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Hermann Glaser

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Beschreibung

Hermann Glasers Sprachfeuilletons beschäftigen sich mit der Stereotypie der öffentlichen Sprache, mit jener Form von Kommunikation, die sich stereotyper Formeln und Redeweisen bedient, innerhalb eines bestimmten sozialen und lokalen Rahmens, der vorab schon jegliche Übereinkünfte und Zustimmungen festgelegt hat und voraussetzt. So versucht Glaser, öffentliche Sprache in bestimmten Ausschnitten des soziolinguistischen Bereichs zu erfassen; er beschreibt Sprechhaltung, Sprechlage, Wert- und Bedeutungsfelder und damit Sprach- und Denkverhalten gesellschaftlicher Grenzen und Gruppierungen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Hermann Glaser

Das öffentliche Deutsch

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Inhalt

Die Beiträge Nr. 1, 3–6 [...]Einleitung: Zur Stereotypie der öffentlichen SprachePolitikerdeutschEx cathedraParkinsonspracheDas Pathos der FestredenObszönität und IntimitätsjargonGuter Ton in allen Lebenslagen

Die Beiträge Nr. 1, 3–6 sind 1970/71 in der ›Frankfurter Rundschau‹ erschienen; Nr. 2 erschien als Beilage zur Wochenzeitung ›Das Parlament‹ (19. 6. 1971). Die Einleitung ist die verkürzte Fassung eines Beitrags in der Zeitschrift ›Literatur und Kritik‹ (Juli 1971). Sämtliche Titel wurden geändert.

Einleitung: Zur Stereotypie der öffentlichen Sprache

Den nachfolgenden Überlegungen zur Stereotypie der deutschen »öffentlichen« Sprache seien zwei Bemerkungen vorangestellt: eine axiomatische und eine methodische. Der Ausgangspunkt der Betrachtung liegt in der Feststellung, daß der Mensch ein kommunikatives Wesen, auf Kommunikation angelegt sei. Stereotype (stereotypisierte) Sprache erschwert oder verhindert Kommunikation; sie wird deshalb negativ beurteilt. Stereotypie ist zudem Teil der Lüge, da sie die Gedanken nicht zu offenbaren, sondern zu verbergen bzw. zu verdrängen oder auszuschalten sucht. Was das Methodische betrifft, so soll nicht über das Wesen der Sprache reflektiert werden; es geht um die Wechselbeziehung von Sprechen und Handeln, von Sprache und Gesellschaft. Die Analyse öffentlicher Sprache wendet sich ganz bestimmten Ausschnitten des soziolinguistischen Bereichs zu: der Sprechhaltung, der Sprechlage und den Wort- und Bedeutungsfeldern, die den Verbund von Sprache-Denken-Verhalten einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe oder Gruppierung zu charakterisieren vermögen.

Es geht um Fragen, die die allgemeine Semantik (Signifik), die Prägung menschlichen Verhaltens durch Worte, die Bedeutungsverschiebung der Worte (Semasiologie), etwa im Dienste politischer Propaganda, und Kategorien der Parole, der individuellen wie kollektiven Sprechlage betreffen. Was in diesem Sinne die öffentliche Sprache und das in ihr ausgedrückte Denken und Verhalten (Nicht-Denken und Fehlverhalten) betrifft, so verweisen Bedeutungsstruktur und Redezusammenhang auf die »tonangebende« Rolle des Bildungsbürgertums, das im Besitz der Herrschaftspositionen bzw. als »Stützen der Gesellschaft« Sprache und Sprechen »verwaltete«.

