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Augsburg, 1462: Linas Gemahl ist tot, ihre Zukunft als Witwe ungewiss. Einzig der Verkauf von Heilmitteln schafft ihr ein spärliches Auskommen. Aus Angst, ihre große Liebe, den Wundarzt Ulrich, mit ins Unglück zu stürzen, verbietet sie sich ihre Gefühle für ihn. Eines Tages wird sie auf dem Heimweg vom Markt angegriffen und nur wenig später entgeht sie nach einem nächtlichen Überfall nur knapp dem Tod. Lina wird klar: Jemand trachtet ihr nach dem Leben. In ihrer Not sucht sie Unterschlupf bei dem berüchtigten Herrn der Bettler. Doch treibt er ein falsches Spiel?
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Seitenzahl: 557
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Silvia Stolzenburg
Das Pestmädchen und der Medicus
Historischer Roman
Tod und Verrat am PerlachAugsburg 1462: Nach dem tragischen Tod ihres Gemahls bei einem Brandanschlag steht Lina vor einer ungewissen Zukunft als Witwe. Sie führt das Heilmittelgeschäft ihres verstorbenen Mannes fort und hat ein spärliches Auskommen. Dabei bemüht sie sich, ihrer großen Liebe, dem Wundarzt Ulrich, aus dem Weg zu gehen, um ihn nicht ins Unglück zu stürzen. Als sie eines Tages auf dem Heimweg vom Markt angegriffen wird und nur wenig später bei einem Überfall mitten in der Nacht gezwungen ist, ihren Angreifer in Notwehr zu erstechen, keimt ein furchtbarer Verdacht in ihr: Jemand trachtet ihr nach dem Leben. Da Lina eine neuerliche Anklage wegen Mordes fürchtet, scheint eine Flucht unausweichlich. In ihrer Not sucht sie Unterschlupf bei dem berüchtigten Isegrim, dem Herrn der Bettler. Während Ulrich verzweifelt nach ihr sucht, droht Lina in der Gewalt des zwielichtigen Verbrechers Schreckliches …
Dr. phil. Silvia Stolzenburg studierte Germanistik und Anglistik an der Universität Tübingen. Im Jahr 2006 promovierte sie dort über zeitgenössische Bestseller. Kurz darauf machte sie sich an die Arbeit an ihrem ersten historischen Roman. Sie ist hauptberufliche Autorin und lebt mit ihrem Mann auf der Schwäbischen Alb, fährt leidenschaftlich Mountainbike, gräbt in Museen und Archiven oder kraxelt auf steilen Burgfelsen herum – immer in der Hoffnung, etwas Spannendes zu entdecken.
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Dieses Werk wurde vermittelt durch die Autoren- und Projektagentur Gerd F. Rumler (München)
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Daniel Abt
Satz: Julia Franze
E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Bildes von: © Shutterstock Generate. ID: 2531402535 / Shutterstock.com; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Nuremberg_chronicles_-_Augusta_vendilicorum.png
ISBN 978-3-7349-3400-1
Für meinen Sonnenstrahl
Reichsstadt Augsburg, Ende März 1463
Es war nicht mehr als ein leises Knacken, das Lina aus dem Schlaf aufschreckte. Wie so oft war sie in dieser Nacht von Albträumen geplagt worden, die sie trotz der Kälte in der Wundstube schweißnass zurückließen. Mit einem Keuchen fuhr sie auf und stieß sich fast den Kopf an dem Deckenbalken, der über ihrem Lager verlief. Sie vermeinte, einen Schemen im Raum schweben zu sehen, der sich jedoch sofort in Luft auflöste, als sie blinzelte.
»Wer ist da?«, flüsterte sie.
Ihr Herz schlug in der Kehle, und sie spürte, wie ihr die Brust eng wurde. Mit angehaltenem Atem lauschte sie in die Dunkelheit.
Nichts rührte sich.
Der Geruch von Kampfer und Harz lag schwer in der Luft, und obwohl sie das Feuer unter der Kochstelle des kleinen Gebäudes erst spät gelöscht hatte, war es so kalt, dass ihre Zähne nach wenigen Augenblicken anfingen zu klappern. Sechs Wochen waren seit dem furchtbaren Brand vergangen, bei dem ihr Gemahl, der städtische Scharfrichter Gernot, sein Leben verloren hatte. Doch an manchen Tagen kam es ihr vor, als wäre es gestern gewesen.
So leise wie möglich schlug sie die Decke zurück, tastete nach dem Messer, das stets neben ihr lag, und suchte im Dunkeln ihre Kleider zusammen. Nachdem sie sich angezogen hatte, setzte sie den Fuß auf die oberste Stufe der kleinen Stiege, die von der Nische unter dem Dach hinabführte, in der sie schlief. Vorsichtig kletterte sie nach unten. Jeder Muskel in ihrem Körper spannte sich an, als sie sich anstrengte, etwas zu erkennen.
War der Brandstifter zurückgekehrt? Wollte er sein Werk vollenden? War ihm in der Zwischenzeit klar geworden, dass er sein Ziel, sie zu töten, ein weiteres Mal verfehlt hatte?
Ihre Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit, und die Umrisse der Kessel, Tiegel und Tontöpfe tauchten auf, in denen die Zutaten für die Pflaster und Arzneien lagerten, mit denen sich ihr Gemahl ein Zubrot verdient hatte. Nach dem Brand des Wohnhauses und Gernots Tod war Lina nichts anderes übrig geblieben, als in die Wundstube umzuziehen. Seitdem versuchte sie mehr schlecht als recht, sich mit dem Verkauf der Mittel über Wasser zu halten, deren Zubereitung Gernot ihr beigebracht hatte. Die wertvollste Habe des Henkers, die Totenhände der Gehenkten, die Galgenstricke und Schädel sowie die Habseligkeiten der Verurteilten waren im Feuer vernichtet worden. Lediglich einige Flaschen mit Armsünderblut und ein halbes Dutzend Behältnisse voller Armsünderfett hatten in der Wundstube die Katastrophe überstanden.
Ein weiteres Geräusch ließ sie zusammenzucken und das Messer fester umklammern. Jemand schlich im Hof herum! Ihr Mund wurde trocken und ihre Handflächen waren feucht. Sie nahm all ihren Mut zusammen und ging zur Tür, deren Riegel sie vorsichtig aus der Halterung hob. Am liebsten hätte sie sich in einem Mauseloch verkrochen, doch sie zwang sich, den Kopf durch den Spalt zu stecken und sich umzusehen.
Der Himmel über der Stadt war sternenklar. Ein fast voller Mond beleuchtete die Dächer und tauchte alles in ein kaltes Licht. Die verkohlten Grundmauern des Hauptgebäudes zeichneten sich deutlich vom helleren Hintergrund ab. Obwohl die Hofmauer und das schwere Tor nicht beim Brand beschädigt worden waren, boten sie wenig Schutz, da es ein Leichtes war, sich über die Ruine Zutritt zum Bartshof zu verschaffen.
»Wer ist da?«, rief sie, um eine feste Stimme bemüht.
Einen Moment lang herrschte Stille, bevor ein Husten ertönte. »Ich bin es.« Eine Gestalt tauchte bei dem kleinen Scheißhäuslein auf, das am anderen Ende des Hofes stand. »Habe ich dich geweckt?«
Vor Erleichterung hätte Lina fast geschluchzt. »Anselm«, stieß sie erleichtert hervor, während der Henkersknecht die Tür des Aborts schloss und auf sie zukam.
»’tschuldigung«, murmelte er. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«
Lina ließ das Messer sinken. »Schon gut«, sagte sie. »Geh ins Bett.« Ein Blick zum Himmel verriet, dass es noch lange hin war bis zur Dämmerung. Sie wartete, bis Anselm in dem kleinen Nebengebäude verschwand, in dem er sein Lager aufgeschlagen hatte, ehe sie zurück in die Wundstube ging und die Tür wieder verriegelte.
An Schlaf war nicht mehr zu denken, weshalb sie beschloss, das Feuer zu entzünden und mit der Arbeit zu beginnen. Je eher sie Bein-, Magen-, Leber- und Wundpflaster, Salben, Pest-Riechapfel und Tränke fertigstellte, desto eher konnte sie die Arzneien in der Marktbude verkaufen, die ihr Gemahl betrieben hatte. Bisher hatte der Rat ihr die Erlaubnis dafür nicht entzogen, allerdings fragte sie sich, wie es weitergehen sollte. Reichten die Vorräte in der Wundstube aus, um damit ihren Lebensunterhalt zu verdienen? Und was war mit Anselm? Er konnte in der kurzen Zeit, die er als Gernots Knecht zugebracht hatte, kaum genug gelernt haben, um dessen Handwerk fortzuführen.
Die Sorgen wogen schwer. Nicht nur war sie inzwischen sicher, dass ihr jemand nach dem Leben trachtete; auch ihre Zukunft als Witwe war mehr als ungewiss. Die Regeln des Anstandes schrieben mindestens eine dreimonatige Trauerzeit vor. Was würde danach geschehen? Würde der Rat einen neuen Henker einstellen? Die Vorstellung, dass von ihr erwartet werden könnte, einem anderen Scharfrichter ein gehorsames Weib zu sein, ließ sie schaudern. Gernot war nicht schlecht zu ihr gewesen, aber ihr Herz gehörte nach wie vor dem einzigen Mann, den sie jemals lieben würde.
