Das Jahr der Milane - Jochen Walz - E-Book

Das Jahr der Milane E-Book

Jochen Walz

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Beschreibung

Das "Jahr der Milane" befasst sich weniger mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen über die beiden Milanarten, auch wenn diese immer wieder einfliessen, als vielmehr mit dem Alltag der Paare, deren Beziehungen untereinander, mit ihren unmittelbaren Nachbarn und den weiblichen, wie männlichen noch nicht brütenden Junggesellen. Und nicht selten sind uns die kleinen Beziehungsproblemchen nur allzu bekannt, so dass eine Journalistin den begleiteten Film mit der Überschrift beschrieb: "Es menschelt in der Welt der Milane." Das Jahr der Milane lädt dazu ein, das Leben einiger unserer nichtmenschlichen Nachbarn kennen zu lernen, mit ihrer einfachen und ursprünglichen Lebensweise, die ohne ständige Zerstreuung und Konsum ein überwiegend glückliches Leben führen.

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Seitenzahl: 254

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Die Welt der Milane

Teil 1. Das Jahr der Milane - Die Geschichte von Lücke, Streubsel, Streuner und ihren Nachbarn (1996- 2000)

Jochen Walz

2024

Vorwort

Das Jahr der Milane basiert auf Dauerbeobachtungen des Verfassers von 1996 bis 1999 an mehreren benachbarten Rot- und Schwarzmilanpaaren in Baden- Württemberg. Die Beobachtungen waren ursprünglich die Grundlage für Veröffentlichungen systematischer Untersuchungen über die beiden Milanarten. Anhand der Beobachtungsprotokolle wurden die Beobachtungen allerdings bereits im Jahr 2000 in den Verlauf eines Jahres, dem „Jahr der Milane“, zusammengefasst, um sie auch einem breiteren, nicht wissenschaftlich orientierten Publikum vorzustellen.

Das „Jahr der Milane“ befasst sich weniger mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen über die beiden Milanarten, auch wenn diese immer wieder einfliessen, als vielmehr mit dem Alltag der Paare, deren Beziehungen untereinander, mit ihren unmittelbaren Nachbarn und den weiblichen, wie männlichen noch nicht brütenden Junggesellen. Und nicht selten sind uns die kleinen Beziehungsproblemchen nur allzu bekannt, so dass eine Journalistin den begleiteten Film mit der Überschrift beschrieb: „Es menschelt in der Welt der Milane.“

Aufgrund unverwechselbarer Merkmale konnten viele Milane individuell angesprochen werden, einige auch auf große Distanzen mit dem Spektiv. Manche über ein Jahr hinweg, andere über den gesamten Beobachtungszeitraum von 1996 bis 2013. Weitere Milane waren mittels Flügelmarken, Radiosender und Fußringe, infolge eines Forschungsprojekts mit der Universität Ulm, kenntlich gemacht worden.

So entstand auch emotional eine große Bindung zu diesen Vögeln, eben weil sie keine Nummern mehr waren, sondern Individuen, die sich von ihren Artgenossen unterschieden. Und so erwartete ich alljährlich mit großer Spannung die Rückkehr von Lücke, dem Hauptdarsteller unter den Rotmilanen, aus seinem Überwinterungsquartier. Und stellte sich anstatt Lücke ein fremdes Männchen in seinem Revier ein und balzte Streubsel, Lückes Weibchen an, so war die Spannung umso größer, was in der Folgezeit passieren würde… Lücke unterdessen unterhielt in einem Jahr einen Seitensprung und als er diesen letztendlich wieder sitzen ließ, war die Frustration ganz augenscheinlich groß.

Streubsel hingegen vertrieb wenige Jahre später eine neu angesiedelte Nachbarin und nahm eine Beziehung zu deren Männchen auf, ohne Lücke verlassen zu wollen… und da wurde es wirklich skurril… Aber das ist Bestandteil des dritten Bandes.

Im zweiten Band war das Schwarzmilanmännchen Silver mit Brownie „verheiratet“, doch da war noch Wiggy, seine langjährige Freundin. Und wie erwartet gab es immer wieder leichte Spannungen in der Beziehung zwischen Silver und Brownie, wie sie bei anderen Paaren nicht beobachtet wurden. Aber wenngleich Silver auch nicht immer nett zu Wiggy war und sie keine Aussicht auf eigenen Nachwuchs hatte, hielt Wiggy doch all die Jahre weiter an Silver fest, obwohl sie genügend weitere potentielle Bewerber hatte.

Das Vermögen, die Milane individuell anspechen zu können, ergab ungeahnte Möglichkeiten. Zu-, oder Abneigungen, Treue, Seitensprünge, Dreiecksbeziehungen über viele Jahre, Hackordnungen, Ersatz verstorbener Männchen oder ganzer Paare noch während der Jungenaufzucht, Frustrationen oder komplettes Abweichen von der Norm, all das und noch viel mehr konnte jetzt mit Individuen verbunden und nachvollzogen werden. Aber vor allem ein Leben in absoluter Freiheit, wie wir Menschen uns das unmöglich gemacht haben. Allerdings gibt es auch in der Welt der Milane Regeln, die es zu beachten gilt, wie z.B. die Einhaltung der Reviergrenzen bei den Rotmilanen. Doch handelt es sich bei den Revieren nicht um Besitztum, sondern eher um Nutzungsrechte, die sich sowohl in Gestalt, Größe und Besitzer auch ändern können. Und dies geschah dann auch immer wieder, teils unter erfreulichen, teils unter tragischen Umständen (insbesondere im dritten Band). Und dennoch leben die Tiere in einer unglaublichen Freiheit, die eigentlich nur von uns Menschen eingeschränkt und bedroht wird und immer wieder ihre Opfer fordert. Die Gleichgültigkeit, wie der Mensch mit der natürlichen Umwelt umgeht, ist deshalb auch zwangsläufig immer wieder Thema der Erzählungen. Natürlich gibt es auch in der Welt der Milane, unabhängig vom Menschen, immer wieder Leid und Tod, doch das gibt es in der vom Menschen gemachten, künstlichen Welt andauernd.