Die Analyse der sprachlichen Stereotypie ist Element der Ideologiekritik. Angemaßte und herrschaftsmäßig abgesicherte Sprachautorität, die sich einen charismatischen, transzendierenden Schein zulegt, verweigert sich der »Befragung«, da sie sich auf Kompetenz hin nicht prüfen lassen kann – da sie keine hat. Die Entlarvung oder Zerschlagung sprachlicher Stereotypie versucht, Sprache und damit Denken und Handeln wieder befragbar zu machen. Wenn die sprachlichen Signale politische Kommunikation ermöglichen sollen, müssen sie dekomponiert (unter Umständen destruiert) und relativiert werden, Verunsicherung enthalten wie ermöglichen. Verunsicherung bedeutet offene Strukturen, und offene Strukturen ermöglichen es, daß »eingegriffen« wird – der jeweils andere mitsprechen kann; Dialektik – wie sie das von Jaspers übernommene Nietzsche-Wort meint: Die Wahrheit beginnt zu zweien.

Parteilichkeit ist als Grundlage rhetorischer Argumentation durchaus möglich. Die Identität von ideologisch und rhetorisch fällt dann weg, wenn (politisches) Sprechen als Rollenspiel erkannt wird und die realen Verhältnisse (die Institutionen z.B.) Rollenspiel zulassen, und gleichzeitig sprachliches Rollenspiel (politische Rhetorik) als solches – eben als Rhetorik – transparent ist. Die institutionelle Sicherung der Sprech- und Meinungsfreiheit ist freilich dann Teil repressiver Toleranz, wenn trotz Spielraum die Sprache aus ihren eigenen Fesseln sich nicht befreien kann, also stereotyp bleibt. Wenn inmitten der Meinungsfreiheit stereotypes Sprechen oktroyiert wird (etwa durch Erziehung), ist die Sprechfreiheit lediglich vorgegeben, Scheinfreiheit.

Der Überbau des Bewußtseins ist nicht nur durch die ökonomische Basis, sondern auch durch Sprachpräformationen bestimmt; den Tätern ist die Stereotypie ein Instrument des Herrschens; die Opfer erleiden das Schicksal irrationaler Dumpfheit. Selbstverschuldet bzw. verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn diejenigen, die über das Instrumentarium der Verunsicherung verfügen, dieses nicht gebrauchen bzw. der sprachlichen Affirmation ohne Widerstand sich anpassen. Dieser Vorwurf ist insbesonders an die Adresse des politischen »Redners« zu richten; er müßte zumindest dann, wenn der dialektische Partner fehlt (der die parteiische Rhetorik rechtfertigt, indem er sie durch Gegen-Rhetorik ausgleicht), sein Publikum zur Verunsicherung bewegen, damit kommunikatives Sprechen und Denken entsteht. Statt dessen soll häufig durch politische Sprache die psychologische Disposition gefördert werden, nur das wahrzunehmen, was der jeweiligen, durch Triebe und Interessenslage bestimmten Einstellung entspricht.

Ein wichtiges Mittel, Frag-losigkeit in Frag-würdigkeit umzuwandeln, stellt die Ironie dar – als »Kleintun« dem Understatement verwandt. Die Ironiesignale der Sprache machen z.B. die Überlegenheit des Geistes durch die Unterlegenheit der Worte kommunikativ erträglich und verträglich. Wenn Musil meinte: »Sokratisch ist: sich unwissend stellen. Modern: unwissend sein«, so trifft diese Gegenüberstellung auch das Verhältnis von kommunikativem und stereotypem Sprechen. Stereotypie ist ignorant und – da sie diese Ignoranz dem anderen suggeriert oder oktroyiert – brutal. Vor allem seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde mit Hilfe offizieller Leerformeln ein semantisches Klima geschaffen, das die Reflexion über komplexe Zusammenhänge verhinderte.

