Das Leben könnte so schwer sein - Irmgard Rosina Bauer - E-Book

Das Leben könnte so schwer sein E-Book

Irmgard Rosina Bauer

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Beschreibung

Sophie alias Susanne alias S… ist gefangen in ihren Prinzipien: Ein Macho darf ein Macho sein, und eine Ehe muss man um jeden Preis aufrecht erhalten. Zumal Sophie mit ihrem Mann vier Kinder hat und Scheidungen »damals« noch nicht so üblich waren wie heute. Die verschiedenen Frauenrollen in den Geschichten einer einzigen Frau lassen über Jahrzehnte tief in ihr Herz sehen. Ihr gemeinsames Ziel heißt, einmal sagen zu können: »Ich liebe mein Leben.« Auf ihrem Kurs dorthin erringt Sophie alias Susanne alias S… neue Freiheiten und fällt doch immer wieder zurück. Sie sucht nach Anerkennung und erleidet darüber ein Burnout. Sie will heraus aus ihrer Opferrolle, doch der Weg dahin ist weit ... »Das Leben könnte so schwer sein« ist eine packende Lebensgeschichte in dreizehneinhalb berührenden Geschichten.

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Irmgard Rosina Bauer

Das Leben könnte so schwer sein

Die vorliegenden Geschichten basieren im weiteren Sinn auf wahren Begebenheiten. Darüber hinaus ist jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen sowie realen Geschehnissen rein zufällig und nicht beabsichtigt. Es handelt sich um einen fiktiven Roman.

Irmgard Rosina Bauer

Das Leben könnte so schwer sein

Roman in dreizehneinhalb Geschichten

Sophie alias Susanne alias S… ist gefangen in ihren Prinzipien: Ein Macho darf ein Macho sein, und eine Ehe muss man um jeden Preis aufrecht erhalten. Zumal Sophie mit ihrem Mann vier Kinder hat und Scheidungen »damals« noch nicht so üblich waren wie heute.

Die verschiedenen Frauenrollen in den Geschichten einer einzigen Frau lassen über Jahrzehnte tief in ihr Herz sehen. Ihr gemeinsames Ziel heißt, einmal sagen zu können: »Ich liebe mein Leben.«

Auf ihrem Kurs dorthin erringt Sophie alias Susanne alias S… neue Freiheiten und fällt doch immer wieder zurück. Sie sucht nach Anerkennung und erleidet darüber ein Burnout. Sie will heraus aus ihrer Opferrolle, doch der Weg dahin ist weit ...

»Das Leben könnte so schwer sein« ist eine packende Lebensgeschichte in dreizehneinhalb berührenden Geschichten.

© 2016 Irmgard Rosina Bauer

Umschlaggestaltung: Martina Scholle, München

Fotos: Johannes Bauer, Larissa Schlüren, München

Lektorat: Ulrich Hoffmann, Hamburg

Satz, Layout: Andrea Richter, München

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

978-3-7345-7098-8; 978-3-7345-7100-8

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung

Für meine Kinder und Stiefkinder,

für meine Schwiegerkinder,

für deren Mütter

(Bettina, Carola, Helga, Renate, Ursel)

und für Constanze

An der Quelle

Lebensfluss, fließe!

Am Ufer eines großen Flusses entlanggehen und eine Gruppe Rudersportler sehen, die mit ihrem rhythmischen Schlag das Wasser kräuseln: Wer kann da weitergehen, ohne sie dafür zu bewundern, mit welcher Leichtigkeit sie den Fluss zum Vorwärtskommen nutzen?

Doch so ein großer Fluss ist nicht sofort ein Fluss, sondern entsteht aus einer winzigen Quelle und- wächst erst durch seine Zu und Nebenflüsse.

So wie ein Fluss besteht auch das vorliegende Buch aus solchen Zuflüssen – ihr Wasser drängt immer weiter, kümmert sich nicht um Hindernisse, es fällt auch mal bergabwärts, es findet immer seinen Weg. Der Fluss empfängt saubere Zuflüsse (Liebliches) und Morast (Erstaunliches), mal speisen ihn reine, klare, frische Quellen (Fröhliches), mal fließt er durch Schlammgebiet (Peinliches), mal durch waldreiche dunkle Auen (Trauriges), mal durch eine breite Steinlandschaft, auf der bei aufgehender Sonne noch die Nebel ruhen (Melancholisches). Der Fluss drückt sich manchmal unterirdisch durch Höhlen (Beängstigendes) oder durch einen See, in dem er von Menschenhand aufgestaut wurde (schicksalhafte Begegnungen).

