Der Bauernknecht und andere Geschichten - Hans Ernst - E-Book

Der Bauernknecht und andere Geschichten E-Book

Hans Ernst

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Beschreibung

Einen schweren, aber auch erfüllten Lebensweg ist der Dichter Hans Ernst gegangen, vom einfachen Bauernknecht zum bekannten Volksschriftsteller. In diesen Erzählungen breitet Hans Ernst die prägenden Erlebnisse eines begnadeten Menschenlebens aus: die armselige Kindheit in der Stadt, die Sehnsucht nach der Erde, erste unschuldige Kinderliebe, die glühende, verzehrende Leidenschaft des Heranwachsenden, die schwere Arbeit des Bauernknechts und das einfache Leben auf dem Lande. Ob er das tragische Schicksal der Luiserbäuerin schildert oder die bisweilen nachdenklich stimmende Geschichte einer "Brautschau" - der beliebte Volksschriftsteller hat wieder einmal bewiesen, dass das die schönsten Geschichten sind, die das Leben selber schreibt.

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LESEPROBE zu

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen 5., aktualisierten Auflage 2021

 

 

© 2021 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

 

Titelbild: © Matthias Riedinger – stock.adobe.com (oben) und RCsolutions – stock.adobe.com (unten)

Zeichnungen: Trude Richter, Tegernsee

Satz: Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

 

eISBN 978-3-475-54891-8 (epub)

Worum geht es im Buch?

Hans Ernst

Der Bauernknecht und andere Geschichten

Einen schweren, aber auch erfüllten Lebensweg ist der Dichter Hans Ernst gegangen, vom einfachen Bauernknecht zum bekannten Volksschriftsteller. In diesen Erzählungen breitet Hans Ernst die prägenden Erlebnisse eines begnadeten Menschenlebens aus: die armselige Kindheit in der Stadt, die Sehnsucht nach der Erde, erste unschuldige Kinderliebe, die glühende, verzehrende Leidenschaft des Heranwachsenden, die schwere Arbeit des Bauernknechts und das einfache Leben auf dem Lande.

Ob er das tragische Schicksal der Luiserbäuerin schildert oder die bisweilen nachdenklich stimmende Geschichte einer »Brautschau« - der beliebte Volksschriftsteller hat wieder einmal bewiesen, dass das die schönsten Geschichten sind, die das Leben selber schreibt.

Inhalt

Der Bauernknecht

Ein Schulaufsatz

Im Blick zurück

Firmungszeit

Meine ersten Ferien

Die Sommerfrischlerin

Das erste Herzklopfen

Mein erstes Fahrrad

Kammerfensterln

Meine erste Lederhose

Am Schlenklmarkt

Meine erste Schreibmaschine

Leben mit Büchern

Auf Brautschau

Der Bittgang

Das Kettenkarussell

Unterm Lindenbaum

Die Luiserbäuerin

Bahnwärters Else

Morgendliche Zwiesprache

Der Bauernknecht

Ganz zwangsläufig, weil es die Umstände, das Schicksal oder die Vorsehung so wollten, wurde ich ein Bauernknecht. Wahrscheinlich spielte da auch das Blut meiner Vorfahren mit, dass ich so an der Erde hing. Und wenn man so unverschämt jung ist und so fröhlichen Herzens, dass man über jeden Stein hätte lachen können, dann spürt man die Härte und die Plage eines langen Bauerntages nicht. Was einem zu schaffen macht, wenn man von den Knabenjahren ins Männliche hinaufsteigt, das ist die Liebe. Ich nahm nicht bedenkenlos, was sich bot und hatte damals schon einen Sinn für das Schöne. Es fehlte mir bloß die Erkenntnis, dass auch in einem weniger schönen Gesicht eine schöne Seele wohnen könnte.