Können Wörter lügen? Sicherlich nicht. Doch können bestimmte Wörter so oft mit unmenschlichen Handlungen verknüpft werden oder gewesen sein, daß sie dann als Teil des »Wörterbuchs des Unmenschen« für einige Zeit aus dem Gebrauch zu nehmen sind. Wenn z.B. millionenfacher Mord als »Endlösung« bezeichnet wird, ist ein solches Wort auf lange Zeit oder auf immer unbrauchbar. Die Verbindung von Wort und Verbrechen kann dabei völlig willkürlich sein; oder aber von besonderem Zynismus, wie in dem NS-Beispiel: »Mord als Lösung« – Kulmination eines rassischen Erlösungswahns. Unabhängig jedoch vom Handlungshintergrund der Worte muß vor allem das lügende Sprechen interessieren; dann kann Lüge – nicht aus dem Vergleich von Handlung und Sprechen, sondern sprachimmanent – erkannt, zumindest vermutbar werden. Wenn Peter von Polenz sagt: »Nicht die Wörter selbst wirken moralisch oder unmoralisch, sondern allein ihr Gebrauch durch bestimmte Sprecher in bestimmten Situationen«, so sind damit vorwiegend bestimmte Sprachsituationen gemeint. Man lügt in Sätzen oder Wortverbindungen. Das Wort »Blut« ist keine Lüge, das Wort »Boden« ist keine Lüge. »Blut und Boden« ist lügend und verlogen (auch ohne die geschichtliche Dimension), da die Konjunktion zwischen beiden Begriffen eine begriffliche Einheit vorgibt, die der Reflexion sich entzieht. Der stereotype Gebrauch von »Friede und Freiheit« entproblematisiert beide Worte, da formelhaft so getan wird, als ob die Verbindung von Friede und Freiheit eine Selbstverständlichkeit darstellte. Erst eine Sekundär-Markierung (etwa durch Ironisierung mit Hilfe von Anführungszeichen) macht die Wortverbindung »brauchbar«, indem sie diese wieder infrage stellt. Bertolt Brecht schrieb 1934: »Wer in unserer Zeit statt Volk Bevölkerung und statt Boden Landbesitz sagt, unterstützt schon viele Lügen nicht.«

Wenn Wortbedeutungen weitgespannt und deshalb vage und abstrakt sind, können sie gut als Instrument der Kollektivierung verwandt werden: Bedeutungen werden dabei als Meinungen ausgegeben; Meinungen müßten jedoch in Hinblick auf ihre semantische Struktur eng umgrenzt, individuell und konkret sein; sie sind als Mittel der Beeinflussung einer sozialen Gruppe wenig geeignet, da sie in ihrer Begrenzung (Definition) kein Dach für kollektive Triebe, Emotionen und Intentionen abgeben. Meinungssätze, die als Bedeutungssätze sich maskieren, eignen sich besonders gut für stereotypen Gebrauch; was eigentlich eine eng umgrenzte, individuelle und konkrete Mitteilung sein sollte und von der Struktur nur sein kann, umgibt sich mit der Aura der allgemeingültigen Verbindlichkeit. Im ›Kaukasischen Kreidekreis‹ sagt die Gouverneursfrau, sie liebe das Volk mit seinem schlichten, geraden Sinn. Der Kontext entlarvt den Satz insofern als Lüge, als der nachfolgende Meinungssatz offenbart, daß hier eine Generalisierung die eng umgrenzte, individuelle und konkrete Meinung verdecken soll, die da lautet: »Es ist nur der Geruch, der Migräne macht.«

Nach diesem Muster sind vielfach politische Stereotype angelegt – aber auch als solche zu dekuvrieren, wenn man Gespür und Gedächtnis für das Nebeneinander vorgetäuschter Bedeutungs- und wirklicher Meinungssätze besitzt.

Betrachtet man unter diesen allgemeinen Aspekten die Stereotypie der deutschen öffentlichen Sprache, so kann man angesichts des ungeheuer umfangreichen zur Verfügung stehenden Materials nach den Merkmalen der Auffälligkeit bestimmte Sprachmuster herausschälen, die jeweils durch ein spezifisches Sprachverhalten, eine spezifische Sprechlage und spezifische Wortfelder geprägt sind.

