Das nordkoreanische Wissenschaftsverständnis und die ideologischen Grundlagen der Staatsdoktrin - Timo Schmitz - E-Book

Das nordkoreanische Wissenschaftsverständnis und die ideologischen Grundlagen der Staatsdoktrin E-Book

Timo Schmitz

0,0
15,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Nordkorea ist für viele ein verschlossenes, geheimnisvolles Land und im Ausland vor allem für seinen autoritären Führerkult bekannt. Dabei wird auch immer wieder auf die Juche-Ideologie als Staatsdoktrin hingewiesen. In diesem Werk wird das Selbstverständnis der Wissenschaften und des Staatssystems Nordkoreas anhand nordkoreanischen Propagandamaterials ausgewertet. Der Autor Timo Schmitz setzt sich bereits seit über einem Jahrzehnt mit dem Land auseinander und hat schon mehrfach Beiträge über die nordkoreanische Staatsdoktrin veröffentlicht. Dabei hat er stets dessen Entstehung, ihren Wandel und zeitgeschichtliche Anpassung im Blick. Mit dem vorliegenden Werk erscheint erstmals eine Monographie von ihm über Nordkorea, wobei sein Augenmerk deutlich auf dem Schwerpunkt der Wissenschafts- und politischen Philosophie liegt, und die nordkoreanischen Standpunkte unter einem kritischen Aspekt betrachtet.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 141

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

 

Einleitung

 

Das wissenschaftliche Philosophieselbstverständnis der DVRK

 

Exkurs: Wissenschaftstheorie

 

Die grundlegende Frage an die Philosophie in der DVRK

 

Der Gründungsmythos der Juche-Philosophie

 

Exkurs: Was ist Philosophie?

 

Exkurs: Anthropologie

 

Die drei Hauptmerkmale laut der nordkoreanischen Eigendarstellung

 

Eine historische Selbsteinordnung Juches

 

Vergleich mit meinen früheren Abhandlungen zu Juche

 

Fazit

 

Literatur

 

Einleitung

 