Mit dem Bild der Zuflüsse verwende ich unabhängige Geschichten, die sich so oder so ähnlich in meinem Leben abgespielt haben könnten und in ihrer Aneinanderreihung einen Lebensfluss ergeben. So wie die Zuflüsse bereits ihre eigene Wegstrecke zurückgelegt haben, besitzen auch die handelnden Personen in den Geschichten ihr Eigenleben in ihren jeweiligen Lebensabschnitten – und ihre eigenen Namen, so wie auch Zuflüsse ihre eigenen Namen mitbringen.

Letztlich mündet ein großer Fluss in einem großen Meer. Doch dessen Wasser verdunstet wieder in der Sonne und bildet Wolken. Die treibt der Wind weiter, sie bleiben an hohen Bergen hängen und regnen sich dort wieder ab – um erneut eine Quelle zu speisen.

Der Lebensfluss fließt zwar durch die Jetztzeit, ist aber auch gleichzeitig ein kleiner Teil der Ewigkeit. Darum: Fließe, mein Fluss!

Irmgard Rosina Bauer

Erster Zufluss

»Sophie« und »Gunnar«

Viele Wege führen durch Rom

Sophie war damals zwanzig. Es war April und eiskalt, und nachts hat es fürchterlich auf ihr Zelt geregnet.

Die Tage jedoch ...

Sie sieht sich mit Wolfgang an der Hand auf der Via Sacra jeweils zwei Pflastersteine überspringen. Wer den dritten nicht traf, musste küssen – selten trafen sie den dritten. Sie sieht, wie Wolfgang, der Archäologiestudent, ihr mit den heiligen Trümmern auf dem Forum Romanum einen Lufttempel baute samt Säulenhalle, Innenhof und Heiligtum; wie er ihr flammende Liebeserklärungen vor dem gedachten römischen Volk hinunterschmetterte von dem Platz aus, an dem die Rostra gestanden haben musste, die große Rednerbühne, die aus Schiffsschnäbeln gekaperter feindlicher Schiffe bestand. Wo schon Cato und Cicero und Plinius und all die wichtigen Römer aus dem Lateinunterricht ihre Reden gehalten haben.

Sophie sieht, wie sie sich mit Wolfgang lachend vor der Wölfin mit ihren Zwillingen im Kapitolsmuseum verbeugt; »sieben fünf drei«, sagten sie wie aus einem Munde. Sie sieht ihn im Kolosseum für sie wildes Tier spielen und wie sie seine Darbietungen immer mit einem fröhlichen »Daumen aufwärts« wertete, und sie sieht, wie er sie triumphierend durch den Konstantinsbogen trug.

»Du weißt ja, ich möchte am Wochenende auf die Lebensmittelmesse nach Rom fahren«, sagt jetzt, zwölf Jahre später, ihr Mann Gunnar zu ihr. »Ich habe mir inzwischen das Programm genauer angesehen. Mir genügt ein einziger Tag auf der Messe, der Samstag. Aber wenn ich doch schon fahre, könntest du eigentlich mitfahren!«

Sophie erschrickt.

»Heute ist Montag. Wenn wir morgen Mittag in München starten, sind wir am Abend dort«, fährt er fort. »Dann hätten wir drei Tage gemeinsam in der Stadt. Am Samstag dann auf die Messe, am Sonntag fahren wir wieder zurück.«

Insgeheim hat sich Sophie vor dieser Frage gefürchtet. Die schönen Erinnerungen, die sie an Rom hatte, waren mit einem anderen Leben, als sie es jetzt führte, verknüpft.

Viele Ausreden fallen ihr ein: Ihre vier kleinen Kinder brauchen sie doch, und befreundete Familien sind sicher nicht so spontan bereit, sie für diese Zeit bei sich aufzunehmen. Das kostet wieder viel Überredungskraft! Und woher so schnell eine eingearbeitete Aushilfe für das gemeinsame Gourmetrion nehmen, für fast eine ganze Woche, von heute auf morgen; dazu die ewig lange Autofahrt.

