Das Mädchen vom Ulrichsberg - Hans Ernst - E-Book

Das Mädchen vom Ulrichsberg E-Book

Hans Ernst

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Beschreibung

Auf dem Ulrichsberg liegt der Einödhof, auf dem verbittert und schweigsam der Bauer Simon Klarwein mit seiner Tochter Martha lebt. Der Alte wacht eifersüchtig über das einzige Kind, das ihm geblieben ist. An Bewerbern mangelt es der schönen Martha nicht, aber der junge Adrian ist ihretwegen fortgegangen und der Rubatscher-Toni ist nur auf Marthas Erbe aus. Unerwartet tritt Luzian Manhart in Marthas Leben. Er ist ein Fremder und im Dorf schlägt ihm Missgunst entgegen, doch die wunderbare Liebe, die Luzian und Martha einander entgegenbringen, überwindet alle Schwierigkeiten.

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Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen 7., überarbeiteten Auflage 2002

 

 

© 2019 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

 

Titelfoto: Michael Wolf, München

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

 

eISBN 978-3-475-54459-0 (epub)

Worum geht es im Buch?

Hans Ernst

Das Mädchen vom Ulrichsberg

Auf dem Ulrichsberg liegt der Einödhof, auf dem verbittert und schweigsam der Bauer Simon Klarwein mit seiner Tochter Martha lebt. Der Alte wacht eifersüchtig über das einzige Kind, das ihm geblieben ist. An Bewerbern mangelt es der schönen Martha nicht, aber der junge Adrian ist ihretwegen fortgegangen und der Rubatscher-Toni ist nur auf Marthas Erbe aus. Unerwartet tritt Luzian Manhart in Marthas Leben. Er ist ein Fremder und im Dorf schlägt ihm Missgunst entgegen, doch die wunderbare Liebe, die Luzian und Martha einander entgegenbringen, überwindet alle Schwierigkeiten.

 

 

 

 

Das Mädchen unter dem blühenden Birnbaum schlägt die Augen auf und sieht durch die Zweige einen Himmel, der so blau ist wie die Adria, die sie einmal gesehen hat, als sie ihrem Vater, dem Ulrichsbauer Simon Klarwein, davongelaufen war, weil er sie immer geschlagen hatte. Dreizehn Jahre war sie damals.

Ja, bis zur Adria hatte sie es geschafft und sie wäre vielleicht noch weitergekommen, zu Fuß oder per Anhalter, wie es eben ging, wenn die Polizei dafür mehr Verständnis gehabt hätte. Die aber hat das Mädchen vom Ulrichsberg einfach in die Heimat zurückgeschickt. Der Ulrichsberger hat die Kosten dafür übernehmen müssen und sie dafür wieder geschlagen. Natürlich, er kann doch nicht zweihundert Mark zum Fenster hinauswerfen, ohne dafür seine Rache zu nehmen!

Wie lange ist das jetzt schon wieder her? Genau acht Jahre, denn Martha Klarwein ist jetzt einundzwanzig Jahre. Damals war noch Krieg und es war gar nicht so einfach gewesen, durch die Fronten zu schlüpfen, um bis zur Adria zu kommen. Aber Martha hatte damals einfach den festen Vorsatz gehabt, der Strenge des Vaters und dem Frondienst am Berghof zu entfliehen. Dass es anders ausgegangen war – wer konnte sagen, dass es nicht gut gewesen war!

Es wäre nicht nötig gewesen, zu Martha so streng zu sein, denn sie schlug in allem ihrer verstorbenen Mutter nach, die eine grundgütige Frau gewesen und neben dem hartherzigen Ulrichsberger einen wahren Dornenweg gegangen war, fast fünfzehn Jahre lang.

Martha ist von einer merkwürdigen Schönheit. Aber sie weiß gar nichts von ihrer Anmut, nichts davon, dass der Blick ihrer Augen so hell aus dem zu jeder Jahreszeit leicht gebräunten Gesicht springt und leuchtet, leuchtet …

Wie denn gleich?

Das ist nicht zu beschreiben. Vielleicht fände ein Dichter das Wort für den Glanz ihrer Augen. Vielleicht gelänge es ihm auch, das Lächeln zu beschreiben, das manchmal um ihren schön geschwungenen Mund spielt, wenn sie sonntags beim Kirchgang an den Burschen vorbeigeht, die dann hinter ihr herstarren.