Heute sagt man nicht mehr Bauernknecht, sondern landwirtschaftlicher Facharbeiter. Das Wort Knecht hat etwas Erniedrigendes. Man kann sich das gar nicht mehr vorstellen, denn heute kann so ein landwirtschaftlicher Facharbeiter zu seinem Herrn sagen: »Morgen Vormittag hab' ich keine Zeit für d' Arbeit, da muass ich mit meinem Wagn zum TÜV.«

Damals gehörten wir Bauernknechte mehr oder weniger zu den Ausgestoßenen. Im Wirtshaus durften wir nicht am Tisch der Bauern sitzen, wir hatten weit hinten am Ecktisch Platz zu nehmen. Auf dem Tanzboden durfte es kaum ein Knecht wagen, sich eine Bauerntochter zum Tanz zu holen. Mit ganz wenigen Ausnahmen bekam man da einen Korb. Und wenn mir heute einer käme und mir sagte, das stimmt nicht, dann könnte ich ihm tausendfach beweisen, dass es doch so war.

Ich war in die Jahre gekommen und hatte die Wanderung über verschiedene Bauernhöfe im Gebirg angetreten. Damals verdiente ein Bauernknecht in der Woche vier Mark. Wenn man bei einem Bauern den Dienst angetreten hatte, dann verlor man auch seinen Namen. So war ich über die vielen Jahre hinweg nicht mehr der Ernst Hans, sondern der Aumüller-Hans, der Hößentaler-Hans, der Lichtenegger-Hans, der Schwaiger-Hans usw. Man könnte so was auch Pseudonym nennen. Die Hauptsache war, dass man sich unter all den Decknamen seinen eigenen Namen ehrlich bewahrte. In den Zeugnissen stand ja auch jeweils: Er war ehrlich und fleißig. Weiterer Kommentare bedurfte es nicht, obwohl man auch dazuschreiben hätte können: Hat immer fleißig mitgebetet.

Das Gebet gehörte nun einmal jeden Tag vor dem Essen zur christlichen Hausordnung. Es wurde mit wenig Andacht heruntergeleiert. Ich glaube aber, dass der liebe Gott gar nicht so scharf darauf gewesen wäre, unser Gast zu sein, denn bei einem Bauern zum Beispiel, bei dem ich zwei Jahre war, gab es tagtäglich zu Mittag Knödl und Kraut und abends Kraut und Knödl. Das Kraut schmeckte immer so, als ob ein Stück Gselchtes mitgekocht worden wäre. Aber man fand nie ein Stückl Gselchtes darin. Das müssen die Heinzelmännchen rausgefischt haben oder, was noch eher anzunehmen ist, der Bauer hat es selbst gegessen, wenn wir wieder draußen waren.

Da konnte man dann am Sonntag schon wirklich andächtiger beten, weil es da Fleisch gab. So war ich langsam die Leiter der Berufssparte hinaufgestiegen, vom Bua zum Unterknecht, Oberknecht und Fuhrknecht. Die nächste Sparte wäre dann Baumeister auf einem größeren Gut gewesen. Aber das erreichte selten einer. Um Verwalter zu werden, bedurfte es bereits einer höheren Schule.

Bei allen Demütigungen, denen ich als Bauernknecht oft ausgesetzt war, verlor ich mich doch immer tiefer an die Schönheiten dieser Erde, an die Gräser, die da wuchsen, an das herrliche Blühen, wenn der Frühling kam, an das stille Reifen und das große Schweigen des Ackers, wenn der Pflug ihn durchschnitt. Ich fing an, alles mit anderen Augen zu betrachten und sammelte in jenen Jahren Erfahrungen mit Menschen und Tieren und allem, was die Erde trug, in so reichem Maße, dass es bestimmend wurde für mein späteres Leben. Es wuchs mir die Gabe zu, einen Menschen zu erkennen und zu erforschen bis auf seinen tiefsten Grund. Und es gab so prächtige Bauernmenschen darunter, als hätte Defregger den Männern die Seele eingehaucht und Leibl den Frauen. Ich lernte die Güte und die Liebe kennen, den Hass und bitterste Feindschaft. Dieses Sehen, Ahnen und Erkennen hat mich geprägt und nie mehr verlassen. Damals fing ich an, von meiner einstigen Kinderliebe, der Wurzi in München, zu schreiben. Manch Kluges war darunter, aber auch viel Dummes und Törichtes.

Thekla hieß einer der Kühe, ein breitgebautes Monstrum von Kuh mit sanften Augen, die ein Kälbchen erwartete, nachdem sie es tapfer ausgetragen hatte. Veronika war die Magd, die bei ihr wachen musste. Sie war sieben Jahre älter als ich, eine Magd am Hof mit zwei Mark Wochenlohn. Aber auch in einer Magd glutet das Verlangen nach Liebe, und als sie mich fragte, ob ich ihr nicht helfen wolle in der Nacht, da ahnte ich noch nicht, was sie mit mir im Sinn hatte.

