Unter der Benediktenwand - Hans Ernst - E-Book

Unter der Benediktenwand E-Book

Hans Ernst

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Beschreibung

Jahrelang ist die Ehe zwischen Ferdinand und Antonia Pacher kinderlos geblieben. Soll es das Schicksal des stolzen Hofes auf dem Roßkogl sein, in fremde Hände zu kommen? Als sie ein Findelkind annehmen und es Martin nennen, geschieht es doch noch, dass ein eigenes Kind geboren wird: Klemens. Er bekommt sogar bald darauf noch eine Schwester. Doch die Eltern müssen erleben, dass Klemens aus der Art zu schlagen droht, während Martin den Zieheltern alle Mühe und Sorge mit doppelter Liebe vergilt. Klemens aber muss noch manchen Umweg machen, ehe er erkennt, dass man wahres Glück nur in sich selber findet.

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LESEPROBE ZU

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2002

© 2017 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

Titelbild: Albert Gruber, © Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG

Lektorat und Satz: Pro libris Verlagsdienstleistungen, Marbach am Neckar

eISBN 978-3-475-54747-8 (epub)

Worum geht es im Buch?

Hans Ernst

Unter der Benediktenwand

Jahrelang ist die Ehe zwischen Ferdinand und Antonia Pacher kinderlos geblieben. Soll es das Schicksal des stolzen Hofes auf dem Roßkogl sein, in fremde Hände zu kommen? Als sie ein Findelkind annehmen und es Martin nennen, geschieht es doch noch, dass ein eigenes Kind geboren wird: Klemens. Er bekommt sogar bald darauf noch eine Schwester. Doch die Eltern müssen erleben, dass Klemens aus der Art zu schlagen droht, während Martin den Zieheltern alle Mühe und Sorge mit doppelter Liebe vergilt. Klemens aber muss noch manchen Umweg machen, ehe er erkennt, dass man wahres Glück nur in sich selber findet.

1

Sie kommen die Straße von Birkenstein her, ein Mann und eine Frau.

Die Muttergottes von Birkenstein hat schon so vielen geholfen; die Tafeln und Sinnbilder an der Außenwand der Kapelle zeugen davon. Nun sind auch sie dort hingegangen in der Hoffnung auf Hilfe. Sie sind nicht krank, nicht schwächlich. Nein, es sind gesunde Menschen, die zwei Bauersleute aus der Jachenau. Doch etwas anderes bedrückt sie, darum haben sie die weite Reise unternommen.

Ferdinand Pacher ist ein großer, schlanker Mensch mit hellem Haar, etwa zweiundvierzig Jahre alt. In seinem Gang liegt federnde Kraft, und neben seiner hohen Gestalt wirkt die Frau an seiner Seite zierlich, obwohl auch sie nicht klein ist. Antonia Pacher, geborene Rüsch, ist im Mai dieses Jahres fünfunddreißig geworden. In ihrem ebenmäßig schönen Gesicht ist noch kein Fältchen zu sehen, doch um ihren Mund hat sich kaum merklich ein Zug eingegraben, der auf geheimen Kummer hindeutet.

Sie haben soeben Lenggries hinter sich gelassen und befinden sich bereits auf der Straße, die über gute vier Wegstunden in die Jachenau führt.

»Geht es noch?«, fragt der Mann und fasst, da jetzt keine Häuser und Menschen mehr sichtbar sind, wieder einmal nach ihrer Hand.

»Ja, ja, Ferdl, es geht schon noch. Bloß der linke Schuh drückt mich ein bisschen«, meint sie.

»Zieh doch die Schuhe aus und lauf barfuß«, schlägt er vor.

»Ja, wenn wir Wegscheid hinter uns haben, werde ich das machen.«

Wahrhaftig, die beiden hätten es nicht nötig gehabt, den weiten Weg zu Fuß zu gehen. Sie hätten nach Birkenstein fahren können, denn der große Hof auf dem Roßkogl unterhalb des Messnerberges ist ihr Eigentum. Aber dann wäre es ja kein Bittgang gewesen. Und sie hatten doch etwas erbitten wollen an der Gnadenstätte. Etwas erbitten, das anderen so reichlich und oft ungewollt in den Schoß fällt und unbegreiflicherweise gerade ihnen versagt zu bleiben scheint. Acht Jahre ist es jetzt her, dass sie im Gasthof zur Post in der Jachenau ihre große Hochzeit gehalten haben. Und sie haben damals gehofft, dass man bald die alte, blau bemalte Wiege vom Dachboden herunterholen könne. Aber die Jahre sind hingegangen, und Gott hat ihren sehnlichen Wunsch nicht erfüllt.

Es ist ein schöner Tag im September des Jahres 1919, als die beiden Hand in Hand auf der staubigen Straße dahinwandern. Die junge Bäuerin hat ihre Schuhe nun ausgezogen und trägt sie in der Hand. Das leise Wellengeplätscher der munter fließenden Jachen begleitet sie. Um die Wipfel der Fichtenbäume, die die Straße säumen, leuchtet hell das Sonnenlicht, und manchmal geht ein Windhauch durch die Zweige.