Der Gedanke an Ulrich, den städtischen Wundarzt, machte ihr das Herz schwer. Seit ihr klar geworden war, dass sie das Ziel der beiden feigen Mordanschläge gewesen sein musste, hatte sie beschlossen, sich von ihm fernzuhalten. Jeder, der sich in ihrer Nähe aufhielt, war in Gefahr. Die Erinnerung an den Überfall in der Badestube, an das Messer in der Hand des Angreifers und Valentins tote Augen würde sie bis an ihr Lebensende verfolgen. Ihre Finger wanderten zur Brust, wo die Narbe, die das Messer hinterlassen hatte, bis heute manchmal schmerzte. Warum hatte Gernot ihr nicht erlaubt, ihre Unschuld zu beweisen? Wäre der Schuldige gefasst worden, wäre er vielleicht noch am Leben.
»Es ist gefährlich!«, hatte er sie gewarnt. »Ich lasse nicht zu, dass du dich erneut zur Zielscheibe machst!«
Sie schnaubte. Eine Zielscheibe war sie ohnehin längst, obschon sie sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, warum ihr jemand nach dem Leben trachtete. Wer war sie schon? Eine unbedeutende Waise aus dem Findelhaus. Ganz gleich, wie sehr sie sich den Kopf zermarterte, sie begriff nicht, warum jemand sie so sehr hasste, dass er deswegen zum Mörder und Brandstifter wurde. Allem Anschein nach hatten die Nachforschungen des Hauptmanns nichts ergeben, niemand war verhaftet worden. Folglich war der Angreifer noch irgendwo da draußen und wartete vermutlich auf eine neue Gelegenheit, Lina zu töten.
Um die Angst zu verdrängen, die in ihr aufstieg, suchte sie Käsepappel, Efeu, getrocknete Königskerzenblüten, Flechten von Schlehdorn und Bartflechten von Tannen sowie Gerstenmehl, Honig und Veilchenöl hervor. Nachdem sie alles in einem Mörser zerkleinert hatte, bereitete sie einen Ansatz zu, den sie zum Sieden über das Feuer hängte. Auf ein Barchenttuch gestrichen, wurde diese Arznei auf den Magen gelegt, um die gängigsten Beschwerden zu lindern. Als Nächstes mischte sie Blutwurz, Eiweiß und Flachs mit Honig, Weinblüte und Schlangenknöterich, um ein allseits beliebtes Zugpflaster herzustellen.
Sie war so vertieft in die Arbeit, dass sie die Zeit vergaß und nicht bemerkte, dass die Sonne aufging. Erst als Anselm den Kopf in die Wundstube steckte, um zu fragen, wie viel Holz er hacken sollte, begriff sie, dass ein neuer Tag voller Arbeit und Ungewissheit auf sie wartete. Obwohl die Ruine des Hauptgebäudes baufällig war, hatte das Feuer einen Teil der Küche und den Keller verschont, sodass es Lina möglich war, Essen für Anselm und sich zuzubereiten. Sie fütterte die Schweine und Hühner, anschließend suchte sie Eier zusammen und bereitete ein einfaches Mahl aus Getreidebrei zu. Da sie nicht wusste, wie lange die Vorräte im Keller ausreichen würden, hatte sie beschlossen, so sparsam wie möglich zu leben.
»Was wird jetzt aus mir?«, fragte Anselm, als er sich wenig später zu ihr gesellte und gierig seinen Brei hinunterschlang. Bisher hatte er die Frage vermieden.
Lina zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht.« Einerseits war er ein hungriges Maul, das es zu stopfen galt, andererseits fühlte sie sich sicherer, wenn sie nicht allein im Bartshof lebte.
»Ich will Henker werden«, brummte er.
Lina schwieg. Was hätte sie antworten sollen? Sie konnte den Drang nicht verstehen, anderen Menschen Qualen zuzufügen, sie zu verstümmeln und zu töten. »Wenn du gehen willst …«
Anselm stützte das Kinn auf die Hände und starrte auf die Tischplatte. »Vielleicht sollte ich zurück zu Meister Helmut.«
»Vielleicht solltest du das«, seufzte sie. Sie würde ihn nicht aufhalten, obwohl ihr die Vorstellung, mutterseelenallein zu sein, Furcht einflößte. Was würde geschehen, wenn der Brandstifter zurückkam? Oder hatte er das Weite gesucht in der Annahme, sein Ziel erreicht zu haben? Ganz gleich, wie sie es drehte und wendete, ihr blieb nichts übrig, als abzuwarten und sich in ihr Schicksal zu fügen.
Das Aufstehen fiel Ulrich an diesem Tag schwerer als sonst. Seit seiner letzten Begegnung mit Lina kreisten zahllose Gedanken in seinem Kopf und er hatte wenig geschlafen. Irgendwann kurz vor Mitternacht hatte sich ein Verdacht in ihm eingenistet, den er nicht loswurde. Ganz gleich, wie oft er in den langen Stunden bis zur Dämmerung versucht hatte, sich einzureden, dass er sich täuschte. Sein Gefühl sagte ihm etwas anderes. Seit Meister Gernots Tod hatte er sich immer wieder gefragt, wer so abgrundtief böse sein konnte, ein Feuer zu legen, das auf das gesamte Viertel hätte übergreifen können. Und die Antwort, die sich ihm offenbart hatte, erfüllte ihn mit einer Mischung aus Wut, Entsetzen und dem Drang, etwas zu tun, für das er auf dem Richtplatz enden würde.
War es wirklich denkbar, dass seine Gemahlin Angela etwas mit dem Anschlag auf den Bartshof zu tun hatte? Hasste sie ihn so sehr, dass sie auf diese Art versucht hatte, sich für seine Gleichgültigkeit ihr gegenüber zu rächen? Immerhin hatte sie Lina offen gedroht. Ihm war klar, dass Meister Gernot zahllose Feinde gehabt haben musste, allerdings traute er Angela das Schlimmste zu.
Mit steifen Gliedern erhob er sich von der Ofenbank der Stube, auf der er geschlafen hatte. Indes erwachte das Haus. In der Küche im Stockwerk unter ihm polterte und klapperte es, und bald würde auch Angela auf den Beinen sein. Deswegen beeilte er sich, zog sich an und ging in eine kleine Kammer am Ende des Ganges, wo sich ein Abort und eine Waschschüssel befanden.
Wenig später kehrte er in die Stube zurück, wo eine Magd das Feuer im Ofen neu entfacht und den Tisch gedeckt hatte. Sie begrüßte ihn mit einem Lächeln und huschte davon, um mit einer Schale voll dampfendem Brei und einem Krug warmem Dünnbier wiederzukommen. Im Gegensatz zu seiner Gattin bevorzugte Ulrich ein einfaches Frühstück, da ihm die Arbeit mit vollem Magen nicht bekam.
Er hatte sich kaum gesetzt und den Löffel in den Brei getaucht, da erschien seine Gemahlin und musterte ihn hochmütig. Wie jeden Morgen sah sie trotz der frühen Stunde aus, als wäre sie auf dem Weg ins Tanzhaus. Ulrich ignorierte die roten Lippen, die perlenbestickte Haube und die sorgsam gelegten Schläfenlocken. Ihr mit Silberfäden durchwirktes Kleid schien neu zu sein. Er hatte längst aufgehört, sich über ihre sinnlosen Ausgaben aufzuregen, denn als städtischer Wundarzt verdiente er mehr als genug Geld. Außerdem war er sicher, dass Angelas Vater, ein einflussreicher Ratsherr, ihr selbst nach der Hochzeit noch jeden Wunsch von den Augen ablas. Der alte Tor war Wachs in der Hand seiner Tochter.
»Ich nehme an, du wirst heute wieder den ganzen Tag außer Haus sein«, bemerkte sie spitz, setzte sich ihm gegenüber und wartete, bis die Magd ihr süßen Brei, eingelegte Früchte, warme Milch und ein Ei brachte.
»Ich muss arbeiten«, entgegnete er barsch. Wie oft wollte sie diese Unterhaltung noch führen?
»Im Spital?«
Er hob ärgerlich den Kopf. »Seit wann interessiert es dich, wo ich mich um die Kranken kümmere?«
»Ich bin eine aufmerksame Gattin.«
Er verkniff sich ein bitteres Lachen. Das bist du nur, weil du ein Kind willst,dachte er. Seit ihrem letzten Streit stieß sie ihn noch mehr ab als vorher. Nicht einmal der Gedanke an ihren makellosen Körper konnte ihn dazu bringen, häufiger das Bett mit ihr zu teilen. Schweigend löffelte er seinen Brei und trank sein Bier.
Als er die leere Schale von sich schob und Anstalten machte, sich zu erheben, fragte sie: »Ist sie auch im Spital?«
Ulrich runzelte die Stirn. »Wer?«
Angela lachte freudlos. »Wer wohl? Die Witwe des Henkers?«
Ulrich fasste sie scharf ins Auge. Sah sie ihm seinen Verdacht an? Warum kam sie ausgerechnet jetzt mit dieser Frage?
»Teilst du mit ihr das Bett?«, spuckte sie abfällig aus.
Ulrich schüttelte den Kopf. »Du bist erbärmlich.«
Sie warf den Kopf in den Nacken. »Ich bin erbärmlich? Ich halte mich an den Eid, den ich vor Gott geschworen habe! Du auch?«
»Diese Frage würdige ich nicht mit einer Antwort«, fauchte Ulrich.