Das Jahr der Milane lädt dazu ein, das Leben einiger unserer nichtmenschlichen Nachbarn kennen zu lernen, mit ihrer einfachen und ursprünglichen Lebensweise, die ohne ständige Zerstreuung und Konsum ein überwiegend glückliches Leben führen. Es zeigt aber auch, dass mit bloßem Beobachten sehr viel in Erfahrung gebracht werden kann. Eine Methode, die auch dem „Laien“ zugänglich ist und mit etwas Geduld, Ausdauer und respektvoller Distanz zu den beobachteten Tieren, bereits bald zu interessanten Erkenntnissen führen wird. Und da die meisten Tierarten von wissenschaftlicher Seite kaum mehr direkt beobachtet werden, lassen sich zumeist auch bald Erkenntnisse gewinnen, die so noch nicht gemacht wurden. Und es scheint, als sei die Welt der Tiere voller Überraschungen, wir schenken ihr nur keine Beachtung.

Der erste Band im Jahr der Milane beschreibt das Leben einiger benachbarter Milanpaare im Bereich der oberen Gäue, westlich Böblingen, mit damals noch geringem Vorkommen an beiden Milanarten. Die Paare nisteten zumeist in großen Distanzen und begegneten sich nur selten, außer an der nahrungsreichen und daher sehr beliebten Mülldeponie. Insbesondere hier mussten sich die Milane arrangieren, was nicht immer leicht für sie war.

Der zweite Band befasst sich mit dem Leben der Milane auf der Baar, mit einer sehr großen Siedlungsdichte an Brutpaaren. Doch auch hier wussten sich die eng beieinander siedelnden Paare zu arrangieren. Daneben übersommerten hier extrem viele noch nicht brütende weibliche wie männliche Junggesellen, gemeinsam in einer Schlafgesellschaft. Viele Milane schließen hier ihre ersten Bekanntschaften und manche verhalten sich dabei noch recht ungeschickt.

Der zweite Teil des zweiten Buches bezieht sich auf den Zug beider Milanarten, wobei ein großer Teil der Rotmilane in Spanien überwintert, während die meisten Schwarzmilane das Land nur überfliegen, um in West Afrika, südlich der Sahara zu überwintern. Eine Reise führte mich in die Überwinterungsgebiete der Rotmilane in Nordost- und West Spanien. Dort überwintern die Rotmilane in zahlreichen vernetzten Gesellschaften, mit bis zu 300 Individuen und mehr. Die Schwarzmilane, die außerhalb der Brutzeit ein wahres Vagabundenleben führen, wurden bei ihrem Zug in Südwest Andalusien beobachtet, nahe der Meerenge von Gibraltar, wo täglich einige tausend Individuen ziehen und rasten. Auch von dort gibt es viel zu berichten.

Parallel zu dem Buch entstand ein Film, mit gleichem Titel: „Die Welt der Milane, Teil 1, Das Jahr der Milane“, mit dem der Autor Filmvorträge in Baden- Württemberg hielt und der in Kürze ebenfalls für ein breiteres Publikum erscheinen wird. Die meisten der zahlreichen Fotos in diesem Buch wurden aus dem Film extrahiert. Dabei handelt es sich um keine „Hochglanzfotographien“, sondern um Sequenzen aus dem Filmmaterial, welche die damaligen Geschehnisse zum Ausdruck bringen.

Das dritte Buch, mit dem Titel “Die Welt der Milane, Teil 2“, begleitet die Rotmilane Lücke, Streubsel, Rudi, Talli und co., sowie die Schwarzmilane Streuner, Schnäbelchen, Silver, Brownie, Wiggy, etc. von 2000 bis 2013 bei der enormen Zunahme an weiteren Brutpaaren, bzw. Nachbarn und wie sie sich damit arrangierten. Und ebenso die darauf folgende Nahrungsknappheit auf der Baar, infolge der Intensivierung der Landwirtschaft, einhergehend mit einem starken Rückgang der Milanpopulation.

Parallel zu diesem Buch entstand ebenfalls ein gleichnamiger Film, der in Kürze erscheinen wird.

Jochen Walz

Die Ankunft der Milane

Der erste Tag

Es ist der erste warme Vorfrühlingstag Mitte Februar. Seit wenigen Tagen halten sich die ersten Feldlerchen, sowie größere Ansammlungen von Staren nahrungssuchend auf den Feldern und Wiesen in der Aue auf. In den Wäldern haben die Spechte mit der Balz begonnen. Ihre Rufe und Trommelsignale hallen noch weit aus dem Wald hinaus.