»Das wäre so viel Aufwand«, versucht sie, seinen Vorschlag abzuwehren.

»Du schwärmst doch immer von deinem Rom!«, unterbricht er ihre Ausflüchte. »Das wäre die Gelegenheit, es mir zu zeigen!«

Zweifelnd sieht sie Gunnar an. Dass er spontan ist, damit kann sie umgehen. Sie sind beide spontan. Schnell in Entscheidungen, rasch in Umentscheidungen, ihr Umfeld hat sich daran gewöhnt. Das ist es nicht, was sie beunruhigt. Eher das: Gunnar ist anders als Wolfgang. Gunnar hat ihre Antike-Begeisterung bisher eher abgetan mit »altes Zeug«. Ob sie den Bogen in Rom schaffen würde? Ihre damalige Begeisterung fußte auf damaligen Gegebenheiten. Nun, die Beziehung zu Wolfgang war schon während des Studiums bald wieder zu Ende gegangen. Doch glühte Sophie immer noch für das »alte Zeug«. Nein, das mit Gunnar zusammen, das konnte nicht gut gehen.

Andererseits: Rom! Ihr Rom! Wie schön das war! Wie sie Rom liebte! Sollte sie nicht einfach zugreifen bei dieser Gelegenheit? Schließlich kam sie nicht alle Tage dorthin.

Sophie weiß, sie muss schnell entscheiden. Bilder überströmen sie: Die Engelsburg dort oben, das Pantheon, das Forum Romanum, die stolzen Obelisken, die Basiliken, Triumphbögen, die vielen, vielen Katzen an der Cestius-Pyramide und die alte Frau, die sie alle namentlich gerufen hat und fütterte, Giovanni – Alessandro – Francesca; der schöne alte Friedhof hinter der Pyramide, ja! Sophie spürt Begeisterung in sich aufkommen.

Ja, sie würde alle Bedenken über Bord werfen und diese Gelegenheit ergreifen. Gunnar mitnehmen in die große Vergangenheit. Es noch einmal mit ihm versuchen. Wenn doch schon der Vorschlag von ihm kam! Alles würde sie ihm zeigen!

Zwei Kinder dürfen zu Oma, sie wird sie in den Kindergarten bringen. Das kann Sophie nach einem langen Telefonat klären. Und die zwei Größeren können bei Freunden übernachten, die sie mit ihren eigenen Kindern in die nahe Grundschule schicken. Nun also noch schnell eine Aushilfe für die kommenden Tage engagieren. Eiliges Kofferpacken; noch drei wichtige Anweisungen im Geschäft hinterlassen.

Am Dienstag um halb drei schließlich können sie starten.

Gunnar brettert über die Autobahn.

Gegen Mitternacht fahren sie bereits »Al lungo del Tevere«.

»Am Tiber entlang heißt das, sagst du? Ist das ein Fluss?«

Sophie lacht höflich. Er macht wohl einen Witz.

Doch er hat tatsächlich keine Ahnung von Rom, merkt sie dann, dafür vollstes Vertrauen in sie.

Sie hat sich während der Autofahrt noch schnell ein großes Programm für Mittwoch, Donnerstag, Freitag ausgedacht. »Mach einfach!«, hatte er gesagt. »Ich kenn mich sowieso nicht aus.«

Große Vorfreude durchströmt sie. Alles wird sie ihm zeigen!

Als erstes, am Vormittag, den Petersdom, der würde ihn sofort beeindrucken, außerdem würde ihm der Blick von der Hochterrasse eine Vorstellung von der Stadt ermöglichen. Ja, das fand sie gut!

Am nächsten Morgen aber ist ihr sein Eifer, die Stadt zu sehen, zu gering: Der Wecker klingelt, doch er steht nicht auf.

»Hab ja schließlich Urlaub!«

»Ja aber, wir wollten doch die Stadt ansehen?«

»Die läuft uns nicht weg!«

Schon ist er wieder eingeschlafen.

Sophie ist enttäuscht.

Würde sie ihn jedoch wecken und drängen, das weiß sie, müsste sie über den Tag hinweg seine schlechte Laune aushalten.

Um zwölf Uhr ist er mit dem Frühstück fertig, um zwei endlich steigen sie wieder ins Auto, um ins Centro zu fahren. Endlich! Sophie freut sich. Die Sonne scheint klar.