Offenbar deutete sie das als ein Nein. »Bist du wirklich so weit gesunken, dich mit einer Unehrlichen zu beflecken?«
Ulrich verlor die Geduld. »Hör endlich auf damit!«, knurrte er. »Oder willst du, dass ich dem Hauptmann sage, dass du Lina gedroht hast?« Die Worte hatten seinen Mund verlassen, ehe er darüber nachgedacht hatte, was für eine Wirkung sie haben würden.
Angela erbleichte. »Was willst du damit sagen?«, flüsterte sie.
Es wäre klüger gewesen zu schweigen, dennoch entgegnete er: »Du hast gedroht, sie verschwinden zu lassen.« Er stemmte die Fäuste auf den Tisch. »Hattest du etwas mit dem Feuer zu tun?«
Sie zuckte vor ihm zurück, als hätte er sie geschlagen. »Was?«, hauchte sie. »Bist du von Sinnen?«
Ulrich sah sie prüfend an. Ihr Schreck schien echt zu sein. Hatte er sich getäuscht? War sie doch nicht so verdorben, wie er angenommen hatte? Er erinnerte sich an das Schauspiel, das sie aufgeführt hatte, um ihren Vater dazu zu bringen, ihn heiraten zu dürfen. Ihre Verlogenheit war ebenso groß wie ihre Schönheit. Hinter dem liebreizenden Antlitz verbarg sich der Teufel in Menschengestalt. »Ich schwöre dir, wenn ich herausfinde, dass du den Bartshof angezündet hast, werde ich keine Sekunde zögern, dich vor den Rat zu zerren!«, drohte er.
»Ich bin deine Gemahlin!«, empörte sie sich.
»Schwörst du bei Gott und allen Heiligen, dass du Lina nicht nach dem Leben getrachtet hast?«
»Was erlaubst du dir?« Zwei rote Flecken flammten auf ihren Wangen auf.
»Dachte ich es mir doch«, schnaubte er. »Nimm dich in Acht und halte dich von Lina fern! Sollte ihr etwas zustoßen …«
»Du gibst schamlos zu, dass sie dir wichtiger ist als ich?«, ereiferte sich Angela.
»Du wusstest, auf was für einen Handel du dich einlässt. Warum sonst hätte ich wohl ihr Leben retten wollen?« Mit diesen Worten ließ er Angela sitzen und stürmte aus der Stube, bevor er etwas Unbedachtes tun konnte. Er hatte seine Gemahlin zu Beginn der Ehe verachtet, inzwischen hasste er sie von ganzem Herzen. Ihm war klar, dass er unklugerweise seine Karten auf den Tisch gelegt hatte. Nun wusste sie wenigstens, dass er sie durchschaut hatte, und würde es hoffentlich nicht wagen, etwas zu unternehmen, was Lina schaden würde.
Nachdem er seine Tasche und einen warmen Mantel geholt hatte, machte er sich auf den Weg zu der Badestube, in der er seine Arzneien kochte, um seinen Vorrat an Pflastern und Wundsalben aufzustocken. Anschließend begab er sich zum Heilig-Geist-Spital, vor dessen Tor trotz der frühen Stunde zahlreiche Bettler auf ein warmes Mahl hofften.
Er nickte dem Torhüter zu und betrat den weitläufigen Hof, in dessen Mitte ein halbes Dutzend Fuhrwerke stand. Die hohe Mauer des Spitals umschloss das gesamte Gelände, auf dem sich das Wohngebäude für die Brüder und Schwestern des Heilig-Geist-Ordens, die Kapelle mit dem seit der Pest überfüllten Friedhof und das Haus des Spitalmeisters befanden. Zudem verfügte das Spital über eine eigene Mühle, ein Backhaus, Scheunen, Stallungen und einen Kornkasten sowie ein Narrenhaus neben der Mühle. Außerdem gab es Gebäude für die Einkaufspfründner – diejenigen Augsburger, die genügend Geld hatten, um ihren Lebensabend in eigenen Kammern zu verbringen. Die armen Pfründner wohnten in Gemeinschaftsstuben, die im Winter kalt und zugig waren. Um im Spital aufgenommen zu werden, musste man von ehrbaren Leuten vorgeschlagen werden und bereit sein, nach dem Ableben seinen gesamten weltlichen Besitz dem Spital zu überlassen. Wer nichts hatte, fristete ein tristes Dasein, das allerdings immer noch besser war als das Leben der Bettler, die vor dem Tor ausharrten.
Froh darüber, dass der letzte Schnee vor einigen Tagen geschmolzen war, eilte Ulrich über den Hof und betrat die Siechenstube, in der ihm der schwere Geruch von Räucherungen entgegenschlug. In dem lang gestreckten Raum, der von Säulen in drei Bereiche geteilt wurde – einen für Frauen, einen für Männer und einen für Schwerkranke – mischte sich das Odeur von Kräuteraufgüssen und dem Inhalt der Nachttöpfe neben den Lagern in die Rauchschwaden. Durch schmale Fenster fiel etwas trübes Tageslicht auf den sauber gefegten Boden und das große Kruzifix an der Wand gegenüber der Tür. Im hinteren Teil, in dem die Sterbenden lagen, beteten die Schwestern des Ordens mit den Kranken.
Nicht weit von der Tür entfernt ging der Medicus von Lager zu Lager, um zu entscheiden, wer gesund genug war, um die Siechenstube zu verlassen und die Arbeit wieder aufzunehmen.
Mit einem Seufzen ließ Ulrich den Blick durch den Raum schweifen und betete zum tausendsten Mal dafür, dass es ihm irgendwann gelingen würde, Lina dazu zu überreden, ins Spital zurückzukehren. Seit Gernots Tod war er mehrfach beim Bartshof gewesen, um mit ihr zu sprechen, aber nie hatte jemand auf sein Klopfen reagiert. Allem Anschein nach wich sie ihm aus. Sein Hass auf Angela flammte mit neuer Macht auf. Wenn er doch nur ein freier Mann wäre!
Die nächsten beiden Tage brachte Lina damit zu, Pflaster, Salben, Tränke und Abführkuren zuzubereiten, um die Marktbude damit zu bestücken, die sich in der Nähe des Weinmarktes befand. Als sie sich an dem ersten sonnigen Morgen seit Wochen zur Oberstadt aufmachte, war die Furcht ihr ständiger Begleiter. Immer wieder blickte sie sich um, während sie ihren Handkarren mühsam bergauf schob. Zu ihrer Erleichterung erreichte sie die Bude ohne Zwischenfälle, nicht einmal die Stadtknechte beim Perlach hatten ihr Beachtung geschenkt. Als Witwe des Henkers schien sie genauso unsichtbar zu sein wie die Reisigweiber, die Milchmägde und die alten Frauen, die Fegsand verkauften.
Sie öffnete das Vorhängeschloss der Bude und räumte Flaschen, Tontöpfe, Tiegel und die wenigen Fingerknöchel, die sie in einer kleinen Truhe in der Wundstube gefunden hatte, in die Auslage. Dann baute sie die Waage auf, mit der sie Armsünderfett abzuwiegen pflegte. Obwohl sich ein ansehnlicher Vorrat davon in den hohen Tontöpfen in der Wundstube befand, würde es vermutlich nicht bis zum nächsten Winter reichen. Da Gernot niemanden mehr henken konnte, war die Quelle des begehrten Mittels für Lina versiegt.
Sie wartete auf Kundschaft und ließ den Blick über den Weinmarkt schweifen, wo sich Dutzende von fein gekleideten Herrschaften tummelten. Die Damen protzten mit hohen Hauben und perlenbestickten Kleidern, die Männer versuchten, sich durch schwere Goldbeschläge und kostbare Pelze auszustechen. Zwei Reiter thronten hoch zu Ross und bahnten sich mit wenig Rücksicht einen Weg durch die Augsburger.
»Pestblätter! Kauft Pestblätter!«, ertönte eine durchdringende Stimme von der gegenüberliegenden Straßenseite. »Lasst euch vom heiligen Rochus beschützen!« Der Mann, bei dem es sich um einen fahrenden Händler zu handeln schien, wedelte mit den begehrten Blättern in der Luft herum. Aus eigener Erfahrung wusste Lina, dass selbst der heilige Rochus keinen Schutz davor bot, an der Pest zu erkranken.
»Kauft einen Faden vom Mantel der Muttergottes!«, tönte der Mann weiter. »Ein Stück von einem Pfeil des heiligen Sebastian!« Er ruderte wild mit den Armen, als die Leute begannen, sich um ihn zu scharen.
Eine hochschwangere Frau, deren Interesse Linas Bude galt, lenkte sie von dem Marktschreier ab. Die Frau schien aus gutem Haus zu sein, obwohl ihre Kleidung bescheiden wirkte.
»Hast du Riechapfel?«, erkundigte sie sich.
Lina nickte. Die kleinen Küchlein aus Nelken, Kampfer, Kamille, Muskat und Mastix waren allseits beliebt. In Säckchen oder Tüchern wurden sie am Körper getragen. Manch einer band sie sich gar mit einer Schnur um den Hals, um sich gegen die Luftvergiftung zu schützen, die als Ursache für das Große Sterben galt.
»Ich brauche ein Dutzend«, verlangte die Frau und kramte ein paar Münzen aus ihrer Geldkatze hervor.
