Das Lied der Sternschnuppen - Karin Spieker - E-Book
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Das Lied der Sternschnuppen E-Book

Karin Spieker

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Beschreibung

Ein turbulenter Sommer, der alles verändert: Der heitere Feelgood-Roman »Das Lied der Sternschnuppen« von Karin Spieker als eBook bei dotbooks. Die Sängerin Tinka hütet ein Geheimnis: Die regelmäßigen Besuche bei ihrer Oma Edith und deren pfiffigen Freunden enden oft damit, dass sie die Säle der Seniorenheime zum Beben bringt – mit waschechter Schlagermusik. Davon dürfen Tinkas coole Bandkollegen natürlich niemals erfahren! Und als ob sie mit diesem Versteckspiel nicht schon alle Hände voll zu tun hätte, will Oma Edith sie nun auch noch unbedingt unter die Haube bringen – aber führt der beste Weg zu Tinkas Traummann wirklich über eine Datingbörse? Und was hat ausgerechnet David Wolf dort zu suchen, der stets etwas verstrubbelte junge Leiter des Seniorenheims Caecilienstift? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der humorvolle Wohlfühlroman »Das Lied der Sternschnuppen« von Karin Spieker. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 379

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Über dieses Buch:

Tinka hütet ein Geheimnis: Die regelmäßigen Besuche bei ihrer Oma Edith und deren pfiffigen Freunden enden oft damit, dass sie die Säle der Seniorenheime zum Beben bringt – mit waschechter Schlagermusik. Davon dürfen Tinkas coole Bandkollegen natürlich niemals erfahren! Und als ob sie mit diesem Versteckspiel nicht schon alle Hände voll zu tun hätte, will Oma Edith sie nun auch noch unbedingt unter die Haube bringen – aber führt der beste Weg zu Tinkas Traummann wirklich über eine Datingbörse? Und was hat ausgerechnet David Wolf dort zu suchen, der stets etwas verstrubbelte junge Leiter des Seniorenheims Caecilienstift?

Über die Autorin:

Karin Spieker lebt mit ihrem Mann bei Paderborn. Nach einem Studium der Literatur- und Medienwissenschaften arbeitete sie zunächst im PR-Bereich und als Werbetexterin, bevor sie ihre ersten Jugendromane und romantischen Komödien schrieb. Neben dem Schreiben ist die Musik ihre große Leidenschaft: Sie singt, spielt Klavier und engagiert sich in verschiedenen Ensembles.

Die Website der Autorin: www.karin-spieker.de

Bei dotbooks veröffentlichte Karin Spieker auch ihren Roman »Mandelblütenträume«, der als eBook- und Printausgabe erhältlich ist.

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Überarbeitete eBook-Neuausgabe Juni 2022

Dieses Buch erschien bereits 2018 unter dem Titel »Schlagerfeen lügen nicht« bei MIRA.

Copyright © der Originalausgabe 2018 by Karin Spieker und by MIRA Taschenbuch in der HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter shutterstock/Luria, Julia_Lily, Katsiaryna Chumakova, Plateresca

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-98690-236-0

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Karin Spieker

Das Lied der Sternschnuppen

Roman

dotbooks.

Kapitel 1

Achtundsiebzig Augenpaare waren erwartungsvoll auf mich gerichtet, als ich die kleine Bühne betrat und mich auf den Klavierhocker setzte. Nur das leise Klappern einer Kaffeetasse störte die Stille.

Ich schlug die ersten Töne an, setzte den lasziven Zarah-Leander-Blick auf, den ich lange im Spiegel meines Musikraumes geprobt hatte, und legte los: »Jeder kleine Spießer macht das Leben mir zur Qual, denn er spricht nur immer von Moral.«

Schon nach den ersten Takten wippten an allen Tischen Hände und Füße im Rhythmus der Schlagermelodie.

»Kann denn Liebe Sünde sein?«, trällerte ich. Das Eis war gebrochen, allmählich kam ich in Stimmung.

In der ersten Reihe saß eine winzige runzelige Dame in rosafarbener Bluse. Ihre Augen waren geschlossen, und auf ihrem Gesicht lag ein seliges Lächeln. Leise summte sie den Refrain mit. Wie schön! Vielleicht hatte ihr ein hübscher Soldat vor vielen Jahrzehnten zu diesem Song einen Kuss gestohlen. Vielleicht hatte eine Kapelle das Lied auf ihrer Hochzeit gespielt. Vielleicht hatte sie es auch einfach nur immer wieder im Radio gehört, zu einer Zeit, in der sie noch hatte tanzen können und nicht wie heute im Rollstuhl sitzen musste.

Während ich weitersang und beobachtete, wie der ganze Raum zum Leben erwachte und mich immer mehr Zuhörer anstrahlten, schaute ich in regelmäßigen Abständen zu der Dame in der rosafarbenen Bluse, die so glücklich aussah. Allein für sie hatte sich mein Auftritt heute schon gelohnt.

»Lieber will ich sündigen mal, als ohne Liebe sein!«, sang ich und ließ die letzten Töne meines Eröffnungssongs auf dem Klavier verklingen.

Die glückliche Dame applaudierte begeistert. Ein paar andere folgten ihrem Beispiel. Der weißhaarige Herr mit der dicken Brille, der mir eben noch so frech zugezwinkert hatte, rief lautstark: »Bravo! Bravo!«

Ich strahlte und nickte ihm dankend zu. Das lief ja großartig! Alle amüsierten sich.

Leider währte die selige Harmonie nicht ewig: Von meinem nächsten Lied, Davon geht die Welt nicht unter, schaffte ich nur die ersten beiden Strophen, dann schimpfte ein Zuhörer aus der hintersten Reihe plötzlich lautstark: »Gib endlich Ruhe, du!«

Ich kannte ihn vom Sehen, er lebte in der Demenzgruppe.

»So ein Lärm! Gib Ruhe!«

Seine Tischnachbarinnen zischten ihn verärgert an. Eine junge Pflegerin, die gerade eine Bewohnerin im Rollstuhl zur Toilette begleitet hatte, huschte herbei und redete beruhigend auf den Störenfried ein. Am Rande registrierte ich, dass sie ihn schließlich mit sanfter Gewalt aus dem Saal dirigierte. Ich würde mich bei Gelegenheit bei ihr bedanken.

Leider sang jetzt eine Dame in der ersten Reihe kräftig mit. Das hätte nicht weiter gestört, wenn sie das Lied nicht in einer anderen Tonart und in einem anderen Tempo als ich zum Besten gegeben hätte. Liebe Güte, die Frau konnte für ihr Alter wirklich außerordentlich hohe Töne produzieren!

Ich unterdrückte ein Schmunzeln und vertraute darauf, dass sich das Problem der Mitsängerin wie so häufig von selbst regeln würde. Und richtig. Schon stieß die rechte Sitznachbarin die Sängerin kräftig an. Die linke Sitznachbarin, eine gepflegte Dame im auffällig gemusterten Seidenkleid, posaunte so laut, dass der ganze Saal es hören konnte: »Wir möchten das hören, Frau Hahn, und zwar nicht von Ihnen!«

Die ambitionierte Frau Hahn verstummte und sah beleidigt aus.