»Das hätte ich gar nicht geglaubt, Antonia, dass du so gut marschieren kannst«, sagt nach einer Weile der Bauer anerkennend.

»Soll ich weniger tapfer sein als du?«, fragt sie mit einem Lächeln zurück. »Aber vielleicht kehren wir in Tannern noch ein bisschen ein? Von dort haben wir dann noch zwei Stunden Fußweg zum Roßkogl. Wie lange sind wir denn heute schon gelaufen?«

»Sieben Stunden, schätze ich. Aber das macht nichts«, sagt er und fügt noch hinzu: »Hoffentlich war es nicht umsonst.«

Kaum aber hat er den letzten Satz gesprochen, bereut er ihn schon, denn er sieht, wie ihre Gesichtszüge versteinern und ein bitterer Zug wieder um ihren Mund zu erkennen ist, wie mit einem Stift eingezeichnet.

»Ich kann doch nichts dafür«, sagt sie leise.

»Weiß ich doch, Antonia. Ich hab’s auch nicht so gemeint. Werde jetzt nur nicht ungeduldig. Wir sind ja noch jung genug.«

Da kann auch sie wieder ein wenig lachen.

»Zusammen sind wir jetzt immerhin schon genau siebenundsiebzig Jahre alt!«

»Aber im Herzen sind wir noch jung, und das ist die Hauptsache.«

Staub wirbelt unter ihren Schritten auf, und damit es nicht gar so langweilig wird, beginnt Antonia Pacher mit ihrer schönen Altstimme ein Lied zu singen, das sie früher gerne gesungen hat, in ihrer Kindheit, die sie jenseits der Benediktenwand, in Gschwend, verlebt hat. Sieben Geschwister sind sie gewesen, fünf Schwestern und zwei Brüder.

Oh, sie weiß genau, wie ihr Mann unter der Kinderlosigkeit leidet. Wie er sich innerlich grämt, wenn die anderen spöttisch fragen, wann auf dem Roßkogl endlich ein Stammhalter komme. Er lässt sich ihr gegenüber nur nichts anmerken. Er hat sich in der Gewalt und will ihr nicht wehtun. Aber sie sieht ihn oft grübelnd vor sich hinstarren, merkt, wie er zusammenzuckt, wenn sie ihn dann anspricht, und hört so manches Mal einen tiefen Seufzer von ihm, von dem sie weiß, was er zu bedeuten hat. Ach ja, es gibt so manche Anzeichen. Bedächtig und sorgfältig hat er früher am Hof die Arbeit geleitet. Jetzt stürzt er sich oft blindlings in sie hinein, so als habe ein dunkler Zorn ihn angefallen, den er an niemandem auslassen kann.

Jetzt nähern sie sich der Schemer-Alm und setzen sich dort ein wenig auf die Bank. Die Sonne ist schon weit nach Westen gerückt, und die Bäume des nahen Fichtenwaldes werfen bereits lange Schatten. Auch die Jachen rauscht etwas lauter. Mit bimmelnder Glocke wandern Kühe über das Almfeld und stauen sich dann vor der geschlossenen Stalltür.

Der Roßkogler steht auf und betrachtet sie mit kritischem Blick. Er ist zu sehr Bauer, um nicht sofort festzustellen, dass dieses Vieh nicht besonders gut gehalten wird. Und als die Sennerin jetzt über eine Hügelwelle her kommt, sagt der Roßkogler mit trockener Bissigkeit:

»Besonders viel brauchst du dir auf deine Klappergestelle nicht einzubilden. Da, die drei krummhörnigen dort, die sehen ja jämmerlich aus.«

Die Sennerin, weder jung noch schön, sondern schon ein älteres Frauenzimmer, wirft einen giftigen Blick auf den Bauern und möchte am liebsten sagen: Was geht’s denn dich an, Roßkogler? Aber sie hat viel zu viel Respekt vor diesem großen Mannsbild, von dem sie weiß, dass er einer der reichsten Bauern in der Jachenau ist. So sagt sie lieber:

»Na ja, bei uns ist auch das Weideland nicht so gut wie bei dir.«

»Das mag schon sein, und dir mache ich auch keinen Vorwurf. Aber dein Bauer, der Manhart, ist nie ein guter Wirtschafter gewesen. Und wenn ich ganz ehrlich sein soll, nimm’s mir nicht übel, Marianne, aber du bist doch schon ein bisschen zu alt, um auf die Alm gehen.«

Das ist selbst für die Marianne zu viel. Das Altwerden lässt sich keine gerne vorwerfen, und das will sich die Marianne auch von Ferdinand Pacher nicht bieten lassen. Ihr Spitzmausgesicht verzieht sich zu einem scheinbar freundlichen Grinsen, und hinterlistig sagt sie: »Da kannst du schon Recht haben, Roßkogler. Ein so guter Wirtschafter wie du ist er nicht, der Manhart, das bestätigt dir sicher jeder in der Gegend. Dafür hat er dir aber was anderes voraus, nämlich ein halbes Dutzend Kinder.«

Ferdinand Pacher läuft rot an, und er ballt die Fäuste. Die Sennerin ist nach ihrer Bemerkung gleich in den Stall verschwunden, und die Kühe drängen eilig hinter ihr hinein, denn sie wollen gemolken werden. Noch eine ganze Weile steht er da und starrt in das Abendrot, das feierlich über dem Hohen Zwiesler und dem daneben liegenden Achselkopf brennt. So lange schaut er hin, bis seine Augen schmerzen, und er fühlt, dass seine Erregung sich zu legen beginnt. Dann erst geht er wieder vor die Hütte.

