Das lässt sich ändern - Birgit Vanderbeke - E-Book

Das lässt sich ändern E-Book

Birgit Vanderbeke

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Beschreibung

Natürlich war Adam Czupek nicht der Richtige für sie. Ein Mann, der mit den Händen arbeitete, einer, der Sprache für unwichtig hielt. Mit so einem Mann konnte man sich nicht sehen lassen, viel weniger noch sein Leben mit ihm verbringen. Dachten ihre Eltern. Aber was wussten sie, deren Ehe längst am Ende war, schon von der Liebe. Was wussten sie von Adam? Er baute Drachen für die Kinder, die sie bekamen, fand eine größere Wohnung. Das Leben wurde zum Abenteuer, als sie rauszogen aufs Land. Und als sie von Bauer Holzapfel die Streuobstwiese bekamen, hatte Adam schon längst einen Plan, wohin das alles führen sollte. Birgit Vanderbekes unkonventionelle Erzählerin lässt sich von Adam bezaubern und von seiner Art, das Leben anzugehen. »Das lässt sich ändern« ist ein klarer, leuchtender Roman über die Liebe, das Anderssein und über das Bekenntnis zu den einfachen Dingen.

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www.piper.de

Von Birgit Vanderbeke liegt im Piper Verlag vor:

Gebrauchsanweisung für Südfrankreich

ISBN: 978-3-492-95268-2

© Piper Verlag GmbH, München 2011

Datenkonvertierung E-Book: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Motto

wir schleudern ins all unsern amoklauf das hirn zerstäubt – der schädel blinkt ein grauer enkel hebt ihn auf geht an den bach und trinkt

Inhalt

Ich weiß nie ganz genau, ob Adam Czupek meine Rettung oder mein Verhängnis ist oder womöglich beides.

Sicher ist, dass es mich ziemlich aus der Kurve getragen hat, als ich ihn kennenlernte. Peng. Ein Knall, ein Krach, ein Beben, und von da an ist es eigentlich nicht mehr geradeaus gegangen.

Adam war schon immer draußen. Draußensein ist gefährlich, aber Adam kannte es nicht anders, und ich hatte keine Ahnung, dass ich drinnen gewesen war, bis ich Adam begegnete.

Wenn du in Deutschland fünf Kinder hast, bist du draußen, sagte er, bevor er mich seiner Familie vorstellte. Er war das dritte. Seine Mutter war durchgeknallt, als das fünfte Kind zwei Jahre alt war, ein- bis zweimal im Jahr hieß das Klapse. Sich mit Mandrax zudröhnen lassen.

Draußensein bedeutet, dass du nicht so einfach ins Gymnasium kannst, hatte mir Adam erzählt.

Ich war einfach aufs Gymnasium gekommen und hatte nicht gewusst, dass das mit meinen Eltern zu tun hatte, vielmehr mit meinem Vater, der in seiner Firma ein hohes Tier war. Big Boss, sagten die Leute, die unter ihm arbeiten mussten. Alle hatten Angst vor ihm, wir auch.

In guten Häuser kann es zugehen wie in der Hölle, trotzdem war ich eine Tochter aus gutem Haus. Damit war ich erst mal drinnen und hatte keine Ahnung davon, dass es ein Draußen überhaupt gab.

Adam hat einen IQ um die 140, je nach Tagesverfassung, kann auch schon mal auf 138 sacken. Die fünfte Klasse hat er erst in der Hauptschule abgesessen, bevor sie ihn in die Realschule gelassen haben, und bevor er von dort aufs Gymnasium kam, war noch eine Ehrenrunde fällig gewesen.

Sein Vater war ein kleiner Beamter, nicht sehr helle, Sachbearbeiter für Falschgeld und beschädigte Scheine bei der Bundesbank. Er war nach dem Krieg im falschen Leben gelandet, vielleicht wäre er lieber schwul gewesen, aber Schwulsein war nicht so leicht in den Fünfzigerjahren. Als ich ihn kennenlernte, waren wir in den Achtzigerjahre, da hatte er schon über dreißig Jahre lang täglich vermoderte Blüten und Scheine gezählt.

Er stand morgens als Erster auf und machte Kaffee, und während er Kaffee machte, fluchte er durch die Küche, dass alle im Haus es hören konnten.

Das Haus war für sieben Personen zu klein. Es war dunkel, überheizt und vollgestopft mit Sachen, die auf den ersten Blick keinen Zusammenhang hatten, und es roch muffig. Adam wohnte mit seinem Bruder in der Garage.