Über den Wäldern kreisen Mäusebussarde. Sie ziehen sich gegenseitig an, so dass auf diese Weise schnell zehn Bussarde und mehr gemeinsam über einem Waldabschnitt kreisen. Plötzlich legt einer der Bussarde die Flügel dicht an den Körper und stürzt in steilem Winkel fast senkrecht in die Tiefe. Noch über dem Wald fängt er den Sturzflug ab in einem Bogen, der ihn wieder in die Höhe trägt, um bei Nachlassen des Schwunges erneut abzukippen und endgültig in die Tiefe zu stürzen. Mit großer Geschwindigkeit verschwindet der Bussard im Wald, wo er in unmittelbarer Nähe zu seinem letztjährigen Nistplatz auf einem Baum landet.Es ist der Revierinhaber, der seinen Artgenossen zu verstehen gab, dass das Waldstück, in dem er verschwand sein Horstrevier ist und er bereit ist, es auch zu verteidigen.

Das weiße Mäusebussardmännchen ist eine Besonderheit. Er nistet seit einigen Jahren in der Nachbarschaft von Streubsel und Lücke, jederzeit bereit sein Revier gegen Artgenossen zu verteidigen.

Die Turmfalken in der Scheune am Waldrand sind ebenfalls in Balzstimmung. Sie feierten in der ersten Februar-Woche bereits Hochzeit. Dennoch ist ihr Domizil noch nicht vollständig gesichert, denn ein weiteres Turmfalkenpaar versucht, es ihnen streitig zu machen.

Waldrand, mit einem Bauernhof und dahinter die Scheune der Turmfalken. Rechts: Turmfalkenmännchen am Flugloch des Nistkastens in der Scheune. Da die Falken hier besser gegen ungünstige Witterung und auch gegen Marder oder Greifvögel wie den Habicht geschützt sind, sind diese Brutplätze sehr begehrt. Die Anzahl an ausfliegenden Jungfalken ist hier deutlich größer als bei Freibrütern, die mit mehr Verlusten unter ihren Jungen zu rechnen haben. Und das wissen ganz offensichtlich auch die Falken.

Während die Turmfalken gerade wieder dabei sind, unter heftigen Rufen ihre Nachbarn von der Scheune zu vertreiben und einige Bussarde über dem Horstwald kreisen, schwebt ein großer rotbrauner Greifvogel mit tief eingekerbtem Gabelschwanz über die Aue des Maisgrabens dahin: ein Rotmilan. Fast ohne einen Flügelschlag zieht er in mittelhohen Bögen über das Gelände, mal hierhin, mal dorthin und sucht die Umgebung mit nach unten gerichtetem Blick genau ab. Über Flächen, die ihm interessant erscheinen, dreht er einige Runden, schraubt sich anschließend in der Thermik gemächlich etwas höher und gleitet dann weiter. Von dem Geschehen über dem Bussardwald und der Scheune nimmt er keine Notiz, wenngleich es seinem scharfen Blick nicht entgangen ist.

Streubsel

Es ist Streubsel, das Rotmilanweibchen, welches sich erst vor wenigen Jahren hier im Wald der Bussarde angesiedelt hat, gemeinsam mit ihrem Männchen Lücke. Streubsel kehrte entweder gestern am späten Nachmittag oder heute morgen aus ihrem Winterquartier in Südwesteuropa zurück, um im Frühjahr erneut Nachwuchs zu bekommen, so wie in den Jahren zuvor. Rotmilane sind wie die meisten anderen Vögel und Greifvögel sehr ortstreu und nisten alljährlich im selben Bereich, auch wenn sie den Winter woanders verbringen. Andere Vogelarten, wie die Mäusebussarde, bleiben hingegen das ganze Jahr in ihrem Revier, ihrer Heimat, wo sie sich auch besonders gut auskennen und stets wissen, wo sie Nahrung finden können. Nur sehr harte Winter mit viel Schnee, zwingen sie zum Verlassen ihrer Heimat, da es dann unmöglich wird, Mäuse unter dem Schnee zu erbeuten.

Nachdem sie etwa zehn Minuten die Landschaft unter sich nach Beute abgesucht hat, schraubt sich Streubsel in eine größere Höhe und schwebt daraufhin langsam und ohne einen Flügelschlag gegen den schwachen Wind über die Aue, etwa einen Kilometer nach Westen. Dort kreist in gleicher Höhe ein zweiter Rotmilan. Indem sie gemeinsam enge Kreise ziehen, nehmen beide Milane Kontakt miteinander auf. Innerhalb von fünf Minuten schrauben sie sich in große Höhen und schweben dann auseinander. Streubsel driftet nach Osten über den Horstwald hinweg, der andere Milan in die entgegengesetzte Richtung nach Westen. Nach einem ausgedehnten Schwebeflug über eine Strecke von etwa 1,5 km, kehren sie um und schweben langsam zurück, um sich vor dem Horstwald erneut zu treffen. Wieder fliegen beide Milane in engen Kreisen entgegengesetzter Drehrichtung. Nach weiteren fünf Minuten driften sie erneut auseinander und schweben, an Höhe verlierend, in verschiedene Richtungen, um darauf das Gelände in einem Bereich von etwa 2,5 km² um den Horstwald nach Beute oder sonstigen Nahrungsquellen abzusuchen.