Dort sitzt die Antonia, hat den Kopf an die Holzwand gelegt und ist eingeschlafen. Immer, wenn er sie so still betrachtet, spürt er die tiefe Freude, dass sie seine Frau ist. Er weiß, dass ihn viele um diese schöne Antonia beneiden, deren Tüchtigkeit als Bäuerin bis weit hinter Lenggries hinaus bekannt ist. Noch keine Minute hat er es bereut, sie genommen zu haben, obwohl sie aus einem kleinen Anwesen stammt und die Mitgift kaum ins Gewicht gefallen ist. Mit ihrem Eifer, mit ihrer Arbeitskraft, mit ihrer restlosen Hingabe an den herrlichen Besitz auf dem Roßkogl hat sie das längst wettgemacht.

Behutsam tippt er ihr auf die Schulter. »Antonia ...« Er muss sie erst noch rütteln, bis sie ganz zu sich kommt. »Wir müssen jetzt gehen, Antonia.«

»Ach so, ja.« Sie steht auf und hängt die Schuhe wieder über die Schulter. »Na so was, ich wollte doch nur ein bisschen verschnaufen, und dann schlafe ich gleich ein.« Sie fasst nach seiner Hand. »Packen wir’s!«

Schweigend gehen sie nun dahin. Erst dort, wo der Reichenaubach in die Jachen fließt, fragt Ferdinand Pacher: »Warum redest du denn nichts mehr, Antonia?«

Sie schluckt ein paar Mal und drückt seine Hand fester. »Gerade habe ich daran gedacht, dass meine Schwester, die Barbara, jetzt schon ihr zweites Kind gekriegt hat.«

»Antonia, hör doch auf, darüber nachzugrübeln. Du machst es dir ja selber nur schwer dadurch!«

»Nein, aber wenn ich dran denke, dass die Barbara dir vor mir begegnet ist und dass sie dir gar nicht so schlecht gefallen hat ...«

Er lächelt, wie in Erinnerung versunken, still für sich hin.

»Ja, aber dann habe ich dich gesehen, damals auf dem Tanzboden. Von dem Augenblick an hat es für mich keine andere mehr gegeben!«

»Wenn ich aber nicht dort gewesen wäre, hättest du sicher die Barbara heimbegleitet. Wer weiß, wie dann alles gekommen wäre. Vielleicht wäre sie heute Roßkoglerin, und du hättest Kinder.«

»Ich hab’ ja so auch ein Kind«, antwortet er trocken und lächelt hinterher. Verständnislos schaut sie ihn an.

»Wo hast du ein Kind?«

Er legt den Arm um ihre Schultern.

»Dich habe ich doch! Manchmal redest du wirklich daher wie ein Kind. Du warst für mich eben bestimmt, und alle anderen Überlegungen haben keinen Sinn.«

Endlich nähern sie sich Jachenau. Gespenstisch ragen die Umrisse des Kirchturms aus der Dämmerung. Als sie kurz vor dem Ort die Bachbrücke überschreiten, beginnen die Abendglocken zu läuten. Es wirkt, als ob sie es zu ihrem Empfang täten.

Der Roßkogler nimmt seinen Hut ab, und auch die Antonia faltet die Hände. Sie gehen nicht durchs Dorf, sondern biegen davor ab und steigen den schmalen Fahrweg bergauf zum Roßkogl. Eine letzte Kuppe gilt es noch zu bezwingen, dann sehen sie ihn liegen, den mächtigen Hof. Wie eine Trutzburg steht er da oben, und das kleinere Fischeranwesen, etwa fünfhundert Schritt daneben, sieht aus wie ein Spielzeug, das aus Gottes großer Spielzeugschachtel achtlos herausgefallen ist.

Schnell ist es Nacht geworden. Über der Benediktenwand flimmern die ersten Sterne.

»Jetzt werden wir’s gleich haben, Antonia.«

»Ja, Ferdl, gleich sind wir daheim.«

Dreihundert Schritte noch. Dort ist schon die Gruppe der sieben Ahornbäume. Dann nur noch hundert Schritte. Sie hören bereits den Brunnen plätschern. Beim Fischer bellt der Hund. Im Roßkoglerhof zündet man gerade die Lampe an. Das Licht fällt freundlich, als ob es ihnen den Weg zeigen wollte, heraus in die Nacht.

Sie sind daheim.

