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Das vorliegende Buch erzählt die wahre Geschichte mehrerer handaufgezogener Strassentauben, die eigentlich ausgewildert werden sollten, sich aber nach erfolgreicher Auswilderung und Anschluss an die wilden Tauben, dennoch dafür entschieden, bei ihrem Ziehvater zu leben, ohne aber den Anschluss an die wild lebenden Artgenossen aufzugeben. Dabei wird sowohl das sehr interessante Wesen, wie das komplexe Sozialverhalten der Tauben (auch dem Menschen gegenüber) offenkundig, wie auch das Leben der wilden Tauben im Verlauf der Jahreszeiten, wo und wie sie leben und Nahrung suchen. Dabei gerät das Bild der schmarotzerhaften Taube, die nur Brotkrumen in der Stadt aufliest, vollständig ins Wanken und das "Taubenproblem" als ein menschengemachtes, welches nur die Betroffenen, die Tauben ausbaden müssen.
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Seitenzahl: 215
Veröffentlichungsjahr: 2024
Die erfolglose „Auswilderung“ von zwei handaufgezogenen Tauben, die zur Entstehung eines ganzen Taubenclans führte
Zusammenfassung
Das vorliegende Buch erzählt die Geschichte mehrerer handaufgezogener Tauben, die eigentlich ausgewildert werden sollten, sich aber nach erfolgreicher Auswilderung und Anschluss an die wilden Tauben, dennoch dafür entschieden, bei ihrem Ziehvater zu leben, ohne aber den Anschluss an die wild lebenden Artgenossen aufzugeben. Das zweigeteilte Leben zwischen domestizierter Taube unter Menschen und Wildtaube unter den Artgenossen, stellt den Handlungsstrang des Buches dar. Dabei wird sowohl der Charakter der Tauben offenkundig, der sich als sehr sensibel, anhänglich, fürsorglich und intelligent darstellt, wie auch das Leben der wilden Tauben im Verlauf der Jahreszeiten. Wo diese siedeln und wo sie auf sehr intelligente Weise ihre Nahrung suchen. Dabei gerät das Bild der schmarotzerhaften Taube, die nur Brotkrumen in der Stadt aufliest, vollständig ins Wanken. Das Problem der „Ratten der Lüfte“, wie sie so oft genannt werden, ist dabei ein vom Menschen verursachtes Problem, welches nur die Betroffenen, die Tauben ausbaden müssen.
Die Geschichte der handaufgezogenen Tauben kulminiert mit der Wut eines taubenhassenden Nachbarn, der letztendlich zur Waffe greift. Doch die Geschichte des Taubenclans setzt sich in Süd Andalusien fort, wohin der Verfasser (mitsamt der Tauben) auswanderte und endet in einem harmonischen Miteinander zwischen frei lebenden Tauben der nächsten Generation und dem Verfasser, allerdings nur, weil es dort keine „menschlichen“ Nachbarn gibt.
Das Buch wird von einem Film begleitet, der das Geschehen ebenso spannend dastellt.
Ein erster Auswilderungsversuch
Im Herbst 2003 versehe ich zwei handaufgezogene Tauben mit Radio- Sendern, um sie auch nach der Auswilderung noch beobachten zu können. Für sie ist es in der fortgeschrittenen Jahreszeit höchste Zeit, ausgewildert zu werden, wobei der Ablösungsprozess bei Tauben erfahrungsgemäß sehr lange dauert. Sie trennen sich einfach nur ungern von ihrem Zuhause und der Prozess der Trennung dauert erfahrungsgemäß sehr, sehr lange. Dafür ist man bei ihnen auf der sicheren Seite, da sie noch lange zugefüttert werden können und sie sich noch lange in der Sicherheit ihres alten Zuhauses wiegen, von wo aus sie dann immer ausgedehntere Exkursionen unternehmen.
So wenigstens meine Theorie; die Praxis sollte dann jedoch mein Bild über die Auswilderung von Tauben grundsätzlich verändern. Sie veränderte jedoch auch mein Bild und meine Achtung gegenüber den Tauben im Allgemeinen, sowie über die Überlebensstrategien der wild lebenden Strassen- oder Haustauben. Als kleiner Nebeneffekt bildete sich ein großer Taubenschwarm, der mir bis heute erhalten blieb, alles Kinder und Enkel der erstaufgenommenen Pflegetauben, die mich bis nach Süd- Spanien begleiteten und hier ein neues Leben beginnen konnten.