Mit diesen Schwebeflügen in großer Höhe markieren die Milane ganz offensichtlich ihr Horst- und Jagdrevier, in welchem sie hauptsächlich nach Nahrung suchen.

Innerhalb der nächsten eineinhalb Stunden sucht jeder der beiden Milane solitär den näheren und weiteren Bereich um den Horstwald nach Nahrung ab. Die Nahrungssuche ist jetzt im zeitigen Frühjahr noch aufwendig, da viele Mäuse den Winter nicht überlebt haben. Zudem wurden sie im Herbst nach der Ernte komplett aus ihren Äckern gepflügt und diese müssen jetzt erst wieder sukzessive besiedelt werden. Da sich Mäuse vor allem im Frühjahr und Sommer fortpflanzen, haben die Populationen jetzt ihren Tiefstand erreicht. Dennoch finden die Milane, zumindest in abwechslungsreichen und nicht zu intensiv bewirtschafteten Landschaften, stets genügend Nahrung. Es dauert im zeitigen Frühjahr allerdings häufig seine Zeit, weshalb die Milane bei feuchter Witterung oder auf frisch gepflügten Äckern nicht selten nach Regenwürmern suchen.

Nach eineinhalb Stunden erfolglosen Suchfluges schrauben sich die beiden Milane wieder in die Höhe, schweben aufeinander zu, kreisen gemeinsam in entgegengesetzter Richtung um dann wieder auseinanderzudriften.

Streubsel auf einem Hochspannungsmast nahe einer Pappelreihe, etwa einen Kilometer westlich ihres Horstwaldes. Die Pappelreihe wird von Streubsel und ihrem Männchen Lücke im Herbst als Ruhe- und Nächtigungsbereich genutzt.

Wenig später landet Streubsel in der Aue auf einem Strommast, während das Männchen weiter nach Nahrung sucht. Nach einer weiteren Stunde kehrt auch das Männchen zurück, mit einer fetten Wühlmaus in den Fängen. Er landet neben Streubsel und präsentiert die Beute. Sie übernimmt diese und beginnt zu fressen. Beuteübergaben in diesem frühen Stadium der Balz sind nicht unbedingt die Regel. Häufig versorgen sich die Weibchen noch eine Zeitlang selbst, bis sie spätestens zwei Wochen vor der Eiablage den Horstbereich kaum noch verlassen und vollständig durch die Männchen versorgt werden. Vielleicht will das neue Männchen Streubsel ja seine Qualitäten zeigen und sie so für sich gewinnen. Ihm ist wahrscheinlich bewusst, dass das eigentliche Reviermännchen irgendwann hier erscheinen und sicherlich nicht begeistert von seiner Anwesenheit hier sein wird.

Das neue Männchen hat Streubsel (links) eine Wühlmaus gebracht. Bild rechts: Der Bereich westlich des Horstwaldes ist sehr strukturreich, mit kleinparzellierten Äckern und Wiesen, einigen Streuobstwiesen und verwilderten Kleingärten. Ideal für Mäuse und deshalb auch für Milane.

Wenngleich es sich bei den frisch angekommenen Milanen augenscheinlich um ein Paar handelt, scheinen diese noch nicht balzen oder ihr Horstrevier besetzen zu wollen. Allerdings handelt es sich bei dem Männchen auch nicht um Lücke, dem langjährigen Reviermännchen und Brutpartner von Streubsel. Dieser wäre leicht an einigen unverwechselbaren Merkmalen im Flugbild erkennbar.

So verbringen Streubsel und das fremde Männchen ihren ersten Tag im Brutgebiet überwiegend mit Nahrungssuchflügen im gewohnten Jagdrevier, das Lücke und Streubsel auch die vorangegangenen Jahre vorwiegend absuchten und das sie bis zum Abzug im Herbst so gut wie nie verließen.

Dabei handelt es sich um ein schmales, 1,5 bis 4 km breites Tal, das sich über 8 km von West nach Ost erstreckt. Es ist an drei Seiten von bewaldeten Schichtrücken umgeben und öffnet sich nur nach Westen hin in die fruchtbare Löß / Lettenkeuperebene.

Links der Horstwald des Rotmilanpares und darauf der östliche Teil des Jagdrevieres von Streubsel und Lücke, welches bis über die kleine Ortschaft hinausreicht, bis zu den Waldrändern, die diese in Form eines Hufeisens umgeben.

Nur zweimal kreisen beide Milane gemeinsam über dem Horstwald, ansonsten zeigen sie an ihrem künftigen Brutrevier noch kein Interesse.

Gegen 15 Uhr tauchen drei weitere Rotmilane auf. Sie fliegen langsam von Südwest nach Nordost über die Aue. Streubsels Partner schraubt sich spontan in ihre Höhe und nimmt flüchtig Kontakt mit den Milanen auf, die sich offensichtlich noch auf dem Heimzug befinden. Nach mehrmaligem Umkreisen schrauben sich die drei fremden Rotmilane langsam, durch wenige Flügelschläge unterstützt, weiter in die Höhe und driften nacheinander nach Nordost über den Horstwald hinweg.