Ein gutes halbes Jahr ist seit dem Bittgang nach Birkenstein vergangen, und es scheint so, dass auch dieser Weg umsonst gegangen worden ist. Die Enttäuschung ist dem Bauern deutlich anzumerken, und von Monat zu Monat wird sie für Antonia bedrückender.

Auch wenn er es nicht ausspricht, scheint er ihr insgeheim Vorwürfe zu machen. Antonia erschauert oft unter seinen forschenden, suchenden Augen.

Als dann dem Fischer drüben Ende März ein Kind, sein drittes, geboren wird, packt ihn so rasender Neid, dass er wie ein Irrer den ganzen Tag in den Wäldern umherrennt, und am Abend, beim Heimweg, macht er einen großen Bogen um das Fischeranwesen, aus Angst, er könnte dem kleinen, untersetzten Mann begegnen und müsse ihm dann gratulieren, ein freundliches Gesicht dazu machen, obwohl der Neid ihn zerfrisst. Er hört in den nächsten Tagen, dass es ein gesundes, kräftiges Mädchen ist, und lacht bitter auf.

»Denen geht doch alles wie nach Wunsch. Erst zwei Buben und dann ein Mädel.«

»Das nächste Mal soll es wieder ein Bub sein«, soll der Fischer geprahlt haben.

In diesen Tagen steht der Pacher oft wie verloren hinter seinem Hof und starrt hinüber zu dem kleinen Anwesen, auf das Gott seine Hand segnend gelegt hat.

An einem Morgen sitzt er in der großen Stube und hat das große Familienbuch vor sich liegen. Draußen ist ein heller, freundlicher Vorfrühlingstag. Die Palmkätzchen haben schon ausgeschlagen, und auf den Bergwiesen blühen die ersten Krokusse und Märzenbecher.

In dieses in Schweinsleder gebundene Buch hat schon sein Urgroßvater all das hineingeschrieben, was es über den Roßkogl und über die Jachenau zu berichten gab. Demnach soll die Jachenau einmal eine Siedlung des Klosters Benediktbeuren gewesen sein und ursprünglich »Tal Nazareth« geheißen haben. Unter dem Schutz des Klosters hatte sich dann die Jachenau im Laufe der Jahrhunderte zu einer wohlhabenden Gemeinde entwickelt.

Das hat der Urgroßvater eingetragen.

Der Großvater muss gründlicher gewesen sein. Seine Eintragungen sind alle mit einem Nachsatz oder mit einer Betrachtung ausgeschmückt. So zum Beispiel, als einer seiner Söhne, der Kajetan, im Kriege 1870/71 bei Sedan gefallen war. Da heißt es hinterher:

»Gott schenkt die Söhne, und ohne seinen Willen fällt kein Sperling vom Dach. Das Vaterland ruft die Söhne und lässt sie fallen, und man lässt es geschehen, weil sie uns sagen, dass auch darin der verborgene Wille Gottes sei.«

Sein Vater, der Tobias Pacher, hat keine Bemerkungen hinzugefügt. Seine Eintragungen sind kurz und trocken und beschränken sich nur auf das Notwendigste. So steht unter anderem:

»Heute Nachmittag 5 Uhr ein Sohn geboren. Lassen ihn Ferdinand taufen. Möge Gott es geben, dass er das Geschlecht der Roßkogler weiterführt.«

Ferdinand Pacher lacht bitter auf, als er das jetzt wieder liest. Er selbst hat in dieses Buch noch nicht viel eingetragen. Seit Jahren sind die Seiten leergeblieben. Heute aber hat es ihn gedrängt, seinen Kummer niederzuschreiben. In steilen, energischen Buchstaben steht da:

»Heute vor acht Jahren geheiratet. Bisher eine recht glückliche Ehe geführt. Aber leider immer noch keinen Erben. Sind im Herbst nach Birkenstein gewallfahrtet. Ist der ganze weite Weg für die Katz gewesen. Gibt so viel Ungerechtigkeiten auf der Welt. Andere kriegen Kinder, eins nach dem anderen, aber wir nicht ein einziges. Da soll man an der Gerechtigkeit Gottes nicht zweifeln!«

Es ist ganz still in der Stube. Die Fenster stehen weit offen, und die Frühlingsluft strömt wie auf unsichtbaren Wellen herein. Die Stare pfeifen um die Wette, im Hühnerstall gackern die Hühner und geben damit laut zu wissen, dass sie nicht umsonst die Körner fressen. Einmal hört man vom Stall her eine Kuh muhen. Pacher weiß es, die Kuh muht nicht, weil sie Hunger hat, sonst wäre ihr Rufen ungeduldiger. Gretel heißt die Kuh, und ihr Muhen ist nichts als ein Rufen der Sehnsucht nach ihrem Kalb, das sechs Meter weg in der Streu liegt und mit großen Augen zur Mutter hinüberschaut.

Das ist Leben! Wohin der Bauer auch schauen mag, überall Leben und Daseinsfreude. Auch draußen hat sich das Leben wieder erneuert nach einem strengen Winter.

