Das Haus Zamis 69 - Catalina Corvo - E-Book

Das Haus Zamis 69 E-Book

Catalina Corvo

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Beschreibung

Der Schatten bebte, veränderte seine Konturen. Etwas drang daraus hervor. Kam auf mich zu. Ich saß wie gelähmt in meinem Bett. Konnte mich nicht rühren. Nicht einmal schreien. Meine Brust wurde schwer. Ein dunkler Ton summte in meinen Ohren. Wie das Brummen eines riesigen Insekts. Die Schwärze kam näher. Waren es Finger, die gierig nach mir tasteten? Ein kalter Hauch an meinem Hals. Entsetzen packte mich. Noch immer war ich zu keiner Regung fähig, konnte auch meine magischen Sinne nicht einsetzen ...
Stimmt Georgs Vermutung? Gibt es einen »Maulwurf« innerhalb der Zamis-Familie, der den Oppositionsdämonen Interna aus dem engsten Familienkreis verrät? Coco bleibt nicht sehr viel Zeit, darüber zu spekulieren, denn unvermutet meldet sich ihre Mutter Thekla in Wien zurück. Doch sie hat sich auf seltsame Weise verändert ... Abermals werfen die Schatten der Vergangenheit ihr finsteres Netz über die Zamis-Sippe. Die Ereignisse gehen zurück auf das Jahr 1939: Georg verlässt Wien und tritt seine »Grand Tour« an. Seine erste Etappe führt ihn ausgerechnet nach Asmoda, in das Schloss der Gräfin Anasthasia von Lethian ...


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Seitenzahl: 124

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Inhalt

Cover

Was bisher geschah

DIE GELIEBTE AUS DEM TOTENREICH

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

mystery-press

Vorschau

Impressum

Coco Zamis ist das jüngste von insgesamt sieben Kindern der Eltern Michael und Thekla Zamis, die in einer Villa im mondänen Wiener Stadtteil Hietzing leben. Schon früh spürt Coco, dass dem Einfluss und der hohen gesellschaftlichen Stellung ihrer Familie ein dunkles Geheimnis zugrundeliegt. Die Zamis sind Teil der Schwarzen Familie, eines Zusammenschlusses von Vampiren, Werwölfen, Ghoulen und anderen unheimlichen Geschöpfen, die zumeist in Tarngestalt unter den Menschen leben.

Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht Coco den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Ihr Vater sieht mit Entsetzen, wie sie den Ruf der Zamis-Sippe zu ruinieren droht. So lernt sie während der Ausbildung auf dem Schloss ihres Patenonkels ihre erste große Liebe Rupert Schwinger kennen. Aber das Glück ist nicht von Dauer. Auf einem Sabbat soll Coco zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an, doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut und verwandelt Rupert Schwinger in ein Ungeheuer.

Seitdem lässt das Oberhaupt keine Gelegenheit aus, gegen die Zamis-Sippe zu intrigieren. So schickt Asmodi den Dämon Gorgon vor, der Wien und alle seine Bewohner zu Stein erstarren lässt – und die Stadt komplett aus dem Gedächtnis der Menschheit löscht. Nur Coco kann im letzten Augenblick entkommen, allerdings hat sie jede Erinnerung an ihre Herkunft verloren ... Kurz darauf findet sie sich jedoch in einer Vision in Wien wieder und steht ihrer versteinerten Familie gegenüber. Nach und nach gewinnt sie ihre Erinnerung zurück und fühlt sich mehr denn je verpflichtet, etwas gegen Gorgons Fluch zu unternehmen.

In einer Bibliothek auf Schloss Laubach in Deutschland stößt Coco auf die Dämonenvita ihres Vaters. Daraus erfährt sie, dass er zuvor über Jahre hinweg seinen Halbbruder Rasputin bekämpft hat. Mit Hilfe der Vita gelingt es Coco, Gorgons Bann zu brechen und Wien zu retten.