Es darf ihr keiner nahe kommen! Der Vater wacht über sie wie ein Hütehund. Den einzigen Sohn, den Ulrich, hat ihm der Krieg genommen. Die Tochter darf ihm niemand nehmen, solange er die Augen offen hat. Nein, keiner kommt zum Ulrichsberg, weder der Fronleichner-Jakob noch der Rubatscher-Toni, der es allerdings eines Abends gewagt hat. Aber da hat der Alte groß und hager vor ihm gestanden, mit einem scharf geladenen Jagdgewehr, und der Toni hat schnell den Rückzug angetreten.

Nein, der Ulrichsberger duldete keinen um sich. Und als der junge Adrian, der Sohn einer Witwe aus dem Pfarrdorf Steinkirchen, sich als Knecht bei ihm verdingt hatte, nur um seinem Traumbild nahe zu sein, da hatte der Alte ihn derart schikaniert, bis das Unglück eben geschah.

Martha traf daran keine Schuld. Adrian war ja noch so jung, als das geschah, kaum siebzehnjährig, ein Bub noch, dem gerade der erste Flaum um das Kinn spross. Die Martha war seine erste große Liebe, weil sie so nett zu ihm war und ihm tröstend über das Haar strich, wenn der Bauer ihn wieder einmal gedemütigt hatte.

Dann war der Tag gekommen, wo der Vater sie wieder einmal im Aufwall seines Jähzorns schlagen wollte. Da war der Adrian aufgesprungen und hatte sich schützend vor sie gestellt. Mit harter Faust warf ihn der Bauer zur Tür hinaus und trieb ihn vom Hof.

Daraufhin hatte Adrian ohne Abschied die Heimat verlassen. Nein, Martha trägt daran gewiss keine Schuld. Sie hat ja oft zu ihm gesagt: »Schau, Adrian, du bist drei Jahre jünger als ich. Ich hab dich ganz gern, ja, gewiss, so wie eine Schwester einen Bruder gern hat. Aber lieben, nein, Adrian, das musst du dir aus dem Kopf schlagen.«

Und weil sie so offen und ehrlich zu dem Burschen gewesen ist, darum hat dessen Mutter am Sonntag darauf beim Kirchgang eine Hand zum Himmel gestreckt, als sie Martha sah, und verzweifelt geschrien, dass das Mädchen vom Ulrichsberg ihren Buben verhext hätte und schuld daran wäre, dass nun eine Mutter ohne ihren einzigen Sohn leben müsste und nicht wüsste, wohin es ihn getrieben habe, ja, Martha hätte den Adrian auf dem Gewissen. Die Martha hat sich gegen diesen Vorwurf mit aller Entschlossenheit wehren wollen. Aber niemand hat ihr geglaubt. Und als sie in -ihrer Not zum Vater gerannt ist und ihn flehentlich gebeten hat, er möge doch diesen Vorwurf von ihr nehmen und sich selber schuldig bekennen, weil er es doch gewesen sei, da hat er sie spöttisch von oben bis unten angesehen und gemeint:

»Es wird wohl schon so sein, wie die Leut sagen.«

Damals ist etwas in ihr zerbrochen. Geliebt hat sie den Vater nie, aber von dieser Stunde an hat sie ihn verachtet, hat sich zur Wehr gesetzt und ist dann auch nicht mehr geschlagen worden.

Martha wird einmal Erbin des Ulrichsberges sein, weil außer ihr sonst niemand da ist. Aber sie trägt keine Freude darüber in sich, denn sie weiß, dass der Vater ihr den Hof niemals übergeben wird, solange er atmet.

Und wenn er noch zwanzig Jahre lebt, dann ist er achtzig und sie bereits einundvierzig. Zu spät für ein Glück, wie sie es sich erträumt, zu spät für einen Mann, mit dem man in jugendlicher Kraft über die Hangwiesen laufen kann.

Immer noch schaut Martha traumverloren zum Himmel auf. Einmal zieht eine kleine weiße Wolke unter der Sonne hin. Um die Blüten summen die Bienen. Wie ein leiser Orgelbass zieht das Gebrumm durch die Zweige.

Über dem Hochwald leuchten die Berge. Es ist nicht mehr das gleißende, grelle Mittagslicht über den Gipfeln. Nein, es ist schon leicht getönt, denn es geht dem Abend zu und über die schattseitigen Wände ergießen sich bereits violette Töne.

Lange schaut sie so hin auf die Kette der Berge. Sie sieht die breite Schneise im Hochwald, die der Sturm im Winter gerissen hat. Ach, was ist das für eine harte Arbeit gewesen, mit dem Vater die schweren Stämme aufzuarbeiten, im Schnee, der bis zu den Knien reichte. Härteste Knechtsarbeit war es und der Vater hätte auch einen Helfer gedungen, aber seit der Geschichte mit Adrian mag selbst ein Holzfäller nicht mehr für den Ulrichshof arbeiten. Ja, es lastet schwer auf dem Hof, dass Adrian die Heimat verlassen hat und niemand weiß, wo er ist.