Nur mit äußerster Selbstbeherrschung konnte ich mein Schmunzeln zurückhalten. Himmel, ich musste dringend diese Liebes-Schmonzette zu Ende bringen und ein lustiges Lied anstimmen. Eins, bei dem ich mein Dauergrinsen auf den Inhalt des Liedes schieben konnte. Vielleicht Lass mich dein Badewasser schlürfen? Da lachte normalerweise der ganze Saal.

Mein Blick glitt über das greise Publikum. In der Mitte des Saales blieb ich hängen. Da saßen meine liebsten Musikschüler und treuesten Fans: die Bewohner aus dem Seniorenheim Caecilienstift, die von ihrem engagierten Heimleiter Herrn Wolf zum Maifest in das Seniorenheim Kastanienhof transportiert worden waren. Käthe, Irma und Erwin strahlten mich an. Besonders stolz leuchtete das Gesicht meiner Oma Edith. In der Familie amüsierten wir uns gern darüber, wie eitel Oma Edith war, und auch heute sah sie wieder wie aus dem Ei gepellt aus. Sie war ihr Leben lang groß und schlank gewesen und war jetzt, im Alter, etwas hager und hohlwangig. Meist trug sie besonders weibliche, helle Kleidung, um nicht zu hart zu wirken, wie sie sagte. Ihre weißen Haare waren in perfekte Wellen gelegt, ihre Nase war sorgsam gepudert, auf ihren Wangen lag ein Hauch von Rouge. Ihre cremefarbene Hose und die geblümte Bluse saßen tadellos und wirkten sehr edel.

In meinem Fanblock wurde weder laut und falsch mitgesungen noch um Ruhe gebeten. Hier feierte man die Schlager, die ich anstimmte, man schunkelte und wiegte sich im Takt und klatschte an den richtigen Stellen.

Sogar Herr Wolf sah animiert aus. Zumindest lächelte er, und beim Refrain von Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt hakte er sich bei meiner Oma ein und schunkelte mit den Senioren im Takt. Nett von ihm, dass er sie begleitete. Ich wusste, dass er um diese Zeit eigentlich schon Feierabend hatte.

Voller Elan begann ich mein nächstes Lied und ließ meinen Blick weiterwandern. Ich hatte das Gefühl, dass fast alle im Saal bei mir und meiner Musik waren. Selbst die beleidigte Frau Hahn in der ersten Reihe schaute wieder ganz entspannt, und wenn ich mich nicht irrte, bewegten sich ihre Finger ganz sachte im Takt.

Ich sang noch eine gute halbe Stunde weiter, dann beendete ich meinen Auftritt, denn von draußen wehten intensive Grilldüfte herein, und im Publikum wurde es unruhig. Immer mehr graue und weiße Häupter wandten sich zur Tür. Ich sah auf die Uhr – Abendessenzeit, natürlich. Immerhin hatten sie mir eine gute Stunde voller Hingabe zugehört und sich amüsiert, das war für ein Ü80-Publikum eine lange Zeit.

Der Schlussapplaus fiel kurz und herzlich aus. Auch daran war ich gewöhnt. Mit alten, steifen Fingern klatscht es sich nicht gut. Auf dem Weg zum Buffet schlurften einige Zuhörerinnen mit ihren Rollatoren an mir vorbei und lobten meinen Auftritt.

»So was Schönes!«

»Ganz toll, Ihre Konzerte sind immer ganz toll! Ich kannte alle Lieder! Ich hätte alle Texte mitsingen können!«

»Herrlich, dass eine junge Frau wie Sie deutsche Lieder singt. Überall hört man immer nur dieses Englisch ...«

Ich freute mich über die ehrliche Begeisterung, die mir entgegenschlug, und bedankte mich artig für jedes Lob.

Als der kleine Ansturm der Seniorinnen sich gelegt hatte, kam auch Herr Wolf zu mir herüber. Wie immer wirkte er leicht verwahrlost. Ich wusste nie, ob das an seinem nachlässigen Styling lag oder daran, dass er für seine eins neunzig eine ganze Ecke zu dünn war. Jedenfalls weckte sein Anblick in mir jedes Mal den Wunsch, ihm etwas zu essen zu kaufen und mit einem Kamm durch seine Haare zu fahren.

So auch heute: Er hatte sich wohl seit mindestens zwei Tagen nicht rasiert, und die dunklen strubbeligen Haare reichten bis zu seinem Hemdkragen und fast an die Ohrläppchen.

Das dunkelblaue Hemd war zerknittert und nur grob in die Jeans gesteckt worden, schwarzgraue Trekkingschuhe lugten unter der Hose hervor. Ich wusste aus zahlreichen Besuchen im Caecilienstift, dass Herr Wolf dieses Outfit gern mit einer schlammfarbenen Outdoorjacke und einem marineblauen Fahrradhelm komplettierte. Seine Kleidung erinnerte mich an meinen Physiklehrer aus der Oberstufe.

Nicht zum ersten Mal wunderte ich mich darüber, wie jemand mit einer so schlampigen äußeren Erscheinung an einen so verantwortungsvollen Job hatte kommen können.

Er begrüßte mich mit einem festen, trockenen Händedruck. »Frau Kuhn! Da könnte man ja fast Schlagerfan werden, wenn man Ihnen zuhört.« Sein Lächeln wirkte herzlich und echt.

»Herr Wolf! Das ist aber nett, dass Sie Ihre Leute begleiten!«

»Na ja, ich hatte zufällig nichts vor. Und Ihre Oma hat sich heute Morgen extra runter ins Büro geschleppt und um diesen Ausflug gebettelt.«

»Ehrlich?« Ich musste lachen. »Oma Edith war bei Ihnen?«

Er lachte mit. »Nicht direkt bei mir, sie hat den sozialen Dienst bekniet. Aber so spontan konnten die natürlich nichts mehr organisieren. Und da habe ich mich eben angeboten. Ich höre Ihnen gern zu, außerdem lohnt es sich immer, andere Einrichtungen auszuspionieren. Ich finde ...«

»Tinka!« Jetzt war auch Oma Edith mit ihrem Rollator bei uns angekommen. Herr Wolf zuckte bedauernd mit den Schultern und machte ihr Platz.

Oma Edith umarmte mich. »Das war wieder toll, Tinka! Helene Fischer ist nichts gegen dich. Wenn ich noch könnte, hätte ich getanzt.«

»Danke, Oma. Freut mich, dass es euch gefallen hat!«

»Die anderen sind schon draußen am Buffet, Irma und Käthe sind immer so gierig.«

Ich wusste genau, dass auch Oma es kaum erwarten konnte, an eine Bratwurst zu kommen. Sie war auf ihre alten Tage ganz schön verfressen geworden! Und wer wollte es ihr vorwerfen? Wenn man kaum noch gehen konnte, schlecht sah und schlecht hörte und die Finger nur noch gröbste Aufgaben verrichten wollten, blieben nicht mehr viele andere Vergnügungen übrig.

Leider war gutes Essen im Leben meiner Oma selten geworden. Im Caecilienstift arbeitete zwar engagiertes Personal, das den Bewohnern das Leben so schön wie möglich machte, aber das Essen lieferte eine Großküche. »Gut« war es nie, »ganz essbar« war das höchste Lob, das meine Oma je dazu abgab.

