Das große Buch vom Vamperl - Renate Welsh - E-Book

Das große Buch vom Vamperl E-Book

Renate Welsh

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Beschreibung

Drei Geschichten in einem Band   »Das Vamperl flog hinunter und kraulte Frau Lizzi am Kinn, dann knabberte er eine der Blumen an, aber die schmeckte ihm nicht, er spuckte sie im hohen Bogen aus.« Wie der kleine Vampir aufwächst, wie ihn Frau Lizzi schweren Herzens in einen Ballon setzt, damit er seinesgleichen findet, und wie sich Frau Lizzi schließlich selbst auf große Reise begibt, um Vamperl und seine Vamperlina wiederzusehen – diese geliebten Geschichten vom Vamperl erscheinen hier erstmals in einem Sammelband. Lesespaß für die ganze Familie und für kleine Vampirfans. Auch zum Vorlesen geeignet! Dieser Sammelband enthält die Geschichten ›Das Vamperl‹, ›Vamperl soll nicht alleine bleiben‹ und ›Wiedersehen mit Vamperl‹ - mit vielen farbigen Illustrationen. 

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Seitenzahl: 156

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Renate Welsh

Das große Buch vom Vamperl

Mit Bildern von Heribert Schulmeyer

Deutscher Taschenbuch Verlag

Ungekürzte Ausgabe 2010

© Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Rechtlicher Hinweis §44 UrhG: Wir behalten uns eine Nutzung der von uns veröffentlichten Werke für Text und Data Mining im Sinne von §44 UrhG ausdrücklich vor.

eBook ISBN 978-3-423-40860-8 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-76010-2

Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website

www.dtv.de/​ebooks

Inhaltsübersicht

Das Vamperl

Ein Spinnennetz voll Überraschung

Keine Ruhe zum Kaffee

Vom Fliegenlernen und anderen Künsten

Vamperl unterwegs

Gefahr!

Kamillentee und Langeweile

Radfahren verboten

Was zu viel ist

Eine schwere Entscheidung

Unter dem Glassturz

Letztes Kapitel

Vamperl soll nicht alleine bleiben

Vamperls Heimkehr

Auf dem Dachboden

… und im Keller

Im Museum …

… und in der Höhle

In der Zieglergasse

… und auf der Donauinsel

Vamperls Abschied

Wiedersehen mit Vamperl

Frau Lizzi fasst einen Entschluss

Reisegefährten

Eine unruhige Nacht

Verschwundene Perlen

Eine wilde Nacht

Vorsicht!

Kuschelstunde

Und dann?

Das Vamperl

Ein Spinnennetz voll Überraschung

Frau Lizzi war nach dem Taufschein siebenundsechzig Jahre alt. Aber sie fühlte sich nicht wie siebenundsechzig.

»Nur in den Gelenken«, sagte sie manchmal. »Da fühle ich mich wie siebenundneunzig. Besonders, wenn das Wetter umschlägt. Aber sonst nicht. Die Zeit zwischen zwei Geburtstagen ist ja auch viel zu kurz. Wie soll man sich so schnell daran gewöhnen, dass man wieder ein Jahr älter ist?«

Wegen der Gelenke war Frau Lizzi zur Kur gewesen. Jetzt ging sie die Treppe hinauf. In einer Hand trug sie die Reisetasche, in der anderen einen kleinen Koffer.

»Die Treppe ist auch nicht niedriger geworden«, seufzte sie. Sie sperrte die Wohnungstür auf,  stellte ihr Gepäck ab und riss die Fenster auf.

Dann sah sie sich um. Überall lag Staub. Der Staub von drei Wochen. Frau Lizzi krempelte die Ärmel hoch. Sie begann, die Wohnung sauber zu machen. Während sie arbeitete, sang sie:

»In düstrer Waldesschlucht und alten Mauern,

Wo Füchse schleichen und der Uhu krächzt,

Da überkommt dich, Freund, ein kaltes Schauern,

Weil der Vampir nach deinem Blute lechzt.

Die schöne Adelheid von siebzehn Jahren

Ging einstens hin zum Walde ganz allein.

Es war ihr Liebster in die Welt gefahren,

Sie wollt’ ihm eine Abschiedsträne weih’n.