»Hier ist noch Sommer!«, schwärmt er. »Und wir beide in Rom, am 1. Oktober bei 26 Grad. Da kann München nicht mithalten.«

Ja.

Roma aeterna.

Alles wird sie ihm zeigen!

Er findet ihr nicht schnell genug einen Parkplatz. Und nun los!

Hand in Hand nähern sie sich über die Via della Reconciliazione – »Ah, das kenn ich aus dem Fernsehen!« – dem Dom.

So riesengroß hat sie den Petersplatz nicht mehr in Erinnerung gehabt! Sie zieht Gunnar weiter.

Doch als sie am Hauptportal stehen, zögert sie plötzlich, sie erschaudert. Wie lebendig die Erinnerung an die »Pietà« von ihr Macht ergreift! Ja, genau, dort drüben müsste sie sein.

Warum nur war Sophie so fiebrig, bevor sie zur Pietà gelangten? Als sie die damals zum ersten Mal sah, waren sie und Wolfgang betört gewesen. Lange Zeit waren sie beide davor gestanden und in ihre Betrachtung versunken, hatten die Gottesmutter mit ihrem Sohn auf sich wirken lassen. So etwas Berührendes! Sophie will nun Gunnar erklären, was sich in ihr abspielt. Dass sie aufgeregt ist vor der Wiederbegegnung mit dieser Statue. War das nicht lächerlich! Sie fürchtet seine Reaktion.

»Na, was du nur hast! So toll ist sie nun auch wieder nicht! Es gibt doch bestimmt interessantere Dinge hier zu sehen«, könnte er sagen.

Sie wusste, dass er als Geschäftsmann sehr oft ganz anders dachte als sie. Häufig haderte er mit ihr, weil sie, Sophie, sich nur halb so viel als Geschäftsfrau einbrachte, wie er es sich vorstellte.

Nun stand sie also hier. Und hätte vor Gunnar die Rührung vor einer weißen Marmorstatue zu verbergen?

»Komm, gehen wir rein. Warum bleibst du stehen?« Ungeduldig sieht er sie an.

Sie kann ihre wirren Gefühle nicht so schnell erklären. Vorhin noch hat sie zur Eile gedrängt, und nun ging nichts vorwärts!

Wie anmutig Maria immer noch an dieser Stelle sitzt in ihrer Zartheit, Zierlichkeit, inneren Harmonie. Diese Sanftmut, der Ausdruck zärtlicher Trauer und Liebe auf dieser Figur aus Stein! Als ob er da säße und lebte, der weiße Marmorblock! Der Jesus in ihren Armen, er schläft wohl nur. Er muss sich sehr wohl fühlen unter dem Blick aus diesem vollkommenen Gesicht: schön, gütig, mütterlich – und leidenschaftlich zugleich.

»Ja, die ist schon super!«, entlockt die Betrachtung der Pietà auch Gunnar. Tief und erleichtert atmet Sophie durch.

Die Dimension des Petersdomes findet Gunnar »erschreckend«.

»Der ist mir viel zu wuchtig! Das erdrückt mich!«

Immer wieder schüttelt Gunnar beim Gehen den Kopf, findet nicht den Zusammenhang zu seinem Zweck.

Zu wenig kann Sophie ihm erklären und zeigen, denn es werden Absperrungen im Dom errichtet, man drängt sie hinaus, »una messa del Papa«, ausgerechnet jetzt. Der Zeitpunkt ihres Besuches ist ungünstig.

»Dann lass uns noch schnell in die Sixtinische Kapelle gehen, die Fresken dort sind ebenfalls von Michelangelo, wie die Pietà. Das war ein überaus vielseitiger Künstler. Der konnte einfach alles, bildhauern, malen, entwerfen, baumeistern – genial! In meinem Stadtführer steht, die Kapelle wurde inzwischen restauriert. Bei meinem ersten Besuch war alles noch recht verblichen. Ich bin gespannt, ob die Fresken jetzt wirklich lila und bonbonfarben wirken.«

Voller Vorfreude packt Sophie Gunnars Hand und zieht ihn mit sich mit.

Aber als sie dort ankommen, ist es schon nach 16 Uhr, man lässt keinen mehr hinein.