Vor etwa sechs Jahren habe ich die philosophischen Prinzipien eines Juche-Kurses, welcher 2007 auf Koreanisch veröffentlicht, und um 2010 auch auf Englisch verfügbar war, analysiert und festgestellt, dass die Theorie dieser Philosophie nicht umgesetzt wurde und sich die faktische DVRK-Politik spätestens ab 1965, wenn nicht schon zuvor, mit der Juche-Philosophie  in einem kompletten Widerspruch befanden. Im Kern ließ sich sagen, dass Juche eigentlich das Individuum in den Fokus stellt und dieses für seine Zukunft selbst verantwortlich sei, was übrigens ursprünglich vom Konfuzianer Xunzi stammte und lediglich neu gedeutet wurde. In der Praxis dagegen wurde die Nation, dessen Unabhängigkeit und militärische Verteidigung in den Vordergrund gestellt, für das selbstbestimmte Individuum blieb dort wenig Platz. Auch lässt sich feststellen, dass das Verständnis, respektive die Interpretation von Juche, stets variierte und auf die aktuelle politische Situation draufgeklatscht wurde. Aufgrund dieser Fluidität, habe ich mich entschieden im Folgenden weitere Schulungsmaterialien auszuwerten, um auf diese Weise das derzeitige Verständnis der Staatsdoktrin zu vertiefen und zu prüfen, ob sich unter Kim Jong-un ein neues ideologisches Verständnis herausgebildet hat, welches sich in den Texten manifestiert. Die Texte stammen von der nordkoreanischen Bildungsseite Uriminjokgangdang (우리민족강당), die wohl erst seit wenigen Jahren existiert. Mit dem Verweis „Copyright 2004-2020“ lässt sich annehmen, dass die Inhalte der Seite bereits ab etwa 2004 im Intranet der DVRK existierten, bevor sie im Internet der Weltöffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Damit muss auch das Forschungsziel erneut eingegrenzt werden. Zum einen könnten die ausgewerteten Texte vor 2011 entstanden sein und somit nicht die ideologischen Ansprüche Kim Jong-uns der letzten Jahre aufgenommen haben. So ist es doch wahrscheinlich, dass einige Grundlagentexte noch aus der Zeit Kim Jong-ils stammen und mitunter besteht gar die Möglichkeit, dass der jetzt zu analysierende Text gar älter ist, als jener, der in meiner letzten Analyse hinzugezogen wurde. Wir müssen diese Möglichkeiten also durchaus in Betracht ziehen, obwohl Kim Jong-un an einigen Stellen kurz erwähnt wird, aber es könnte sich auf Grund der geringen Anzahl an Nennungen auch einfach um Ad-hoc Modifikationen handeln, welche dem Material in den letzten Jahren zugefügt wurden. Die Texte sind allesamt in koreanischer Sprache in der Standardorthographie der DVRK verfasst. Die Übersetzungen der auszugsweisen Zitate sind von mir angefertigt. Es versteht sich von selbst, dass zwischendurch immer wieder Kim Il-sung und seine Familie gepriesen wird. Da jene Lobpreisungen aber für den inhaltlichen Erkenntnisgewinn oft nicht von Relevanz sind, werden die meisten dieser Passagen von mir nicht zitiert. Dies bedeutet, dass die Zitate von unnötigen Wiederholungen und inhaltsloser Propaganda bereits bereinigt sind. Ich möchte von vorneherein darauf hinweisen, dass mein Koreanisch nicht besonders gut ist, da aber zum Verständnis, auch des Eigenverständnisses Nordkoreas, kritische Auswertungen der Staatsdoktrin unausweichlich und auf diesem Gebiet die Zahl der Publikationen in deutscher Sprache doch extrem überschaubar sind, soll diese Arbeit eine Grundlegung sein. Diese können politikwissenschaftliche Analysen zum ideologischen Verständnis Nordkoreas und damit das nordkoreanische Weltbild in Zukunft leichter nachvollziehbar machen, gleichwohl wird der ein oder andere Koreanologe in Zukunft sicher Verbesserungsvorschläge zu meinen Wortinterpretationen beisteuern, sodass neben der hier vorgelegten philosophischen Interpretation sicherlich die ein oder andere sprachliche Interpretation zu konkretisieren sein wird. Als Grundlegung soll die folgende Skizzierung jedoch ausreichen.

 

Das wissenschaftliche Philosophieselbstverständnis der DVRK

 

Der Text „Die philosophischen Eigenschaften“ (철학의특성) aus dem Kapitel „Die Mission der Juche-Philosophie“ (주체철학의사명) leitet damit ein, dass man zuerst einmal verstehen müsse, was wissenschaftliche Philosophie ausmache, wenn man die Merkmale der Philosophie kennenlernen möchte. Unter Berufung auf Kim Il-sung kommt der Kurs zum Ergebnis, dass „Philosophie […] eine Wissenschaft [ist], die eine Weltanschauung erzeugt. Eine Weltanschauung ist die Sicht auf die Welt, eine Perspektive und Standpunkt gegenüber der Welt.“[1] Dabei merkt der Text weiter an, dass die Welt aus Menschen und der sie umgebenden Welt besteht. Der Text nimmt also grundlegend einen System-Umwelt-Dualismus an. Das System und die Umwelt bilden eine Einheit, ein Ganzes. Die Sicht auf die Welt als Ganzes „und der Standpunkt und die Perspektive, mit ihm umzugehen, werden Weltanschauungen genannt“.[2] Es kann kein Mensch unabhängig jedweder Weltanschauung existieren. Der Text geht daher davon aus, dass jeder lebende Mensch eine Weltanschauung besitzt, da er in Interaktion mit der Natur/Umwelt (자연) und der Gesellschaft (사회) lebt und so seine Ansichten entwickelt, welche sein Schicksal (운명) vorantreiben. Dass er in Kontakt mit der Umwelt und der Gesellschaft steht scheint für den Autor unausweichlich zu sein, denn das In-der-Welt-leben (세계속에서살면서) macht das Menschsein für den Autor aus. Ich denke er impliziert damit, dass der Mensch nicht von der Welt, dem Planeten, fliehen kann und daher zwangsläufig immer in einem Verhältnis zur Natur und Gesellschaft, welche die Umwelt ausmachen, steht und dadurch dazu genötigt wird, eine Weltanschauung auszubilden, um sich persönlich zu entwickeln. „Jeder kann nicht anders, als über Dinge nachzudenken, die in Natur und Gesellschaft geschehen, genauso wie jeder, in Beziehung zu Natur und Gesellschaft lebt.“[3]