Da hört’ sie plötzlich eine Stimme sagen:

»Warum, o Mädchen, bist du so allein?

Ach, würde doch dein Herz für mich nur schlagen!

Du solltest eine Königin mir sein.

Ich würde dich in Samt und Seide kleiden,

mit Zuckerbrot und Wein dein Herz erfreun.

Und nie und nimmer würd’ ich von dir scheiden,

wollt’st du mein Weib und meine Herrin sein!«

Die schöne Adelheid, sie lauscht dem Werben.

Ach, Adelheid, wie ist dein Mund so rot!

Noch eh die Sonne sinket, musst du sterben,

liegst bleich und still im Moose und bist tot.«

Frau Lizzi sang gern bei der Arbeit.

Sie hatte Lieder für heiße Tage und Lieder für kalte Tage. Dieses war ein Lied für heiße Tage, weil es ihr dabei immer so kalt über den Rücken lief.

»Das hätten wir«, sagte Frau Lizzi. »Und jetzt koche ich mir einen guten Kaffee. Der im Kurheim war das reinste Abwaschwasser.«

Frau Lizzi redete oft mit sich selbst. Seitdem ihre Mutter vor fünfzehn Jahren gestorben war, lebte sie allein.

»Also, das geht nicht«, sagte sie. »Nicht in meiner Küche! Es ist zwar ein besonders schönes Spinnennetz, aber hier hat es nichts zu suchen.«

Sie legte das Bodentuch um den Besen und holte das Spinnennetz herunter. Als sie das Bodentuch ausschütteln wollte, stutzte sie. »Nein!«, sagte sie. »Das gibt es nicht. Das gibt es nicht, weil es nicht wahr sein kann. Und das, was nicht wahr sein kann, das gibt es nicht.«

Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sie putzte ihre Brille und setzte sie wieder auf.

Es stimmte doch.

Auf ihrem Bodentuch lag inmitten der Spinnweben ein winziger Vampir. Er schlief.

Frau Lizzi nahm das Bodentuch mit zwei Fingern und legte es auf die Kohlenkiste.

Der Vampir schlief ruhig weiter.

Es klopfte an die Wohnungstür.

Draußen stand Frau Anna. Hinter ihr kam Flocki, ihr Foxterrier.

»Guten Abend, Frau Lizzi«, sagte Frau Anna. »Schön, dass Sie wieder da sind. Wie war die Kur? Hat sie Ihnen gutgetan?«

Flockis Nasenlöcher weiteten sich. Er drängte sich zwischen Frau Annas Beine, zog den Schwanz ein und begann zu jaulen.

Frau Lizzi stotterte: »Die Kur? Welche Kur? Ach, die Kur…«

Flocki heulte so laut, dass Frau Anna ohnehin kein Wort verstand. Sie bückte sich zu ihm, tätschelte ihn und sagte: »Flockileinchen, wer wird denn so dumm sein? Das ist doch die Frau Lizzi! Die dir immer die schönen Knochen schenkt. Du kennst doch die Frau Lizzi, Flocki!«

Flocki jaulte nur noch lauter. Frau Anna wurde ärgerlich, dann zornig. »Wirst du sofort aufhören, du Mistvieh!«

Als auch das nichts half, hob sie drohend die Hand. »Blöder Hund! Du bekommst gleich…«

»Nein!«, sagte Frau Lizzi. »Nicht schlagen! Der Flocki ist nicht dumm. Der Flocki ist sogar ein sehr kluger Hund.«

Sie ging zur Kohlenkiste.

»Da, sehen Sie selbst, Frau Anna!« Frau Lizzi schlug die Zipfel des Bodentuches auseinander. Frau Anna schrie auf.

Flocki scharrte wie verrückt an der Wohnungstür und jaulte, bellte und winselte dabei.

»Also, ich muss schon sagen …«, schrie Frau Anna.

»Lassen wir erst den Flocki hinaus!«, schrie Frau Lizzi. »Sonst wird noch das ganze Haus verrückt von dem Krach!«

Frau Anna sperrte Flocki in ihrer Wohnung ein. Dann kam sie zurück und stellte sich mit verschränkten Armen vor die Tür.