In der Folge baut Michael Zamis seine Kontakte zu den Oppositionsdämonen aus, die sich Asmodis Sturz auf die Fahnen geschrieben haben. Als Cocos Mutter Thekla von Michaels Liaison mit einer Kämpferin des Widerstands erfährt, tötet sie diese. Es kommt zum Bruch mit den Oppositionsdämonen, die Coco ungefragt ein »Permit« verpassen – ein magisches Tattoo in Form eines zweiköpfigen Adlers. Einst werde ihr dieses Permit Schutz gewähren ... Doch Coco und auch ihr Bruder Georg wollen sich nicht länger instrumentalisieren lassen. Georg reist mit Coco auf die Insel Sylt, wo Georg seine grausamen »Lehrjahre« verbringen musste. Auch hier stoßen sie auf Anhänger der Oppositionsdämonen, können sie aber vernichten. Ohne ihre Familie zu informieren, reist Thekla Zamis unterdessen nach Istanbul. In Asmodis Auftrag soll sie dort den Kontakt zu den Oppositionellen herstellen. Seitdem jedoch ist sie verschwunden. Unterdessen schickt Michael Zamis Coco in den Harz, um ein von ihm deponiertes magisches Wesen – genannt 999 – zu regenerieren. Der Auftrag scheitert, denn abermals haben die Oppositionsdämonen ihre Hände im Spiel.

DIE GELIEBTE AUS DEM TOTENREICH

von Catalina Corvo

London, Gegenwart

Der Mann röchelte. »Du musst mir helfen!«

»Könntest du bitte im Flur verrecken? Der Flokati verträgt kein Blut. Den habe ich erst letzte Woche bei Sotheby's ...«

»Lydia!«

»Was denn? Der war teuer.«

»Ich ... brauche ... Hilf...«

»Zum Teufel, ja, bevor du mir die Wohnung gänzlich ruinierst.«

Mit demonstrativ geschürzten Lippen kniete sich Lydia Zamis zu ihrem Spielzeug. Sie korrigierte sich in Gedanken. Ex-Spielzeug. Jetzt war es beschädigt und nicht mehr brauchbar. Ihr schnell gemurmelter Heilzauber konnte zwar die Wunden nicht rückgängig machen, die das Blutschwert ihm geschlagen hatte, aber immerhin hielt er die schleichende Verschlimmerung und die rasenden Schmerzen auf, die derartige Verletzungen mit sich brachten.

Zumindest für den Augenblick.

1. Kapitel

Wie Alfred die drei Hiebwunden gänzlich wieder loswurde, die jetzt seinen Oberkörper verunstalteten, war nicht Lydias Problem. Es war ja nicht so, dass sie ihn gezwungen hatte, im Mollusca in den Ring zu steigen.

Genau genommen doch, aber was konnte sie dafür, dass Alfred alles tat, was sie von ihm verlangte? Der Trottel glaubte wirklich, dass eine Zamis ihm loyal war, nur weil sie ihn für kurze Zeit als Gespielen erwählt hatte. Lydia kicherte verächtlich.

Alfred war nur ein Werwolf. Kein besonders beeindruckendes Material, aber wenigstens brachte er es im Bett einigermaßen. Allerdings war Lydia seiner Gesellschaft nach achtundvierzig Stunden überdrüssig. Darum hatte sie auch vor drei Stunden mit ihm Schluss gemacht. Natürlich war er vor ihr auf die Knie gefallen, hatte sie angefleht, ihm noch eine Chance zu geben und ihr geschworen, alles für sie zu tun. Weil er sie ja so sehr begehrte. Das Übliche eben.

Spaßeshalber hatte sie verlangt, dass er bei den tödlichen Dämonenkämpfen im Keller des Klubs Mollusca sein Leben aufs Spiel setzte. Zu Lydias Leidwesen hatte Alfred Glück gehabt und tatsächlich drei Minuten gegen den japanischen Oni mit dem Blutschwert durchgehalten. Wie viel Glück konnte jemand eigentlich haben?

Alfreds Überleben hatte ihr die Laune verdorben. Lydia war gegangen. Keine Stunde später hatte er vor ihrer Tür gehockt und eine lautstarke Szene gemacht, bis sie ihn schließlich hereingelassen hatte. Aber mehr als die kleine Gefälligkeit eines Heilzaubers war nicht drin.