Dominant beim Sprachverhalten ist das Affirmative (der Jargon der Eigentlichkeit), in der Sprechlage das klassizistisch-romantizistische Pathos, und bei den Wortbereichen das »Organische« sowie Kriegerisch-Militärische.

Soziolinguistisch interessiert dabei vor allem das Politikerdeutsch, das Bürokratendeutsch, das Vereinsdeutsch, das Professorendeutsch, das Studentendeutsch, das Offiziersdeutsch, das Predigerdeutsch, das Publizistendeutsch, das Erzieherdeutsch – eben das Deutsch, das aufgrund von Bildungsprivilegien die herrschende Sprache ist und auch die der Nichtprivilegierten mitprägte; und damit, mit der stereotypisierten Sprache, mehrdimensionale Erfahrung und abweichendes Denken verhinderte. Dort, wo das Individuum nicht in eigenen Sprachformen sich artikulieren kann (darf), fehlt ihm auch der Wahrnehmungsraster für heterogene und disparate Information. Sprache »im Einsatz« bedeutet »Denken im Gleichschritt«.

Die Beispiele, die nachfolgend für einzelne Aspekte angeführt werden, sollen sozusagen strukturalistisch die Wesensmerkmale stereotypen Sprechens veranschaulichen: die Beispiele werden der Vergangenheit wie Gegenwart entnommen und auf ihr Gemeinsames hin geprüft.

Natürlich macht jeweils erst die historische Dimension deutlich, welche Unmoral des Handelns hinter der Unmoral des Sprechens stand. In diesem Sinne haben die Beispiele selbstverständlich höchst unterschiedliches Gewicht. Die Zerstörung individuellen Sprechens muß nicht verknüpft sein mit dem Mord am Menschen. Die Stereotypie des Briefstellerdeutsch etwa impliziert nicht a priori, daß ein Heinrich Himmler seine Wahnideen in Form des Briefstellerdeutsch in Befehle des Völkermords umsetzte. Die Stereotypie des verlogen-einseitigen Lesebuchidylls hätte nicht einem Rudolf Höß die Feder bei seinen ›Erinnerungen‹ an Auschwitz führen müssen.

Das Nebeneinander der Beispiele und ihre Durchleuchtung auf die gemeinsamen Strukturmerkmale hin macht jedoch deutlich, welche Worthülsen für die Verpackung der Inhumanität als besonders geeignet sich erweisen.

 

Was unter der affirmativen Rolle der Stereotypie zu verstehen ist, kann am besten mit einer zentralen Stelle aus Herbert Marcuses Essay ›Über den affirmativen Charakter der Kultur‹ beschrieben werden:

»Sie ist in ihren Grundzügen idealistisch. Auf die Not des isolierten Individuums antwortet sie mit der allgemeinen Menschlichkeit, auf das leibliche Elend mit der Schönheit der Seele, auf die äußere Knechtschaft mit der inneren Freiheit, auf den brutalen Egoismus mit dem Tugendreich der Pflicht. Hatten zur Zeit des kämpferischen Aufstiegs der neuen Gesellschaft alle diese Ideen einen fortschrittlichen, über die erreichte Organisation des Daseins hinausweisenden Charakter, so treten sie in steigendem Maße mit der sich stabilisierenden Herrschaft des Bürgertums in den Dienst der Niederhaltung unzufriedener Massen und der bloßen rechtfertigenden Selbsterhebung: sie verdecken die leibliche und psychische Verkümmerung des Individuums.«

Das Zitat verweist zudem auf den historischen Ursprung der meisten Stereotypen der deutschen öffentlichen Sprache; diese entstand in der Zeit nach Klassik und Romantik, als der kämpferische Aufstieg der neuen Gesellschaft in die stabilisierende Herrschaft des Bürgertums überging; Klassik und Romantik wurden von dieser in den Dienst der Niederhaltung unzufriedener Massen und rechtfertigender Selbsterhebung genommen. Mit Hilfe epigonal-idealistischer Sprache wurden die konkreten gesellschaftsrelevanten Probleme hinwegprojiziert; an die Stelle der Antinomie von Ideal und Leben trat die Verdrängung der Lebensbedürfnisse zugunsten des Ideals, das – eingefroren in standardisierter Sprache – seinen kreativen Einfluß auf die Gestaltungskräfte verlor. Idealität wurde zum Dekor, das Sentimentalische zur Sentimentalität.