»Schade!«

»Macht nichts«, sagt er, »hätte mich eh nicht so interessiert. Zeigst mir halt was anderes.«

Sophie überlegt kurz und entscheidet sich für die Spanische Treppe, die nicht allzu weit entfernt ist. Hier brauchen sie sich nicht um Einlasszeiten zu kümmern. Und sie weiß, das wird ihm gefallen. Die vielen Menschen betrachten. In der Via Condotti von einem Luxusmodeladen zum nächsten schlendern, dazwischen ein Eis schlecken.

Und tatsächlich ist er fasziniert von den Modemeistern.

»So viel Ästhetik!«, sagt er.

Dann haben sie genug gesehen, findet er.

In einem kleinen Straßencafé bekommt er zu seinem Entsetzen keinen Orvieto zu trinken: »Wo denn sonst, wenn nicht im Anbaugebiet?« Also trinkt er fügsam mit ihr Frascati an einem weißen Blechtischchen mitten in der Fußgängerzone, einem Dorado für Mopedfahrer aller Klassen, der Bella Signora im engen Rock mit Fahrerschlitz und wehender Umhängetasche, über die Papagalli aus Trastevere, den gutgekleideten Geschäftsmann in Dunkelgrau, der mit einem neuartigen Riesentelefon am Ohr auf seiner Vespa an ihnen vorbeiflitzt, bis hin zum greisen Römer mit Zigarre im Mundwinkel, »Il Giorno« unter dem Arm, sie alle: knatternd, stinkend.

Wie sie es genießt, ihr Rom, das Staunenkönnen, dieses lebendige Rom, weit weg von zu Hause, von aller gepflegten Häuslichkeit mit ihrem tierischen Ernst. Welch herrliches Flair des Unbekümmerten, »dolce far niente«; was kostet die Welt?

Zwei Halbwüchsige auf flotten Mofas fahren gekonnt knapp an ihrem weißen Blechtischchen vorbei. Gunnar schüttelt entsetzt den Kopf. »Und das nennen die in Rom Fußgängerzone? Ich finde es wirklich hässlich hier. Morgen fahren wir noch ein bisschen ans Meer in die Sonne. Der Winter in München kommt früh genug.«

Nun, das steht nicht auf Sophies Programm. »Doch was will ich ihm römische Kultur aufdrücken, wenn ihn römische Sonne interessiert«, stellt sie bedauernd für sich fest. Und keinesfalls würde sie das Risiko eingehen, dass er schlechte Laune bekäme. Also fügt sie sich seinem Wunsch, an ihrem zweiten Tag an den Strand von Ostia zu fahren. Dass er am Morgen wieder spät aufsteht, macht ihr diesmal nichts aus.

Viele Menschen sind in Ostia damit beschäftigt, die Liegestühle des Sommers abzuspritzen, Aufbruchstimmung in den Herbst liegt in der Luft. Der schwarzgraue Sand am Strand, fein und trocken, wird von den Reinigungsgeräten sauber in Wellen gelegt. Die Sonne ist nur noch Nostalgie, kühl bleibt ihr Licht auf dem Meer stehen, sie kann die triste Farbe des Sandes nicht mehr aufhellen.

»Lass uns wieder in die Stadt fahren«, schlägt Gunnar bald vor.

»Ja, sehr gerne!«

Endlich geht es wieder hinein nach Rom, zu ihren tausenderlei Erinnerungen an Jahrtausende alte Prachtgeschichte.

Gunnar hat einen zentralen Parkplatz gefunden.

Sophie freut sich. Mit ihm an der Hand kann sie noch einiges ansehen. Vielleicht noch schnell in das Forum Romanum eintauchen, das Colosseum, der Kapitolshügel …

»Ach nein«, sagt er, »nicht so viel altes Zeug.«

Also gut, dann vielleicht Trevibrunnen oder das Pantheon?

Sophie genießt es, über die hübschen alten Brücken zu gehen, lässt den Blick über die reich verzierten Gebäude schweifen, an denen sie vorbeiflanieren. Was wohl die Menschen, die im Lauf der Jahrhunderte hier gegangen sind, gesprochen haben, gedacht haben, wie haben sie ihre Leben gelebt? So vielerlei Religionen, Philosophien und Machthaber hatten hier das Stadtbild bestimmt! Und nun waren auch sie beide hier, sie und Gunnar.

Doch da reißt er sie aus ihren Träumen.