Lina gab ihr die schönsten und steckte das Geld mit einem Gefühl der Erleichterung ein. Jeder Pfennig, den sie einnahm, würde ihr dabei helfen, den Hunger fernzuhalten.
Sie blickte der Schwangeren nach und hoffte, dass sie weitererzählte, wo sie den Riechapfel gekauft hatte, da bemerkte sie aus dem Augenwinkel einen Mann, der sich aus einer Gruppe feiner Herren löste. Mit finsterer Miene steuerte er auf ihre Bude zu.
Irgendetwas an ihm kam Lina bekannt vor. War er einer der Richter, die sie zum Tode verurteilt hatten? Bevor sie ihre Erinnerung nach ihm durchsuchen konnte, war er bei ihr und baute sich vor der Bude auf.
»Es hätte dich treffen sollen!«, spuckte er abfällig aus.
Lina wich erschrocken zurück, obwohl sie durch den Tresen von ihm getrennt war.
»Wäre Gott gerecht, hätte das Feuer dich in die Hölle gerissen!«
»Was …?«, hob Lina an, doch er fiel ihr ins Wort.
»Glaub ja nicht, dass ich jemals vergessen werde, was du meinem Sohn angetan hast!«
Mit einem Schlag wurde ihr klar, wen sie vor sich hatte. Bei dem Mann handelte es sich um Valentins Vater, den Ratsherrn, der lauthals protestiert hatte, als Gernot sie auf der Richtstätte losgebeten hatte.
»Das ist schreiendes Unrecht!«, hatte er getobt. »Sie hat meinen Sohn umgebracht!« Sein Zorn war beinahe so furchteinflößend gewesen wie Gernot in seiner Henkerstracht.
»Ich … ich habe Valentin nicht …«, stammelte sie.
»Schweig!«, herrschte er sie an. Auf seiner Stirn pochte eine Ader. Sein Gesicht lief rot an. »Wage es nicht, jemals wieder seinen Namen zu beschmutzen!«
»Ich bin unschuldig«, wiederholte Lina, was sie vor Gericht und im Eisenhaus so oft beteuert hatte.
»Einen Teufel bist du!« Der Ratsherr ballte die Fäuste. »Wäre es nach mir gegangen, hätte dieser verdammte Henker dir den Kopf abgeschlagen!« Seine Hand zuckte zu seinem Gürtel, wo ein prächtig verziertes Messer hing.
Linas zog erschrocken die Luft ein.
»Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, dass ich dafür sorgen werde, dass du deine gerechte Strafe erhältst!«, zischte er. »Früher oder später finde ich heraus, wer der Kerl ist, der dir geholfen hat.«
Lina verkniff sich ein Stöhnen. Offensichtlich glaubte Valentins Vater immer noch, dass sie einen Mittäter gehabt hatte.
»Ich werde alle Hebel in Bewegung setzen, damit der Tod meines Sohnes endlich gesühnt wird!« Die Knöchel der Hand, mit der er den Knauf seines Messers umklammerte, traten weiß hervor. Ihm war anzusehen, wie viel Selbstbeherrschung es ihn kostete, die Waffe nicht gegen Lina einzusetzen. Einige Augenblicke starrte er sie hasserfüllt an, bevor er einen Fluch ausstieß und in Richtung Moritzkirche davonstürmte.
Lina war wie vom Donner gerührt. Ihre Knie zitterten. Sie stützte sich auf dem Tresen ab und versuchte zu begreifen, was gerade passiert war. Ein schrecklicher Verdacht keimte in ihr auf. Hatte Valentins Vater das Feuer im Bartshof gelegt? War es möglich, dass er Gernot und sie so sehr hasste? Hatte er einen Brandstifter gedungen? Hatte sie sich geirrt? Trachtete ihr gar nicht der Angreifer aus dem Badehaus nach dem Leben? Sie wusste nicht mehr, was sie glauben sollte. Nur eines war ihr klar: Ihr Leben war in größter Gefahr.
Einige junge Männer kamen auf die Bude zu und rissen sie aus den Gedanken. Froh über die Ablenkung, verkaufte sie ihnen zerstoßene Knochen, die, in Wein aufgelöst, die Manneskraft stärken sollten. Den Burschen folgten Mägde, wohlhabende Damen, Kaufleute und ein Zunftoberer, sodass sie die nächsten Stunden nicht dazu kam, sich weiter den Kopf über die Begegnung zu zerbrechen. Ihr Vorrat an Armsünderfett war innerhalb kürzester Zeit ausverkauft und auch der Rest ihrer Auslage fand reißenden Absatz. Als die anderen Marktbuden in der Nähe des Weinmarktes gegen Nachmittag ihre Läden schlossen, tat Lina es ihnen gleich, um in der Wundstube mehr der begehrten Mittel herzustellen.
Mit ihrem Karren machte sie sich auf den Heimweg, wo sie eine Überraschung erwartete, als sie den Bartshof betrat. Ein halbes Dutzend Männer in Zimmermannstracht und zwei Maurergesellen schleppten Balken, Körbe voller Ziegel und allerlei Werkzeug zu einem Verschlag, der bei dem niedergebrannten Wohngebäude errichtet worden war. Zwei Burschen bauten ein Gerüst mit Laufschrägen auf, neben dem sich ein Kran mit einem Tretrad befand. Anselm stand in der Nähe und sah ihnen zu.
»Was ist hier los?«, fragte Lina, nachdem sie den Hof überquert hatte.
Anselm zuckte mit den Schultern. »Sie haben gesagt, der Rat hätte sie geschickt. Sie sollen das Haus wiederaufbauen.«
Lina runzelte die Stirn. Was bedeutete das? Aus reiner Menschenfreundlichkeit erteilte der Rat ganz gewiss keinen solchen Auftrag. Sollte ihre Befürchtung schneller wahr werden, als sie gedacht hatte? Schickte man einen neuen Scharfrichter, der sie zur Frau nehmen wollte? Bei dem Gedanken zog sich ihr Magen zusammen.
»Ich hab mein Bündel gepackt«, ließ Anselm sie wissen.
Sie sah ihn verständnislos an.
»Ich gehe zurück zu Meister Helmut.« Er lächelte entschuldigend. »Hier kann ich das Henkershandwerk nicht lernen.«
Lina nickte. Vermutlich hätte sie an seiner Stelle dasselbe getan. »Wann brichst du auf?«, wollte sie wissen.
»Morgen früh.« Er zuckte mit den Schultern, wandte sich ab und verschwand in dem kleinen Nebengebäude, in dem er seit dem Feuer die Nächte verbracht hatte.
Lina verfolgte das emsige Treiben, während irgendwo in der Stadt eine Totenglocke anfing zu läuten.
Die Maurer und Zimmerleute nahmen keine Notiz von Lina. Allem Anschein nach hatten sie klare Befehle erhalten und würden sich von einer Witwe nicht aufhalten lassen. Was hätte Lina auch unternehmen sollen? Ihnen verbieten, das Gebäude neu zu errichten? Mit einem Seufzen beschloss sie, das Einzige zu tun, was ihr in ihrer Lage blieb. Sie machte sich auf zur Wundstube.
Am nächsten Morgen war Lina schon vor dem ersten Hahnenschrei auf den Beinen. Die Begegnung mit Valentins Vater hatte sie bis in ihre Träume verfolgt, und mitten in der Nacht war ihr ein Gedanke gekommen, der sie aus dem Schlaf gerissen hatte. Aus den Tiefen ihrer Erinnerung war ein Bild aufgestiegen, das einen weiteren schlimmen Verdacht in ihr geweckt hatte. Während sie sich mit kaltem Wasser wusch und ihr Haar zu einem dicken Zopf flocht, versuchte sie, sich Valentin als Mörder vorzustellen. Das neue Wams, mit dem er sich im Badehaus vor ihr gebrüstet hatte, war von derselben Farbe gewesen wie das des Mannes, den sie in der Nähe der toten Hübschlerin gesehen hatte. Bevor Valentin von dem Angreifer in der Badestube ermordet worden war, hatte er versucht, sich an ihr zu vergehen. War es womöglich nicht das erste Mal gewesen, dass er eine Frau bedrängt hatte? Hätte er ihr den Schädel eingeschlagen, nachdem er bekommen hatte, was er wollte?
Sie fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. So viele Fragen, auf die sie keine Antwort wusste. Wenn Valentin die Hübschlerinnen auf dem Gewissen hatte, wer war dann der Angreifer? Hatten die Morde überhaupt etwas miteinander zu tun? Nach wie vor war Lina davon überzeugt, dass sie das eigentliche Ziel war. Sie blies die Backen auf und ließ die Hände sinken. Ihr Kopf schmerzte. Sie hatte den Eindruck, dass das viele Nachdenken mehr Unklarheiten brachte.
Fertig angezogen, machte sie sich auf den Weg in die Küche, um ein Feuer zu entzünden und das Frühstück zuzubereiten. Als Anselm wenig später auftauchte, warf der Getreidebrei bereits Blasen.
Anselm ließ sich auf die Bank fallen und wartete, bis Lina eine gefüllte Schale vor ihm auf den Tisch stellte. Er hatte sein Bündel geschnürt und schien seinem Abschied vom Bartshof mit gemischten Gefühlen entgegenzublicken, da er ungewöhnlich lustlos in seinem Essen stocherte.
»Wie weit ist dein Weg?«, erkundigte sich Lina, um das Schweigen zu brechen.