In dieser stereotypisierten Seelensprache sind diejenigen Kräfte und Bedürfnisse eingegangen, die im alltäglichen Dasein keine Stätte fanden oder nicht haben durften – die Sehnsucht nach einem glücklicheren Leben, nach Menschlichkeit, Güte, Freude, Wahrheit.

Sie alle werden mit dem affirmativen Vorzeichen versehen: nämlich einer höheren, reineren, nicht alltäglichen Welt anzugehören. Sie sind nicht von dieser Welt. Zugleich ermöglicht affirmative Sprache unverbindliche Menschlichkeit. Adorno nannte den affirmativen Jargon ›Jargon der Eigentlichkeit‹. »Der Jargon der Eigentlichkeit ist Ideologie als Sprache, unter Absehung von allem besonderen Inhalt.« Es erfolgt die Himmelfahrt des Wortes über den Bereich des Tatsächlichen. Meinungssätze werden als Bedeutungssätze ausgegeben; mit Hilfe der affirmativen Stereotypie kann man sich aus den realen Problemen in eine Welt der Unverbindlichkeit katapultieren. »Eigentlichkeit nennt kein Eigentliches als spezifische Eigenschaft, sondern bleibt formal, relativ auf einen in dem Wort ausgesparten, womöglich zurückgewiesenen Inhalt selbst dort noch, wo das Wort adjektivisch verwendet wird. Es besagt nicht, was eine Sache sei, sondern ob, in welchem Maße sie das in ihrem Begriff schon Vorausgesetzte sei, in implizitem Gegensatz zu dem, was sie bloß scheint.«

Adorno zeigt auch auf, wo (unter anderem) solche Schnittmuster des Menschseins, solche Sprachwirkungen ohne Ursache, anzutreffen sind. »In Deutschland wird ein Jargon der Eigentlichkeit gesprochen, mehr noch geschrieben, Kennmarke vergesellschafteten Erwähltseins, edel und anheimelnd in eins; Untersprache als Obersprache. Er erstreckt sich von der Philosophie und Theologie nicht bloß Evangelischer Akademien über die Pädagogik, über Volkshochschulen und Jugendbünde bis zur gehobenen Redeweise von Deputierten aus Wirtschaft und Verwaltung.« Und bis zur Politik – muß man selbstverständlich hinzufügen.

Die Spracherziehung in den Schulen ist weitgehend auf die Reproduktion affirmativer Wortmuster angelegt und ausgerichtet. Ob Sprachbuch oder Lesebuch, Singbuch oder Geschichtsbuch, überall werden Schlüsselworte gebraucht, die die Gesellschaft zum idyllischen Asyl stilisieren.

Im Interesse »gesunder Kinder, die das köstlichste Gut eines Volkes sind« (Artikel 125 der Bayerischen Verfassung), wird etwa in Artikel 131 der Bayerischen Verfassung die Humanität als »Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne« auf fatale Weise beim stereotypen Wort genommen.

Die Bildungsziele in den Präambeln der schulischen Lehrpläne offenbaren affirmative Beziehungslosigkeit zur Realität. Es fehlt die kritische Distanz zu den Worten; mangelnder Gehalt wird durch deklamatorischen Akt überspielt. Das Wesentliche und Eigentliche erscheint in immer neuen Vagheiten. Dementsprechend die didaktische Praxis.