Aber sie hat die Arbeit gern getan, denn sie ist jung und kräftig. Und sie hätte dieses schwere Werk noch lieber getan, wenn nur ein ganz wenig Fröhlichkeit dabeigewesen wäre. Aber der Vater sprach den ganzen Tag kaum ein Wort, es sei denn ein tadelndes, wenn einmal der Schlag ihrer Axt ein wenig danebenging, oder wenn sie das Sägeblatt nicht ganz durchzog.

Jetzt ist es endlich Frühling, ein leuchtender, herrlicher Frühling mit Blüten und Blumen.

Martha setzt sich auf. Die Hände um die Knie verschlungen, schaut sie in die Tiefe. Weit drunten liegt das Dorf Steinkirchen, schon von einer leisen Dämmerung umwoben. Nur auf dem See liegt noch ein wundersames Lichtgezitter. Ein Segelboot zieht langsam darüber. Von der Höhe sieht es wie ein winziger weißer Punkt aus.

Nun wird auch hier oben das Licht schon etwas gedämpfter. Nicht dass schon Abend ist. Nein, hier wird es auch in einer Stunde noch hell sein, wenn unten im Tal die Dämmerung schon so tief ist, dass die Lichter beginnen zu brennen. Aber das Gebrumm der Bienen hat aufgehört, der Wind streicht kühler von den Bergen herunter und mit der Pünktlichkeit einer Uhr trotten die Kühe nun mit bimmelnder Glocke von der großen Weide herunter und stauen sich vor dem Gatter.

Da besinnt Martha sich auf ihre Pflicht. Sie geht durch den Apfelgarten um das Gatter zu öffnen. Ihr Schritt ist weit ausgreifend und von federnder Kraft und ihr Haar leuchtet im Licht der untergehenden Sonne wie Gold.

Die Kühe trotten auf den Hof zu und drängen einander beiseite um recht schnell in den Stall zu kommen. Der Hof ist ein mächtiger Bau aus Quadersteinen. Das obere Stockwerk ist aus Holz, von der Sonne vieler Sommer fast schwarz gebrannt. Auf der Altane, die das ganze Haus umzieht, stehen grüne Blumenkästen. Das Schindeldach ist mit schweren Felsbrocken belastet und hat schon manchem Sturm standgehalten.

Martha nimmt das Milchgeschirr vom Brunnenrand und geht in den Stall. Über den Bergen brennt das Abendrot in wilder Schönheit.

Um diese Stunde zwischen Abend und Nacht steht ein Mann in einer rheinischen Stadt vor einem großen schmiedeeisernen Gartentor und blickt auf ein erleuchtetes Fenster im ersten Stock. Hinter diesem Fenster spielt jemand Klavier und der Mann am Gartentor lächelt schwermütig, denn der Trauermarsch, der da gespielt wird, scheint ihm gerade die rechte Musik zu sein für seine traurige Heimkehr.

Es ist nicht mehr das Haus, wie der Mann es gekannt hat, vor Jahren noch. Der hintere Teil ist weggerissen, ein Balkon hängt in der Luft, und die große Ulme im Garten ist auch nicht mehr da. Immerhin steht noch ein Teil von diesem Haus, in dem Alwin Körner mit seiner Schwester Silvia wohnt.

Vor einer Stunde hat er vor den Trümmern eines Hauses gestanden, in dem er selber einmal mit seinen Eltern gewohnt hat. Der Krieg hat alles vernichtet, die Eltern und den Bruder und das Haus. Es hat ihn schwer erschüttert. Und darum steht Luzian Manhart lange vor dem Gartentor und traut sich nicht zu läuten, weil er Angst hat, es könne eine neue Enttäuschung auf ihn warten.

Aber warum sollte er denn Angst haben? Gleich wird er Silvia gegenüberstehen, die letzte und einzige, die ihm noch geblieben ist von einer besonnten Jugend.

Die Schwermut in seinen Augen verliert sich. Über sein Gesicht geht der helle Schein einer frohen Erwartung, seine Schultern richten sich auf. Dann drückt er auf die Klinke. Das Gartentor ist nicht versperrt. Dann steht er vor der Haustür und drückt auf den Klingelknopf. Er hört eine Tür und einen Augenblick lang ist ihm so, als setze sein Herz aus. Wie wird sich das Wiedersehen mit Silvia nach so langen Jahren gestalten? Wie wird sie jetzt aussehen?