Auch das ist Leben, was seine Augen jetzt zu sehen bekommen. Über den Hügel her kommen die beiden Fischerbuben, der größere zieht auf einem Leiterwägelchen den kleineren hinter sich her. Sie bewegen sich auf den Roßkoglhof zu, und ihre hellen Stimmen schwingen im Märzwind.

Mit vorgeschobenem Kinn steht der Roßkogler da. Seine blauen Augen sprühen ein kaltes Licht aus. Dann wendet er sich um, nimmt die Schnapsflasche aus dem kleinen Wandkästchen und schenkt ein. Ruckartig schüttet er drei, vier Gläser hinunter. Sein Blick wird dabei immer düsterer. Er weiß schon, warum sie kommen, die Fischerkinder. Die Antonia wird sie auch schon gesehen haben und wird in der Küche bereits die Butterbrote herrichten. Sie sehen nicht allzu viel Butter in ihrem Armeleutehaus drüben. Der Fischer hat bloß zwei Kühe im Stall und geht in den Staatswald als Holzfäller.

Wieder schüttet er ein paar Gläser Schnaps hinunter. Aber er kann es nicht aufhalten. Die Kinder kommen wirklich in seinen Hof. Er kann ihren Anblick in diesem Moment nicht ertragen. Draußen im Hof sind sie nun, tanzen um das Wägelchen und singen:

»Ringelringel – rum

der Vater ist nicht dumm,

die Mutter ist ein Engel rein

und soll auf Erden selig sein,

ringelringel – rum ...«

Da kann sich Ferdinand Pacher nicht mehr halten. »Maul halten!«, brüllt er, dass die Kinder erschrocken zusammenzucken. »Bande, miserable. Haltet euer Maul!« Klirrend schlägt er das Fenster zu. In diesem Augenblick geht die Tür auf. Antonia steht auf der Schwelle. »Um Gottes willen, Ferdl, warum schreist du denn so?«

Zunächst erschrickt er ein wenig. Er fühlt sich ertappt, wird unsicher und legt in seiner Verlegenheit das Buch der Ahnen ins Wandschränkchen, schließt es ab und dreht sich um. Sie schaut ihn verständnislos an. Und da bricht es hemmungslos aus ihm heraus:

»Ein Hungerleider ist er, der Fischer, der heute nicht weiß, was er morgen essen soll. Aber eins hat er mir weit voraus. Kinder hat er und weiß wenigstens, für was er schuftet!«

»Ferdinand«, sagt da Antonia leise und erschrocken. »So kenne ich dich ja gar nicht.« Sie tritt nahe vor ihn hin, riecht aus seinem Mund das Gebrannte und macht einen Schritt zurück.

»Hast du getrunken?«

»Ja, warum nicht?«, fragt er herausfordernd.

»Andern schenkt Gott Kinder und mir nur Schnaps.«

Totenblass wird Antonia. »Jetzt fehlt nur noch, dass du mir vorwirfst, dass es meine Schuld ist«, sagt sie.

Seine Unterlippe schiebt sich vor. »Vielleicht«, platzt er heraus. »Kann ich denn sicher sein, dass es nicht so ist?«

Antonia ist fassungslos und verletzt. Blitzartig kommt es ihr in den Sinn, dass Ferdinand ihr vielleicht schon lange heimlich die Schuld an ihrer Kinderlosigkeit gibt.

Doch sie kämpft den Schmerz und die Empörung über diese Ungerechtigkeit nieder und sagt so ruhig wie möglich:

»Wenn du das meinst, Ferdinand, dann ist es besser, ich lasse dich allein und gehe zu meinen Leuten zurück nach Gschwend.«

»Nach – nach Gschwend?« Seine Zunge stolpert über die paar Worte. Und plötzlich ist ihm dann, als habe ihm jemand einen Kübel eiskalten Wassers ins Gesicht gegossen, so ernüchtert ist er auf einmal wieder.

»Aber, Antonia, was fällt dir denn ein? Du kannst doch nicht fortlaufen!« Seine Hände strecken sich ihr entgegen, aber sie weicht aus, lehnt sich neben dem Ofen an die Wand und spricht in aller Ruhe:

»Schau, Ferdl, ich habe es kommen sehen. Ich wünsche mir nicht weniger als du, ein Kind zu bekommen. Aber es wird halt so sein, dass es Gottes Wille ist, und ...«

»Ein sauberer Wille«, unterbricht er sie brüllend und blickt mit verzerrtem Gesicht in die Ecke, wo über dem Tisch im Winkel ein geschnitzter Christus hängt. »Hast du nichts anderes zu tun, als die Leute zum Narren zu halten? Da glaubt man an dich, und du lässt es einfach zu ...«

In blinder Wut reißt er das leere Schnapsglas an sich und hebt es hoch, als wolle er damit nach dem Gekreuzigten werfen. Antonia fällt ihm in den Arm.