»Dann geh du auch mal zum Buffet und pass auf, dass Irma und Käthe sich die Teller nicht zu voll laden«, schlug ich ihr vor.

»Ja, das sollte ich wohl. Die beiden nehmen sich immer viel zu viel, und dann jammern sie wieder tagelang, dass sie fettes Essen nicht vertragen ...«

Kopfschüttelnd schlurfte meine Oma davon. Ich musste schon wieder grinsen. Von wegen aufpassen! Oma hatte Angst, dass die anderen ihr die besten Stücke wegschnappten. Der Futterneid unter den Bewohnern des Caecilienstifts war legendär.

Herr Wolf stand noch immer neben mir. Als ich ihn ansah, merkte ich, dass auch er sich ein Grinsen verkniff.

»Hey, niemand außer mir lacht über meine Oma«, rügte ich ihn.

Das Grinsen verschwand sofort. »Entschuldigung. Das war unprofessionell«, sagte er.

»Quatsch!« Ich zwinkerte ihm belustigt zu. »War nur Spaß. Ich find’s völlig normal, dass man bei dieser mühsam getarnten Gier manchmal lachen muss. Sie wären ja kein Mensch, wenn Ihnen das anders ginge als mir.«

Herr Wolf entspannte sich sichtlich, und das Grinsen kehrte zurück. Er kann richtig jugendlich aussehen, wenn er lacht, stellte ich überrascht fest.

Wahrscheinlich war er gar nicht so viel älter als ich.

»Da bin ich aber beruhigt«, sagte er. »Ich dachte schon, jetzt hätte ich Ihnen die Laune verdorben.«

»Das schafft nach einem Auftritt keiner so leicht. Ich liebe es einfach, für Senioren zu singen. Sie reagieren so stark auf Musik wie kein anderes Publikum.«

»Das ist wahr. Und die Wirkung ist bestimmt noch stärker, wenn die Musik von jemandem gemacht wird, der beim Singen so leuchtet wie Sie.«

Oh, ein Kompliment. Darauf war ich nicht vorbereitet. Sofort lief ich rot an und brach wie eine Dreizehnjährige in hysterisches Gegacker aus. Eine ganz normale Reaktion für mich. Leider.

Herr Wolf wirkte irritiert. »Das war ernst gemeint, wissen Sie?«

Ich kicherte immer noch, bemühte mich aber, die Situation zu retten. »Das weiß ich doch, vielen Dank. Leider kann ich mit meinen fünfunddreißig Jahren immer noch nicht mit Komplimenten umgehen. Aber ich arbeite daran.«

Wir schwiegen verlegen. Bravo, Tinka, mal wieder hast du ein nettes Gespräch kaputtgemacht. Oder vielmehr: kaputtgelacht.

Zum Glück kam in dem Moment Dagmar auf uns zu, die im Kastanienhof im sozialen Dienst arbeitete. Ihre hennaroten Locken wehten mit ihrem weiten olivgrünen Naturfaserkleid um die Wette.

Sie gab erst Herrn Wolf, dann mir die Hand. »Hallo David, hallo Katharina. Sehr schön, meine Liebe, es hat mir wieder gut gefallen! Und die Bewohner mochten es auch, ich hab schon einige begeisterte Stimmen gehört.«

»Danke, Dagmar. Mir hat es auch Spaß gemacht. Immer wieder gern.«

»Und du, David, was machst du hier? Ist dir das Personal ausgegangen, dass du eure Bewohner nun selbst fahren musst?«

»Es reißt sich ja nie jemand um diese Begleitfahrten nach Feierabend«, antwortete Herr Wolf. »Da habe ich mich eben auch mal angeboten. Frau Kuhns Großmutter wollte so gern herkommen ...«

»Nett von dir!« Dagmar strahlte uns an. »Ich freue mich immer, wenn Gäste aus anderen Einrichtungen hier sind. Das macht alles ein bisschen bunter, nicht wahr?«

Mit diesen Worten entschwebte sie und hakte wenige Meter später einen ihrer Schützlinge unter.

»Kennen Sie beide sich näher?«, erkundigte ich mich, während wir ihr nachsahen.

»Etwas. Wir waren mal Kollegen. Nach dem Studium habe ich ein paar Jahre mit ihr zusammengearbeitet. Ich habe sozusagen bei ihr gelernt.«

»Ach so.« Und jetzt? Mir fiel nichts mehr ein. Auch Herr Wolf stand nur vor mir und sah auf seine Fußspitzen. Ich hasste diese Situationen, die Small Talk erforderten. Darin war ich noch nie gut gewesen. Er offenbar auch nicht.

»Ja dann ... Wir sehen Sie am Montag bei uns, richtig?«

Ich nickte. Montags leitete ich eine Musikgruppe im Caecilienstift. »Natürlich. Wie immer.«

»Dann gehe ich jetzt auch mal gucken, was das Buffet so zu bieten hat. Auf Wiedersehen, Frau Kuhn.«

»Auf Wiedersehen.«

Ich atmete erleichtert auf, als Herr Wolf mit ausholenden Schritten in Richtung Salattheke verschwand. Komisch, das Gespräch hatte so nett begonnen und sich dann so merkwürdig entwickelt. Alles nur, weil ich meine Lachmuskeln mal wieder nicht unter Kontrolle gehabt hatte, und das war leider kein Einzelfall.

Ich lachte, wenn ich nervös war oder gute Laune hatte, wenn ich Unsinn redete, wenn mir nichts einfiel, wenn etwas niedlich oder eklig oder extrem tragisch war, wenn etwas total übertrieben war oder total simpel, wenn etwas herunterfiel ...

Ich konnte kichernd und nach Luft ringend in der Fußgängerzone stehen, nur weil ich über meinen Schnürsenkel gestolpert war (schon passiert). Ich lachte sogar, wenn jemand sauer auf mich war. Wenn sich etwas Überraschendes ereignete, reagierte ich allzu oft nicht angemessen und noch weniger erwachsen darauf. Andere Menschen waren in solchen Situationen betroffen oder schockiert oder wütend – ich brach in lautes Lachen aus.

Meine Freundin Nik und meine Schwester Eva kannten meine Lachanfälle so gut, dass sie mein Gegacker meist ignorierten. Nik nutzte die Zeit, bis ich mich wieder beruhigt hatte, um auf dem Balkon eine Zigarette zu rauchen. Eva ging zur Toilette oder scherzte mit ihren Sprösslingen.

Mein Exfreund Daniel fand meine Lachanfälle anfangs superniedlich, später dann supernervig. Als er mir vor etwa einem halben Jahr – kurz vor Weihnachten, wie reizend – gebeichtet hatte, dass er seit drei Monaten mit seiner Kollegin schlief und am Wochenende bei ihr einziehen wollte, dauerte es nur wenige Minuten, bis ich vor Lachen fast keine Luft mehr bekam.

Die Absurdität der Situation! Er betrog mich! Seit Monaten! Er wollte ausziehen!