»Verschwinde!«, zischte sie. »Ich habe noch Wichtigeres zu tun.«

»Aber meine Herrin, ich habe nur für dich ...«

»Und du hast verloren.« Lydia erhob sich, ohne Alfreds zusammengekrümmte Gestalt noch eines Blickes zu würdigen. »Du bist erbärmlich. Verzieh dich endlich und leck deine Wunden, Wolfi. Ich komme auf dich zurück.«

Lydia ließ sich wieder auf der bequemen Chaiselongue aus weißem Leder nieder.

Alfred starrte sie eine Weile fassungslos an, schleppte sich dann aber gehorsam zur Tür. Braves Hundchen. Lydia verfolgte seinen Abgang mit einem herablassenden Lächeln, als das Telefon klingelte.

Lydia hob ab. »Ja?«

Einige Sekunden lang antwortete ihr Stille, dann sagte eine dunkle Männerstimme »Du weißt, wer hier ist.«

Lydias Herz schlug schneller. Wie immer verursachte ihr seine tiefe Stimme eine Gänsehaut. Er rief tatsächlich an. Damit hatte sie nach dem Desaster bei ihrer letzten Verabredung nicht mehr gerechnet.

»Was willst du?«, fragte sie betont gelangweilt, aber es gelang ihr nicht vollständig, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken.

»Komm doch heute vorbei.«

Die vier Worte verdoppelten Lydias Pulsschlag noch einmal. »Wegen dieser Sache«, fuhr er fort. »Ich bespreche das nicht am Telefon. Aber du verstehst schon. Es ist ein Platz vakant. Du bist dabei, wenn du deine Sache heute gut machst.«

»Oh.« Lydia fuhr sich durchs Haar. Das war das Angebot, auf das sie so lange gewartet hatte. Die Verbindung, die es ihr ermöglichte, endlich aus dem Schatten ihres Vaters und ihrer allzu schlauen Schwester Coco herauszutreten. »Wann soll ich da sein?«

»Am besten vor einer halben Stunde«, erwiderte das andere Ende der Leitung trocken. »Und bring ein Gastgeschenk mit. Denk daran, gewöhnliches Blut reicht nicht.«

Ein Klicken in der Leitung beendete den Kontakt. Lydia verblieb grübelnd. Ihre edel manikürten Fingernägel gruben sich in das Leder der Armlehne. Ihre Gedanken rasten. Mehr als gewöhnliches Blut. Schwarzes Blut. Das meinte er. Sie brauchte ein Opfer, und zwar in den nächsten Minuten. Es war viel verlangt, aber es gab auch so viel zu gewinnen.

Das Klappen der Haustür riss Lydia aus ihren Gedanken. Hastig sprang sie auf.

»Warte, Wolfi. Ich hab's mir anders überlegt. Wir gehen heute noch aus, du und ich.«

Wien, Gegenwart (Coco)

Immer deutlicher spürte ich die andere Präsenz. Sie durchdrang meinen unruhigen Schlaf und sickerte in meine Träume wie der nervende Summton einer Mücke in einer drückenden Juninacht. Ich wälzte mich hin und her, taumelnd auf der Grenze zwischen Schlaf und Wirklichkeit.

Schließlich sang das Summen ein Wort.

»Coco.«

»Mutter?«

Ich schlug die Augen auf. Entsetzt starrte ich den Schatten an, der an meinem Bett verharrte wie eine verblasste Fotografie. War ich wirklich von einer kalten Berührung aus dem Schlaf geschreckt worden, oder lag ich noch reglungslos und träumte das alles nur? Der Schatten bewegte sich nicht. Draußen schlug eine Turmuhr zwei klagende Töne. Die Erscheinung war ohne Substanz, ein Schemen bloß und doch vertraut.