Zuerst saßen wir hinter der Kuh auf einem Melkschemel. Die sind nicht breit, und wir saßen ziemlich eng zusammengepresst. Von ihren Hüften ging es so warm auf mich über.

Die Veronika richtete die Stricke her und einen Eimer mit Wasser und sagte dabei: »Hoffentlich geht's guat, dann brauch' ma neamd wecka.«

Dann saß sie wieder nah bei mir. Die Kuh dreddelte bereits unruhig umher, und die Veronika philosophierte:

»So a Kuah hat's eigentlich schee. De entbindet und braucht hernach ned auf ein Vormundschaftsgericht. So schee wia a Kuah möcht' ich's auch habn. Dann brauchet i bloß Milli gebn und fressn.«

»I bin scho' liaba a Mensch«, sagte ich.

»Und was für einer. Du bist allweil so z'ruckhälterisch. Woaßt du überhaupt, dass es zweierlei Leut gibt?«

Dann war es so weit. Die Veronika band die Stricke an die herausragenden Kälberfesseln, und wir zogen. Es war ganz einfach.

»Scho' wieder a Stierkaibl«, sagte die Veronika.

Dann wuschen wir uns die Hände. Daneben war eine leere Boxe, in der viel Stroh gelagert war. In diesem Stroh erwachte ich dann aus einem rauschähnlichen Zustand. Weil aber nicht bloß das Blut allein rauschig geworden war, sondern auch das Herz dabei einen gewissen Anteil hatte, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass jede Nacht eine Kuh kälbern möchte und die Veronika zu wachen hätte. Dabei fiel mir auch ein, dass mir einmal ein alter Korbflechter gesagt hatte:

»Bua, lass dir g'sagt sein, wenn's einmal so weit ist, dann nimm eine Ältere, weil die mehr Erfahrung hat.« Jedenfalls war ich dieser Veronika dankbar und ging mit ihr noch manches Mal ins Stroh, bis der Bauer dahinterkam. Das gab vielleicht einen Krach.

»In einem christlichen Haushalt ko so was ned geduldet werdn«, schrie er. »Hausbrot essn, des gang grad noch ab.«

Eins von uns musste den Hof verlassen. Die Veronika weinte bitterlich, denn sie wusste nicht, wohin unterm Jahr. Und so schnürte halt ich wieder einmal mein Bündl und suchte mir einen andern Platz. Später habe ich dann erfahren, dass der christliche Bauer das »Hausbrot« selber gegessen hat. Aber bei ihm war das anscheinend keine Sünde.

Ein Schulaufsatz

Während des Ersten Weltkrieges wurde unsere Schule an der Guldeinstraße zum Lazarett bestimmt, und wir mussten dafür nach Laim hinaus in die Fürstenrieder Schule gehen.

Der Weg dorthin war entschieden weiter. Neben dem Trambahngleis führte ein schwarzer Weg. Heute ist dort alles verbaut, aber damals dehnten sich noch weite Felder und Wiesen bis zu den Höfen an der Landsberger Straße hinüber.

Wenn man Glück hatte, konnte man sich, wenn die Linie 29 bei der Elsenheimer Straße die große Kurve etwas langsamer fahren musste, hinten auf die Puffer schwingen und bis Laim mitfahren, weil auf der ganzen Strecke sonst keine Haltestelle mehr war.

Im Laufe der Zeit brachte ich es beim Puffersitzen zu einer gewissen Fertigkeit und beherrschte es so perfekt wie die Ausreden, wenn ich die Schule schwänzte. Auf diese Puffer sich hinaufzuschwingen, das habe ich auch der Marille gelernt. Aber nicht umsonst. Ihre Mutter hatte eine Kramerei in der Elsenheimer Straße, und die Marille hatte immer etwas dabei: Bonbons, eine Wurstsemmel oder sonst was.