Der nächste Satz hilft uns ein wenig, die Entstehungszeit des Textes einzugrenzen. „Die sozialen und politischen Probleme zwischen Nationen und Rassen im 21. Jahrhundert, einschließlich natürlicher Phänomene, bei denen infolge des anomalen Klimas, Menschen auf der einen Seite der Erde große Überflutungen erleiden, und das Getreide […] auf der anderen Seite der Erde austrocknet und das Vieh stirbt, die sozialen Phänomene von Kriegen und verschiedenen Ereignissen in verschiedenen Teilen der Welt als Quelle von Konflikten, sind den Menschen nicht gleichgültig.“[4] An dieser Stelle nimmt der Text verschiedene Phänomene auf. Zum einen verweist er auf ethnische Konflikte, eine Karte die gerne gespielt wird, vor allem da früher in kommunistischen Ländern die Ungleichbehandlung verschiedener Bevölkerungsgruppen in den USA als Symptom des Kapitalismus gerne herangezogen wurde. Bereits der sowjetische Film Tsirk, aus dem Jahre 1936, beschäftigt sich damit, in der eine amerikanische Frau, gespielt von Lyubov Orlova, mit ihrem dunkelhäutigen Baby in die Sowjetunion kommt und dort erstaunt feststellt, dass es keine Rassentrennung gibt. Auch die DDR-Fassung des Lied vom Vaterland (dessen russisches Original erstmals in besagtem Film vorkommt) erwähnt in der zweiten Strophe „nicht mehr Hass der Rassen und Nationen, gleiches Recht für jeden der hier schafft“. Das Motiv der ethnischen Diskriminierung in den USA ist also ein Altbekanntes. Die DVRK hat dieses Motiv immer wieder herausgegraben und zu Recht auf Fälle von Diskriminierung hingewiesen. Es passt also ideal in die aktuelle Rassismusdebatte in den USA, die Erwähnung von Rassismus in unserem Text sollte aber nicht mit dieser Debatte verknüpft werden, da dieses Motiv, wie bereits erwähnt, schon zu stalinistischen Zeiten in der UdSSR existierte. Interessanter ist die Erwähnung des 21. Jahrhunderts und hier vor allem der Klimawandel. Ersteres lässt schließen, dass der Text erst nach dem Jahr 2000 geschrieben wurde, letzteres bringt die Klimadebatte mit ein, welche in einigen Ländern schon seit etwa 15 Jahren diskutiert wird, aber erst in den letzten fünf bis zehn Jahren an internationaler Bedeutung gewonnen hat. Dieser Punkt ist vor allem aber auch deshalb wichtig, da die DVRK selbst vom Klimawandel betroffen ist. Das Jahr 2016 galt als eines der Wärmsten in Nordkorea überhaupt. Traditionell kommt es in Nordkorea auf Grund der geographischen Lage häufiger zu Überschwemmungen und Dürren, weswegen die Bauern in der Ri-Dynastie bereits am Hungertuch nagten. In den letzten Jahren kommt es aber immer wieder zu Rekordsommern und sehr kalten Wintermonaten. Die Regierung hat zudem seit Anfang 2020 verstärkt über die Umweltbelastung von Fahrzeugen diskutiert und plant alte Dieselmodelle und Holzvergaser zu verbieten. Letztere sind vor allem noch in Militärgeländewagen zu finden. Der Autor weiß also sehr genau wovon er spricht, wenn er über Umwelt und Klima schreibt und kann dies auch dem nordkoreanischen Leser qua Empirie vermitteln.   