»Mutter?«

»Ja, ich bin es, Kind.« Leer und hohl wehte der Laut zu mir wie ein Echo, das durch einen langen, dunklen Tunnel hallte, dennoch war es unverkennbar Mutters Stimme. »Sorge dich nicht«, flüsterte der Schatten. »Unternimm nichts. Die Zeit spielt für uns. Aber bis wir uns wiedersehen, beschütz deinen Vater und traue nie... er ist hier!«

»Wer?«

Der Schatten bebte, veränderte seine Konturen. Etwas drang daraus hervor. Kam auf mich zu. Ich saß wie gelähmt in meinem Bett. Konnte mich nicht rühren. Nicht einmal schreien. Meine Brust wurde schwer. Ein dunkler Ton summte in meinen Ohren. Wie das Brummen eines riesigen Insekts. Die Schwärze kam näher. Waren es Finger, die gierig nach mir tasteten? Ein kalter Hauch an meinem Hals. Entsetzen packte mich. Noch immer war ich zu keiner Regung fähig, konnte auch meine magischen Sinne nicht einsetzen.

Plötzlich schlug etwas gegen das Fenster. Aus den Augenwinkeln sah ich eine huschende Bewegung. Als ich mich wieder auf den Schatten konzentrierte, war er verschwunden. Mein Zimmer war leer. Ich konnte freier atmen, mich rühren. Sofort sprang ich auf.

Einige Sekunden lang schwebte eine magische Energie in der Luft, verflüchtigte sich aber, während ich noch versuchte, sie zu analysieren. Ich hatte keine Chance, den Zauber zu erkennen, der hier gewirkt hatte. Also folgte ich der zweiten Spur und lief zum Fenster. Draußen erkannte ich nur unseren Garten. Ruhig und schweigend erstreckte er sich vor mir. Keine Spur eines Eindringlings. Auch mit meinen magischen Sinnen konnte ich keine fremde Präsenz dort draußen spüren. Keine unserer Fallen hatte reagiert.

Um ganz sicher zu sein, dass ich nichts übersah, öffnete ich vorsichtig das Fenster und spähte argwöhnisch hinaus. Dann lehnte ich mich vor und sah nach oben. Schließlich wollte ich keinen Angriff im Nacken über mich ergehen lassen. Da alles unverdächtig aussah, ließ ich meinen Blick ausführlicher über die Fassade schweifen. Doch auch dort war nichts Besonderes zu erkennen. Lediglich auf der Veranda erspähte ich einen kleinen, schwarzen Fleck.

Als ich nur Minuten später auf die Veranda trat, begriff ich, dass es sich um eine tote Krähe handelte. Mit aufgerissenem Schnabel starrte sie mich aus leblosen Augen an. Sofort kehrte ich ins Haus zurück. Ich musste Vater von all dem berichten.

2. Kapitel

Wien, 1939 (Georg)

Ich beobachtete den toten Vogel einige Minuten lang. Mit ausgebreiteten Schwingen hing das graue Ding in den Rosensträuchern. Langsam arbeiteten sich die Dornen durch sein Gefieder. Seit die Taube heute Morgen in dem Busch verendet war, schimmerten die Blüten intensiver. Zarte Knospen, gestern noch fest geschlossen, hatten sich geöffnet.

»Georg«, erklang hinter mir die Stimme meines Vaters. »Folge mir.«

Während ich in Vaters Kielwasser ins Wohnzimmer stiefelte, ging ich alle meine Sünden der letzten Tage durch. Wies er mich jetzt zurecht, weil ich am vergangenen Abend versucht hatte, die magischen Sicherungen an der Kellertür zu überwinden, während Vater und Thekla außer Haus waren? Oder hatte er herausgefunden, dass ich neulich einer Straßenkatze ein drittes Auge angehext hatte?

Das Vieh hatte ohnehin nur wenige Minuten danach das letzte seiner neun Leben ausgehaucht.

Oder war es die Sache mit der Ratte in der Zigarrenkiste?

Vater nahm in seinem Lieblingssessel Platz. Mir erschien er wie ein Richterstuhl.

»Nun bist du zur Ruhe gekommen und konntest über den Tod deiner Freundin noch einmal ausführlich nachdenken.« Vater sprach unbewegt, als diskutiere er das Wetter oder die aktuelle Wirtschaftslage. »Du hast hoffentlich einiges daraus gelernt.«

Ich nickte. Das hatte ich. Ich hatte gelernt, dass es nicht nur von Nachteil war, an gewöhnlichen Sterblichen zu hängen, sondern auch unseresgleichen durfte man keine Sympathie entgegenbringen. Die Enttäuschung schmerzte immer gleich.