Mein erster Lehrer war ein junger, sehr feiner Mensch. Mein zweiter Lehrer hieß Wolf und war seiner ganzen Anlage nach auch ein halber. Er fraß die Kinder zwar nicht auf, aber er schlug uns wegen jeder Kleinigkeit erbärmlich. Auf mich hatte er es ganz besonders abgesehen. Erstens wegen der Pufferfahrten auf der Linie 29, zweitens wegen des Schulschwänzens und drittens, weil ich arm war. Sicherlich habe ich manche Prügel auch verdient. Er zwickte einem den Kopf zwischen die Beine und drosch drauflos. Einmal biss ich ihn beim dritten Schlag ganz herzhaft in den Oberschenkel. Da schrie er auf und vergaß, dass er noch drei Schläge zu geben gehabt hätte.

Daheim durfte man nie sagen, dass man in der Schule Schläge bekommen hatte. Da hieß es dann höchstens: »Der Lehrer wird schon gewusst haben, warum.« Der Lehrer hatte eben immer recht. Ich sagte also nichts. Aber der Lehrer ließ meinen Vater kommen und sagte ihm, dass ich ihn in den Oberschenkel gebissen hätte und dass er sich eine Tetanusspritze geben hat lassen müssen. Daraufhin bekam ich dann daheim auch noch Prügel.

In späteren Jahren habe ich mir oft gewünscht, diesem »Wolf« nochmal zu begegnen, vielleicht an einem Stammtisch oder sonst wo. Aber dieses Glück hatte ich nie, und so blieb alles im Konzept hängen, was ich ihm ganz friedsam hätte sagen sollen über Pädagogik und über die Jugenderziehung im Allgemeinen.

Nach ihm bekamen wir ein Fräulein. Der Wolf hatte auch einrücken müssen und verteidigte das Vaterland in einer Schreibstube, zum Glück für die armen Rekruten. Unser Fräulein hieß Elfriede Fuchs, und sie wusste wohl schon um den Opfergang, den ihre Versetzung in eine vierte Bubenklasse bedeuten mochte. Sie war ein wunderbarer, feiner Mensch mit einem Käthe-KrusePuppengesicht und einem runden Schopf im Nacken, über den immer ein feines Netz gespannt war. Sie schlug nicht, und wenn es wirklich einmal nicht anders ging, verabreichte sie zwei Tatzen, aber nicht mit dem spanischen Rohr, sondern mit dem Federhalter. Sie versuchte alles mit Güte und Geduld.

Ich weiß selber nicht warum, aber mich mochte sie besonders gern. Ich durfte die Aufsatz- und Rechenhefte in ihre Wohnung tragen, durfte ihr Holz und Kohlen aus dem Keller holen, und sie schenkte mir immer etwas. Meistens etwas zu essen, weil sie vielleicht schon bemerkt hatte, dass ich in der Pause nie etwas dabei hatte.

Doch einmal schenkte sie mir fünfzig Pfennige, damit ich mir die Haare schneiden lasse, die sich hinten im Nacken bereits ringelten. Sogar während der Schulzeit schickte sie mich hin. Dass ich dann hernach nicht mehr zum Unterricht kam, schluckte sie stillschweigend, obwohl sie vom Schulfenster aus hätte sehen müssen, dass ich in der gegenüberliegenden Kiesgrube spielte. Sie schluckte überhaupt viel, die Elfriede. Zweimal im Jahr kam der Herr Schulrat. Er hieß Landgraf und hatte einen weißen Spitzbart. Er sagte zu Fräulein Fuchs, wenn sie einen renitenten Schüler in der Klasse habe, dann solle sie es ihm sagen. Er werde dann schon ein Exempel statuieren.

Einmal schenkte mir das Fräulein Fuchs zwanzig Pfennige und schickte mich in die Apotheke. Dort sollte ich mir Borwasser kaufen, weil ich immer so entzündete Augen hatte. Ich kam aber bloß bis zum Kiosk an der Ecke. Dort gab es zwar kein Borwasser, dafür aber Minzkugeln und einen »Bärndreck« (Lakritzstangerln).