Nachdem unser Milanpaar bis 16.30 Uhr fast alle Ecken des gewohnten Jagdreviers inspiziert hat, zieht es zur Mülldeponie. Die Deponie befindet sich nur etwa 1,5 km vom Horstwald entfernt, so dass die Milane nicht einmal drei Minuten benötigen, bis sie über der Deponie kreisen.

Da auf der Mülldeponie zu allen Zeiten immer Nahrung verfügbar ist, wird sie häufig von Milanen aufgesucht. Denn Milane sind, im Gegensatz zu den meisten Greifvögeln, Allesfresser, die neben ihrer eigentlichen Beute, Mäusen und andere kleinen Nagetiere, auch kleine Vögel, Reptilien und Amphibien, Insekten und Regenwürmer, sowie Fleischabfälle und sogar Käse- und Pizzareste aufnehmen. Und auf der Mülldeponie finden sie ohne großen Aufwand fast immer genügend Nahrng, wie eben Fleisch- oder auch andere Nahrungsreste. Die in der Nähe horstenden Milanpaare sind deshalb in gewisser Weise privilegiert und Horstreviere nahe der Mülldeponie sind unter Rot- wie Schwarzmilanen sehr begehrt.

Das Milanpaar sucht die Deponie nur deshalb so spät am Tage auf, da ab 16.30 Uhr der Betrieb auf der Deponie eingestellt wird und sie erst dann ungestört nach Nahrung suchen können. Da Streubsel und ihr Partner allerdings schon weitgehend satt sind, nehmen beide nur je einmal Nahrung auf und fressen, über der Müllfläche kreisend, die erbeuteten Fleischklumpen. Nach etwa fünfzehn Minuten streichen sie wieder in Richtung Aue ab. Vielleicht wollten sie sich auch nur vergewissern, ob die Mülldeponie auch noch genügend Nahrung zu bieten hat. In den vier Monaten ihrer Abwesenheit könnte sich ja einiges geändert haben.

Beide Milane landen auf einer Pappel in der Aue. Pappeln sind sehr beliebte Ruhebäume der Rot-, wie auch der Schwarzmilane. Sie bieten infolge ihres lichten und hohen Wuchses günstige Anflug- und Sitzgelegenheiten.

Nun putzen sie ausgiebig mit dem Schnabel ihr Gefieder. Danach sitzen sie ruhig da und warten den nahenden Sonnenuntergang ab. Während die Sonne am Horizont verschwindet, fliegt Streubsel, gefolgt von ihrem neuen Partner, dem Horstwald entgegen. Dort landen sie ca. 70 Meter vom vorjährigen Horst entfernt auf einer mächtigen Tanne, die auch in den vorangegangenen Jahren vor Beginn der Brutzeit der bevorzugte Schlafbaum des Rotmilanpaares war.

Beide Milane rücken in die dichten Bereiche am Stamm der Tanne und begeben sich dann schnell zur Ruhe. Dabei gehen sie in die Knie, bis der Körper den Ast berührt und die Füße in den Bauchfedern verschwinden. Die Krallen bleiben damit automatisch um den Ast geschlossen. Erst wenn sich der Vogel wieder aufrichtet, d.h. die Beine streckt, kann er den Griff wieder lösen. Ein Muskel sorgt dafür, dass beim Beugen des Knies sich die Krallen automatisch schließen und sie auch deshalb nicht, während sie schlafen, vom Baum fallen können. Um 17.50 Uhr regt sich nichts mehr im Milanrevier, obwohl es noch längst nicht dunkel ist.

Erst mit Einbruch der Nacht schlafen die Milane ein. Sie drehen den Kopf auf den Rücken und kuscheln ihn in das Rückengefieder. Jetzt ist der ganze Milan mit allen unbefiederten Körperteilen in einen warmen körpereigenen Daunenschlafsack eingehüllt.Rotmilane begeben sich früh zur Ruhe und fliegen regelmäßig bei Sonnenuntergang ihren Schlafbaum an.

So geht der erste Tag im Brutrevier zu Ende, ohne dass die Milane ernsthafte Balzansätze gezeigt haben.

Streubsel auf einem Mast in der Aue.

Die erste Bewährungsprobe

Auch am nächsten Tag zeigen die beiden Milane, abgesehen von gelegentlichen Schwebeflügen in großer Höhe und ebenso häufigem gemeinsamen Kreisen über der Aue, keine weiteren Balzhandlungen. Über dem Horstwald kreisen sie nur selten. Sie suchen wie am Vortag ausgiebig das Umland um den Horstwald ab, wobei zumeist jeder für sich fliegt. Zwischendurch ruhen sie auf ihren Lieblingspappeln in der Pappelreihe der Aue.

Um 16.15 Uhr als Streubsel und ihr neuer Partner wieder mit den typischen Schwebeflügen beschäftig sind, erscheint ein fremder Rotmilan über der Aue. Er ist leicht von unserem Paar zu unterscheiden, da er einen Spalt im Schwanzgefieder, sowie je eine fehlende Hand- und Armschwinge im rechten Flügel hat. Sofort fliegen beide Reviermilane dem Eindringling entgegen, der nur noch etwa einen Kilometer vom Horstwald entfernt ist. Die drei Milane kreisen kurz gemeinsam. Dann schwebt der Fremde, gefolgt von Streubsels Partner nach Südwesten.

