Das Phantom der Rocky Mountains - Jörg Kastner - E-Book

Das Phantom der Rocky Mountains E-Book

Jörg Kastner

0,0
1,49 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Folge 11 der großen »Amerika«-Saga von Jörg Kastner: In den unwegsamen Rocky Mountains bricht das Unheil über den Wagentreck herein, dem sich Jacob Adler und seine Freunde auf dem Weg nach Oregon angeschlossen haben: Der Treck-Captain Abner Zachary wird von einem Wagen überrollt und stirbt. Vor seinem Tod bestimmt er Jacob zu seinem Nachfolger. Mit dieser Entscheidung sind aber nicht alle Siedler einverstanden. Doch Jacob muss sich einem noch viel größeren Problem stellen: Ein unsichtbarer Feind stellt den Siedlern nach. Handelt es sich um das legendäre Phantom der Rocky Mountains? Und was will der Fremde von den Menschen, die in Oregon eine neue Heimat suchen? Jörg Kastners große »Amerika«-Saga begleitet die beiden Auswanderer Jacob Adler und Irene Sommer in die Neue Welt. Mit ihnen suchen zahllose Menschen – Verarmte, Verbitterte, Verfemte – eine neue Heimat jenseits des Atlantiks. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten warten auf die Auswanderer viele unbekannte Gefahren: Naturkatastrophen, wilde Tiere, Banditen und Indianer. Zudem tobt in Amerika ein erbarmungslos geführter Bürgerkrieg. Doch trotz aller Bedrohungen durchqueren Jacob und Irene den riesigen Kontinent und begegnen dabei so manch berühmter Persönlichkeit. Jede Mühsal und jedes Abenteuer nehmen die beiden auf sich für ihre neue Heimat – Amerika.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 151

Veröffentlichungsjahr: 2014

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jörg Kastner

Das Phantom der Rocky Mountains

Folge 11 der großen SagaAmerika – Abenteuer in der Neuen Welt

Roman

Was davor geschah

Als der junge Zimmermann Jacob Adler nach dreijähriger Wanderschaft in seinen Heimatort Elbstedt zurückkehrt, ist dort nichts mehr wie vorher. Seine Mutter ist tot, der Vater und die Geschwister sind angeblich nach Amerika ausgewandert, und seine Verlobte ist mit dem Bierbrauersohn Bertram Arning verheiratet. Von Arning fälschlicherweise des Mordversuchs beschuldigt, verlässt Jacob seine Heimat und schifft sich nach Amerika ein, um nach seiner Familie zu suchen. Aber auch in der Neuen Welt lauern Gefahren auf Jacob und seine Reisegefährten Martin Bauer und Irene Sommer. Sie werden in den Bürgerkrieg hineingezogen, der zwischen den amerikanischen Nord- und den Südstaaten ausgebrochen ist, und haben zahlreiche Abenteuer zu bestehen. In Kansas City schließen sie sich dem letzten Siedlertreck an, der sich vor Einbruch des Winters auf den Weg nach Oregon macht.

Kapitel 1Das Unglück

Die Ochsen und Mulis legten sich mit aller Kraft ins Geschirr, und doch drehten sich die großen Räder der Planwagen nur langsam. Zu steil war der Weg, zu glatt der felsige Untergrund, auf dem weder die Hufe der Tiere noch die Wagenräder richtigen Halt fanden. Nur die Fahrer saßen auf den Wagen. Alle anderen Siedler, auch Kranke und kleine Kinder, waren abgestiegen, um den Zugtieren ihre schwere Last ein wenig zu erleichtern. Die auf den Böcken sitzenden oder neben den Gespannen hergehenden Männer und Frauen trieben die Tiere mit heiseren Rufen und Peitschengeknall an.

Der erste Wagen, der schwere Conestoga des Treck-Captains, hatte das Ende der Steigung fast erreicht. Nur noch etwa zwanzig Yards trennten das vorderste Maultierpaar von der hohen, spitzen Felsnadel, die den Gipfel der Anhöhe markierte. Da geschah die Katastrophe …

Abner Zacharys erstes Mulipaar fand plötzlich keinen Halt mehr unter den Hufen. Geröll und Erdreich lockerten sich immer mehr unter den verzweifelten Versuchen der Tiere, wieder festen Tritt zu bekommen. In Panik wieherten die Mulis auf. Ihre Angst kam nicht von ungefähr. Zur Rechten war der steile Pfad von wild gezackten Felsen und riesigen Bäumen begrenzt. Links aber gähnte ein gefährlicher Abgrund, eine mehr als fünfhundert Yards tiefe Felsschlucht.