Dabei war ich insgeheim nur deshalb so lange mit ihm zusammengeblieben, weil er ein sicherer Heiratskandidat zu sein schien und ich mir unbedingt Kinder wünschte. Ein etwas langweiliger Mann wie Daniel würde immer bei mir bleiben und ein treu sorgender Ehemann werden, hatte ich mir eingeredet. Dass ich mich schon lange nicht mehr mit ihm wohlfühlte, hatte ich mir nie eingestehen wollen. Und jetzt das!

Daniel verließ unsere – meine! – Wohnung, während ich mich vor Lachen auf dem Sofa wälzte, das Gesicht tränenüberströmt.

»Du bist wirklich total irre, Tinka!«, waren seine letzten Worte, und damit setzte er unbeabsichtigt noch einen drauf.

Er schlief mit seiner Kollegin, und ich sollte in dieser Angelegenheit die Irre sein? Wenn das nicht urkomisch war!

Ich hatte mich noch lange geschüttelt, bis das Lachen allmählich in wütendes Heulen übergegangen war. Dann hatte ich Nik angerufen und gemeinsam mit ihr jeden Gedanken an Daniel und seine blöde Kollegin weggefeiert.

Peinliche Situationen wie das unangenehme Gespräch mit Herrn Wolf waren also ganz alltäglich für mich. Zum Glück hatte ich keine Zeit, lange über den missglückten Small Talk mit dem Heimleiter nachzudenken. Drei sehr pünktliche und hochmotivierte Musikschüler warteten noch auf mich, und langsam musste ich zusehen, dass ich loskam.

Ich packte meine Noten ein und drehte schnell eine kleine Runde durch den Speisesaal, um mich von den wichtigsten Leuten zu verabschieden. Das ging schnell und formlos vonstatten – auch im Seniorenheim Kastanienhof leitete ich wöchentlich eine musikpädagogische Gruppenstunde, daher kannte man sich gut.

Die Senioren waren sowieso vollauf in den Genuss von Bratwurst mit Kartoffelsalat vertieft, sie bemerkten meinen Abgang gar nicht.

Kapitel 2

Auf der Heimfahrt sang ich gut gelaunt vor mich hin. Ich musste zwar heute noch arbeiten, aber das störte mich nicht, im Gegenteil, ich freute mich auf meine Schüler.

Vor zwei Jahren hatte ich eine der besten Entscheidungen meines Lebens getroffen: Ich hatte mich beruflich neu orientiert und mich auf das Musikmachen für und mit Senioren spezialisiert.

Alles hatte damit angefangen, dass Oma Edith ins Seniorenheim umgesiedelt war. Bei einem meiner Besuche dort merkte ich zum ersten Mal, was für eine Bedeutung Musik für alte Menschen haben konnte. Als ich in der Wohngruppe spontan mit Oma Edith ein paar Lieder anstimmte, sangen plötzlich alle mit. Sogar die beiden schwer dementen Frauen am Nachbartisch nahmen auf einmal am Gruppenleben teil. Ich glaube, dass ich da zum ersten Mal überhaupt ihre Stimmen hörte. Hängende Mundwinkel bewegten sich nach oben, Augen strahlten, müde Arme hoben sich. Ich war fasziniert von dieser unglaublichen Wirkung, die ich einem schlichten Schlager nie zugetraut hätte. Hatte ich das nicht irgendwann mal gewollt? Menschen mit meiner Musik glücklich zu machen?

Ich erinnere mich noch genau, wie Oma Edith und ich danach in ihrem Zimmer saßen und ich geradezu elektrisiert zu ihr sagte: »Oma, ich glaube, ich gründe eine Musikschule für Senioren! Ich könnte in Seniorenheime fahren und dort mit den Bewohnern musizieren. Und ich könnte in einem eigenen kleinen Musikraum Menschen unterrichten, denen in jungen Jahren kein Musikunterricht vergönnt war. Was hältst du davon?«

Zunächst hielt Oma wenig davon. »Du willst dich selbstständig machen? Das kommt aber plötzlich«, erwiderte sie und setzte eine zweifelnde Miene auf. »Ich dachte, du unterrichtest gern an der städtischen Musikschule.«

»Na ja«, sagte ich, »es ist auszuhalten. Aber die meisten Kinder üben nie und sitzen nur neben mir am Klavier, weil ihre Eltern es so wollen. Mit denen klimpere ich Woche für Woche die gleichen Stücke durch, es gibt kaum eine Entwicklung. Natürlich habe ich auch ein paar Schüler, die richtig begeistert Klavier spielen. Nette, begabte Kinder. Aber davon gibt es gerade genug, um mich vor dem Durchdrehen zu bewahren.«

»Das hast du noch nie so deutlich gesagt.« Oma Edith sah mich besorgt an.

»Es nützt ja auch nichts, oder? Wenn man Musik studiert hat, kann man unterrichten oder man ist so gut, dass man es auf die große Bühne schafft. So gut bin ich leider nicht. Wenn ich das nach dem Abi gewusst hätte ...«

»Aber du hast doch diese Engagements als Barpianistin. Die machen dir doch Spaß?«

»Sicher. Aber es ist unheimlich schwer, da an Aufträge zu kommen, die Konkurrenz ist zu groß. Außerdem zahlt kaum ein Veranstalter für Hintergrundgeklimper ein angemessenes Honorar.«

Oma Edith legte den Kopf schräg. »Und deshalb willst du jetzt alles umschmeißen und etwas ganz Neues machen? Dann lass mal hören, was genau du dir da vorstellst.«

Wir hatten lange geredet. Über die Bedürfnisse von Senioren, über ihren Musikgeschmack und ihre Fähigkeiten. In der Rolle der Ratgeberin und Sachverständigen glänzte Oma Edith immer gern.

Als ich mich zur Abendessenzeit von ihr verabschiedete, lag mein neuer Berufsweg klar vor mir.

»Diese Seniorenmusikschule könnte einen Versuch wert sein«, gab Oma nach unserem Gespräch zu. »Wenn ich es jemandem zutraue, dann dir. Alle in meiner Wohngruppe lieben dich! Und wenn du eine stille Teilhaberin suchst, die einen Teil ihrer Ersparnisse in dein Projekt steckt und ansonsten die Schnute hält ...«

»Das wäre toll, danke Oma!« Ich drückte sie kurz. »Gut, dass du mir schon im Kindergarten all die alten Lieder beigebracht hast«, sagte ich zum Abschied.

»Schon lange vor dem Kindergarten! Schon mit zwei Jahren konntest du Das Wandern ist des Müllers Lust auswendig. Alle Strophen! Das musste ich nämlich immer für dich singen, wenn wir zwei spazieren waren.«

Oma Edith hatte vor Stolz gestrahlt.

Jetzt, zwei Jahre später, hatte ich meinen Traum umgesetzt.

Herbstklänge hieß meine Schule, und ich bereute keine Sekunde, dass ich sie gegründet hatte, denn meine Idee war eingeschlagen wie eine Bombe. Ich hatte mich im Bereich Musikgeragogik weitergebildet, zielgruppengerechte Programme entwickelt und musizierte begeistert mit den Älteren und den Allerältesten. Meine Arbeit machte mich zwar immer noch nicht reich, aber wenigstens glücklich.

Besonders viele Anrufe erhielt ich von frisch gebackenen betuchten Rentnern, die ihre neu gewonnene Freizeit mit Klavier- oder Gesangsstunden füllen wollten.