Ich hätte doch telegrafieren sollen, denkt er und horcht auf einen Schritt, der über die Stiege kommt. Es ist aber nicht Silvias Schritt, es sind die Schritte eines Mannes, der jetzt auf die Tür zukommt und den Schlüssel ins Schloss steckt. Die Tür öffnet sich und Alwin Körner steht vor ihm.

»Sie wünschen?«

Luzian zieht die dargebotene Hand wieder zurück. Es ist ihm, als habe er soeben einen Schlag empfangen.

»Kennst du mich nicht mehr, Alwin?«

Der andere zuckt zusammen.

»Luzian! Menschenskind, bist du es wirklich? Wo kommst du denn her?«

»Geradewegs aus Sibirien.«

»Ja – aber …« Alwin Körner streckt jetzt dem Freund beide Hände hin und zieht ihn in den Flur. »Jetzt komm nur gleich herauf! So eine Überraschung! Wie wird Elisabeth sich freuen! Ich habe ihr viel erzählt von dir.«

Auf dem Treppenabsatz bleibt Luzian stehen.

»Wer ist Elisabeth?«

»Meine Frau. Ach so, du weißt das nicht. Ich habe nach Kriegsende geheiratet. Einen netten Jungen haben wir auch bereits. Wir haben ihn Luzian getauft, in Erinnerung an dich.«

»In Erinnerung – an mich?«

»Ja, wir wussten nichts mehr von dir. Du galtest als vermisst und… «

»Wir durften nicht schreiben, weißt du«, sagt Luzian müde. »Wie geht es Silvia?«

»Silvia? Gut! Ja, es geht ihr gut. Gib Obacht, die fünfte Stufe ist etwas morsch.«

Sie sind mittlerweile vor der Wohnungstür angelangt. Ungestüm läuft Alwin voran und reißt eine Tür auf.

»Denk dir, Elisabeth, wer gekommen ist!«

Vor dem Küchenherd steht eine auffallend hübsche blonde Frau und schaut auf den Menschen in der verwitterten Kleidung, der so armselig mit einem Pappkarton in der Tür steht.

»Luzian ist es«, lacht Alwin. »Du weißt doch, von dem ich dir soviel erzählt habe.«

Die Frau stellt das Geschirr, das sie gerade in den Händen hält, weg. Dann trocknet sie ihre Hände an der Schürze ab und streckt sie Luzian entgegen.

»Herzlich willkommen! Das ist wirklich eine Überraschung! Wir haben Sie immer für …«

»Und das ist der kleine Luzian«, unterbricht ihr Mann sie schnell und führt den Heimgekehrten an den Tisch, an dem ein etwa dreijähriger Bub sitzt. »Was sagst du dazu?«

Luzian schaut den kleinen an und findet, dass er der Frau am Herd ähnlich sieht. Er streicht ihm über das Lockenhaar und sagt:

»In meiner Schachtel hab ich etwas für dich. Wart, ich will es dir gleich geben.«

Mit einem Ruck reißt Luzian die Schnur ab und überreicht dem Kind einen geschnitzten Vogel, der Kopf und Flügel bewegen kann. Es ist eine Arbeit, wie die Russen sie mit einer erstaunlichen Fertigkeit im Handumdrehen herstellen. Alwin überreicht er ein geschnitztes Zigarettenetui.

»Es tut mir Leid, gnädige Frau«, sagt er dann plötzlich bedauernd. »Ich wusste ja nicht, dass Alwin geheiratet hat. Das da habe ich nämlich für Silvia gedacht.«

Er hebt eine kleine Schatulle aus Birnbaumholz ans Licht. Auf dem Deckel ist eine schmale Mädchenhand, die zwischen den Fingern eine Rose hält. Es ist wirklich eine künstlerische Arbeit, die unter dem Licht der Lampe so recht zur Geltung kommt.

»Ja, für Silvia«, wiederholt Luzian lächelnd. »Ich habe dreihundert Rubel dafür gegeben. Wo ist Silvia eigentlich?«

Die blonde Frau wendet sich schnell ab und macht sich am Herd zu schaffen. Der Mann aber räuspert sich.

»Silvia? Sie ist – im Augenblick verreist. Aber du wirst jetzt wahrscheinlich das Bedürfnis haben, Luzian, dich gründlich zu baden.«

»Wenn das ginge?«

Gleich darauf hört man das Badewasser in die Wanne laufen. Die junge Frau kommt wieder herein und sagt, dass sie ihm auch frische Wäsche hingelegt habe.