Da jeder anders über die Dinge nachdenken kann und durch andere Faktoren der Umwelt beeinflusst wird, entwickeln die Menschen „unterschiedliche Ansichten und Einstellungen zu Phänomenen in der Welt, in der Natur und in der Gesellschaft.“[5] Der Autor macht deutlich, dass Weltanschauungen nicht auf einzelne Phänomene in der Natur oder Gesellschaft abzielen, sondern vielmehr handelt es sich hierbei um eine Sicht auf die Welt. Diese wiederum gibt das Verständnis des Menschen über die Welt wieder. Dabei gibt es beim Verständnis der Dinge aus denen die Welt besteht, zum einen ein konkretes Verständnis (구체적인리해) für die einzelnen Dinge (개별적인사물현상들), wobei das koreanische Wort kuchejok in der Regel etwas direkt greifbares und nicht abstraktes bezeichnet, sodass man hier von einem unmittelbaren Verständnis sprechen kann, während kaebyŏl mit individuell oder einzeln übersetzt werden kann und wohl für etwas Partikulares steht. Folglich, das unmittelbare Verständnis von partikularen Dingen. Zum anderen gibt es ein allgemeines Verständnis (일반적인리해) für alle Dinge (모든사물현상들), wobei ilbanjok für Allgemeinheit, das Ganze, steht. Dinge schließt hier nicht nur Objekte (사물), sondern auch Phänomene (현상) mit ein. Demnach liegt hier wohl die Betonung vor allem auf der Allheit als Gegenteil vom Partikularen. Die Sicht der Welt ist dabei kein konkretes Verständnis einzelner Dinge (개별적인사물현상들에대한구체적인리해) oder die mechanische Synthese (기계적인종합이) eines solchen Verständnisses. Das Wort kikye kann zwei Bedeutungen in diesem Kontext annehmen: zum einen abgeleitet von jixie (機械) als Maschine oder abgeleitet von qixie (器械) als Instrument. Somit kann es maschinell oder instrumentell bedeuten. Da nordkoreanische Texte keine Hanja verwenden, bleibt die Bedeutung hier offen. Folglich muss der Autor annehmen, dass die Sicht der Welt ein allgemeines Verständnis ist, welche das Ganze umfasst. Jenes, was der gemeinsame Indikator (공통적인징표) für verschiedene Dinge (다양한사물현상들) ist und das universelle Verständnis von Veränderung und Entwicklung (보편적인변화발전방식) bilden gemeinsam die Sicht der Welt. Ich verstehe das so, dass für den Autor eine Weltanschauung aus zwei Faktoren besteht, nämlich der Indikator (welcher nicht partikular ist, sondern auf alles angewandt wird), um die verschiedenen Dinge wahrzunehmen und zu beurteilen, und ein universelles Verständnis bezüglich Veränderung und Entwicklung. Ich denke, dass universell hier natürlich nur als gemein-für-die-Sicht-der-Welt verstanden werden kann, denn wenn es ein universelles Verständnis gäbe, dann würde jeder die Entwicklung gleich verstehen und folglich gäbe es nur noch eine Sicht der Welt, was dem oben genannten, dass jeder seine eigene Sicht auf die Welt entwickelt, widersprechen würde. Ebenso nimmt der Autor einen gemeinsamen Indikator für verschiedene Dinge in der Welt. Wie dies zu verstehen ist, leuchtet mir nicht ein. Möglicherweise gibt es hier eine sprachliche Feinheit in der Wissenschaftstheorie der DVRK, die uns an dieser Stelle verschlossen bleibt, wenn man sie nicht im Vorfeld kennt. Andererseits kann der erste Teilsatz auch als Frage bedeuten, „welches gemeinsame Zeichen haben verschiedene Dinge in der Welt?“. Dies würde dann aber suggerieren, dass es etwas in den Dingen gibt, was gemeinverständlich ist, also über die Sicht der Welt hinausgeht, sodass auch jemand mit einer anderen Weltsicht dieses Zeichen versteht und das Ding erkennt, dann aber gemäß seiner Sicht der Welt beurteilt. Also entweder haben alle Dinge etwas gemein, sodass man innerhalb seiner Weltsicht das Ganze sieht, sodass gemein hier gemäß der Sicht beurteilt bedeutet, oder die Dinge haben etwas gemein, was jeder erkennt, aber gemäß seiner Sicht anders einordnet. Zweifelsfrei ist jedenfalls eine Sicht auf die Welt urteilend.