In dem kleinen Anbau, der zu unserem Mietshaus gehörte und den ich zu einer kleinen Musikschule umgebaut hatte, gab ich Einzelstunden und bot außerdem regelmäßig einen Grundkurs Musik an.

In drei Seniorenheimen leitete ich wöchentliche Musikgruppen. Dort wurde gesungen und geklatscht, wir gestalteten Musikstücke rhythmisch. Mit einigen sehr musikalischen Teilnehmern im Caecilienstift, zu denen auch meine Oma gehörte, übte ich sogar von Zeit zu Zeit mehrstimmige Lieder ein.

Wie gesagt, mein Angebot kam an. Ich hätte inzwischen rund um die Uhr für Seniorenheime und späte Musikanfänger im Einsatz sein und außerdem weitere Musiklehrer auslasten können. Aber da war noch mein zweites berufliches Standbein, nämlich meine Auftritte als Schlagersängerin, für die ich Luft im Kalender lassen musste.

Angefangen hatte es vorletztes Jahr: Die Musikgruppe, die eigentlich beim Sommerfest im Haus Lebensfreude auftreten sollte, hatte kurzfristig abgesagt. Ersatz war auf die Schnelle nicht aufzutreiben, und so bat mich der Heimleiter fast schon auf Knien, ein paar schmissige Lieder zum Besten zu geben. Ich ließ mich erweichen.

Auf der Suche nach geeignetem Repertoire wandte ich mich wieder einmal an Oma Edith. Die gab mir den Tipp, die Schlager der Dreißiger- und Vierzigerjahre zu durchforsten.

Um mich zu überzeugen, sang sie mir eins ihrer früheren Lieblingslieder vor: Bei mir bist du schön. Als sie begann, klang sie noch zaghaft: »Of all the boys I’ve known and I’ve known some, until I first met you I was lonesome.«

Aber dann sang sie sich in Rage. Den Refrain schmetterte sie voller Leidenschaft und mit leuchtenden Augen: »Bei mir bist du schön, please let me explain ...« Irgendwann löste sie sogar beide Hände vom Rollator, wiegte sich leicht in den Hüften und unterstrich ihren Gesang mit großen Gesten. Obwohl ich wusste, dass Oma Edith nie Englisch gelernt hatte, saß jedes Wort. Sie musste diesen Song schon tausend Mal gehört haben!

Nachdem ich ihrer Darbietung gelauscht und ausgiebig applaudiert hatte, wusste ich zwei Dinge: dass Oma Edith in ihrer Jugend eine ziemliche Rampensau gewesen sein musste und dass ich genau solche Lieder im Haus Lebensfreude zum Besten geben wollte. Diese Freude, die Oma Edith beim Singen versprüht hatte, wollte ich in den Augen meiner Zuhörer lesen.

Im Musikladen stieß ich auf eine Sammlung von Schlagern aus den Zwanziger-, Dreißiger- und Vierzigerjahren. Oma Edith hatte mir nicht zu viel versprochen: Die Texte waren mal erstaunlich tiefsinnig, dann wieder richtig witzig.

Mit Begeisterung übte ich plötzlich alte, vorwiegend deutsche Schlager. Und als ich fünf Tage später auf dem Sommerfest Bei mir bist du schön anstimmte und mein Publikum glücklich den Text mitsingen, schunkeln und nach Zugaben rufen hörte, wusste ich, dass ich auf eine Marktlücke gestoßen war.

Auf das Engagement im Haus Lebensfreude folgten viele weitere Konzerte, und inzwischen trat ich fast wöchentlich auf irgendeiner Seniorenveranstaltung auf. Einige Feste waren eher familiärer Natur – wie zum Beispiel das Maifest im Kastanienhof –, andere waren groß und äußerst lukrativ für mich.

Ich sang bei Vereinsjubiläen, Ehemaligentreffen, Schützenfesten. Je nach Alter des Publikums erweiterte ich dann mein Schlagerrepertoire mit einigen Hits aus den Siebziger- und Achtzigerjahren. Ich liebte diese Auftritte, denn mein Publikum war fast immer dankbar. Es war schön, bei meinen Zuhörern glückliche Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend herbeizuzaubern und dafür auch noch bezahlt zu werden.

Einen Wermutstropfen gab es allerdings: Kaum jemand in meiner Verwandtschaft oder Bekanntschaft wusste von meinem Bühnenleben als Schlagerfee. Lediglich Oma Edith und meine kleine Schwester Eva nebst Gatten waren eingeweiht und mussten mir etwa einmal monatlich schwören, dass sie mit niemandem über meine Engagements sprechen würden.

Nicht mal mit meinen Eltern.

Die wussten natürlich, dass ich gelegentlich in Omas Seniorenheim sang, aber mehr wussten sie nicht. Eva konnte mir noch so oft versichern, dass die beiden bestimmt nicht enttäuscht sein würden, weil ihre Tochter als Alleinunterhalterin arbeitete – so ganz überzeugt war ich davon nicht.

Immerhin hatte ich Musik studiert! Ich hatte unglaublich viel Schweiß und Tränen in meine Ausbildung gesteckt. Ich hatte jahrelang jeden Tag mehrere Stunden geübt. Ich hatte am Klavier gesessen, bis mein Rücken fast durchgebrochen war, und ich hatte im Gesangsunterricht oft geheult, weil eine Arie einfach nicht laufen wollte, obwohl ich ihr mein ganzes Wochenende geopfert hatte. Natürlich hatte ich immer gehofft, dass sich die viele Arbeit irgendwann auszahlen würde. In meinen Träumen hatte ich mich auf den Bühnen großer Konzerthäuser gesehen – Katharina Kuhn spielt Schumanns Klavierkonzert in a-Moll in der Kölner Philharmonie oder notfalls auch in der Stadthalle von Posemuckel. Das hätte ich zu gern mal auf einem Plakat gelesen!

Schlager oder Seniorenheime waren in meinen und in den Träumen meiner Kommilitonen nie vorgekommen.

Nein, ich sprach nicht gern über meine Engagements als Senioren-Alleinunterhalterin. Ehrlich gesagt waren sie mir manchen Leuten gegenüber richtig peinlich.

Am Samstagabend strampelte ich durch das örtliche Industriegebiet und traf mich mit denen, die wahrscheinlich am wenigsten von meiner Schlagerkarriere halten würden – falls ich mich je traute, ihnen davon zu erzählen.

Es handelte sich um meine alte Clique, genauer gesagt, um meine beste Freundin Nik, die eigentlich Annika hieß, und um Steffen, Antje und Thomas.

Sie alle hatten Musik studiert, waren tolle Menschen und neben mir die Mitglieder von Damaged Fantasies – einer Band, die Nik, Steffen und ich vor fast fünfzehn Jahren an der Uni gegründet hatten und die seitdem jedes Wochenende auf dem Gelände der alten Stahlfabrik probte. Wir spielten in einem ungenutzten Lagerraum, und niemanden störte es, wenn wir hier abends lärmten.