»Kommt weiter!«, schrie Andrew Zachary, der jüngste Sohn des Treck-Captains, der links neben den Zugtieren ging, die Mulis an.

Er griff ins Geschirr, um die Tiere voranzuziehen. Doch da spürte auch der Sechzehnjährige das Geröll unter seinen Füßen, rutschte aus und schlug hart auf den steinigen Boden.

Über sich sah er das graubraune Fell der Mulis, ihre in wilder Panik auf das Felsgestein schlagenden Hufe. Er rollte sich zur Seite, um den Tritten zu entgehen, aber einer traf ihn doch in die Nierengegend. Ein heißer Schmerz durchfuhr seinen Körper.

Andrew Zachary vergaß den Schmerz, als unter ihm plötzlich der Boden nachgab. Nein, er gab nicht nach – er war verschwunden. Der junge Siedler hatte sich zu weit abgerollt, über den Rand der Schlucht hinaus.

Um ihn herum drehten sich die schroffen Felsen, als er in die Tiefe stürzte. Etwas Grünes ragte aus dem grauen Gestein hervor. Instinktiv griff der Junge danach und hielt sich mit aller Kraft daran fest, auch als ein mächtiger, schmerzhafter Ruck durch seine Arme ging.

Er wusste, dass er nicht loslassen durfte. Das würde unweigerlich seinen Tod bedeuten.

So hing Andrew Zachary mit ausgestreckten Armen an einem fast waagrecht aus der Wand wachsenden Strauch und blickte besorgt nach oben. Fast fünfzig Yards war er gefallen.

Er rief um Hilfe, erhielt aber keine Antwort. Niemand kam an den Rand der Schlucht, um nach ihm zu sehen. Nicht sein Vater, nicht sein Bruder Aaron und auch nicht seine drei Schwestern.

Aber er hörte oben das Wiehern der Tiere, das Geschrei der Menschen und lautes Krachen wie von zersplitterndem Holz. Da wusste er, dass seine Familie und deren Gefährten mit anderen Problemen zu kämpfen hatten.

Andrew hielt sich weiter fest und schrie immer wieder um Hilfe.

Er hatte nicht viel Zeit.

Seine Arme schmerzten bereits stark.

Und er hatte das Gefühl, dass die Wurzeln des Strauches unter seinem Gewicht nachgaben. Zoll um Zoll bog sich das seltsame Gewächs nach unten.

*

Jacob Adler ritt auf seinem Grauschimmel neben seinem leichten Planwagen her, als sich die Treckspitze anschickte, den Hügel zu erklimmen.

Sein Wagen? Eigentlich war es der Wagen von Alan Clayton und Urilla Anderson gewesen. Aber der Spieler Clayton, der die Asquith Trading Bank um 80.000 Dollar erleichtert hatte, wartete jetzt in Kansas City vermutlich auf sein Gerichtsverfahren; oder er war bereits verurteilt. Urilla Anderson war beim Treck geblieben. Jacob und seine Freunde, Martin Bauer und Irene Sommer mit ihrem kleinen Sohn Jamie, hatten den Wagen übernommen, als ihr eigenes Gefährt in den Hochwasserfluten des Big Blue River in Stücke gebrochen war.

Claytons Zugpferde hatten sie durch ihre eigenen Ochsen ersetzt. In diesem schwierigen Gelände waren Pferde gut zum Reiten, aber nicht zum Ziehen eines Wagens.

Irene und Urilla gingen neben dem Wagen her. Irene hielt ihren kleinen, dick eingemummelten Sohn in den Armen. Martin saß auf dem Bock und hatte noch keine Mühe, die Ochsen voranzutreiben. Das würde sicher noch kommen, sobald der Wagen das letzte – und steilste – Stück der Steigung erreichte.