Adams Bruder hat ein sensationelles Gedächtnis für Zahlen. Überhaupt ein sensationelles Gedächtnis für nutzloses Zeug. Die Börsenkurse von vor drei Jahren, die technischen Daten des Opel GT. Er wäre gern zum Grenzschutz gegangen, am liebsten zur GSG 9, aber natürlich fiel er bei der Einstellung durch, weil seine Mutter aktenkundig durchgeknallt war. Nach der Hauptschule fand er einen Job als Kopierer und blieb in der Garage wohnen, bis erst der Vater und zuletzt auch seine Mutter gestorben waren. Da war er knapp fünfzig. Adams Mutter hatte eine sensationelle Begabung für Sprache. Ihre Sätze waren kompliziert und kunstvoll verschachtelt. Wenn ich ihr zuhörte, dachte ich, so einen Satzbau kann sich doch keiner merken; oft war ich sicher, jetzt hat sie den Faden verloren, aber immer kam sie mit dem richtigen Verb hinten aus ihrem endlosen Satz wieder raus. So weit war alles wunderschön und in Ordnung, nur hatten die Sätze keinen erkennbaren Sinn. Es kamen der Krieg, die Russen, die Flucht darin vor, Frauen, die mit schlohweißem Haar aus dem Moor zurückgekehrt waren, Bahnhöfe, Güterzüge, es ging ums Verhungern und ums Erfrieren, um Gewalt, und zuletzt wurde es immer obszön. Grammatisch korrekt, aber dada.

Deshalb glaubte Adam, als ich ihn kennenlernte, nicht an Sprache.

Ich glaubte daran.

In den ersten Jahren saßen wir oft bis nachts um vier oder fünf in der Küche und stritten uns darüber, ob Sprechen etwas bringt. Adam fand, es bringe nicht viel, aber nach einer Zeit hatte er sich daran gewöhnt, dass wir es machten.

Als ich Adam meinen Eltern vorstellte, war er zwanzig, und es war von vornherein klar, dass das danebengehen würde. Adam roch nach Werkstatt, nach Holz, nach Metall und nach Arbeit. Er hatte schon damals Hände, an denen der Dreck festgewachsen war; das war mit Seife nicht abzukriegen.

Mein Vater las Zeitung und überließ meiner Mutter die Inquisition, was macht denn Ihr Vater beruflich und so weiter, und als sie damit durch war, holte sie aus einer Kirschholzschublade einen Bilderrahmen, der ihr kürzlich runtergefallen und aus dem Leim gegangen war. Ob Adam so freundlich wäre, sich den mal anzuschauen. Adam war so freundlich, und als der teure Rahmen mitsamt dem Aquarell dann wieder an der Wand hing, sagte meine Mutter zu mir den Satz, der die ganzen Jahre gesessen hat und bis heute sitzt.

Das können sie, solche Leute.

Sie sagte das leichthin, als wäre Adam gar nicht im Raum.

Ich dachte, Adam würde ihr an die Gurgel gehen. Vielleicht hoffte ich, dass er ihr an die Gurgel gehen würde, aber er blieb ganz ruhig.

Das will ich doch meinen, sagte er.

Mir wurde erst vor Scham und dann vor Wut glühend heiß, aber dann sah ich, wie gelassen Adam zwischen den geschmackvollen Kirschholzmöbeln meiner Mutter in diesem hellen, großen Zimmer stand, das für ihn eine fremde Welt sein musste, und sich von einer wildfremden Frau beleidigen ließ, der er nichts weiter getan hatte, als ihr freundlicherweise einen Bilderrahmen wieder ganz zu machen. Diese Frau hatte ihm soeben zu verstehen gegeben, dass sie ihm niemals eine Chance geben, sondern alles daransetzen würde, ihre Tochter von ihm wegzugraulen, weil solche Leute wie Adam Czupek für sie nicht infrage kamen.

Bevor man einen Fluch ausspricht, muss man sich innerlich von glühend heiß bis auf null abgekühlt haben; ich wartete, bis ich weit unter null und innerlich ganz vereist war. Dann sagte ich, du wirst noch staunen, was solche Leute alles können. Ich sagte es ganz leise, aber sie hörten es alle drei.

Damit war ich noch nicht draußen, aber auf dem besten Weg dahin. Auf dem Weg zu Adam.