Verzweifelt versuchte ich, durch o-beinige Tretbewegungen meine dünne Sommerhose von der Fahrradkette fernzuhalten. Wie doof musste man eigentlich sein, um in meinem Alter auf ein Reflektorband ums Hosenbein zu verzichten, nur damit keiner einen blöden Kommentar abgab? Bei diesem Gedanken blockierten prompt die Pedale.

»Scheiße!«, zischte ich herzhaft, bremste sofort und stieg, so gut es ging, vom Rad. Jetzt war es passiert. Mein rechtes Hosenbein hing in der Kette. Na toll!

Mühsam humpelnd schob ich das Rad an eine Mauer und befreite den verhedderten Stoff aus seinem öligen Gefängnis. Selbstverständlich hatte die Hose danach ein kleines Loch, das von einem fetten schwarzen Ölfleck markiert wurde.

Fluchend krempelte ich die Hosenbeine so hoch wie möglich, stieg zurück auf mein Fahrrad und legte die letzten Meter bis zum Probenraum zurück. Jetzt sah ich zwar richtig bescheuert aus, aber noch so einen Kettenunfall wollte ich nicht riskieren. Beim nächsten Mal flog ich womöglich vom Rad.

Ich war wütend auf mich selbst.

Warum war es mir immer noch so wichtig, jede Peinlichkeit zu vermeiden? Hätte ich zu Hause nicht einfach mein spießiges Reflektorband anlegen und meine kleine Radtour genießen können? Warum wollte ich von meinen Freunden immer noch so gern für cool gehalten werden? Sollte es mir nicht allmählich egal sein, was andere von mir dachten?

Ich seufzte tief.

Natürlich sollte mir so etwas längst egal sein, aber das war es nicht. Und obwohl ich das ziemlich schwach von mir fand, wusste ich nicht, wie ich meine Haltung ändern sollte.

Dass ich den anderen nicht längst etwas von meinen Auftritten als Schlagerfee erzählt hatte, passte leider nur zu gut in dieses Bild. Aber Nik, Steffen, Antje und Thomas waren nun mal grauenvolle musikalische Snobs. »Mainstream« galt als großes Schimpfwort in unserer Band. Popmusik sei nur etwas für ungebildete, verblödete Massen, posaunte Steffen immer.

Die Musik, die wir spielten, war dementsprechend zwischen Jazz und Artrock angesiedelt, gewürzt mit gelegentlichen, sehr düsteren Metal-Ausflügen. Für Nicht-Musiker klang das bisweilen eher anstrengend und schräg, sodass wir häufig umsonst auftraten und außerdem einige Jazz-Standards coverten, damit wir überhaupt Auftritte bei Partys oder in Clubs ergatterten.

Nik, Steffen und Thomas kotzte das an.

Wenn Nik ein Bier zu viel getrunken hatte, schwafelte sie gerne über den generell unverstandenen deutschen Künstler, der sich prostituieren müsse, um zu überleben. Im Stillen dachte ich dann jedes Mal, dass mir ein Künstler, der sich prostituierte, indem er populäre Kost darbot, weit lieber war als ein vollkommen ratloses Publikum.

Ich persönlich spielte unsere Cover-Songs lieber als die wilden, oft sehr dissonanten Ton- und Rhythmusgebilde, die Steffens Songwriter-Hirn entsprangen. Und ich wusste, dass es Antje insgeheim genauso ging.

Im Grunde ging ich aber schon lange nicht mehr der Musik wegen zu unseren Proben, sondern um Zeit mit meiner Clique zu verbringen. Nachdem wir ein, zwei Stündchen gespielt hatten, quatschten wir oft bis in die Nacht oder zogen gemeinsam um die Häuser.

So lief es auch heute. Seit etwa einer Stunde arbeiteten wir an Steffens neuester Kreation, einem Song mit dem schönen Namen Yawning Abysses. Wie der Titel schon ahnen ließ, weckte Steffens düstere Musik in mir den Wunsch, mich in den gähnenden Abgrund zu stürzen, den wir besangen und bespielten. Ich fragte mich, ob diese Wirkung beabsichtigt war.

Zum Glück war es heute Thomas, der die Probe beendete. Sonst waren es fast immer Antje oder ich, die keine Lust mehr hatten und die Instrumente als Erste in die Ecke stellten. Ich hatte Angst, dass das allmählich auffallen und zu unbequemen Gesprächen mit Steffen führen könnte.

»Mir reicht’s erst mal!« Thomas legte die Drumsticks beiseite. Dann stand er auf, ging zum Kühlschrank und nahm sich ein Bier.

»Bring mir auch eins mit!«, rief Steffen ihm zu.

»Für mich auch«, sagte Nik.

»Tinka? Antje?« Thomas sah uns an.

Antje legte ihre Bassgitarre beiseite. »Ach, was soll’s ...«

»Klar«, murmelte ich und schaltete das Keyboard aus.

Wir zogen mit unseren Bieren auf die beiden Sofas um, die über Eck um einen Couchtisch standen, und legten die Füße hoch. Die Möbel hier in unserem Probenraum waren abgrundtief hässlich und reichlich ramponiert, aber das war uns egal. Steffen hatte alles vor fünfzehn Jahren angeschleppt, als der Haushalt seiner verstorbenen Uroma aufgelöst worden war. Lediglich den Kühlschrank hatten wir irgendwann neu angeschafft, nachdem der Uroma-Kühlschrank seinen Geist aufgegeben hatte.

Die altmodischen, verschnörkelten Möbel bildeten einen seltsamen Kontrast zu den schwarz gestrichenen Wänden, die mit Postern und Konzerttickets gepflastert waren. In einer Ecke des Raums stapelte sich Leergut, in der anderen Ecke standen zwei Regale, die mit einem Wust aus Zetteln voll gestopft waren. Über allem lag eine dicke Dreck- und Staubschicht. Unsere letzte gemeinsame Putzaktion lag schon wieder viel zu lange zurück. Trotzdem war ich gern in unserem Probenraum. Hier schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Wir waren alle längst in den Dreißigern angekommen. Thomas war sogar schon vierzig, hatte einen kleinen Bauchansatz, graue Schläfen und zwei halbwüchsige Kinder. Aber hier durften wir weiterhin extrem cool tun. Und Putzen total spießig finden.

Unsere Bierflaschen klirrten aneinander, dann sackten wir gemütlich in die weichen Polster. Die Männer begannen sofort ein Gespräch über Steffens neues Motorrad, Antje warf eine riesige Plastiktüte zu mir herüber. »Danke fürs Leihen, Tinka.«

»Kein Problem!«, sagte ich. »Hast du irgendwas davon gebrauchen können?«

Antje war Musik- und Deutschlehrerin am städtischen Gymnasium. Sie hatte kürzlich bei den Projekttagen einen ABBA-Chor angeboten und für die Abschlusspräsentation ein passendes Kostüm gebraucht. Da sie sich normalerweise sehr schlicht und dunkel kleidete, was zu ihrer hellen Haut und den glatten roten Haaren super aussah, hatte sie mich um ein paar bunte, ausgefallene Klamotten gebeten. »Du ziehst dich doch jeden Tag an wie ein Hippie«, hatte sie behauptet. »Da hast du bestimmt das perfekte Kostüm für mich.«

Antje übertrieb. Immerhin stimmte es, dass ich meine schlichte Alltagsgarderobe – Jeans, Sneaker und T-Shirts – gern durch ausgefallene Einzelstücke ergänzte, die ich im Secondhandladen auftrieb.