Grauchen
Dunkelchen und Grauchen
Doch zurück zu den Anfängen. Ich hatte die beiden flüggen Jungtauben bereits eine geraume Zeit in einem Käfig auf dem Balkon gehalten und so waren sie an die kühle Herbstwitterung gewöhnt und sie hatten genug Gelegenheit, sich die nähere Umgebung soweit einzuprägen, so dass sie nach ihren ersten kurzen Ausflügen auch zurückfinden dürften.
Am ersten Tag, nachdem ich den Käfig geöffnet habe, tut sich allerdings überhaupt nichts. Die beiden Tauben verlassen zwar bereits bald ihren Käfig, nicht jedoch den Balkon und sobald ich die Balkontüre öffne, begeben sie sich sogleich auf den Weg zurück in das Wohnzimmer. Es ist ihnen anzumerken, dass sie eigentlich wenig Interesse an der viel gepriesenen Freiheit haben. Ihr vertrautes Umfeld behagt ihnen da schon deutlich mehr.
Dunkelchen und dahinter Grauchen Grauchen
Bei den beiden Tauben handelt es sich um eine schwarze Taube und eine weißgrau getupfte Taube. Taubenzüchter reden dabei von einem gehämmerten Muster. Beide Tauben sind bereits vollständig ausgewachsen. Zu junge Tauben, die sich gerade erst abgelöst haben, bzw. erst seit kurzem selber Nahrung aufnehmen, sind noch zu unbedarft und ungeschickt, um ausgewildert werden zu können. Ihre Überlebenschancen sind sehr gering. Das Geschlecht der beiden Tauben konnte noch nicht bestimmt werden, da sich die beiden Geschlechter bei Haustauben kaum unterscheiden. Gelegentlich haben die Männchen einen intensiver schillernden rotgrünen Halsfleck. Zuverlässig kann man sie erst durch ihr Sozialverhalten bestimmen, wenn sie in die Geschlechtsreife gekommen sind, aber auch nicht immer.
In den folgenden Tagen dehnen die beiden unfreiwilligen Freigänger dann ihren Aktionsraum bis auf das benachbarte Hausdach aus, welches ungefähr 20 Meter von meinem Balkon entfernt ist, doch am liebsten halten sie sich weiterhin auf meinem Balkon auf.
So vergeht die Zeit bis in den November hinein: Sobald ich in den Morgenstunden die Käfigtüre öffne, flitzen die beiden sogleich ab und das Tempo mit dem sie abfliegen, würde vermuten lassen, dass sie sich nun endgültig verabschieden wollten. Doch auf dem Dach des Nachbarhauses endet die Welt für die beiden und bald sind sie auch schon wieder auf meinem, bzw. ihrem Balkon. Und öffne ich die Balkontüre, so dauert es nicht lange, bis die beiden Freigänger in der Wohnung verschwinden. Dort ist es einfach doch noch am schönsten, von artgerechter Haltung halten die Beiden wenig; Hauptsache es ist gemütlich, in vertrauter Umgebung und es gibt zu essen.
Dunkelchen… und Grauchen bei ihrem Wellnessbad
Die Radio- Sender, mit denen ich sie versehen hatte, sind somit überflüssig. Was für einen Sinn macht es, einen Vogel orten zu wollen, der sich kaum von einem fortbewegt? So demontiere ich die Sender, damit sie nicht verloren gehen. Am Abend fliegen die Tauben ihren Käfig auf dem Balkon freiwillig an, um darin zu nächtigen. Als es im Spätherbst in den Nächten kälter zu werden beginnt, schiebe ich nach Einbruch der Dunkelheit den großen Käfig mitsamt dem Inhalt in die Wohnung, um ihn am nächsten Morgen wieder nach draußen zu befördern.