Meine Eltern hatten noch von früher her alles von Bertolt Brecht und dachten, dass Brecht zur Bildung und Kultur gehört und sie ihn deshalb gut finden müssten, nicht so gut natürlich wie die Festspiele in Bayreuth, zu denen sie jedes Jahr fuhren, aber immerhin doch ganz gut, weil er damals noch zur Kultur gehörte, und als ich den Tisch fürs Kaffeetrinken deckte, fing ich an, die Ballade von der Hanna Cash zu summen. Sie kamen sich näher zwischen Wild und Fisch, sie gingen vereint durchs Leben, sie hatten kein Bett, und sie hatten keinen Tisch; ich sang den Text nicht mit, sondern summte nur die Melodie, aber meine Eltern kannten die Ballade natürlich, es blieb die Hanna Cash, mein Kind, bei ihrem lieben Mann; und meine Eltern hörten, dass ich so frei sein würde, mir Adam mitsamt dem Dreck an seinen Händen von ihnen nicht austreiben zu lassen, auch wenn das Leben möglicherweise schwer und gefährlich würde, und es ist ganz entschieden etwas anderes, die Ballade gut zu finden, solange sie vom Plattenspieler kommt und Kultur ist, Lotte Lenia singt Bertolt Brecht, aber wenn die eigene Tochter einem solche Leute wie Adam Czupek ins Haus schleppt, merkt man, dass Kultur etwas anderes ist als das wirkliche Leben, in dem ein künftiger Schwiegersohn bitte im Besitz von Tisch, Bett und Bausparvertrag sein und darüber hinaus nach Rasierwasser duftend, mit sauberen Fingernägeln und in Anzug und Krawatte zur Vorstellung erscheinen sollte, familiär gut gepolstert und mit Vitamin B versorgt.

Adam sagt, das fing in den Achtzigern an, die Verdummung, Ende der Siebziger haben wir all das gewusst, was inzwischen läuft, das ganze Elendsprogramm; tote Erde, wohltätige Speisung der Armen, an den Tropf mit den Alten und Armen, und heute tut die Welt, als wäre sie überrascht, gerade so, als hätte man Ende der Siebziger nicht gewusst, dass es den Bach runtergehen würde.

So gesehen, hat er natürlich recht, dass das viele Sprechen nichts gebracht hat, es geht ums Verhungern, Erfrieren, Gewalt und obszönes Dada; Adam jedenfalls hat, noch bevor er zwanzig war, gewusst, dass es den Bach runterrauschen würde, aber vielleicht hing das damit zusammen, dass er schon draußen gewesen war, als die meisten noch dachten, wer draußen ist, ist selber schuld.

Von draußen sieht man manches klarer, als wenn man drinnen ist, wo man die Welt schön nacheinander erst von den Teletubbies, dann von der Maus und schließlich vom Morgenmagazin erklärt bekommt, und Adam war wirklich draußen. Den haben sie gar nicht erst zum Bund eingezogen, nicht einmal gemustert.

Ich jedenfalls war frischgebackene Linguistin und würde Logopädin werden, und wenn ich nicht an Sprache geglaubt hätte, hätte ich meinen Beruf gleich an den Nagel hängen können, bevor er noch richtig angefangen hatte.

Ich kannte zu der Zeit eine Menge Leute, die gut gepolstert waren, und nach und nach kamen mir alle abhanden, alle außer Fritzi Ott, obwohl ich nicht wollte, dass sie mir abhandenkommen, weil ich manche von ihnen mochte, einige sogar sehr, aber ich war auf dem Weg zu Adam. Das war die Zeit, als alle irgendwie links waren und sich am Samstag zum Kicken und Kiffen im Ostpark trafen, Junge Union war ein Schimpfwort, es stand für Kurzhaarschnitt vom Friseur, für Pomade und Pickel, und als Kohl gewählt wurde, wollte es keiner glauben.

Es wurden Häuser besetzt und Arbeiten über das Ende der Geschichte geschrieben, das ein paar Jahre später eintreten sollte, alle sprachen über das Waldsterben, die Startbahn West und die Erderwärmung, es würde Stürme geben, Überschwemmungen, und demnächst wäre das Öl einmal alle; jeder kannte einen, der sich vor Kurzem mit Aids angesteckt hatte, immer lief irgendwo die Rocky Horror Picture Show, Wunderkerzenkult und ein Muss an schlechtem Geschmack, im Fernsehen kamen Dallas und der Denver Clan, Fassbinder war tot und wurde neuerdings zu den Guten gezählt, und wer ihn gekannt hatte, sagte RWF, wenn er von ihm sprach.

Adam hatte ihn nicht gekannt und fand die Rocky Horror Picture Show ätzend.

Er sagte ätzend, wenn ihm etwas nicht gefiel, und wenn ihm etwas gefiel, sagte er geil. Geile Turnschuhe. Geile Aufhängung.