Jetzt mühte sich Abner Zachary ab, seinen großen Conestoga auf die Hügelkuppe zu bringen. Nur langsam kamen die acht Maultiere voran. Immer wieder rutschten ihre Hufe auf glattem Felsen oder lockerem Geröll ab. Rechts und links des Gespanns gingen Abners Söhne und trieben die Tiere an.

Als das Unglück geschah, zügelte Jacob sein Pferd und saß ein paar Sekunden starr im Sattel. Er konnte – wie die meisten Siedler, die Zeugen des Geschehens waren – kaum glauben, was sich ein paar Wagen vor ihm abspielte.

Er sah, wie der junge Andrew Zachary erst unter die Hufe der Mulis geriet und dann in den Abgrund stürzte. Mit Entsetzen registrierte der junge Deutsche, dass Andrew tot war. Das stand für ihn fest. Die Felswand war steil und glatt.

Welch ein Schlag für den alten Abner Zachary, nach der Ermordung seines ältesten Sohnes Adam in Kansas City jetzt noch ein Kind zu verlieren!

Nur kurz konnte Jacob an das schwere Schicksal des Treck-Captains denken. Was dann geschah, nahm ihn voll gefangen: Abner Zachary selbst befand sich in größter Gefahr.

Der Sturz des Jungen in den Abgrund schien die Maultiere noch mehr mit Panik erfüllt zu haben. Sie verloren vollends den Halt, und der Conestoga begann nach hinten zu rollen, auf den nachfolgenden Wagen von Noah Koontz zu.

Der graubärtige Prediger zog die Wagenbremse an und schrie verzweifelt auf seine Mulis ein. Aber es nutzte alles nichts. Zu steil und glatt war der Weg, zu erschrocken die Tiere.

Koontz hatte seinen Wagen angehalten und ebenfalls die Bremse angezogen. Die Fahrer der nachfolgenden Wagen taten es ihm nach.

Erschrocken sprangen die Siedler beiseite, als sich die Katastrophe abzeichnete. Immer schneller rollte Zacharys Conestoga auf Koontz’ Wagen zu.

Noah Koontz selbst starrte dem anderen Gefährt mit schreckgeweiteten Augen entgegen. In letzter Sekunde sprang der dunkelhäutige Farmer vom Bock und brachte sich hinter einem großen Felsen auf der Anhöhe zur Rechten in Sicherheit.

Aber Abner Zachary saß noch auf dem Bock, als sein Conestoga mitten zwischen Koontz’ Ochsen fuhr, die Tiere einfach beiseiteschob oder unter sich zermalmte.

Dann krachte der Conestoga in den anderen Prärieschoner. Laut splitterte und brach das Holz der beiden Wagen. Splitter und größere Holzstücke flogen durch die Luft. Ochsen und Mulis brüllten unablässig vor Schmerz und Panik. Ineinander verkeilt bäumten sich der hintere Teil des Conestogas und das Vorderteil von Koontz’ Wagen auf.

Der Prärieschoner des dunkelhäutigen Farmers drehte sich langsam. Es sah aus wie der seltsame Tanz eines urzeitlichen Ungetüms. Der Wagen stürzte auf die Seite und ging vollends zu Bruch. Farmgeräte, Saatgut, Verpflegung, Hausrat und Kleidung wurden weithin verstreut; ein guter Teil landete in der Schlucht. Der Eimer mit Wagenschmiere, der unter dem Gefährt an der Hinterachse gehangen hatte, kullerte laut den steilen Pfad herunter und machte die Zugtiere der nachfolgenden Wagen scheu.

Jacob musste seinen Grauen zügeln und ihm beruhigende Worte zusprechen, als der Schmiereimer direkt vor dem Pferd liegen blieb. Sonst wäre das durch den Unfall verängstigte Tier wohl mit den Vorderhufen in die Luft gestiegen und hätte seinen Reiter abgeworfen.

Das riss den jungen Deutschen aus der Starre, die ihn beim Zurückrollen von Zacharys Conestoga befallen hatte. Er stieg aus dem Sattel, reichte der erblassten Urilla die Zügel und rannte nach vorn, an Planwagen und Siedlern vorbei, die Steigung hinauf zur Unglücksstelle. Andere Männer folgten seinem Beispiel.