Streubsels Partner geht in den Schmetterlingsflug über. Bei diesem Kraftflug, den die Milane immer dann anwenden, wenn sie einen Kontrahenten verfolgen, fliegen sie mit weitausholenden Flügelschlägen. Diese Flugweise ist auch als unmissverständliches Zeichen der Herausforderung zum Kräftemessen zu verstehen.

Das Männchen fliegt dicht hinter dem Fremden und folgt ihm im Schmetterlingsflug nach Südwesten. Dieser nimmt die gleiche Flugart an und gibt so dem Verfolger zu verstehen, dass er die Herausforderung annimmt. So ziehen beide Milane ihre Runden und Streubsels Partner versucht immer wieder über den Fremden zu steigen, um ihn von oben zu attackieren. Er stößt aus kurzem Abstand auf ihn herab, wobei er knapp über seinem Kontrahenten den Sturzflug in einer Schleife abfängt und mit dem Schwung wieder nach oben steigt. Kurz darauf lässt er sich mit angewinkelten Flügeln erneut fallen und stößt wieder auf den Fremden herab. Dieser pariert zum Teil mit Flugrollen, wobei er sich im Flug auf den Rücken wirft und dem Angreifer die Krallen entgegen streckt, so dass dieser auf Distanz bleibt. Nach wenigen Scheinattacken verfolgen sich die Beiden erneut im Schmetterlingsflug.

Die Auseinandersetzungen unter Milanen werden selten durch Kämpfe entschieden. Allein die Kraft und Ausdauer der kräftezehrenden Schmetterlingsflüge entscheidet über deren Ausgang. Zumeist ziehen die fremden Milane nach kurzem Kräftemessen ab.Und so dauert der Disput zwischen Streubsels Partner und dem Fremden nur etwa 15 Minuten. Danach gleitet der Fremde nach Südwesten, noch eine kurze Strecke begleitet von Streubsels Partner.

Streubsel hält sich gewöhnlich aus den Auseinandersetzungen heraus. Sie kreist unterdessen zwischen dem Horstwald und den Kontrahenten und landet darauf in der Aue auf dem üblichen Ruhebaum. Ihr Partner folgt wenig später.

Die Ruhe ist aber nur von kurzer Dauer. Um 17.30 Uhr, nach 40 Minuten, kehrt der fremde Milan zurück. Streubsels Partner streicht sogleich wieder ab und fliegt erneut auf den Fremden im Schmetterlingsflug zu. Dieser lässt sich jedoch nicht beeindrucken und fliegt dem Revierinhaber provozierend, d. h. ebenfalls im Schmetterlingsflug entgegen.

Spätestens jetzt ist klar, dass der Junggeselle größere Ambitionen und es eventuell auf das Revier abgesehen hat. Streubsel, die ebenfalls abgeflogen ist, kreist abseits und überlässt das Kräftemessen den Männchen. Wäre der Störenfried weiblichen Geschlechts, so wäre natürlich sie herausgefordert. Dies kommt allerdings deutlich seltener vor, denn zumeist sind die Herausforderer fremde Männchen.

Streubsels neuer Partner verfolgt unterdessen den Fremden, der jetzt in Richtung Horstwald fliegt. Er attackiert ihn aus dem Aktivflug heraus immer wieder. Dabei erfolgen jetzt auch harte Attacken, so dass der Eindringling sich immer wieder auf den Rücken werfen muss, um die Angriffe mit den Fängen abzuwehren. Bei einer Attacke verhaken sich die Krallen der beiden und sie stürzen ab, indem sie sich schnell um den gemeinsamen Schwerpunkt drehen, der in den verbundenen Krallen liegt. Nach einigen Metern im freien Fall lösen sie den Griff und fliegen in entgegengesetzte Richtungen ab.

Nochmals startet Streubsels Partner eine Serie von Attacken und sein Rivale setzt sich darauf ab. Doch anstatt das Weite zu suchen, zieht er im Schmetterlingsflug neue Bahnen über dem Horstwald. Dann zieht er in unveränderter Flugweise in Richtung Mülldeponie, verfolgt von Streubsels Partner. Streubsel fliegt mit etwas Abstand hinterher. Auf halbem Weg dreht ihr Partner unvermittelt ab, fliegt zurück zum Horstwald und landet auf der großen Tanne, dem Schlafbaum der Milane, auf dem auch Streubsel inzwischen sitzt.

Der fremde Milan kommt darauf nochmals zurück, fliegt unentschlossen auf und ab und zieht dann endgültig zur Mülldeponie, wo die Junggesellen und durchziehenden Milane gerne nächtigen. Dort haben sie neben dem Schlafplatz eine stets gefüllte Speisekammer und Anschluss an weitere Junggesellen.

Das Milanpaar verbleibt unterdessen in der Tanne, obwohl es erst 18.00 Uhr ist und die Sonne frühestens in 45 Minuten untergehen wird. Ein weiterer Tag nähert sich dem Ende. Das neue Reviermännchen hat seine erste Bewährungsprobe gut überstanden. Streubsel hat diese jedoch nicht, wie in der Balz häufig üblich, mit einem gemeinsamen Balzflug oder einer Begattungsaufforderung honoriert. Wartet sie noch immer auf Lücke, ihren langjährigen Partner?

Die Nachbarn

Nicht nur Streubsel und ihr neuer Partner kamen in diesem Jahr bereits Mitte Februar aus dem Überwinterungsgebiet an, sondern auch viele ihrer Nachbarn.