Neben den beiden Ziehgeschwistern lebt noch Qibbel bei mir, ein behindertes Täubchen, welches ich ebenfalls von klein auf groß gezogen hatte. Quibbel war aus dem Nest gestürzt und seitdem kann es beide Beine nicht mehr bewegen. Ich hätte ihn einschläfern lassen sollen, doch das hatte ich nicht über das Herz gebracht. Um ihm dennoch ein möglichst angenehmes Leben zu gestalten, habe ich ihn ständig bei mir und obwohl er bereits ausgewachsen ist, lässt er sich nach wie vor füttern. So hat er wenigstens ein bisschen Abwechslung. Quibbel schläft, bzw. döst viel und unternimmt hin und wieder ausgedehnte Trockenflugübungen, um ein klein wenig Bewegung zu haben. Ansonsten genießt er meine Gesellschaft und scheint nicht besonders unglücklich über seine Lage zu sein. Er kennt eben nichts anderes und so verhält er sich nach wie vor wie ein kleiner Nestling, der nicht erwachsen werden will.
Eine weitere Taube
Das dunkle Männchen
Mitte November bekomme ich eine weitere Taube vom Tierarzt, die aber bereits erwachsen ist. Sie hat eine ausgeheilte Schussverletzung und es geht jetzt darum, dass sich das Tier vollständig regeneriert und seine Flugmuskulatur trainiert. Es ist allerdings nicht sicher, ob sie jemals wieder ganz flugtüchtig sein wird. So habe ich von nun an vier Tauben.
Ich setze die neue Taube zunächst in einen eigenen Käfig, da der Versuch, sie in den Käfig meiner beiden Zöglinge zu setzen, fehl schlägt. Grauchen, die weißgrau gehämmerte Taube mit den schwarzen Flecken, akzeptiert den Reha- Gast nicht in ihrer Nähe. Und auch später noch zeigen die beiden Tauben keine besonders große Sympathie zueinander. Und da sich die neue Taube bald als Männchen entpuppt, komme ich zu dem Schluss, dass auch Grauchen ein Männchen sein müsste. Die weiteren Ereignisse schienen zunächst diese Theorie zu bestätigen, bis sich erst sehr viel später herausstellt, dass dies so nicht stimmen kann.
Gegen Ende des Monats lasse ich die beiden Freigänger-Tauben, sowie die angeschossene Taube in den Abendstunden immer wieder für einige Zeit gemeinsam im Zimmer frei. Ich denke es tut auch der angeschossenen Taube gut, direkten Kontakt mit den Artgenossen zu haben, insbesondere auch deshalb, weil sie alleine gelassen im Zimmer, kaum die Notwendigkeit sieht, zu fliegen. Dabei soll sie doch ihre Flugmuskulatur wieder aufbauen. Die ältere der beiden Ziehgeschwister, Grauchen, geht allerdings schon bald das Männchen an, so dass ich die beiden Streithähne immer wieder trennen muss. Das dunkle Weibchen, Dunkelchen, versteht sich unterdessen spontan mit dem ebenfalls schwarzen ,Männchen, und die beiden picken oftmals miteinander Körner oder ruhen dicht nebeneinander.
Bis Mitte Januar intensiviert sich die Beziehung zwischen Dunkelchen und dem dunklen Männchen, obwohl sie zwangsläufig noch immer die meiste Zeit mit ihrer Ziehschwester in der Voliere, bzw. draußen verbringt. Aber sobald sich die Tauben frei im Zimmer bewegen dürfen, schließt sich Dunkelchen stets sogleich dem dunklen Männchen an, worauf sich Grauchen dann immer etwas abseits hält.
Grauchen war ja bislang die dominante Taube und ihre Stellung ändert sich zunächst auch nicht. Aber es ist offensichtlich, dass sich zwischen den beiden dunklen Tauben eine feste Freundschaft entwickelt und so halten sie stets engen Kontakt und besuchen sich auch bald gegenseitig in ihren Käfigen. Immer häufiger legt das Männchen sich dann auf den Boden und gurrt, während das Weibchen sich an seinem Fressnapf bedient, oder im Kreis laufend „ruckedigu“ ruft.
Betritt Grauchen den Käfig des dunklen Männchens, so wird sie hingegen postwendend von ihm wieder hinausbefördert. Sie erscheint allerdings deutlich aufgeschlossener gegenüber ihrer Umgebung zu sein und unternimmt auch immer häufiger kleine Exkursionen weiter in das Zimmer hinein. Dabei zeigt sie auch vor mir immer weniger Scheu und kommt bald schon sehr nahe an mich heran.