Der Conestoga des Treck-Captains hatte starke Beschädigungen erlitten, war aber nicht auseinandergebrochen. Die Deichsel und zwei Räder waren zersplittert.

Aber wo steckte Abner Zachary selbst?

Jacob stieß fast mit dessen Sohn Aaron zusammen, der den Hügel heruntergehastet kam und laut nach seinem Vater rief.

Der Deutsche sah eine Stiefelspitze hinter dem auf der rechten Seite eingeknickten Conestoga hervorlugen und hörte ein leises Röcheln. Er sprang um den Wagen herum und sah den graubärtigen Prediger zusammengekrümmt am Boden liegen. Er lag auf der Seite, denn sein blutiger Oberkörper war von dem abgebrochenen Stück der Wagendeichsel durchbohrt worden.

Abner Zachary riss seine Augen auf und richtete sie auf den Deutschen, dann auf seinen Sohn, der neben Jacob trat. Er öffnete den Mund, brachte aber nur ein erneutes Röcheln hervor. Blut floss in seinen Bart.

Jacob und Aaron gingen neben ihm in die Knie und brachten ihre Ohren ganz dicht an seinen Mund.

»Was ist, Vater?«, fragte Aaron. »Was willst du uns sagen?«

Unter Mühen und Schmerzen, immer wieder Blut hustend, konnte der Prediger ein einziges Wort stöhnen: »Andrew ….«

Betreten schauten Jacob und Aaron zum Rand der Schlucht, in die der jüngste Sohn des alten Zachary gestürzt war. Beide suchten nach Worten, als sie plötzlich die Hilferufe vernahmen.

»Das ist Andy!«, stieß Aaron erregt hervor. »Andrew – er lebt!«

Er sah seinen Vater an.

»Wir bringen dir Andrew, Vater. Warte nur!« Aarons Blick wurde besorgt, und leise fragte er: »Du wirst doch warten?«

Der Prediger konnte nicht antworten, so schwach war er. Er konnte nicht einmal den Kopf zu einem Nicken bewegen. Er konnte nur die grauen Augen schließen und wieder öffnen. Das war sein Ja.

Jacob und Aaron ließen Abner Zachary in der Obhut seiner drei Töchter zurück und eilten zum Rand der Schlucht, wo sich bereits andere Siedler versammelt hatten. Auch Martin war darunter.

»Da hängt Andrew, an dem Strauch«, sagte er und zeigte auf die Stelle, von wo der verängstigte Junge hilflos zu ihnen heraufstarrte.

»Seile!«, rief Jacob zu den Planwagen hin. »Bringt uns zwei starke Seile!«

Er musste sehr laut rufen, weil die durch den zurückgerollten Conestoga verwundeten Ochsen qualvoll ihren Schmerz hinausschrien.

Noah Koontz erbarmte sich seiner Tiere. Er löste sich aus den Armen seiner Frau und der fünf Kinder, trat vor die Trümmer seines Wagens und erschoss die vier Ochsen, denen nicht mehr zu helfen war, aus nächster Nähe mit seinem alten Kipplaufrevolver. Jetzt besaß er nur noch vier Ochsen. Selbst die konnte er erübrigen, ohne Wagen.

Sam Kelley, der kräftige, dunkelhäutige Schmied, brachte zwei dicke Hanfseile heran und band sie an der Kupplungsdeichsel von Abner Zacharys Conestoga fest. Dann führte er die Seile um einen hüfthohen, kegelförmigen Felsen am Rand der Schlucht herum, etwa an der Stelle, an der Andrew abgestürzt war.

Aaron wollte sich das Ende eines Seils um die Brust binden, aber Jacob, der Hut, Jacke und Waffengurt abgelegt hatte, nahm es ihm aus der Hand.

Aaron sah den Deutschen mit umwölkter Stirn an.

»Was soll das, Adler? Wir haben wenig Zeit!«

Jacob nickte und begann, sich das Seil umzubinden.