Damals geriet sie zum ersten Mal meinetwegen aus der Fassung. Ich sehe sie heute noch, wie sie droben stand neben dem Katheder und mit den Füßen stampfte, dass ihr die Strümpfe herunterrutschten, und wie sie mit weinerlicher Stimme schrie: »Ernst, du bringst mich noch ins Grab! Ich war immer gut zu dir, und alles ist vergebens. Bei dir ist Hopfen und Malz verloren. Aus dir wird nie was Gescheites im Leben.«

Das ging mir sehr nahe, und ich gelobte mir feierlich, sie nie mehr zu ärgern. Sie vergaß es dann auch bald wieder, sagte wieder Hansl zu mir oder Ernstl. Aber dann sollten wir einen Aufsatz schreiben. Jeder sollte etwas schreiben, das er selber erlebt oder beobachtet hatte. Im Aufsatz war ich gut, und es hätte gar nicht der Aufmunterung des Fräuleins bedurft, die mir sagte:

»Streng dich nur ein bisserl an, Hansi, du hast das Zeug in dir.«

Und ob ich's hatte. Ich fragte nur:

»Darf es auch was Lustiges sein?«

»Gerade lustig soll es sein.«

Ich dachte zuerst ein wenig nach. Dann schrieb ich:

Schulaufsatz

Jetzt haben wir eine Lehrerin, die wo Elfriede heißt, aber wir sagen ›Mopserl‹ zu ihr, weil sie so rundlich gebaut ist. Wir haben eine große Freude mit ihr, weil sie nicht so fest zuhaut wie ihr Vorgänger, weil sie ein weibliches Wesen ist und keine so große Kraft nicht hat wie der Lehrer Wolf. Sie hat himmelblaue Augen und einen runden Mund und einen Haarschopf im Nacken. Vor allem hatte sie auch eine feine Nase, denn wie sie einmal an meiner Bank vorbeigegangen ist, hat sie erschrocken den Kopf zurückgeworfen und hat zu mir ›Du Aas‹ gesagt. Ich sagte ihr gleich, dass wir mittags eine Bohnensuppe gehabt hätten, aber sie ließ mich trotzdem vor die Türe hinausstehen und sagte, dass ich so lange draußen stehenbleiben müsse, bis die Bohnensuppe draußen wäre.

Vor der Tür war es ganz schön. Ich stand natürlich dort nicht unbeweglich, sondern ging im Gang auf und ab und las die Namen der Lehrer an den Türen. Am Ende des Ganges war der Turnsaal, und ich überlegte gerade, ob ich nicht ein bisschen Barrenturnen üben sollte, aber dann hörte ich vom oberen Stockwerk her Getrampel. Es kam eine Mädchenklasse die Treppe herunter, die zum Turnsaal ging. Siedend heiß fiel mir ein, dass die Marille dabei sein könnte, und ich rannte in den Abort hinein, weil ich mich nicht schämen wollte. Im Abort habe ich lange geschussert. Wie ich mich dann einmal hinausschleichen wollte, ging gerade der Lehrer Stockerl aus seinem Klassenzimmer heraus und hustete zweimal hintereinander laut. Daraufhin kam auch das Mopserl heraus, und dann hat sie der Stockerl gleich in den Mund gebissen, was aber nicht weh getan hat, weil die Elfriede furchtbar kichern musste und zu ihm ›Xaverl‹ sagte, worauf er zu ihr ›Spatzerl‹ sagte. Dann hat sie ihn gebissen, und das hätte ihn beinahe umgeworfen, denn er hebte sich ganz fest an ihren Hüften ein.

Wie die Pausenglocke geläutet hat, sind sie schnell wieder auseinandergelaufen. Im Schulhof draußen, wo sie im Kreis der andern Lehrkräfte stand, gab es ihr plötzlich einen Riss, als sie mich sah. Sie kam auf mich zu und sah mich ängstlich an, bis sie mich fragte: »Hab' ich dich nicht vor die Türe stellen lassen? Ich hab' dich aber nicht gesehn.«

»Ich schon«, grinste ich.

Flammend rot ist sie geworden, das gute Fräulein, und sie hat mir schnell ihr Pausebrot geschenkt, wo eine Wurst drinnen war.

Hernach dann, als Fräulein Elfriede die Aufsätze durchlas und an den meinen kam, wechselte sie die Farbe. Bald wurde sie rot und dann wieder blass. Dann rannte sie schnell hinaus. Ich glaube, sie hat geweint. Und mir tat das so leid. Ich hätte mich am liebsten geohrfeigt. Aber ich hatte doch nur geschrieben, was ich beobachtet hatte.