Mit der selbständigen Nahrungsaufnahme hatten die beiden Ziehgeschwister, so wie die meisten Pfleglinge, auch vor mir eine gewisse Scheu entwickelt, allerdings mit einer sehr geringen Fluchtdistanz. Und das ist normalerweise auch gut so, denn die Vögel sollen sich schließlich vom Menschen ablösen und Kontakt zu ihren Artgenossen suchen. Alleine aufgezogene Jungvögel tun sich da allerdings naturgemäß schwer und sehen dann den Menschen als Artgenossen an, was eine Auswilderung unmöglich macht. Insofern müssen handaufgezogene Pfleglinge spätestens wenn sie selbständig werden, unbedingt Kontakt zu Artgenossen bekommen. Ansonsten sind sie in Freiheit kaum überlebensfähig. Die beiden Ziehgeschwister hatten dieses Problem nicht und entsprechend hatte ich auch den Kontakt zu mir auf ein Minimum reduziert.
In ihrem Käfig lässt sich das helle Täubchen jetzt allerdings bereits von mir wieder anfassen und balzt dann in typischer Manier jedes Mal meine Hand an, wenn ich das Wasser wechsle, Futter bringe oder auch nur mal so in den Käfig fasse. Das dunkle Weibchen weicht hingegen scheu zurück, wenngleich sie neugierig beobachtet, was da passiert.
Ende Januar folgt erstmals auch das dunkle Männchen den beiden Ziehgeschwistern mit ins Freie. Im Gegensatz zu den beiden Weibchen, die ja bei mir groß geworden sind, handelt es sich bei ihm um einen erfahrenen Wildtäuberich, der bereits zuvor irgendwo im fünf Kilometer entfernten Leonberg zu Hause gewesen sein musste. Und da Tauben bekanntlich standortstreu sind, eine sehr gute Orientierung haben und über viele Kilometer zurückfinden, bin ich gespannt, ob er nicht sogleich in sein altes Zuhause abzieht. Damit er sich die Umgebung einprägen kann und im Zweifelsfall hierher zurück findet, hatte ich ihn bereits zuvor für einige Tage auf dem Balkon in die große Voliere gesperrt. So hoffe ich, dass er den Balkon zumindest als vorläufiges Zuhause ansieht, und habe die Hoffnung, dass er zunächst noch hier bleibt, bzw. zurückkehrt. Er erscheint zwar wieder vollständig fit zu sein, aber ein Freiflug über größere Distanzen draußen ist etwas anderes, wie ein Freiflug im Zimmer. Und da langfristig alle drei Tauben ein neues Zuhause finden sollten, könnte er, als alter Hase, die beiden ortstreuen Tauben dabei führen.
Erste Exkursionen
Zunächst halten sich die drei Tauben zwar nur auf dem Giebel des Nachbarhauses auf, doch bald schon drehen sie die ersten Runden über dem Haus und jagen sich dabei verspielt. Die angeschossene Taube steht den beiden anderen in nichts nach, sie hat sich offenbar gut erholt und ist wieder voll flugtüchtig. Es scheint sogar, dass der Reha- Gast die beiden anderen zum Fliegen motiviert, denn bald schon entfernen sie sich erstmals weiter als 50 Meter vom Haus und fliegen bis weit über den Ort. Nach einigen ausgedehnten Runden ruhen sie erneut auf den benachbarten Dächern und kehren erst mit einsetzender Dämmerung zurück zum Balkon.
Das ist ungewöhnlich, da sich die beiden Weibchen bislang den größten Teil des Tages auf dem Balkon aufhielten.
Als ich die Türe öffne, kommen die beiden Weibchen sogleich in das Zimmer, während das dunkle Männchen sich gemütlich auf dem Nachbarhaus plustert. Da ich befürchte, dass er ohne die beiden anderen gar nicht mehr in die Wohnung findet, scheuche ich die beiden Weibchen wieder auf den Balkon. Aber auch jetzt zeigt das Männchen keine Anstalten zu kommen, und als es dunkel zu werden beginnt, ist er plötzlich verschwunden.