»Ja«, sagt Alwin Körner. »Silvia hat frühzeitig einige Sachen hergebracht. Damals konnte man ja nicht wissen, wen es zuerst träfe. Auch ein paar Anzüge von dir sind bei uns. Aber nun geh und bade! Danach werden wir zusammen essen.«

Unter der Tür fragt Luzian noch:

»Und meine Amati?«

»Ist auch gerettet.«

Da geht ein frohes Lächeln über Luzians Gesicht.

»Wenigstens das noch! Dafür muss ich Silvia immer dankbar sein!«

Kaum hat die Tür sich hinter ihm geschlossen, dreht Elisabeth sich um. In ihrem Gesicht ist tiefer Ernst.

»Du musst es ihm sagen, Alwin.«

»Ja, natürlich. Es fragt sich nur, wie ich es ihm schonend beibringe. Das mit dem amerikanischen Leutnant braucht er übrigens nicht zu wissen. Gerade er wäre zutiefst darüber enttäuscht.«

»Mir tut er schrecklich Leid, Alwin.«

»Mir auch. Aber wir können es nicht ändern, Elisabeth. Silvia war nach dem Krieg wie verblendet. Zunächst wollen wir einmal essen. Dann trinken wir eine Flasche Wein und dabei muss ich eben in den sauren Apfel beißen.«

Das Abendessen ist vorüber. Luzian sitzt jetzt sauber und rasiert in einem hellgrauen Anzug am Tisch. Er hat sich in dem kleinen Zimmer umgezogen und sich sofort an früher erinnert, denn es ist Silvias Zimmer. Und es ist immer noch genauso wie damals; das elfenbeinfarbene Bett steht noch da, der Schrank von gleicher Farbe, den kleinen Schreibtisch mit dem Stuhl davor kennt er auch noch.

Alwin entkorkt die Weinflasche und schenkt die Gläser voll. Der Kleine aber muss ins Bett und steht bereits im Schlafanzug vor dem Schutzengel über seinem Bett und hat die Hände gefaltet. Die Tür steht offen und Luzian kann seinen Namensbruder in seiner ganzen kindlichen Frommheit sehen. Er betet das »Jesukindlein« und als er damit fertig ist, sagt er mit heller Stimme:

»Und noch ein Jesukindlein für den gefallenen Onkel Luzian.«

Zu spät ruft sein Vater. Zu spät läuft die Mutter hinaus. Es ist ihnen entsetzlich peinlich, da doch der, für den der kindliche Mund betet, munter und gesund am Tisch sitzt. Luzian dagegen stört es gar nicht. Nein, er findet es geradezu wunderbar, dass für ihn die ganze Zeit gebetet worden ist.

»Ach, lasst ihn doch«, sagt er gutmütig lachend. »Was für einen Totgeglaubten gut gewesen ist, kann unter Umständen auch für einen Lebenden ganz gut sein.«

Sie heben nun die Gläser.

»Auf eine glückliche Heimkehr«, sagt Alwin.

Luzian trinkt und kostet den Wein auf der Zunge nach.

»Ein ausgezeichneter Tropfen. Der erste wieder nach langen Jahren!« Er stellt das Glas zurück und nimmt von den angebotenen Zigaretten. »Und was treibst du, Alwin?«

»Ich bin beim Magistrat angestellt. Übrigens, ehe ich es vergesse, du musst morgen gleich einmal bei mir vorbeikommen. Es gibt da eine Spätheimkehrerhilfe. Und auch sonst müssen wir sehen, was sich für dich tun lässt. Aber nun erzähl von dir.«

»Es gibt nicht viel zu erzählen«, antwortete Luzian.

»War es sehr schlimm?«, fragt die junge Frau teilnehmend.

Luzian spürt, dass die Frage von Herzen kommt, nicht aus der Absicht heraus, Interesse oder gar Mitleid heucheln zu müssen. Aber was soll er schon erzählen? Er ist wieder in der Heimat und das Dunkle liegt so fern.

»Ich habe es ertragen«, meint er. »Vielleicht erzähle ich euch später einmal davon.«

»Ja, du hast Recht. Sprechen wir lieber von der Zukunft. Was hast du vor?«

»Das ist doch ganz klar. Ich mache noch meine beiden Semester auf der Musikhochschule und dann will ich Dirigent werden. Daran hat sich nichts geändert. Denkst du, dass das nicht mehr geht?«

»Doch, warum nicht?«

»Übrigens«, unterbricht Luzian das Gespräch, »ich habe so viel daran denken müssen: Wie hat Silvia den Zusammenbruch überlebt? Bei ihrer Einstellung müssen doch Welten für sie zusammengebrochen sein!«