Besonders wenn es um Kleider oder Oberteile für meine Auftritte ging, liebte ich ungewöhnliche Farben oder Materialien. Oma Edith fand, dass ich ein Händchen für Mode hatte, meine Mutter fand, dass ich mir endlich mal ein paar ordentliche Hosenanzüge anschaffen sollte, und Nik fand meine gelegentlichen Modeexperimente abwechselnd peinlich und dann wieder megacool.

Für Antje hatte ich meine buntesten Stücke zusammengesucht.

»Ich hatte die pinke schulterfreie Bluse mit den Trompetenärmeln an und den dunklen langen Rock«, erzählte Antje. »Dazu habe ich mir im Kostümshop einen Blumenkranz und eine Peace-Kette gekauft. Plateausandalen hat mir meine Kollegin geliehen. Die Schüler waren begeistert, also danke noch mal.«

»Super.« Ich griff nach der Plastiktüte und legte sie zu meiner Handtasche.

»Brrr ...« Nik schüttelte sich. »Wenn ich mir das Zeug an mir vorstelle ...«

»Lieber nicht, Nik.« Antje lachte. »In dem langen Rock würdest du winzig wirken.«

Nik war das genaue Gegenteil von mir, aber obwohl wir so unterschiedlich waren, waren wir seit vielen Jahren beste Freundinnen. Ich war groß, über eins achtzig sogar, sehr schlank und hatte keine nennenswerten Rundungen, Nik hingegen war klein und sanduhrförmig. Ich war eher zurückhaltend, Nik war ziemlich frech. Ich liebte es bunt und verspielt, Nik trug nur enge schwarze Sachen und möglichst hohe Absätze. Ich hatte lange braune Locken, die noch ihre Naturfarbe besaßen, Nik war weiß blondiert und änderte ständig ihre Frisur.

Außerdem hatte Nik einen One-Night-Stand nach dem anderen, und ich hatte seit Ewigkeiten keinen Sex mehr gehabt.

»Liebste Nik«, lästerte Antje, »Wir wissen alle, dass du tot umfällst, wenn du etwas anziehen sollst, das nicht schwarz und tief ausgeschnitten ist.«

Nik sah liebevoll hinunter in ihr Dekolleté. »Es wäre ja auch eine Sünde, diese beiden Herzchen zu verstecken!«

Antje und ich stöhnten synchron. Niks Prahlerei mit ihren ach so herrlichen Cup-D-Brüsten war manchmal echt anstrengend.

»Gibt’s bei dir was Neues, Nik? Hast du den Typen aus dem Supermarkt noch mal getroffen?«

»Mike? Ja, der war Montagabend da.«

»Und? Wie war seine Performance?«, wollte Antje wissen.

»Miserabel.« Nik seufzte. »Ich hab irgendwann einen Orgasmus vorgetäuscht, damit er endlich aufhört. Warum wissen heutzutage nur noch so wenige Männer, was sie mit ihrer Ausstattung anfangen sollen?«

»Vielleicht solltest du es mal mit etwas erfahreneren Typen versuchen?«, schlug ich vor.

»Igitt!«, konterte Nik. »Ab dreißig verfetten die Kerle fast alle. Damit kann ich nichts anfangen.«

»Oder du schläfst einfach mal ein bisschen öfter mit demselben Mann und stutzt ihn dir zurecht?«, regte Antje an. »Weißt du, entgegen der allgemein herrschenden Meinung glaube ich, dass Männer durchaus lernfähig sind.«

»Vielleicht ...« Nik betrachtete konzentriert ihre hellgrau lackierten Fingernägel. »Aber dann muss es jemand sein, bei dem sich die Arbeit lohnt. Jemand, der sexy ist und witzig und mich behandelt wie eine Göttin! Nicht so ein Langweiler wie Mike.«

»Mir reicht schon jemand, der lieb und nett ist und den meine dröhnend laut tickende biologische Uhr nicht stört«, sagte ich etwas trübsinnig. »Sexy und witzig sind allerdings auch keine schlechten Eigenschaften.«

Antje grinste spöttisch. »Du und deine biologische Uhr ... Entspann dich mal, Tinka. Du bist doch erst fünfunddreißig!«

»Allerdings!«, kam es von Nik. »Die meisten Männer finden Frauen, die offensichtlich einen Samenspender suchen, echt abtörnend.«

Ich seufzte. »Ihr habt gut reden! Du willst keine Kinder, Nik, und du«, ich zeigte auf Antje, »bist immerhin fast vier Jahre jünger als ich. Aber ich bin Single und fast sechsunddreißig, und wenn ich es in diesem Leben noch zu meiner Traumfamilie mit zwei Wunschkindern bringen will, wird es allmählich eng. Rechnet doch mal nach: Selbst wenn ich mich morgen verliebe, dauert es mindestens ein Jahr, bis man ein erstes Kind planen kann. Dann vielleicht drei Zyklen, bis es klappt. Plus neun Monate, bis es da ist. Also mindestens zwei Jahre bis zum ersten Kind, falls es absolut ideal läuft. Bei der Geburt wäre ich fast achtunddreißig. Das zweite Kind könnte ich frühestens anderthalb Jahre danach ansetzen, hinzu kommen wieder drei Produktionszyklen plus neun Monate Tragzeit – das heißt, selbst, wenn ich morgen jemanden kennenlernen würde und alles absolut perfekt liefe, wäre ich bei meinem zweiten Kind schon vierzig!«

»Meine Cousine hat mit zweiundvierzig ihr erstes Kind gekriegt«, wandte Antje ein.

»Auf natürlichem Wege?«, wollte ich wissen.

»Na ja, nein, sie war in so einer Fruchtbarkeitsklinik und hat Hormone genommen und ...«

»Siehst du! Das kommt ja erschwerend hinzu! Schon ab fünfunddreißig nehmen die Chancen, einfach so schwanger zu werden, gewaltig ab.«

»Ja, und besonders stark nehmen die Chancen ab, wenn man nie Sex hat«, sagte Nik trocken. »Ehrlich, Tinka, ich kann’s nicht mehr hören. Wenn du Kinder willst, mach endlich voran und stell nicht solche blödsinnigen pessimistischen Rechnungen an. Geh raus, lern Männer kennen, verlieb dich endlich mal wieder! Die Sache mit Daniel ist doch jetzt lange genug vorbei.«

»Erst sechs Monate.«

»Schon sechs Monate«, korrigierte Nik. »Du hast ihn doch nicht mal richtig geliebt, wenn du ehrlich bist. Du dachtest nur, er wäre ein guter Vater für deine ungeborenen Kinder.«

»Gut, dass du den Idioten los bist!«, mischte sich Antje ein. »Daniel war einer von den Schlimmsten – langweilig und dann noch nicht mal treu!«

Ich wollte nicht schon wieder mit Antje und Nik darüber diskutieren, was mein Ex-Freund für eine Katastrophe gewesen war. Auch ohne die beiden schämte ich mich schon genug für mein mieses Urteilsvermögen.