In der Folgezeit war ich dann ehrlich bemüht, sie nicht mehr zu ärgern. Nach den Ferien kam sie nicht mehr zu uns. Sie war an eine andere Schule versetzt worden, und ich hörte nie mehr etwas von ihr.

Zu meinem fünfzigsten Geburtstag aber, über den der Rundfunk und auch die Presse berichteten, bekam ich einen Brief von Elfriede Fuchs. Sie schrieb mir, dass sie es wage, an mich zu schreiben. Sie hätte schon einige Bücher von mir gelesen und habe dabei immer an einen Schüler gleichen Namens denken müssen, den sie vor vierzig Jahren einmal in der vierten Klasse gehabt habe. Ob ich vielleicht mit dem identisch sei. Wenn nicht, so erlaube sie sich, mir trotzdem alles Gute zu meinem fünfzigsten Geburtstag zu wünschen und verbleibe mit freundlichen Grüßen, Elfriede Fuchs.

Die Fuchsin, dachte ich, mein Gott, die Fuchsin. Und mir fielen all meine Streiche wieder ein. Ich antwortete ihr, dass ich schon derjenige sei, den sie meine und dass ich mir gestatten würde, sie einmal zu besuchen, wenn es ihr recht sei.

Es wäre ihr sehr recht, schrieb sie zurück. Und so nahm ich eines meiner Bücher aus dem Regal und zwar den Roman »Der Lehrer von Tschamm« und schrieb als Widmung hinein:

»Meiner hochverehrten Lehrerin aus der vierten Volksschulklasse in der Fürstenrieder Schule, in Dankbarkeit von Ihrem Hans Ernst.«

Ich kaufte sieben Nelken und fuhr an einem sonnigen Märztag bei ihr vor. Sie wohnte noch in demselben Haus und in derselben Wohnung. Als ich läutete, klopfte tatsächlich mein Herz ein wenig schneller.

Es öffnete mir eine alte Frau mit schneeweißem Haar. Aber ich erkannte sie sofort. Aus ihren Augen strahlte immer noch diese wunderbare Güte. Nur ihre Hände waren welk geworden und zitterten ein wenig, als sie in meinen Händen lagen.

Dann saßen wir in ihrem Wohnzimmer. Nichts hatte sich verändert seit damals. Der große Ventilator hing noch an der Wand, der hohe, braune Kachelofen war noch da, unter den ich immer die Holzscheit' geschichtet hatte. Nur der Papagei war nicht mehr da. Wir sprachen von damals und nannten es die »goldene Zeit« womit wir wohl unsere entschwundene Jugend meinten, denn gar so golden war die Zeit damals auch nicht. Plötzlich fragte sie, ob ich mich noch manchmal an sie erinnert hätte.

»Ja«, sagte ich, »besonders an ihre Güte.«

»Nein, ich habe gemeint, ob du dich auch an meine Prophezeiung erinnert hast, dass doch niemals etwas Gescheites aus dir würde.« Plötzlich hielt sie sich die Hand vor den Mund, als sei sie über etwas erschrocken.

»Verzeihung, ich sag' da ganz einfach Du zu Ihnen.«

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Von Hans Ernst bereits erschienen

 

Die Hand am Pflug

eISBN 978-3-475-54385-2 (epub)

Hans Ernst ist einer der bekanntesten Volksschriftsteller. Seine Heimatromane werden zu Recht geliebt, denn Handlung und Charaktere profitieren von Erfahrungen, die der Autor im Laufe seines Lebens selbst machte, von seinen eigenen Erlebnissen und Begegnungen. Davon erzählt er in diesem autobiografischen Werk: In seiner Zeit als Bauernknecht ist seine Liebe zur bäuerlichen Welt entstanden, seine künstlerischen Fähigkeiten konnte er beim Theater entdecken. Endlich verband sich beides glücklich in der Schriftstellerei. So manchem Hans Ernst-Freund gilt dieses Buch als sein bestes.