Hier wäre es an Alwin und Elisabeth gewesen, hellauf zu lachen. Und Alwin spürt sogar das heftige Bedürfnis dazu, denn Silvia hat den Zusammenbruch mit einer bewundernswerten Geschicklichkeit ertragen. Sie hat zwei Tage vor dem Einmarsch der Sieger ihre Nachrichtenhelferinuniform ausgezogen, hat dann am Abend des Einzuges der Amerikaner mit einem Sergeanten Sekt getrunken und ist ein halbes Jahr später in den Oberleutnant William Hartens so verliebt gewesen, dass sie sich am liebsten öffentlich mit ihm in der Stadt gezeigt hätte, wenn nicht das Verbrüderungsverbot dagegen gestanden hätte. Immerhin hat sie ihre Ideale schnell begraben können, und wer es von ihr hat hören wollen, bekam es zu hören, dass dieses tausendjährige Reich keinen Blutstropfen wert gewesen sei.

Aber kann Alwin Körner, der Bruder der leichtlebigen Schwester, dies dem Heimgekehrten sagen? Der wird an dem anderen noch genug zu würgen haben.

»Tja –«, sagt er daher ausweichend, »sie hat es hingenommen.«

»Verreist ist sie, sagtest du vorhin? Wohin denn?«

»Ich – ich weiß es nicht, Luzian.«

Hier stutzt der Heimgekehrte zum ersten Mal. Die junge Frau steht auf und geht hastig hinaus.

»Hör einmal, Alwin! Du weißt nicht, wohin Silvia gereist ist? Vertragt ihr euch denn nicht mehr?«

»Nein – doch – es ist nur – ach, weißt du, Luzian, das ist nämlich so …«

»Wie ist es?«

»Ach, wie soll ich es dir bloß erklären?«

»Du brauchst mir nichts erklären«, antwortete Luzian mit einem trockenen Würgen im Hals. »Du sollst mir die Wahrheit sagen. Wohin ist Silvia gereist, und wann kommt sie zurück? Bleib hier mit deinen Augen, du brauchst mir gar nicht auszuweichen, wenn ich dich ansehe.«

»Ich weiß es wirklich nicht, Luzian«, antwortet der Jugendfreund bedrückt.

»Ist sie allein gereist?«

»Nein!«

»Nein? Mit wem?«

»Mit ihrem Mann.«

Luzian springt auf und wirft dabei sein Glas um.

»Das ist nicht wahr, Alwin! Das darf nicht wahr sein!«

Alwin verkrampft die Finger ineinander.

»Es tut mir Leid, Luzian. Du musst mir glauben, dass es mir nicht leicht fällt, dir dies sagen zu müssen. Ich weiß, was sie dir bedeutet hat.«

»Viel. Alles! Jedenfalls mehr als ich ihr. Das steht jetzt eindeutig fest. Wen hat sie geheiratet?«

»Den Industriellen Tornstein.«

»Ach so? Des Geldes wegen vielleicht?«

»Ja, leider.«

Luzian lässt sich schwer in den Stuhl zurückfallen und presst die Fäuste an die hämmernden Schläfen. Erst nach einer langen Zeit hebt er die Augen.

»Es war wirklich nicht meine Schuld«, sagt er leise, »dass ich nicht früher heimgekommen bin. Es hätte durchaus sein können, dass ich überhaupt nicht mehr gekommen wäre oder erst nach fünfundzwanzig Jahren. So lautete nämlich mein Urteil. Plötzlich wurde ich dann doch entlassen. Ich weiß nicht, aus welchem Grund. Eines aber steht fest für mich: Ich glaube, dass ich auch die fünfundzwanzig Jahre ausgehalten hätte. Der Glaube an ihre Liebe und Treue ist es gewesen, der mir über die weiten Fernen die Kraft gegeben hat, alles zu überstehen. Und nun?«

»Ich kann wirklich nichts dafür, Luzian.«

»Das weiß ich und ich mache dir auch keinen Vorwurf. Aber du hättest es mir gleich sagen müssen, dann hätte ich nicht erst deine Gastfreundschaft in Anspruch genommen.«

»Bitte, das dürfen Sie nicht sagen«, ruft Elisabeth, die plötzlich wieder da ist. Man sieht, dass sie geweint hat, und deshalb möchte Luzian jetzt unendlich gut zu ihr sein. »Und ich möchte bitten«, fügt sie hinzu, »dass Sie so lange unser Gast bleiben, bis es Ihnen nicht mehr gefällt oder Sie etwas anderes gefunden haben.«

»Ja, darum möchte ich auch bitten«, pflichtete Alwin bei. »Silvias Zimmer steht ja leer.«

»Silvias Zimmer? Nein. Lieber schlafe ich hier auf der Bank.«

Luzian ist von einem grimmigen Zorn erfüllt. Aber je länger er darüber nachdenkt, desto mehr lockert sich sein Groll. Er versucht Silvia zu begreifen. Er hat nie schreiben dürfen und – sie ist jung gewesen und schön.

