst
Dann sind wer ihm ja auch nich gram
Trotz all de Künstlerkram
Ja Tante Annas Sorgen
Die bleiben nie verborgen
Weil es nämlich Sorgen sind
Bei jedem Sorgenkind
Ditz Atrops
Von dem hat ja auch kein Mensch
Mehr wat gehört
Obwohl
De jahrelang Geschichte studiert hat
Tagaus tagein
Hochintelligente Familie
Nur ewig voll
Ewig besoopen
De hätte ja alles werden können
Aber
Is nix draus geworden
Obwohl de jahrelang studiert hat
Geschichte un alles Mögliche
De hätte sogar Papst werden können
Ja sicher
Warum nich
De war ja als Kind schon Messdiener
Alles lateinisch
Aber ewig besoopen
Nich als Messdiener
Später natürlich
De war
Wie soll ich sagen
Zu intelligent
Da hat man ja schon mal
Dass einer zu intelligent is
Und dann
Sagt man ja auch öfter
Genie un Wahnsinn
Enne verrückte Jung
Enne vedreidige Jung
So hieß de ja auch immer
De verrückte Atrops
De konnze fragen wat de wollst
Wie aus der Pistole geschossen
Dass Walter Rathenaus Mutter
Zum Beispiel dem Mörder ihres Sohnes verziehen hat
Also
Herr vergib ihnen
Denn sie wissen nicht was sie tun
Dat wusste de schon mit neun Jahren
Ditz Atrops
De wusste alles
Die ganzen Geschichten
Von Genovefa und Graf Golo
Un die schöne Magelone
Die mit dem Fischleib
Ne dat war ja die schöne Melusine
Die schmeiß ich immer durchenander
Aber is nix draus geworden
Schad ne
Aber so isset nun mal
De wollte ja nach Russland ant Theater
Damals schon
Proletkultbühne
Hat er immer gesagt
Wir wussten ja nich wat dat war
Aber de wusste dat
De kannte ja all die Regisseure auswendig
Meyerhold und Marienhof un Tairoff
Un wie se all hießen
Aber
De saß auch als Jung schon immer mit de alt Brökelschen zusammen
Un las englische Zeitungen
Heimlich
War ja verboten damals
Un später wollte er glaub ich sogar
Nach Südamerika
Als Klavierspieler
Direkt am Amazonas
Wollte er sogar ne Oper komponieren
De weiße Indianer oder so ähnlich
Alles Quatsch natürlich
Aber hochintelligent
Die Mutter war ja ne geborene Berens
Von Berens Hof aus Rayen
Sechs Kinder
Der Ditz war de Jüngste
Un de Schwächste
Logisch
Aber wie gesacht
De Begabteste
De Vatter war ja schon lang tot
Zungenkrebs sagt man
Sagt man
Obwohl et wird ja viel gesagt
Un mit Südamerika dat is dann auch nix geworden
Un Russland dat war ihm dann doch wohl
En bissken zu weit
Seiner Mutter zuliebe
Er is dann bei son Sparkassenzweichstell
Inne Botenmeisterei gegangen
Seiner Mutter zuliebe
Aber ewig besoopen
Deswegen wahrscheinlich
Ich weiß et nich
Jeden Abend den Gott werden ließ
Sechs Uhr
Wer stand bei Lindemanns an de Thek
Ditz Atrops
Konnze de Uhr nach stellen
Kerzengrade stand de da
Sturzbesoffen
Aber hochintelligent
In der einen Hand dat Bier
Un in der andren de Schnaps
Un dann sang er immer
Wenn er mich sah
Sang er immer:
»Erst wenn man deinen Leib entdeckt
In dem Winter übers Jahr«
Ich sag Ditz
Wo has du dat bloß all her
Weiß ich nich
Weiß ich nich
De hätte im Bundestag auftreten können
Un wenn Hein Lindemann sagte
Ditz nich so laut
Dann machte er eine tiefe Verbeugung
Un sagte
Sire lecken Sie mich am Arsch
De setzte sich an keinen Tisch
Immer nur anne Thek
Un wenn einer von de Anstreicherinnung reinkam
Rief er sofort
Die Kathedrale von Reims
Meine Herren
Muss auch mal wieder gestrichen werden
Un wenn sein Freund Gerwin Hohmann reinkam
Rief er sofort
Wir sollten mal wieder Eulen nach Orsoy tragen
Aber wie gesagt
Kerzengrade
Ditz Atrops
Un eines Tages war er weg
Spurlos verschwunden
Wie man so sagt
Kein Zettel
Nix
Bruckschens Katrin meint ja
Er hätt sich erschossen
Nee hab ich gesagt niemals
Doch de hat sich erschossen
In Brüssel
Bis ja verrückt in Brüssel erschossen
Ditz Atrops
Un Ernst Mechmann meint
Er wär in ein Kloster gegangen
Vielleicht be de Franziskaner
Oder so
Also ich weiß et nich
Ich seh den ja irgendwo anne Thek stehn
In Kanada
Oder sogar in Hongkong
De arme Jung
Un da singt er dann:
»Erst wenn man unsern Leib entdeckt
In dem Winter übers Jahr
Es ist in ihm viel Leid versteckt
Und Träume wunderbar
Doch dann lebt in unsrem Angesicht
Die Seele sonderbar
Erst wenn man unsern Leib entdeckt
Dann wird alles sternenklar«
Entschuldigen Se vielmals dass ich
waren Sie nicht auch neulich auf de silberne Hochzeit
bei Schlottmanns
vorigen Samstag
ich mein ich hätt Sie dort auch
ich habe eben noch zu mein Frau gesacht
da ist wieder das nette Ehepaar das auch bei Schlottmanns
auf de silberne Hochzeit war
Nee sacht mein Frau das sind die nicht
Doch sach ich das sind die
Die du meinst das war doch Gretchen Kerkhoff mit ihrem Mann
die sehen doch ganz anders aus
Ja sach ich die Kerkhoffs Dern die is dat aus Göttingen
die sind extra aus Göttingen gekommen
Wir wollten ja auch gar nicht hin
Ich meine wir kommen ja mit den ganzen Schlottmanns sonst
gar nicht in Berührung
schon seit Jahren seit der alte Schlottmann tot is
der war ja immer sehr nett
ich mein Guten Tag und Wie gehts uns dann
Wir wollten ja gar nicht hin
Aber die Tochter kam dann noch extra rübber und hat uns auch noch eingeladen
Ja un da ham wer gesacht da hab ich noch zu mein Frau gesacht
wir gehn mal hin un wenn wer da waren gehn wer wieder
Aber ich muss sagen: Es war schön
Wie wer schon reinkamen kriechten wer gleich am Eingang
also jeder ein kleines Getränk zum Aussuchen
entweder Sekt oder Cognac also ich muss sagen