Anselm zuckte mit den Schultern. »Ein paar Tage wird’s wohl dauern.« Er zog die Nase hoch und kratzte sich am Kopf. »Zum Glück liegt kein Schnee mehr.«
»Warum bist du einst fort von Meister Helmut?«, wollte Lina wissen.
Anselm schob den Brei von einer Seite der Schale zur anderen. »Er war streng«, sagte er schließlich.
»Strenger als Gernot?«, fragte Lina erstaunt. Ihr Gemahl war nicht gerade zimperlich mit seinem Knecht umgegangen.
Anselm nickte.
»Warum lernst du nicht ein anderes Handwerk?«
Anselm lachte freudlos. »Ich bin unehrlich.«
»Du könntest Bader werden.« Zwar zählten die Bader in Augsburg nicht zu den Unehrlichen, in den meisten anderen Städten allerdings schon.
»Das ist langweilig«, brummte er. »Wer will denn den ganzen Tag Zähne ziehen und alte Leute schröpfen?«
»Köpfe abschlagen ist besser?«
Er verzog das Gesicht. »Das verstehst du nicht. Du bist bloß ein Weib.«
Lina verkniff sich die Antwort, die ihr auf der Zunge lag. Es war sein Leben. Wenn er unbedingt Henker werden wollte, würde sie es ihm ganz sicher nicht ausreden.
»Was wirst du jetzt tun?«, wollte Anselm wissen. »Ohne Gemahl, der dich beschützt …«
Wenn ich das wüsste,dachte Lina. »Gott wird mir den richtigen Weg zeigen«, sagte sie mit wenig Überzeugung. Was für ein Weg sollte das auch sein? Die Ankunft der Handwerker hatte ihr mit aller Deutlichkeit klargemacht, dass sie nicht selbst bestimmen konnte, was geschehen würde.
»Du wirst bald wieder heiraten müssen«, stellte Anselm fest.
Lina schwieg. Er sprach aus, was ihr seit Gernots Tod selbst immer wieder durch den Kopf ging.
»Meister Helmut ist Witwer«, fuhr Anselm fort. »Warum kommst du nicht mit? Er würde dich sicher zur Frau nehmen.«
Lina verschluckte sich fast. »Mein Platz ist hier«, sagte sie.
Anselm schob sich einen Löffel Brei in den Mund. »Es geht mich nichts an«, nuschelte er, ehe er mit etwas mehr Begeisterung zulangte. Als er aufgegessen hatte, erhob er sich, setzte seine Kappe auf und schulterte sein Bündel.
»Viel Glück«, wünschte Lina ihm.
»Dir auch.« Mit diesen Worten verschwand er aus der Küche und ließ Lina allein mit ihren Gedanken, die wenig später von der Ankunft der Handwerker unterbrochen wurden.
An diesem Tag hatten sie ein Fuhrwerk dabei, auf dem sie weitere lange Balken in den Hof karrten. Außerdem errichteten sie ein Gestell für die Ziegel, die sie sorgfältig stapelten.
»Schafft die Mörtelwannen da rüber!«, brüllte ein Hüne von einem Mann, der Lina keines Blickes würdigte. »Und trödelt nicht rum! Der Rat bezahlt uns für schnelle Arbeit.«
Lina horchte auf und nahm sich ein Herz. »Was hat der Rat gesagt?«, erkundigte sie sich bei dem Mann.
Er sah sie gleichgültig an. »Dass das Haus in spätestens vier Wochen wieder bewohnbar sein soll«, entgegnete er.
»In vier Wochen?«
Er nickte. »Geh aus dem Weg! Hier ist es zu gefährlich. Falls du von einem Balken erschlagen wirst, will ich mich nicht dafür verantworten müssen.«
Lina wich einem Gesellen aus, der einen schweren Balken geschultert hatte. Vier Wochen? Was würde dann geschehen? Ein dumpfes Gefühl breitete sich in ihr aus. Sicher ließ der Rat das Haus nicht für sie wiederaufbauen. Da ohne Anselms Hilfe mehr Arbeit auf sie wartete, machte sie sich auf den Weg in den Stall, um nach den Schweinen und Hühnern zu sehen und Eier zu sammeln. Danach zog sie sich in die Wundstube zurück.
Bald war der Bartshof erfüllt vom Hämmern der Zimmerleute und den Rufen der Maurer. Ein tragbarer Ofen schickte dichte Rauchschwaden in den Himmel, der sich von Westen her bewölkte.
Als Lina zwei Stunden später die Wundstube verließ, waren bereits erste Fortschritte an der Baustelle sichtbar. Wenn die Männer in dieser Geschwindigkeit weiterarbeiteten, würden sie das Ziel, das der Rat vorgegeben hatte, vermutlich ohne große Mühe erreichen.
Beim Anblick der Ruine stiegen die Erinnerungen an die Nacht des Brandes in ihr auf. Die Furcht in Gernots Blick, bevor er versucht hatte, sich mit einem Sprung aus dem Fenster in Sicherheit zu bringen, das Tosen der Flammen und die Hitze des Feuers. Wäre sie in dieser Nacht nicht durch Zufall in der Wundstube gewesen, läge sie mit Sicherheit neben Gernot in einem kalten Grab. Die Vorstellung ließ sie fröstelnd die Arme um sich schlingen. Sie wollte sich gerade auf den Weg zu einer alten Frau in der Nachbarschaft machen, die sie mit Beinpflastern versorgte, da tauchte eine Gestalt beim Hoftor auf, deren Anblick sie mitten in der Bewegung innehalten ließ.
Ulrich wusste nicht, warum es ihn an diesem Morgen erneut zum Bartshof gezogen hatte, doch das offen stehende Hoftor ließ sein Herz höherschlagen. Verwundert bemerkte er die Zimmerleute und Maurer, das Fuhrwerk und den Kran, in dessen Laufrad ein Bursche mit hochrotem Kopf schwitzte. Der Morgen war mild und freundlich trotz der Wolken, die aus dem Umland in die Stadt zogen. Der Geruch des Frühlings lag in der Luft, und bald würden die ersten Sträucher und Bäume anfangen zu blühen. Es war eine hoffnungsvolle Zeit für die Augsburger, da sich die Anzahl der Pesttoten in den letzten Wochen verringert hatte.
Es musste diese überall spürbare Hoffnung gewesen sein, die ihn zum Bartshof geführt hatte, um Lina dazu zu überreden, ins Spital zurückzukehren. Vor etwas mehr als zwei Monaten war der Magister Hospitalis der Pest erlegen, und sein Nachfolger, ein behäbiger Bruder des Heilig-Geist-Ordens, hatte Ulrich versichert, dass Lina jederzeit willkommen war. Nachdem sich die Anschuldigungen gegen sie als üble Nachrede herausgestellt hatten, stand einer Rückkehr nichts mehr im Weg.
Er sah sie im selben Augenblick, in dem auch sie ihn entdeckt zu haben schien. Ihre Augen weiteten sich, dann trat Unsicherheit in ihren Blick.
Ohne zu zögern, durchschritt Ulrich das Tor und ging auf sie zu.
Einen Augenblick lang hatte es den Anschein, als wollte sie vor ihm fliehen.
»Lina!«, begrüßte er sie.
»Ulrich.« Ihre Stimme klang belegt. »Was führt dich hierher?«
Die kühle Begrüßung schnitt ihm ins Herz. »Ich wollte sehen, wie es dir geht«, gestand er.
»Warum?«
Er blinzelte betroffen. »Das weißt du«, entgegnete er verwundert.
»Du solltest nicht hier sein.« Sie schlug den Blick nieder, allerdings nicht, bevor er den Schmerz darin hatte lesen können.
Er wusste, wie sie sich fühlte. Ihm erging es ebenso, aber er war nicht gekommen, um ihre Gefühle aufzuwühlen. »Der Magister Hospitalis ist tot«, sagte er.
Lina schwieg.
»Du kannst jederzeit zurückkommen«, setzte Ulrich hinzu.
»Ins Spital?« Sie klang verbittert.
»Niemand dort glaubt mehr, dass du eine böse Zauberin bist«, beeilte sich Ulrich zu versichern. »Alle wissen von Gundas Lügen.«
»Mein Platz ist hier.«
»Hier?« Ulrich sah sie fassungslos an.
»Ich bin die Witwe des Henkers«, sagte sie tonlos. »Das ist mein Zuhause.«
Ulrich verspürte den Drang, sie bei den Schultern zu fassen und sanft zu schütteln. Dein Platz ist an meiner Seite, dachte er, obschon er kein Recht hatte, so etwas zu sagen. Er war ein verheirateter Mann.
»Du solltest gehen«, riet Lina. »Wenn man dich hier sieht …«
»Ich bin der Stadtarzt«, entgegnete er. »Ich könnte behaupten, Arzneien von dir gekauft zu haben.«
Sie schüttelte den Kopf. »Wir wissen beide, dass man dir das nicht glauben würde.«
Man? Angela. Er seufzte. »Ich mache mir Sorgen um dich«, gestand er.
»Das brauchst du nicht«, sagte sie. »Mir geht es gut.«
Wenn er sie nicht so gut gekannt hätte, wäre ihm das leichte Zittern ihrer Stimme nicht aufgefallen. »Und wie soll es weitergehen?«, fragte er.