»Das ist doch ein Vampir!«, sagte sie streng.

»Genau das habe ich auch gedacht«, sagte Frau Lizzi.

»Und was machen wir jetzt?«

»Das weiß ich eben noch nicht!«

Der kleine Vampir nuckelte an seinem Vampirdaumen.

Frau Anna schüttelte sich. »Werfen wir ihn ins Klo! Und fest nachspülen!« Sie wollte nach dem Tuch greifen.

Frau Lizzi fiel ihr in den Arm. »Nein, also das nicht! Er ist doch noch so winzig.«

Frau Anna musterte Frau Lizzi von oben bis unten. Dann schüttelte sie den Kopf. »Dann werfen Sie ihn eben in den Müll, wenn Sie schon ein so weiches Herz haben. Aber beeilen Sie sich, die Müllabfuhr kommt gleich. Und ich würde ihn nicht hineinwerfen, wenn die Tonne leer ist. Man kann nie wissen. Am Ende klettert er wieder heraus.«

»Nein«, sagte da Frau Lizzi. »Das wäre nicht recht. Was kann denn ein Vampir dafür, dass er ein Vampir ist? Zuerst bin ich ja auch erschrocken. Aber sehen Sie sich doch nur seine winzigen Hände an!«

Frau Anna wollte weder die winzigen Hände noch sonst etwas sehen. »Ich bitte Sie, Frau Lizzi! Ein Vampir in unserem Haus! Nicht auszudenken ist das. Stellen Sie sich nur vor: Sie schlafen und er kommt und saugt Ihnen das Blut aus – bis auf den letzten Tropfen. Wenn Sie aufwachen, sind Sie längst tot!«

Je mehr Frau Anna auf sie einredete, umso entschlossener wurde Frau Lizzi, den kleinen Vampir weder in die Mülltonne noch in das Klo zu werfen. Es tat ihr leid, dass sie überhaupt etwas gesagt hatte. Sie dachte nur noch daran, wie sie ihre Nachbarin loswerden könnte.

»Ich mache es für Sie«, bot Frau Anna an. »Die Spinnen muss auch immer ich wegtun, weil es meinem Mann so graust. Sie können das doch gar nicht verantworten. Wenn Sie schon nicht an sich denken, dann wenigstens an die anderen Mieter! Außerdem sind Sie doch so beliebt im ganzen Haus. Es wäre uns allen leid um Sie. Und die Kränze sind furchtbar teuer um diese Jahreszeit.«

Frau Lizzi warf einen Blick auf den kleinen Vampir. Er verzog im Schlaf die Schnauze. Es sah fast aus, als lächelte er.

»Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, Frau Anna«, sagte sie. »Ich bin müde von der Reise. Der Arzt hat gesagt, ich muss mich unbedingt hinlegen, wenn ich müde bin.«

Frau Anna ging kopfschüttelnd weg.

Sie war überzeugt davon, dass Frau Lizzi nicht mehr richtig im Kopf sein konnte.

Sie holte Flocki, der immer noch winselte, und drehte mit ihm eine Runde. Dann fasste sie einen  Entschluss. Sie klingelte an der Wohnungstür ihrer anderen Nachbarin, der Frau Maringer.

Frau Lizzi hatte inzwischen scharf nachgedacht. Der Vampir, hatte sie gedacht, ist ja noch winzig. Der weiß noch nicht, wie Blut schmeckt. Wenn ich ihn mit Milch aufziehe, kommt er erst gar nicht auf den Geschmack. Meine Großmutter selig hat schon immer gesagt: Wie man in den Wald ruft, so schallt es zurück.

Frau Lizzi deckte den kleinen Vampir mit einem Taschentuch zu, lief hinunter und kaufte eine Flasche Milch. Dann kaufte sie in der Spielzeughandlung eine Puppenflasche.

Daheim wärmte sie die Milch mit etwas Zucker und füllte sie in die Puppenflasche.

Der kleine Vampir wachte eben auf.

Sein spitzes Mäulchen verzog sich. Er fiepte leise.

Frau Lizzi nahm ihn behutsam in die linke Hand. Mit der rechten steckte sie ihm den Sauger in den Mund.