»Du hast leicht reden, Nik. Du lernst überall und fast jeden Tag Männer kennen«, sagte ich, um von Daniel abzulenken. »Aber mir purzeln die nicht so vor die Füße. Die Typen, die ich im Job treffe, sind ein paar Jahrzehnte zu alt für mich. Ich habe keine schnuckeligen Kollegen wie Antje. Also – woher soll ich ein paar Männer nehmen, in die ich mich verlieben kann? Und sagt jetzt nicht wieder ›Onlinedating‹!«

»Onlinedating«, sagte Antje.

»Natürlich Onlinedating«, sagte Nik im selben Moment.

»Du meinst jetzt aber nicht so eine Wisch-und-weg-One-Night-Stand-App, oder, Nik?«, fragte Antje.

»Blödsinn! Tinka sucht eine erwachsene Beziehung, keinen Toy Boy. Sie soll sich endlich bei Together Forever anmelden, wie jeder andere Single in ihrem Alter auch. Eine solide, altbewährte Methode, um das große Glück zu finden.«

»Ihr seid da nicht angemeldet!«, wehrte ich mich.

»Im Moment nicht«, korrigierte Antje. »Weil ich seit Monaten diese hochkomplizierte Geschichte mit meinem Kollegen am Laufen habe. Sobald das endlich vorbei ist, melde ich mich wieder an. Oder ich heirate ihn, aber das scheint mir unwahrscheinlicher ...«

»Er wird sie nie verlassen!«, sagten Nik und ich im Chor.

»Ich weiß, dass er sie nie verlassen wird«, entgegnete Antje wie Carrie Fisher in Harry und Sally. »Vielleicht verlasse ich ihn aber bald, wer weiß ... Ich mag es nicht, die Nummer drei in einer Beziehung zu sein!«

Nik warf mir einen warnenden Blick zu. Schon klar, ich sollte mich nicht schon wieder über Antjes Affäre aufregen. Antje wusste selbst, dass sie Mist baute, es ging ihr schlecht genug mit dieser Geschichte, sie war das eigentliche Opfer, bla, bla, bla.

Ich fand es trotzdem nicht in Ordnung, dass sie mit ihrem Kollegen ins Bett ging. Schließlich hatte sie von vornherein gewusst, dass es da eine Ehefrau gab, die höchstwahrscheinlich nichts Böses ahnte. Welches Recht hatte Antje, dieser wildfremden Frau, die ihr nie etwas getan hatte, den Ehemann wegzunehmen? Meiner Meinung nach gar keins. Aber das hatte ich ihr inzwischen wahrscheinlich oft genug gesagt.

»Also – Together Forever«, nahm Nik ihren Faden wieder auf. »Versuch’s doch wenigstens mal, Tinka. Ich schwöre dir, da sind kaum Spinner unterwegs.«

»Ja, bei Together Forever hat mir noch nie jemand ein Penisfoto geschickt«, sagte Antje grinsend. »Hat schon Vorteile, wenn eine Partnerbörse Gebühren kostet.«

Ich seufzte. »Warum seid ihr eigentlich so scharf darauf, mich zu verkuppeln?«

»Weil diese Baby-Panik mal ein Ende haben muss. Und natürlich, weil ich es mir lustig vorstelle, mit dir am Rechner zu hocken und Männer anzugucken.« Nik lachte. »Ach los, mach’s doch, Tinka, wenigstens für ein paar Monate und wenigstens mir zuliebe. Ich hab schon viel härtere Dating-Portale ausprobiert, und ich lebe immer noch. Was soll bei Together Forever schon passieren, außer dass du um ein paar Euro ärmer wirst ... Soll ich morgen vorbeikommen, und wir legen zusammen ein Profil an?«

Ich zögerte kurz. Nik und Antje hatten ja irgendwie recht. Ich war nicht gerne Single, und ich jammerte ständig darüber, dass mir für eine Familiengründung die Zeit davonlief. Da war es doch nur logisch, die vielleicht einzige Chance, die sich mir noch bot, wenigstens mal zu testen. Vielleicht ließ sich ja online tatsächlich ein toller Partner und Vater für meine ungeborenen Kinder finden? Also antwortete ich: »Okay. Ich mach’s. Aber nur für kurze Zeit, in Ordnung?«

Nik und Antje jubelten, und Nik holte eine weitere Runde Bier aus dem Kühlschrank. Auch Thomas und Steffen drückte sie eine neue Flasche in die Hand.

»Darauf müssen wir anstoßen«, forderte Nik. »Auf Katinka, die sich jetzt endlich einen richtigen Kerl sucht!« Die Flaschen klirrten gegeneinander.

Kurz nach Mitternacht fuhren wir wie immer alle mit dem Fahrrad nach Hause. Nur Thomas wohnte mit seiner Frau Nina und seinen beiden Kindern im Eigenheim etwas außerhalb der Stadt. Wir anderen hatten Wohnungen direkt in der City, die dicht beieinanderlagen. Antje und Steffen lebten seit Studentenzeiten gemeinsam in einer WG, Nik und ich wohnten allein.

Erst als ich in meine Straße einbog, verabschiedete ich mich von Antje und Steffen, mit denen ich das längste Wegstück teilte. Ausnahmsweise war ich froh, dass der Abend vorbei war.

Die vielen guten Tipps zum Thema Dating waren zum Schluss etwas anstrengend geworden. Sogar Steffen und Thomas hatten sich für das Thema erwärmt und mir ausführlich erzählt, worauf Männer in Dating-Profilen ihrer Meinung nach abfuhren. Ihre Ratschläge reichten von »Schreib, dass du viel lachst« über »Behaupte, dass du dich gern sexy anziehst« bis »Sag, dass du gerne Fußball guckst«.

Nicht wirklich hilfreich.

Alle hatten unendlich viele Geschichten über Online-Dates zum Besten gegeben. Ihre eigenen Dates, Dates von Freunden, lustige Dates, furchtbare Dates, nette Dates, peinliche Dates ... All diese Geschichten endeten mit einem Zwinkern in meine Richtung: »Haha, Tinka, du wirst es ja bald selbst erleben.«

Ich bereute inzwischen bitter, dass ich versprochen hatte, mich auf all das einzulassen! Schon jetzt kam ich mir vor, als sollte ich mich nur bei Together Forever anmelden, damit meine Freunde etwas zu lachen hatten.

Kapitel 3

Während ich mit meinem Löffel immer wieder winzige Reste aus der Schüssel mit selbst gekochtem Grießbrei kratzte, skypte ich mit meiner Schwester Eva und ihrer Brut. Es war Sonntag, und ich lümmelte immer noch genüsslich in meinem Schlafanzug am Frühstückstisch herum.

Der Grießbrei schmeckte köstlich. Genauso hatte Oma Edith ihn früher zubereitet, wenn Eva und ich bei ihr übernachtet hatten.

Einige Zeit hatten wir fast bei Oma Edith gewohnt. Als Eva im Kindergarten und ich in der Grundschule war, hatten meine Eltern ein alteingesessenes Haushaltswarengeschäft übernommen. Es folgten viele Jahre, in denen die beiden von morgens bis abends im Laden beschäftigt waren und dann bis tief in die Nacht am Schreibtisch gesessen hatten.