Die Posthalter-Christl

eISBN 978-3-475-54386-9 (epub)

Christl, Tochter des Posthalters von Erlbach, lernt auf der Alm den Medizinstudenten Thomas von Lafret, einen Sohn des gefürchteten „Bauerngrafen“, kennen und entdeckt das Glück der ersten Liebe. Doch alles kommt anders als gedacht. Thomas beugt sich dem Druck seines Vaters und wird sich mit der Fabrikantentochter Anita verloben. Christls Vater verunglückt plötzlich, sodass sie nun allein die verwaiste Bauernwirtschaft führen muss. Mit starker Hand und neuen Ideen trotzt sie dem Bauerngrafen beherzt. Doch auch Thomas verwirklicht schließlich seinen Traum einer eigenen Arztpraxis.

Wo der Alpbach rauscht

eISBN 978-3-475-54384-5 (epub)

Zwei Söhne hat der Jochbauer: den Hoferben Hannes und den Ingenieur Matthias. Zwischen den beiden ungleichen Brüdern steht die schöne Sophie. Sie heiratet Hannes, denn sie glaubt, dass sie durch den Wohlstand und die Sicherheit des eigenen Hofes das Glück finden wird. Trotz Hannes‘ aufrichtiger Liebe, zweifelt Sophie bald an ihrer Entscheidung. Als sich Sophie und Matthias nach langer Zeit wieder gegenüberstehen, brechen die Gefühle mit neuer Macht über sie herein. Beide wehren sich verzweifelt gegen ihre Liebe zueinander, doch das Schicksal lässt sich nicht aufhalten …

Wo die Alpenrosen blühn

eISBN 978-3-475-54553-5 (epub)

Klaus Bruckner, der Erbe des Erlenhofes, denkt immer noch gerne an seine Kindheitsfreundin zurück, Prinzessin Waltraud von Rankenstein. Ungeachtet aller Standesunterschiede durfte er seinerzeit auf dem Schloss das Geigenspiel erlernen, und sie auf dem Klavier begleiten. Nach zwei Jahren Trennung trifft er endlich wieder auf seine einstige Spielkameradin.

Im Rosenheimer Verlagshaus bereits erschienen

 

Der Waldprophet

eISBN 978-3-475-54387-6 (epub)

Seit zweihundert Jahren geht die Weissagung eines Waldhirten und Aschenbrenners aus dem Bayerischen Wald um. Es ist der berühmte Mühlhiasl, dessen Prophezeiungen noch heute die Menschen bewegen. Paul Friedl hat sich ein halbes Leben lang mit der bis dahin nur mündlich überlieferten Geschichte beschäftigt und lässt in seinem Roman „Der Waldprophet“ den Weissager und seine Zeit lebendig werden.

Flammen auf dem Buchberger-Hof

eISBN 978-3-475-54859-8 (epub)

Andrea möchte sich eigentlich als Trachtenmoden-Designerin in ihrem Heimatdorf Seefeld niederlassen, allerdings muss sie den Hof ihrer Eltern übernehmen, solange sich ihr Bruder in Neuseeland befindet. Als der Erntehelfer Gregor auf den Hof kommt, um im Sommer bei der Heuernte auszuhelfen, verändert sich Andreas Leben dramatisch. Die beiden verlieben sich ineinander, doch ein Brand zerstört den Heustadel, und Andreas Liebhaber wird verdächtigt: Hat er etwas mit dem Feuer zu tun?

Das Geheimnis vom Birkental

eISBN 978-3-475-54337-1 (epub)

Nach dem Tod seines Sohnes zieht sich Korbinian Leitner völlig verbittert mehr und mehr zurück. Dass seine Tochter Bärbl das Erbe antritt, lehnt er entschieden ab: Einer Frau möchte er den Hof auf keinen Fall übergeben. So scheint ihm der geplante Autobahnanschluss des Dorfes der einzige Ausweg zu sein, denn sein Land würde als Baugrund einen guten Preis erzielen. Bärbl hingegen schließt sich der Protestbewegung gegen den Autobahnbau an, wo sie den Sägewerksbesitzer Leo Burger kennenlernt. Die beiden verlieben sich auf Anhieb ineinander. Sie ahnen jedoch nicht, dass ihre Familien durch ein dunkles Geheimnis miteinander verbunden sind. Kann das junge Glück dieser Bewährungsprobe standhalten?

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