Der kleine Vampir schluckte und lächelte und schluckte und lächelte. Sooft er schluckte, strampelte er mit seinen dünnen, haarigen Beinchen. Das kitzelte Frau Lizzi in der Hand.

Als die Flasche leer war, rülpste der kleine Vampir. Dann rollte er sich in Frau Lizzis Hand zusammen und schlief wieder ein.

Sie überlegte, wie sie ihm ein Bettchen machen konnte.

Sie nahm die Silberkette aus der Schmuckschachtel und legte den kleinen Vampir auf die himmelblaue Watte. Sie deckte ihn mit dem Taschentuch zu und stellte ihn auf das Fensterbrett im Zimmer, wo die Sonne hinfiel.

Keine Ruhe zum Kaffee

Frau Lizzi freute sich auf ihren Kaffee. Sie nahm eine Tasse aus dem Schrank und stellte die Zuckerdose auf den Küchentisch. In diesem Augenblick klopfte es.

Frau Anna und Frau Maringer kamen herein.

»Ich habe Kaffee gekocht«, sagte Frau Lizzi. »Wollen Sie einen Schluck mit mir trinken?«

Frau Anna und Frau Maringer blickten einander an.

»Nein, danke«, sagte Frau Maringer streng. »Wir müssen mit Ihnen reden.«

»Bitte sehr«, sagte Frau Lizzi. Sie bot den beiden Damen Stühle an.

Frau Anna wollte sich schon setzen, aber Frau Maringer schüttelte den Kopf. Da richtete sich auch Frau Anna wieder auf.

»Sie kennen doch die Hausordnung?«, fragte Frau Maringer.

»Natürlich kenne ich sie«, sagte Frau Lizzi. »Wenn es um den Kellerschlüssel geht, den habe ich vor meiner Abfahrt …«

Frau Anna unterbrach sie: »Es geht nicht um den Kellerschlüssel.« Frau Maringer räusperte sich. Frau Anna verstummte.

»Sie wissen doch, dass das Halten von Haustieren ohne ausdrückliche Genehmigung des Hausbesitzers verboten ist?«, fragte Frau Maringer.

»Natürlich«, sagte Frau Lizzi.

»Ebenso wie jegliche Gefährdung anderer Hausbewohner strengstens untersagt ist«, fuhr Frau Maringer fort.

»Selbstverständlich«, sagte da Frau Lizzi. »Verzeihung, ich muss nur die Tür zumachen. Es zieht hier so.« Sie schloss die Tür zum Zimmer. Fang bloß nicht an zu fiepen, dachte sie. Sie atmete tief ein.

»Wenn es um das Tier geht«, begann sie, »können Sie ganz beruhigt sein.«

Frau Anna seufzte erleichtert auf. Sie wandte sich an Frau Maringer: »Sehen Sie? Ich war ja gleich dagegen, zur Polizei zu gehen. Aber Sie müssen ja immer mit großem Geschütz auffahren.« Frau Maringer runzelte die Stirn. »Wieso ich? Sie haben gesagt, dass Sie kein Auge zutun werden!«

Die beiden musterten einander giftig.

Frau Maringer tappte ungeduldig mit dem Fuß. Dann sagte sie: »Übrigens hat Ihr lieber Flocki erst unlängst wieder vor meiner Tür … Sie wissen schon!«

»Mein Flocki!«, rief Frau Anna entrüstet. »Passen Sie doch besser auf Ihren Bello auf! Erst neulich hat er meinen Flocki angeknurrt und angefletscht, dass der Arme vor Schreck drei Stufen hinuntergefallen ist. Ich musste mit ihm zum Tierarzt gehen!«

Die beiden Frauen kamen immer mehr in Fahrt. Erst als Frau Lizzi sie zu beruhigen versuchte, wandten sie sich wieder an sie.

»Es war ja auch Ihretwegen, Frau Lizzi«, sagte Frau Anna. »Weil es doch schade wäre um Sie. Sie nehmen es uns doch nicht übel, nicht wahr?« Frau Maringer trat einen Schritt vor. »Was ich noch fragen wollte: Wie haben Sie denn – die Angelegenheit erledigt, Frau Lizzi?«

Frau Lizzi war nahe daran, sie hinauszuwerfen.