»Ferdl, du versündigst dich. Schämst du dich denn gar nicht?«

Ferdinand schaut sie an, als sei er soeben aus einem wüsten Traum erwacht. Langsam geht er an ihr vorbei, nimmt draußen im Gang die Jacke vom Haken, stülpt sich den Hut auf den Kopf und verlässt durch die hintere Stalltür den Hof.

Sein Weg führt ihn hinunter ins Dorf. Dort hat er beim Metzger noch das Geld für die letzten zwei Kälber zu holen. Er bekommt es auch und plaudert ganz ruhig mit dem Mann. Dann geht er den Kirchenberg hinauf und öffnet das knarrende Gittertor zum Friedhof. Lange steht er am Familiengrab, in dem seine Eltern und Großeltern liegen, gerade, als ob er vor ihnen Abbitte leisten möchte, dass er gegen Gott die Hand erhoben hat.

Ja, ganz friedlich wird er wieder, ganz ruhig. Und er nimmt sich vor, für die Antonia etwas zu kaufen. Einen Seidenstoff vielleicht oder ein Schultertuch.

Auf dem Weg zum Laden kommt er am Gasthaus »Zur Post« vorbei. Er will vorbeigehen, aber da steht gerade der Angerer-Sepp und meint:

»Hast du Lust, eine Runde mitzuspielen, Roßkogler? Uns fehlt der vierte Mann.«

Der Pacher, normalerweise kein Wirtshausgeher und ein Kartenspieler schon gar nicht, zögert ein wenig. ›Eigentlich‹, denkt er, ›ist das keine schlechte Idee. Dann brauche ich der Antonia nicht gleich unter die Augen zu treten.‹

»Na ja«, meint er schließlich. »Auf ein paar Maß kommt’s mir nicht an. Jetzt ist der Tag sowieso gleich um.«

Der Wegmacher-Florian mischt schon die Karten, als er den Roßkogler hereinkommen sieht. Der andere ist ein Holzknecht, der Hagl-Vinzenz, der wegen einer Beinverletzung zur Zeit nicht in den Wald gehen kann. Nach einer Stunde denkt der Roßkogler, dass es eigentlich schon richtig gewesen ist, sich hier ein wenig abzulenken. Seine düstere Stimmung ist verflogen. Und als der Vinzenz so ums Dunkelwerden herum, bevor die Lampen angezündet werden, die Karten wegwirft und meint, dass man zur Abwechslung auch einmal singen könnte, fällt der Pacher sofort mit seiner hellen Tenorstimme ein in das Lied vom verwegenen Wildschützen, der auf der Falkenwand droben einen schneeweißen Gamsbock geschossen hat.

Dann bestellt er Wein. Es geht alles auf seine Rechnung, und um Mitternacht ist die Hälfte des Geldes verzecht, das er für eines der Kälber bekommen hat, weil er alle eingeladen hat, die am Abend noch dazugekommen sind.

Ein leichter Wind ist aufgekommen, als Ferdinand Pacher, begleitet vom Angerer-Sepp, dem Roßkogl zugeht. Manchmal stolpern seine Füße etwas, und der Sepp greift ihm dann unter den Arm, obwohl auch er unsicher auf den Beinen ist.

Der Pacher bleibt stehen und blinzelt zu den Sternen hinauf. »Heute wird die Antonia schimpfen«, sagt er.

»Ach was! Du bist doch schließlich der Bauer und der Herr. Du wirst doch vor deiner Alten keine Angst haben!«, röhrt sein Begleiter großspurig.

»Das nicht, aber –«

»Weißt du, das solltest du dir nicht gefallen lassen«, belehrt ihn der andere mit erhobenem Zeigefinger. »Als ich das erste Mal mit einem Rausch heimgekommen bin, da wollte meine Frau auch gleich Krach schlagen. Aber jetzt ist sie es schon gewöhnt.«

»Deine Frau ist ja auch nicht meine Frau«, sagt der Pacher und blinzelt wieder zu den Sternen hinauf. »Meine Frau ist was Besonderes, weißt du. Auf alle Fälle werde ich versuchen, leise zu sein, vielleicht hört sie mich gar nicht.«

Weit gefehlt. Antonia hört ihn schon auf den Hof zukommen. Sie sieht, wie er beim Brunnen torkelt und beinahe stürzt. Dann kommt er unsicheren Schrittes auf die Haustür zu und kurz danach zur Stubentür herein. Da liegt sie schon wieder im Bett und stellt sich schlafend. Kein Wort wird sie sagen, auch morgen nicht, denn sie ist klug genug, um zu wissen, dass mit Schimpfen nichts besser wird.

Sie hört, wie er angekleidet und laut ächzend auf das andere Bett fällt. Gleich darauf geht sein Atem schon in leises Schnarchen über. Jetzt erst macht sie Licht und steht auf. Sie entkleidet ihn vorsichtig, damit er nicht aufwacht. Aber irgendwie muss er es doch fühlen, dass etwas mit ihm geschieht, denn er tastet einmal mit seinen Händen umher.

Am nächsten Tag begegnet er ihrem Blick mit der Verlegenheit eines Knaben, der weiß, dass er etwas ausgefressen hat, und fürchtet, ausgeschimpft zu werden. Aber sie sagt kein Wort, lächelt nur und streichelt ihm einmal über das wirre Haar.