So warte ich, bis es vollständig dunkel ist. Die beiden Ziehgeschwister haben sich längst in ihrem großen Käfig niedergelassen, dann hole ich den Käfig wie immer mitsamt den Insassen herein.
Am folgenden Morgen befördere ich die beiden Tauben bereits sehr früh wieder auf den Balkon. Wer weiß, vielleicht erscheint der verloren gegangene Täuberich ja wieder und dann wird er wahrscheinlich nur bleiben, wenn auch seine beiden Kumpels da sind.
Und tatsächlich, es vergehen keine fünf Minuten, da ist das dritte Täubchen auch schon zur Stelle. Offensichtlich hatte er die Nacht in einer Nische an einem der benachbarten Häuser verbracht. Wieder halten sich die drei Tauben eine geraume Zeit auf dem Nachbarhaus auf, dann drehen sie erneut ausgedehnte Runden bis weit über den Ort. Doch nach einigen quirligen Runden kehren nur noch meine beiden Zöglinge zurück, während das Männchen erneut verschwunden bleibt. Ich vermute, dass er sich den wild lebenden Tauben an der Kirche angeschlossen hat. Vielleicht ist er aber auch dahin zurückgekehrt, woher er einst im Herbst kam?
Ich lasse die beiden Weibchen bis in den späten Abend draußen, doch das Männchen taucht nicht mehr auf. Zum Glück ist es jetzt ziemlich mild geworden und so denke ich, dass der Ausreißer draußen gut zurecht kommen wird. Er hat sich mit Sicherheit längst den wilden Tauben angeschlossen, wahrscheinlich in seiner alten Heimat. Vielleicht erscheint er ja auch in den nächsten Tagen nochmals?
Aber auch am nächsten Tag kehrt er nicht mehr zurück und als ich die beiden Weibchen am Morgen darauf erneut ziemlich früh auf den Balkon befördere, habe ich kaum noch Hoffnung, dass der Täuberich noch einmal auftaucht, um sich den beiden anzuschließen.
Die Ziehgeschwister haben den Käfig jedoch kaum verlassen, da lässt sich auch schon der lang erwartete Ausreißer auf dem Balkongeländer nieder. Das hatte ich nicht erwartet. Das Männchen muss also schon hier gewesen sein, in Erwartung der beiden Weibchen. So lasse ich die Balkontüre offen und schon sind die beiden Freiflieger wieder in der Wohnung. Das verloren gegangene Täubchen folgt nach einigem Zögern auf die große Voliere, die direkt vor der geöffneten Türe steht. Und so hoffe ich, dass er von hier aus den Weg in das Zimmer findet, bzw. sich auch getraut herein zu kommen. Und tatsächlich, nach etwa fünf Minuten fliegt auch der kleine Ausreißer das Zimmer an und ich kann vorsichtig die Türe schließen.
Zunächst erscheint er noch ein wenig verunsichert, doch bereits nach fünf Minuten lässt er sich behaglich nieder und pflegt sein Gefieder. Meine beiden Freiflieger Weibchen haben den Neuankömmling zwar registriert, doch sie nehmen zunächst keinen unmittelbaren Kontakt auf. Auch sie lassen sich behaglich nieder und schließen die Augen, als ob sie bereits einen anstrengenden Tag hinter sich gehabt hätten. Kein Bedauern, dass sie jetzt doch nicht draußen herum flitzen dürfen. Der Neuankömmling scheint hingegen wenig Hunger zu haben, er hat sich offenbar in der Zwischenzeit gut zu ernähren gewusst. Zu gerne würde ich wissen, wo er sich in den letzten beiden Tagen herumgetrieben hat.
Bis Mitte März hat sich das dunkle Männchen vollständig den beiden Ziehgeschwistern angeschlossen und inzwischen auch die dominante Position übernommen. Grauchen wird noch immer häufig von ihm vertrieben, bzw. auf Distanz gehalten. Da in den letzten Tagen aber auch Dunkelchen immer wieder von dem Männchen vertrieben wurde, hat sich inzwischen die Bindung zwischen den beiden Weibchen wieder gefestigt, während sie sich zwischen Dunkelchen und dem Täuberich gelockert hat. Aus dem Verhalten aller Beteiligten schließe ich noch immer, dass Grauchen ein Männchen ist, denn nur so ist die Dreiecksbeziehung und die Abneigung des Männchens gegenüber Grauchen verständlich.