Geile Bilder, sagte er, als wir in einer Ausstellung waren, in der sehr viel goldener Klimt hing, und alle drehten sich nach ihm um und schauten ihn sonderbar an.

Ich sagte, geil ist Klaus Kinski.

Ich gab ihm das Buch, das Kinski geschrieben hatte, Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund, aber auch nachdem er das Buch gelesen hatte, sagte er weiter geil, wenn ihm etwas gefiel. Irgendwann sagte er es nicht mehr, und etwa um den Dreh fing Anatol damit an.

Da waren wir schon in Ilmenstett. Jottwehdeh.

Geil, sagte Anatol übermütig, als er bei unserem ersten Besuch den uralten LP 813 mit dem abgebrochenen Mercedesstern beim Bauern Holzapfel auf dem Hof entdeckte. Er war knapp vier.

Was heißt eigentlich geil, sagte ich und war neugierig, was er sagen würde.

Anatol sagte, besonders haltbar, und das war er allerdings, der LP 813, aber Anatol hörte irgendwann auch damit auf, geil zu sagen, und sagte stattdessen krass, weil sein Freund Bora Özyilmaz krass sagte. Magali fing gar nicht erst damit an.

Als wir uns kennenlernten, war Adam noch auf Probezeit in der Lehre. Er wohnte mit seinem Bruder in der umgebauten Garage bei seinen Eltern, ging abends in die Batschkapp oder in den Elfer und hörte Die Ärzte und Ton Steine Scherben. Alle grölten mit. Macht kaputt, was euch kaputt macht. Wer das Geld hat, hat die Macht.

Solche Sachen. Und die anderen.

Halt dich an deiner Liebe fest.

Die Antwort bist DU.

Gib mir Fleisch und Blut, gib mir Sinn.

Ich hab nix, und du hast nix, lass uns was draus machen.

In der Batschkapp sammelte er leere Bierflaschen, vom Flaschenpfand holte er sich selbst ein Bier.

Ich war nie in der Batschkapp oder im Elfer. Ich ging ins Café Laumer um die Ecke beim Suhrkamp Verlag, abends sehr oft in den Club Voltaire. Einmal versuchte ich es im Elfer, aber da hatte ich Schuhe mit hohen Absätzen an, und am Tresen sahen sie mich an, als hätte ich sie nicht alle. Wie sieht die denn aus. Wo Adam hinging, war ich offenbar draußen.

Als ich schwanger wurde, sagte meine Mutter, mach dich nicht unglücklich.

Adam fragte seinen Meister, ob er zur Geburt des Kindes frei haben könnte.

Wann das sei, wollte der Meister wissen, und Adam sagte, dass man das nicht genau wissen könne. Darauf fragte der Meister, warum Adam überhaupt für die Geburt frei haben wolle, Kinderkriegen sei seines Wissens immer noch Frauensache, aber Adam wollte bei der Geburt dabei sein, und ich wollte für die Geburt nicht ins Krankenhaus, weil Kinderkriegen ja keine Krankheit ist, und all das war dem Meister nicht ganz geheuer, weil Frauen ihre Kinder im Krankenhaus zu kriegen haben, und die Männer kommen am Feierabend mit einem Blumenstrauß oder etwas vom Juwelier in die Klinik, dafür nimmt man sich nicht einen ganzen Tag frei, außerdem kriegt man seine Kinder gefälligst nicht in der Lehrzeit, Lehrjahre sind keine Herrenjahre, Adams Meister hatte seine Tochter schließlich auch erst bekommen, nachdem er vom Vater das Geschäft übernommen hatte, das heißt, natürlich hatte nicht er seine Tochter bekommen, sondern seine Frau, und zwar, wie sich das gehört, im Marienhospital, und er hätte doch nicht den Laden an dem Tag zusperren können, bloß weil seine Frau ein Kind bekam.

Am Ende setzte Adam durch, dass er einen Tag beweglichen Urlaub haben könnte, es war eine zähe und ungute Verhandlung. Danach fing er an, Schrauben, Nägel und Dübel aus dem Betrieb mitgehen zu lassen, weil er sagte, nach dem Theater mit dem Sonderurlaub wird der Meister mich nicht übernehmen, egal, wie die Prüfung ausfällt, und als der Meister eines Abends jemanden brauchte, der bei ihm zu Hause den Dachboden aufräumen würde, sagte Adam, dass er das gerne machen würde; an dem Abend klaute er zur Sicherheit ein paar Dutzend Zwingen und Stecheisen, eine uralte Nähmaschine mit Pedal und eine Stichsäge mitsamt einer Unmenge Sägeblätter.