»Gestern, meine ich, hast du ein bisschen über den Durst getrunken, Ferdl.«

Dieser gütige Tonfall löst seine Zunge, denn offensichtlich ist Antonia ihm nicht böse. »Ein bisschen ist gut. Das war schon ein ganz schön ausgewachsener Rausch. Ich weiß überhaupt nicht mehr, wie ich mich ausgezogen habe.«

»Tatsächlich?«, fragt sie schelmisch lächelnd. »Ich habe dich gar nicht heimkommen hören.«

»Ja, weißt du, als ich bei der ›Post‹ vorbeigegangen bin, steht der damische Angerer-Sepp da und fragt mich, ob ich den vierten Mann beim Kartenspielen machen will. Und ich bin mitgegangen, aber eigentlich wollte ich wirklich nur ein, zwei Runden mitspielen ...«

»Aber Ferdl, du brauchst dich doch nicht bei mir zu entschuldigen. Jeder darf einmal über die Stränge schlagen, und bei dir kommt das ohnehin nur ganz selten vor.«

»Auf alle Fälle tut mir heute der Schädel richtig weh.«

»Dann leg dich halt noch einmal hin. So viel Arbeit haben wir im Moment nicht, und die Dienstleute brauchen nicht zu merken, dass du schlecht beieinander bist.«

Ihr Entgegenkommen und Verständnis überwältigt ihn so sehr, dass er sie stürmisch in die Arme nimmt und bittet, sie möge alles vergessen, was gestern gewesen ist. Dann geht er schnell hinaus.

2

Es folgen auch ruhige und lichte Wochen. Der Mai ist gekommen, Felder und Wiesen stehen im schönsten Blütenschmuck.

Die Jachenau ist ein einziges blühendes Wunder. Ein stahlblauer Himmel spannt sich wochenlang über das Tal, und nur manchmal ziehen vereinzelte weiße Wolken langsam über die Berge dahin.

Um diese Zeit geschieht es, dass Ferdinand Pacher ein weiteres Mal über die Stränge schlägt.

Einer der beiden Haflinger, der Wallach Hansi, ist seit dem März nicht mehr das, was er sonst gewesen ist. Er magert immer mehr ab, sein Fell wird struppig, er frisst kaum, und manchmal schaut er mit so traurigen Augen über den Barren, dass es Antonia jedes mal das Herz brechen könnte.

»Ferdl, ich kann das jetzt nicht mehr mit ansehen«, sagt sie eines Tages. »Was kann er denn nur haben, der Hansi?«

»Ja, wenn ich das nur wüsste. Es muss etwas mit seinen Gedärmen sein. Aber wenn es nicht von alleine wieder vergeht, weiß ich auch nicht, was ich machen soll.«

»So hat es aber auch keinen Sinn. Mir tut der arme Kerl Leid. Besser, man lässt ihn einschläfern.«

»Ja, daran hab’ ich auch schon gedacht. Morgen früh fahre ich nach Lenggries und erledige das, und dann sehe ich mich gleich nach einem Ersatz für den Hansi um. Fährst du mit?«

»Nein, lieber nicht. Du brauchst mich doch nicht unbedingt dabei, und hier ist viel zu tun.«

Am nächsten Morgen fährt Ferdinand weg, und spätestens gegen Abend will er wieder zurück sein. Aber es wird Nacht, ohne dass er nach Hause kommt, und auch am nächsten Morgen ist er noch nicht da. Ferdinand Pacher kommt erst am dritten Tag um die Mittagszeit mit seinem neuen Pferd heim. Antonia steht bei den Ahornbäumen und wartet auf ihn, weil sie das Gefährt auf der Straße unten im Tal erspäht hat. Als Ferdinand sie sieht, hält er an und springt vom Wagen. Schweißbedeckt steht das neue Pferd da. Es ist ein langbeiniger, schlanker Rappe, der viel geeigneter scheint, ein Pferderennen zu gewinnen als bei Bauernarbeit eingesetzt zu werden.

»Ferdinand«, fragt Antonia nach einer Weile, »soll das etwa das Pferd sein, das du als Ersatz für den Hansi gekauft hast?«

»Gefällt es dir etwa nicht?«, lacht er und schiebt den Hut noch weiter aus der Stirn. »Sag nichts gegen den Mylord, Antonia. In anderthalb Stunden bin ich jetzt von Lenggries hergefahren. Das soll ihm einmal einer nachmachen.«

»Ich habe nicht gewusst, dass du jetzt auf einmal ein Pferd brauchst, das Geschwindigkeitsrekorde aufstellt«, sagt sie kopfschüttelnd. »Ich habe geglaubt, wir bräuchten eines, der die Mähmaschine zieht, und den Heuwagen, und im Winter zum Holzfahren zu gebrauchen ist.«

»Wir haben ja noch fünf andere Pferde im Stall stehen. Komm, Antonia, lass mir halt meine Freude. So ein Pferd habe ich mir schon immer gewünscht.«

»Ach so, Ferdl, wenn es so ist, dass du dir einen langjährigen Wunsch erfüllt hast, dann will ich dir das von Herzen gönnen. An irgendwas muss ja der Mensch seine Freude haben.«

Ein wenig unsicher blinzelt er sie an. War da nicht ein eigenartiger Unterton in ihrer Stimme? Dann schaut er zum Hof hin. Niemand ist zu sehen. Darum legt er jetzt schnell den Arm um sie.