Ein unerwartetes Ei
Am Abend des 19.2. nächtigt Grauchen nicht mehr im Käfig bei ihrer Ziehschwester, sondern daneben. Zunächst denke ich mir nicht viel dabei, doch als sie auch am nächsten Morgen ihren Platz nicht verlassen will, beginne ich mir etwas Sorgen zu machen. So nehme ich sie in die Hand und stelle mit Erstaunen fest, dass sie auf einem Ei liegt und brütet. Das Ei ist allerdings kalt und so bezweifle ich, dass daraus ein Küken schlüpfen wird.
Da das Ei am Boden liegt, ohne Nestunterlage, lege ich das Ei auf ein altes Tuch, mit etwas Klopapier darauf, als Nestersetz. So rollt das Ei auch nicht fort, wenn die Tauben sich entfernen. Grauchen scheint dem neuen Nest allerdings nicht zu vertrauen und so legt sie sich daneben, auch wenn sie das Ei so nicht mehr bedeckt. Wenig später rollt sie das Ei dann mit ihrem Schnabel von dem Tuch und bebrütet es daneben auf dem blanken Boden weiter. So kann gutgemeinte Hilfe schnell schief gehen, Tiere haben eben ihren eigenen Kopf.
Nach wenigen Stunden wird Grauchen durch ihre Ziehschwester abgelöst und so bleibt das Ei immer nur sehr kurze Zeit unbedeckt. Etwa fünf bis sechs Mal lösen sich die beiden Tauben am ersten Tag beim Brüten ab und in den Nächten brütet generell Grauchen. Da bei Tauben, wie bei den meisten Vogelarten, nachts die Weibchen brüten, ich jedoch nicht dachte, dass zwei Weibchen das Brutgeschäft gemeinsam aufnehmen könnten, war ich ein wenig erstaunt. Doch auf die Idee, dass sich die Weibchen von dem Männchen begatten ließen, dann aber als „Lesbenehe“ das Ei gemeinsam brüten, wäre ich wirklich nicht gekommen und auch in der Literatur habe ich so etwas nicht gefunden. Auch ist es erstaunlich und unüblich, dass das Männchen so gar kein Interesse an seinem Nachwuchs hat. Doch da das Weibchen das Ei in ihrer Voliere legte, und er diese bislang noch nicht betreten hatte, konnte er wahrscheinlich nicht wissen, dass er Vater geworden ist.
Während der Ablösungen sucht der jeweils unbeschäftigte Partner nach Nahrung und Dunkelchen schließt sich dann nicht selten ihrem eigentlichen Männchen wieder an. Dieses ist seit heute mit einem Mal sehr zurückhaltend und ruhig. Er scheint die veränderte Situation sogleich registriert zu haben, hat sein Balzverhalten zunächst eingestellt und zieht sich häufiger in seinen Käfig zurück.
Auch am zweiten Bruttag teilen sich die beiden Weibchen wie zwei alte Profis das Brutgeschäft. Einmal verlässt Dunkelchen, ohne abgelöst worden zu sein das Nest. Sogleich registriert dies Grauchen und nach einem prüfenden Blick fliegt sie die Voliere an und begibt sich auf das Ei. Bislang erschien mir Grauchen als deutlich pflichtbewusster, wenngleich sie meiner bisherigen Meinung nach, nicht die Mutter, sondern der Vater sein dürfte. In den folgenden Tagen sollte sich das allerdings ändern.
Das zweite Ei
In den Morgenstunden des 28.Februar, acht Tage nach Ablage des ersten Eis, stelle ich fest, dass die Tauben ein zweites Ei gelegt haben. Dieses ist im Gegensatz zum ersten Ei sogleich warm, wenngleich auch das erste Ei infolge der intensiven Brut, etwas wärmer geworden ist. Zunächst haben sie das „kalte“ Ei beiseite geschoben, doch wenig später bebrüten die Tauben dann beide Eier. Jetzt brütet Dunkelchen erstmals intensiver als ihre Ziehschwester und übernimmt auch die nächtliche Brut. Entsprechend ist naheliegend, dass das erste Ei von Grauchen gelegt wurde und das zweite, heutige Ei von Dunkelchen. Tauben legen zwar in der Regel zwei Eier, jedoch im Abstand von zwei Tagen und so ist es auch deshalb unwahrscheinlich, dass beide Eier von einem Weibchen stammen.