»Ich weiß. Aber ich werde gehen!«

»Warum? Andrew ist mein Bruder! Ich habe meinem Vater versprochen, ihn zurückzubringen!«

»Sie sind zu aufgeregt«, sagte Jacob sachlich und zog den Knoten auf seiner Brust fest. »Sehen Sie sich nur Ihre Hände an, Zachary. Lassen Sie lieber mich gehen!«

Aaron sah auf seine Hände, die er mit gespreizten Fingern vor sich hielt. Es stimmte, sie zitterten beträchtlich.

»Ich …«, begann er, brach dann aber ab, weil ihm die Worte fehlten.

»Sie können sich bedanken, wenn ich mit Ihrem Bruder zurückkomme«, sagte Jacob und sah dann die anderen Männer an. »Lasst mich jetzt runter, möglichst vorsichtig, aber auch möglichst schnell!«

Er hielt sich mit den Händen an dem Seil fest und stützte sich zugleich mit den Füßen an der steilen Wand ab.

Über ihm ließen Martin, Aaron, Sam Kelley und weitere Helfer Stück für Stück das Seil herunter.

Und unter ihm bangte Andrew Zachary um sein Leben, während er mit aufgerissenen Augen zu dem langsam näherkommenden Retter aufsah.

Jacob kam das Ganze wie ein Albtraum vor, der den Treck völlig unerwartet getroffen hatte. Im Nachhinein war die Reise fast zu reibungslos verlaufen, nachdem der Angriff der Outlaws am Big Blue River zurückgeschlagen worden war.

*

Bis zum Big Blue allerdings war es ein an Aufregungen und Strapazen reicher Weg gewesen, den der dreißig Wagen starke Treck von Kansas City aus durch die weiten Ebenen der Prärien hinter sich gebracht hatte. Er hatte vornehmlich mit zwei Feinden zu kämpfen gehabt.

Der eine Feind war ein fast zwei Wochen dauerndes Unwetter gewesen. Der sturmgepeitschte Regen hatte das Land aufgeweicht und die Wagen so stark im Schlamm versinken lassen, dass sie den Big Blue statt nach zwei erst nach drei Wochen erreicht hatten. Und dabei war der Treck sowieso schon spät dran. Am Big Blue, der normalerweise leicht zu überqueren war, hatten die Siedler ratlos vor einem durch das Hochwasser angeschwollenen, reißenden Strom gestanden.

Der zweite, viel gefährlichere Feind wurde Oregon Tom genannt und hieß eigentlich Thomas Bidwell. Er war der Scout, der den Treck nach Oregon führen sollte. Aber er führte ihn ins Verderben, in die Hände einer fünfzigköpfigen Outlaw-Horde. Deren Anführer, der zwielichtige Geschäftsmann Jed Harper, hatte es auf die 80.000 Dollar abgesehen, die Alan Clayton ohne Wissen der übrigen Siedler mit sich führte. Zum Glück für die Siedler hatte Marshal Bowden Webb aus Kansas City mit einem dreißigköpfigen Aufgebot die Outlaws vertrieben. Aber neun Siedler hatten ihr Leben lassen müssen, und neun Kreuze am Ufer des Big Blue zeugten davon.

Webb hatte Clayton und das gestohlene Geld mit zurück nach Kansas City genommen. Thomas Bidwell war tot, in Notwehr erschossen von Jacob. Jed Harper und seine zwei Handlanger, der riesenhafte Hoss und der magere Skinny, waren zusammen mit dem Großteil der Outlaws entkommen.

Dank Jacobs Einfall, Halteseile über den Big Blue zu spannen, konnte der Treck trotz der starken Strömung übersetzen. Nach einer kurzen Rast in dem kleinen Ort Manhattan ging die Fahrt durch die Prärie weiter, zur großen Erleichterung der Siedler ohne schwerwiegende Zwischenfälle.

Auch das Wetter hatte sich seit Erreichen des Big Blue schnell gebessert. Sobald das aufgeweichte Land von der kräftigen Julisonne getrocknet worden war, konnte die tägliche Meilenzahl erhöht worden. Gnadenlos trieben Abner Zachary und seine Söhne Menschen und Tiere an, um die verlorene Zeit gutzumachen. Schließlich galt es, die Rocky Mountains noch vor Einbruch des Winters zu überqueren, wollte man nicht Gefahr laufen, im Schnee stecken zu bleiben und zu verhungern, wie es vor knapp zwanzig Jahren vielen Angehörigen des berüchtigten Donner-Trecks widerfahren war.