»Antonia, du bist die Beste, die es überhaupt gibt auf der Welt. Am ersten Tag habe ich noch nichts Gescheites auftreiben können, und dann bin ich halt am nächsten Tag nach Tölz raus. Und wie es halt oft so geht –«

In diesem Augenblick legt sie ihm die Hand auf den Mund. Dann nimmt sie sein Gesicht in ihre Hände und schaut ihm in die Augen.

»Ferdl, habe ich dich gefragt, wo du warst? Aber wenn du mir es schon sagst, dann bitte ich dich, dass du mich nicht anlügst. Alles kann ich vertragen, bloß anlügen darfst mich nicht. Acht Jahre lang hast mich nicht ein einziges Mal angelogen. Warum tust es denn jetzt?«

Das Blut schießt ihm ins Gesicht. Er muss den Blick senken, und schließlich sagt er schuldbewusst: »Also gut, ich war nicht in Tölz. Aber beim Alten Wirt in Lenggries hab’ ich den Mulzer von Tölz getroffen, der mit mir in der gleichen Kompanie war, damals im Weltkrieg. Und den habe ich doch seit drei Jahren nicht mehr gesehen, dabei waren wir die besten Freunde damals, als wir zusammen im Schützengraben gelegen sind. Also bin ich über Nacht in Lenggries geblieben. Aber als ich mich gestern von ihm verabschieden wollte, war er gekränkt, dass ich so schnell wieder gehen wollte, und da bin ich halt noch einen Tag länger geblieben.«

Lächelnd hört ihm Antonia zu. Nur als er noch sagt: »Das kommt so schnell nicht mehr vor«, da wird sie ernst und antwortet: »Versprich nichts, Ferdl, was du danach vielleicht doch nicht halten kannst. Komm jetzt, du wirst Hunger haben.«

Das Pferd am Zügel führend, die andere Hand um Antonias Hüfte geschlungen, so geht er mit ihr auf den Hof zu.

In immer kürzeren Zeiträumen spannt Ferdinand jetzt den Traber vor seinen Wagen und verschwindet. Manchmal kommt er am selben Tag noch zurück, manchmal aber auch erst am nächsten. Antonia hat sich eisern in der Gewalt, obwohl es sie tief bekümmert, dass Ferdinand sich so verändert hat. Und weil von ihr nie ein Wort des Vorwurfs zu hören ist, hält die Beschämung Ferdinand nach solchen Exzessen immer ein, zwei Wochen lang wieder zu Hause.

Doch dass er Gefallen an dem lustigen Leben gefunden hat, lässt sich nicht leugnen. Es schmeichelt ihm, dass man in den Bierstuben so gerne seine Gesellschaft sucht. In der Jachenau selber hält er sich freilich zurück. Aber draußen in Lenggries, in Fall, in Tölz und Kochel, überall kennt man diesen lustigen Jachenauer. Keine Gaudi ist ihm zu dumm, um dabei mitzumachen. Nur in einem hält er sich zurück: Frauen und Mädchen sind ihm offensichtlich gleichgültig. Er hätte durchaus seine Chancen, aber neben seiner Antonia scheint keine andere bestehen zu können.

Natürlich wird auch viel über ihn geredet, was gar nicht wahr ist. Die Gerüchte schwirren nur so, und oft eilen sie ihm sogar voraus, sodass die Antonia von diesem oder jenem Streich schon weiß, bevor er heimkommt. Freilich, die Antonia glaubt nicht alles, was man ihr zuträgt, doch bleibt so manches im letzten Winkel ihres Herzens hängen. Kleine giftige Splitter sind es nur, aber es werden immer mehr.

Es treibt sie jetzt, wenn er nicht da ist, oftmals hinaus in die Nacht. Sie sitzt dann unter der Ahorngruppe und horcht in das Dunkel hinein, ob sie nicht den vertrauten Hufschlag aus der Ferne kommen hört. Meist ist ihr Warten vergeblich.

Noch nie hat sie sich so brennend ein Kind gewünscht wie in dieser Zeit. Ferdinand benimmt sich genau so wie die unverheirateten Burschen, mit denen er sich die Zeit vertreibt. Wenn sie bloß Kinder hätten, würde er sich schnell wieder auf seine Verantwortung besinnen!

Manchmal wird Antonias Drang übermächtig, einem Menschen ihr Herz auszuschütten. Flüchtig denkt sie einmal an ihre Schwester Barbara. Aber wird die sie verstehen? Ihre Zweifel daran sind zu groß, und sie verwirft ihre Idee wieder.

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