Da die Brutphasen beider Vögel sehr lange dauern, brütet auch Grauchen pro Tag mehrere Stunden. Das Verhältnis liegt etwa bei 2:3. Ich denke, dass die beiden Vögel sich nur etwa drei bis vier Mal pro Tag ablösen, so dass jeder Vogel etwa zwei lange Brutphasen pro Tag hat.
Grauchen wurde in den letzten Tagen noch zutraulicher zu mir. So sucht sie in den Brutpausen immer wieder meine Gesellschaft und ruht gerne auf dem Computerbildschirm, wenn ich damit arbeite. Mit dem Männchen nimmt sie weiterhin kaum Kontakt auf, während Dunkelchen in den Pausen in ständigem Kontakt mit ihrem Männchen steht.
Ein Ei ist geöffnet
Am Morgen des 10.3. entdecke ich den Eierschalenrest eines Taubeneis. Was ist passiert? Sollte etwa ein Junges geschlüpft sein? Für das zweite Ei wäre es nach 12 Tagen Brutzeit noch etwas zu früh, beträgt die Brutzeit bei Tauben doch etwa 17 Tage, bis das Junge schlüpft. Für das erste Ei wären es 22 Tage. Zieht man die beiden ersten Tage ab, als das Ei noch kalt war – eventuell waren es auch noch wenige Tage mehr, dann träfe die Brutdauer tatsächlich eher auf das erste Ei zu. So wird die Zukunft zeigen, ob auch aus dem weiteren Ei ein Junges schlüpfen wird.
Als ich wenig später Grauchen sanft von dem Gelege entferne, sehe ich ein kleines goldgelbes Küken, mit einem langen Schnabel und großen Augen. Es ist noch kaum größer als das Ei, aus welchem es geschlüpft ist, nur sein flaumig abstehendes, gelbes Dunengefieder lässt es ein wenig größer erscheinen. Es erscheint kräftig und bei guter Verfassung und richtet bereits seinen Kopf und Hals auf. So hoffe ich, dass die beiden unerfahrenen Eltern es auch gut mit Nahrung und Flüssigkeit versorgen. Das zweite Ei ist nach wie vor warm und so lasse ich Grauchen wieder auf das Gelege, die sogleich die Brut bedeckt.
Bereits in den folgenden Tagen balzt das Männchen wieder Dunkelchen in ihren Brutpausen an. Sie erwidert turtelnd die Annäherungsversuche und folgt jetzt auch wieder häufiger in seinen Käfig. Erstmals legt sich das Männchen wieder gurrend vor dem Weibchen hin und bewegt dabei in typischer Weise die geschlossenen Flügel leicht auf und ab. Als das Weibchen später wieder brütet, wehrt sie durch das Käfiggitter allerdings das Männchen ab und pickt drohend nach ihm tief gurrend, so dass dieses sich wieder von dannen macht.
Etwa eine Woche hudern die beiden Eltern ihr Junges intensiv, so dass es nur wenige Minuten pro Tag unbedeckt ist. Daneben brüten sie auch noch das zweite Ei, welches stets neben dem Jungen liegt. Hat das Kleine Hunger, so meldet es sich durch piepsende Laute, richtet sich auf, streckt den Hals in die Höhe und berührt damit den Schnabel der Mutter oder der Tante. Nachdem diese den Schnabel geöffnet haben, steckt es seinen Schnabel seitlich in den Schnabel des Altvogels und diese würgen darauf die bereits gefressen Körner in Form eines Körnerbreis hervor. Die Fütterung dauert mit kurzen Unterbrechungen etwa 4 Minuten. Je nach Hunger betragen die Fütterungsabstände zwischen einer und wenigen Stunden.