Im Gegensatz zum 2007 analysierten Kurs werden in dem vorliegenden Text die Sätze nicht wiedergekäut, indem wichtiges mehrmals innerhalb weniger Sätze wiederholt wird. Der Nachteil beim ständigen Wiederholen ist die Redundanz. Der Nachteil in dem vorliegenden Text dagegen liegt darin, dass durch seine Prägnanz ein Wissen vorausgesetzt wird, wie verschiedene Wörter in der DVRK exakt verstanden werden. Für den westlichen Leser kann dies daher verwirrend sein, allerdings gestehe ich ein, dass mein Koreanisch bei weitem nicht das Beste ist und die Analyse akademischer Texte ist noch einmal etwas anderes als das sich berieseln lassen mit trockener nordkoreanischer Fernsehpropaganda. Nordkoreanische Texte sind also gar nicht mal so einfältig wie man dies aus Außenstehender vielleicht oft denkt, obgleich sie natürlich eine gewisse Linie darstellen und bewerben sollen.   

Als nächsten Punkt hebt der Autor hervor, dass es sich bei der Sicht der Welt (ab hier 세계에대하는관점과립장, vorhin stand i.d.R.세계에대한견해) um „ein methodisches Prinzip und eine Haltung“[6] handeln, welche „eine Person konsequent beibehält, um die Welt zu erkennen und zu verändern“[7]. Methodische Prinzipien werden auf Koreanisch pangbŏbronjŏk wŏnchik (방법론적원칙) genannt, wobei pangbŏp vom Chinesischen fangfa (方法) abgeleitet ist und eine gesetzmäßige Art und Weise, also Methode, beschreibt, die Endung jŏk macht aus dem Wort ein Adjektiv. Das Wort ron stammt vom Chinesischen lun (論) und bedeutet Theorie, sodass pangbŏbron mit Methodologie und als Adjektiv als methodisch, einer Methode folgend, übersetzt werden kann. Wŏnchik bedeutet schlichtweg ein Prinzip oder eine Regel. Das zweite wichtige Wort in dem Satz ist der Begriff Haltung oder Einstellung, welcher auf Koreanisch taedo  (태도) heißt. Die Verwendung beider Wörter als Bestimmung erscheint mir an dieser Stelle widersprüchlich, denn methodische Prinzipien handeln nach Gesetzmäßigkeiten, Haltungen und Einstellungen dagegen müssen freilich keinen Gesetzmäßigkeiten folgen, denn ein Mensch kann auch aus willkürlichen Gründen eine Haltung einnehmen, eventuell sogar aus seinen tiefsten Gefühlen stammend, welche widersprüchlich sein können, aber jedenfalls eine Subjektivität haben. Methoden dagegen erheben den Anspruch auf Nachvollziehbarkeit, die Gesetzmäßigkeiten entstammen nicht den Gefühlen, sondern auf dem Anspruch der Objektivität. Wobei wir natürlich spätestens seit Feyerabend wissen, dass die Methodenlehre auch eine gewisse Willkür, und damit keine wahre Objektivität, besitzt, sondern nur innerhalb der entsprechenden Tradition als objektiv wahrgenommen wird, in Wahrheit aber ebenso willkürlich gesetzt sein kann, weswegen der Wissenschaftler mitunter seine selbstgesetzten Regeln, die etablierte Methodik, brechen muss, um voran zu kommen.[8] Zudem mag eine Methodik einer anderen Tradition als fremd und unwissenschaftlich erscheinen, da diese andere Maßstäbe zu Grunde legt und akzeptiert.[9] Dennoch stellt sich hier die Frage: wie soll man ein methodisches Prinzip und eine Haltung einnehmen? Soll die Haltung mit dem Prinzip verschmelzen? Wenn ja, muss gefragt werden, inwiefern die Haltung dann abkühlt, eine Leidenschaftslosigkeit einsetzt, wenn man nicht mehr aus Überzeugung, sondern nur aus Methode handelt. Anderseits kann die Methode natürlich auch gerade aus tiefster Überzeugung, aus einer Grundhaltung heraus, übernommen werden. Man wendet sie eben an, weil man von Herzen aus daran glaubt, dass sie die Richtige sei. Auch an dieser Stelle müssen wir abwarten, wie der Autor oder die Autoren dieses Problem zu lösen gedenken und erst einmal weiterlesen. Wichtig ist im Auge zu behalten, dass es zu einem Widerspruch kommen kann, der Konnektor „und“ hier also keine Selbstverständlichkeit verbindet. Weiterhin weist der Autor bzw. die Autoren daraufhin, dass „[i]n Bezug auf den Umgang mit den Dingen, aus denen die Welt besteht“[10] jede Perspektive individuell betrachtet werden muss. Es muss also den Umgang der Perspektiven mit den Dingen, aus denen die Welt besteht, beobachtet werden. Dabei wird auch hier wieder eine Zweiteilung vorgeschlagen in einen unmittelbaren (구체적인) Umgang und einen allgemeinen (일반적인) Umgang. Es gibt also Besonderheiten im Umgang mit den Dingen und es gibt Allgemeines im Umgang mit allen Dingen zu beachten. Dabei sind Weltanschauungen (세계에대하는관점과립장) „keine unmittelbaren Prinzipien und Einstellungen, die im Umgang mit den einzelnen Dingen der Welt zu beachten sind“[11]. Unmittelbar steht hier wieder für etwas konkretes, spezifisches; folglich direkt wahrnehmbares, nicht abstraktes, partikulares. Das Allgemeine steht vom Wort her für das Ganze. Weltanschauungen fokussieren sich auf das Ganze, folglich muss man sich auch auf den Umgang mit dem Ganzen einlassen, da man mit der Konzentration auf einzelne Dinge (개별적인사물현상들) die Sicht der Welt nicht erfasst, da diese sich nicht auf Partikularitäten versteift, sondern sich auf das Allgemeine konzentriert.