Das morgendliche Wecken wurde um eine Stunde vorverlegt, auf drei Uhr. Die Mittagsrast wurde gekürzt. Abends rollten die Wagen bis der letzte Sonnenstrahl hinter den allmählich näherrückenden Bergen verschwunden war. So gelang es, an einigen Tagen fast dreißig Meilen zurückzulegen, das Doppelte der durchschnittlichen Tagesleistung eines Trecks. Allerdings nur so lange, wie das Land flach war und den schweren Wagen keine Hindernisse wie Flussläufe oder Schluchten in den Weg legte.

Als der Südarm des Platte River überquert werden musste, war das für die Siedler nach den Erfahrungen am Big Blue fast eine Routineangelegenheit. Sie schafften es an einem Nachmittag und fuhren am nächsten Morgen weiter, folgten dem nördlichen Platte, der sie zum Fort Laramie brachte.

Hier am Fuß der Rockies wurden noch einmal die Vorräte ergänzt. Die fast zweihundert Männer, Frauen und Kinder des Trecks gönnten sich trotz ihrer Zeitnot sogar einen ganzen Tag Rast, um sich zu erholen und sich auf den schwersten Teil ihrer Reise vorzubereiten: die Überquerung des gewaltigen Gebirgszugs, der sich auf einer Länge von dreieinhalbtausend Meilen vom Yukon in Alaska bis zum Rio Grande del Norte an der Nordgrenze Mexikos erstreckte.

Von nun an wurde der Weg beschwerlich, und die Reisegeschwindigkeit verringerte sich zusehends. Denn während das Felsengebirge auf der anderen Seite, zum Pazifik hin, in mehreren Abstufungen sanft abfallen sollte, stieg es auf seiner östlichen Seite steil an. Mit Disziplin und Umsicht sowie unter Inkaufnahme zahlreicher Entbehrungen arbeiteten sich die Siedler durch die auf ihren Gipfeln schneebefleckten Laramie Mountains vorwärts, ließen sich von keinem Berg, keiner Schlucht und keinem Gebirgsfluss abschrecken.

Mit mehr als einmonatiger Verspätung passierte der Treck den Independence Rock am Sweetwater River. Das gewaltige Gestein verdankte seinen Namen, ›Unabhängigkeitsfelsen‹, dem Umstand, dass viele Wagenkolonnen hier am Unabhängigkeitstag vorbeizogen und diesen Festtag in der romantischen Umgebung des Felsens begingen. Für Abner Zachary und seine Leute, die erst am Unabhängigkeitstag von Kansas City aufgebrochen waren, bestand kein Grund zum Feiern. Nur kurz bewunderten sie die Hunderte, vielleicht sogar Tausende von Namen, die in den Stein geritzt oder gemeißelt waren. Namen von Männern und Frauen, Namen aller nur erdenklichen Nationalitäten. Niemand von Abner Zacharys Begleitern verewigte sich hier. Die Zeit drängte.

Endlich erreichte der Treck den South Pass an der Wind River Range, die höchste zu überquerende Stelle der Rockies. Im Gegensatz zu den vielen unwegsamen Strecken, die der Wagenzug auf seiner langen Reise zu überwinden hatte, war der South Pass geradezu gemütlich zu nennen, fast eine Enttäuschung für die inzwischen an Herausforderungen gewöhnten Pioniere. Viele hatten sich den Pass als eine zerklüftete, nur schwer zugängliche Felsenschlucht vorgestellt. Stattdessen bot sich den Menschen ein überaus leicht passierbarer, sanft geschwungener Wiesenbuckel dar, der leicht und undramatisch nach Westen abfiel.

Hier oben spürten die Siedler erstmals den kalten Hauch des nahen Winters, der sie zu noch größerer Eile ermahnte. Nachts wurde es so bitter kalt, dass sie sich nicht dick genug in Decken packen konnten. Sogar am hellen, sonnenbeschienenen Tag stießen die Menschen auf zugefrorene Wasserlöcher. Sie hackten große Eisstücke heraus und füllten mit ihnen ihre Wasserfässer auf.