»Nein, nein«, lacht er krampfhaft. »Ich nehme es durchaus nicht schwer. Mir will nur jetzt nicht aus dem Kopf, was sie mir im letzten Urlaub noch gesagt hat. Aus unserer Liebe musst du die Kraft schöpfen, die dich alles überstehen lässt, hat sie gesagt. Ja, das hat sie gesagt.«

»Mit Worten ist Silvia nie kleinlich gewesen«, erwiderte ihr Bruder. »Aber irgendwie muss auch dein Leben weitergehen, Luzian.«

»Und ob. Es wird weitergehen. Im Augenblick weiß ich nur nicht, wie. Vielleicht versteht ihr meine Enttäuschung, an der ich womöglich selber auch ein wenig schuld bin. Ich war immer der Meinung, Silvia gehöre restlos zu mir, es gäbe keinen Mann für sie als mich. Und nun? – Ach, das Leben ist eine Komödie!«

Weil das alles nun ausgesprochen ist, will kein anderes Gespräch mehr aufkommen. Wie soll man auch reden können, wenn das Gesagte wie eine Wetterwand danebensteht, jederzeit bereit, einen neuen Blitzstrahl hervorzuschleudern. Darum fragt Elisabeth vorsichtig, ob man nicht schlafen gehen und ob Luzian wirklich nicht in Silvias Zimmer schlafen wolle.

Vielleicht hat Luzian zu schnell von dem ungewohnten Wein getrunken, denn er antwortet jetzt mit einer nahezu fröhlichen Bestimmtheit:

»Nein, auf keinen Fall! Ich schlafe auf der Bank.«

Die Bank ist gepolstert und Elisabeth bedeckt sie zusätzlich noch mit Kissen und Decken. Luzian schläft mit dem guten Vorsatz ein, auch im tiefsten Schlaf jede Drehung zu unterlassen um nicht herunterzufallen. Er will so schlafen, wie er es in der Gefangenschaft gelernt hat, nur auf der Seite liegend.

Um zwei Uhr in der Früh aber fällt Luzian doch herunter, weil er die Bank allein besaß und nicht noch ein ausgemergelter Landser sie mit ihm teilen musste, der den Sturz eventuell aufgehalten hätte.

Die Bank aber ist nicht hoch und der Boden ist nicht so hart wie die gefrorene Erde in Sibieren. Luzian ist nur aus seinem Traum gerissen. Die Nebel der leichten Trunkenheit sind fort. Dafür ist der Zorn wieder da, ein heftiger, leidenschaftlicher Zorn wegen Silvia.

Was soll er tun? Er wird sie suchen! Er wird sie dem anderen wegnehmen, oder sonst was tun, weil alles in ihm nach Rache schreit!

Mit diesem Gedanken schläft er wieder ein. Und er schläft sehr lange, denn als er blinzelnd die Augen öffnet, steht Elisabeth bereits am Herd und lächelt ihm zu.

Sonne liegt über den Bergen in verschwenderischer Pracht. Es ist Sonntag. Kein Laut stört den schönen Nachmittag. Aller Lärm schweigt auf dem Ulrichshof. Nur vor einer halben Stunde ist droben in den Bergen ein Schuss gefallen, Martha hat ihn gehört, sich aber nichts dabei gedacht.

Sie ist allein zu Hause. Der Vater ist unten im Dorf beim Sonntagsbier. Seit kein Helfer mehr auf dem Hof ist, lässt er sie wieder allein. Vorher ist er nie weggegangen.

Nach einer Weile erhebt sich Martha von der Hausbank und geht hinauf zur Altane und beginnt, die jungen Schösslinge in den Blumenkästen zu gießen. Da und dort spitzt schon die hellrote Blüte einer Geranie heraus und das Mädchen streichelt mit zarten Fingern darüber hin.

Auf einmal hebt sie den Kopf und ihre Augen werden schmal. Über die große Hangwiese kommt in jagender Hast ein Mensch gerannt, setzt mit einem mächtigen Sprung über den Weidenzaun und stürmt auf den Hof zu. Je näher er kommt, desto mehr meint Martha, ihn zu kennen. Die Gestalt wenigstens, denn das Gesicht ist geschwärzt.