Dazu beliebige Beispiele aus dem Lateinunterricht des Jahres 1970: »Die Eltern werden von uns geliebt. Die Eltern sollen von den Kindern geliebt werden. Die Eltern sind von den Kindern immer geliebt worden und werden immer geliebt werden … Nicht nur die Eltern, sondern auch alle Menschen und alle guten Dinge sollen geliebt werden. Jedes Lebewesen soll geliebt und nicht verachtet werden … Ein Knabe, der die Anstrengung flieht, wird auch als Mann seine Pflicht nicht erfüllen. Was Arzneien nicht heilen, heilt das Eisen, was das Eisen nicht heilt, heilt das Feuer, was das Feuer nicht heilt, heilt der Tod.«

Wir ergänzen: Was die affirmativen (Bildungs)-Sätze offensichtlich nicht heilt, ist die Zeit!

Politikerdeutsch

Politische Sprache zeigt ein weites Spektrum; die einen wollen mit ihren Worten beeinflussen und verführen, die anderen »redlich« überzeugen; dazwischen liegen vielfältige Mischformen, bald mehr, bald weniger um Wahrheit bemüht.

In »Mein Kampf« schreibt Hitler – und man kann an einem solchen Zitat die »Eigenart« des totalitären Sprachmusters erkennen –: »Die Aufnahmefähigkeit der großen Masse ist nur sehr beschränkt, das Verständnis klein, dafür jedoch die Vergeßlichkeit groß. Aus diesen Tatsachen heraus hat sich jede wirkungsvolle Propaganda auf nur sehr wenige Punkte zu beschränken und diese schlagwortartig so lange zu verwerten, bis auch bestimmt der Letzte unter einem solchen Worte das Gewollte sich vorzustellen vermag … Der Glaube ist schwerer zu erschüttern als das Wissen, Liebe unterliegt weniger dem Wechsel als Achtung, Haß ist dauerhafter als Abneigung, und die Triebkraft zu den gewaltigsten Umwälzungen auf dieser Erde lag zu allen Zeiten weniger in einer die Masse beherrschenden wissenschaftlichen Erkenntnis als in einem sie beseelenden Fanatismus, manchmal in einer sie vorwärtsjagenden Hysterie. Wer die breite Masse gewinnen will, muß den Schlüssel kennen, der das Tor zu ihrem Herzen öffnet. Er heißt nicht Objektivität, also Schwäche, sondern Wille und Kraft.«

Nach Thomas von Aquin sind die Wörter der Sprache Zeichen des Geistes; es sei wider ihre Natur und wider den Geist, sie in den Dienst der Lüge zu stellen; die Sprache solle die Gedanken offenbaren, nicht verbergen. Dem dürften freilich selbst Vertreter des demokratisch-parlamentarischen Systems, zumindest was die Praxis betrifft, nicht zustimmen. Wichtiger als Gedankenwahrheit ist auch hier die Sprachtaktik: wie man die Dinge fürs eigene Lager zurechtbiegt und »hindreht«. Meistens werden die Reden zum Fenster hinaus gehalten: sind an den Mann auf der Straße gerichtet, der durch die Massenmedien recht gut erreicht wird. Im »hohen Hause« selbst bedürfte man dieser Reden nicht; man weiß schon vorher, wie man sich zu entscheiden hat. Es bleibt ein Streit um Worte; die Sachen sind bereits fixiert, wenn die Redeschlachten anheben. Er habe im Laufe seines langen Lebens Tausende von Reden gehört, aber keine habe seine Entscheidung irgendwie beeinflußt, meinte ein englischer Parlamentarier einmal. Das Zitat stammt aus dem 19. Jahrhundert; es dürfte nach wie vor aktuell sein.

 

Im nachfolgenden sollen das totalitäre und das demokratische Sprachsyndrom betrachtet werden; die Übergänge sind fließend: die Aussagen beziehen sich auf »idealtypische« Erscheinungsformen.