Der weiß sowieso nicht, was er auf seinem Dachboden rumliegen hat, sagte er, als ich andeutete, dass es nicht legal sei, Gegenstände an sich zu nehmen, die seinem Meister gehörten.

Als er mit dem Generator ankam, war Anatol schon auf der Welt, und heute wissen wir beide nicht mehr, ob der Generator eine Betriebsbeute war oder von einer städtischen Baustelle stammt.

Die Leute, die ich kannte, bekamen keine Kinder, oder sie bekamen ihre Kinder erst später, nachdem sie ihre Leben mit Vitamin B ausgepolstert hatten und wir uns nicht mehr kannten.

Zu Anatols Geburt schenkte mein Vater mir ein elektrisches Waffeleisen mit Teflonbeschichtung. Bei der Gelegenheit stellte er fest, dass meine Wohnung zu klein war.

Warum suchst du dir keine größere, sagte er.

Seinem Enkel schenkte er ein Blatt Büttenpapier, auf dem stand, dass er ihm jedes Jahr zum Geburtstag eine Aktie seiner Firma kaufen würde, und von den Renditen dieser Aktien würde er ihm wieder Aktien kaufen, sodass Anatol, wenn er achtzehn würde, eine gepolsterte Zukunft vor sich hätte; Magali bekam keinen solchen Zettel zur Geburt, da war mein Vater schon abgehauen, und als Anatol achtzehn wurde, wussten wir schon lange nicht mehr, wo er war. Kann sein, er spielte irgendwo im Süden Golf, in Spanien oder Portugal oder sonst wo, kann genauso gut sein, er war inzwischen gestorben. Die Firma, in der er früher mal den Big Boss gespielt hatte, gab es schon längst nicht mehr; die war unterwegs von irgendeinem Konzern gefressen worden, Agropharma, der über Anatols Zettel nur lachen würde.

So viel zur Zukunft, sagte Adam, als ich mit dem Papier ankam. Die Zukunft, das war gestern.

Bütten, sagte Anatol. Damit kann man sich nicht mal den Hintern abwischen.

Was heißt hier Bütten, sagte Adam, ich nenn das eher Blüten.

Als Anatol achtzehn wurde, waren wir alle längst draußen; wir lebten mit Fritzi, Massimo und den Kindern in Ilmenstett, das neue Jahrhundert war angebrochen, eine Menge Papier hatte sich als Blüten erwiesen; in der Welt tobte das blanke Desaster, und keiner hatte eine Ahnung, wie man es stoppen könnte, deshalb taten alle, als wäre es einfach nicht da. Aus unserer Streuobstwiese, auf der Adam aus Spaß und zum Zeitvertreib Mitte der Neunzigerjahre mit den Kindern die erste Jurte gebaut hatte, war längst das erste Basislager geworden, Triple-A, Asis, Alte, Arme, es ging um Essen, Klamotten, Dach überm Kopf, und nur Fritzi und ich hatten pro forma noch ein Konto. Trotzdem gab es mir einen Stich, als ich an Anatols achtzehntem Geburtstag das alte Blatt Büttenpapier aus der Schublade holte, in der ich es die ganzen Jahre liegen gehabt hatte. Unwillkürlich sah ich meinen Vater vor mir, wie ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Da hatte er Anatol auf dem Arm gehabt. Anatol hatte ein Bäuerchen gemacht und ihm aufs Jackett gespuckt, und er hatte sich geekelt.

Anatol kann sich nicht mehr an seine Großeltern erinnern. Trotzdem hat er den wertlosen Zettel bis heute nicht weggeworfen.

Adam machte für die Prüfung eine Wickelkommode und wurde danach, wie er es sich gedacht hatte, nicht in den Betrieb übernommen, weil es dem Meister nicht passte, dass er so jung schon unverheiratet ein Kind bekommen hatte, und das auch noch mit einer Frau, die viel älter war als er und außerdem noch studiert.

Die Leute, die ich kannte, waren alle irgendwie links, aber sie wussten, wann sie sich mit sauberen Fingernägeln bei ihren künftigen Schwiegereltern und Arbeitgebern vorzustellen hatten und dass es eine Sache ist, an der Uni irgendwie links zu sein, weil an der Uni die Professoren alle links waren, aber die Uni war schließlich nicht das wirkliche Leben, und Professoren sind bekanntlich nicht so ganz von dieser Welt. Die fängt anschließend an.

Ende der Leseprobe