Dann überlegte sie: Das bringt doch nur neuen Ärger.

Frau Maringer blickte erwartungsvoll.

»Jetzt ist aber Schluss!«, sagte Frau Anna. »Sie merken doch, wie Sie die Frau Lizzi quälen. Hauptsache, sie hat es getan. Ist doch egal, ob sie ihn ins Klo geworfen hat oder in den Müll, ob sie ihn zertreten oder …«

»Das ist ganz und gar nicht egal, meine gute Frau Anna! Aus der Mülltonne hätte er wieder herauskriechen können. Man wäre seines Lebens nicht mehr sicher!« Frau Maringer ging einen Schritt näher zu Frau Lizzi und sah ihr tief in die Augen. »Sagen Sie mir ehrlich: Haben Sie ihn in den Mülleimer geworfen?«

»Nein«, sagte Frau Lizzi.

Und das war die reine Wahrheit.

Endlich gingen die beiden.

Frau Lizzi öffnete die Zimmertür wieder.

Der kleine Vampir hatte das Taschentuch fortgestrampelt. Frau Lizzi hoffte, dass er sich nicht verkühlt hatte. Die Sonne schien schon lange nicht mehr auf das Fensterbrett.

Die spitze Vampirschnauze begann sich zu bewegen.

Die haarigen Beine begannen zu strampeln.

Die haarigen Arme begannen zu rudern. Dann fiepte der Vampir. Das Fiepen war nicht laut, aber es war durchdringend.

Frau Lizzi rannte in die Küche und füllte Milch in die Puppenflasche. Sie steckte dem Vampir den Sauger in den Mund.

»Sei still! Sei um Himmels willen still! Das ist wichtig, verstehst du? Du musst es ganz einfach verstehen! Auch wenn du es nicht verstehen kannst.«

Sie wiegte den kleinen Vampir hin und her.

»Dass ich die beiden angelogen habe, das tut mir gar nicht leid. Die sind selbst schuld. Solche wie die muss man anlügen. Weißt du, Kleiner, ich bin ja auch ganz schön erschrocken. Man ist eben nicht gefasst auf einen wie dich. Aber wir schaffen das schon, wir zwei. Ich bitte dich nur um alles in der Welt, sei still, wenn jemand da ist. Es darf dich keiner hören. Und erst recht keiner sehen. Die Leute haben keinen Sinn für eine Vampirschönheit, verstehst du? Denn schön finden sie nur, was ihnen ähnlich sieht.«

Frau Lizzi wusste genau, dass der kleine Vampir sie nicht verstehen konnte. Trotzdem redete sie mit ihm.

Wer weiß, dachte sie, vielleicht lernt er es mit der Zeit. Menschenkinder verstehen ja am Anfang auch kein Wort und freuen sich trotzdem, wenn man mit ihnen spricht.

Sie zerschnitt ein altes Taschentuch zu winzigen Windeln für den kleinen Vampir. Sie gab ihm die Flasche.

Als er wieder in seinem himmelblauen Wattebett lag und schlief, wollte sie endlich ihren Kaffee trinken.

Der Kaffee war kalt.

Das störte sie nicht weiter. Kalter Kaffee macht angeblich schön. Aber es störte sie, dass die Milch eine Haut hatte. Sie hasste Haut auf der Milch.

»Weil sich diese beiden auch immer in anderer Leute Angelegenheit einmischen«, schimpfte sie.

Sie fischte die Haut aus dem Milchtopf. »Pfui Teufel!«, sagte sie. Dabei schüttelte sie den letzten Rest schlechten Gewissens darüber ab, dass sie gelogen hatte.

Haut auf der Milch! Das ging zu weit.

Vom Fliegenlernen und anderen Künsten

Der Vampir wuchs schnell.

Nach einer Woche war die Schmuckschachtel zu klein für ihn.

Nach zwei Wochen war die Knopfschachtel zu klein für ihn.

Frau Lizzi strickte eine bunte Decke aus Wollresten und richtete ihm ein Bett im Nähkorb ein.