Die nächsten Nachbarn horsten, getrennt durch einen bewaldeten Bergrücken, nur etwa 1.5 Kilometer nordöstlich von unserem Paar entfernt,auf der Nordseite des Bergrückens. Das Jagdgebiet dieses Paares schließt nördlich des Bergrückens an und umfasst eine nach drei Seiten von bewaldeten Schichtrücken umgebene Ausbuchtung der großen Strohgäuebene. Nur nach Osten, zur Strohgäuebene, ist das Gebiet offen. Die Öffnung wird aber durch die Stadt Leonberg großflächig abgeriegelt. Das Zentrum des Tales wird überwiegend ackerbaulich genutzt. Ausgedehnte Wiesenlandschaften befinden sich hauptsächlich an den Rändern.

Die benachbarten Paare achten akribisch darauf, dass die Nachbarn in ihrem Jagdgebiet bleiben und nicht die Grenze überfliegen. Das Nachbarpaar, Unordentliche Feder und Doppellücke, jagen deshalb nur nördlich des Bergrückens, Lücke und Streubsel nur südlich davon. Dennoch treffen sich die Nachbarn zumeist mehrmals täglich auf der Mülldeponie, die auf dem Bergrücken im Niemandsland liegt. Nicht immer verlaufen die Begegnungen jedoch reibungslos. Doch davon später.

Unordentliche Feder …

…und bei der Gefiederpflege.

Auch Doppellücke und Unordentliche Feder sind in diesem Jahr bereits in der zweiten Februarhälfte angekommen. Sie balzen allerdings bereits am 24. Februar mit Horstausbau, Balzflügen und Begattungen.

Im Süden grenzt das Jagdrevier von Abstehender Feder und seinem Weibchen an das von Lücke und Streubsel. Auch sie sind bereits Mitte Februar in ihrem Revier angekommen. Abstehende Feder ist durch zwei ungewöhnlich abstehende Stoßfedern unverwechselbar, je rechts und links außen, wobei die rechte etwas mehr absteht, als die linke. Auch nach der Mauser wachsen diese Federn wieder abnorm in der gewohnten Stellung.

Horstbereich von Abstehende Feder. Rechts: Abstehende Feder. Deutlich sichtbar, die beiden äusersten Stoßfedern, wobei die rechte mehr absteht.

Die Aktionsräume dieser beiden Nachbarn sind ebenfalls durch einen Waldstreifen getrennt, der jedoch mit offenen Landschaftselementen abwechselt und somit nicht durchgängig ist. Eine scharfe Grenzlinie besteht deshalb zwischen beiden Aktionsräumen nicht, sie überlappen sich in dem Grenzbereich ein wenig.

Infolge der großen Horstabstände von 6 Kilometern begegnen sich die Milane der beiden Nachbarn nur gelegentlich bei Nahrungssuchflügen, da auch Abstehende Feder sich zumeist nicht weiter als 3 km vom Horst entfernt.

Rotmilane suchen selten weiter als fünf Kilometer vom Horst entfernt nach Nahrung. Etwa 70% ihrer Nahrungssuchflüge finden zumeist in einem Bereich von maximal 2,5 Kilometern um den Horstwald statt. Das ist in etwa auch der Bereich, den die Rotmilane hier im Gebiet, im Naturraum der Oberen Gäue, intensiv gegen Artgenossen verteidigen. In den nur gelegentlich abgesuchten Außenbereichen finden zumeist nur dann Auseinandersetzungen statt, wenn die Reviermilane dort nahrungssuchend auf einen Fremden stoßen.

Da Abstehende Feder aber auch immer wieder die sechs Kilometer entfernte Leonberger Mülldeponie anfliegt und dabei regelmäßig Lückes Jagdrevier passiert, kommt es zwischen den Beiden dort immer wieder zu Auseinandersetzungen.

Links die benachbarten Jagdreviere: Oben Jagdrevier von Unordentliche Feder in 1998 (rote Punktreihe/ senkrecht grau schraffiert). In der Mitte das Jagdrevier in 1998 von Lücke und Streubsel (waagrechte Schraffur). Daneben wird die Veränderung des Jagdrevieres von Lücke (dunkelblau) und Streubsel (hellblau) nach Ansiedlung von Pünktchen und Lena (lila) in 2000 dargestellt. Die dichte Punktreihe mit den großen Punkten,dokumentiert die überwiegend abgesuchten Bereiche der drei Nachbarn. Die orange Punktreihe stellt die nördliche Reviergrenze von Abstehende Feder dar.

Rechts: Verbreitung von Rotmilan (rote Punkte) und Schwarzmilan (blaue Punkte) in 1997 in dem 500km² umfassenden Untersuchungsbereich westlich Böblingen im LK Böblingen und Calw.

Die südlichen Nachbarn von Abstehende Feder horsten fünf Kilometer von ihm entfernt. Da die Mülldeponie für sie in einer Horstdistanz von 10 Kilometern liegt, hat dieses Paar infolge der großen Distanz kein Interesse an Deponiebesuchen.

Im Westen grenzen zwei weitere Rotmilan-Aktionsräume an den von Lücke und Streubsel. Da die Horstentfernungen aber jeweils etwa 11 Kilometer betragen, begegnet Lücke diesen Nachbarn nur äußerst selten. Die Entfernung von ihren Horsten zur Deponie ist mit je 12 Kilometern so groß, dass auch diese Paare die Mülldeponie nicht anfliegen.