Lina zog die Oberlippe zwischen die Zähne. »Gott wird einen Weg finden.«
Ulrich wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Der Wunsch, sie in die Arme zu schließen und an sich zu ziehen, war überwältigend. Jedoch war ihm klar, dass er damit weder Lina noch sich selbst einen Gefallen tun würde. Er spürte die neugierigen Blicke der Handwerker und wusste, dass es an der Zeit war zu gehen. »Gib mir irgendwas aus Gernots Wundstube«, bat er.
Sie runzelte die Stirn. »Wieso?«
»Damit wir nicht ins Gerede kommen.«
Sie folgte seinem Blick und begriff. »Komm mit!«, forderte sie ihn auf und überquerte den Hof, bis sie ein kleines Nebengebäude erreichten. Dort bat sie ihn, draußen zu warten, und kehrte wenig später mit einem Salbentiegel zurück.
Ulrich gab ihr ein paar Münzen. »Das sollte genügen, um meine Anwesenheit zu erklären«, stellte er fest.
»Es wäre besser, wenn du nicht wiederkommst«, sagte Lina leise.
Ihre Worte versetzten ihm einen Stich. »Das Spital …«, hob er erneut an.
»Ich bleibe hier«, fiel sie ihm ins Wort. »Leb wohl.«
Bevor Ulrich etwas erwidern konnte, verschwand sie in der Wundstube und ließ ihn mit dem Salbentiegel stehen. Um die Neugier der Handwerker nicht weiter anzufachen, kehrte Ulrich dem Gebäude den Rücken und machte sich auf zum Hoftor, bei dem ihm ein weiteres mit Balken beladenes Fuhrwerk begegnete. Sein Herz schmerzte, als er sich vom Bartshof entfernte. Er begriff, dass er Lina nicht davon überzeugen konnte, ins Spital zurückzukehren. Hätte er an ihrer Stelle anders gehandelt? Das Unrecht, das ihr widerfahren war, konnte nicht einfach ungeschehen gemacht werden. Hätte der Magister Hospitalis sie nicht des Spitals verwiesen, wäre sie nicht in der Badestube gelandet, in der der Mord geschehen war. Alles war auf diese eine Lüge zurückzuführen, die ihrer beider Leben für immer verändert hatte.
Er biss die Zähne zusammen und beschloss, die Salbe sofort zu verwenden, da er ohnehin auf dem Weg zu einem alten Zunftmeister gewesen war, den das Reißen in den Gliedern plagte. Der Mann wohnte in einem ansehnlichen Haus, dessen Dach an einigen Stellen ausgebessert werden musste. Durch einen Hof gelangte man zu einer bunt bemalten Tür, die von einer jungen Frau mit rosigen Wangen geöffnet wurde.
»Ich bin der Arzt, nach dem Meister Hans geschickt hat«, erklärte Ulrich, als sie ihn fragend musterte.
»Mein Vater ist bei den Pferden«, ließ ihn die junge Frau wissen. Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Komm! Ich bringe dich zu ihm.« Sie führte Ulrich über den Hof zu einem großen Stallgebäude, vor dem ein Schmied einen Wallach beschlug. Der Hausherr stand auf einen Stock gestützt daneben und gab Anweisungen.
»Vater!« Die junge Frau winkte ihm zu. »Der Arzt.«
Der Zunftmeister hob den Blick und schien erleichtert zu sein, Ulrich zu sehen. »Dem Himmel sei Dank!«, murmelte er, ließ den Schmied mit seiner Arbeit allein und humpelte auf Ulrich zu. Er war rüstig für sein Alter und hatte trotz des schlohweißen Schopfes kräftige Arme und Schultern. »Hast du mir was gegen das Reißen mitgebracht?«, erkundigte er sich.
Ulrich nickte und hielt den Salbentiegel in die Höhe. »Wenn du die schmerzenden Stellen damit zweimal täglich einreibst, sollte bald Linderung eintreten.«
»Sollte?«
»Ich kann nichts versprechen.«
»Meister Gernot hat immer …«
»Die Salbe ist von Meister Gernot«, unterbrach Ulrich ihn. »Ich habe sie von seiner Witwe gekauft.«
Der Zunftmeister schnaubte. »Hoffentlich hat Meister Gernot sie zubereitet. Ich traue diesem Weib nicht.«
Ulrich biss sich auf die Zunge.
»Sie betreibt seine Marktbude weiter. Wusstest du das?«, wollte der Zunftmeister wissen.
»Ich bin sicher, er hat ihr beigebracht, wie man Pflaster und Salben zubereitet«, entgegnete Ulrich.
»Sie ist eine Mörderin!«
»Das Gericht hat sie begnadigt.«
»Das macht die Tat in meinen Augen nicht ungeschehen«, brummte der Zunftmeister.
Ulrich beschloss, nicht weiter darauf einzugehen. »Wenn du die Salbe regelmäßig aufträgst, bist du das Reißen in ein paar Tagen los«, sagte er. »Falls nicht, lass noch mal nach mir schicken.« Während der Zunftmeister den Tiegel versonnen betrachtete, kehrte Ulrich ihm den Rücken und verließ den Hof auf demselben Weg, auf dem er gekommen war.
Nach der Begegnung mit Ulrich stand Lina eine lange Zeit einfach nur in der Wundstube und starrte ins Leere. Irgendwann ließ ein lautes Poltern sie aufschrecken.
»Pass doch auf mit dem Holz, du Depp!«, brüllte einer der Handwerker. »Um ein Haar hättest du mich erschlagen!«
»Dann geh halt aus dem Weg!«
»Ich hau dir gleich eine aufs Maul!«
»Hört auf zu streiten und geht wieder an die Arbeit!«, dröhnte ein Bass, danach herrschte Ruhe.
Linas Hände zitterten. Fahrig wischte sie sich eine Strähne aus der Stirn und griff nach dem Korb, den sie nach Ulrichs Auftauchen auf den Tisch gestellt hatte. Darin befanden sich die Zutaten der Beinpflaster für die alte Frau, zu der sie sich hatte auf den Weg machen wollen. Sein unerwarteter Besuch hatte den Schmerz wieder aufflammen lassen, den sie so mühsam unterdrückt hatte. Wie sehr sie sich wünschte, ins Spital zurückzukehren und Tag für Tag an seiner Seite zu sein! Aber das war unmöglich. Nicht nur, weil jeder, der sich in ihrer Nähe befand, in Gefahr schwebte; sie fürchtete sich außerdem vor dem, was passieren könnte, wenn sie sich so nahe waren. Wie lange würde die Vernunft die Oberhand behalten? Wie sollten sie jeden Tag aufs Neue die Gefühle verleugnen, die sie füreinander hegten? Niemand besaß eine solch unmenschliche Kraft.
Ihr Herz fühlte sich an, als wäre es in einer eisernen Zwinge gefangen. Es schnürte ihr die Kehle zu, und sie beeilte sich, die Wundstube zu verlassen, um sich mit Arbeit abzulenken. Je schneller sie die Begegnung vergaß, desto besser. Mit gesenktem Kopf eilte sie zum Hoftor und machte sich auf den Weg zu der alten Frau, deren bescheidene Behausung sich in der Nähe der Badehäuser befand. Die Kate lag an einem der Lechkanäle, in dem Stroh, Unrat und tote Ratten schwammen. All die Zeit über dachte Lina darüber nach, ob die Begegnungen mit Ulrich leichter zu ertragen wären, wenn Gernot noch am Leben wäre. Die Tatsache, dass sie eine freie Frau war, wohingegen Ulrich in einer Ehe gefangen war, schien alles schlimmer zu machen. Hör auf, an ihn zu denken!, schalt sie sich und hielt auf die winzige Kate zu.
»Hedwig!«, rief sie und öffnete die unverschlossene Tür. »Bist du da?«
»Hier hinten«, ertönte eine schwache Stimme.
Lina betrat die Hütte und versuchte, im Dämmerlicht etwas zu erkennen. Rauch stach ihr in die Nase und ließ sie husten. Das Bodenstroh raschelte unter ihren Füßen, als sie sich zur Küche aufmachte, in der sie Hedwig über einen Kessel gebeugt vorfand. Die Luft in dem kleinen Raum war so voller Qualm, dass sie im Schein des Herdfeuers nur die Umrisse der alten Frau ausmachen konnte.
»Ich bringe deine Beinpflaster«, ließ Lina die Alte wissen.
»Leg sie auf den Tisch«, bat diese, indes sie sich mit dem Kesselhaken abmühte. Als sie den Kessel höher gehängt hatte, wandte sie sich zu Lina um und sah sie mit trüben Augen an. »Ich kann dich aber erst nächste Woche bezahlen«, sagte sie. »Das Reisig, das ich gesammelt habe, ist feucht. Es muss trocknen, bevor ich es verkaufen kann.«
Obwohl Lina selbst nicht viel besaß, nickte sie. »Bezahl mich, sobald du Geld hast.«
»Du bist eine gute Seele«, seufzte Hedwig. »Gott segne dich.« Sie reckte sich, um eine Schüssel von einem Brett an der Wand zu nehmen. »Ich kann dir etwas Brei geben.«
Lina hob abwehrend die Hände. Die Frau war bettelarm. »Danke«, sagte sie. »Aber ich habe schon gegessen.«
»Bist du sicher?«
»Ja.« Lina ließ den Blick durch den Raum schweifen, dessen Wände schwarz vom Ruß waren. Einige wenige Tontöpfe standen auf dem gestampften Lehmboden, sonst gab es nicht viel außer dem Kessel und der Kochstelle. Sie wusste nicht, wie lange Hedwig sich schon mit Reisigsammeln durchschlug. Beklemmung überkam sie, als ihr klar wurde, dass ihr womöglich ein ähnliches Leben bevorstand. Vielleicht wäre es doch klüger, Ulrichs Vorschlag anzunehmen.