Ab dem 19.März, nach neun Hudertagen, lassen die beiden Taubeneltern das Junge auch öfters und mit zunehmender Dauer alleine. Das Daunengefieder des Jungen ist jetzt weitgehend verschwunden und durch die übliche Körperbefiederung ersetzt, die das Junge besser wärmt. Während Grauchen weiterhin sehr zutraulich zu mir ist und häufig in meiner unmittelbaren Nähe nach Nahrung sucht, schließt sich Dunkelchen immer häufiger und länger dem Männchen an. Nicht selten und für zunehmend längere Zeit liegen sie in dem Käfig des Männchens und während dieser am Boden liegt und mit den Flügeln zittert, sitzt das Weibchen daneben oder schnäbelt zärtlich in seinem Kopfgefieder.
Grauchen bedrängt unterdessen hin und wieder ihr Ziehgeschwister, wenn sie sich gemeinsam in ihrem Brutkäfig aufhalten. Bereits zwei Tage später kümmert sich Dunkelchen überhaupt nicht mehr um das Junge und hält sich fast nur noch bei dem Männchen auf. Daneben suchen die beiden jetzt ständig gemeinsam nach Nahrung. Grauchen ist dann auch häufig mit von der Partie, hält sich aber etwas abseits oder geht ihre eigenen Wege. Kommt sie dem Männchen zu nahe, so wird sie kurzerhand von diesem auf Distanz gehalten, indem er im Stechschritt auf sie zu läuft.
Die Elternpflichten obliegen jetzt ganz Grauchen, und diese verbringt deshalb auch täglich viel Zeit mit der Nahrungssuche, um den stetig steigenden Nahrungsbedarf des Kleinen zu stillen. Daneben liegt sie noch häufig am Tage und stets in der Nacht bei dem Jungen. Dieses liegt dann direkt vor ihrer Brust. Wenngleich es noch immer die meiste Zeit ruhend am Boden verbringt, ist es inzwischen bereits etwas beweglicher geworden. Da aus dem zweiten Ei, welches von Dunkelchen stammt, kein Junges schlüpfte, ist sicher, dass Grauchen auch die Mutter des Kleinen ist. Später, nach weiteren Bruten stellt sich heraus, dass Dunkelchen unfruchtbar ist.
Das Junge wird flügge
In der dritten Lebenswoche ist das Junge fast ausgewachsen und das Gefieder fast vollständig geschlossen. Wenngleich es jetzt zunehmend mobiler wird, verbringt Grauchen noch immer viel Zeit mit ihm und noch immer schlafen sie eng aneinander gekuschelt. Auch die Färbung des Gefieders des Jungen, die Grauchen sehr ähnlich ist, nur etwas dunkler, weist darauf hin, das Grauchen die Mutter des Jungen ist.
Im Alter von drei Wochen flattert es erstmals eine kleine Distanz in die Höhe. Sein unwissender Vater bedrängt das Junge jetzt sehr, da er an dem Käfig für eine weitere Brut interessiert ist. So pickt er auf das Junge ein und zerrt an seinem Gefieder und es ist offensichtlich, dass er das Junge aus dem Käfig werfen möchte. Dunkelchen sitzt daneben und sieht teilnahmslos zu. Die Bindung zu ihrem Jungen scheint total erloschen zu sein. So interveniere ich und entferne das bedrängte Junge aus seiner misslichen Situation. Erstmals, außerhalb des Käfigs, zeigt es sich ausgesprochen mobil und watschelt oder flattert umher und folgt bettelnd Grauchen. Nach einer ausgiebigen Fütterung sitzt sie noch lange neben dem Kleinen und pickt zärtlich in seinem Gefieder.
Rotring, die junge Taube ist flügge. Grauchen füttert ihr Junges
Am 29. März legt Dunkelchen ein weiteres Ei, nachdem sie bereits zwei Tage vorher ihren neuen Brutplatz nicht mehr verlies und die meiste Zeit dort liegend verbrachte, so als ob sie bereits brüte. Der Vater sammelt unterdessen zahlreiche Zweige, die er in den Nistplatz einträgt. Das Weibchen brütet darauf, wie üblich in der Nacht, während das Männchen in den Morgenstunden, bis in den Mittag hinein brütet, um darauf wieder von dem Weibchen abgelöst zu werden.
Grauchen, Dunkelchen und ihr Männchen auf dem Balkon