Er hielt jetzt selbst seine Flasche beim Trinken. Er benutzte die Kiste mit Sägespänen, die Frau Lizzi für ihn ins Klo gestellt hatte.

Er legte den Kopf schief, wenn sie mit ihm redete. Er hörte zu. Manchmal fiepte er leise und das klang wie eine Antwort.

Frau Lizzi ließ jetzt immer das Radio laufen. »Sicher ist sicher«, sagte sie. »Wenn die Nachbarn am Ende doch etwas hören, kann ich immer sagen: Es war das Radio.«

Beim Einkaufen beeilte sie sich. Sie hatte Angst, der Vampir könnte etwas anstellen.

Die Milchfrau, der Gemüsemann, der Metzger und der Zeitungsverkäufer wunderten sich, dass Frau Lizzi nie mehr Zeit zum Plaudern hatte.

Der kleine Vampir saß gern auf dem Fensterbrett und guckte hinaus auf die Straße.

Er kletterte an den Vorhängen hoch und schaukelte an der Vorhangschnur.

Er saß auf Frau Lizzis Schulter, wenn sie kochte. Manchmal fiepte er ihr ins Ohr. Das kitzelte. Einmal kitzelte es so sehr, dass sie den Kochlöffel in die Tomatensuppe fallen ließ. Danach waren Frau Lizzi und der kleine Vampir über und über voll mit roten Tupfen. Es sah aus, als hätten sie Masern. Oder Scharlach.

In der dritten Woche machte der Vampir seine ersten Flugversuche. Er kletterte auf den Küchenstuhl.

Er breitete die großen, dünnen Flügel aus. Das knisterte wie Seidenpapier.

Er flappte ein paarmal mit den Flügeln.

Dann sprang er los.

Im Fallen vergaß er, mit den Flügeln zu schlagen, und landete auf dem Bauch.

Er fiepte kläglich.

Frau Lizzi kam aus dem Zimmer gelaufen. Sie hob ihn auf. Sie streichelte und tröstete ihn.

Sie tastete seine Arme und Beine ab.

»Gebrochen ist nichts«, sagte sie erleichtert. Sie kochte ihm zur Beruhigung einen Kamillentee.

Der Vampir mochte keinen Kamillentee. Er blies ihn aus seiner spitzen Schnauze. Frau Lizzis Brillengläser wurden angesprüht und hätten Scheibenwischer gebraucht.

»Marsch ins Bett!«, schimpfte sie. Sie trug ihn ins Zimmer und ging in die Küche zurück, wo inzwischen die Milch übergekocht war. Fünf Minuten später machte er seinen zweiten Flugversuch. Diesmal startete er vom Fensterbrett. Und diesmal ging es viel besser.

Als Frau Lizzi wieder hereinkam, flog er ihr auf den Kopf. Sie erschrak furchtbar und schrie auf. Der kleine Vampir zauste ihr zärtlich die Haare.

An einem Sonntagmorgen hörte Frau Lizzi Geschrei im Treppenhaus. »Um Himmels willen, was ist denn da passiert?«, fragte sie und riss die Wohnungstür auf.

Im dritten Stock schimpfte Frau Müller mit ihrem Sohn Hannes.

Er war bei seiner Großmutter gewesen und hatte von ihr einen Korb Äpfel geholt. Auf dem Heimweg war er am Spielplatz vorbeigekommen. Dort spielten seine Freunde Fußball.

»Hannes!«, riefen sie. »Die führen schon drei zu eins! Komm!«

Hannes stellte den Korb hin und spielte mit. Dass er seine Sonntagshose anhatte, fiel ihm überhaupt nicht ein.

Jetzt war ein Loch in der Hose und ein großer Grasfleck.

»Da komm her!«, schrie Frau Müller. »Und hol dir deine Ohrfeigen! Die hast du redlich verdient. Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du auf deine Sachen aufpassen sollst? Du glaubst wohl, dass das Geld auf den Bäumen wächst? Gleich wirst du sehen, was auf den Bäumen wächst!«

Hannes fing an zu weinen. Der Korb fiel um. Äpfel kollerten laut polternd über die Treppe.

»Dir werde ich noch Grund zum Heulen geben! Herkommen, habe ich gesagt!« Frau Müller holte aus.