Der Text verwendet zwei Wörter, welche man als Sicht der Welt übersetzen kann, und zwar세계에대한견해und세계에대하는관점과립장, wobei kyŏnhae (견해) wörtlich Meinung oder Interpretation bedeutet, während kwanjŏm (관점) Standpunkt und ribjang (립장) Standpunkt oder Perspektive bedeuten. Bei allen drei Begriffen handelt es sich um Subjektivitäten, welche der Autor am Ende des Textes zusammenfügt, indem er sagt, dass beide der oben genannten Begriffe für Sicht der Welt miteinander verbunden seien. Es wird also zwischen zwei Begriffen unterschieden, die sich eigentlich so ähnlich sind und dermaßen parallel zueinander verlaufen, dass es bisher keinen Sinn machte, sie im Deutschen zu unterscheiden, da sie nicht einmal wirklich eine verschiedene Nuance in der deutschen Sprache ausdrücken können, während sie im Koreanischen eine hauchfeine Nuance darstellen. Nämlich wie folgt: Der erste Begriff drückt die Sicht auf die Welt als Wahrnehmung von der Natur und den Gesetzmäßigkeiten aus, wobei man die Essenz der Natur verstehen muss, also woraus sie besteht und die Gemeinsamkeiten, welche die Natur zur Natur vervollständigen. Man muss also verstehen aus welchen Beziehungen sie besteht und wie sie sich entwickelt. Dabei fokussiert man sich nicht auf ein Partikulares. Ich denke, dass dies deswegen nicht fokussiert werden soll, da man sonst nicht alle Beziehungen versteht, denn ein Partikulares ist ein Heraustrennen aus der Natur, aber da das nordkoreanische Grundweltbild materialistisch ist, kann man in diesem System wohl ohne Zuhilfenahme jedweder Metaphysik die Natur an sich erkennen, und zwar, indem man die Natur als Ganzes betrachtet und ihre Gesetzmäßigkeiten und Entwicklungen beobachtet. Das wird auch durch den Satz „세계에대한견해는세계에대한가장일반적인리해이다“[12]