»Dann ist dir sicherlich klar, dass dein Alleingang in die Kanalisation unreif und riskant war. Auch wenn es sich letztlich positiv ausgewirkt hat, dass du Lena retten wolltest, gefährdest du durch deine Alleingänge den Erfolg meiner Unternehmungen. Glück allein ist der Grund, dass du unserer Familie nicht geschadet hast. Du musst auch an Thekla denken. Wir drei sind jetzt eine Familie, Georg.«

Vater machte eine erwartungsvolle Pause. Ich nickte noch einmal, da anscheinend Zustimmung gefordert war. Dennoch verstand ich Vaters Schwenk zum Familienglück nicht. Ich kannte Thekla kaum. Sie war ständig außer Haus. Beziehungen pflegen nannte Vaters das. Und wenn meine Stiefmutter anwesend war, dann hielt sie sich zurück. Meine Erziehung überließ sie Vater. In unseren vier Wänden war Vaters Frau sehr zurückhaltend, aber ich vermochte nicht zu sagen, ob das wirklich ihrem Charakter entsprach oder sie Vater die devote Ehefrau nur vorspielte.

»Eine Dämonenfamilie hält stärker zusammen als Pech und Schwefel. Du hast das aber anscheinend noch immer nicht begriffen, Georg, da dir dieses Mädchen wichtiger war als unser Wohl.«

Urplötzlich stand Vater auf. Sein finsterer Blick brannte sich in meine Seele und überzeugte mich, dass er alles wusste. Jeden Unsinn, den ich angestellt hatte, ja vielleicht sogar jeden rebellischen Gedanken, den ich jemals zu denken gewagt hatte.

Vaters Lippen waren fest zusammengepresst, seine Augen verengten sich. Langsam ballte er die Hand zur Faust. Und da sah ich nicht mehr Michael Zamis vor mir, sondern einen anderen grimmigen Plagegeist, an den ich schon lange nicht mehr gedacht hatte. Noch einmal hörte und roch ich den schweren Bieratem, sah das fleckige Hemd, den Bierbauch, die ausgeleierten Hosenträger. Schwielige, fette Hände, die den Gürtel vom Hosenbund entfernten. Wütendes Knurren. Mein Name fiel. Ich war klein und hilflos. Kraftlos. Ausgeliefert. Gleich hoben die Pranken den Gürtel und ...

Ich merkte erst, dass ich mich duckte und die Arme vors Gesicht gehoben hatte, als ein geringschätziges Lächeln über Vaters Lippen glitt.

»Nimm die Hände runter. Ich werde dich nicht schlagen.« Das Lächeln verschwand. »Aber wieder einmal hast du gezeigt, dass du nicht die richtigen Prioritäten zu setzen verstehst. Anscheinend war der Aufenthalt auf Sylt nicht ausreichend, um die Wege der Schwarzen Familie zu verinnerlichen. Daher habe ich die notwendigen Schritte eingeleitet, deine Ausbildung weiter zu vertiefen. Ich werde es jedoch nicht selbst tun. Das wäre mir gegenwärtig eine Last.«

Vater hielt inne, als Thekla ins Zimmer kam und ihm die Tageszeitung brachte. Ohne meine neue Mutter eines Blickes zu würdigen, nahm Vater die Tagesnachrichten entgegen.

Dann setzte er sich wieder und schlug die Zeitung auf. Ich erkannte, dass dort verschiedene Artikel mit einem kleinen Kreuz markiert waren.

Vater begann zu lesen. Er runzelte mehrfach die Stirn. Erst als er bereits auf Seite fünf angekommen war, sah er mich über den Rand der Zeitung hinweg an.

»Was stehst du noch unnütz herum? Pack deinen Koffer. Ich schicke dich auf Grand Tour. Morgen geht deine Reise los.«

Wien, Gegenwart (Coco)

Vater nahm meinen Bericht zur Abwechslung sogar ernst. Weder beschwerte er sich darüber, dass ich ihn mitten in der Nacht aus dem Bett warf, noch warf er mir Hysterie vor.