Insgesamt waren am 19./20. Februar 1998 von 13 kontrollierten Rotmilanpaaren aus der näheren und weiteren Nachbarschaft von Lücke und Streubsel, mindestens 10 Reviere bereits mit mindestens einem Brutpartner besetzt. Auffällige Balzflüge konnten jedoch noch selten beobachtet werden. Zwischen dem 3. und 10. März waren dann mit einer Ausnahme alle 16 Horstreviere in dem 500 km2 umfassendem Beobachtungsgebiet besetzt. In allen Revieren waren nun beide Brutpartner anwesend und mit der Balz beschäftigt.

Während die Rotmilane bislang hauptsächlich im März ankamen und im Februar eher die Ausnahme darstellten, sollten sie jetzt hauptsächlich im Februar ankommen. Der Grund hierfür liegt nicht nur im Klimawandel, mit immer milderen Wintern, sondern auch in den verkürzten Flugwegen, da immer weniger Milane in Süd- und Zentralspanien überwintern und immer mehr in Nordostspanien und Südwestfrankreich, oder aber auch in der Schweiz. Während in den südlichen Bereichen Spaniens die Nahrungssituation sich zunehmend verschlechtert und die Milane auch illegal intensiv verfolgt werden, ist in Nordostspanien die Feldmaus eingewandert, eine ergiebige Beute, und in der Schweiz werden die Milane im Winter mittlerweile zugefüttert.

Bis die eigentliche Balz beginnt, verlaufen die Tage der Milane ruhig und unspektakulär. Die Nahrungssuche bestimmt den Tagesablauf und da erst wenige Junggesellen aus dem Winterquartier zurückgekehrt sind, gibt es auch nur wenige Auseinandersetzungen mit ihnen.

Streubsels neuer Partner hat in den nächsten Tagen Ruhe vor eventuellen Rivalen, denn vor allem die Junggesellen machen den Revierinhabern das Leben schwer, in der Hoffnung ihnen ihr Weibchen und das Revier abspenstig machen zu können. Dies gelingt in der Regel jedoch nicht, da die Revierinhaber weitaus mehr Energie und Aggressionspotential in die Auseinandersetzungen investieren- schließlich haben sie ja auch weitaus mehr zu verlieren.

Rotmilane nehmen zumeist erst ab dem dritten bis vierten Lebensjahr die Brut auf. Bis dahin bleiben viele Jungmilane noch im Überwinterungsgebiet in Südwesteuropa. Ein Teil kehrt im Frühjahr/Sommer gemächlich in die Richtung ihrer Brutheimat zurück. Sie erreichen die Umgebung ihres Geburtsortes jedoch deutlich später als die Brutvögel. Erst im darauf folgenden Jahr, mit Eintritt in die Brutreife, kehren die Junggesellen dann rechtzeitig vor Brutbeginn in ihre Heimat zurück.

Streubsels neuer Partner ist, wie auch sein Rivale vom Vortag, ganz offensichtlich ein Junggeselle, der sehr früh zurückkehrte. Die frühe Rückkehr erhöht die Chancen selbst ein Revier in Besitz nehmen zu können. Immer wieder kehren Reviermilane nicht mehr aus dem Überwinterungsgebiet zurück und ihre freigewordenen Plätze müssen ersetzt werden. Nicht selten übernimmt das der zuerst eintreffende Junggeselle, vorausgesetzt der übriggebliebene Partner akzeptiert ihn. Und während manch benachbartes Paar bereits intensiv mit der Balz beschäftigt ist, scheintStreubsel ihren neuen Begleiter zwar zu akzeptieren, aber sie hat sich augenscheinlich noch nicht endgültig für ihn entschieden. Noch könnte ja Lücke zurückkehren.

Da Rotmilane Dauerehen führen, auch wenn sie nicht gemeinsam überwintern, scheint Streubsel ihren eigentlichen Brutpartner noch zu erwarten. An Balz und eine Verpaarung mit ihrem neuen Begleiter ist daher offensichtlich noch nicht zu denken. Und Streubsels Geduld sollte belohnt werden.

Lückes Rückkehr

Der 26. Februar beginnt wie die Tage zuvor. Streubsel und ihr Partner suchen in den Vormittagsstunden ausgiebig nach Nahrung. Die Turmfalken vor dem Horstwald sind wieder intensiv mit der Balz beschäftigt und noch immer in Auseinandersetzungen mit dem Nachbarpaar verwickelt. Dauer und Intensität der Auseinandersetzungen haben allerdings inzwischen stark nachgelassen und das Revierpaar hat seinen Anspruch auf die Scheune behauptet. Das zweite Paar wird, wie im Vorjahr, in dem Krähenhorst auf dem Hochspannungsmasten brüten müssen. Da dieser Brutplatz gegen Witterung weniger geschützt ist, als der Nistkasten in der Scheune und dort deshalb im Durchschnitt deutlich mehr Junge zum Ausfliegen kommen, wird auch klar, warum gerade die Scheune so heiß begehrt ist.

Turmfalken Männchen (links) und Weibchen (rechts) auf dem Hochspannungsmasten mit dem Nest.