Mit diesem Gedanken verabschiedete sie sich von Hedwig und blieb eine Weile unschlüssig vor der Kate auf der Straße stehen, an deren Ende sich das Badehaus befand, in dem Valentin ermordet worden war. Obwohl ihr Verstand sie davon abhalten wollte, setzten sich ihre Beine wie von allein in Bewegung. Kurz darauf stand sie vor dem kleinen Gebäude, in dessen Nähe die Mauern eines Klosters aufragten.
Obwohl es noch früh am Morgen war, stieg aus dem Kamin Rauch auf. Vermutlich würden bald die ersten Badegäste eintreffen, weshalb Lina sich ein Herz nahm und die Holztreppe erklomm, die über dem Kanal zum Eingang führte. Die Badeordnung neben der Tür war in der Zwischenzeit erneuert worden. Ihr war selbst nicht klar, was sie sich von der Rückkehr an den Ort des schrecklichen Verbrechens versprach, doch Gernots Worte hallten in ihrem Kopf nach. Jemand, auf den deine Beschreibung passt, ist beim Verlassen des Badehauses gesehen worden. Zu dumm nur, dass er ihr nicht gesagt hatte, wer den Angreifer gesehen hatte.
Bevor sie die dämmrige Stube betrat, holte sie ein paar Mal tief Luft und versuchte, ihr heftig klopfendes Herz zu beruhigen. Im Inneren des Badehauses schlug ihr der Geruch von Seife, Schwefel und Salz entgegen. Wie immer brannte unter dem riesigen Kessel am Ende des großen Raumes ein Feuer, das dafür sorgte, dass genügend heißes Wasser für die Badenden zur Verfügung stand. Die großen, aus Tuffstein gemauerten Becken an den Wänden, die für gewöhnlich durch Stellwände aus dünnem Tuch getrennt waren, schienen erst halb voll zu sein. Zwei Gießer waren damit beschäftigt, eimerweise Wasser hineinzuschütten.
»Da hol mich doch der Teufel!« Eine kräftige Frau mit dunklem Haar tauchte aus dem Bereich auf, in dem sich die Dampf- und Schwitzbäder befanden, und stemmte die Hände in die Hüften. »Lina?«
»Gret.« Lina lächelte unsicher.
»Was willst du hier?« Die Frage war nicht feindselig, allerdings musterte Gret sie mit einer Mischung aus Verwunderung und Misstrauen.
Lina suchte nach den richtigen Worten. »Ich …«, hob sie an.
»Wenn du wieder Arbeit als Bademagd suchst, solltest du dich woanders umsehen«, fiel Gret ihr ins Wort. »Ich habe von dem Feuer gehört.«
Lina schüttelte den Kopf. »Deswegen bin ich nicht hier.«
»Weshalb dann, um alles in der Welt?«
Lina gab sich einen Ruck und kam zur Sache. »Gernot hat gesagt, der Angreifer, der Valentin …« Sie brach den Satz ab. »Er hat gesagt, er wäre von Badegästen gesehen worden. Weißt du, von wem?«
Ein seltsamer Ausdruck trat auf Grets Gesicht. »Ich habe gar nichts gesehen«, beeilte sie sich zu sagen. »Meister Gernot muss sich geirrt haben.«
»Ich habe nicht behauptet, dass du ihn gesehen hast.«
»Habe ich auch nicht!«
»Wer …«
»Du solltest verschwinden, bevor der Bader dich sieht«, riet Gret und zeigte zur Tür.
»Bitte!«, drängte Lina. »Wenn du etwas weißt, musst du es mir sagen. Ich habe Valentin nicht getötet!«
»Ist das denn noch wichtig?«, seufzte Gret.
»Natürlich ist es wichtig!«
»Für dich vielleicht. Ich will keine Scherereien.«
»Scherereien mit wem?«
»Mit niemandem«, murmelte Gret.
»Hast duden Mörder doch gesehen?«, fragte Lina fassungslos.
»Ich habe den Richtern gesagt, dass da ein Mann war«, entgegnete Gret heftig. »Aber sie haben mir nicht geglaubt!«
»Also weißt du, dass ich es nicht getan habe.«
»Was ich weiß oder glaube, ist doch vollkommen unwichtig!«, ereiferte sich die Baderin. »Du bist am Leben! Was willst du noch?«
Lina glaubte, nicht richtig zu hören. »Die ganze Stadt denkt, dass ich eine Mörderin bin!«
Gret zuckte mit den Schultern. »Finde dich damit ab. Das Leben ist ungerecht.«
Lina starrte Gret fassungslos an. »Ich soll einfach hinnehmen, dass man mich fälschlicherweise verdächtigt?«
»Du hast ein Geständnis abgelegt«, erinnerte Gret sie. »Wer gesteht, ist für gewöhnlich schuldig.«
Lina schnaubte. »Hast du die leiseste Ahnung davon, was sie einem in der Folterkammer antun?« Wären die Gießer nicht gewesen, hätte sie ihr Kleid gehoben, um Gret die Narben auf ihrem Rücken zu zeigen. »Niemand kann das aushalten!«
»Einem Unschuldigen gibt Gott die nötige Kraft.«
»Also glaubst du, dass ich Valentin umgebracht habe?«
Gret blies die Backen auf und schwieg.
»Sag mir wenigstens, wer den Angreifer außer dir noch gesehen hat«, drängte Lina. Es musste mehrere Zeugen geben, wenn sie Gernot richtig verstanden hatte.
»Das wird dir nichts nützen«, entgegnete Gret. »Sie sind allesamt unehrlich und vermutlich entweder inzwischen an der Pest gestorben oder nicht mehr in der Stadt.«
»Wie viele sind es?«
»Zwei oder drei.«
Lina spürte Wut in sich aufsteigen. Gernot hatte recht gehabt mit seiner Einschätzung, dass das Gericht einen Sündenbock gesucht hatte. Wie viel einfacher war es gewesen, sie für die Tat zu opfern, als nach dem wirklichen Täter zu suchen. Vielleicht hatten die Richter befürchtet, in ein Wespennest zu stechen. War womöglich doch Valentin das eigentliche Ziel gewesen? Sie wusste nicht mehr, was sie denken sollte. Wenn der Anschlag Valentin gegolten hatte, warum war dann der Bartshof in Flammen aufgegangen?
»Was will die denn hier?« Der Bader tauchte so plötzlich in der Stube auf, dass Lina zusammenschrak. Er hatte eine große Zange in der Hand und bedachte sie mit einem grimmigen Blick.
»Sie wollte gerade wieder gehen«, beschwichtigte Gret und bedeutete Lina zu verschwinden.
»Bitte nenn mir die Namen«, flehte Lina.
Gret lachte. »Als ob ich die kennen würde.«
Der Bader kam drohend näher. Wie eine Waffe erhob er die Zange.
Einige Augenblicke war Lina versucht, weiter in Gret zu dringen, aber der Anblick des Werkzeugs belehrte sie eines Besseren. Wortlos kehrte sie den beiden den Rücken und verließ das Badehaus.
Zwei oder drei Zeugen. Hätte das Gericht ihnen geglaubt, wären ihr all die Qualen erspart geblieben und sie wäre niemals Gernots Gemahlin geworden. Sie ballte die Fäuste. Nicht im Traum dachte sie daran, sich mit diesem schreienden Unrecht abzufinden! Früher oder später würde es ihr gelingen, die Zeugen zu finden, und dann … Was dann? Sie konnte sich wohl kaum auf eigene Faust auf die Suche nach dem Mörder machen und ihn dazu zwingen, seine Tat zu gestehen. Wie hätte sie das anstellen sollen? Die Richter würden ihr kein Wort glauben.
Voller Bitterkeit beschloss sie, zurück zum Bartshof zu gehen, damit es ihr nicht bald so erging wie der alten Hedwig. Wenn sie nicht verarmen wollte, musste sie Pflaster und Salben verkaufen, deren Zutaten viel zu schnell zur Neige gingen.
Zu ihrer Verwunderung traf sie bei ihrer Rückkehr nicht nur die Handwerker an. Ein fein gekleideter Herr nahm die Baufortschritte in Augenschein. Als Lina auftauchte, warf er ihr einen geringschätzigen Blick zu, ehe er den Männern Anweisungen gab. »Legt einen Zacken zu!«, hörte Lina ihn sagen.
»Wir arbeiten, so schnell es geht«, verteidigte sich einer der Zimmerleute. »Wunder wirken können wir nicht.«
»Das verlangt auch keiner«, war die barsche Antwort. »Aber ihr werdet gut bezahlt, also leistet gute Arbeit.«
»Gute Arbeit will Weile haben.«
»Soll ich dem Rat sagen, dass ihr der Aufgabe nicht gewachsen seid?«
»Wir tun, was wir können.«
»Das will ich hoffen.« Der fein Gekleidete wandte sich ab, bedachte Lina mit einem weiteren kurzen Blick und verließ den Hof.