Als der Bursche sie auf der Altane stehen sieht, stutzt er einen Augenblick. Sein Blick geht gehetzt zum Wald hinauf. Dann stürzt er ins Haus. Schon kommen polternde Schritte die Stiege herauf. Martha hört deutlich den keuchenden Atem des Flüchtigen.

Angst hat sie eigentlich nie gekannt. Wenn der Vater zum Viehmarkt gefahren ist, ist sie so manche Nacht allein gewesen. Angst ist es auch jetzt nicht, was sie da anrührt, sondern nur eine leise Unsicherheit, weil sie nicht weiß, wie sie dem Menschen entgegentreten soll. Zaghaft macht sie ein paar Schritte in den Flur hinein. Da steht er bereits vor ihr, keuchend und schier atemlos. Der Schweiß rinnt ihm über das verrußte Gesicht den Hals entlang.

»Du musst mich verstecken, Martha! Die Jäger sind hinter mir her!«

Erschrocken weicht sie einen Schritt zurück.

»Du bist es, Toni?«

»Ja, ich bin's. Komm, red nicht lang! Versteck mich! Ich werd dir's vergelten, mein Leben lang!«

»Und wenn sie das Haus durchsuchen?«

Mutlos lässt der Rubatscher-Toni die Schultern sinken.

»Na ja, dann hilft's nichts, dann muss ich mich halt fangen lassen.«

Martha wendet den Kopf und sieht in diesem Augenblick zwei Jäger aus dem Wald kommen. Ihre Gestalt streckt sich.

»Nein, fangen sollen sie dich nicht! Komm, ich versteck dich in meiner Kammer.«

Sie drängt ihn schnell in ihr Zimmer, zieht die Tür wieder zu, dreht den Schlüssel um und steckt ihn ein. Dann geht sie wieder auf die Altane hinaus.

Jetzt streichelt sie nicht mehr die hellroten Geranienblüten, denn ihre Hand zittert ein wenig, je näher die beiden Jäger kommen, der Förster Tobler und sein Jagdgehilfe Eder. Beim Brunnen bleiben sie stehen und schauen über den Hof. Der Förster gewahrt das Mädchen als erster.

»Wie lange stehst du da schon oben?«, fragt er.

»Wie lange ich –« Martha setzt die kleine Gießkanne ab und zwingt sich zur Ruhe, denn sie hat gemerkt, wie unsicher ihre Stimme ist. »Eigentlich schon den ganzen Nachmittag.«

»Hast du keinen vorbeilaufen sehen?«

»Hier – am Hof? Nein, keinen Menschen hab ich gesehen.«

»Vielleicht ist er doch bei der Leiten runter«, meint jetzt der Jagdgehilfe Eder.

»In der kurzen Zeit?«, zweifelt der Förster und schaut wieder über den Hof hin. Aber anscheinend sieht er nichts, was seinen Verdacht erregt, denn er sagt plötzlich: »Für heut wird er uns wohl auskommen sein, der Lump. Komm, Eder!«

Sie gehen durch das Gatter abwärts. Erst drunten, wo das windschiefe Feldkreuz steht, trennen sie sich. Martha sieht, wie der Förster talwärts und der Jäger wieder bergwärts geht.

»Vergelt's Gott, tausendmal«, sagt plötzlich eine Stimme hinter ihr. Erschrocken fährt sie herum. Am offenen Fenster steht der Rubatscher-Toni und lacht. Die Zähne blitzen wie Elfenbein unter dem Schwarz des Rußes, mit dem er sein Gesicht eingerieben hat.

»Geh zurück«, sagte sie hastig. »Er könnte dich noch sehen.«

Dann holt sie den Schlüssel aus dem Kittelsack, sperrt auf und geht in ihr Zimmer. Der Toni sitzt jetzt auf dem Bettrand und sieht ihr erwartungsvoll entgegen. Weil sie nichts sagt, sondern ihn nur stumm ansieht, lächelt er wieder verlegen.

»Das wär bald dumm gegangen! Und ich hab doch gemeint, ich hätt den Förster ums Mittagläuten daheim gesehen! Mich reut bloß mein schöner Stutzen. Wegwerfen hab ich ihn müssen, weil er mich beim Laufen gehindert hat. Hoffentlich haben sie ihn nicht gefunden. Hat einer zwei Gewehre bei sich gehabt?«

Sie schüttelt stumm den Kopf, lehnt am Türrahmen und sieht ihn schweigend an. Sie weiß nicht, was mit ihr los ist. Etwas ist plötzlich anders, fühlt sie. Etwas ist eingebrochen in den schweigenden Bann der Nachmittagsstunde.

»Haben sie einen Namen genannt?«, fragt er plötzlich wie in Angst.

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