Sie sah ihm nach und fragte sich, was geschehen würde, wenn das Hauptgebäude fertig war. Die Ungewissheit nagte an ihr. Mit einem Seufzen machte sie sich auf den Weg zur Wundstube, schloss die Tür und entfachte das Feuer neu. Anschließend suchte sie einige Zutaten zusammen, holte einen Mörser und vermischte alles in einem Kessel, den sie über das Feuer hängte.
Während sie die zähe Pflastermasse rührte, kam ihr ein Gedanke, der sie mitten in der Bewegung innehalten ließ. Warum war sie nicht früher darauf gekommen? Sobald die Masse fertig war, hob sie den Kessel vom Haken und stellte ihn auf den Boden, damit der Inhalt abkühlen konnte. Danach ging sie zu der Ecke, in der sie die wenigen Habseligkeiten des Henkers aufbewahrte, die das Feuer überstanden hatten. Darunter war ein schwerer Schlüsselring, an dem sich Schlüssel für einen Teil des Kellers befanden, den Lina nie betreten hatte. Die Küche und das Kellergewölbe hatten den Brand nahezu unbeschadet überstanden. Wenn sie Glück hatte, gab es dort etwas, das sich zu Geld machen ließ.
Als das Herdfeuer fast niedergebrannt war, beschloss sie nachzusehen, bevor sie weitere Scheite nachlegte. Was immer Gernot in diesen Räumen gelagert hatte, würde ihr vielleicht helfen, die nächsten Monate zu überstehen. Ohne auf die Zimmerleute und Maurer zu achten, überquerte sie den Hof und betrat die Küche, von der aus man in den Keller gelangte. Mit einer Kerzenlampe stieg sie die Treppe hinab in die feuchte Dunkelheit und suchte nach dem richtigen Schlüssel, als sie vor der ersten verschlossenen Tür anlangte.
Bereits der zweite passte. Gespannt zog sie die schwere Tür auf und hielt die Lampe vor sich in die Höhe. Der Raum schien lang und schmal zu sein. An seinem Ende gab es eine weitere Tür. Mehrere Truhen standen an den Wänden. Linas Neugier wuchs. Nachdem sie die Lampe auf dem Boden abgestellt hatte, kniete sie sich vor eine der Truhen und stemmte den Deckel auf. Darin standen mehrere Tongefäße in Reih und Glied.
Ihr Herz schlug höher. Fahrig öffnete sie eines der Gefäße und konnte ihr Glück kaum fassen, als sie sah, dass es voller Armsünderfett war. Die übrigen Töpfe enthielten das gleiche wertvolle Gut. Damit würde sie ein kleines Vermögen verdienen. Warum hatte Gernot ihr nicht gesagt, dass im Keller größere Vorräte lagerten? Hatte er ihr misstraut? Oder hatte er es schlichtweg nicht für nötig gehalten? War das Fett von minderer Qualität? Sie ging zu den anderen Truhen, in denen sich ebenfalls Armsünderfett befand.
Ihre Aufregung wurde größer. Sie langte nach der Kerzenlampe, um den angrenzenden Raum zu erkunden. Als sie die Tür öffnete, stieß sie einen spitzen Schrei aus. Im Kerzenlicht glotzten ihr Dutzende von Schädeln entgegen, die im Raum zu schweben schienen. Auf den zweiten Blick erkannte sie, dass sie auf Wandbrettern standen. Was um alles in der Welt sollte das? Mit einem Gefühl der Beklemmung trat sie näher, um einen der Schädel genauer zu betrachten. Er war fast komplett mit Moos bedeckt.
Lina begriff. Diesem Moos sagte man heilende Wirkung nach, da es die Lebenskraft aufnahm, die ehemals dem Körper innegewohnt hatte. Anders als bei jemandem, der auf natürliche Art und Weise starb, konnten sich diese Lebensgeister bei einem Hingerichteten nicht verflüchtigen. Wurde dieses Moos zu Arzneien verarbeitet, konnte es allerhand Krankheiten heilen. Sie war sicher, dass die Apotheker der Stadt ihr eine erkleckliche Summe für Moos und Schädel bezahlen würden.
Sollte ihre Pechsträhne ein Ende haben? Als Gernots Witwe hatte sie Nießbrauch an seinem Besitz und Vermögen. Es stand ihr frei, das Fett und die Schädel zu verkaufen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Das Gespenst der Armut rückte in weite Ferne.
Erleichtert atmete sie durch. Zwar könnte jeder einzelne Schädel den Tod eines Unschuldigen bedeuten, dennoch konnte sie nichts daran ändern, dass diese Menschen hingerichtet worden waren. Wem nutzte es, wenn sie nichts mit diesem Besitz anfing? Zögernd ging sie näher zu einem der Regale, nahm einen Schädel in die Hand und drehte ihn nachdenklich hin und her. Ihre Mittel waren knapp, die Vorräte für den Winter fast aufgebraucht. Warum sollte sie nicht gleich in Erfahrung bringen, wie viel der entdeckte Schatz wert war?
Bereits der erste Apothecarius, bei dem Lina vorstellig wurde, bot ihr die stolze Summe von einem Gulden für den Schädel, den sie mitgebracht hatte.
»Das Moos ist außergewöhnlich dick«, stellte er wohlwollend fest. »So was sieht man nicht jeden Tag.« Der Blick seiner kleinen braunen Augen glitt gierig über die bewachsene Oberfläche. Er war wohlbeleibt. Sein Doppelkinn lag auf dem Pelzkragen eines kostbaren Rockes, dessen weite Ärmel mit Stickereien verziert waren; an den wurstigen Finger steckten breite Ringe. »Wie viele hast du davon?«, wollte er wissen.
»Dutzende«, entgegnete Lina.
»Und du hast sie noch keinem anderen angeboten?«
Lina schüttelte den Kopf.
»Ich nehme sie alle!«
Misstrauen regte sich in Lina. Waren die Schädel womöglich mehr wert, als er ihr anbot? Wollte er sie übervorteilen? Ihr war klar, dass sie einige behalten musste, um weiteres Moos darauf zu züchten. Sie beschloss, erst die übrigen Apotheken der Stadt aufzusuchen, bevor sie eine Entscheidung traf. »Ich weiß nicht, ob das möglich ist«, sagte sie.
Der Apothecarius hob die Brauen. »Warum nicht? Du bist Meister Gernots Witwe, sie gehören dir.«
»Nicht alle sind in gutem Zustand«, log sie.
»Ah.« Die Miene des Apothecarius bewölkte sich. »Das ist schade. Wie viele kannst du entbehren?«
»Ich werde nachsehen«, versprach sie und umklammerte den Gulden in ihrer Tasche fester.
»Tu das«, drängte er. »Und falls du zufällig noch etwas Mumia haben solltest …«
Lina schüttelte den Kopf.
»Schade, schade«, murmelte er. »Aber die Schädel …« Er schenkte Lina ein öliges Lächeln.
»Ich bin bald wieder da«, versprach sie, als sie sich zum Gehen wandte, um den anderen Apothekern der Stadt ebenfalls ihre Ware anzubieten.
»Überleg es dir nicht zu lange«, warf er ihr hinterher.
Lina nickte und verließ den Verkaufsraum, um sich auf den Weg zur Moritzkirche zu machen, wo sich ihre Umsicht auszahlte. In der Apotheke dort wollte man ihr fast das Doppelte für die Schädel bezahlen.
»Kannst du sie mir noch vor dem Osterfest bringen?«, wollte der Besitzer wissen.
Sie bejahte. Bis zum Karfreitag war es über eine Woche hin.
»Wunderbar.« Der Apothecarius rieb sich die Hände. »Ich hatte schon befürchtet, die Vorräte könnten mir ausgehen, jetzt wo Meister Gernot …« Er verstummte, bekreuzigte sich und sprach: »Gott sei seiner Seele gnädig.« Er hob den Blick. »In einem Feuer umzukommen, muss furchtbar sein.«
Die Bemerkung war überflüssig, und Lina wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte.
»Ich meine … Ich wollte nicht …«, stammelte der Apothecarius, dem zu dämmern schien, was er gesagt hatte. »Meister Gernot war ein guter Mann.«
Lina presste die Lippen aufeinander. Ob der Apothecarius Gernot überhaupt näher gekannt hatte? Im Grunde ihres Herzens war es ihr gleichgültig. Gernot war tot, sie war am Leben und musste das Beste aus ihrer Lage machen. Mit einem höflichen Nicken verabschiedete sie sich. Erst nachdem sie auch bei den restlichen Apotheken der Stadt vorstellig geworden war, machte sie sich auf den Rückweg zum Bartshof.
Begleitet vom Schlagen der Zimmermannshämmer stieg sie in den Keller hinab und holte ein halbes Dutzend Schädel. Sie steckte sie in einen Sack, den sie mit ihrem Handkarren zur Apotheke am Fuß der Moritzkirche brachte, da das Angebot des dortigen Apothecarius das beste gewesen war.
Als der Mann ihr die schweren Goldmünzen in die Hand zählte, kam sie sich vor wie in einem Traum.
»Es ist ein Vergnügen, mir dir Geschäfte zu machen«, sagte er mit einem Lächeln, während einer seiner Helfer den Sack in einen Nebenraum trug. »Du kannst dich jederzeit an mich wenden, falls du noch mehr hast, was ich gebrauchen könnte.« Er tippte sich an die Samtkappe und wandte seine Aufmerksamkeit einer Waage zu, die auf dem Verkaufstresen stand.